Taxi

Reality Check - Geschichten rund ums Taxi in Berlin und weltweit - Materialsammlung, Bilder, Videos, Texte

  • Bodo hat den Blues
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    Taxifahrer fühlen sich als Verlierer der Krise. Sie werden verdrängt. Unterwegs mit einem, dem die Kunden fehlen und der noch was aus dem Kofferraum holen muss.

    23.12.2020 von Paul Linke - BerlinAls vor ihm die Bremslichter angehen, setzt Bodo Eckardt den Blinker, beschleunigt und vergisst, dass er arbeitslos ist. Ein früher Nachmittag im Dezember, Rückstau auf der Leipziger Straße Richtung Alexanderplatz. Die Leute wollen noch dies besorgen, müssen noch das erledigen, bevor sie fast nichts mehr dürfen. Lockdowndämmerung. Geschenkeschlusspanik. Und Eckardt hat den Blues. Seine Kunden, der Plausch über die Schulter hinweg, das fehlt ihm. „Merkt man, wa?“

    Eckardt hat wieder ausgeschlafen, sich diesmal rasiert, er fährt den kleinen Hyundai seiner Frau, auf dem Armaturenbrett sucht ein Glücksengel den Augenkontakt. Der Verkehr stockt, stoppt, steht. Nur die rechte, für Busse und Taxis reservierte Spur ist noch frei. Und gerade als dort einer dieser besonders eiligen, besonders dreisten Autofahrer an allen vorbeischießt, erinnert Eckardt sich wieder. Er schüttelt den Kopf. Lacht in sich hinein. Lässt den Blinker zurückschnalzen und bleibt auf der Mittelspur, in der Gemeinschaft der Wartenden, der er jetzt angehört.

    Bodo Eckardt, 57 Jahre alt, war bis Ende Oktober berechtigt, die Busspur zu nutzen, als Taxifahrer, als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs. Nach zwölf Jahren war Schluss. Wegen Corona. Kein Kino, kein Theater, keine Kneipenbesuche, überhaupt keine Veranstaltungen mehr. Die Kunden stiegen immer seltener ein, die langen Fahrten blieben aus. Manchmal stand Eckardt vier Stunden an der Halte. Radio Eins, Deutschlandfunk, bis er mitsprechen konnte, weil sich die Nachrichten im Halbstundentakt wiederholten.

    Vor einem Jahr gab es 1000 Taxis mehr in Berlin 
    Er zückte ständig das Handy, öffnete die App, um die Wartezeiten an den anderen Halten zu checken, schaute bei Facebook nach, wo Kollegen sich früher über Blitzer aufregten oder um Hilfe baten, weil irgendwas mit dem Taxameter nicht stimmte. In den Gruppen schrieb kaum noch jemand. Dann machte er alles aus, fuhr auch mal nach Hause, legte sich hin, tankte Hoffnung, fuhr später noch mal los. Sechzig, siebzig Prozent der Einnahmen brachen weg, das reichte nicht mehr für die Fixkosten. Eckardts Betrieb befindet sich in der Auflösung. „Wenn man unterwegs war“, sagt er, „war das mehr als traurig.“

    Eine Krise bringt wenige Gewinner hervor und sehr viele Verlierer. Und dann gibt es noch die Unterkategorie der vergessenen Verlierer, zu der sich Eckardts Branche zählt. Auf den Berliner Straßen sind im Vergleich zum Vorjahr rund tausend Taxis weniger unterwegs, jede achte Konzession wurde zurückgegeben. Für die Zukunft gibt es dunkle und düstere Prognosen und keine Hilfsgelder. „Wir sind bereits in der dritten Instanz vergessen worden“, sagt Eckardt. Die Vergesslichsten verortet er im Berliner Senat.

    Doch es ist ja beides: Krisenerscheinung und Trend zugleich. Schon seit einigen Jahren ist das Geschäft rückläufig, die Konkurrenzsituation noch härter. Die mit Risikokapital alimentierten und von der Politik kaum überwachten Fahrdienste wie Uber und Freenow haben das Kundenverhalten verändert, sie locken mit Spartarifen und verdrängen die Taxis aus dem Stadtbild. Eckardt nennt das „Sklavenhaltung per Smartphone“, er versteht nicht, warum sich Fahrer freiwillig an Bewertungen ketten lassen.

    Könnte man in dem Job vorhersagen, wie der Tag wird, könnte man auch die Lottozahlen vorhersagen.

    Bodo Eckardt, Taxifahrer

    Vor dem Brandenburger Tor, wo laut Hinweisschild elf Taxis im klassischen Hellelfenbeinlack halten könnten, steht lediglich ein weißer Lieferwagen. Vor dem Adlon steht niemand. Kein Geschäftsreisender, dem Nobelhotels einen Fahrer der Kategorie VIP B bestellen würden. Einen wie Eckardt, der geschult wurde im Umgang mit den sehr wichtigen Leuten und der einen ihren Ansprüchen zumutbaren Mercedes fährt. Fuhr. Eckardt weiß gerade nicht mal mehr, ob das Adlon geöffnet hat.

    Früher wäre ihm das nicht passiert, da wusste er, wann welcher Bezirk brummte. Früher kannte er den Messekalender auswendig, hatte gelernt, dass das Publikum der Grünen Woche mit den Öffentlichen kommt, dafür die Fruit Logistica ihm den Monat retten kann, weil die Fachbesucher dort auf Rechnung fahren. Und warum Berlin die Modeszene verprellt hat, ist ihm ein Rätsel. Die Fashion Week war eine „fette Beute“, die sich Taxifahrer gegenseitig wünschen nach einem Smalltalk an der Halte. Eckardt weiß, wo in Schöneberg die Designerin wohnt, die Jürgen von der Lippe mit Hawaiihemden ausstattet.

    Wir haben keine Route vereinbart. Eckardt fährt mal links, mal rechts, tritt hier seine Vorfahrt ab, lässt dort einen Fußgänger über die Straße. „Zielstrebig treiben lassen“, so wie früher, auf Brautschau gehen, so nennt er das, und immer abhängig vom Glück. „Könnte man in dem Job vorhersagen, wie der Tag wird, könnte man auch die Lottozahlen vorhersagen.“

    Auf Supermarktparkplätzen gelten keine Vorfahrtsregeln
    Ein Navi brauchte Eckardt selten. Er hat den Stadtplan im Kopf, kennt Tausende Straßennamen, alle Krankenhäuser, Behörden, die Schleichwege. Neurologen haben die Gehirne von Taxifahrern in London untersucht und herausgefunden, dass Auswendiglernen von Straßennamen den Hippocampus wachsen lässt, dort sitzt das Gedächtnis. In der Nacht vor seiner mündlichen Prüfung konnte Eckardt trotzdem nicht schlafen. Er dachte an die drei Zielfahrten, an die 120.000 möglichen Kombinationen, die er im Kopf behalten musste.

    Zwölf Jahre auf der Straße, da sieht man Dinge, die andere nicht sehen. Eckardt erkennt einen Zusammenhang zwischen stickiger Luft und Aggressivität im Straßenverkehr, er beobachtet Autofahrer, die auf Supermarktparkplätzen plötzlich die Vorfahrtsregeln vergessen, er wundert sich, warum Fahrradfahrer so selten Gebrauch machen von ihrer Klingel. Er erzählt das alles ganz beiläufig, in einem angenehmem Tempo. Es hat ihn auch immer gefreut, wenn er Lob bekam für seinen behutsamen Fahrstil.

    Falls es doch mal schneller gehen sollte, sorgte Eckardt dafür, dass der – „Sind Sie angeschnallt?“ – Kunde ordentlich durchgeschüttelt wurde. Er gab kräftiger Gas, bremste härter, fuhr so scharf um die Kurven, dass die gefühlte Geschwindigkeit höher war als die tatsächliche, die erlaubte, an die Eckardt sich immer hält. Wenn er nach einer anstrengenden Schicht nach Hause kam, hatte er trotzdem das Gefühl, nicht konzentriertes Fahren, sondern schieres Glück habe ihn vor einem Unfall bewahrt.

    Menschen mögen keinen Stillstand, sie wollen möglichst schnell und bequem von A nach B kommen. So entstand das Tansportgewerbe, es gehört zu den ältesten überhaupt. Die Erzählung reicht von der Sänfte über die Droschke bis zur Drohne, mit Taxifilmen und Taxisongs und Taxiliteratur ließe sich die Zeit bis Lockdownende überbrücken. Der erste „Tatort“ hieß „Taxi nach Leipzig“, in „Joe Le Taxi“ singt Vanessa Paradis: „Kennt alle Straßen auswendig, alle kleinen Bars, alle schwarzen Ecken“. Und in „Taxi“, dem Roman von Cemile Sahin, entspinnt sich der Plot bei einem Gespräch zwischen Fahrer und Kundin.

    Eine Taxifahrt ist wie gemacht für Dialoge. Und damit auch für Reporter eine Hilfe, die am Ort ihrer Recherche angekommen, sich erst mal berichten lassen über die lokalen Besonderheiten. Eine Taxiquelle ist immer verfügbar, scheint verlässlich zu sein, sie wirkt bodenständig. Manchmal sind es sogar Fußballmanager, die Taxifahrer als Zitatlieferanten schätzen, so wie Michael Preetz vor vier Jahren. Seine Rede auf der Mitgliederversammlung begann er mit einem Taxifahrergespräch, geführt in München. Der Mann habe geschwärmt von Hertha BSC, sagte Preetz. Er hätte auch irgendeinen Tweet zitieren können.

    Als die Kunden regelmäßig einstiegen, versuchte es Eckardt meistens mit der klassischen Eröffnung: dem Wetter, zuletzt mit Corona. „Ich suche erst mal eine Ebene, wo wir gemeinsam schwingen können“, sagt er, als wir nach Norden fahren, „es ist egal, in welche Richtung.“ Eckardt hat mit der Zeit ein Gefühl dafür entwickelt, wer wann wie viel reden will und wer lieber schweigt. Renate Künast redete immer gern und viel, als sie noch das Sagen bei den Grünen hatte. Der Schauspieler Benno Fürmann, den Eckardt an seinem letzten Arbeitstag um sechs Uhr nach Groß Ziethen brachte, redete gar nicht, war zu sehr mit seinem Text beschäftigt. „Die wenigsten sind um diese Uhrzeit große Erzähler.“

    Nur einmal hat Eckardt eine Kundin aus seinem Taxi geschmissen
    Taxigespräche sind für Eckardt wie Tennisspielen. Wenn die Bälle immer nur flach zurückkommen, wird es anstrengend, sie zu retournieren, sie landen auch eher im Netz. So entstehen aber keine langen Ballwechsel, so entwickeln sich keine angenehmen Gespräche. Einmal stieg eine Frau mit einem Blumentopf ein und nach einer halbstündigen Fahrt mit einem bunten Strauß botanischer Themen wieder aus. Eckardt hat auch schon mal im März die Speisefolge an Weihnachten diskutiert. Ja, man merkt, dass ihm das fehlt.

    In seinem ersten Berufsleben fuhr Bodo Eckardt Bagger, da kann man vereinsamen, sagt er. Es sei schwer gewesen auf dem Arbeitsmarkt Anfang der Achtziger, er habe sich durchgehangelt, Dinge seien dazwischengekommen, es gebe einige Brüche in seiner Biografie. Freude hatte er daran, für die Lehrlinge verantwortlich zu sein. Damals verstand er: „Dass wirklich auch jeder eine eigene Ansprache braucht.“

    Deswegen machte es ihn einmal so wütend, als er Jahre später zwei Frauen von Zehlendorf nach Köpenick bringen sollte und eine nicht aufhörte, sich über die faulen Jugendlichen zu beschweren, die selbst schuld daran seien, dass sie keinen Ausbildungsplatz finden. Am Bahnhof Südkreuz hielt Eckardt an und sagte: „Bis hierhin habe ich Sie eingeladen und jetzt bemühen Sie bitte einen Kollegen von mir.“ Er hat kein Geld für die Fahrt genommen. „Aber das war es mir wert.“

    Eckardt meidet jetzt die Hauptstraßen, will nicht noch mal in einen Stau geraten. „Haben Sie das auch schon mal erlebt“, fragt er, „dass Sie sich so festgefahren haben, dass Sie ernsthaft darüber nachdenken mussten, die Karre an den Rand zu stellen und dann weiter zu Fuß zu laufen?“ Ist ihm passiert. Frankfurter oder Landsberger Allee, weil er es nicht mehr geschafft hatte, nach sechs Uhr morgens südlich vom Alexanderplatz zu sein und der Verkehr sein Umsatzziel für die Woche zu gefährden drohte.

    Sein Taxi steht jetzt am Straßenrand in Charlottenburg
    Vor Corona verdiente Eckardt monatlich 1600 Euro netto, bestenfalls, bei fünfzig bis sechzig Stunden hinterm Steuer. Der Arbeitstag begann um halb zwei am Morgen, da klingelte der Wecker zum ersten Mal. Um halb drei stand er unter der Dusche, um halb vier an seiner Stammhalte in Tempelhof. Dort kommen die Mitarbeiter der Deutschen Bahn an, die sich auf Rechnung zum Hauptbahnhof oder Gesundbrunnen bringen lassen.

    Das Geld reicht noch. Vielleicht findet er im März einen neuen Betrieb, das ist sonst ein guter Monat für die Branche, die Messesaison beginnt. Die Zwischenzeit empfindet er als Vakuum, an guten Tagen als Sonderurlaub. Er hat bereits Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche renoviert. Manchmal schaut Eckardt auf den beleuchteten Globus daheim und denkt: „Den bin schon zwanzig Mal rumjejuckelt.“ Einmal um die Welt macht 40.000 Kilometer.

    Wir sind in Charlottenburg, da steht sein altes Taxi: dick eingestaubt, abgestellt am Straßenrand, als wäre der Fahrer einfach zu Fuß weitergegangen. Bodo Eckardt zieht an der Selbstgedrehten und sagt: „Ich fühle überraschenderweise wenig.“ Er ist nie gerne Auto gefahren. Wenn sie Urlaub auf Rügen machen, keine Autobahn, immer die 96 entlang, sitzt seine Frau am Steuer.

    Ein paar Tage später am Telefon fällt Eckardt noch etwas ein. Vielleicht muss er ein letztes Mal zurück zu seinem Taxi. Er habe nämlich diese fürchterlich hässliche Messingfigur im Kofferraum vergessen, einen Buddha oder so. Das Geschenk einer zufriedenen Kundin, als Glücksbringer. Vielleicht braucht er ihn doch.

    #Taxi #Berlin #Krise