Berliner Gastronomie: Warum die Bedienung immer häufiger Englisch spricht
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Von wegen. Das war ma. Sowas kommt von sowasl .
22.11.2024 von Cedric Rehman - Manchen erscheint es weltläufig, für andere ist es Kulturverfall, für viele ein Ärgernis. Der Rückzug des Deutschen in Cafés hat viele Ursachen.
Die Siebträgermaschine zischt und surrt im Café Engels im Neuköllner Schillerkiez. Der Duft nach frischen Bohnen steigt in die Nase. Eine Schlange von Kaffeedurstigen wartet geduldig vor dem Tresen. Eine Bedienung, Anfang 20, in androgyner Kluft fragt die Kundschaft nach dem Befinden. „Hi, how are you?“. Dann erkundigt sie sich nach den Vorlieben. Soll in den „Flat White“ lieber „Oatmilk“ oder „Cow“?
Wer jetzt schon sprachlich überfordert ist, kann beruhigt sein. Hinter dem Tresen des Cafés finde sich immer jemand, der auf Deutsch zumindest die Begriffe „Hafer“- oder „Kuhmilch“ verstehe, versichert eine Mitarbeiterin des Cafés unweit des Tempelhofer Felds auf Nachfrage am Telefon.
Neuberliner kommen aus der ganzen Welt
Die deutsche Geschichte und Kultur ist in der Hauptstadt in Stein gemeißelt. Aber für viele aus aller Welt ist Berlin eher Bühne für einen von Subkulturen geprägten Lebensstil als ein historisch gewachsener Ort. Die beiden Welten verlaufen meist friedlich auf parallelen Gleisen. Ausgerechnet bei der Frage, auf welcher Sprache in Berliner Cafés Kaffee und Kuchen bestellt wird, gibt es Zusammenstöße. Manche sprechen von einem Kulturkampf.
Der CDU-Politiker Jens Spahn machte 2017 in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung den Aufschlag. Er fühle sich genervt von Berliner Kellnern, die nur Englisch sprechen, erklärte er. Wer in Deutschland arbeite, solle Deutsch sprechen, forderte Spahn. Kritiker unterstellten Spahn in der folgenden Mediendebatte Kleinkariertheit und Provinzdenken. In einer Weltstadt wie Berlin würden nun einmal andere Regeln gelten als im Westmünsterland, aus dem Jens Spahn stammt.
Die Komikerin Gayle Tufts fordert zum Deutschlernen auf
Aber auch einer konservativen Haltung unverdächtige Prominente äußeren ihren Unmut über zu viel Englisch in der Gastronomie Berlins. Die 1960 im US-Bundesstaat Massachusetts geborene und seit 1991 in Berlin lebende Komikerin Gayle Tufts echauffierte sich im vergangenen Jahr in einem Beitrag für den Deutschlandfunk Kultur über das Verhalten von in Berliner Cafés arbeiteten US-Amerikanern. „Learn f-ing Deutsch!“, lautete ihr unverblümter Aufruf an alle Englischsprachigen in Berlin. Dabei mischt Tufts in ihren Auftritten als Stand-up-Comedian selbst gern englische und deutsche Begriffe, um sich über Anglizismen und Scheinanglizismen in der deutschen Sprache lustig zu machen.
Tufts erinnerte in ihrer Kolumne an die Nachwendezeit in Berlin. Damals sei es für alle Ausländer zwingend nötig gewesen, Deutsch zu lernen, auch für US-Amerikaner, erklärte Tufts. Wird es Migranten aus englischsprachigen Ländern heute in Berlin zu einfach gemacht? Geben die ihrer Identität nie ganz sicheren Deutschen ausgerechnet in ihrer Hauptstadt und Kulturmetropole zu leichtfertig ihre Sprache auf, wie eine Kolumnistin der Welt jüngst kritisierte?
Expats werden privilegiert
Manche wittern eine Parallelgesellschaft der Privilegierten. Die Mehrheitsgesellschaft würde sogenannten „Expats“, Fachkräften mit hohen Qualifikationen aus dem Ausland, Blasen sprachlicher Dominanz zugestehen, während sie von Geflüchteten maximale Anpassung auch in der Sprache erwarte. „Expats“ kommen meist aus reichen Ländern in der EU oder in Nordamerika, während viele Geflüchtete aus armen Ländern des globalen Südens stammen. Berlin sortiere bei der Akzeptanz von Andersartigkeit nach Herkunft, Lebensstil und vor allem Einkommen.
Wo nicht auf Deutsch bestellt werden könne, würden Menschen ausgegrenzt, die aus verschiedenen Gründen kein Englisch sprechen, etwa Ältere oder Menschen mit einem niedrigen Bildungshintergrund, sagen Kritiker. Auch viele in der ehemaligen DDR aufgewachsene Ostberliner hatten vor der Wende wenig Berührungspunkte mit der englischen Sprache. Englisch war nur Wahlfach an den Polytechnischen Oberschulen der DDR.
Die Gastronomie leidet unter Personalmangel
Der Berliner Hotel- und Gastronomieverband Dehoga verfügt über keine Zahlen, wie verbreitet Englisch in der Berliner Gastronomie ist. Hauptgeschäftsführer Gerrit Buchhorn teilt mit, dass dem Verband das Phänomen bekannt sei. „Ich selbst war vor einiger Zeit auch schon in einem solchen Restaurant“, teilt er per E-Mail mit.
Auf Nachfrage bei verschiedenen Berliner Cafés ergibt sich ein gemischtes Bild. Die Mitarbeiterin des Cafés Engels verweist auf wirtschaftliche Gründe für die vielen englischsprachigen Kräfte hinter der Kaffeebar. Der Arbeitsmarkt für Jobs in der Gastronomie sei angespannt und Bewerbungen von Deutschsprachigen eher selten. Hinzu käme die Klientel im Schillerkiez. „Viele unserer Gäste aus dem Kiez kommen aus dem Ausland und sprechen Englisch“, sagt die Mitarbeiterin. Um einen guten Service für alle Kunden zu garantieren, spreche zumindest eine Kraft pro Schicht zumindest etwas Deutsch, sagt sie.
Bestellungen auf Deutsch sind möglich
Oliver Wazola, Sprecher der Kaffeehauskette „Five Elephants“ mit Standorten in Kreuzberg, Mitte und im Prenzlauer Berg, nennt den Tourismus als weiteren Faktor für mehr Englisch in der Berliner Gastronomie. „Die steigende Bedeutung der englischen Sprache in der Berliner Gastronomie zeigt sich insbesondere seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die internationale Besucherströme anlockte“, sagt er.
Auch Wazola legt Wert darauf, dass Gäste bei „Five Elephants“ auch auf Deutsch bestellen können. Zweisprachigkeit in den Filialen der Kette passe zum Charakter der Weltstadt Berlin, findet Wazola. „Unsere Philosophie ist es, eine offene und inklusive Atmosphäre zu schaffen, die die Vielfalt Berlins widerspiegelt“, erklärt er.
Die Pandemie riss ein Loch in die Personaldecke
Laut Gerrit Buchhorn vom Berliner Dehoga hat sich der Fachkräftemangel in der Berliner Gastronomie etwas entspannt und nähere sich der Zahl von 80.000 an. „Allerdings werden viele offene Stellen der Arbeitsagentur gar nicht gemeldet“, sagt er. Laut dem Landesamt für Statistik lag die Zahl der im Gastgewerbe in Berlin tätigen Personen im vergangenen Jahr um mehr als fünf Prozent unter dem Niveau von 2016. Die Corona-Pandemie riss zwischen 2020 und 2022 ein tiefes Loch in die Personaldecke.
Die Zahl der Beschäftigten in der Branche sank in den Pandemiejahren, Hotels mit eingerechnet, in ganz Deutschland laut einer Studie im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung um rund 300. 000 von 2,1 Millionen auf 1,8 Millionen. Der Studie zufolge kehrte jeder vierte Mitarbeiter während der Lockdowns seinem Beruf den Rücken.
Ungelernte Servicekräfte füllen die Lücke
Dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IfW) zufolge ist die Entspannung beim Personalmangel neben der Zurückhaltung der Verbraucher in der Wirtschaftskrise vor allem auf die Zunahme der Beschäftigung ungelernter Servicekräfte zurückzuführen. Die Umsätze der Branche sind in Berlin m Sinkflug. Laut Landesamt für Statistik lagen sie im August über sechs Prozent unter dem Ergebnis vom Vorjahresmonat. Um so bemerkenswerter ist, dass Restaurants und Cafés trotz Flaute neue Mitarbeiter auch ohne Erfahrung suchen. Sie finden sie in Berlin unter anderem unter Studierenden aus dem Ausland, die etwas dazuverdienen wollen, aber noch nicht gut Deutsch sprechen.
Professorin Artemis Alexiadou ist seit 2022 Direktorin des Berliner Leibniz-Zentrums für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS). Die griechische Sprachwissenschaftlerin rät zu Gelassenheit. Es sei naheliegend, dass in zunehmend internationalen Teams in der Gastronomie mehr Englisch verwendet werde. Sie benutzt den lateinischen Begriff „Lingua franca“, auf Deutsch: Verkehrssprache. Sie ermöglicht Menschen verschiedener Sprachgemeinschaften die Kommunikation. Schwierig werde es, wenn Menschen, die ausschließlich Deutsch sprechen, sich ausgeschlossen fühlten, weil nur noch Englisch gesprochen werde. „Es gilt eine Balance zu finden, im Umgang mit den in Berlin gesprochenen Sprachen“, sagt Alexiadou.
Menschen aus unterschiedlichen Ländern brauchen eine Verkehrssprache
In einer Weltstadt sei es nicht ungewöhnlich, dass Menschen verschiedener Herkunft sich einer Lingua franca bedienten. Und die sei auf der ganzen Welt nun mal Englisch. „Auch bei uns am Institut kommen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern und besprechen sich auf Englisch“, sagt Alexiadou. Das sei überall auf der Welt Standard in der Forschung. Ähnlich sei es in der Modebranche.
Gastronomie nicht kommen, ist sich die Professorin sicher. Genaue Erhebungen über die Verbreitung von Englisch in der Berliner Gastronomie kenne auch sie nicht. „Ich denke, die Menschen nehmen Englisch in den Cafés stärker wahr, als es tatsächlich verbreitet ist“, sagt sie.
Englisch ist auch eine Prestigesprache
Alexiadou gibt den Kritikern aber in einem Punkt recht. Englisch gilt als Prestigesprache der Gebildeten und würde eher geduldet als andere Fremdsprachen. Englisch kann also von manchen genutzt werden, um Zugehörigkeit zu einer Schicht der Erfolgreichen zu markieren. Das Bild von Expats, die in ihrer Blase auf Dauer einen Bogen um die deutsche Sprache machen könnten, hält die Sprachwissenschaftlerin aber für überzeichnet. Dafür sorgten schon allein die Berliner Ämter, die jeden Neuberliner erwarteten. „Allein mit Englisch kommt man auf Behörden auf Dauer nicht weit“, sagt Alexiadou.