Berlkönig in Berlin: Beim Geld schweigen BVG und Daimler
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27.8.2024 von Robert Kiesel, Jana Kugoth - Seit einem Jahr befördert der „Berlkönig“ Fahrgäste durch Berlin. Über die Wirtschaftlichkeit schweigen die Betreiber – und verärgern Politik und Konkurrenz.
Die BVG in Rufbereitschaft: einfach per App den Kleinbus anfordern, einsteigen und mitfahren – für die Fahrgäste ein bequemes Angebot. Weshalb die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) aller Voraussicht nach auch eine positive Bilanz ziehen werden, wenn sich die Einführung des Ridesharing-Dienstes „Berlkönig“ Anfang September zum ersten Mal jährt.
Laut Auskunft des Unternehmens wurden in den vergangenen 11,5 Monaten mehr als 860.000 Fahrten mit den Berlkönig-Transportern zurückgelegt. 250.000 Menschen haben die für die Nutzung des Systems benötigte App heruntergeladen. Die Flotte ist von anfangs 50 Fahrzeugen auf mittlerweile 156 Autos gewachsen. In durchschnittlich 80 Prozent der Fälle wurden sie von mehreren Fahrgästen gleichzeitig genutzt.
Die Zahlen stimmen also aus Sicht der BVG, die den Berlkönig bereits anlässlich der Halbjahresbilanz als „erfolgreiches Mobilitäts-Experiment“ bezeichnet hatte. Zuletzt wurde das Einsatzgebiet des Berlkönig sogar auf die Pendlerstrecke zwischen Schulzendorf und dem U-Bahnhof Rudow erweitert. Ähnliches hatten Repräsentanten der Außenbezirke immer wieder gefordert.
Weniger auskunftsfreudig zeigt sich die landeseigene BVG dagegen bei Fragen nach der Wirtschaftlichkeit des zunächst für zwei und später für vier Jahre genehmigten Modellprojekts. Mehrfach hatten Verkehrspolitiker des Abgeordnetenhauses den Versuch unternommen, Informationen über Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit dem Berlkönig-Projekt in Erfahrung zu bringen, waren dabei jedoch an der Verschwiegenheit von BVG und deren Projektpartnern Mercedes Benz und des Mobilitätsunternehmens Via gescheitert.
Den jüngsten Versuch unternahm mit Gunnar Lindemann der verkehrspolitische Sprecher der AfD-Fraktion – vergebens. „Die Höhe der Anschaffungs- und Betriebskosten, geplanter Anschaffungen sowie der Einnahmen lässt sich hier nicht beziffern, da diese aus Vertragsgründen Vertraulichkeit unterliegen“, antwortete die BVG auf Lindemanns Fragen nach bisherigen Anschaffungskosten, Betriebskosten und Einnahmen. An anderer Stelle erklärte die BVG: „Wirtschaftlichkeit steht in dieser Lernphase nicht im Vordergrund.“
Kritik an Informationspolitik
Lindemann, der die Antwort der BVG als Ausdruck einer „Verweigerungshaltung“ interpretiert und eine „Unverschämtheit“ nennt, steht mit seiner Kritik nicht allein. Tino Schopf, Verkehrsexperte der SPD-Fraktion und als Kritiker des Berlkönig-Konzepts bekannt, zeigt sich „verärgert“ über die fehlende Möglichkeit von Parlamentariern, sich einen Eindruck von dessen Rentabilität zu machen. Er erklärt: „Man wird dann schon ein bisschen misstrauisch.“
Nach längerer Wartezeit war es ihm im Juli gelungen, Einblick in das zwischen BVG, Mercedes Benz und Via ausgehandelte Vertragswerk zum Berlkönig nehmen zu können. „Die wirklich interessanten Stellen, wo es um die Beiträge der einzelnen Akteure ging, waren aber geschwärzt“, erklärt Schopf.
Wie dessen Amtskollegen Harald Moritz (Grüne) und Oliver Friederici (CDU) erklärt auch der Sozialdemokrat, auf Nachfrage hätte es zuletzt immer geheißen, die entstehenden Kosten würden durch ViaVan, also den Zusammenschluss von Mercedes Benz und Via, getragen. Während Moritz erklärte, bei dem Projekt gehe es nicht darum, Gewinn zu machen, findet es Friederici „verwunderlich“, dass die BVG die Zahlen nicht herausgibt. Kritisch äußert sich auch Henner Schmidt, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Parlamentarier sollten das recht haben, Einsicht in die zahlen zu nehmen, erklärte Schmidt. Der Datenschutzraum des Abgeordnetenhauses stünde für solche Fälle eigentlich zur Verfügzung.
Auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Fraktionsvorsitzenden Sebastian Czaja aus dem Februar 2018 hatte diese erklärt, der Berlkönig komme „ohne wesentliche finanzielle Zusatzleistungen“ aus – sowohl beim Aufgabenträger als auch beim landeseigenen Unternehmen.
Auf Nachfrage des Tagesspiegels erklärte ein Sprecher der BVG: „In der Pilotphase eines experimentellen Angebots geht es nicht um Gewinn.“ Seine Ergänzung, dass „nicht sofort zu erwarten war, damit auf den grünen Zweig zu kommen“, lässt zumindest den Schluss zu, wonach der BVG selbst die Zahlen durchaus bekannt sind.
Rolf Feja, Co-Vorsitzender der Taxi-Innung Berlin, überrascht das Verhalten der BVG und ihrer Partner nur wenig. „Ein Buch mit sieben Siegeln“, nennt Feja den Berlkönig, zu dessen Rentabilität sich auch Mercedes Benz und Via nicht äußern wollten.
Eine Daimler-Sprecherin erklärte, im Vordergrund stehe „die Akzeptanz der Kunden und die schnelle Weiterentwicklung und Optimierung des Services durch Erkenntnisse im Feld“.
Feja dagegen vermutet, der Konzern fange die aus seiner Sicht wahrscheinlichen Verluste des Berlkönig auf. Der BVG wirft er vor, sich durch den Einsatz der Rufbusse im gut erschlossenen Innenstadtbereich selbst die Fahrgäste streitig zu machen. Feja erklärt: „Wenn die Verkehrswende tatsächlich durchgesetzt werden soll, muss der Berlkönig in den Außenbezirken eingesetzt werden, nicht in der Innenstadt.“
Vertraulichkeit hat ihre Gründe
Bleibt die Frage nach der juristischen Bewertung des Vorgehens. Immerhin gehört die BVG als bundesweit größtes Nahverkehrsunternehmen dem Land Berlin. Dominik Ziegenhahn, auf Gesellschaftsrecht spezialisierter Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator mit Sitz in Hamburg, erklärte dazu: „Die Vertragspartner werden sich vermutlich wechselseitig verpflichtet haben, dass die kommerziell sensiblen Daten vertraulich behandelt werden.“
Er nannte das Vorgehen „überhaupt nicht unüblich“. Vereinbarungen zur Vertraulichkeit könnten, wenn überhaupt, nur durch sogenannte Öffnungsklauseln außer Kraft gesetzt werden. Voraussetzungen dafür seien in der Regel zwingende Gesetze oder gerichtliche oder behördliche Anordnungen zur Offenlegung, etwa beim Verdacht auf Verschwendung öffentlicher Gelder. „Eine parlamentarische Anfrage allein wird die Öffnung der Vertraulichkeit nicht erreichen können“, sagte Ziegenhahn.
Auf den zweiten Blick ist es dabei gar nicht so verwunderlich, dass die BVG die klaren Worte zur Wirtschaftlichkeit scheut. Schließlich teilt man sich in Berlin den Ridepooling-Markt mit dem Start-up „Clevershuttle“. Die grün-weißen Elektroautos des mehrheitlich zur Deutschen Bahn gehörenden Unternehmens sind seit 2016 in Berlin unterwegs. Im Frühjahr genehmigte der Senat dem Fahrdienst, seine Flotte von 30 auf 150 Fahrzeuge zu verfünffachen. Wirtschaftlich sei man in der Hauptstadt derzeit nicht, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit. Im nächsten Jahr läuft die vierjährige Genehmigung aus, wie es danach weitergeht, sei noch nicht klar.
Auch Moia hat ein Büro in Berlin. Ihre Kleinbusse wird die Volkswagen-Tochter aber zunächst nicht in der Hauptstadt auf die Straße bringen können. Die zuständige Behörde erteilte dem Angebot eine Absage. Ein dritter Ridepooling-Dienst solle den Vergleich der beiden bereits existierenden Dienste in Berlin nicht verfälschen.
Moia muss sich demnach auf andere Städte konzentrieren. Neben Hannover ist das Unternehmen in Hamburg aktiv. In der Hansestadt soll das Angebot mit einer auf zwei Jahre angelegten Studie begleitet werden. Erste Ergebnisse sind für das kommende Frühjahr angekündigt. Schwerpunkt der Untersuchung wird sein, wie sich das Ridepooling auf die anderen Verkehrsträger in der Stadt auswirkt.
Von der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit ist in der dazugehörigen Mitteilung nicht die Rede.
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