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Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.

  • Das Schicksal vieler Kurkinder : Mit Medikamenten ruhiggestellt
    https://www.swr.de/report/das-schicksal-vieler-kurkinder-mit-medikamenten-ruhiggestellt/text-des-beitrags-mit-medikamenten-ruhiggestellt-das-schicksal-vieler-kurkinder/-/id=233454/did=25298206/mpdid=25320684/nid=233454/1wnnf91/index.html

    Moderation Birgitta Weber:

    Sehen Sie sich die Fotos mal an. Fällt Ihnen etwas auf? Die Kinder auf den Fotos, sie lachen nicht, sie blicken ernst, traurig und verstört.

    Es sind Fotos von sogenannten Verschickungskindern - Kinder, die von den 50er bis in die 80er Jahre hinein in Kuren geschickt wurden. Sie sollten aufgepäppelt werden. Doch oft wurden sie gequält, erniedrigt und drangsaliert. Viele sind bis heute traumatisiert.

    Ulrich Neumann und Philipp Reichert haben darüber vor einem Jahr zum ersten Mal berichtet, seitdem lässt sie dieses Thema nicht mehr los.

    Ihre Recherchen haben nun einen neuen, ungeheuerlichen Verdacht zutage gefördert. Um die Kinder ruhig zu stellen, war in einigen Heimen offenbar jedes Mittel recht.

    Bericht:

    O-Ton, Detlef Lichtrauter, ehem. Verschickungskind:

    „Wir kamen hierhin, wurden reingeführt, und es ging direkt in diesem typischen Befehlston, der ja auch von den Angestellten übernommen wurde. Dann ging es sofort in den Keller. Die Sätze, die gesprochen wurden, waren meist ja Zwei-Wort- oder Drei-Wort-Sätze. Hinsetzen, runtergehen, Mund halten.“

    O-Ton, Sigrid Bluschke, ehem. Verschickungskind:

    „Ja, und dann so die Tracht Prügel immer mit dem Holzlatschen. Wenn man bei der Mittagsruhe die Augen aufhatte, zack, kriegte man einen drüber.“

    Gemeinsam mit zwei ehemaligen Verschickungskindern sind wir in Bonn-Oberkassel. Diese stilvolle Villa am Rhein war ab den 50er-Jahren ein Kurheim für Kinder, umgeben von einem idyllischen Park.

    Also eigentlich ideale Bedingungen, damit sich Kinder erholen. Doch was hier passierte, war das krasse Gegenteil.

    Sigrid Bluschke und Detlef Lichtrauter sind zum ersten Mal wieder hier, 50 Jahre nach ihrer Kur. Beide haben eine besonders grausame Erinnerung, die sie bis heute quält.

    O-Ton, Sigrid Bluschke, ehem. Verschickungskind:

    „Beim Frühstücken wurden dann alle Kinder aufgerufen, die dann nach vorne kommen mussten und haben dann alle die Spritze gekriegt. Aber wofür und wogegen die wirklich sein sollte oder ob die ihren Sinn und Zweck erfüllen sollte… Ich glaube nicht, dass das irgendjemand weiß.“

    O-Ton, Detlef Lichtrauter, ehem. Verschickungskind:

    „Doktor Müller hat nicht nur als Einleitung für die Spritze jedem Delinquenten noch mal auf den nackten Hintern geschlagen, sondern er hat diese Spritze nicht so gegeben, wie jeder normale Arzt die gibt, sondern hat die Spritze wirklich ins Hinterteil reingerammt, sodass man draußen hören konnte, wie jedes Kind aufgeschrien hat, heulend rauskam. Und diese Prozedur wiederholte sich dann mit jedem Kind.“

    O-Ton, Sigrid Bluschke, ehem. Verschickungskind:

    „Ich glaube auch nicht, dass da jemand Gefühle für Kinder hatte.“

    O-Ton, Detlef Lichtrauter, ehem. Verschickungskind:

    „Nein, definitiv nicht. Es ist diese Hilflosigkeit, die man spürt. Dieses Ausgeliefertsein, sich nicht wehren zu können. Diese Demütigung.“

    Und ihre Schilderungen finden wir bestätigt. Im Bonner Stadtarchiv stoßen wir auf diese Akte. Sie dokumentiert, dass Kinder im Haus täglich mit Schmerzmitteln und Psychopharmaka traktiert wurden.

    Der Arzt, zugleich Heimleiter, weist an: „Sedieren, sedieren, bis er im Stehen einschläft“, gibt eine Mitarbeiterin zu Protokoll. Und: „Viele Kinder könnten oft morgens und nach dem Mittagsschlaf kaum zu sich kommen und torkelten umher.“

    Rund 1.000 solcher Kurheime gab es bis in die 80er-Jahre. Millionen Kinder wurden dorthin verschickt. REPORT MAINZ hat über ihr Martyrium schon mehrfach berichtet.

    Sylt vergangenes Jahr im November: Ehemalige Kurkinder treffen sich das erste Mal. Wir sind dabei als ein ungeheuerlicher Verdacht aufkommt.

    O-Ton:

    „Ich weiß, dass es bis ich zehn war keinen Kuraufenthalt gab, wo ich nicht morgens oder abends zwei oder drei Pillen gekriegt habe.“

    O-Ton:

    „Mir hat man auch was verabreicht und ich weiß bis heute nicht, was das war.“

    O-Ton, Anja Röhl, ehem. Verschickungskind:

    „In diesen drei Teesorten Tees waren unterschiedliche Konzentrationen von Sedativa drin. Es gab den Tee eins mit weniger Konzentration, den Tee zwei mit mehr und den Tee drei mit den stärksten Konzentrationen der Sedativa. Und ein Kind, was ein bisschen zappelig war, kriegte Tee drei.“

    Auf der Konferenz mit dabei - die Pharmazeutin Sylvia Wagner. Inzwischen hat sie weitergeforscht.

    O-Ton, Sylvia Wagner, Pharmazeutin:

    „In Kindererholungsheimen sind Medikamente zur Sedierung eingesetzt worden, wenn Kinder unruhig waren, Heimweh hatten oder einfach damit sie schlafen. Und das hat dann ja keine medizinische Indikation, sondern es hat einfach den Hintergrund, dass die Einrichtung dadurch dann besser funktioniert.“

    Manfred Lucha, Vorsitzender der Sozialministerkonferenz, ist inzwischen auch mit dem Thema Kurkinder vertraut:

    O-Ton, Manfred Lucha, Bündnis 90 / Die Grünen, Vorsitzender Sozialministerkonferenz:

    „Wir blicken bisweilen in Untiefen. Und vor allem ist für uns wichtig als Vertreter der staatlichen Fürsorge auch aufzuzeigen, was da schlecht war, was vielleicht sogar ungesetzlich war, was zumindest moralisch sehr verwerflich war, das müssen wir aufarbeiten.“

    1976 wird dieses Kurheim geschlossen. Der Grund laut Akten: die angsteinflößenden Spritzen.

    Der Pharmakologe Prof. Glaeske hat die Akten geprüft. Seine Einschätzung:

    O-Ton, Prof. Gerd Glaeske, Pharmakologe:

    „Die Therapie ist weder nachvollziehbar, noch zugelassen. Und das finde ich bei Kindern, die noch im Wachstum begriffen sind, eigentlich ein Skandal, weil man dann sozusagen auch die Kinder schädigt, möglicherweise auf Dauer. Und das ist etwas, was ich nur schwer ertragen kann, so etwas zu lesen, weil es im Prinzip heißt: Hier wird mit chemischer Gewalt ein Kind tatsächlich ruhig gehalten.“

    Sigrid Bluschke und Detlef Lichtrauter haben ihre Kur bis heute nicht vergessen. Die Folgen spüren sie noch immer. So wie viele andere ehemalige Verschickungskinder.

    O-Ton, Detlef Lichtrauter, ehem. Verschickungskind:

    „Vor zehn Jahren, auch aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, die daraus erwachsen ist, kamen diese Gedanken, die Erinnerungen in Form von Träumen, von Alpträumen immer weiter hoch.“

    O-Ton, Sigrid Bluschke, ehem. Verschickungskind:

    „Und irgendwie vergisst man das nicht.“

    Stand: 29.7.2020

    #pédagogie #éducation #enfance #Allemagne #nazis