Wo andere Ferien machen, stranden nun die Flüchtlinge
Das Grenzwachtkorps hat die Südgrenze für illegale Einwanderer abgeriegelt – die Asylsuchenden stauen sich jetzt am Bahnhof von Como.
Sie versuchen es immer wieder. Wenn es eindunkle, werde er den Zug in die Schweiz nehmen, sagt einer der Eritreer, die unterhalb des Bahnhofs Como San Giovanni unter den Laubbäumen im Schatten sitzen. «Das kannst du vergessen!», meint ein anderer. Die Züge würden alle überwacht.
Tatsächlich staunen die Passagiere, wie viele Grenzwächter in Chiasso den Grenzbahnhof bevölkern – und wie viele davon akzentfrei Schweizerdeutsch sprechen. «Das Grenzwachtkorps (GWK) führt im Tessin eine Schwerpunktaktion durch», heisst es aus dem GWK. «Stellen Sie sich vor, ich bin Single und werde jetzt Knall auf Fall für fünf Tage am Stück in den Süden geschickt. Denen ist es egal, wer in dieser Zeit meinen Hund versorgt», regt sich ein Grenzwächter auf.
Offiziell verwehrt sich das GWK aber gegen die Kritik, entgegen den Schengen-Regeln im Tessin wieder systematische Grenzkontrollen durchzuführen. Ein Sprecher erklärt: «Da die Schweiz nicht Teil der Europäischen Zollunion ist, kann das GWK im Zusammenhang mit den Zollkontrollen weiterhin die dafür notwendige Identitätskontrolle durchführen.»
Und da in den vergangenen Wochen eine ausserordentlich hohe Anzahl sich rechtswidrig in der Schweiz aufhaltender Personen festgestellt worden sei, müsse man von vermehrter «grenzüberschreitender Kriminalität wie Schleppertätigkeit» ausgehen. Deshalb mache man diese Kontrollen. Und die sind rigoros: «Ich habe es per Bahn, aber auch zu Fuss über die grüne Grenze probiert. Mal vor Mitternacht, mal ganz früh am Morgen. Immer haben sie mich geschnappt», klagt einer.
Tessiner Regierungsrat Gobbi fordert noch mehr Präsenz
Während sich italienische Touristiker schon Sorgen darüber machen, dass wegen der vielen Flüchtlinge an Comos Bahnhof die Feriengäste ausbleiben, geht dem Tessiner Regierungsrat Norman Gobbi die Abriegelung der Grenze nicht weit genug. Der Lega-Mann fordert, der Bundesrat müsse nun öffentlich erklären, «dass die Schweiz kein Flüchtlingskorridor nach Norden ist, sondern es für Wirtschaftsflüchtlinge kein Durchkommen gibt». Nur so blieben die Migranten fern. Und es brauche noch zusätzlich «eine starke Präsenz von Militärpolizei an der grünen Südgrenze». Schliesslich mache das Tessin «die Drecksarbeit für die Schweiz», sagt er.
Ganz anders sehen das die Flüchtlinge, die sich in Como stauen: «Micki», wie hier den kleinen Jungen alle nennen, schüttelt nur den Kopf. Er versteht nicht, weshalb ihn die Schweizer nicht nach Deutschland lassen. Micki ist «nicht zwölf, sondern ein Jahr anders» wie er in schlechtem Englisch erklärt. Ob ein Jahr jünger oder älter, kann er nicht verständlich erklären. Zu mehr kommt er auch nicht, denn einer der Älteren ruft ihn und steckt ihm ein Stück Brot zu. Der Junge müsse unbedingt etwas essen, erklärt der Mann. Und: «Micki muss nach Deutschland, seine Mutter ist dort», sagt er.
Ein weiterer Eritreer, der bislang gedöst hat, schaltet sich ein: «Man will uns hier nicht. Man denkt nicht gut über uns», wiederholt er mehrmals. Zwar seien nicht alle schlecht zu ihnen, aber viele Leute. «Nur zwei von hundert geben uns Lebensmittel», erklärt er.
Für die meisten aber sind die Flüchtlinge Luft. Touristen fahren in den Bahnhof ein und nehmen sich ein Taxi. Andere gehen zu Fuss weiter zum nächsten Campingplatz, um sich dort zwei Wochen zu erholen. Manche Flüchtlinge sagen, sie campierten schon zwei Monate im Freien. Anders als die Feriengäste können sie aber nicht weiter nach Luzern oder Zürich oder wie die Frau, die in Lugano zusteigt, nach Genf. Sie wohne schon lange in der Schweiz, brauche aber keinen Schweizerpass, erzählt die Dänin. «Und also ganz schlimm, also wirklich ganz schlimm» seien diese Flüchtlinge, wird sie später erklären. «Wie Ratten», sagt sie dann wörtlich. «Man denkt nicht gut über uns», ist da noch milde ausgedrückt.
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