Taxi

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  • Tanz auf den Tischen: Gibt es eigentlich in Berlin noch Table Dance?
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/tanz-auf-den-tischen-gibt-es-eigentlich-in-berlin-noch-table-dance-

    16.3.2025 von Dirk Engelhardt - Geht eigentlich noch jemand in Stripclubs? Tanzen dort immer noch Frauen in Hot Pants vor Männern? Unser Autor hat sich auf die Suche nach Antworten begeben.

    Besucht eigentlich heute überhaupt noch jemand einen Stripclub? Eine Tabledance-Bar? Ich kenne niemanden, der mir je davon erzählt hätte. Als Mann halbnackte Frauen begaffen und ihnen überteuerte Drinks spendieren, vielleicht noch auf eine erotische Begegnung hoffen – ist das in Zeiten von MeToo nicht völlig antiquiert?

    Immerhin gibt es in Berlin aber immer noch mehrere solcher Bars. Sie heißen Grace Lounge, Tutti Frutti, Angels, Golden Dolls, Sin City, Tabu Bar. Sogar einen Ladys-Club, in dem Männer tanzen, gibt es, er nennt sich Wildhouse. Das Geschäft muss also irgendwie immer noch funktionieren. Online verspricht man viel: „Genieße prickelnden Champagner und lass dich von ihrer elektrisierenden Energie mitreißen. Hier hast du die Chance, die faszinierenden Persönlichkeiten der Tänzerinnen kennenzulernen und ihre verführerische Ausstrahlung hautnah zu erleben.“

    Golden Dolls - Table Dance auf der Potsdamer Straße, wo Hipness auf shabby Metropole trifft. Eric Richard/Berliner Kurier

    Poledance ist heute eine eigene Sportart, der sich viele Frauen in ihrer Freizeit oder auch professionell widmen. Es gibt dafür sogar eine eigene Organisation, die ODPS, das steht für Organisation des deutschen Pole Sports e.V. Sie richtet jedes Jahr eine Pole & Aerial Meisterschaft aus. Auch eine Weltmeisterschaft gibt es, diese wird von der International Pole Sports Federation veranstaltet. Es gibt Frauen, die sagen, dass der Tanz an der Stange zu mehr Selbstbewusstsein verhilft, nebenbei ersetzt dieses sehr anstrengende Training die Mitgliedschaft.

    Unter Feministinnen ist Poledance indes nach wie vor umstritten. Zu oft verbindet man damit Frauen, die in knappen Hot Pants vor und für Männer tanzen. Alice Schwarzer würde sicherlich keinen Fuß über die Schwelle eines gängigen Tabledance-Clubs setzen.

    Auch ein Swerf, also ein Sex Worker Exclusionary Radical Feminist, würde den Stripclub Rush Hour in Wilmersdorf, einen der größeren Tabledance-Clubs der Hauptstadt, sicher meiden – für Swerfs sind Sexarbeit und Feminismus ein Widerspruch in sich.

    Auf der anderen Seite argumentieren Feministinnen und Feministen oft gegen das Geschäftsmodell Tabledance, ohne jemals einen derartigen Club von innen gesehen und mit den Frauen und Männern dort gesprochen zu haben. In der Tat zeigen sich die Clubs nach außen hin wenig auskunftsfreudig. Anfragen von Journalisten werden meist nicht beantwortet, auch die Tänzerinnen wollen selten mit der Presse sprechen. Also hilft nur die klassische verdeckte Recherche.

    Im Rush Hour Club in Wilmersdorf gibt es noch den Zwangsumtausch

    Ich gehe an einem Freitagabend gegen halb elf ins Rush Hour. Die gutgelaunte Garderobenfrau nimmt meine Jacke entgegen und will 30 Euro von mir haben – 10 Euro Eintrittsgeld und 20 Euro Zwangsumtausch. Dafür erhalte ich 10 „Rush-Hour-Dollars“, also nachgemachte, ziemlich abgegriffene Dollar-Scheine, die ich den Tänzerinnen, sollten sie mir gefallen, zustecken könne. Der Club ist um diese frühe Stunde noch sehr leer, ich bekomme einen Platz „in der ersten Reihe“. Junggesellenabschiede, die ja angeblich öfters Clubs dieser Art besuchen, sind heute nicht auszumachen.

    Man hat sich hier offensichtlich Las Vegas als Vorbild genommen, überall blinkt und leuchtet es. Die Tanzfläche in der Mitte, einige Wände und sogar die Tischplatten werden mit Video-Installationen bespielt. Wie hält man dieses Stroboskopgewitter jede Nacht aus? Die Getränkekarte bietet nur Sekt und Champagner – der günstigste liegt bei 90 Euro für ein Gläschen, der teuerste kostet einige Tausend Euro die Flasche. 90 Euro für ein Glas Champagner???

    My goodness, gibt es auch andere Getränke? „Das ist die Karte, wenn man eine Frau auf einen Drink einlädt“, klärt mich die Bedienung auf. Die „normalen“ Getränke stehen auf einer separaten Karte. Ich bestelle ein Bier, das glücklicherweise weniger als zehn Euro kostet. Auf den Sofas im Raum sitzen ungefähr 20 Tänzerinnen, alle in knappen Dessous, die man mit vielen Schnüren um Bauch und Brust bindet.

    Einige Tänzerinnen sind superschlank, andere nicht, manche sind blond, andere dunkelhaarig, manche haben Tattoos oder sind operiert – offensichtlich soll hier jeder Geschmack bedient werden. Allen Frauen gemeinsam ist, dass sie etwas gelangweilt wirken. Noch sind kaum Gäste da. Der DJ ruft vor jedem Lied einen Namen auf: „Und jetzt: Mandy!“ Es klingt ein bisschen wie ein Lehrer, der seine Schülerinnen zur Tafel bittet. Ein neues Lied beginnt, Mandy betritt auf sehr hohen Plateauschuhen die bunt beleuchtete Showbühne, die die vorherige Tänzerin gerade verlassen hat.

    Die meisten Tänzerinnen scheinen zwischen 18 und 30 Jahre alt zu sein. Manche legen manegenreife Auftritte hin, wirbeln wie schwerelos in zwei Metern Höhe an der Stange herum. Es gibt aber auch recht ungelenke, lustlose Nummern. Am Ende eines jeden Tanzes, der immer genau einen Song lang dauert, streift die Tänzerin lasziv ihren Slip herunter. Trotzdem will keine richtig erotische Stimmung aufkommen. Die Verruchtheit wirkt aufgesetzt, das Klischee überreizt.

    Mandy stöckelt zu mir herüber, fragt, ob sie einen Dollar für ihre Darbietung bekommt. Ihren Slip hat sie wieder angezogen, deutet an, dass ich das Geld direkt hineinstecken kann. Nachdem ich ein paar Tänze gesehen habe, kommt Sofia an meinen Tisch. Sie ist ziemlich verschwitzt und sagt, dass heute ihr erster Tag in dem Club und sie total aufgeregt sei.

    Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber Sofia ist sehr redefreudig und erzählt auf Englisch, dass sie in Polen lebe und extra für diesen Auftritt hier angereist sei. Wenig später will sie mich zu einem „privaten Tanz“ in einen anderen Raum des Clubs einladen, nur 100 Euro würde das kosten. Auf einen Drink ist sie nicht scharf.

    Als ich ablehne, zieht sie etwas ernüchtert weiter. Wenig später kommt Julia aus Kiew an meinen Tisch, ein Smalltalk über das Dauerthema „Wie finde ich eine Wohnung in Berlin“ beginnt. Auch Julia möchte gerne einen privaten Tanz für 100 Euro vorführen. Sie spricht gutes Englisch, die vorherrschende Sprache im Rush Hour.

    Mittlerweile ist der Club etwas voller geworden, drei Tische sind besetzt mit Männern, die dem Anschein nach nicht aus Deutschland kommen. Sie werden von den Tänzerinnen taxiert und wenig später umgarnt. Champagnerflaschen von der teuren Karte bringt die Bedienung kaum – auch bei den Nachtclub-Besuchern sitzt das Geld nicht mehr locker.

    Wie um diesen Gedanken fortzuführen, kauert, als ich den Club verlasse, ein in Lumpen gehüllter Mann mitten auf dem Bürgersteig, wenige Meter von der Leuchtreklame des Clubs entfernt. Es sieht so aus, als ob er dort schon mehrere Stunden lang ausharrt.

    #Berlin #Gastronomie #Sex