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  • Wer war Albert Dettmann? Die Geschichte eines Stars unter den Berliner Polizisten
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    3.2.2025 von Bettina Müller - Im Chaos nach dem Ersten Weltkrieg legte Albert Dettmann zahlreichen Verbrechern das Handwerk. Seine Kontakte zur Unterwelt erregten jedoch Anstoß im Präsidium.

    Berlin-Pankow, den 31. August 1927 um 16 Uhr. Auf dem Elisabethfriedhof wird Kriminaloberwachtmeister Albert Dettmann zu Grabe getragen, der vier Tage zuvor im Alter von nur 49 Jahren gestorben ist. Der Andrang bei der Trauerfeier ist groß. Völlig kurios ist dabei, dass nicht nur etliche Kollegen des Verstorbenen aus dem Berliner Polizeipräsidium anwesend sind, sondern auch – laut Berliner Volkszeitung – „ganz Berlin Nord, soweit es nicht gerade durch Moabit verhindert war“.

    Gemeint waren also Kriminelle und somit auch Vertreter der einschlägigen Berliner Ringvereine, in denen sie organisiert waren. Aber das war längst nicht alles: Der Ringverein „Deutsche Eiche“ hatte sogar einen Kranz mitgebracht, während der „Geselligkeitsverein Norden“ einen Choral sang. Zu Ehren des Toten hatten sich – zumindest für einen kurzen Moment – natürliche Feinde solidarisiert und eine Art temporären Waffenstillstand geschlossen. Wie war das möglich?

    Geschafft hatte das ein Mann, der selber so eine Art Außenseiter war, allerdings im Polizeipräsidium. Und weil er oft „mit einem Bein im Disziplinarverfahren“ stand, wie der bekannte Strafverteidiger Dr. Dr. Erich Frey Jahre später im Exil in seinen Memoiren berichten würde, war er bei seinen Vorgesetzten wenig beliebt, dafür umso mehr in der Bevölkerung. Und dieser durch seine unkonventionelle Art auch sehr umstrittene Beamte hieß Albert Dettmann.

    Die Vernetzung in der Unterwelt zahlt sich aus

    Dettmann wurde am 6. August 1878 in Potsdam als Sohn eines Gefängnisaufsehers geboren. Nach seiner Hochzeit mit der Tochter eines Potsdamer Schneidermeisters – da war er noch Kriminalschutzmann - war er kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in den Dienst der Berliner Kriminalpolizei getreten, 1915 hatte man ihn zum Kriminalwachtmeister befördert, nachdem es ihm als Einzigen gelungen war, eine berüchtigte jugendliche Diebesbande zur Strecke zu bringen. Der „Schwarze Ring“, eine Bande im Norden Berlins, bestand tatsächlich aus mehreren Schuljungen im zarten Alter von acht bis zwölf Jahren, deren Anführer der zwölfjährige Ferdinand Wilsch war.

    1917 wechselte Dettmann schließlich in den Streifdienst. Das konnte mitunter sehr gefährlich sein. So floh in der Nacht zum 30. Juli 1917 der Zuhälter Emil Holz aus Plötzensee in Richtung lauschiger Berliner Kaschemmen, wo er sich im Kreis seiner Komplizen versteckt halten wollte. Doch Dettmann spürte ihn mithilfe seiner vielfältigen Kontakte zur Unterwelt zügig auf und rückte an, um Holz zu verhaften. Doch der hatte ganz andere Pläne, setzte sich sogleich zur Wehr und griff unvermittelt zum Revolver. Daraufhin musste Dettmann ihn in Notwehr erschießen.

    „Gegen Albert Dettmann kämpft man nicht“

    Nach dem Ende des ersten Weltkriegs herrschten mitunter chaotische Zustände auf den Straßen von Berlin. Konventionelle Normen, wie das Bewusstsein über Recht und Unrecht, waren in den Hintergrund gerückt. Die nicht immer geliebten, aber vertrauten alten Machtverhältnisse galten nicht mehr. Auch die Berliner Polizei musste sich neu organisieren, was ihnen in der Folge auch gelang und die größte Behörde des Landes einen hervorragenden Ruf erlangte, vor allem, was die Aufklärung von Mordfällen anging. Vor allem rückten in dieser Zeit Bemühungen in den Vordergrund, die Berliner Polizei nahbarer zu machen, so dass dort auch der Slogan „Die Polizei, Dein Freund und Helfer“ entstand.

    Es war dann vor allem Albert Dettmann, der eine zarte Annäherung zwischen natürlichen Feinden – Polizei versus Berliner Kleinkriminelle - auf die Spitze trieb. Dieser etwas rustikale Beamte, der für seine Volksnähe bekannt war, mag ein wenig an die Wachtmeister von einst erinnert haben, als ein deutscher Kaiser noch das sagen hatte.

    Doch „Albert“, wie die Berliner ihn formlos nannten, war alles andere als ein Relikt aus dieser Zeit. Das joviale Aussehen täuschte. Wer konnte schon von sich behaupten, dass er den „Schuss aus der Manteltasche“ beherrschte? Das hatte in der Unterwelt von Berlin mächtig Eindruck geschunden, wo es schon bald geheißen hatte: „Gegen Albert Dettmann kämpft man nicht“. Da war sein Ruf als „das in Verbrecherkreisen beliebteste und gefürchtetste Mitglied der Berliner Kriminalpolizei“ längst gefestigt. Doch einen beruflichen Aufstieg konnte er so nicht erzielen, trotz seiner unübersehbaren kriminalistischen Erfolge, die schon mal tödlich für die Kontrahenten enden konnten.

    So erwischte er am 20. Februar 1919 im Café National den 21-jährigen Hans Preuß beim Verkauf von Hehlerware. Als der „dicke Hans“, so sein Spitzname, seine Waffe zog, musste Dettmann auch ihn in Notwehr erschießen. Am Ende dieses Jahres nahm er dann den berüchtigten Berliner „Einbrecherkönig“ Emil Strauß fest, der zusammen mit seinem Bruder Erich auf Einbrüche in große Warenhäuser spezialisiert war.

    Diesem verbrecherischen und auch tollkühnen Brüderpaar war er schon lange auf den Fersen. Die beiden liefen schon mal tollkühn über die vereisten Dächer von Berlin, um sich von dort aus in die Warenlager abzuseilen. Am 19. Dezember 1919 erlebten sie schließlich ihr Waterloo in Form von Albert Dettmann. Emil hatte sich mit seinen Komplizen in der Guineastraße 19 verschanzt. „Aufmachen, Emil! Hier ist Dettmann! Wir haben Handgranaten!“, brüllte Albert Dettmann, woraufhin es aus der Wohnung zurückschallte: „Wenn ihr keine Dummheiten macht, machen wir auch keine.“ Dettmann konterte ganz gelassen mit einem „Is jut Emil. Mach man auf“. Und schaffte so das Unvorstellbare.

    Der Verbrecher gab auf, nachdem Dettmann ihm versprochen hatte, nicht auf ihn zu schießen. Das hohe Gut des Ehrenworts bedeutete in Verbrecherkreisen alles. Und zaghaft öffnete sich die Tür und das war der Beginn einer einzigartigen Freundschaft. Zwischen einem skurrilen und unkonventionellen Beamten und einem Verbrecher, einem mitunter verhassten Außenseiter der Gesellschaft.
    Freundschaft mit Strauß beunruhigt das Präsidium

    Dettmann wurde nach der Verhaftung von Strauß noch zum Kriminaloberwachtmeister befördert. Es war das Ende auf seiner Karriereleiter. Vor allem sein Wunsch, die Belohnung, die er für die Verhaftung des Verbrechers bekommen hatte, dafür zu verwenden, den Delinquenten in der Zelle mit Lebensmitteln und Lektüre zu versorgen, war im Polizeipräsidium nicht auf Gegenliebe gestoßen. Im Gegenteil. Dettmann hatte zu allem Überfluss auch noch mit seinem Ausspruch „Die Gebrüder Strauß sind mir die sympathischsten Verbrecher“ den gesamten Kollegenkreis schockiert, und erneut eine unsichtbare Grenze überschritten. Es durfte nicht sein, dass Kriminalbeamte Sympathien für Diebe, Einbrecher, Zuhälter und Schwindler hegten, und umgekehrt. Der sozialdemokratische Geist sorgte für Gerechtigkeit. Aber er durfte nicht Amok laufen und mit der Gegenseite fraternisieren.

    War Albert Dettmann danach beruflich am Ende, wurde diese Episode für den geläuterten und reuevollen Emil Strauß der Beginn eines neuen, wenn auch kurzen Lebens. Dettmann besuchte Emil Strauß fortan regelmäßig im Gefängnis und wollte sich sogar beim Preußischen Justizministerium für dessen Begnadigung einsetzen.

    Zu diesem Zeitpunkt, in der ersten Hälfte der 1920er Jahre, war es längst Gang und Gebe, dass die Zusammenarbeit der Kriminalpolizei mit den Tageszeitungen durch den Polizeipräsidenten kontinuierlich gefördert wurde, was auch zur Folge hatte, dass die Beamten oft namentlich genannt wurden und sie so stadtbekannt wurden. Dieser neue Geist war bereits 1921 mit dem linksliberalen Staatssekretär Dr. Wilhelm Abegg eingezogen, dem Leiter der Polizeiabteilung im Preußischen Ministerium des Innern.

    So gab es in diesen Jahren auch eine ungewöhnliche Häufung schreibender Berliner Kriminalisten, was auch dem neuen (sozialdemokratischen) Zeitgeist geschuldet war. Aus der Feder von Ernst Engelbrecht, Otto Trettin, Erich Anuschat und anderen erschienen spannende Bücher mit selbst erlebten Kriminalfällen. Sie bildeten in Berlin die Vorläufer des heute sehr beliebten True-Crime-Genres.

    Vom Kriminalisten zum Schriftsteller

    1926 quittierte Dettmann ganz überraschend seinen Dienst, weil er plante, sich mit einer Privatdetektei selbständig zu machen. Ein „Teamplayer“ war er nicht, das war wohl sein größtes Problem, so ging er lieber freiwillig. Doch dann machte ihm ein Schlaganfall einen Strich durch die Rechnung. Während seiner Genesung schrieb er das Buch „Gehetzt und verfemt“, in dem er die Geschichte von Emil Strauß schilderte. Nicht nur den „starren, unerbittlichen Kriminalisten“ ließ er darin zu Wort kommen, sondern er vertiefte sich auch in die Psyche des Verbrechers, „um überhaupt erst zu kriminalistischen Erfolgen zu gelangen“, wie es im Vorwort hieß, was auch eine Blaupause für diese Zeit war. Der Verbrecher als Mensch, als Summe seiner Herkunft und seiner Veranlagungen sollten möglichst auch immer mit in Gerichtsurteile einfließen.

    Im gleichen Jahr entstand nach Dettmanns Erinnerungen aus seinem Berufsleben das Drehbuch zu dem Stummfilm „Der Liebe Lust und Leid“ (Kellerkavaliere). Unter der Regie von Kurt Gerron hatte Dettmann in dem Film sogar eine Nebenrolle, ebenso wirkte er 1927 in dem Streifen „Villa im Tiergarten“ nach dem Roman von Artur Landsberger mit.

    Am 27. August 1927 starb Albert Dettmann völlig unerwartet im Alter von nur 49 Jahren an den Folgen eines zweiten Schlaganfalls. Dieser ungewöhnliche Berliner Beamte, dem die Zeitschrift „Der Berliner Bär“ sogar einmal den „Gemütsmenschmarsch“ gewidmet hatte, weil sein Ruf längst folkloristische Züge angenommen hatte. Darin hatte es unter anderem geheißen: „Bei die Polente war’t zu steif. / For so wat war er noch nich reif. / Beamtenseele hat er nich / Und Bonzenhochmut mag er nich. / Da biste denn jejangen, / Beamter sein war nischt! / Doch jreife knorke weiter / Bis de det Jlick erwischt. / Un krichste et zu fassen, / Denn jreife nich daneb’n. / Sei sanft – mit ohne Handschell’n – / Un laß’s – wie Straußen – leb’n!“

    Aber auch Emil Strauß war kein langes Leben mehr beschieden. Laut einem Zeitzeugen, dem Schriftsteller Franz von Schmidt, wurde er von den Nationalsozialisten in seiner Gefängniszelle liquidiert.

    Bettina Müller ist Autorin. Weitere spannende historische Kriminalfälle aus Berlin hat sie in ihrem Buch „Dandys, Diebe, Delinquenten“ (Elsengold) versammelt.

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