Berliner Clubs von Watergate bis Æden: Mitarbeitende klagen über Mobbing und Diskriminierung
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1.5.2024 von Amélie Baasner, Cristina Plett - Zum Tag der Arbeit ein Blick hinter die Kulissen beliebter Berliner Techno-Clubs: Beschäftigte berichten über miese Bedingungen. Die Szene scheint weniger modern, als viele meinen.
Eine holzvertäfelte Wand auf der einen Seite, eine Glasfront zur Spree auf der anderen, dazwischen die Tanzfläche; eine zweite Tanzfläche mit einer Decke aus kleinsten Lichtern an der Decke – und der einzigartige Blick auf die Oberbaumbrücke: Das ist der Club Watergate, eine Institution der Berliner Clubszene, schon seit 2002. Oft wird es in einem Atemzug mit dem Berghain genannt. Beide Clubs locken Partytourist:innen aus der ganzen Welt.
Clubs leben von Neugierigen, die etwas von der sagenumwobenen Berliner Szene erleben wollen: Partys, die 24 Stunden lang dauern und bei denen auf der Tanzfläche alle gleich sind, der Postbote mit der Start-up-CEO tanzt, sexuelle Orientierung und Herkunft keine Rollen spielen, es Raum für Sex und ja, wohl auch Drogen, gibt, zum Beat von Techno und House. Das Motto der Love-Parade hallt noch immer im Selbstverständnis der Szene nach: Friede, Freude, Eierkuchen.
Seit einigen Wochen rumort es jedoch auf sozialen Medien. Zunächst hatten sich zwei ehemalige Angestellte auf Instagram zu den Arbeitsbedingungen im Watergate geäußert, sprachen von angeblichem Mobbing und Diskriminierung. In den Kommentarspalten kommen weitere Stimmen aus der Szene und anderen Clubs dazu, auf Telegram hat sich eine Gruppe zur Vernetzung mit über 400 Mitgliedern gebildet.
400 Mitglieder zählt ein Telegram-Channel, in dem sich Mitarbeitende über Missstände austauschen.
Der Tagesspiegel hat mit zwölf Betroffenen persönlich gesprochen, um sich ein Bild der Arbeitsbedingungen hinter den Kulissen zu machen und sich die Aussagen teils mit eidesstattlichen Erklärungen belegen lassen. Vor allem zwei Clubs stehen dabei im Fokus, Watergate und Æden. Dabei verdichtete sich der Eindruck, es handle sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem der Berliner Clubs: Diskriminierung am Arbeitsplatz, Mobbing, schlechte Arbeitsbedingungen sollen stark verbreitet sein und stören das Bild einer freien und toleranten Stadt, die sich mit ebendieser Szene so gern schmückt.
Die Schilderungen der Beteiligten ereignen sich in einem Umfeld, in dem zum überwiegenden Teil der Clubs Männer die Geschäftsführer sind. Ein Umfeld, das weniger divers und progressiv zu sein scheint, als es auf der Tanzfläche wirkt, und damit die Marke Berlins weltweit prägt.
Bookerin im Watergate fühlt sich rausgemobbt
Lisa (Name geändert) begann laut eigener Aussage Ende November 2023 als Bookerin für den Watergate Club zu arbeiten. Zuvor war sie bereits als Bookerin für einen anderen Berliner Club tätig. Sie war also dafür zuständig, den Kalender mit Partys zu füllen, DJs zu buchen und die Feiern zu organisieren, sprich zu „produzieren“. Spezialisiert sei sie auf queere Veranstaltungen, was für das Watergate noch weitgehend Neuland sei, erzählt sie dem Tagesspiegel.
Erst seit der Pandemie habe das Watergate langsam jüngere Partyreihen ins Programm genommen, sprach damit eine weniger touristische und zunehmend hippe, auch queere Zielgruppe an. Lisa wollte dies verstärken.
Aber: „Ich habe nie einen Arbeitsvertrag bekommen, obwohl ich mehrmals nachgefragt habe“, sagt Lisa. Stattdessen sei sie vertröstet worden, dass es noch etwas dauern würde. Auch ein mündlicher Arbeitsvertrag ist gültig. Bis zum Ende ihrer Tätigkeit im März soll sie den Vertrag nicht bekommen haben.
Mit den Vorwürfen konfrontiert, bezieht das Watergate in einem anwaltlichen Schreiben ausführlich Stellung. Allen Angestellten würden Arbeitsverträge vorgelegt, nur „im Einzelfall kann es vorkommen, dass aufgrund von krankheitsbedingter Abwesenheit der Zeichnungsberechtigten, Feiertagen o. ä. eine schriftliche Ausfertigung erst später erfolgt.“ Arbeitsbedingungen seien einvernehmlich und abschließend ausgehandelt, bevor jemand ein Arbeitsverhältnis eingehe.
Nach anfangs guter Zusammenarbeit bekommt Lisa schnell das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, Kollegen sollen sie ignoriert haben, Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen worden sein. Sie fühlt sich zunehmend unwohl. Ihr Lebenspartner bestätigt der Redaktion, dass Lisa immer stiller wurde, beinahe depressiv wirkte: „Von dem, was sie erzählte, wusste ich, dass sie gemobbt wurde.“
Lisa soll das Gespräch mit den Vorgesetzten mehrmals im Beisein ihres Partners gesucht haben. Nach dem zweiten Gespräch mit den Geschäftsführern, bei dem sie einen Brief vorgelesen habe, in dem sie Mobbing und Diskriminierung schildere, habe man ihr gekündigt. Da befände sie sich noch in der Probezeit. Außer dem Buchhalter habe zunächst niemand mehr mit ihr gesprochen.
Das Watergate lässt dazu über seine Anwältin verlauten: „Kritik am Management oder an Kollegen wird bei der Mandantin ernst genommen. Ihr ist kein Fall bekannt, in dem ein Arbeitsverhältnis wegen geäußerter Kritik gekündigt wurde. Allerdings kommt er immer wieder vor, dass Arbeitsverhältnisse beendet werden, zum Teil auch auf ausdrücklichen Wunsch der Beschäftigten.“
Das Unternehmen stünde der Kritik seitens der Angestellten positiv gegenüber und bemühe sich um eine „geschlechtergleichstellende Beschäftigungslage“. An der Tür und an der Bar, aber auch im Managementbereich seien Frauen tätig. Darüber hinaus sei das Unternehmen nach Kritik durch Beschäftigte mit einer Diversity-Beratung in Kontakt getreten, um sich für die „Implementierung weiterer Maßnahmen für mehr Diversität beraten zu lassen“. Auch auf der Webseite des Clubs wird auf diese Maßnahmen hingewiesen.
Auch ein anderer ehemaliger Mitarbeiter hatte in den vergangenen Monaten auf Social Media von negativem Arbeitsklima berichtet. Die Beiträge sind inzwischen gelöscht. Er soll jedoch über mehrere Jahre für den Club gearbeitet haben und dabei immer wieder aufgrund seines Migrationshintergrundes diskriminiert worden sein. Er soll dies angesprochen haben. Ihm seien danach die Stunden gekürzt und schließlich gekündigt worden.
Das Watergate lässt dazu verlauten, niemand werde „gekündigt wegen einer Kritik am Management. Im Gegenteil, diese ist gewünscht und kommt auch vor, ohne dass es deshalb zu Kündigungen gekommen wäre.“
Clubs im oberen Managements von Männern dominiert
Eine der neuen Partyreihen, die über Lisa ins Watergate kamen, ist „Hoe__mies“. Gizem Adiyaman hatte sie 2017 gegründet. „Eingangs war unser Ziel, einen Raum zu schaffen für Flinta, BiPoc und die queere Szene, denn es gab in Berlin damals fast nichts“, erzählt sie am Telefon. FLINTA ist eine Abkürzung für female, lesbisch, intersex, non-binär, trans und agender; BiPOC für „Black People, Indigenous People and People of Colour“.
Inzwischen zieht Adiyamans Party regelmäßig über 1000 Leute in die Clubs. „Was mir heute wichtig ist bei meiner Arbeit, ist, auch die Strukturen hinter den Kulissen zu ändern, im Booking, im Management der Clubs.“ Dort seien kaum Flinta* zu finden, bis heute. „Die Clubbesitzer sind immer Männer, immer“, sagt Adiyaman.
73 Prozent von 26 Berliner Technoclubs werden von Männern geleitet.
Eine Tagesspiegel-Analyse zu den Geschäftsführungen in 26 Berliner Technoclubs zeigt: In 73 Prozent der Clubs sind ein Mann oder ein Team aus Männern die Geschäftsführer. In nur zwei Clubs leitet eine Frau den Club allein. Damit ist die Frauenquote in der Szene ähnlich niedrig wie in den 40 börsennotierten Unternehmen im deutschen Leitindex Dax: 77 Prozent der Vorstände in Dax-Unternehmen sind Männer.
Im Booking, also bei den Personen, die entscheiden, wer auf einer Party auflegt, sieht es kaum besser aus: Einzelne große Clubs haben Frauen in der Position, viele jedoch Männer. Auch die Veranstalter beliebter Techno-Partyreihen sind oft ausschließlich Männer, berichten Szene-Insider.
Adiyamans gesamtes Team, von den Türsteher:innen bis zum Awareness-Team, ist handverlesen. Am 22. März fand die erste Party im Watergate statt. Es wird die vorerst letzte bleiben. „Als ich die Kritik an dem Club auf sozialen Medien gesehen habe, war für mich sowieso klar, dass keine weitere Kooperation möglich ist.” Die Werte des Clubs seien nicht mit den Werten ihrer Party vereinbar.
Andere Partyreihen mit queerfeministischen Werten, die erst seit einigen Monaten im Watergate stattfinden, sollen sich mit dem Watergate getroffen haben. Dabei sollen sie dem Club gegenüber Forderungen gestellt haben, die er in den nächsten Monaten einhalten müsse. In der Stellungnahme des Clubs wird betont, keine Partyreihen zu veranstalten, die Personenkreise bestimmter sexueller Orientierung ausschließen, „folglich veranstaltet sie (die Mandantin) keine Parties, die sich ausschließlich an ein queeres oder FLINTA-Publikum richten.
Der Watergate Club veranstaltet allerdings regelmäßig seit vielen Jahren „Multisex“-Parties, die ausdrücklich als sexpositive Veranstaltung alle Menschen jedweder sexuellen Orientierung adressieren.“ In der Selbstbeschreibung der Multisex-Party auf ihrer Webseite wird das Wort „sexpositiv“ nicht verwendet.
Altertümliche Machtstrukturen auch in einem neuen Club
Nicht nur das Watergate, auch der Club Æden wurde szeneintern heftig kritisiert. Er liegt nur wenige Gehminuten vom Watergate entfernt, auf der Lohmühleninsel. Anders als das Watergate ist das Æden eher ein Neuling; eröffnete der Club 2021 mitten in der Pandemie an der gleichen Stelle, an der zuvor der Club Burg Schnabel war.
Mit hippen Partyreihen mauserte es sich schnell zu einem renommierten Club. Doch auch hier könnte die Kündigung ein beliebter Schutzmechanismus der Clubleitung sein, so berichtet jedenfalls Resident Advisor, ein Branchenmagazin der Szene. Offenbar hätten mehrere Mitarbeitende einen Betriebsrat gründen wollen, weil sie sich unterbezahlt wähnten, ihnen Schichten kurzfristig abgesagt worden seien oder sie die Beiträge zur Krankenversicherung nicht bekommen hätten. Als die Geschäftsführung von dem Vorhaben erfuhr, sei mehreren Mitgliedern der Whatsapp-Gruppe zur Gründung des Betriebsrats gekündigt worden.
Die kreative Leitung des Æden weist die Verhinderung der Gründung eines Betriebsrats von sich, auf die hohen Bußgelder habe man keine Lust: „Wir kündigten im September 2023 an, dass unser Geschäft saisonal bedingt ist und wir für den Winter ausschließlich jenes Personal übernehmen, das die von den Teamleitern erwartete Leistung erbracht hat. Faktoren wie Leistung, Pünktlichkeit und Zurechnungsfähigkeit während der Nachtarbeiten waren unter anderem ausschlaggebend.“
Eine ehemalige Mitarbeiterin bestätigte hingegen dem Tagesspiegel im Gespräch, was die Plattform Resident Advisor berichtete. Angestellte zu entlassen, sei eine übliche Problemlösestrategie im Æden. Dies schaffe eine Atmosphäre der Angst, besonders für die dort arbeitenden Flinta*. „Niemand sagt etwas, aus Angst, den Job zu verlieren”, so die Kontaktperson weiter. „Diese Praxis widerspricht allem, wofür die Berliner Clubszene steht und wofür sie in der ganzen Welt bewundert wird."
Ich wurde von Kollegen ignoriert, von Vorgesetzten schikaniert und angeschrien. Ich hatte oft das Gefühl, dass es daran lag, dass ich eine Frau bin.
Ehemalige Mitarbeiterin des Æden
Sicherheit und körperliches Wohlbefinden sollten an erster Stelle stehen, nicht Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Menschen und 15-Stunden-Schichten, die gerne mal länger dauerten, erklärt die ehemalige Mitarbeiterin. Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter bestätigt, dass regelmäßig Schichten von mehr als zwölf Stunden erwartet worden seien.
Dass sie Mitarbeitende für längere Schichten einteilen, als die maximal erlaubte Arbeitszeit von acht, in Ausnahmefällen zehn Stunden vorsieht, bestätigt die kreative Leitung des Clubs auf Anfrage: „Dies geschieht nur in äußersten Ausnahmefällen und erst mit Zustimmung des im Dienst befindlichen Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin – verweigern kann man immer.“
Die ehemalige Mitarbeiterin berichtet weiterhin von Druck: „Ich wurde von Kollegen ignoriert, von Vorgesetzten schikaniert und angeschrien. Ich hatte oft das Gefühl, dass es daran lag, dass ich eine Frau bin.“ Nachdem ihr Arbeitsverhältnis beendet worden sei und sie freiberuflich weiter für den Club gearbeitet habe, habe sie mit rechtlichen Schritten drohen müssen, damit ihr die Honorare ihrer Rechnungen überwiesen wurden. Der E-Mail-Verlauf liegt der Redaktion vor.
Auch andere ehemalige Mitarbeitende, sowohl Festangestellte als auch freiberuflich Tätige, erzählen von regelmäßig zu spät ausgezahlten Gehältern und unbezahlten Überstunden.
„Wir sollten über Musik sprechen und nicht in Angst leben, unseren Job zu verlieren, nur weil wir unsere Rechte einfordern“, führt die ehemalige Mitarbeiterin des Club Æden fort. Drei Personen, die dem Club und der Leitung nahe stehen, bestätigen die Zustände. Insbesondere Mitarbeitende aus dem Ausland, die nicht mit der Rechtslage in Deutschland vertraut seien, träfen die beschriebenen Arbeitszustände und unklaren Arbeitsverhältnisse, erläutern sie.
Die Leitung des Club Æden nimmt in einer langen E-Mail dazu Stellung. Mobbing sei in ihrem Unternehmen inakzeptabel. „Je nach Schwere kann es auch zu einer Kündigung führen“, sagt die Kreativdirektion. Mehrere Schulungen seien in der Vergangenheit von externen Dienstleistern organisiert worden, um soziales Miteinander zu fördern. Man nehme sich Kritik und Anregungen, „solange sie die Expertise der Beteiligten nicht überschreiten, immer zu Herzen.“
Weiter wird die Diversität des Unternehmens betont, „wir beschäftigen Menschen aus Ägypten, Australien, Belgien, Brasilien, Deutschland, Ghana, England, Irland, Italien, Kroatien, den Niederlanden, Spanien, Südafrika, Vietnam, der Türkei und der Ukraine.“ Der Club lege Wert auf Chancengleichheit.
Zu den kritischen Stimmen führt die Mail weiter aus, dass es sich um Arbeitnehmer:innen handle, die „vermeintlich bei uns beschäftigt sind oder waren“, ohne zu erläutern, was unter einem „vermeintlichen“ Arbeitsverhältnis zu verstehen sei. Auch wird die Unkenntnis vieler Angestellter betont, die „undifferenziert die ausschließlich vereinbarte Bruttovergütung mit der Nettovergütung gleichsetzen und zudem (…) davon ausgehen, dass eine geringfügige Beschäftigung mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung deckungsgleich ist.“ Man hält fest: „Bisher ist uns kein Vorgang bekannt, bei dem ein Mitarbeiter seine Abrechnung im Hinblick auf die Höhe der abgerechneten Vergütung beanstandet hat.“
Schaden auch für das Image Berlins als Wirtschaftsstandort
Miserable Arbeitsbedingungen sind in der Veranstaltungsbranche insgesamt keine Seltenheit. Auf Berlin und seine Clubs wirft es jedoch in einem weiteren Sinne ein fragwürdiges Licht: Wie vielfältig, international und progressiv die Szene ist, ist auch für das Image Berlins als Wirtschaftsstandort von Bedeutung.
Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlins Wirtschaftsförderagentur Berlin Partner, ist als Vertreter der Berliner Wirtschaft weltweit und auch privat gern mal in Clubs unterwegs: „Berlin steht für eine offene Gesellschaft und Respekt. So leben zu können, wie man möchte, unabhängig davon, welches Geschlecht man hat, wen man liebt, welche Hautfarbe man hat, sind die Eigenschaften, die Berlin weltweit attraktiv machen“, sagt er.
„Genau diese Offenheit lockt auch Talente an.“ In Gesprächen mit Unternehmen, die überlegen, sich in Berlin anzusiedeln, erlebe er immer wieder, dass das Nachtleben, zusammen mit Kultur und Gastronomie, „ein ganz, ganz wichtiger Faktor“ sei. Bei Veranstaltungen von Berlin Partner nutzt man das, da spielen auch mal DJs aus dem KitKat oder Berghain. Franzke ist wichtig, klarzustellen: „Diskriminierung und Verhinderung von Teilhabe geht gar nicht – weder in der Clubszene noch irgendwo anders.“