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Agent d’ingérence étrangère : Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.

  • AIDS im nachkolonialen Afrika - Auftakt zur Epidemie | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/AIDS-im-nachkolonialen-Afrika-Auftakt-zur-Epidemie-4437090.html?seite=all

    Welche Veränderungen führten in Zentralafrika zur Expansion von AIDS? Eine Fallstudie über Ursachen und Folgen von Massenverelendung und Flucht. AIDS als koloniales Überbleibsel - Teil 5

    Eine Gewebeprobe von 1959 beweist, dass HIV bereits in Léopoldville, der Hauptstadt des damaligen Belgisch-Kongo, existierte. Die Probe einer weiteren Person, 1960 unmittelbar nach der Unabhängigkeit am selben Ort genommen, zeigt bei der Virus-RNA bereits in 12% des genetischen Materials Abweichungen. Bei den bekannten Mutationsraten des Virus zeugt diese Verschiedenheit von einer jahrzehntelangen Evolution während der Kolonialperiode.1

    Die untenstehende Tabelle zeigt alle wesentlichen Verbreitungsmöglichkeiten, die im kolonialen Afrika eine Rolle spielten.
    Infektionsweg Risiko pro Kontakt
    intravenöse Injektion (medizin. Behandlung) 0,60%
    perkutane Nadelstiche (medizin. Behandlung) 0,20%
    heterosexueller (vaginaler) Geschlechtsverkehr <0,08%
    Mittlere Übertragungsrisiken von HIV-1 Gruppe M bei einer infizierten Quelle. Die Werte liegen erheblich höher, wenn sich der Überträger in der hochansteckenden Anfangsphase oder im Spätstadium befindet. Datenquellen: CDC (Centers for Disease Control and Prevention) Online [Stand: 18.4.2019] / Pépin J (2011): The Origins of AIDS. Cambridge University Press, Cambridge.

    Angesichts der niedrigen Übertragungswahrscheinlichkeiten und einer geringen Anzahl von Erstinfizierten konnte die Krankheit nur weiterexistieren, wenn Infizierte mit einer größeren Anzahl von Menschen in Kontakt kamen. Eine Schlüsselrolle spielten weitläufige Gesundheitskampagnen mit schlecht sterilisierten Instrumenten sowie die familienfeindlichen Zuzugsbeschränkungen einiger Städte, indem sie unbewusst zur Förderung der Prostitution beitrugen.

    Wie auch im Rest der Welt existierte Sex gegen Bezahlung bereits im vorkolonialen Afrika. Durch die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen während der Kolonialperiode erhielt das Gewerbe jedoch einen starken Aufschwung und wurde teilweise sogar gesellschaftsfähig. Innerhalb der Gesellschaft wuchs eine Risikogruppe, welche die Fortexistenz der Seuche sicherte.

    Dennoch gibt es während der Kolonialzeit keinen Hinweis auf eine geographische Ausweitung der Infektion über einen beschränkten Teil von Belgisch-Kongo und die angrenzenden französischen Territorien hinaus. Die Expansion auf den ganzen afrikanischen Kontinent und darüber geschah erst in Folge des kongolesischen Bürgerkriegs.
    Die Epidemie als Begleiterscheinung neokolonialistischer Machtpolitik

    Zum Verständnis des nachkolonialen Entwicklungssprungs der Seuche sind zwei Dinge wesentlich. Der wirtschaftliche Zusammenbruch und die einhergehende Verelendung förderten die Verbreitung von Krankheiten. Das ist wenig überraschend und war auch damals vorhersehbar. Jedoch war der unmittelbare Kollaps des jungen kongolesischen Staates keineswegs dem Unvermögen der Afrikaner geschuldet. Es war auch kein simpler Betriebsunfall in den kongolesisch-belgischen Beziehungen, wie die Historiker Ludo De Witte2 und Hugues Wenkin3 aufgrund von Archivdokumenten nachwiesen.

    Stattdessen handelte es sich um zielgerichtete Sabotage des damaligen Brüsseler Machtzirkels aus Politik, Wirtschaft und Militär. Sie schufen den Status Quo, der das Land bis heute beherrscht und neben den Metallen für die Elektronikindustrie ebenso billige Arbeitskräfte nach Europa exportiert. In diesem Sinne waren die 1960er Jahre nur ein kurzer Versuch der kongolesischen Unabhängigkeit, nach dessen blutiger Unterdrückung die wesentlichen ökonomischen Abhängigkeiten unverändert blieben.4

    Bis jetzt werden sie mit denselben Methoden aufrechterhalten, die das koloniale Getriebe schmierten: Gewalt und die Korruption einer einheimischen Oberschicht. Die resultierende Verelendung ist genauso unspektakulär wie die daran gekoppelte Elendsprostitution, welche der Seuche den Weg durch den Kontinent bahnte. Doch gegen Ende der 1950er Jahre sah es zunächst optimistischer aus.
    Ein Machtsystem zerfällt

    Für die kolonialen Völker zeigte der Zweite Weltkrieg ein anschauliches Beispiel der Schwäche ihrer Herren. Frankreich und Belgien wurden im Krieg von Deutschland besetzt und die Exilregierungen mussten sogar in den Kolonien rekrutieren lassen, um ihre Armeen aufzufüllen. Nach Kriegsende traten sowohl die USA als auch die Sowjetunion für eine Dekolonisierung ein, die in Asien begann. Internationale Konventionen forderten die Abschaffung der Zwangsarbeit.5

    Wie hoch das Misstrauen der Einheimischen gegenüber der Administration gestiegen war, lässt sich daran ermessen, dass sogar die prophylaktischen Maßnahmen gegen die Schlafkrankheit unpopulär wurden. Eine Reihe von „Betriebsunfällen“ mit Dutzenden von Toten, bedingt durch zwangsläufige Hygienemängel bei der Massenabfertigung, trug schließlich zu ihrer Einstellung in den meisten Kolonien bei.6 Politische Reformversuche, wie zumindest im französischen Machtbereich, kamen zu spät, da sie unglaubwürdig wirkten. Die Führungsschicht Belgisch-Kongos, die sich durch eine bemerkenswerte politische Blindheit auszeichnete, führte das Land statt zur Entkolonialisierung in eine humanitäre Katastrophe.
    Apartheid im Herzen Afrikas

    Um 1960 lebten etwa 88.000 Belgier im Kongo. In der Mehrzahl dem Mittelstand zugehörig, leisteten sie als Kleinhändler, Angestellte, Techniker, Lehrer und Ärzte ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Beim Überangebot billiger einheimischer Arbeitskräfte profitierten sie von Dienstleistungen, die ihnen in Belgien kaum zur Verfügung gestanden hätten. Hinzu kamen eine subventionierte Infrastruktur und rechtliche Freiheiten, welche ihnen das Bewusstsein oder besser gesagt die Illusion vermitteln sollte, zum Establishment zu gehören.

    Von den ausgesprochenen Nutznießern des Systems dürften nur die wenigsten jemals im Kongo gewesen sein. Gemeint sind die Aktionäre und Bosse der anglo-belgischen Union Minière du Haut-Katanga sowie anderer Großunternehmen im Rohstoffhandel.

    Die Verwaltung orientierte sich an Britisch-Indien. Ein Großteil der einheimischen Bevölkerung lebte auf dem Lande und unterstand ihren einheimischen Häuptlingen in traditioneller Gerichtsbarkeit. Wirtschaftszonen und Städte wurden dagegen direkt von der belgischen Administration gelenkt, der auch die afrikanischen Angestellten in Polizei, Militär und Verwaltung untergeordnet waren.7

    Die sichtbare Abgehobenheit der weißen Oberschicht, zementiert durch eine rassistische Gesetzgebung, wirkte wie eine Zielscheibe. Obwohl die Stadtbevölkerung sowohl ökonomisch als auch rechtlich besser als die Landbevölkerung stand, blieb sie einer strikten Rassentrennung unterworfen. Wie jede kongolesische Stadt bestand Leopoldville aus einem weißen und einem schwarzen Stadtteil mit getrennter Infrastruktur (Schulen, Krankenhäuser, Geschäfte, Kinos, Restaurants usw.) Über die Primarschule hinausgehende Bildungsmöglichkeiten waren für Afrikaner nicht vorgesehen, sodass es außergewöhnlichen Ehrgeiz erforderte, diese zu erkämpfen.

    Die höchste Stufe des sozialen Aufstiegs für einen Afrikaner war in Belgisch-Kongo an einen Einschreibungsnachweis (attestation d’immatriculation) geknüpft. Mit diesem Dokument war er rechtlich zumindest den weißen Ausländern, also Europäern ohne belgische Staatsbürgerschaft gleichgestellt. Sein Erwerb erlaubte die Mitnutzung der höherwertigen Infrastruktur, welche für die weiße Bevölkerung vorgesehen war.

    In einer abgeschwächten Vorstufe konnten sich Kongolesen um die Bescheinigung staatsbürgerlicher Leistung (carte du mérite civique) bemühen, welche unter anderem das Privileg einräumte, bei eventueller Bestrafung nicht mehr ausgepeitscht zu werden. (Für den Rest der Einheimischen wurde diese Praxis erst 1955 abgeschafft.) Mit dem Dokument galt ein Kongolese als „fast zivilisiert“, was verständlicherweise als Demütigung empfunden wurde. Doch die Etappen der Emanzipation waren an langwierige, oftmals entwürdigende Aufnahmeverfahren gebunden. Im Jahre 1959 waren unter 14 Millionen Kongolesen nur 1557 im Besitz der carte du mérite civique, während 217 von ihnen eine attestation d’immatriculation besaßen. (Details zur rechtlichen Abstufung, Vergabepraxis und den Auswirkungen findet man bei C. Braeckman8, N. Tousignant9 sowie D. Tödt10, letzteres in deutscher Sprache.)

    Hinter der Schikane stand ein durchdachtes System. Die belgische Oberschicht betrachtete die Politik ihrer französischen und britischen Nachbarn zur Formung einer einheimischen Elite als Fehler, da ebendiese früher oder später eine Machtkonkurrenz darstellen würde. Pas d’élites, pas d’ennuis! (keine Eliten, keine Scherereien) lautete der Wahlspruch, den man in einer Zeit umzusetzen versuchte, die vom Zerfall des weltweiten Kolonialsystems gezeichnet war.

    Die Herabstufung von Afrikanern zu Bürgern zweiter Klasse im eigenen Land und die gesetzlich verordnete Rassentrennung nach Hautfarben sorgten erwartungsgemäß dafür, dass rassistische Ressentiments von allen Richtungen Auftrieb erhielten. Gleichzeitig garantierte sie die enge Bindung der weißen Minderheit an das System, welches nicht nur ihre Lebensweise, sondern ihr physisches Überleben absicherte.
    Offene Arroganz wird den Mächtigen selten verziehen

    Am 4. Januar 1959 entwickelte sich in Leopoldville aus einer nichtgenehmigten Versammlung der Unabhängigkeitspartei Abako (Association des Bakongo pour l’Unification, l’expansion et de la Défense de la Langue Kikongo) plötzlich eine unerwartete Situation: Nach Schüssen eines Polizeibeamten zog eine Menschenmenge, der sich fast die Hälfte der afrikanischen Stadtbevölkerung anschloss, durch die Stadt. Ein harter Kern der Demonstranten randalierte. Zur Zielscheibe wurde alles, was sich irgendwie mit der weißen Hautfarbe assoziieren ließ: Einrichtungen und Personen, unabhängig von deren Geschlecht, Alter oder persönlicher Einstellung.

    Den Soldaten der kongolesischen Force Publique gelang es unter beträchtlichem Aufwand, das weiße Stadtviertel vor einer Plünderung zu schützen. Zur Bilanz der Ereignisse zählten zwischen 250 und 500 Toten unter der afrikanischen Bevölkerung und ein bleibender Schreck unter den Weißen.11 Erstmals in der Kolonialgeschichte wurden die afrikanischen Truppen durch ein beträchtliches Kontingent aus dem Mutterland ergänzt, während die belgische Regierung nun hastig darüber nachdachte, wenigstens die Filetstücke der Beute zu retten.

    Die Nutznießer des Systems (französische Karikatur). Um den Hauptprofiteur oben zu halten, musste man die beiden anderen durch geeignete Einheimische auswechseln. Bild: L’assiette au beurre, n 110, 1903 / BnF (Bibliothèque nationale de France).
    Machtwechsel?

    In der belgischen Bevölkerung, die keine ähnlichen Privilegien besaß und weniger von kolonialem Herrschaftsbewusstsein durchdrungen war, gab es kaum Opferbereitschaft, für eine abgehobene Kaste in einem Krieg fern der Heimat die eigene Haut zu Markte zu tragen. 1960 schwenkte die Regierung in Brüssel, die bisher starr am Kolonialstatus festgehalten hatte, innerhalb weniger Monate überraschend um. Falls Unabhängigkeit darin besteht, durch Korruption einer kleinen lokalen Oberschicht in den Besitz aller wesentlichen Güter zu kommen, wäre sie sogar rentabler als das alte System. Im Grunde war die Idee nicht einmal originell, sondern nur die Erweiterung des erprobten Prinzips, Drecksarbeit durch eine gekaufte Schicht Einheimischer erledigen zu lassen.

    Unter der Vielzahl regional und ethnisch organisierter politischer Bewegungen unterschied sich der MNC (Mouvement National des Congolais) durch seine Offenheit, die gesamte Bevölkerung von Belgisch-Kongo zu repräsentieren. Eine seiner Führungspersönlichkeiten war der charismatische Patrice Lumumba. Zu den Erwerbstätigkeiten des jungen Teilzeitjournalisten gehörte auch die Arbeit als Handelsvertreter und kaufmännischer Direktor einer Brauerei - für Kongolesen damals eine ungewöhnlich hohe Position.

    Es gibt wenig Grund zur Annahme, dass Lumumbas Ansichten kommunistisch geprägt waren. Bereits im Anschluss an die Brüsseler Verhandlungen im Februar 1960 hatte er sich in die BRD begeben, um vor Vertretern aus Politik und Wirtschaft eine schriftliche Garantie zum pro-westlichen Kurs seiner Partei abzugeben (siehe T. Gülstorff12). Er ließ es jedoch an der nötigen Unterwürfigkeit fehlen, als König Baudouin in seiner Abschiedsrede am 30. Juni 1960 die zivilisatorischen Verdienste von Léopold II lobte. Damit hatte er sich als Vertreter belgischer Interessen disqualifiziert.

    Wegen des katastrophalen Fachkräftemangels wäre auch ein unabhängiger Kongo auf die Hilfe belgischer Spezialisten angewiesen. Eine Gruppe von Politikern, Militärs und Technokraten beschloss, diesen Zustand auszunutzen.

    Der Historiker Hugues Wenkin veröffentlichte 2017 ein vom 12. Juli 1960 datiertes Memorandum. Das Papier aus der Feder eines Beraters von Ministerpräsident Eyskens wurde zur Vorbereitung einer Kabinettssitzung verfasst, wo die Errichtung eines Militärprotektorats über die ehemalige Kolonie diskutiert werden sollte. Gleichzeitig sollte die Abspaltung einzelner Regionen gefördert werden. „Im Interesse des Kongo und von Belgien“ wurde außerdem die Ermordung von Lumumba ins Auge gefasst. (Der vollständige Text in französischer Sprache findet sich bei Wenkin13, S. 204.)

    Unter Berücksichtigung dieser Notizen erscheinen historische Ereignisse in einem anderen Licht. Am 5. Juli 1960, sechs Tage nach der Unabhängigkeitserklärung, provozierte Generalleutnant Émile Janssens seine afrikanischen Untergebenen in der Kaserne von Léopoldville mit einer Rede14, wobei er den Spruch „avant l’indépendance = après l’indépendance“ (vor der Unabhängigkeit = nach der Unabhängigkeit) an eine Wandtafel schrieb. Aufgrund ihrer Herkunft hatten Kongolesen auch künftig keinerlei Beförderung in höhere Offiziersränge zu erwarten.

    Général Janssens im Gespräch mit dem kongolesischen Premier Patrice Lumumba. Bild: H. Wenkin, mit freundlicher Genehmigung der Edition O. Weyrich

    Es war dieselbe alte Arroganz der Macht, welche nun eine Rebellion der Armee entfachte. In der Kaserne von Thysville kam es zu brutalen Übergriffen der Soldaten auf ihre Vorgesetzten und deren Familien. Ehefrauen der Offiziere wurden vor den entsetzten Augen ihrer Kinder von Soldaten vergewaltigt. Die Unruhen griffen rasch auf Truppeneinheiten in Luluabourg, Élisabethville und Matadi über, wo sie von wahllosen Plünderungen der weißen Stadtviertel begleitet wurden. Während Lumumba die Auflösung seiner Armee vor Augen stand, erhielt er von den ehemaligen Machthabern ein „Hilfeangebot“.15 Sie hatten ihre Truppenkontingente zuvor beträchtlich aufgestockt und glaubten sich imstande, ihre technische Überlegenheit ausspielen zu können.

    Wäre die militärische Unterstützung von der kongolesischen Regierung angenommen worden, so hätte sie ihren Rückhalt in der Bevölkerung verloren und wäre de facto wieder in die alte Abhängigkeit zurückgekehrt. Lumumba lehnte folgerichtig ab, entließ stattdessen Janssens und startete zusammen mit dem Präsidenten Kasavubu eine Reise durch das Land. Vor den Kasernen leitete er umgehend die Afrikanisierung der Kader ein, wodurch sich die Situation vor Ort sichtlich beruhigte. Indessen hatte das belgische Kabinett ungefragt beschlossen, das Problem auf seine eigene Art zu lösen.
    Intervention unter humanitärem Vorwand

    Für die nachfolgenden Ereignisse sei das Buch des Militärhistorikers Hugues Wenkin16 (in französischer Sprache) empfohlen.

    Während die beiden kongolesischen Politiker die Situation in den Kasernen schrittweise unter Kontrolle brachten, ließ die Regierung Eyskens belgische Truppen „zum Schutz ihrer Landsleute“ anrücken. Es kam zu Gefechten mit kongolesischen Einheiten, womit die Feindseligkeiten gegen weiße Zivilisten wieder Auftrieb erhielten. In Matadi endete die gesamte Militäroperation in einem Debakel. Die Belgier verloren die Kontrolle über die Hafenstadt, welche nun einer zweiten Plünderungswelle ausgesetzt war. Infolge des Verlustes dieses Verkehrsknotenpunkts kam es auch in der Hauptstadt Léopoldville zu schweren Versorgungsengpässen. Es war der Beginn des wirtschaftlichen Niedergangs im ganzen Lande.

    Am 12. Juli fand in Brüssel die bemerkenswerte Kabinettssitzung hinter verschlossenen Türen statt, in welcher das neokoloniale Projekt und der Mordplan gegen Lumumba und seinen Minister Anicet Kashamura zur Sprache kamen.

    Elitetruppen der Chasseurs ardennais im Hafen von Matadi. Bild: H. Wenkin, mit freundlicher Genehmigung der Edition O. Weyrich

    Erst nach dem Einspruch des UN-Sicherheitsrats lenkte die belgische Regierung ein. Die Provinz Katanga behielt sie trotzdem unter ihrer Kontrolle. Dort gab es weit mehr als die Landsleute zu schützen. Durch seinen Reichtum an Bodenschätzen war das Gebiet für die anglo-belgische Bergbaugesellschaft Union Minière du Haut Katanga (UMHK) von zentraler Bedeutung. Mit einem Anteil von 70% der Landeseinkünfte galt Katanga als unbestrittenes Filetstück der Kolonie. Seine Abtrennung bedeutete nicht nur die Kontrolle über den Reichtum, sondern zugleich die wirtschaftliche Strangulation des verbleibenden Kongo, der damit erpressbar blieb.

    Die Aufnahme aus den 1940er Jahren zeigt die Uranmine von Shinkolobwe, welche von der Union Minière du Haut Katanga betrieben wurde und das Material zur Herstellung der Atombomben für Hiroshima und Nagasaki lieferte. Während des Zweiten Weltkriegs besaß Belgisch-Kongo als Rohstofflieferant (Uran, Kautschuk) eine hohe strategische Bedeutung für die USA. Bild: Public Domain

    Nachdem belgische Truppen die meuternde Garnison von Élisabethville (Lubumbashi) am 10. Juli entwaffnet hatten, übertrugen sie dem Lokalpolitiker Moïse Tshombé pro forma die politische Macht. Tshombé besaß zwar nicht die Popularität Lumumbas, genoss aber das Vertrauen der Schwerindustrie. Bereits am 11. Juli verkündete er - umringt von belgischen Beratern - die Sezesssion. Für die nächsten Jahre schuf er tatsächlich auf kleinerem Raum das in Brüssel erträumte Protektorat, konnte sich jedoch nur mit Hilfe weißer Söldner halten.

    Nach dem Beispiel Katangas flackerten Erhebungen im ganzen Kongo auf. Der verzweifelte Premier des krisengeschüttelten Landes wandte sich um Unterstützung an die USA, welche ihn komplett ignorierte. Dieses Desinteresse wandelte sich schnell in Feindseligkeit, als Lumumba ein Hilfegesuch an die Sowjetunion richtete und tatsächlich eine Zusage erhielt.

    Der Mordplan kam zur Ausführung - sein Ablauf wird ausführlich bei De Witte17 geschildert. Auf Anraten belgischer Berater ließ Präsident Kasavubu seinen Premierminister fallen und sicherte mit diesem Schritt seine eigene politische Zukunft. Mithilfe belgischer Söldner und der CIA wurde Lumumba schließlich am 17. Januar 1961 umgebracht - den schmutzigsten Teil überließ man dem neuen Vertrauensmann Tshombé - und schließlich durch Oberst Mobutu ersetzt, dessen Kleptokratie das Land bis 1997 im Verbund mit westlichen Rohstofffirmen ausplünderte. Der begonnene Bürgerkrieg hält bis jetzt große Landesteile gefangen.

    Mobutu Sese Seku, späterer Präsident von Zaire und Handlanger beim Mord an Lumumba, wurde in Washington mit offenen Armen empfangen. Hier bei Gesprächen mit Präsident Nixon am 10.Oktober 1973. Bild: Jack E. Kightlinger, U.S. federal government / Public Domain
    Kollaps einer Gesellschaft

    Auch ohne das erwähnte Memorandum aus dem Kabinett Eyskens ist klar zu sehen, dass die belgische Politik gegen Ende der Kolonialzeit die Abhängigkeit des Kongo um jeden Preis erhalten wollte. Der bereits vor der Unabhängigkeit eingeleitete Wirtschaftskrieg zielte auf die Schwächung der kongolesischen Ökonomie und nahm die Verarmung der Bevölkerung bewusst in Kauf. Kurz vor dem 30. Juni 1960 verlegte die Union Minière du Haut Katanga ihren Hauptsitz nach Belgien, um möglichen Steuerforderungen des kongolesischen Staates zu entkommen. Dem jungen Land wurde außerdem die gesamte Verschuldung aufgebürdet, welche die Kolonie zwischen 1950 und 1959 angehäuft hatte.18

    Als Kolonialmacht hatte Belgien dafür gesorgt, dass der Anteil Einheimischer mit Studienabschluss - mit Ausnahme von Theologen - nahezu bei null lag. Nach der Unabhängigkeit wurden die belgischen Fachkräfte abgezogen oder flüchteten vor den Bürgerkriegswirren. In weiten Teilen des Landes brach die medizinische Versorgung zusammen und den Schulen fehlten die Lehrer. Betriebe schlossen, was wegen fehlender Zulieferung und Absatz eine Kettenreaktion wirtschaftlicher Bankrotte auslöste. Durch Krieg und Elend schnellte die Arbeitslosigkeit in ungeahnte Höhen.
    Die AIDS-Rate steigt an

    Das von Kampfhandlungen verhältnismäßig verschonte Kinshasa, ehemals Léopoldville, wurde zum Zufluchtsort von Flüchtlingsströmen aus verschiedenen Landesteilen. Nun führte das Überangebot sexueller Dienstleistungen bei gleichzeitiger Verarmung seiner Kunden im Gewerbe zu einem Preisverfall, der den Frauen eine Massenabfertigung aufzwang. In dieser Situation entwickelte sich die Elendsprostitution, die schrittweise für die weitere Verbreitung des HI-Virus sorgte.19 In den 1970er Jahren wurde die staatliche Gesundheitsfürsorge der über 7000 städtischen Prostituierten schließlich aus Kostengründen eingestellt. Staatsausgaben waren der Bereicherung des Machthabers Mobutu und seines Freundeskreises untergeordnet.

    Das stetige Ansteigen der HIV-Rate bis in die 1990er Jahre stellte zunehmend eine Gefährdung der Bevölkerung dar und ist in Kinshasa durch archivierte Gewebeproben aus Geburtskliniken dokumentiert. Während die Rate um 1970 unter jungen Müttern noch bei 0,25% lag, befand sie sich zehn Jahre später bereits bei 3%. In anderen afrikanischen Städten ließ sich zeitlich verzögert eine ähnliche Entwicklung nachweisen, wobei das Virus umso rascher eintraf, je besser die Verkehrsanbindung war. HIV-1 reiste buchstäblich auf Eisenbahnschienen.20 Es setzte sich zuerst in den Zentren der Prostitution fest, von wo es in die Mitte der Gesellschaft gelangte.
    Globalisierung 1.0

    Selten konnte die Entstehung eines Krankheitserregers so gut beobachtet werden wie bei der Pandemie HIV-1 M. Auffällig ist die Verschiedenheit der Einflussfaktoren und ihr grenzübergreifendes Zusammenwirken. Die Entstehungsgeschichte von AIDS lässt sich als Episode einer Globalisierung verstehen, in der sich maßlose Profitgier mit neuen technischen Möglichkeiten verband, deren Folgen überhaupt nicht absehbar waren.21 Der Mensch wurde zur Ressource und zum Kostenfaktor degradiert, die frei von jeder sozialen Bindung an einen beliebigen Einsatzort verschoben werden konnte.

    Zur Rekrutierung billiger, flexibler Arbeitskräfte zerstörte man planmäßig Gesellschaftsstrukturen. Gleichzeitig priesen Propagandisten das neue Modell nach außen als Fortschritt und Befreiung, obwohl seine Ungerechtigkeiten offensichtlich waren. Sie missbrauchten wahre Spitzenleistungen der Forschung zur Verbreitung der Illusion, Probleme seien rein technologisch lösbar. Dieser Ansatz verengte die kritische Sicht und führte bei der Seuchenbekämpfung zur Eskalation anstelle einer Lösung.

    Um die wirtschaftliche Emanzipation schließlich zu verhindern, führten die Machthaber eine rücksichtslose Doppelstrategie aus Wirtschaftskrieg und Intervention, die unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe kaschiert wurde. Man installierte Banditen und ließ die Bevölkerung eines ganzen Landes in den freien Fall der Verelendung abgleiten.

    Frankreich überbringt Marokko die Gaben der Zivilisation, des Reichtums und des Friedens. Bild Le petit Journal vom 19.11.1911.

    Die Verbrämung des Kolonialsystems als großmütig helfende Hand ist so verlogen, wie es nicht besser als in der Persönlichkeit von Carl Peters (1856-1918), dem Gründer von Deutsch-Ostafrika, zum Ausdruck kam. Während er feierlich die Abschaffung der Sklaverei proklamierte, hielt er sich einen ganzen Harem von Sexsklavinnen. Ebenso richtet sich Inhumanität niemals nur gegen „fremde Rassen“, sondern ist universell. Der weiße Bevölkerungsteil des Kongo blieb stets Geisel des starren Machtsystems. Letztlich durften die Flüchtlinge - ganz gleich, welcher Hautfarbe - den Preis für das Scheitern der belgischen Eskalationspolitik zahlen. Die Verantwortlichen übernahmen weder Verantwortung, noch wurden sie jemals zur Verantwortung gezogen.

    Teile des Puzzles zeigen eine erschreckende Aktualität. Zur Erschaffung einer globalen Bedrohung wie AIDS bedarf es keiner Geheimlabors oder Verschwörungen. Gewöhnlicher Raubtierkapitalismus mit der unvermeidlichen Portion Dummheit reichen aus.

    Die Biologin Lynn Margulis vermutete, dass sich die selten beobachtbare Entstehung neuer Arten oft durch neue Wechselwirkungen zwischen Arten vollzieht. Mit fortschreitender Technologie wachsen die menschlichen Möglichkeiten zur - bewussten wie auch unbewussten - Teilnahme. Die Folgen sind nicht kalkulierbar - umso mehr, wenn der Antrieb durch Größenwahn und Profitgier bestimmt wird.

    #SIDA #histoire #colonialisme