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  • Kommentar zur Diskussion zu Kreuzberger Straßen: Namensgeber für Straßen sind gesellschaftliche Vorbilder - Berlin - Tagesspiegel Mobil
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    28.02.2019, Maria-Mercedes Hering

    Die Würdigung von Kriegsschauplätzen durch Straßennamen muss diskutiert werden, sagt unsere Autorin. Auch könnten Straßen in einigen Fällen umgewidmet werden.

    Die Grünen aus aus Friedrichshain-Kreuberg wollen die Yorckstraße, benannt nach Ludwig Graf Yorck von Wartenburg, unbenennen. Foto: Kai-Uwe Heinrich
    Die Grünen aus aus Friedrichshain-Kreuberg wollen die Yorckstraße, benannt nach Ludwig Graf Yorck von Wartenburg, unbenennen. © Kai-Uwe Heinrich

    Wer Straßennamen diskutieren möchte, muss eine ganz grundsätzliche Frage stellen: Welche Personen sollen in unserer Gesellschaft mit dieser besonderen Ehrung bedacht werden?

    Dass eine Straßenwidmung einer Würdigung gleichkommt, lässt sich dabei nicht abstreiten: Gerade in einer Hauptstadt, deren Plätze, Straßen und Alleen nach Frauenrechtlerinnen und Widerstandskämpfern, Bundeskanzlern und Figuren der Wiedervereinigung sowie Würdenträgern der Bezirke benannt sind, geht mit einem Straßennamen eine gewisse Würdigung einher. Ein Straßenname hat etwas zu bedeuten. Er sagt: Seht her, ich habe einst etwas geleistet oder stehe für etwas, an das ihr euch immer noch erinnern sollt.

    Ob das bei einigen Militärs und Kriegsschauplätzen noch immer der Fall ist, wollen die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg mit ihrem BVV-Antrag zur „Entmilitarisierung des öffentlichen Raums“ diskutieren. Im Antrag, der am 19. März im Kulturausschuss diskutiert werden soll, geht es konkret um Yorckstraße, Blücherstraße und -platz, Horn-, Möckern-, Gneisenau-, Katzbach-, Großgörschen-, Großbeeren- und Obertrautstraße sowie Hagelberger und Eylauer Straße.

    Als am 9. Juli 1864 per Kabinettsorder Straßen in Kreuzberg nach Schlachten und Militärs der Befreiungskriege gegen Napoleon benannt wurden, galten die Generalfeldmarschälle Ludwig Graf Yorck von Wartenburg oder August Wilhelm Antonius Graf Neidhardt von Gneisenau als Personen, die sich im Krieg gegen den Feind Frankreich für Preußen eingesetzt hatten und denen offenbar eine Würdigung zustand. Auch an Schauplätze von Schlachten wie Großbeeren sollte erinnert werden. Sie wurden Namensgeber Kreuzberger Straßen.
    Eine andere Sichtweise auf den Krieg

    Mittlerweile sind die Befreiungskriege über zwei Jahrhunderte her, die Namensgebung mehr als 150 Jahre. Geändert hat sich seither die zivilgesellschaftliche Sichtweise auf den Krieg. Der führt zu Todesopfern, Verletzten, Gewalt und Diskriminierung. Er prägt Gesellschaften und das Selbstverständnis ihrer Angehörigen über Generationen, trennt Gesellschaften und Familien. Dass Krieg keine glorreiche Sache ist, kein erstrebenswertes Ereignis, sondern ein grausames, vermeidenswertes Schicksal für alle Menschen, ist eine Betrachtungsweise, die zum Glück heute deutlich weniger umstritten ist als 1864.

    Lange genug hat es gedauert, lange genug haben sich unzählige Menschen im Großen wie im Kleinen bemüht, bis die deutsch-französische Freundschaft diesen Namen auch verdient. Zurecht fragen die Grünen nun, ob im Rahmen der europäischen Einigung und der seit Langem bestehenden besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich eine Beibehaltung der prominenten militärischen Würdenträger und Kriegsschauplätze als Straßennamen sinnvoll ist.

    Die Diskussion ist zweifellos wichtig und angebracht. Gerade kritisches Hinterfragen der Würdenträger sorgt dafür, dass eine solche Ehrung weiter etwas bedeutet. Sie sollte den besten Anwärtern zukommen, nicht denen, die eben schon früher da waren. Dass Kreuzberg, Berlin und die Welt seit 1894 Personen hervorgebracht haben, deren Namen eine bessere Zier für Kreuzbergs Straßen wären, kann als gewiss betrachtet werden.
    Auch in anderen Bezirken gibt es Diskussionsstoff

    Eine Umbenennung ist optional, wird aber im BVV-Antrag bereits als mögliches Ergebnis benannt. Erst einmal geht es nur um bestimmte Straßen in Kreuzberg, aber Diskussionsstoff gibt es auch in anderen Bezirken genug. Welche Namen taugen noch, wenn wir die Würdenträger als gesellschaftliche Vorbilder begreifen? Es würde nicht schaden, wenn sich das alle Berliner einmal fragen würden.

    Straßen umzubenennen, bedeutet aber auch einen ganz praktischen Kraftaufwand, von persönlichen Dokumenten über Ladenschilder, Broschüren zu allen anderen Dingen, auf denen die Adresse verzeichnet ist, müsste alles geändert werden. Ein zeitlicher, aber auch ein finanzieller Aufwand, den so mancher Anwohner für zu groß halten dürfte.
    Umwidmungen statt Umbenennungen

    Doch es gibt viele weitere Optionen: In einigen Fällen könnten die Straßen schlicht umgewidmet werden. Großbeeren ist zum Beispiel nicht nur Kriegsschauplatz, sondern auch ein Ort. Zusatztafeln könnten auf die Umwidmung verweisen oder zumindest die Straßennamen in den militärischen Kontext einordnen. Wer durch Kreuzberg ginge, würde dann mehr über die Geschichte vor Ort erfahren und könnte sich selbst eine Meinung bilden.

    Eine Diskussion ist unentbehrlich und kann in neuen Projekten münden, Ausstellungen oder Informationstafeln wären denkbar. Von dem Aushandlungsprozess können viele Menschen profitieren, doch müssen solche Ansätze besprochen werden. Alle Kreuzberger, aber auch andere Interessierte sollten sich an einem ergebnisoffenen, gerne kontroversen Dialog beteiligen können. Sie müssen Optionen wie Umbenennung, Umwidmung, Zusatzschilder und alle anderen Ideen aus der Zivilgesellschaft, Politik und Forschung diskutieren. Denn die Namen jetzt, da auf den militärischen Kontext so deutlich aufmerksam gemacht wurde, unhinterfragt und unkommentiert im öffentlichen Raum stehen zu lassen, käme einer erneuten Würdigung der Personen und Schlachten gleich. Eine solche Remilitarisierung des öffentlichen Raums gilt es zu vermeiden.

    Neue Namen in Kreuzberg?: Warum Straßenumbenennungen sinnlos sind - Berlin - Tagesspiegel Mobil
    https://m.tagesspiegel.de/berlin/neue-namen-in-kreuzberg-warum-strassenumbenennungen-sinnlos-sind/24051472.html

    28.02.2019, 22:06 Uhr, Werner van Bebber

    Die Grünen wollen einen „Diskurs“ über Straßenumbenennungen in Kreuzberg. Ist das nötig? Unser Autor findet: Es kann zu viel dabei schiefgehen. Ein Kommentar.

    Sauberkeit ist eine gute Sache: Diese Überzeugung verbindet Mitarbeiter der Straßenreinigung mit den Verfechtern von Straßenumbenennungen. Wie die BSR-Leute Vergammeltes und Verkommenes entsorgen, so wollen manche Kreuzberger offenbar Vergangenes entsorgen, konkret: das, was sie für den preußischen Militarismus und dessen Niederschlag in einer Reihe von Straßennamen halten. Es geht um Generäle wie Ludwig Yorck von Wartenburg, nach dem die Yorckstraße benannt ist, und seinen Kollegen, Generalfeldmarschall Gebhardt Leberecht von Blücher, den Mann vom Blücherplatz – Soldaten, die mit ihren Soldaten gegen französische Soldaten gekämpft haben, als diese Preußen besetzten.

    Das waren mal so genannte Helden. Es geht um die Großgörschen- und die Großbeerenstraße und andere Straßen, die nach Schlachten aus den preußischen Befreiungskriegen benannte sind. Es geht um den gesamten sogenannten Generalszug.
    Schon im „Afrikanischen Viertel“ gab es Streit

    Und es sind die Kreuzberger Grünen, die eine Sache angehen, die angeblich viele Bürger und Anwohner seit langem bewegt - sozusagen die Befreiung von der Geschichte der Befreiungskriege. So heißt die bewaffnete Auseinandersetzung der Jahre 1813 bis 1815 nun mal. Weil die Grünen wissen, dass sich solche Projekte immer zu politischen Delikatessen entwickeln – siehe den Streit um die Umbenennung von Straßen im „Afrikanischen Viertel“ im Bezirk Mitte – formulieren sie vorsichtig: Das Bezirksamt solle einen „Diskurs“ über eine „mögliche“ Umbenennung organisieren.

    Etwa entschiedener liest sich die Begründung. Da heißt es, man könne sich in Anbetracht der Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich fragen, ob solche Straßennamen noch „angebracht“ seien. Und es gebe auch „Geschichten“, die mit den Straßennamen verbunden sind und mit einer Umbenennung verloren gehen würden.
    Bei Straßenumbenennungen kann viel schiefgehen

    Ob damit die Besetzung der Yorckstraße 59 durch ein vitales und sehr lautstarkes Kollektiv gemeint ist, das vor ein paar Jahren Sitzungen der Bezirksverordneten sprengte, um auch sich aufmerksam zu machen? Die Vertreibung von Hausprojekten und Kollektiven aus der Geschichte eines Bezirks, der für mehr als ein Jahrzehnt ein Besetzerparadies gewesen ist, kann wohl kaum grüne Bezirkspolitik der Gegenwart sein. Aber so ist das mit Straßenumbenennungen: Es kann dabei viel schiefgehen. Der Dauerstreit in Mitte um Namen wie die Lüderitzstraße brachte interessante Erkenntnisse hervor. So wurde als Alternative der Name einer afrikanischen Königin genannt, die sich portugiesischen Investoren entgegenstellte. Allerdings betrieb sie auch Sklavenhandel. Überhaupt Lüderitz: Der Kaufmann betrog im damaligen Deutsch-Südwestafrika und heutigen Namibia Mitglieder des Volks der Nama um Land. Die namibische Hafenstadt Lüderitz heißt übrigens immer noch Lüderitz.

    Geschichte ist immer grau und manchmal grauenhaft, und das Heraussäubern von ein paar Namen macht sie nicht besser. Gewiss ist nichts dagegen einzuwenden, Straßen und Plätze vorzugsweise nach heldinnenhaften Frauen zu benennen – ein Prinzip des neu- und umbenennungserfahrenen Bezirks Mitte. Aber was, wenn sich im Zuge biographischer Recherchen herausstellt, dass eine der Frauen, die mit einem Straßennamen geehrt werden, ihren Doktortitel erschlichen hat? Nicht nur Männer machen sowas.
    Bald müssten auch Statuen herhalten

    Überhaupt kann man sich fragen, wozu Straßenumbenennungen gut sind, jedenfalls abgesehen von Hitler und Stalin, die in einer Adressenangabe nun wirklich allenfalls überzeugten Neonazis und Hardcore-Stalinisten zuzumuten sind, aber keinem Postzusteller. Umbenennungen von Straßennamen aus der deutschen Vergangenheit, von Preußen bis Deutsch-Südwestafrika verschaffen Anhängern der politischen Korrektheit ein gutes Gefühl. Aber warum in Kreuzberg haltmachen, wenn man am Wochenende über die Heerstraße die Stadt verlassen will?

    Und wenn man schon preußische Generäle nicht mehr erträgt, muss man konsequenterweise auch Statuen wie die von Moltke, von Roon und von Bismarck – der Mann hat mehrere Kriege angezettelt! - am Großen Stern schleifen, am besten gleich auch die bei japanischen Touristen so beliebte Siegessäule – allein dieser Name! – und im Grunde auch das Brandenburger Tor mit der Quadriga obendrauf.

    Und ehe sich im Zuge neuerer Forschung herausstellt, dass Kaiserin Augusta ihren Mann mit häuslicher Gewalt überzogen hat, sollte man ein für allem Mal sämtliche Berliner Straßen und Plätze durchnummerieren. Selbstredend ohne die 13.

    #Berlin #Stadtentwicklung #Politik #Straßenumbenennung