Auf zum Letzten Gefecht
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Thomas Naumann, Essays zu Bertolt Brecht und Friedrich Wolf, Klappenbroschur, 264 Seiten , ISBN 978-3-9822049-8-7, 17 €
Anhand von zwei Exil-Schriftstellern, Bertolt Brecht und Friedrich Wolf, setzt sich Thomas Naumann mit der immer währenden Utopie, dem Stre- ben nach dem Neuen Menschen auseinander. Das Heilsversprechen, grün- dend auf der christlichen Idee, zeigt er entlang des Werkes Brechts, der sich sehr großzügig aus dem Reichtum der Bibel bediente, auf. Beim Kommunisten und Dramatiker Friedrich Wolf sieht er dessen messianischen Eifer, der antreibt und gläubig irreführt. Der Ruf nach einer besseren, einer guten Neuen Welt war immer der Boden für Knechtschaft, Unterdrückung und Totalitarismus – das blutige 20. Jahrhundert steht hier nur beispielgebend.
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Michael Dienstbier
„Nicht mehr die Religion ist das Opium des Volkes - es ist das Gift des Moralins.“ (238)
Rezension aus Deutschland vom 4. April 2021
Jede Zeit hat ihren utopischen Ungeist. Jede Utopie wiederum hat denselben Feind: die Wirklichkeit. Oder genauer: die noch nicht vom Geist der Utopie durchdrungenen Menschen der alten Zeit, die der goldenen Zukunft im Wege stehen. Diese Menschen müssen im Namen des Fortschritts, des Guten, der Wahrheit etc. pp. beseitigt werden - zugunsten des Neuen Menschen für die Neue Zeit. Dem utopischen Wahn verfallen auch immer die Klügsten ihrer jeweiligen Generation. Zweien davon hat der Naturwissenschaftler Thomas Nauman sein Buch „Auf zum letzten Gefecht“ gewidmet, welches neu in der Exil-Reihe der Edition Buchhaus Loschwitz erschienen ist: Berthold Brecht und Friedrich Wolf, Naumanns Vater.
Die Darstellung ist klar strukturiert: 140 Seiten Brecht, 100 Seiten Wolf. Ausgehend von Brechts bekannter Aussage, kein Buch habe ihn mehr inspiriert als die Bibel, durchforstet Naumann das Werk des Dramatikers nach christlich-religiösen Einflüssen. Diese Mischung aus utopisch-kommunistischem Impetus und christlicher Heilslehre, so der Autor, durchziehe das gesamte Werk Brechts: „Die Oh-Mensch-Dramatik seiner Zeit ist ihm fremd. Er will provozieren. Dazu schlägt er unerhört neue Töne an: zynische, anarchische, expressionistische, nihilistische. Aber inmitten alles Schrillen und Neuen kehrt ein Ton immer wieder – der Ton der Bibel.“ (29) In germanistischer Fleißarbeit reiht Naumann nach Stücken sortiert Zitat an Zitat, um seine These zu untermauern. Dieser Menge hätte es nicht gebraucht; eine exemplarische Auswahl wäre ausreichend gewesen, um das Offensichtliche zu zeigen, zumal sich einige Zitate wiederholen. Zielführender wäre eine genauere Untersuchung von Brechts Reaktionen auf den stalinistischen Terror oder seiner anhaltenden Popularität bis zum heutigen Tage gewesen, was nur in Ansätzen geschieht.
Friedrich Wolf war Dramatiker, Mitgründer der DEFA, Herausgeber der Zeitschrift „Kunst und Volk“ und bis 1951 erster Botschafter für die DDR in Polen. Naumann spürt in der Biographie seines Vaters den Ursprüngen dessen utopischen Glaubens nach. Seit 1928 KPD-Mitglied, 1933 in die Sowjetunion emigriert und 1937 vor den stalinistischen Säuberungen nach Spanien geflohen, um im dortigen Bürgerkrieg gegen Franco zu kämpfen, sei er bis zu seinem Tod 1953 zutiefst überzeugt von der vom Kommunismus prophezeiten goldenen Zukunft gewesen. Auch hier betont Naumann das irrationale Element, welches das religiöse mit dem säkularen Heilsversprechen verbinde: „Glaube und Kommunismus haben einen gemeinsamen Kern: Der revolutionäre Kern des Glaubens ist der gläubige Kern der Revolution.“ (230)
Und heute? Das Zeitalter der säkularen Heilsversprechen sei vorbei, so Naumann. Es wimmele allerdings von kollektiven und individuellen Surrogaten, die nicht minderer destruktiv wirkten: „Dazu gehören einerseits von politischer Korrektheit und Aktivistentum geprägte Bewegungen und andererseits die Selbstoptimierung. Letztere hat das Kollektiv durch das Individuum ersetzt und die Gesellschaft atomisiert. Der neue Mensch will immer besser und fitter, immer gesünder und glücklicher werden. Sein Antrieb ist nicht mehr die Verbesserung der Welt, sondern Körperkult und Sport, Schönheit und Sex.“ (236) Hier ließe sich diskutieren, ob es sich bei global vorangetrieben utopischen Projekten wie den Kämpfen gegen Virus und Klimawandel nicht doch um die alten quasi-religiösen Heilsversprechen in neuen Schläuchen handelt.
Der zweite Teil liest sich flüssiger als der erste: weniger Zitate, weniger Redundanzen. Den auf der Hand liegenden Gegenwartsbezug utopischen Denkens und dessen Gefahren behandelt Naumann nur ganz knapp am Ende des Buches. Hier hätte man sich etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht. Alles in allem dennoch eine ergiebige Lektüre zum großen Thema unserer Zeit.