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  • Der sperrigste Dissident: Zum 30. Todestag des DDR-Philosophen Wolfgang Harich
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    Wolfgang Harich (l.) anlässlich eines Prozesstermins in Berlin, 1991

    7.3.2025 von Jürgen Große - Wolfgang Harich war Marxist, Ökologe und einer der hartnäckigsten Provokateure der DDR. Bis zu seinem Tod mischte der „verquere Patriot“ die Politik auf.

    Was am letzten Oktobertag 1991 in einer Kölner Volkshochschule vorgetragen wurde, hatte diese als „Deutschland – Spaltung und Vereinigung“ angekündigt. Der Mann mit dem weißen Bart und der fistelnden Stimme schien Spaltung nicht zu scheuen. Im tiefsten Westen, nur wenige Hundert Meter entfernt vom Kölner Dom, teilte er kräftig gegen zwei urwestdeutsche, damals noch gut unterscheidbare Parteien aus. Die heutigen Grünen von Jutta Ditfurth bis zu Joschka Fischer, so der Redner, erwiesen sich „als historisch völlig ungebildet, wenn sie als Gegner der deutschen Einheit auftreten“. Sie hätten nicht begriffen, dass Umweltpolitik als nationale Politik beginnen müsste.

    Das Idol der CDU hingegen, der einstige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer? „Er war ein mieser kleiner Provinzpolitikaster, der gerade dazu taugte, Köln im Ersten Weltkrieg mit Graupen zu versorgen.“ Seine lokalpatriotische Mentalität hätte Adenauer nach 1945 „angewandt auf die Reparationsfrage: Die Westdeutschen sollten gut leben, keine Reparationen zahlen – die würden einseitig der Ostzone aufgebürdet werden, den ‚Brüdern und Schwestern‘“. Er sei verantwortlich dafür, „dass der kleinere, ärmere, schwächere Teil Deutschlands gegen seinen Willen in einem Separatstaat leben musste“.

    All dies kam einer Publikumsbeschimpfung nahe, war eine Provokation gegen jahrzehntealte Gewissheiten des Westens. Der Provokateur hieß Wolfgang Harich. Er begriff sich als Marxisten wie als Ökologen und gehörte zu den wenigen Linken, die Deutschlands staatliche Einheit wollten. Aber aus welchem Motiv? Bereits 40 Jahre zuvor hatte ihn sein Beharren darauf in Konflikt mit der SED-Führung und schließlich ins Gefängnis gebracht. Die Einheit galt Harich als Basis eines sozialistischen Rätedeutschlands, wovon ihm die DDR weit entfernt zu sein schien. Zwar war Harichs politische Hoffnung 1989 zerschellt, doch fand sie nun Eingang in seine ökologische Vision: Ein in Produktion und Konsum reduziertes Deutschland müsse zur Vorstufe eines ökologisch geläuterten Europas werden.

    Ökologische Verzichtsideen allerdings waren den Grünen während ihres politischen Aufstiegs immer peinlicher geworden. Erst jüngst argumentierte mit der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, Autorin von „Das Ende des Kapitalismus“, jemand wieder ähnlich wie Harich, ohne den Vorläufer zu erwähnen. Harich der Nationalkommunist, Harich der Sozialökologe – diese intellektuellen Lebenslinien waren lange parallel hergelaufen und schließlich konvergiert.

    Ein intellektuelles Wunderkind

    Wolfgang Harich entstammte dem deutschen Bildungsbürgertum: Er wurde 1923 in Ostpreußen als Sohn eines Literaturhistorikers geboren. Ungeachtet seiner starken Selbststilisierung in seiner Autobiografie „Ahnenpass“ wird eine freigeistige, vernunftrepublikanische Atmosphäre sichtbar. Das Progressive war bei Familie Harich seit je mit dem Pädagogischen verbunden: Man wollte die Bildungsschätze den Arbeitermassen zugänglich machen, respektierte aber auch deren materielle Bedürfnisse. Harichs eigene literarhistorische Sympathien sollten später Jean Paul und Johann Gottfried Herder gelten, schwierigen Figuren für den parteimarxistischen Bildungskanon. Harich suchte an ihnen das Klassische hoch- und das Exzentrisch-Skurrile flachzuhalten. Ähnlich wie Peter Hacks war er aller ästhetisch-politischen Romantik abhold. Harichs Vernunftoptimismus in Kunst und Politik war Familienmitgift.

    Nach Kriegsdienst und Desertation aus der Wehrmacht trat Harich 1945 in die KPD ein. Er stieg in Literaturbetrieb, Universitätsphilosophie und Kulturpolitik der frühen DDR rasch auf. Harich gründete und verantwortete wesentlich die Deutsche Zeitschrift für Philosophie, hielt zugleich Vorlesungen an der Humboldt-Universität. Sein Rezeptions- und Produktionspensum war gewaltig. Er galt als intellektuelles Wunderkind, zeigte auch entsprechende Allüren. Doch waren sie stets ideenstrategisch fundiert. So kann er innerhalb der europäischen Geistesgeschichte als einer der letzten Politintellektuellen gelten, die mit dem „Geist“ zugleich Macht erlangen und gestalten wollten; ein später Nachfahre der Fürstenerzieher. In seiner Stellungnahme vor einem DDR-Strafgericht nannte Harich es Selbstüberschätzung, was ihn 1956 zum Quasi-Staatsstreich gegen Walter Ulbricht getrieben hätte. Sein Versuch einer „Plattform über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ kam zur Unzeit, Moskaus Deutschlandstrategie hatte sich geändert. Harich wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er acht Jahre absaß, meist in Einzelhaft.

    Der Entlassene arbeitete zunächst unspektakulär wissenschaftlich, etwa an der Werke-Edition des materialistischen Klassikers Ludwig Feuerbach, wurde Autor eines Standardwerks über Jean Paul. Als Frühinvalide erhielt Harich ein ständiges Visum ins deutschsprachige Ausland, wo er die Anfänge der Umweltbewegung aufmerksam begleitete.

    Im Lebensrückblick behauptete Harich, schon in den späten 1940er-Jahren den Grundstein seiner ökologischen Interessen gelegt zu haben, zunächst durch naturwissenschaftliche und naturphilosophische Studien. Zwar sind Harichs Selbstzeugnisse mit Vorsicht zu genießen. Doch bleibt richtig, dass er stets zu den Marxisten mit straff „realistischem“, forschungsaffinem Theorieverständnis gehörte. Daher seine wachsende Sympathie und Bewunderung selbst für antimarxistische Denker wie Arnold Gehlen, Entnazifizierter und Stardenker der philosophischen Anthropologie.

    Mit seinem Gesprächsbuch „Kommunismus ohne Wachstum“, gemeinsam verfasst mit dem Linkssozialdemokraten Freimut Duve als Interviewer, setzte sich Harich 1975 zwischen alle Stühle. „Erste“ wie „Zweite Welt“ suchte er auf eine kulturelle Umorientierung zu Ressourcenschonung und Bedürfnisarmut einzuschwören. Staatliche Institutionen wie die des post- und spätstalinistischen Ostblocks pries er als hierzu gut geeignete Erziehungsmittel. Wieder eine Unzeitgemäßheit! In den 1970er-Jahren wollte Westeuropas Linke, namentlich im „Eurokommunismus“, undogmatisch und kompromisstauglich erscheinen, um die westeuropäischen Arbeitermassen am Wohlstand der Nachkriegsära beteiligen zu können. Ostblockherrscher wie Ceaușescu oder Honecker setzten ihrerseits auf materielle Massenberuhigung. So löste das Buch hüben wie drüben Befremden aus.

    „Alle sollen allen verzeihen“

    Bezüglich der West-Grünen hatte Harich ökopolitisch bald resigniert. Er erkannte, dass sie sich ins Industriesystem integrieren würden. Als diese Partei dann zum Sammelbecken später Wertewestler geworden war, die 1989/90 stellvertretend für ihre revolutionäre Vergangenheit mit den Restkommunisten der DDR abrechneten, trat Harich der PDS bei. Ebenso wie später Rudolf Bahro verzichtete er auf juristisch bewehrte Verfolgung seiner Richter von einst. Ja, eine strafrechtliche Aufarbeitung der politischen Justiz lehnte Harich generell ab.

    Es klang nur wenig sarkastisch, wenn er 1994 im Neuen Deutschland forderte, „alle sollen allen verzeihen“, doch zuvor müssten auch die Westdeutschen ihre ungenügende NS-Bewältigung und ihr egoistisch erkauftes Teilstaatsglück einräumen. Die Ostler hingegen sollten sich miteinander versöhnen und auch den Westlern ihren Verrat von 1949 an Einheitsdeutschland vergeben.

    Nicht ungern ließ sich Harich einen „verqueren Patrioten“ nennen. Im Jahrzehnt von jubilierendem Neoliberalismus und bonbonfarbener Spaßgesellschaft musste ihn seine Ideenstrenge einsam machen. Harichs ökosozialistischem Querdenken fehlte jene Bräsigkeit, die jenem Wort seit Roman Herzogs präsidialer Ermunterung anhaftete. Harich fehlte aber auch das Beliebige eines Narrentums auf eigene Faust. Er blieb bis ins Alter ein disziplinierter und systematischer Leser, wovon seine posthum veröffentlichte Studie über den Philosophen Nicolai Hartmann zeugt.

    Harich war passionierter Nietzsche-Feind

    Vielen, die wie der Verfasser erst in der späten DDR aufwuchsen, wurde Harich als Inaugurator einer bizarren Nietzsche-Diskussion bekannt. Auch darin trieb er seinen Eindeutigkeitswillen ins Extrem, versuchte er sich noch einmal in Ideenpolitik bis hin zu Verbotsersuchen an die DDR-Staatsführung. Doch selbst in dem lächerlichen und teils unwürdigen Bestreben, die greisen Machthaber zu ideenpolitischer Intervention zu bewegen, bewies er philosophische Konsequenz.

    Harich nahm Nietzsche beim Wort, wenn er in ihm das Menschenfeindlichste fand, was je von Menschen gedacht ward. Während Harichs Gegner auch in der DDR oft schon einem philosophisch weichgespülten Postmoderne-Nietzsche huldigten, nahm Harich den rasenden Sachsen noch einmal bitterernst.

    Er kritisierte ihn, wie wenig später sein ökologischer Geistesverwandter Rudolf Bahro, nicht nur aus historisch-materialistischer, sondern auch aus zivilisationskritischer Sicht: Nietzsche, das sei nur mehr die ästhetische Überhöhung des industriellen Verhängnisses und seiner lebenfressenden Megamaschine, das sei die pseudoaristokratische Verklärung des Allzumenschlichen, auch Allzumännlichen. Harichs Nietzsche-Feindschaft folgte teils schon differenzfeministischer Sicht, pazifistischer ohnehin. Aus „Nietzsche und seine Brüder“ (1994) sprach ein Bewunderer von Ludwig Klages.

    Bis zu seinem Tod am 15. März 1995 sah Harich sich philosophisch als materialistischen Ökologen. Dissident des Marxismus wollte er nie sein, undogmatische Marxisten wie Robert Havemann verachtete er. Harichs geistiger Machtwille war unleugbar. Aufgrund seiner unzeitgemäß ideenfixierten Konsequenz, ja Halsstarrigkeit, scheiterte er machtpolitisch. Was er alsdann erlitt, war das banale Martyrium eines Parteihäretikers und Staatsfeindes. Doch wie ein anderer Nietzsche-Kritiker und Geistesradikaler des 20. Jahrhunderts, der ebenfalls vor dreißig Jahren gestorbene Schriftsteller Emil Cioran, sagte: „In der modernen Gesellschaft reduziert sich Märtyrertum auf einen Konflikt mit der Polizei.“

    Jürgen Große ist Historiker. 2024 erschien seine Monografie „Die kalte Wut. Theorie und Praxis des Ressentiments“.

    #socialisme #DDR