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  • Berlin: Geheime Bürgeramts-Umfrage – ein USB-Stick und offene Fragen
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    2.2.2025 von Martin Rücker - Um die Ergebnisse einer mit Steuergeldern finanzierten Befragung zu erhalten, musste die Berliner Zeitung zu rechtlichen Schritten greifen. Nach Monaten kam es zu einer seltsamen Übergabe.

    „Wie zufrieden sind Sie mit den Berliner Bürgerämtern?“, steht auf dem Plakat. Es zeigt ein großes Foto der Kuppel des Fernsehturms, blauen Himmel und eine Silhouette des Berliner Bären. Darunter, neben einem QR-Code, die Aufforderung: „Machen Sie mit bei unserer Kundenbefragung!“

    In vielen Bürgerämtern dürfte dieses Plakat aushängen. Zusätzlich bekommen Bürger per E-Mail die Bitte, an der Umfrage mitzumachen. Mehr als 10.000 Berliner folgen dieser Aufforderung in jedem Quartal, wie es bei der Senatskanzlei heißt. Sie klicken sich durch mehr als 30 Fragen, viele davon noch mit Unterpunkten. Die Öffentlichkeit jedoch erfährt von den Ergebnissen fast nichts.

    Auf einer Internetseite gibt die Senatskanzlei ein paar spärliche Informationen preis. Dort kann man lesen, dass 564 Mitarbeitende an 44 Standorten im vergangenen Dezember 167.116 Kunden bedient haben. Und dass diese Kunden ihre Bürgerämter offenbar fast ausnahmslos dufte finden. Das einzige Ergebnis der fortlaufenden Umfragen nämlich, das die Senatskanzlei auf ihrer Seite veröffentlicht, ist ein sogenannter „Service-Index“.

    Die Werte strahlen in hellem Glanz. Seit Anfang 2021 war stets „die überwiegende Zahl“ der Kunden „sehr zufrieden“. 100 Punkte kann der Index höchstens erreichen. Seit 2021 kletterte er in jedem Quartal auf mindestens 92,8 Punkte. Der Wert für das dritte Quartal 2024 lag sogar bei 94,4 Punkten, so hoch wie selten zuvor. Traumergebnisse – die in einem gewissen Kontrast zum Ärger der Berliner über die Bürgerämter stehen.

    Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner in seinem Büro.Benjamin Pritzkuleit

    Doch wer die Grafik und die begleitenden Texte auf der Internetseite näher studiert, erkennt: Es geht in der Darstellung der Senatskanzlei keineswegs um die Zufriedenheit mit den Bürgerämtern insgesamt – sondern um die mit den Mitarbeitern der Ämter. Die Befragung jedoch umfasst viele weitere Punkte: Wie einfach war es, einen Termin zu bekommen? Wie lang war die Wartezeit? Konnten Menschen im Bürgeramt ihrer Wahl einen Termin ausmachen? Die Antworten auf diese Fragen sind nirgends zu finden.

    Die Suche beginnt im März 2024

    Dass sich die Staatskanzlei öffentlich zu den Ergebnissen ausschweigt und ein rosarotes Bild der Situation in den Bürgerämtern zeichnet, war der Ausgangspunkt für eine über Monate andauernde Recherche. Ergebnisse ließen sich nur mit juristischen Mitteln erzielen.

    Eine erste Anfrage stellt die Berliner Zeitung am 22. März 2024 beim Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (AfS), das die Befragungen durchführt. Die Behörde verweist schnell auf ihre Auftraggeberin, die Senatskanzlei. Ende März 2024 teilt Senatssprecherin Christine Richter mit, dass die Umfrage im Oktober 2019 zunächst in sechs Bezirken begonnen habe und seit Oktober 2020 in allen Bezirken fortlaufend durchgeführt werde. Das AfS habe den Auftrag, quartalsweise über die Ergebnisse zu berichten – mit Gesamtberichten sowie Bezirksberichten, die detaillierte Rückmeldungen zu den einzelnen Bürgerämtern geben. Die Daten würden zur „Steuerung“ der Ämter analysiert, aus ihnen „Handlungsmaßnahmen“ abgeleitet.

    Die Berliner Zeitung bittet nach dieser Rückmeldung um Zusendung der Dokumente. Dies lehnt die Senatskanzlei ab. „Nicht alle angeforderten Unterlagen sind zur Veröffentlichung vorgesehen“, richtet die Sprecherin am 15. April 2024 aus. „Die Quartalsberichte zur Kundenbefragung, die Bezirksberichte sowie die Analysen und Handlungsmaßnahmen sind verwaltungsinterne Dokumente und werden nicht veröffentlicht.“

    Die Berliner Zeitung insistiert und stellt am 22. April einen förmlichen Antrag auf Zugang zu den Berichten und Analysen. Die Grundlage dafür ist das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Doch obwohl das einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Dokumenten regelt, mauert die Senatskanzlei zunächst weiter. „Der Antrag wird abgelehnt“, heißt es im Bescheid vom 17. Juni 2024.

    Die Senatskanzlei begründet die Ablehnung mit einem angeblich noch laufenden Verwaltungsverfahren. Die Ergebnisse der Befragung würden schließlich zur Steuerung der Bürgerämter genutzt, den Erfolg der daraus abgeleiteten Maßnahmen sehe man dann in den folgenden Befragungen. In seinem solchen Prozess seien die Dokumente „wichtige Arbeitsschritte (…), die das jeweilige Erfolgsstadium einzelner strategischer Maßnahmen abbilden und aus denen weitere zu treffende Entscheidungen erst noch entwickelt werden sollen.“

    Es ist eine Begründung, mit der die Umfragedaten wohl nie öffentlich geworden wären: Schließlich läuft die Befragung ja immer weiter.

    Der Tag der Übergabe im Roten Rathaus

    Nach einer juristischen Prüfung legt eine Anwältin im Auftrag der Berliner Zeitung Ende Juli Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Mehr als drei Monate lang geschieht nichts. Dann kommt plötzlich eine Antwort: Die Senatskanzlei gibt dem Widerspruch der Berliner Zeitung statt. „Ihnen wird Einsicht in sämtliche Quartalsberichte (…) sowie die (…) ‚Bezirksberichte‘ sowie die zwischen Senatskanzlei und Bezirken erarbeiteten Analysen und Handlungsmaßnahmen gewährt“, heißt es im neuen Bescheid, der die Berliner Zeitung Anfang November erreicht. Auch in der Senatskanzlei ist man offenbar zu dem Schluss gekommen, dass die Geheimhaltung rechtlich nicht durchzuhalten wäre.

    Die Übergabe der Dokumente ist ähnlich seltsam wie der gesamte vorherige Umgang mit den Umfragedaten: Eine Mitarbeiterin des Justiziariats überreicht dem Reporter am 7. November persönlich im Roten Rathaus einen USB-Speicher: einen Stick aus Metall mit Schraubverschluss in einem kleinen Kästchen. Box wie Speicher sind bedruckt mit der Aufschrift: „Der Regierende Bürgermeister von Berlin“.

    Damit ist die Recherche jedoch noch nicht am Ziel. Denn der USB-Stick enthält nur einen Teil der zugesagten Daten. Weder sind die „Bezirksberichte“ der Jahre 2023 und 2024 darauf, noch Dokumente mit „Analysen und Handlungsmaßnahmen“. Erneut schalten wir die Anwältin ein. Sie interveniert abermals bei der Senatskanzlei. Kurz vor Weihnachten nimmt diese plötzlich ihren Auskunftsbescheid teilweise zurück. „Aufgrund eines internen Missverständnisses“ habe man die Einsicht in Dokumente zugesagt, die „zum Teil gar nicht vorhanden sind“.

    Detaillierte Bezirksberichte des AfS für die Jahre 2023 und 2024 existierten demnach gar nicht, heißt es nun. Es gebe auch die Unterlagen über „Analysen und Handlungsmaßnahmen“ gar nicht, auf die sich Senatssprecherin Richter auf Anfrage der Berliner Zeitung selbst mehrfach ausdrücklich bezogen hatte und die auf den IFG-Antrag hin zunächst übermittelt werden sollten.

    Eine interessante Wendung, die uns zu einer erneuten Nachfrage bei Kai Wegners Sprecherin veranlasst. Anfang Januar 2025 lässt sie antworten, dass „die Ergebnisse der Kundenbefragungen auf Bezirksebene“ seit 2023 nicht mehr in Berichten, sondern „in einer internen Dashboard-Anwendung dargestellt“ würden. Auf diese Daten hat die Berliner Zeitung bislang keinen Zugriff erhalten.

    Welche Unterlagen es plötzlich doch nicht geben soll

    Bemerkenswert ist aber vor allem die Auskunft zu der Frage, wie Senat und Bezirke mit den Umfragedaten umgehen, welche Handlungen sie aus ihnen ableiten – immerhin soll die Befragung ja dazu dienen, die Bürgerämter zu verbessern. „Diese Analysen werden nicht in Form von Berichten oder Abhandlungen o.ä. dokumentiert“, teilt der Senat nun mit. „Die Verantwortung für aus den Befragungen abgeleitete Handlungsmaßnahmen liegt bei den Bezirken. Auch diese werden nicht schriftlich dokumentiert.“

    Analysen und Maßnahmen, die seit Jahren zwischen Senat und Bezirken besprochen werden, deren Erfolg mit einer ständig laufenden Umfrage überprüft werden soll, werden überhaupt nicht aufgeschrieben? So stellt es die Senatssprecherin dar. Es gebe „keine Dokumentation über die Analysen und Handlungsmaßnahmen, die aufgrund der Kundenbefragungen erfolgt sind“, erklärt sie.

    Es ist ein merkwürdiger Umgang mit den Bürgern: Der Senat fragt sie zwar seit Jahren nach ihrer Meinung zu den Bürgerämtern – dokumentiert aber nicht, was Berlin aus den Antworten lernt, und tut viel dafür, jede kritische Rückmeldung geheim zu halten.