klaus++

Agent d’ingérence étrangère : Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.

  • The Naked Prey
    https://www.youtube.com/watch?v=xRoCJfAm8r8

    https://www.telepolis.de/features/Reise-in-das-Herz-der-Finsternis-3503659.html?seite=all

    Nachdem er mit Sword of Lancelot sein Themenfeld abgesteckt hatte, drehte Wilde die drei Filme, die ihn zu einem der interessantesten (und verkanntesten) amerikanischen Regisseure der 1960er machten. Der erste, The Naked Prey, sollte ursprünglich ein Western werden und John Colters Rennen gegen die Blackfoot-Indianer auf die Leinwand bringen. Colter nahm an der Expedition von Lewis und Clark teil, erreichte mit diesen den Pazifik und trennte sich auf dem Rückweg von der Expedition, um sein Glück als Fallensteller zu versuchen. 1809 waren er und ein weiterer Trapper, John Potts, in einem Kanu auf dem Jefferson River im heutigen Montana unterwegs (es kann auch ein anderer Fluss gewesen sein, von „Colter’s Run“ gibt es die unterschiedlichsten Versionen), als sie von Blackfeet überrascht wurden. Potts wurde getötet. Colter wurde, jedenfalls in der populärsten Variante der Geschichte, nackt ausgezogen und aufgefordert, um sein Leben zu rennen. Colter war ein guter Läufer, tötete den einzigen der Indianer, der mithalten konnte und erreichte den fünf Meilen entfernten Madison River, wo er sich in einem Biberbau versteckte. Von dort schlug er sich, je nach Version und immer mit weiteren Leichen, zu einem Fort durch, oder zu einer Handelsniederlassung oder sonst zu einem Vorposten der weißen Zivilisation.

    Der Photograph Sven Persson, Wildes Co-Produzent, hatte gute Verbindungen zur südafrikanischen Regierung, die steuerliche Vergünstigungen und materielle Hilfen bot. Also wurde die Handlung von Montana nach Afrika verlegt. Das gab dem Film, der auf dem Höhepunkt der amerikanischen Black-Power-Bewegung entstand, eine noch deutlichere politische Komponente. Wilde produzierte mit dem Geld einer rassistischen Regierung einen nicht in allen Details, sehr wohl aber in seinen zentralen Aussagen antirassistischen Film. Gedreht wurde außer in Südafrika in zwei Ländern, die zu der Zeit dabei waren, sich von der britischen Kolonialherrschaft zu befreien: in Botswana (1961 Teilautonomie, 1966 Unabhängigkeit) und in Rhodesien, dem heutigen Zimbabwe (1965 einseitige Unabhängigkeitserklärung der eine Apartheid-Politik betreibenden Regierung von Ian Smith). Auch dieser zeithistorische Hintergrund floss in den Film mit ein, der mindestens so viel mit den 1960ern wie mit dem 19. Jahrhundert zu tun hat.

    Im Vorspann werden Schlüsselszenen aus der Filmhandlung vorweggenommen (hier kündigt sich schon Wildes Interesse am Auflösen einer streng linear erzählten Geschichte an). Die Bilder schuf Tshidiso Andrew Motjuoadi (1935-1968), hervorgegangen aus dem Polly Street Art Centre in Johannesburg und ein Exponent des Township-Stils in der Kunst Südafrikas. Wildes Entscheidung, einen schwarzen Künstler mit der Gestaltung des Vorspanns zu beauftragen, war bereits ein politisches Statement, das Motjuoadi mit Inhalten füllte. Eines der Bilder zeigt versklavte Dorfbewohner. Geschaffen von einem Künstler, der sonst das Leben in den Townships am Rande von Johannesburg und Pretoria darstellte, ist das eine Illustration zum dritten Akt des Films und zugleich ein Kommentar zum Apartheid-Regime. Die Mehrzahl der Mitwirkenden waren Menschen, die unter der Rassentrennung zu leiden hatten. Wilde war kein Regisseur, den so etwas kalt ließ. Die politische Situation in Südafrika beeinflusste die Grundstimmung und die Ikonographie seines Films.

    Das Massaker von Sharpeville am 21. März 1960 hatte auch die bis dahin auf Verhandlungen und passiven Widerstand setzenden Schwarzen radikalisiert. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen das Apartheid-Regime waren die Bilder, gemalt oder als eine von den Photographien, die noch bis Ende Mai in einer Ausstellung im Münchner Haus der Kunst zu sehen sind. Die dort dokumentierte Eskalation, die in der Bildsprache der Künstler ihren Niederschlag fand, lässt sich auf interessante Weise zu The Naked Prey in Beziehung setzen. Man muss sich allerdings von der Idee verabschieden, dass die Darstellung schwarzer Afrikaner als Mitgliedern einer vorindustriellen Stammesgesellschaft automatisch rassistisch ist. Wilde drehte eine (eminent politische) Parabel, keinen Dokumentarfilm. Hätte er die Handlung in die Gegenwart verlegt, hätte er den Film nicht machen können.

    Auch die Musik ist bemerkenswert. Mit den üblichen Afrika-Klängen Hollywoods hatte Wilde nichts im Sinn. Zu hören sind - ganz gegen die Konvention - Afrikaner, die auf afrikanischen Instrumenten afrikanische Musik spielen. Wilde nahm vor Ort authentische Stammesgesänge auf und engagierte später, während der Postproduktion, den Musikwissenschaftler Andrew Tracey, einen weißen Südafrikaner. Tracey ist der Sohn von Hugh Tracey, einem Pionier auf dem Gebiet der Erforschung und Bewahrung traditioneller afrikanischer Musik (Andrew folgte seinem Vater 1977 als Direktor der International Library of African Music nach). Als Co-Autor und musikalischer Leiter des Bühnenprogramms Wait a Minim! gastierte er gerade in London, als Wilde sich bei ihm vorstellte (Wait a Minim! tourte sieben Jahre lang durch die Welt und leistete einen bleibenden Beitrag zur Verbreitung ethnischer Musik aus Afrika und afrikanischer Instrumente). Beim Einspielen der Musik wurde Tracey und seiner Band viel abverlangt. Wilde nahm die Musiker mit in ein Studio, wo live aufgenommen wurde, was sie synchron zum ihnen vorgeführten Film spielten.

    Das war typisch Cornel Wilde. Im Zweifel wählte er die Form des kreativen Prozesses, die seinen Filmen eine Lebendigkeit und Unmittelbarkeit gab, wie man sie in anderen Produktionen selten findet. Die Musik orientiert sich überwiegend an jener der Zulu, was aber nicht automatisch heißt, dass der gezeigte Stamm zur Zulu-Kultur gehört. Wilde vermied solche Zuordnungen - nicht, weil für ihn ein Schwarzafrikaner wie der andere war, wie in den meisten Western Indianer eben Indianer sind, sondern weil der Film eine auf Allgemeingültigkeit abzielende Parabel ist.
    Blumen im Visier

    The Naked Prey beginnt mit einer Löwin, die ihre Beute wegschleppt. Das ist die erste von vielen Einstellungen, in denen Wilde das Töten und Getötetwerden in der Wildnis zeigt, als Kontrapunkt zur Schönheit einer Landschaft, die H. A. R. Thomson in eindrucksvollen Bildern eingefangen hat. Thomsons beste Arbeiten als Kameramann sind die beiden Filme, die er mit Wilde gemacht hat (der zweite ist No Blade of Grass), ein Beleg für dessen auteur-Qualitäten. Auf die Löwin folgt eine weiße Trutzburg, die Festung der Kolonialisten. Da weiß man gleich, dass es hier um Unterdrückung geht. Aus der Festung kommt eine Jagdgesellschaft. Die von Wilde gespielte Figur ist wie alle anderen ohne Namen und wird im Vorspann als „Man“ (Mann oder Mensch) eingeführt. Deshalb wurde ihm vorgeworfen, er habe eine Geschichte von der Überlegenheit der weißen Rasse erzählen wollen. Wildes „Mann“ (eine weitere Betonung des Parabelcharakters) ist aber mitnichten der aus vielen anderen Afrika-Filmen bekannte Kulturträger mit einer daraus abgeleiteten moralischen Überlegenheit, und die Weißen insgesamt sind das erst recht nicht.

    The Naked Prey ist einer der großen Breitwandfilme der 1960er. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen, die sich dem Diktat des Fernsehens beugten und Filme mit Blick auf spätere TV-Ausstrahlungen im Vollbild-Format so in Szene setzten, dass sich das Wesentliche in der Mitte abspielte, nützte Wilde die gesamte Breite der Leinwand aus. Manche seiner Einstellungen sind komponiert wie jene Gemälde aus dem 18. und 19. Jahrhundert, von denen sich Besitzverhältnisse und soziale Hierarchien ablesen lassen. In der ersten Dialogszene macht die Jagdgesellschaft Rast. Die weißen Jäger und die schwarzen Träger sind in einem Breitwandbild versammelt, die Einstellung enthält eine Fülle von Informationen. Wilde hat am linken Bildrand Platz genommen und überprüft sein Gewehr mit der Sorgfalt eines Profis, der das Töten zum Beruf gemacht hat wie vor ihm Lancelot (der eine bringt Tiere um, der andere feindliche Ritter). Neben ihm sitzt der Bure (Gert Van den Bergh), der die Safari finanziert und eine Flasche in der Hand hält, weil er ein Trinker ist. Hinter diesen beiden sieht man noch einen Weißen, die Nummer 3 in der Hierarchie. Die Nummer 4, auch weiß, ist rechts im Hintergrund auszumachen, aber bereits nicht mehr als Individuum präsent. Dazu kommen die anonymen schwarzen Träger, die in der Hierarchie ganz unten angesiedelt sind und deshalb gesichtslos bleiben. Alles, was wir im Bild sehen, hält der Bure für sein Eigentum, weil er das Geld hat und durch die Gewehre auch die Macht. In der Bildmitte sieht man einen pyramidenartigen Erdhügel, der signalisiert, dass hier das hierarchische Prinzip greift.

    Wilde und Van den Bergh unterhalten sich. Die meisten anderen Regisseure würden nun näher herangehen, sich durch die Wahl der Einstellungsgröße auf die Gesprächspartner konzentrieren. Sie würden nur diese beiden zeigen, halbnah oder nah, dann eine Schuss-Gegenschuss-Konstruktion anschließen. Wilde behält seine Totale bei, verzichtet auf Schnitte und gibt uns durch den langen take die Zeit, die wir brauchen, um das Bild zu studieren und auf uns wirken zu lassen. Nach der Safari, sagt der Bure, will er in den Sklavenhandel einsteigen, außer auf Elefanten auch Jagd auf Menschen machen. Für ihn sind Schwarze Handelsobjekte wie Elfenbein. Das ist der Grund, warum Wilde nicht schneidet und auf die zu erwartenden Großaufnahmen verzichtet. Eine Konzentration auf die Gesichter der beiden Weißen würde bedeuten, dass man die schwarzen Träger nicht mehr sieht. Wilde lässt den Buren reden und zeigt uns den Kontext, in dem seine Worte zu verstehen sind. Wir sehen die schwarzen Menschen, die der Bure zu Objekten degradiert und die in seinen Augen kaum mehr sind als die farbige Kiste, auf der er sitzt. So wird aus dieser zunächst friedlich wirkenden Szene (eine Jagdgesellschaft bei der Rast) eine Aussage über den Kolonialismus und die von ihm ausgehende Gewalt.

    Im Western gibt es die Figur des Armee-Scouts oder des Trappers, der vom Leben auf der eigenen Ranch träumt. Der von Wilde verkörperte Jäger will sich nach dieser, seiner letzten Safari auf die eigene Farm zurückziehen. Das ist auch schon alles, was wir über den Mann erfahren. Mehr Informationen über die Hauptfigur hält Wilde nicht für erforderlich, darum lässt er sie weg. The Naked Prey zeichnet sich durch einen auf das Nötigste beschränkten Minimalismus aus. Andere Filme würden Dialogszenen folgen lassen, in denen der Mann von seiner Vorgeschichte berichtet, vielleicht von seiner Frau, einer unglücklichen Liebe oder von einem Schicksalsschlag, der ihn zwingt, ein letztes Mal auf die Jagd zu gehen. So gestaltet man das, was man in Lehrbüchern einen „rounded character“ nennt. Wilde ist an dieser althergebrachten, von Hollywood zur Norm erklärten Form des psychologischen Erzählens nicht interessiert. Für diese Normabweichung wurde er regelmäßig mit schlechten Kritiken bestraft.

    Das Angebot des Buren, beim Sklavenhandel sein Partner zu werden, lehnt der Mann ab. Er ist bereit, Jagd auf Elefanten zu machen, um an ihr Elfenbein zu kommen, aber da zieht er die Grenze. Das wird nie so deutlich ausgesprochen, weil es nicht nötig ist. Der erfahrene Jäger, der sich von einem eitlen Schnösel oder einem Rassisten anheuern lässt und andere Positionen vertritt als dieser ist ein vertrautes Versatzstück des Safarifilms. Der Minimalist Wilde macht sich die dem Publikum bekannten Genreregeln zunutze und deutet nur an, was man ohnehin schon weiß. Das reicht voll aus. Der von ihm gespielte Mann sitzt am Rand, als sei er kurz vor dem Absprung und gehöre schon nicht mehr richtig zu den Kolonialisten. Allerdings ist da noch sein Gewehr. Am rechten unteren Bildrand sind rote Blüten zu erkennen. Der Mann hält sein Gewehr so, dass es aussieht, als wolle er auf das Symbol des Schönen feuern. So kennzeichnet Wilde den Jäger (und sich selbst als dessen Darsteller) als Komplizen des Buren, den er in die Wildnis führt und der nun von seiner Ahnung spricht, dass in Kürze getötet werden wird. Bald wird rotes Blut fließen in diesem Film, und der Mann wird mit dabei sein. Unbeteiligte Zuschauer kann es in einem kolonialen Herrschaftssystem nicht geben, jeder Weiße trägt seinen Teil der Schuld und der Verantwortung.

    Die in einer Einstellung erzählte Rast-Szene dauert 45 Sekunden. Sie steckt voller Informationen, die überwiegend visuell vermittelt werden und für die man sonst lange Dialoge bräuchte. Wilde war von Anfang an entschlossen, großes Kino zu bieten, keine bebilderten Gespräche. Das Drehbuch, das er zusammen mit Clint Johnston und Don Peters schrieb (wie hinterher das zu Beach Red), hat neun Seiten. Der üblichen Faustregel nach (eine Seite = eine Leinwandminute) müssten es 96 sein. The Naked Prey war der fünfte Spielfilm, den er inszenierte. In ihm erweist er sich als ein Regisseur, der sich der gestalterischen Mittel, über die er verfügt, sehr sicher ist. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass er mit ein bis zwei professionellen Schauspielern und ansonsten mit vielen Laien drehte, und nicht unter kontrollierbaren Studiobedingungen mit der dort zur Verfügung stehenden Infrastruktur, sondern an Originalschauplätzen im afrikanischen Busch, wo noch nie zuvor eine Filmcrew gewesen war, ist das, was ihm mit The Naked Prey gelang, wahrlich keine schlechte Leistung.
    Nguni statt Afrikaans

    Bleibt das Problem mit den anonymen schwarzen Trägern. Sie gehören zum standardisierten Personal des Safarifilms und vertragen sich schlecht mit der anti-kolonialen Grundhaltung, die ich Cornel Wilde hier attestiere. Dieses Problem geht er sofort an. Nach der Rast treffen die Weißen auf eine Gruppe schwarzer Krieger. Damit erhalten die Schwarzafrikaner ein Gesicht. Angeführt wird die Gruppe von Ken Gampu, dem ersten schwarzen Filmstar Südafrikas, den man hierzulande vielleicht aus The Gods Must Be Crazy und der Version von King Solomon’s Mines mit Sharon Stone und Richard Chamberlain kennt. In Südafrika war Gampu Vorbild und Inspiration für eine nachfolgende Generation von Schauspielern, obwohl er selten mehr angeboten bekam als das Stereotyp vom edlen Wilden oder vom wilden Zulukrieger, der eher ins Tierreich passt als in die menschliche Gesellschaft (in Zulu Dawn kämpft er gegen Burt Lancaster). 1975 schrieb Gampu Theatergeschichte, als er gemeinsam mit weißen Kollegen auf der Bühne stand, als Lennie in John Steinbecks Of Mice and Men. Im Apartheid-Staat Südafrika war das nur mit einer behördlichen Sondergenehmigung möglich. „Zum ersten Mal“, sagte er danach in einem Interview, „war der schwarze Mann gleichberechtigt mit dem weißen Mann. Und wissen Sie was? Der Himmel stürzte deshalb nicht ein.“

    Wilde wurde durch seine Hauptrolle in Dingaka (1964) auf ihn aufmerksam, den leider völlig vergessenen Regie-Erstling von Jamie Uys über einen Zusammenprall der schwarzen mit der weißen Kultur Südafrikas, sowie der Gegenwart mit der Vergangenheit. Gampu spielt einen Stammesangehörigen, dessen Tochter im Rahmen eines uralten Rituals getötet wird. Die Verfolgung des Täters führt ihn in die Welt der Weißen, wo er sich als Minenarbeiter verdingen muss. Als er den Mörder seiner Tochter aufspürt und versucht, ihn nach den Gesetzen seines Stammes zur Rechenschaft zu ziehen, gerät er in die Fänge eines Justizsystems, in dem er keine Chance hat, weil seine Kultur in einer rassistischen Gesellschaft nicht als solche akzeptiert wird. Den Verteidiger spielt Stanley Baker, was der deutsche Verleih als Aufforderung verstand, dem Film einen Titel zu geben, der den weißen Helden in den Mittelpunkt rückt: Ein Fall für Tom Baker.

    In The Naked Prey ist Gampu nur vordergründig einer der stereotypen Krieger, mit deren Darstellung er meistens seinen Lebensunterhalt verdienen musste. Wenn man sich einen Moment lang vom üblichen Vorurteil befreit, dass Leute blutrünstige Wilde sind, weil sie eine schwarze Hautfarbe haben, sich mit Fellen kleiden und einen Speer mit sich tragen stellt man fest, dass Gampu als ein freundlicher Mensch eingeführt wird, der Geschenke für seinen Häuptling erwartet, weil es so Sitte ist. Wilde akzeptiert das sofort und erläutert dem Buren, dass die Schwarzen seit Generationen in diesem Land leben und damit lang genug, um es für das ihre zu halten. Für den Rassisten sind Schwarze, die einen Besitzanspruch auf etwas anmelden und einen Wegezoll für das Betreten ihres Gebiets verlangen (als symbolische Respektsbezeugung vor ihrem Häuptling und ihrem Stamm) undenkbar. Er erklärt die stolzen Krieger zu gierigen Bettlern und weigert sich, ihnen etwas von dem zu geben, wofür er Geld bezahlen musste. Das ist der klassische Fall vom Sparen an der falschen Stelle. Gierig ist nur der Bure. Er schiebt Gampu beiseite und stößt ihn dabei um, wodurch er ihn demütigt und verletzt (wir werden noch weiteren Schwarzen begegnen, die Gefühle haben und verletzlich sind und damit über menschliche Eigenschaften verfügen, die ihnen in anderen Afrika-Filmen nicht zugeschrieben werden). Das respektlose Verhalten des Buren ist der Auslöser für die bald folgende Gewalt. Gezeigt wird nicht zuletzt das Scheitern der Kommunikation zwischen zwei Kulturen, und das, obwohl The Naked Prey der amerikanische Tonfilm mit den wenigsten Dialogsätzen seit Chaplins Modern Times ist, wie Michael Atkinson in einem Aufsatz schreibt. Das ist nur scheinbar paradox, weil Wilde, wie schon bemerkt, keine Worte braucht, um seine Botschaft zu vermitteln.

    Übrigens werden die Schwarzen weder zu den genreüblichen Sätzen auf Tarzan-Niveau gezwungen ("Ich Gampu. Du großer Bwana.") noch zu stark akzentgefärbtem Gebrabbel. Sie sprechen ihre Sprache so wie die Weißen die ihre (Andrew Tracey zufolge ist es Nguni, der Oberbegriff für vier miteinander verwandte Sprachen und Dialekte in Südafrika und Zimbabwe). Wildes „Mann“, der ihren Dialekt kennt, macht ein einziges Mal den Dolmetscher, was ungehört verpufft, weil der Finanzier der Safari wegen seines Rassismus nichts begreift, nicht wegen der Linguistik. Fortan müssen wir ohne Übersetzung auskommen. Man versteht trotzdem, was verstanden werden soll, weil Wilde ein guter Regisseur ist. Indem er die kulturelle Identität der Dorfbewohner respektiert, macht er durch den Kontrast zudem deutlich, dass die Lastenträger nicht deshalb sprach- und gesichtslos sind, weil für ihn ein Schwarzer wie der andere ist, sondern weil sie, als Arbeitssklaven missbraucht, von einer rassistischen Gesellschaft zu Objekten reduziert werden, die aus Sicht der Weißen nur unwesentlich über Nutztieren und Jagdtrophäen stehen. Wie immer kommt es bei der Bewertung rassistischer Stereotype auf den Kontext an. Seit Mitte der 1960er gab es in Südafrika Bestrebungen, Afrikaans zur allgemeinen Unterrichtssprache zu machen. Vor diesem Hintergrund war auch Wildes Bekenntnis zur Nguni-Sprachfamilie und damit zu einer vom Apartheid-Regime unterdrückten und marginalisierten Kultur ein explizit politischer Akt.
    Großes Kino

    Die Jagd wird ein voller Erfolg für den Investor. Aus Lust am Töten knallt er alles ab, was ihm vor die Flinte kommt, während Wilde nur Elefanten mit starken Stoßzähnen (das Elfenbein) schießt. Pate stand da wohl Richard Brooks’ Western The Last Hunt, wo sich mit den Büffeljägern Robert Taylor und Stewart Granger eine ähnliche Konstellation ergibt. Wilde zeigt klaffende Wunden im Körper eines erlegten Tieres, weil so eine zünftige Jagd eine brutale Sache ist. Um böse Kommentare der Tierschützer abzuwenden: Keiner von den Elefanten wurde für den Film erschossen. So etwas hätte Wilde nie gemacht. No Blade of Grass, sein Film über die Apokalypse, endet mit der (ehrlichen) Versicherung, dass bei den Dreharbeiten kein Tier zu Schaden kam. Wilde war seiner Zeit auch da voraus. In The Naked Prey gibt es einen Kampf zwischen einem Leguan und einer Python. Als Wilde bemerkte, dass der Leguan dabei war, zu unterliegen und getötet zu werden, warf er sich dazwischen (für die Schlange hätte er das auch getan). Der Leguan biss ihm ins Bein und fügte ihm eine schmerzhafte Verletzung zu.

    Berüchtigt ist die (von Zensoren oft verstümmelte) Szene, in der einer von den Schwarzen aus dem Bauch eines toten Elefanten tritt und eine Ladung Innereien zum Feuer trägt, um sie zu braten. Sind das also doch Barbaren? Ich will keineswegs behaupten, dass The Naked Prey völlig frei von Vorurteilen ist und ganz ohne Phantasien des weißen Mannes und seiner Unterhaltungsindustrie vom schwarzen Eingeborenen auskommt, glaube auch nicht, dass das überhaupt möglich wäre. Was ethnologisch richtig ist und was nicht kann ich nicht beurteilen, und ich weiß nicht, ob Wilde Anspruch auf diese Art von Authentizität erheben wollte (angesichts seiner allegorischen Erzählweise ist das eher unwahrscheinlich). Wichtig finde ich, dass er uns regelmäßig dazu auffordert, die Handlungen der Schwarzen mit denen der Weißen zu vergleichen und unsere Schlüsse daraus zu ziehen. Jenseits des Ekelfaktors teilt uns die Eingeweide-Szene mit, dass die Schwarzen gelernt haben, ein totes Tier komplett zu verwerten (wie die Indianer die Büffel). Die Weißen schießen Elefanten tot, weil sie das Elfenbein wollen, oder einfach nur aus Freude an der Jagd, um es möglichst positiv zu formulieren; die toten Körper würden sie liegen lassen. Wie wir das beurteilen (die Schwarzen sind schlimmer als die Weißen, die Weißen sind schlimmer als die Schwarzen, alle sind gleich schlimm, man kann sie nicht vergleichen), bleibt uns überlassen, weil Wilde nicht didaktisch ist. Er will ein Publikum, das eine eigene Meinung hat, statt sich per Dialog vom Helden sagen zu lassen, was es zu denken hat und was die Moral von der Geschichte ist.

    Als das US-Fernsehen vermehrt zum Abnehmer von Spielfilmen wurde verlangte es Großaufnahmen, damit der an die Werbeindustrie verkaufte Zuschauer in seiner Flimmerkiste etwas erkennen konnte. Der Kunst der Kinematographie hat das insgesamt nicht gut getan, weil sich eine Art von Film entwickelte, die, obwohl eigentlich für das Kino produziert, auf dem Bildschirm besser funktioniert als auf der Leinwand. Wilde dagegen demonstriert, wie man echtes Kino mit Großaufnahmen macht, die für das Vollbild-Fernsehen im Briefmarkenformat total ungeeignet sind. Nach dem Massaker an den Elefanten sitzen die Weißen in ihrem Lager. Van den Bergh, beglückt ob seiner Schießsport-Erfolge (er hat mehr Tiere getötet als Wilde), ist schon etwas angetrunken. Im Hintergrund reinigen die Träger die erbeuteten Stoßzähne vom Blut. Wilde hat die geschärften Sinne des erfahrenen Jägers und merkt, dass etwas nicht stimmt. Affen laufen unruhig hin und her, Vögel fliegen auf.

    In einer Weitwinkeleinstellung sehen wir Wildes Gesicht. Die Kamera fährt auf ihn zu, als er den Kopf zur Seite bewegt. Ein Teil des Kopfes - ein Ohr, ein Auge, ein Stück von der Nase - füllt die Leinwand aus (wie einflussreich das war kann man in David Lynchs Blue Velvet besichtigen). Von da schneidet Wilde, wieder in extremer Großaufnahme, auf die Augenpartie des im Gebüsch versteckten Gampu, der aus seinem Dorf Verstärkung geholt hat, um sich für die erlittene Demütigung zu rächen. Wilde ist da auf dem neuesten Stand der Technik. Das CinemaScope-Verfahren der 20th Century Fox erbrachte unscharfe und verwaschene Großaufnahmen. In der Qualität wie in The Naked Prey wurden sie erst durch eine Ende der 1950er entwickelte Panavision-Linse möglich. Die Kamera fährt jetzt zurück, bis wir das ganze Gesicht von Gampu sehen, mit der Nase im Zentrum des Bildes. Das wirkt, als würde er die Witterung der Weißen aufnehmen wie ein Raubtier.

    Der auf seine Sinnesorgane reduzierte Wilde, mehr Tier als Mensch, taucht in Filmen und in Büchern häufig auf. Hier ist das anders als gewohnt. Wilde betont durch die Wahl der Einstellungsgrößen, die Kamerabewegungen und die Montage die spiegelbildliche Beziehung zwischen dem weißen Jäger und dem schwarzen Krieger, mit den Augen als gedachter Symmetrieachse (in einem primär visuellen Medium wie dem Film sollte das so sein). Wir sehen nicht die übliche Opposition zwischen dem tierischen Schwarzen und dem menschlichen Weißen, sondern zwei sich ergänzende Hälften der Gattung Mensch. Die relative Freiheit von den Zwängen Hollywoods bezahlte Wilde mit sehr knapp kalkulierten Budgets. Das bedeutet nicht, dass er ein Billigfilmer war, der gedankenlos Gewaltverherrlichungsdramen herunterkurbelte, um durch das Appellieren an die niederen Instinkte eines imaginären Publikums Kasse zu machen. Durch die extreme Stilisierung der Großaufnahmen-Sequenz setzt er ein ästhetisches und durch die sorgfältige Einbettung in einen Gesamtzusammenhang auch ein inhaltliches Ausrufezeichen. In einem Film wie The Naked Prey, der dem Minimalismus verpflichtet ist und seinen Stilwillen lieber hintergründig hält, statt ihn stolz hervorzukehren, ist das besonders eindrucksvoll.

    Bevor Gampu das Zeichen zum Angriff gibt, sehen wir einen in der Sonne leuchtenden Speer, der sich wie ein erigiertes Glied nach oben reckt. Man kann die freudianische Interpretation auch übertreiben. Hier ist sie angebracht, weil Van den Bergh soeben von seiner Lust am Töten gesprochen hat. Das wendet sich nun gegen ihn. Auch die schwarzen Krieger sind fähig, sich in einen Blutrausch zu steigern, mit Weißen als den Opfern statt der Elefanten. Wer ein pastorales Afrika mit edlen Wilden haben will, sei an Onkel Toms Nachfahren in den Schmonzetten deutscher Fernsehanstalten verwiesen. Wildes Filme fragen danach, warum der Mensch anderen Menschen gegenüber so brutal ist, wie es zur Gewalt kommt und was aus ihr wird. Darum ist die Wildnis bei ihm wild und nicht mit Streicheltieren bevölkert, weder auf vier Beinen noch auf zweien.

    Bei dieser Gelegenheit sei noch angemerkt, dass die Frauen in The Naked Prey keine wesentliche Rolle spielen. Das mag politisch nicht korrekt sein, macht Wilde aber so wenig zum Chauvi wie Herman Melville (Moby-Dick) oder Robert Louis Stevenson (Treasure Island), deren Schiffe ganz ohne Dame in See stechen, weil eine solche für die Handlung nicht erforderlich ist oder unglaubwürdig wäre und die Erzähler ihrer Geschichte verpflichtet sind, nicht einem antrainierten Publikumsgeschmack. Hätte Wilde eine überzeugende Möglichkeit gefunden, dem weißen Mann eine blonde Gefährtin zu geben, oder Gampu eine schwarze Venus, hätte er es garantiert getan. Es siegte aber, wie meistens bei ihm, der Künstler über den Jean-Wallace-Verehrer.

    Am Ende des Überfalls reckt Gampu triumphierend ein erbeutetes Gewehr in die Höhe. Das machen die Indianer im Western auch oft so. Hier ist das Gewehr eines von zwei phallischen Tötungsinstrumenten (der Speer ist das andere), die eine Verbindung zwischen den Weißen und den Schwarzen herstellen und das Gemetzel einrahmen. Die Gewalt in diesem Film ist vorwiegend männlich konnotiert. Das könnte den Frauen gut gefallen, wenn es nicht eine Szene gäbe, in der sich auch das weibliche Geschlecht als wenig zimperlich erweist. Dazu gleich mehr. Die Mitglieder der Jagdgesellschaft, die das Gemetzel überlebt haben, werden von den Kriegern in ihr Dorf gebracht, um den Martertod zu sterben. Sie sind Trophäen wie die von den Siegern erbeuteten Kisten und Stoßzähne. Die Weißen werden von den Schwarzen genauso als Objekte behandelt wie sie es umgekehrt mit ihnen tun.
    Der Mensch ist des Menschen Wolf

    Im Dorf residiert ein Häuptling. Oder sollte er gar ein König sein wie Artus, der Chef der Tafelrunde? Jedenfalls präsidiert er über die zehn Minuten, die den Film berüchtigt machten. Ob die Folterszenen reine Phantasieprodukte sind oder auf authentischen Ritualen fußen weiß ich wieder nicht, weil ich kein Ethnologe bin. Da das für die überwiegende Mehrheit der Zuschauer gilt ist es legitim, The Naked Prey unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten. Zuerst sterben die schwarzen Träger, die nicht zu den Weißen gehören und nicht mehr zu den Dorfbewohnern. Zwischen zwei Kulturen stehend, werden sie zerrieben wie im echten Leben häufig auch. Innerhalb eines Wertesystems, das Gewalt grundsätzlich akzeptiert, werden sie trotzdem privilegiert behandelt, denn ihnen wird ein schneller Tod zuteil (mit einer Ausnahme). Ein Mann wird mit einem Keulenhieb erschlagen, ein anderer wird geköpft. Den eigentlichen Vorgang sieht man nicht, wohl aber eine von den Folgen: durch den Bildausschnitt schießt ein Blutstrahl.

    Das kann man ablehnen und als schlimme Geschmacksverirrung geißeln wie manch ein schockierter Kritiker nach dem Kinostart, als es weder Bonnie and Clyde noch The Wild Bunch gab. Man gerät dann aber in argumentative Not, wenn man The Naked Prey andererseits einen mangelnden Realismus vorwirft wie auch passiert. Beim Durchtrennen der Aorta ist meines Wissens mit einem Blutstrahl zu rechnen. 1966 hatte man so etwas (glaube ich) nur noch nie in einem Film gesehen. Dieser Strahl, eine Ejakulation in Rot, schließt sich, der inneren Logik des Films folgend, an die phallischen Mordinstrumente an, die beim Gemetzel zum Einsatz kamen. Die sexualisierte Form von Gewalt - in diesem Fall als atavistisch anmutender Blutrausch - ist einer von den beiden Polen, zwischen denen sich bei Wilde abspielt, was der Mensch dem Menschen antut. Der andere Pol ist die ritualisierte, vorher festgelegten Regeln folgende Gewalt, mit der wir uns arrangiert haben. Es gibt nur keine Gewähr dafür, dass die eine, die zivilisierte Variante der Gewalt, nicht jederzeit in die andere umschlagen kann, die überwunden werden soll. Vom guten Geschmack lässt Wilde sich dabei nicht immer leiten. Sein Thema ist die Gewalt, nicht deren geschmackvolle Darstellung.

    Die wichtigste Information über das Töten der Safarimitglieder erhalten wir in Einstellungen, durch die kein Blut fließt. Gampu steht beim Häuptling und berichtet, was ihm widerfahren ist, als der Tribut verweigert wurde. Jeder Gefangene wird einzeln vorgeführt und abgeurteilt. Der Häuptling legt das Strafmaß fest. Van den Bergh wird so fixiert, dass er eine Giftschlange anstarren muss. Für die Schlange ist das ein Zeichen der Aggression (auch eine Form von gescheiterter Kommunikation), weshalb sie umso sicherer zubeißt. Einer von den Trägern wird mit einer Lehmkruste überzogen, an einen Spieß gehängt und bei lebendigem Leib gegart. Sind diese Dorfbewohner also sadistische Kannibalen? Oder könnte es sein, dass das Braten der Elefanteninnereien ein Tabubruch war, der auf diese Weise geahndet wird? Ich weiß es nicht.

    Entscheidend sind zwei Dinge: 1. Ohne erklärende (und übersetzte) Dialoge ist man permanent gezwungen, über eine fremde Welt nachzusinnen, die einem in anderen Afrika-Filmen in leicht konsumierbaren Klischee-Portionen serviert wird. Wilde unterläuft die Stereotypen, indem er sie ins Groteske übersteigert und fördert das Nachdenken, indem er das Fremde (Mensch am Spieß) mit weniger fremden Analogien (Tier am Spieß) versieht und so zum Vergleich ermuntert. 2. Die Bestrafungsaktionen im Dorf der Eingeborenen sind ritualisiert und finden, so abstoßend sie auch erscheinen mögen, in einem Kontext von Recht und Ordnung statt. Das rückt den „dunklen Kontinent“ ganz nah an Camelot heran. Oder unterscheidet sich König Artus, einer unserer Kulturhelden, doch fundamental von diesem Häuptling, wenn er Guinevere auf den Scheiterhaufen schickt, weil es so in einem Gesetz steht, das er mal erlassen hat - zum Beispiel, weil bei ihm kein Medizinmann zur Feier des Tages eine Ziege schlachtet, sondern die Kirchenglocken läuten, wenn der Henker das Feuer entzündet? -

    Wilde durchzieht den Film mit Bildern vom täglichen Überlebenskampf der Tiere in der Wildnis. Damit redet er nicht dem Sozialdarwinismus das Wort. Es geht nicht, wie oft unterstellt, um das Recht des Stärkeren und das Übertragen biologischer Erklärungsmodelle auf die menschliche Gesellschaft. Wilde gelangt vielmehr zu dem Befund, dass sich der Mensch nicht durch Gewaltlosigkeit vom wilden Tier unterscheidet, sondern dadurch, dass er sich bewusst für eine Gewalt entscheidet, die er zu kanalisieren sucht, indem er sie in ein von moralischen Abwägungen bestimmtes System von Regeln steckt, die selbst dann, wenn er sie einhält, nur wieder zu weiterer, dann nicht mehr ritualisierter und regelkonformer Gewalt führen. Gleichzeitig halten Wildes Protagonisten verzweifelt an der Überzeugung fest, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen Recht und Rechtlosigkeit gibt, zwischen Zivilisation und Barbarei. Das ist das traurige Paradoxon, das alle seine Filme charakterisiert.

    Wilde selbst scheint dieser Glaube bei seinen filmischen Erkundungsgängen in das menschliche Herz der Finsternis immer mehr abhanden gekommen zu sein. Das lässt sich nachvollziehen, wenn man berücksichtigt, dass er - als rechtzeitig emigrierter Jude und aus der Distanz, aber sozusagen „live“ und nicht als jemand, der in eine Welt hineingeboren wurde, in der Auschwitz schon Geschichte war - die Shoah miterlebte, den Zweiten Weltkrieg, die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, den Koreakrieg, den Kalten Krieg und den Vietnamkrieg, um nur einige der markantesten Ereignisse zu nennen. In einem Interview formulierte er es 1970 so:

    Mich treibt dauernd um, was die Menschheit der Menschheit angetan hat. Die ganze Geschichte hindurch. Und ich denke mir, wie schrecklich es ist, dass sich in so vielen Jahren seiner Existenz die ursprünglichen Verhaltensweisen des Menschen nicht groß verändert haben. Vielleicht sind sie ausgeklügelter geworden, aber grundsätzlich sind die Dinge, die der Mensch dem Menschen antut, heute genauso schrecklich wie vor 6000 Jahren. Was in der Geschäftswelt vor sich geht ist genauso grausam wie das, was auf dem Schlachtfeld passiert. Die Prinzipien einer humanen Welt, die von Generationen von Philosophen und Heiligen hervorgebracht wurden, all die Jahrhunderte und Epochen hindurch, sind noch vorhanden, und doch werden sie nicht beachtet. Viele Staaten sind nach diesen Maximen gegründet worden, und die höchsten Regierungsstellen ignorieren sie. Ich glaube, dass die Vereinigten Staaten im Großen und Ganzen ein sehr gutes Land sind. Aber im Großen und Ganzen nur im Vergleich zu anderen Ländern. Das ist keine grundsätzliche Einschätzung. Es gibt sehr sehr viele Dinge in den USA, die nicht in Ordnung sind und förmlich danach schreien, korrigiert zu werden - Dinge, die obszön sind verglichen mit den Prinzipien, auf denen dieses Land gegründet wurde. Es gibt keine echte Gleichheit. Nirgendwo auf der Welt gibt es sie. Sogar Großzügigkeit gegenüber unseren Mitmenschen ist etwas, an dem es uns sehr mangelt, bei einzelnen Personen genauso wie bei Ländern und Nationen.

    Cornel Wilde, würde ich sagen, war ein empfindsamer und völlig unzynischer Mensch. Das merkt man auch seinen Filmen an, die so robust wirken, immer sofort zur Sache kommen und dann nicht mehr nachlassen bis zum Schluss. Man muss nur genau hinschauen.
    Im Foltergarten

    „Vor hundert Jahren war Afrika ein riesiges dunkles Unbekanntes“, sagt Cornel Wildes Stimme am Anfang von The Naked Prey aus dem Off, bevor die Jagdgesellschaft das weiße Fort verlässt. „Nur einige wenige Entdecker und Missionare, die Elfenbeinjäger und die berüchtigten Sklavenräuber riskierten auf seinen Pfaden ihr Leben. Glänzende Stoßzähne waren der Preis, und schwitzende Sklaven, die von ihren eigenen Königen und Häuptlingen in den nicht enden wollenden Stammeskriegen verkauft oder von den Sklavenhändlern verschleppt wurden. Der Löwe und der Leopard machten gnadenlos Beute in den gewaltigen Tierherden. Und der Mensch, dem der Wille fehlte, andere Menschen zu verstehen, wurde wie die wilden Tiere, und ihre Lebensweise war die seine.“

    Das klingt schlimm, nach dem Kampf aller gegen alle und nach den Phantasien von Afrika als einem „dunklen Kontinent“, mit denen der Kolonialismus seine Verbrechen an den Bewohnern und die Ausbeutung der Ressourcen rechtfertigte. Wir haben bereits festgestellt, dass es so einfach doch nicht ist. Wilde beschreibt nicht den Film, den wir gleich sehen werden, sondern die Erwartungshaltung, mit der wir an seinen Film herangehen. Das heißt nun aber nicht, dass mit einem philoafrikanischen Idyll zu rechnen ist, mit edlen Wilden, die in philosophisch anmutender Einfalt und stiller Größe vor ihrer Hütte sitzen und geduldig des Moments harren, in dem sie dem weißen Mann (oder der weißen Frau, wenn ARD oder ZDF Onkel Tom seinen Kral gebaut haben) ihre Gastfreundschaft erweisen dürfen. Wilde lehnt solche Domestizierungen schon deshalb ab, weil auch sie für die Betroffenen schlecht ausgehen, wenn sie nicht das ihnen zugeschriebene Wohlverhalten an den Tag legen. Der letzte Satz des Kommentars ist der entscheidende. Die Welt ist nicht, wie sie ist, weil der Mensch von Natur aus böse ist, oder weil der Sozialdarwinismus gesiegt hat und nur das Recht des Stärkeren gilt, sondern weil es kein echtes Bemühen gibt, andere Leute - besonders dann, wenn sie sehr fremd und verschieden sind - zu verstehen. Letztlich läuft das auf fehlenden Respekt hinaus.

    Der Überfall auf die Weißen kommt nicht so unmotiviert und wie ein Naturereignis daher wie in vielen anderen Afrika-Filmen, wo die Eingeborenen mehr Teil der Landschaft als Menschen sind, sondern nach einem sehr konkreten Anlass. Der Finanzier der Safari stößt den Anführer der Krieger zu Boden (ein Bild, das auch gut in einen Film über den Kampf der Afroamerikaner um ihre Bürgerrechte passen würde), weil er diesen weder als Mitmenschen akzeptiert (oder gar als Eigentümer des Landes, das die Weißen ausbeuten wollen) noch sich für dessen kulturelle Gepflogenheiten interessiert. Das setzt die Spirale der Gewalt in Gang. Die aus dieser ersten Begegnung der weißen Jäger mit den Dorfbewohnern resultierende Rache- und Bestrafungsaktion mag dem schockierten Betrachter barbarisch erscheinen. Wilde unternimmt auch nichts, um diesen Eindruck abzuschwächen, ganz im Gegenteil. Zwischen der Demütigung des von Ken Gampu gespielten Kriegers und den Folterungen besteht ein ursächlicher Zusammenhang. Die Schwarzen sind wilder und brutaler als in den anderen Afrika-Filmen, die Hollywood bis dahin produziert hatte. Doch sie sind keine Wilden, weil sie Wilde sind - oder gute Menschen, weil der Schwarze als edler Wilder gut zu sein hat (und wehe, wenn nicht!).

    Weil der Krieger gedemütigt wurde, wird einer von den weißen Jägern ebenfalls gedemütigt. Der Häuptling gibt Anweisung, ihn wie einen Vogel auszustaffieren. Gejagt von den Frauen des Stammes, muss er durch das Dorf hüpfen. Das ist wie eine Szene aus einem Comic oder aus einer der in den 1950ern vom US-Fernsehen eingeführten Shows (Beat the Clock), wo Leute blöde Aufgaben lösen und sich zum Deppen machen, um einen Preis zu kriegen (1960 nach Deutschland importiert, wo Joachim Fuchsberger Nur nicht nervös werden moderierte, die Sendung mit „verzwickten Spielen für geschickte Leute“). Auch dort tat sich ein dunkler Kontinent auf. Im wilden Afrika von The Naked Prey gibt es keinen Fernseher zu gewinnen, sondern gleich den Tod. Der Kandidat hat auch seine Aufgabe nicht erfüllt, denn er wird eingeholt. Die Frauen haben ihren Spaß und stechen auf ihn ein wie ein außer Rand und Band geratenes Schunkelpublikum vom ZDF-Fernsehgarten oder vom ARD-Musikantenstadl. Das ist eine nette Abwechslung im täglichen Einerlei des Hausfrauendaseins.

    Der Musikantenstadl war auch schon mal in Südafrika, worauf in Österreich eine Debatte darüber entbrannte, ob man sich den nun Anzüge oder Nelson-Mandela-Hemden tragenden Schwarzen unbedingt als jodelndes Bergvolk mit Lederhosen und konfektioniertem Volksgedudel präsentieren musste (die Deutschen hatten das damals bereits so verinnerlicht, dass ihnen nichts mehr peinlich war). Falls einigen der geneigten Leser der Kommentatorenfinger zuckt, weil ich mich zu weit vom Thema entfernt habe: Stimmt nicht. Wir sprechen hier über die stereotype Darstellung bestimmter Gruppen. Man kann die Klischees perpetuieren wie im Musikantenstadl und in zahllosen Heimatfilmen, oder man zerbröselt sie durch parodistische Zuspitzung wie etwa Walter Bockmeyer in seiner Version der Geierwally, was nicht immer einfach ist, weil viele von den Klischees ohnehin schon hart an der Parodie vorbeischrammen.

    Das gilt auch für die Afrikaner im Safarifilm. Wilde bürdet dem Klischee vom schwarzen Barbaren einiges an grotesker Übertreibung auf, dies aber nur in dem Maße, dass es nicht unter der Last zusammenbricht, weil er keine Parodie gedreht hat, sondern ein ernstes Thema mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt. Das schließt die ironische Distanzierung nicht aus. Man denke sich das Quäl-Segment von The Naked Prey als große Samstagabendshow im Fernsehen. Wilde wäre dann der Zuschauer, der von zwei Aufpassern gezwungen wird, sich die exotischen, vom Showmaster (der Häuptling) angeordneten Folterrituale anzusehen. So gewinnt man eine ganz gute Vorstellung davon, was gemeint ist. Wenn meine Interpretation richtig ist, wird bei den Quälereien ein ethnologisch-dokumentarischer Anspruch nur insofern erhoben, als es um die Beziehung zwischen der genormten Unterhaltungsindustrie (nebst den von ihr zur Schau gestellten Opfern und Exhibitionisten) und ihrem Publikum geht. Angesichts des aktuellen TV-Programms und Blockbuster-Kinos kann ich nur sagen: Wilde war ein Visionär.
    Blut und Blumen

    Der Tod des „Vogels“ wird indirekt gezeigt. Die Frauen verdecken den am Boden liegenden Mann, während sie auf ihn einstechen. Wir sehen das von oben, durch die Zweige eines blühenden Baumes hindurch. Rote Blüten anstelle des roten Bluts: In einem Film, der kein Problem damit hat, durchbohrte Körper und klaffende Wunden zu zeigen, ist das eine überraschend poetische Darstellung von Gewalt. Furchtbar traurig ist es auch, weil die Blumen bei Wilde bisher für das Schöne in der Welt standen. Jetzt sind sie in Blut getaucht. Für Anhänger der „auteur-Theorie“, die nach der persönlichen Handschrift eines Regisseurs suchen, also nach wiederkehrenden Elementen in seinem Werk, wäre Cornel Wilde ein lohnendes Studienobjekt. An seinen Filmen lässt sich gut demonstrieren, wie die Bedeutung einer Szene von der Perspektive abhängig ist, aus der man sie betrachtet, und vom Kontext.

    Ein Beispiel: In einer der von den Kriegern erbeuteten Kisten entdecken die Frauen des Dorfes bunte Tücher. Der Fund löst große Freude aus, die Frauen tollen herum und werfen die Tücher in die Luft. Das kennt man. Die Wilden sind, wenn sie nicht gerade wild und blutrünstig sind, wie die Kinder, sei es im dunklen Afrika oder im Wilden Westen. In The Naked Prey ist es komplizierter, weil die Schwarzen ein Motiv für ihr Handeln haben. Das zwischen Massaker und freudiger Ausgelassenheit angesiedelte Tohuwabohu erinnert den Finanzier der Safari (und uns) daran, dass nichts passiert wäre, wenn er den Kriegern beim Betreten ihres Landes ein paar von den Tüchern abgegeben hätte, als Tribut und Respektsbezeugung. Im zuvor gedrehten Sword of Lancelot schmücken die bunten Tücher - als Textil gewordene Blüten - das Schlafgemach von Guinevere, der Geliebten Lancelots (in Beach Red wird Jean Wallace ein mit diesen Tüchern korrespondierendes Kostüm tragen). Blühende Blumen findet man bei Wilde an der Schnittstelle zwischen Tod und Leben, Liebe und Gewalt, Kommunikation und Nicht-Kommunikation. Sie signalisieren, dass von hier aus der Weg in die eine oder die andere Richtung gehen kann, abhängig vom Verhalten der Protagonisten. Meistens endet es mit Blutvergießen und man fragt sich als Zuschauer, warum das sein musste. Daher auch die traurige Grundstimmung in Wildes Filmen, deren Botschaft mit einem jüdischen Sprichwort recht gut beschrieben ist: „Man könnte leben, aber man lässt nicht.“

    Menschenjagd

    In The Naked Prey nimmt sich Wilde die Freiheit, aus einer streng chronologisch erzählten Geschichte auszubrechen und bestimmte Informationen vorwegzunehmen. Im Vorspann, in einem der Bilder von T. A. Motjuoadi, wird die rituelle Schlachtung einer Ziege gezeigt. Im Folterteil der Filmhandlung trinkt die Dorfgemeinschaft das Blut des Opfertieres. Gampu bietet auch dem von Wilde gespielten Safariführer einen Schluck an. Das ist sein Zeichen des Respekts dem Mann gegenüber, der ihn bei der ersten Begegnung ebenfalls respektvoll behandelt hat und der nun erneut beweist, dass er die andere Kultur achtet, indem er von dem Blut trinkt. Darum töten ihn die Krieger nicht wie die anderen Safarimitglieder, sondern geben ihm eine Chance, sein Leben zu retten, indem er um dieses rennt wie ein gejagtes Tier. Inspirationsquellen waren neben John Colters Begegnung mit den Blackfeet zwei sehr sehenswerte Filme: der Menschenjagds-Klassiker The Most Dangerous Game (1932) und ein die üblichen Stereotypen untergrabender Western von Sam Fuller, Run of the Arrow (1957).

    Wilde wird nackt ausgezogen (bis auf eine fleischfarbene Unterhose, weil ein völlig nackt durch die Wildnis rennender Mann nicht durch die Zensur gekommen wäre - später trägt er etwas, das er einem der Schwarzen abgenommen hat und das man sich als Lendenschurz vorstellen sollte) und erhält einen kleinen Vorsprung, ehe die Verfolgung beginnt. Die Grundidee - ein Weißer wird von bewaffneten Kriegern durch den Busch gejagt und überlebt, weil er schneller und abgehärteter ist als sie - wurde ihm von den Kritikern als koloniale Phantasie von der immerwährenden Überlegenheit des weißen Mannes ausgelegt. Ich wäre da gnädiger und würde von dem sprechen, was der Dichter Samuel Taylor Coleridge als „willing suspension of disbelief“ bezeichnet hat, also die Bereitschaft des Lesers oder Zuschauers, im Interesse der Fiktion das Unglaubwürdige zu akzeptieren, weil es sonst keine Geschichte gäbe. Würde gleich der erste von den Kriegern das menschliche Wild mit dem Speer durchbohren, wäre das vielleicht realistisch, aber der Film wäre abrupt vorbei. Deshalb wirft der Jäger den Speer daneben, und Wilde tötet ihn, wodurch er seine Überlebenschancen erhöht, weil er jetzt auch bewaffnet ist. (Das Remake von The Naked Prey drehte später Mel Gibson, mit Apocalypto.)

    Als Wilde einen zuvor abgeschossenen Pfeil erreicht, rennen die Jäger hinterher. Sie tun das zeitlich versetzt (auch diese Menschenjagd ist einem Regelwerk unterworfen wie der Zweikampf der Ritter in Camelot), und darum dauert es eine Weile, bis der zweite Krieger den ersten erreicht hat, der tot im Gras liegt. Dann geschieht das Unerhörte. Der Mann beugt sich über seinen toten Freund, umarmt ihn und stößt einen Schrei des Schmerzes und der Trauer aus. Wenn man das gesehen hat, vergisst man es nicht mehr, weil es so ungewöhnlich ist. Als der dritte Krieger hinzukommt, tauscht er einen Blick des Einverständnisses mit dem zweiten aus, um die Verfolgung dann fortzusetzen. Der Trauernde trägt den Toten zurück ins Dorf. Das mag einem ganz normal erscheinen, war es 1966 aber nicht im Film. Schwarze Afrikaner (oder Indianer im Western) wurden entmenschlicht und als unberechenbare, entindividualisierte Gruppe dargestellt. Nicht in The Naked Prey.

    In Cy Endfields Zulu (1964), einem Meilenstein des Afrika-Films, werden die Zulus als tapfere, taktisch geschulte Kämpfer präsentiert, nicht als ein Haufen blutrünstiger Wilder. Cornel Wilde geht einen Schritt weiter und stattet die Schwarzen seines Films mit der vollen Palette menschlicher Emotionen aus. Sie lachen und weinen, freuen sich und trauern, sind Individuen, und es ist sogar so, dass wir mehr über einige der Dorfbewohner und ihr Seelenleben erfahren als über den weißen Helden. Am Abend des ersten Tages sehen wir die Krieger, die nachdenklich bei der Leiche eines anderen ihrer Kameraden sitzen und diesem in einem Trauerritual die letzte Ehre erweisen. In seinem Audiokommentar zur Criterion-DVD weist Stephen Prince darauf hin, dass Wilde in doppelter Weise subversiv ist. Die sonst - in Filmen wie auch im Apartheid-Staat Südafrika - anonymisierten und entmenschlichten Schwarzen sind bei ihm menschliche Individuen und Mitglieder einer Gemeinschaft, und er dreht die herkömmlichen Machtstrukturen um, indem er die Schwarzen als Teil einer bewaffneten, durch soziale Bindungen verknüpften Gruppe zeigt, die Jagd auf einen einzelnen, nicht zu einer Gemeinschaft gehörenden Weißen macht.

    Entscheidend ist dabei, dass der (weiße) Held kein wirklicher Held ist und die (schwarzen) Bösewichte keine wirklichen Bösewichte sind. Beim Messerkampf mit einem der schwarzen Krieger wirft Wilde dem Gegner Sand in die Augen, um ihn dann zu töten. Das machen sonst nur die Schurken, die zu unfairen Mitteln greifen müssen, weil sie dem Helden sonst unterlegen wären. In Genrefilmen, die mit der durch dauernde Wiederholung eingeübten Erwartungshaltung des Publikums operieren, sind solche Regelverstöße sehr wirkungsvoll. Den Zuschauer zwingt das Abweichen von den tradierten Mustern, sich neu zu orientieren. An Einteilungen in Gut und Böse ist Wilde nicht interessiert, was ihn davor bewahrt hat, aus den Schwarzen edle Wilde zu machen oder bessere Menschen als die Weißen, weil sie schwarz sind. Einmal betrauern die Krieger den Verlust zweier Stammesangehöriger. Dann setzen sie die Jagd fort, um ihr Wild zu töten, den Weißen. Auch für sie ist das Leben eines Menschen nur etwas wert, wenn er zur eigenen Gemeinschaft gehört. Beim Weiterlaufen zertrampeln sie einige von den roten Blüten, mit denen Wilde geschickt Akzente setzt.

    Das fehlende Verständnis zwischen den Kulturen, sagt Wilde im einführenden Kommentar, erzeugt Gewalt, und weil diese sich in der Unterdrückung einer Gruppe durch eine andere äußert, sind die gefolterten und von Speeren durchbohrten Körper in seinem Film ein Kommentar zur strukturellen und institutionalisierten Gewalt in den Südstaaten der USA, wo die Weißen in den 1960ern noch das Prinzip „separate but equal“ ("getrennt aber gleich", offiziell 1954 abgeschafft, in der Praxis aber nicht) propagierten, oder in Südafrika, das den Film durch seine finanzielle Unterstützung erst möglich machte (so wie der weiße Rassist die Safari finanziert, die ihm den Untergang beschert und uns einige unerwartete Erkenntnisse). Subversiver konnte Wilde kaum sein. Und weil es ihm um ein Unrechtssystem geht, nicht um einzelne Täter, ist dadurch nichts gewonnen, dass der Rassist, der nach der Elefantenjagd in den Sklavenhandel einsteigen will, auf Anordnung des Häuptlings getötet wird.

    Im dritten Akt des Films erreicht Wilde ein friedliches Dorf, das von Sklavenhändlern überfallen und niedergebrannt wird. Er versteckt sich in einem Gebüsch, in dem auch ein kleines schwarzes Mädchen Zuflucht gefunden hat. Als die Sklavenräuber näher kommen, rennt Wilde los, um sie von dem Mädchen abzulenken. Er läuft durch das Dorf, tötet einige der Angreifer und am Schluss auch den arabischen Anführer. Trotzdem endet die Szene mit den nun versklavten Dorfbewohnern, die als Ware abgeführt und auf einer der Sklavenhandelsrouten verschifft werden. Die heroische Tat eines Einzelnen, heißt das, ist gut und richtig. Das System ändert sich dadurch nicht. In konventionellen Hollywood-Filmen ist das anders. Da wird auf der individuellen Ebene ein Problem gelöst und so getan, als gelte das auch für das große Ganze.

    Das ist ein guter Moment für eine Pause. Demnächst dann, im zweiten Teil, ein blutiger Albtraum auf einer Insel im Pazifik und der düsterste aller postapokalyptischen Öko-Thriller.

    ...

    Kurz vor dem Ende von The Naked Prey gönnt Wilde sich (und uns) einen Augenblick der Utopie. Der von ihm gespielte Mann setzt seinen Weg an der Seite des kleinen Mädchens fort, das er vor den Sklavenhändlern gerettet hat. Zwischen den beiden gibt es echte Momente der Empathie und der Gemeinsamkeit, als sie ihr Essen teilen und sich Lieder aus ihrer jeweiligen Kultur vorsingen. Das wird nie kitschig, weil Wilde keine vorab kalkulierten Gefühle anstrebt. Statt die Laiendarsteller Dialoge auswendig lernen zu lassen, beschrieb er ihnen, worum es in einer Szene gehen sollte und gab ihnen einige Anhaltspunkte. Der Rest wurde improvisiert. Die dadurch erreichte Unmittelbarkeit und Authentizität war die beste Versicherung gegen industriell hergestellten Gefühlskitsch. Für die Botschaft des Films sind die utopischen Momente wichtig, weil wir bisher eine grausame Welt gesehen haben, in der der Stärkere den Schwächeren frisst und Menschen Jagd auf andere Menschen machen. Wilde will das nicht so verstanden wissen, dass er einer sozialdarwinistischen Weltanschauung das Wort redet. Darum baut er kurz vor Schluss einige Szenen ein, in denen das harmonische Miteinander der Kulturen als ein positiver Wert beschrieben wird. Weil der Weiße nun aber in eine rassistische Sklavenhaltergesellschaft zurückkehren wird, trennt sich seine schwarze Begleiterin von ihm, als die Grenze ihres Stammesgebiets erreicht ist. Alles andere wäre eine Lüge. Die Einstellung, in der Wilde dem Mädchen hinterher schaut, wie es zurück zum zerstörten Dorf geht, ist die vielleicht emotionalste des Films.

    Nach der Wildnis in Spielfilmlänge (genau 90 Minuten) gibt es auch noch die Pastorale. Sie dauert eine Einstellung lang. Zwei nackte schwarze Kinder stehen in einer grünen Landschaft, im Hintergrund weiden friedlich Tiere. Wilde geht an den Kindern vorbei, tätschelt ihnen den Kopf, verschwindet aus dem Bild. Das ist das große Rätsel, mit dem er uns aus dem Kino schickt. Was, soll sich das Publikum fragen, hat das zu bedeuten? Hat Wilde sich aus einem Film voller Blut und Gewalt in einen anderen verirrt, in dem die Welt so ist, wie sie sein sollte, in dem der Mensch, sei er auch nackt und schutzlos, keine Beute ist wie im Titel The Naked Prey? Sehen wir Afrika als Wiege der Menschheit, mit einer Generation, die weiß ist und einer anderen, die schwarz ist, ohne dass sich daraus eine Rangordnung ergibt? Am wichtigsten ist wahrscheinlich, was es nicht bedeuten kann. Der weiße Mann steht auf der evolutionären Leiter nicht über den schwarzen Kindern. Diese Interpretation lassen die vorangegangenen 90 Minuten nicht zu.

    Dann geht die Jagd auch schon weiter. Das Fort ist bereits in Sicht, als es scheint, als würden die vier verbliebenen Krieger ihr Wild doch noch einholen und erlegen können. Der Jäger, der seine Trauer über den Verlust der Kameraden am lautesten hinausgeschrien hat, hebt den Speer zum tödlichen Stoß, als er von den Soldaten des Forts erschossen wird. Wilde wird nun gleich in die weiße Festung zurückkehren, die er am Anfang verlassen hat. Vorher trifft sich sein Blick mit dem von Ken Gampu, dem Anführer der Krieger. Die beiden schauen sich an und heben dann den Arm, um sich gegenseitig ihren Respekt zu zollen, ehe Gampu im Busch verschwindet. Das ist einer der absurdesten Filmmomente, die ich kenne, und zugleich einer der tröstlichsten, weil ganz am Schluss so etwas wie ein gegenseitiges Einverständnis zweier Kulturen erzielt wird. Allerdings mussten zuvor viele Menschen dafür sterben. Darum ist dieser Film - einer der originellsten und interessantesten der 1960er - so traurig.

    http://www.sahistory.org.za/archive/polly-street-era

    http://books.google.de/books?id=dGaIQULgPloC&pg=PP1&lpg=PR20&ots=g78dVdCM23&dq=Sharpeville+Nam

    http://www.hausderkunst.de/index.php?id=83&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=3590&cHash=1df0a2c4417a3b

    #film #colonialisme