Big Brother in der Luft : Flugdaten-Riese verkauft Milliarden Passagierprofile
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Tu prends l’avion, tu es fiché. L’intermédiaire derrière ton agence de voyage fournit tes données en realtime aux trumpistes au pouvoir.
15.5.2025 von Stefan Krempl - Airlines Reporting Corp., an der Lufthansa beteiligt ist, sammelt Milliarden Daten über Flugreisende und verscherbelt sie etwa an Trumps Einwanderungsbehörde.
Eine öffentlich bislang weitgehend unbekannte Clearingstelle der Luftfahrtindustrie sammelt und verarbeitet Daten über zwölf Milliarden Passagierflüge pro Jahr und verkauft diese Informationen an die US-Regierung. Dafür bietet die Airlines Reporting Corporation (ARC) Lizenzen für ein Reiseinformationsprogramm in Form des Travel Intelligence Program (TIP) für Behörden an, um die Datenberge zentral durchsuchbar zu machen. Das geht aus jetzt veröffentlichten Beschaffungsunterlagen der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) hervor, die unter US-Präsident Donald Trump besonders hart gegen Migranten vorgeht und die Analysemöglichkeiten der ARC nutzt.
„ARC hat innerhalb der Luftfahrtbranche eine einzigartige Position als zentraler Knotenpunkt für die finanzielle Abwicklung und den Datenaustausch zwischen Fluggesellschaften und Reisebüros und gewährleistet sichere und effiziente Transaktionen“, begründet die ICE den Lizenzkauf. Mit ihren umfassenden Branchendaten biete die ARC „unübertroffene Einblicke und Analysen“ und unterstützt so das Umsatzmanagement, die Betrugsprävention und die Betriebseffizienz der Fluggesellschaften. Die Hauptaufgabe bestehe darin, Reisebüros zu akkreditieren und die finanzielle Abwicklung zu verwalten, wodurch eine „umfangreiche Echtzeit-Datenbank der verkauften Flugtickets“ entstehe.
„Reisebüros müssen täglich Ticketverkäufe und Gelder für über 240 Fluggesellschaften weltweit an die ARC übermitteln“, führt die ICE aus. TIP ermögliche autorisiertem Personal der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, die Flugticketdatenbank von der ARC zu durchsuchen, „um die Reisemuster von Personen von Interesse zu verfolgen und zu analysieren“. Nutzer könnten Suchvorgänge anhand von Schlüsselkennungen wie Passagiername, Reiseroute, Tarifdetails und Zahlungsmethoden durchführen. Das umfangreiche Register enthält über eine Milliarde Datensätze und uumfasst 39 Monate vergangener und zukünftiger Reisedaten, was „eine beispiellose Informationsquelle“ darstelle.
Kopie ausgestellter Tickets
Die ARC fungiert als Clearinghouse, über das Reisebüros in den USA – von kleinen Familienunternehmen bis hin zu großen Online-Agenturen wie Expedia oder Booking.com – Fluggesellschaften für die von ihnen verkauften Tickets bezahlen. Seine Rolle ähnele der von Visa oder MasterCard bei Kreditkartentransaktionen, erläutert der US-Bürgerrechtler Edward Hasbrouck vom kalifornischen Identity Project. Im Gegensatz zu den beiden Finanzdienstleistern habe die ARC in den USA aber keinen Konkurrenten.
Ticketverkäufe melden die US-Reisebüros der ARC täglich über Links zu computergestützten Reservierungssystemen. Jede Woche reichen sie zudem einen Bericht dort ein, der eine Kopie aller ausgestellten Tickets, den gezahlten Betrag, die Tarifberechnung und Steueraufschlüsselung sowie die Zahlungsweise enthält. ARC zieht den Gesamtbetrag der wöchentlichen Verkäufe aller Fluggesellschaften vom Bankkonto des Partners ab und zahlt jeder Airline einen wöchentlichen Gesamtbetrag für die ausgestellten Tickets aus.
Das Unternehmen ist im gemeinsamen Besitz von neun großen Fluggesellschaften. Dazu zählen neben Delta, Southwest, United, American Airlines, Alaska Airlines, JetBlue und Air Canada aus Nordamerika auch Lufthansa und Air France aus der EU. Hasbrouck zufolge wickelt die ARC nur Zahlungen von Reisebüros in den USA ab. Tilgungen und Gutschriften anderer Reisevermittler würden über regionale Clearinghäuser, etwa der Dachgesellschaft International Air Transport Association (IATA) abgewickelt.
Wie steht es mit der DSGVO?
Neben der ICE und dem übergeordneten Department of Homeland Security (DHS) gehören auch das Verteidigungs- sowie das Finanzministerium zu den TIP-Nutzern. Nicht nur deswegen geben sich Daten- und Verbraucherschützer sehr besorgt über das massive Register und die darauf ermöglichten Zugriffe. „Das ist wahrscheinlich die bedeutendste aggregierte Datenbank über amerikanische Flugreisende“, erklärte Hasbrouck gegenüber dem Magazin The Lever. Dass die US-Regierung sich daran bedienen könne, sei eine große Nummer.
Die Firma habe seit langem „ein Quasi-Monopol bei der Bearbeitung von Flugbuchungen“, moniert Bill McGee von der Verbraucherschutzorganisation American Economic Liberties Project. Dass die ARC die umfangreichen persönlichen Informationen an die US-Regierung verkaufe, sei „erschreckend“. Ein ARC-Sprecher sagte The Lever, TIP sei nach den Terroranschlägen vom 11. September eingerichtet worden, um Ermittler zu unterstützen. Verträge etwa mit dem Pentagon sollen mindestens bis 2017 zurückreichen. Parallel stehen Strafverfolgern über umstrittene Abkommen und Richtlinien seit vielen Jahren etwa Passenger Name Records (PNR) zur Verfügung. Die ARC-Informationen gehen aber darüber hinaus und sind einfacher zu durchforsten.
Die bisherigen Erkenntnisse über TIP lassen noch viele Fragen offen. Unklar ist etwa, ob auch Regierungen anderer Länder davon Gebrauch machen. Würden Ticketkäufe von EU-Bürgern erfasst, dürfte zudem zweifelhaft sein, ob das mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vereinbar ist. Fluglinien oder Reisebüros informieren ihre Kunden bislang in der Regel nicht explizit über diese Praktiken, sodass etwa eine bewusste Einwilligung in die Datenverarbeitung kaum möglich sein dürfte.