Original vermisst: Die ARD hat „Liebling Kreuzberg“ politische Korrektheit verordnet
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Der Pilot zu noch ’ner Anwaltsserie in der ARD. Informationsgehalt Fehlanzeige, zumindest wenn es um das in Deutschland geltende Arbeitsrecht gilt. Man kann Angestellte, zumal langjährige nicht einfach entlassen.
Davor hat der Gesetzgeber die Pflicht für Arbeigeber gesetzt, bei vermeintlichem Fehlverhalten Beschäftigte zunächst abzumahnen. Erst wenn die Abmahnung unwidersprochen bleibt oder von einem Gericht bestätigt wurde kann eine Arbeitnehmerin bei wiederholtem Verstoß gegen ihre Pflichten gekündigt werden. Anderenfalls ist die Kündigung unwirksam oder wird für den Arbeitgeber teuer, so das Vertrauensverhältnis mit ihrer Angestellten derart zerrüttet ist, dass der Arbeitnehmerin eine weitere Beschäftigung nicht zugemutet werden kann. Dann wird eine Abfindung fällig, die bei langjährig Beschäftigten etlichen Monatsgehältern entsprechen kann.
In der Serie entlässt die junge Anwältin mit Prädikatsexamen ihre Mitarbeiterin einfach so, wie es in den USA üblich ist, und das noch mit einer fadenscheinigen Begründung. So etwas kommt zwar auch in juristischen Berufen vor, ist aber unwahrscheinlich und vermittelt Zuschauerinnen, das sie als Berufstätige im Grunde keine Rechte haben. Sollte es der rechten AfD gelingen, ihre Juristen in höchstrichterliche Positionen zu bringen, besteht die Gefahr, dass derartige Praktiken gängige Münze werden. Noch herrscht jedoch eine auf Interessenausgleich gerichtete Entscheidungspraxis der Arbeitsgerichte vor, die zumindest dem Wortlaut der Gesetze genügt.
Torsten Wahl - Manfred Krug als Anwalt Liebling, das war genialer Kult. Im Pilotfilm zu ganz neuen Folgen der Serie geht es jedoch allzu korrekt zu. Wenigstens Winfried Glatzeder ist dabei.
Manfred Krug gibt auf Kassetten besondere Sprüche als Anwalt Liebling zum Besten, Anja Franke ist immer noch als Sekretärin Senta die gute Seele in der Kanzlei, Roswitha Schreiner spielt weiter die Sarah Liebling und im Kühlschrank wartet grüne Götterspeise, die Lieblingsspeise von Robert Liebling – es ist also alles bereitet für den Eintritt einer neuen Generation: Sarahs Tochter Lisa (Luise von Finckh) tritt das Erbe ihres verstorbenen Großvaters an.
Sie kreuzt eines Tages unangemeldet auf und erklärt der verdutzten Chefin Talia Jahnka (Gabriela Maria Schmeide), sie trete vertragsgemäß als neue Partnerin in die Kanzlei ein. Und wie das Wort korrekt auszusprechen ist, erklärt sie auch gleich, nämlich mit Pause mitten im Wort: Partner:in.
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Nicht nur angesichts diesen forschen Neustarts dürften viele wehmütig an das Vorbild denken: „Liebling Kreuzberg“ lief von 1986 bis 1998 sehr erfolgreich in der ARD. Anja Franke gibt im ARD-Begleit-Interview erstaunlich offen zu, wie sehr sie das Original vermisst: „Ein klassischer Chauvi mit Herz wie Robert Liebling, der ehrlich und schonungslos sagt, was er denkt – egal, wem er damit auf den Schlips tritt – so einer findet heute leider im politisch korrekten Fernsehen nicht mehr statt.“ Hauptdarsteller Manfred Krug, der selbst immer wieder schnoddrige Sprüche beisteuerte, konnte auf die Drehbücher von so renommierten und starken Autoren wie Jurek Becker und Ulrich Plenzdorf bauen.
Alban Rehnitz und Lynn Schmitz, die Produzenten der Firma Odeon Fiction, die das Erbe der damaligen Nova Film übernommen haben, wollen nun in der Neuauflage die Themen unserer Zeit kontrovers und unterhaltsam verhandeln und nennen, in dieser Reihenfolge: Diskriminierung, Armut, Rassismus, Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Diversität. Lisa Liebling erklärt bei ihrem Start, sie habe eigentlich in der Antidiskriminierungsstelle des Senats anfangen wollen – und führt sich so auf, als sei die Kanzlei Liebling eine Filiale davon. Ihr erster Mandant ist ein älterer Herr, der angibt, er wäre wegen seines Alters aus seinem Stammlokal verwiesen worden – Winfried Glatzeder spielt ihn als Vertreter des 80er-Jahre-Kreuzbergs. Doch vor Ort stellt sich heraus, dass der alte weiße Mann eine Transfrau beleidigt hatte – und zwar mit einem so schlimmen Wort, dass es der Film den Zuschauern gar nicht zumuten will.
Winfried Glatzeder als Hans Saffermann, rechts am Bildrand zu erkennen, soll sich bei Mai Ninh Phan (Nhung Hong) entschuldigen.
Winfried Glatzeder als Hans Saffermann, rechts am Bildrand zu erkennen, soll sich bei Mai Ninh Phan (Nhung Hong) entschuldigen.Stefan Erhard/Odeon Fiction GmbH/ARD Degeto
Luise von Finckh als Lisa Liebling agiert auch in weiteren Fällen eher wie eine politische Aktivistin, Pardon: Aktivist:in. Doch nie sieht man sie in seriöser Robe vor Gericht. Die spannendere Figur ist ihre Gegenüber in der Kanzlei – und Gabriela Maria Schmeide eine Schauspielerin ganz anderer Klasse. Denn ihre Tania Jahnka verteidigt nicht nur das „generische Maskulinum“, sondern steckt im steten Konflikt zwischen dem sozialen Engagement und den ökonomischen Zwängen. Insgesamt aber will der Pilotfilm so eifrig Fleißbienchen politischer Korrektheit sammeln, das man am liebsten zu alten Manfred-Krug-Folgen bei ARD Plus wechseln möchte. Obwohl die ARD mit „Die Kanzlei“ und „Heiland – Wir sind Anwalt“ bereits zwei Anwaltsserien etabliert hat, soll auch „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ fortgesetzt werden.
Kanzlei Liebling Kreuzberg. Ab Mi, 25.9., in der ARD-Mediathek, am Fr, 27.9., um 20.15 Uhr in der ARD