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  • Noch längere Arbeitszeiten für Fernbusfahrer? Das hat die EU diese Woche abgelehnt. Im Interview berichtet der Fahrer Peter Saul, dass es auch jetzt 16-Stunden-Tage gebe.
    Interview: Muriel Kalisch 9. Juli 2018

    „Das Problem sind Tricksereien von Busunternehmen“

    Verschlechtert sich die Lage der Fernbusfahrer weiter? Werden sie künftig bis zu 16 Stunden am Stück arbeiten müssen? Vorerst gibt es Entwarnung: In dieser Woche wurde das neue EU-Mobilitätspaket, das längere Lenkzeiten vorgesehen hatte, in Teilen vom Parlament zurückgewiesen. Indessen kritisieren Gewerkschaften den gestiegenen Druck auf die Fahrer durch die Billigreiseanbieter. Wie bewerten Fernbusfahrer selbst ihre Arbeitsbedingungen? Peter Saul* fährt seit 24 Jahren Reisebusse. Derzeit ist er fest angestellt in einem kleinen Unternehmen und sagt: Das Problem sei, dass Unternehmen tricksen, die Fahrer daher nicht genügend Ruhezeiten einlegen und zu lange arbeiten würden.

    ZEIT ONLINE: Herr Saul, die verlängerten Arbeitszeiten wurden vom EU-Parlament abgelehnt: Sie müssen jetzt doch nicht 16 Stunden am Stück arbeiten. Beruhigt Sie das?

    Peter Saul: Kein bisschen. Das Problem sind ja nicht die offiziellen Arbeitszeiten, sondern die vielen kleinen Tricksereien einiger Arbeitgeber.

    „Würden meine vorgegebenen Arbeitszeiten meinen realen entsprechen, dann hätte ich kein Problem.“
    Peter Saul*, Busfahrer
    ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?

    Saul: Würden meine vorgegebenen Arbeitszeiten meinen realen entsprechen, dann hätte ich kein Problem. Aber ich überziehe ständig, weil die Fahrpläne der Busunternehmer oft nicht realistisch kalkuliert sind. Ein Beispiel: Auf der Strecke Münster bis München fahren wir zu zweit und sollen für die Hin- und Rückfahrt insgesamt 21 Stunden benötigen, dabei ist eine einstündige Pause eingerechnet. Ich bin diese Strecke schon sehr oft gefahren – die Pause habe ich nur einmal geschafft.

    ZEIT ONLINE: Wie sieht Ihre vorgesehene Arbeitszeit aus?

    Saul: Um fünf Uhr morgens stecke ich meine elektronische Personalkarte im Fahrzeug ein. Dann beginnt meine Schicht offiziell. Der elektronische Fahrtenschreiber zählt dann mit. Ich darf neun Stunden am Tag am Lenkrad sitzen, nach viereinhalb Stunden muss ich 45 Minuten Pause machen. Insgesamt darf ich zwölf Stunden arbeiten.

    ZEIT ONLINE: Wie viel arbeiten Sie wirklich?

    Saul: Natürlich besteht meine Arbeitszeit nicht nur aus der reinen Fahrzeit. Vor der Abfahrt kontrolliere ich das Fahrzeug, verlade Koffer und nehme die Fahrgäste auf. Nach den Fahrten leere ich die Toiletten und säubere den Bus vom Müll der Fahrgäste. Auch während der Fahrt muss ich immer wieder Fragen beantworten: „Bekomme ich meinen Anschluss in München?“ Oder: „Ich würde gerne in acht Wochen an einem Montag zurückfahren …“ Mit meiner Arbeitszeit von zwölf Stunden komme ich da kaum hinterher. Das sind eher 16 bis 17 Stunden.

    „Wenn ich nur fünf bis sechs Stunden schlafe, wie soll ich dann am nächsten Tag ausgeruht weiterfahren?“
    ZEIT ONLINE: Sie fahren auch außerhalb von Deutschland, zum Beispiel bis nach Spanien. Wie lang sind Ihre Pausen auf solchen Reisen?

    Saul: Bin ich mit dem Bus so weit weg, dass ich nicht zu Hause schlafen kann, sind neun Stunden Nachtruhe für mich eingeplant. Aber die lassen sich kaum einhalten. Oft brauche ich eine Stunde bis zum Hotel; manchmal komme ich dort an und erfahre, dass man mir doch ein anderes Hotel reserviert hat – dann geht’s also wieder los. Dadurch wird meine Pause künstlich verringert, ich schlafe in solchen Nächten meist nur fünf bis sechs Stunden. Am nächsten Tag soll ich dann ausgeruht weiterfahren – wie soll das gehen?

    ZEIT ONLINE: Das EU-Mobilitätspaket sah vor, dass Fahrer fortan auch im Inland zwölf Tage am Stück fahren sollten – also länger als die bisherigen sechs Tage. Wie lange dauert Ihre Arbeitswoche für gewöhnlich?

    Saul: Ich fahre auch heute schon im Inland zwölf Tage am Stück, auch wenn man offiziell nur sechs Tage hintereinander fahren darf. Es gibt einen Trick, den Arbeitgeber gerne nutzen: Da ich nahe an der holländischen Grenze wohne, muss ich nur einmal rüberfahren. Dann denkt der Fahrtenschreiber, dass ich im Ausland war – und zählt wieder von vorn. So kann ich zwölf Tage eingesetzt werden – die maximale Tageszahl für Auslandsfahrten.

    ZEIT ONLINE: Gibt es noch andere solcher Tricks?

    Saul: Viele Busunternehmen bieten Fern- und Linienverkehr an. Der Busfahrer, der den Fernbus lenkt, ist vorher manchmal schon sechs Stunden Linienbus gefahren – da gibt es keinen Fahrtenschreiber.
    „Ich bin schon ein paar Mal in den Sekundenschlaf gefallen“
    ZEIT ONLINE: Was machen Sie, wenn Sie müde werden?

    Saul: Dann heißt es: irgendwie wach halten. Ich trinke Kaffee oder Red Bull, esse Obst – das hält nur leider nicht lange an. Ich bin schon ein paar Mal in den Sekundenschlaf gefallen. Dann halte ich bei der nächsten Möglichkeit an. Das passiert meiner Erfahrung nach vielen. Ich habe gerade erst mit einem Kollegen gesprochen, der kürzlich eingeschlafen ist und eine Leitplanke gestreift hat – zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert.

    ZEIT ONLINE: Ein Unfall ist nicht nur tragisch, sondern schlecht für das Image der Busunternehmen.

    „Früher gab es auf Fahrten nach Spanien nur einen Fahrer. Heute müssen wir zu zweit sein, um uns abzuwechseln.“
    Saul: Nur wenn sie öffentlich werden. Wenn in den Medien diskutiert wird, ob Fernbusse sicher sind, weil es schon wieder einen Unfall gegeben hat, dann müssen auch die Unternehmer reagieren. Früher gab es zum Beispiel auf Fahrten nach Spanien nur einen Fahrer. Heute müssen wir zu zweit sein, um uns abzuwechseln.

    ZEIT ONLINE: Im Jahr 2013 wurde der innerdeutsche Fernverkehr für Reisebusse geöffnet – bis dahin fuhren Fernbusse nur ins Ausland. Seitdem bietet FlixBus günstige Fahrten durch ganz Deutschland an. Wie hat das Ihre Arbeitswelt verändert?

    Saul: Am Anfang war das großartig – viele Jobs, viele Ziele. Ich habe damals für einen großen Unternehmer gearbeitet, der inzwischen durch FlixBus vom Markt verdrängt wurde. Doch es gab schnell Probleme: Fahrpläne wurden geschrieben, die unmöglich einzuhalten waren. 40 Minuten von Düsseldorf nach Köln, zur Hauptverkehrszeit. Da hatten wir immer eineinhalb Stunden Verspätung – und die ging auf die Pausenzeiten der Fahrer. Ich hab irgendwann gesagt: Noch so ein Fahrplan und ich bin raus. Und das war ich dann auch. Aber es gibt immer jemanden, der bereit ist, zu solchen Konditionen zu arbeiten.

    ZEIT ONLINE: Wie viel verdienen Sie?

    Saul: Ich verdiene monatlich etwa 2.000 Euro brutto. Es gibt schon heute Fahrer aus anderen Ländern, die sich für den Mindestlohn anstellen lassen. Es gibt zwar Tarifverträge, aber die sind weder flächendeckend noch zwingend. Nicht alle Unternehmen sind daran beteiligt. Ich würde dafür nicht fahren. Da suche ich mir lieber eine Putzstelle und trage ein geringeres Risiko. 13 bis 14 Euro Stundenlohn sollten es schon sein.

    ZEIT ONLINE: Warum reagieren die Gewerkschaften erst jetzt, bei drohender Verschlechterung der Verhältnisse?

    Saul: Das weiß ich nicht. Auch die Polizei kennt die Arbeitsverhältnisse in meiner Branche. Einmal geriet ich in Mannheim in eine Polizeikontrolle. Das ist normal: Die Polizisten sollen kontrollieren, ob wir schon zu lange fahren. Ich hatte die Zeiten eingehalten, aber ein anderer Kollege saß schon zu lange hinterm Steuer. Die Polizisten mussten ihn deshalb anzeigen. Einer der Beamten sagte zu mir: „Ich gebe das jetzt weiter, aber mit 99 prozentiger Wahrscheinlichkeit landet der Fall in der Ablage P – dem Papierkorb.“ Es interessiert am Ende halt doch niemanden, wie wir arbeiten.

    *Der Redaktion ist der echte Name des Fahrers bekannt. Er möchte anonym bleiben, um seine Anstellung nicht zu gefährden.

    #Arbeit #Busfahrer