Taxi

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  • Finance Bros in Friedrichshain: Was ist nur aus dem einstigen Partykiez geworden?
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/finance-bros-in-friedrichshain-was-ist-aus-dem-einstigen-party-kiez

    22.5.2025 von Suri Manelis - Für unsere Kolumnistin ging es diese Woche nach Friedrichshain – in einen Kiez, der kaum wiederzuerkennen ist. Höchste Zeit, in eine andere Hauptstadt zu entfliehen.

    „Wir müssen überlegen, wie wir den Shareholder Value maximieren“, höre ich einen gestriegelten Mittdreißiger halb schnauzend, halb visionär zu seinem Freund sagen, der wie eine nur geringfügig abgeänderte Version des Ersteren aussieht.

    Ich laufe durch Friedrichshain – einen Bezirk, den ich eher mit spätpubertären Abenteuern und einem Duft von Freiheit verbinde als mit Finance Bros, mit langen Nächten einer noch nahezu unverdorbenen, unschuldigen Jugend. Bier, Gras und Jungsbekanntschaften in lauwarmen Nächten, das Glücksversprechen Friedrichshains.

    Damals, als wir „Berlin Calling“ schauten und nur erahnen konnten, was da mit Paul Kalkbrenner passierte, weil es weit genug von unserer Lebensrealität entfernt war. Ungefähr zu einer Zeit, in der wir uns tagsüber in die Bar25 verirrten und noch gar nicht so recht nachvollziehen konnten, was da eigentlich geschieht – wenigstens nicht aus eigener Erfahrung. Damals, als man noch mit Glitzer im Gesicht und in bunten Leggings ausging – egal wohin.
    Gekrönte Pudel mit Perlenketten und rosafarbenen Halsbändchen

    Heute also Finance Bros in den Straßen, in denen es inzwischen nur so wimmelt von Häusern, die ursprünglich als Spekulationsobjekte im Osten Berlins aufgekauft wurden. Häuser mit Gängen voller Türen, fast wie in Jugendherbergen, hinter denen sich die immer gleichen voll möblierten Unterkünfte verbergen, die wie Airbnbs aussehen und bei Bedarf auch als solche fungieren. In ihnen Schränke und Tische, deren Halbwertszeit die von obsessiv genutzten Handys unterbietet, die aber dennoch durch minimalistische Formgebung Eleganz und einen gewissen Wohnstand vermitteln sollen.

    Eleganz, die die schnell schimmelnden Fugengummis Lügen straft. Akzente in Senfgelb oder Türkis. Hier und da soll ein rautenförmiges Muster Abwechslung in die Ödnis bringen, verfehlt aber meist die Intention. An den Wänden hängen billige Reproduktionen von Gemälden, die Anspielungen auf Klassiker der Kunstgeschichte zeigen oder gekrönte Pudel mit Perlenketten und rosafarbenen Halsbändchen.

    Mit viel Glück oder etwas mehr Geld haben die für die Inneneinrichtung Verantwortlichen ein abstraktes Gemälde in den Apartments platziert, das den temporären Bewohnern dieser Katalogwohnungen aus Capetown oder Heilbronn den Anstrich einer kulturellen Versiertheit verleihen soll – auch wenn sie bloß gamingversessene Ingenieure auf Dienstreise sind.

    Eine Situation zum Davonfliegen

    In Friedrichshain, wo sich in den Bars manchmal noch das gleiche Publikum tummelt, das mir irgendwann zwischen 2007 und 2010 als das coolste im Berliner Nachtleben erschien, wo in den Bars zu „36 Grad“ von Zweiraumwohnung Whisky-Cola getrunken wurde, wimmelt es nun von Jugendgruppen, die gerade zum ersten Mal in Berlin sind, und Menschen mit bunten Einlassungen in Haar und Kleidung, die wochenends ins Sisyphos gehen, sowie jenen, deren Klamotten stark nach besetzten Häusern aussehen. Nicht – oder nicht mehr – meine Welt.

    Noch verkatert vom Viagra-Boys-Konzert am Vorabend treffe ich zwei Freundinnen – die eine Redakteurin bei einer großen deutschen Tageszeitung, die andere Dozentin und Mitarbeiterin bei einem Berliner Kulturmagazin – im Noble Rot, einer Bar, die liefert, was viele der neueren Orange-Wine-Etablissements versprechen: einen süffigen Abend mit großartigem Wein und bodenständig-charmantem Service.

    Etwas später sitze ich – mit meinem Lover – bei einem Freund, der schon länger versprochen hatte, mir Pokerspielen beizubringen. Ich lerne – Flop, Fold, Flush. Der Freund erzählt von einem anstehenden Urlaub in Mexico City: „Ich fliege am Montag. Das AirBnB ist gebucht. Ich habe da noch ziemlich viel Platz, ein ganzes Zimmer, wollt ihr nicht einfach mitkommen? Ich meine, habt ihr irgendwelche wichtigen Termine hier?“ Ich überlege. Theoretisch nichts, was ich nicht auch eine Woche später oder eben remote machen könnte. Aber so kurzfristig Tickets buchen?

    Mein Lover – ein Expat mit Abenteuerhang und dem entsprechenden Kleingeld – fängt gleich an zu planen: „Wir sollten das machen. Ich wollte schon immer mal nach Mexico City. Warte, ich schaue nach Flügen. 930 Euro.“ – „Sorry Jungs, ich bin raus, das ist mir zu teuer.“ Die beiden schauen sich gegenseitig an, als hätten sie sich gerade verschworen. „Na ja, wir gehen ja später noch ins Casino“, sagt der Freund, „wie wäre es, wenn wir all unseren Gewinn zu deinem Ticket beisteuern? Würdest du mitkommen?“ Perplex und zugleich begeistert sage ich zu, ohne länger zu überlegen.

    Während KaDeWe Kitchen Night geladen hat, kann ich nur noch an eines denken: den Flieger, in den wir am übernächsten Tag steigen könnten, um nach Mexico City zu fliegen. Die Jungs schicken mir Updates vom Pokern, 300 hoch, 200 runter. Irgendwann bin ich zu müde, um das Spiel aus der Ferne zu verfolgen – und eigentlich glaube ich nicht mehr wirklich daran, dass wir fliegen. Um 2.30 Uhr nachts werde ich von meinem Lover geweckt. „Ich habe alles verspielt.“

    Genervt, für diese Nachricht mitten in der Nacht geweckt worden zu sein, drehe ich mich weg. „Baby?“, höre ich hinter mir. „Ja?“ – „Das war Spaß! Ich habe 1700 Euro gewonnen – wir fliegen nach Mexiko!“ – „Ist das dein Ernst?!“ Plötzlich bin ich hellwach. Ich kann es kaum glauben, aber manchmal sind Berliner Abenteuer auch solche, die einen für ein paar Tage aus Berlin rausführen – und die man sich in den kühnsten Jugendträumen nicht hätte vorstellen können.

    #Berlin #Friedrichshain #Nachtleben