Europarat drängt auf Identifizierung toter Migranten
Menschen, die auf der Flucht sterben oder verschwinden, bleiben oft namenlos. Auf Initiative des Grünenpolitikers Julian Pahlke fordert der Europarat nun größere Anstrengungen, die Schicksale von Migranten aufzuklären.
Für den Grünen-Bundestagsabgeordneten Julian Pahlke ist es ein wichtiges Signal. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats, dem er seit 2022 angehört, hat am Dienstag seinen Bericht über verschwundene Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber verabschiedet.
Darin wird unter anderem auf die Identifizierung von Menschen gedrängt, die auf der Flucht verschwunden oder gestorben sind.
»Es geht um die Frage der letzten Würde. Wenn Menschen auf der Flucht verschwinden und sterben, bleiben ihre Familien zurück, die verzweifelt auf Nachrichten warten – oft ohne jede Möglichkeit, Informationen zu erhalten«, sagte Pahlke dem SPIEGEL.
Der von ihm verantwortete Bericht listet eine Reihe von Empfehlungen auf, die an die 46 Mitgliedstaaten des Europarats gehen.
Unter anderem sollen die Staaten verpflichtet werden, nach Toten an Land und auch auf See zu suchen, sie möglichst zu identifizieren, die DNA zu erfassen und weitere Informationen zu registrieren. Auch wird eine zentrale Datenbank empfohlen, in die die verschiedenen Mitgliedstaaten die Informationen eingeben. Zusammen mit internationalen Organisationen und Strukturen in den Herkunftsstaaten soll es so Familien erleichtert werden, das Schicksal ihrer Angehörigen aufzuklären.
Die Mitgliedstaaten des Europarats werden auch aufgefordert, Möglichkeiten vor Ort zu stärken, um die Identifizierungen der Toten vorzunehmen, zugleich auch, um Menschen würdevoll zu begraben oder den Körper in das Heimatland zu überführen. Dazu zählt laut dem Bericht auch die Möglichkeit, Visa leichter auszustellen, sollten Angehörige in europäische Länder einreisen wollen, um ihren Angehörigen die letzte Würde zu erweisen.
Pahlke, der dem linken Flügel der Grünen zugerechnet wird, hatte in der Vergangenheit selbst mehrere Jahre als Seenotretter im Mittelmeer gearbeitet.
Im Frühjahr dieses Jahres reiste er als Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für »Missing Migrants« nach Griechenland, um sich ein Bild der schwierigen Situation vor Ort zu machen. »Ich stand vor überfüllten Kühlcontainern, in denen Leichen von Geflüchteten lagerten. Kein Name, keine Beerdigung, keine Trauerfeier – einfach verschwunden. Mich lässt das nicht los«, sagte der Grünenpolitiker dem SPIEGEL.
An die Mitgliedstaaten des Europarats appellierte er, den Empfehlungen nachzukommen. »Wir haben die Mittel und die Möglichkeiten, diese Schicksale aufzuklären und den Familien der Vermissten Antworten zu geben. Hier geht es um zivilisatorische Werte und den Respekt vor der Würde eines jeden Menschen«, so Pahlke. Diese Würde sei mit nichts zu relativieren, auch nach dem Tode, so der 32-jährige Grünenpolitiker aus Niedersachsen.
Der Europarat – nicht zu verwechseln mit dem Rat der Europäischen Union – wurde vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen. Seit 1950 ist auch die Bundesrepublik Deutschland Mitglied, ihm gehören derzeit 46 Mitgliedstaaten an. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist an diese Institution angegliedert, seine Urteile sind für die Mitgliedstaaten bindend.
Russland ist seit dem Überfall auf die Ukraine kein Mitglied des Europarats mehr, dem Land wurden im März 2022 die Mitgliedsrechte entzogen.
Im Mai dieses Jahres feierte die Institution an ihrem Stammsitz im französischen Straßburg ihr 75. Jubiläum. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte damals , der Europarat sei zwar nicht die bekannteste Institution der Welt, »aber eine der wichtigsten für die Stärkung unserer Demokratie«.
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