Das Gesicht als Dauerbaustelle : Erfahrungen einer Frau im Zeitalter der ästhetischen Medizin
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La chirurgie dite esthétique est la folie raisonnable des femmes bien sur tout rapport. C’est une auto-flagellation hériditaire. Témoignage peu autocritique.
31.8.2024 von Karina John - Bereits meine Mutter versuchte ihr Äußeres zu optimieren, ich eiferte ihr nach. Meine Erfahrungen mit der Schönheitsindustrie sind allerdings ambivalent.
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Schon als Mädchen, mit etwa zwölf Jahren, entwickelte ich Anfang der 1980er ein feines Gespür für Schönheit und Ästhetik – ein Umstand, den ich meiner Mutter verdanke. Ihre gewissenhafte Hautpflege war für mich stets ein Vorbild. Letztendlich haben sich ihre Mühen auch gelohnt, denn bis zu ihrem Tod im Alter von 80 Jahren bewahrte sie sich ihre junge Erscheinung und nahezu faltenfreie Haut. Dies erreichte sie in einer Zeit, in der die Schönheitsindustrie bei weitem noch nicht die Möglichkeiten bot, wie wir sie heute kennen.
Ich erinnere mich noch genau an die Produkte, die sie verwendete: ein bekanntes Hautöl, eine passende Creme der gleichnamigen Marke und Kapseln zum Einnehmen zur Hautverjüngung, alles aus der Apotheke. In den 1970er- und 1980er-Jahren war dies das Maximum, das den Schönheitssüchtigen zur Verfügung stand. Operative Eingriffe waren unerschwinglich und oft mit einem gesellschaftlichen Stigma behaftet. Man sprach einfach nicht darüber – wer wollte schon zugeben, dass man sich aus kosmetischen Gründen unters Messer legte? Trotz ihrer attraktiven Erscheinung war meine Mutter zeit ihres Lebens unzufrieden mit ihrem Äußeren und kämpfte gegen die Zeichen des Alterns an.
Mit der Zornesfalte ging es los
Ich selbst eiferte ihr nach, hatte allerdings ganz andere Möglichkeiten als meine Mutter. Bereits Anfang 20 experimentierte ich mit verschiedenen Cremes und Seren, um mein Äußeres zu optimieren. Doch mit 35 Jahren war es meine Zornesfalte, die mich schließlich dazu brachte, den Gang zur Hautärztin zu wagen. Die Zeiten hatten sich geändert: Botox und andere minimalinvasive Behandlungen waren längst nicht mehr nur den Reichen und Prominenten vorbehalten. Die Verabreichung der Injektion dauerte nur wenige Minuten, und das Ergebnis überzeugte mich. Binnen weniger Tage verschwand die unliebsame Falte, die Muskulatur zwischen meinen Augen entspannte sich und die Haut sah wunderbar glatt aus.
Doch die Wirkung hielt nicht ewig. Nach etwa sechs Monaten war es wieder so weit, und ich suchte erneut die Dermatologin meines Vertrauens auf. Damals ahnte ich nicht, dass ich damit eine Spirale in Gang setzen würde, die mein Gesicht gewissermaßen zur Dauerbaustelle machen sollte.
Es blieb nicht bei der einen Zornesfalte, ich entdeckte immer neue Veränderungen im Gesicht, die ich möglichst rasch eliminieren wollte. Im Laufe der Jahre kamen weitere Behandlungen hinzu: Hyaluronsäure-Unterspritzungen, Botox für Stirn und Hals und schließlich, zu meinem 50. Geburtstag im Jahr 2021, ein Mini-Facelift.
Mit der Zeit änderte sich jedoch meine Einstellung. Heute sehe ich diese Eingriffe kritischer – nicht zuletzt, weil ich Lehrgeld bezahlt habe. So wusste ich zu Anfang nicht, dass das Injizieren von Filler in das Fältchen über der Oberlippe diese insgesamt vergrößern kann. Erst nach weiteren Behandlungen fiel mir auf, dass mich langsam, aber sicher mit jeder neuen Unterspritzung ein sogenannter Entenschnabel entstellte. Optisch gesehen kann man sich das so vorstellen, dass sich die obere Lippe sehr prominent über die Unterlippe legte. So wollte ich auf jeden Fall nicht aussehen, und so beschloss ich, diese Art von Anwendung zu vermeiden. Da sich das Hyaluron kontinuierlich wieder abbaute, erlangte ich nach mehreren Monaten wieder einen natürlichen Look.
Aus Erfahrung wird man bekanntlich klug, und ich habe gelernt, wie wichtig die sorgfältige Auswahl des Arztes oder Behandlers ist. Für viele Ärzte sind minimalinvasive Beauty-Behandlungen eine lukrative Zusatzeinnahmequelle, doch unglücklicherweise leidet darunter oftmals die Ästhetik. Denn hier und da etwas Hyaluron zu spritzen, reicht eben nicht aus. Allzu oft führt das Ergebnis zu maskenhaften Gesichtern.
Erst kürzlich begegnete ich einer alten Bekannten, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte und die mir auf den ersten Blick seltsam verändert vorkam. Stolz erzählte sie von ihren Eingriffen, doch ihre aufgespritzten und pigmentierten Lippen passten überhaupt nicht zu ihrem Typ. Ich fragte mich, ob sie überhaupt eine Beratung erhalten hatte und ob niemand ihr gesagt hatte, dass das Ergebnis bizarr wirken könnte.
Gleichzeitig war ich froh, dass ich nicht so aussah und ich aus meinen Fehlern rechtzeitig meine Lehren zog. Nicht jedes Fältchen muss mit Hyaluron aufgepolstert werden, denn das lässt das Gesicht im Laufe der Zeit nur voluminöser erscheinen.
Gesundheitliche Gefahren
Zugleich gibt es natürlich nicht nur ästhetische, sondern auch gesundheitliche Gefahren. Ein erfahrener Beauty-Doc nimmt sich Zeit, klärt über Risiken auf und weiß genau, was machbar ist und wie das Resultat aussehen wird. Denn auch bei scheinbar harmlosen Eingriffen, wie Hyaluron-Injektionen, kann einiges schiefgehen. So gelangt im schlimmsten Fall das injizierte Hyaluron-Gel versehentlich in ein Blutgefäß, was ernsthafte Komplikationen wie Durchblutungsstörungen, Nekrosen oder sogar Erblindung zur Folge haben kann.
Während ich unaufhörlich älter werde und bald meinen 53 Geburtstag feiere, weiß ich, dass ich meiner Optik auch weiterhin ein wenig nachhelfen werde – schließlich ist mein Gesicht zu einer Dauerbaustelle geworden. Außerdem freue ich mich über die Komplimente für mein frisches Äußeres. Insbesondere wenn eine 25-jährige Frau mich für 40 hält, fühle ich mich geschmeichelt.
Doch wer weiß: Vielleicht kommt irgendwann auch der Tag, an dem ich mir sage: „Es ist in Ordnung, jetzt lasse ich der Zeit einfach ihren Lauf und stehe dazu, dass ich eine reife Frau bin – und das darf man auch sehen.“
Karina John ist nebenberufliche Autorin mit Fokus auf Ratgebertexte, Mode und Schönheit sowie auf zeitgeschichtliche Schwerpunkte .