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Agent d’ingérence étrangère : Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.

  • 25 Jahre nach Barlows „Unabhängigkeitsdeklaration des Cyberspace“ | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/25-Jahre-nach-Barlows-Unabhaengigkeitsdeklaration-des-Cyberspace-5054608.html?

    15. Februar 2021, von Wolfgang Kleinwächter - Von den Bergen der Visionen in die Täler der Realitäten

    Am 8. Februar 1996 veröffentlichte John Perry Barlow in Davos seine „Unabhängigkeitserklärung des Cyberpace“. Inspiriert von der „Informationsrevolution“ und dem „Dot-Com-Boom“ der 1990er Jahre prophezeite er eine „andere Cyberwelt“ und forderte eine neue „Heimstatt des Geistes“ (New Home of Mind), wo sich die „Community“ ohne Einmischung, Bevormundung oder gar Unterdrückung von Regierungen frei entfalten könne.

    „Regierungen der industriellen Welt“, schrieb er, „ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“

    25 Jahre später wissen wir, dass Barlow Recht und Unrecht hatte. Er hatte Recht mit der Prophezeiung einer „neuen Welt“. Aber er hatte Unrecht, dass dies eine Welt ohne Regierungen sein würde. Die Klärung der Frage, ob Barlow recht oder unrecht hatte, ist aber gar nicht so wichtig. Interessanter als seine Projektionen sind die Prozesse und der Kontext seiner Proklamation.
    Die „Geschichte des Internets“

    Um die „Geschichte des Internets“ und damit auch die Quelle der digitalen Revolution zu verstehen, sollte man bis zum 4. Oktober 1957 zurückgehen. Der „Sputnik-Schock“ veranlasste die Eisenhower-Regierung, nicht nur die Nasa, sondern auch Arpa, die „Advanced Research Project Agency“, zu gründen. Arpa operierte unter dem US-Verteidigungsministerium und wurde beauftragt, die Vereinigten Staaten widerstandsfähiger gegen ausländische Angriffe zu machen. Beide Agenturen wurden zu Erfolgsgeschichten: Im August 1969 schickte die Nasa den ersten Mann zum Mond. Und im Oktober 1969 präsentierte Arpa ein dezentrales Kommunikationsnetzwerk.

    In den 1960er Jahren erkannte man in den USA die Verwundbarkeit zentralisierter und hierarchisch aufgebauter Kommunikationsnetze. Nicht umsonst wurden bei Revolutionen und Staatsstreichen Rundfunkstationen und Telegraphenämter zuerst besetzt. Wer die Kommunikation kontrolliert, kontrolliert die Gesellschaft. Die Arpa-Idee war, ein dezentrales Netzwerk aufzubauen, bei dem ein zerstörter Server problemlos durch einen anderen Server ersetzt werden kann, ohne dass die End-zu-End-Kommunikation darunter leidet.

    Wenn ein solches Netz mehr Server als die Sowjets Raketen hätte, wäre de facto dieses Netz in einem Nuklearkrieg unzerstörbar. Am 29. Oktober 1969 verband Arpanet vier Computer in Stanford, Los Angeles, Santa Barbara und Utah. Für manche ist dies der Geburtstag des Internets.

    1969 war auch das Jahr, in dem Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Atomwaffenarsenale (Strategic Arms Limitation Talks/Salt) zwischen den USA und der Sowjetunion begannen. Nach den riskanten Erfahrungen der Kuba-Krise, die die Welt 1962 an den Rand eines Atomkrieges gebracht hatte, wollten beide Seiten das nukleare Wettrüsten unter Kontrolle bringen. Dies hatte Konsequenzen für Arpanet. Das Projekt verschwand zwar nicht, hatte aber für das Pentagon nicht mehr vorrangige Priorität.

    Die interessante Nebenwirkung dieses Prioritätenwechsels war, dass das Pentagon zwar weiterhin einen Großteil der Forschung finanzierte, die Anwendungen sich aber mehr und mehr vom militärischen in den akademischen Bereich verlagerten. Die Doktoranden, die an Arpanet beteiligt waren, hatten schnell das Potential der bahnbrechenden Erfindung dezentraler and interoperabler Netzwerke erkannt.

    Die Idee, ein Netzwerk zu haben, das Macht nicht zentralisiert, sondern Wissen an den Rändern akkumuliert, ein Netzwerk, das die freie Kommunikation zwischen jedermann, jederzeit and jeden Ort von Text, Bild und Ton unabhängig von Grenzen ermöglicht, das war ein ebenso attraktives wie geniales Konzept für eine Generation, die nach den schmerzhaften Jahren des Vietnam-Krieges ihre eigene Vorstellung von Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung hatte.

    Vor allem für die „Youngsters“ von der US-Westküste wurde in den 1970er und 1980er Jahren dieses Forschungsprojekt zu einem Werkzeug, mit dem sie eine völlig neue und zwar virtuelle Welt aufbauten. Diese basierte auf bis dato unbekannten Protokollen und Codes: RFCs, TCP/IP, IPv4, DNS, ccTLDs, gTLDs, GIFs, das „@“, die „Dot’s“ und vieles mehr, einschließlich der Netzwerk-Institutionen wie IETF und IANA, wurden zu Eckpfeilern einer Welt, die damals außerhalb dieser „Community“ kaum einer verstand.

    Diese „virtuelle Welt“ gründete sich auf Selbstregulierung und dem Konzept einer grenzenlosen, individuellen Freiheit. Sie war eine elitäre Welt, die von den „Guten“ ("Good Guys") bevölkert wurde. Wer sich falsch verhielt und die „Netiquette“ verletzte, wurde „geflamed“. Ausschluss aus der Community war die Höchststrafe. Kaum einer, der Zugang zum Netz hatte, riskierte das damals.

    Diese sehr elitäre virtuelle Welt schuf eine Illusion eines Abgehobenseins von den Niederungen der Alltagsprobleme. Dabei war gab es eigentlich keine Trennung von der „realen Welt“, aber zu jener Zeit interessierte sich im „Rest der Welt“ kaum jemand für das Gehabe der „Geeks“ and „Freaks“ im Cyberspace.
    Und die Politik verstand gleich gar nicht, worum es dabei ging. Minister oder Parlamentarier hatten keine Ahnung, welche potenzielle Macht mit diesem „Netzwerk von Netzwerken“ da heranwuchs.

    Als etwa Jon Postel im Jahr 1986 einen vertrauenswürdigen Manager für eine deutsche Top Level Domain (ccTLD) unter dem Kürzel „.de“ suchte, reichte ein Telefonanruf und ein Handschlag für die Delegation. Keine Partei im Bundestag hat sich damals mit der Vergabe einer Ressource beschäftigt, die heute von 17 Millionen Internet-Nutzern als virtuelles Zuhause genutzt wird.

    Die leicht begehbare Brücke in die „reale Welt“ baute 1991 Tim Berners Lee mit seinem „HTTP-Protokoll“. Das World Wide Web erweiterte nicht nur die Freiheitsräume für akademische Diskussionen, es schuf auch neue Geschäftsmöglichkeiten.

    Die 1990er Jahre sahen den „Dot-Com-Boom“ und die Vision einer „New Economy“. Plötzlich war das Internet in aller Munde, zumindest in den USA.

    Die EU war beschäftigt mit der Privatisierung der Telekommunikation und der Aufnahme neuer Mitglieder aus Osteuropa. In dem vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors 1993 veröffentlichen 298-seitigen Zukunftspapier, dem „Weißbuch zu Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung“, taucht das Wort „Internet“ kein einziges Mal auf.

    Die Clinton-Regierung (1993-2000) hingegen erkannte sehr wohl, dass „das Internet“ viel mehr ist als ein „technisches Spielzeug“. Die „National Information Infrastructure Initiative“ (NII) von US-Vizepräsident Al Gore (1993) räumte alle politischen und regulatorischen Hindernisse für eine dynamische Entwicklung des Internet beiseite und startete den „Digitalen Tornado“.
    Von „Technologies of Freedom“ bis zum „Darkening Web“

    Barlow war nicht der erste, der über die „digitale Revolution“ und ihre wirtschaftlichen, politischen und sozialen Auswirkungen reflektierte. Zbginiew Brezsinski (The Technotrocic Era), Ithiel Sola de Pool (Technologies of Freedom) und Alvin Toffler (The Third Wave) hatten bereits seit den 1970er Jahren die Diskussion angeheizt. In den 1990er Jahren waren Manuel Castell (Network Society), Nicholas Negroponte (Being Digital), Francis Cairncross (Death of Distance) und Larry Lessing (Code and other Laws of Cyberspace) Augenöffner für die gesellschaftlichen Konsequenzen der vor der Tür stehenden globalen Digitalisierung.

    Das 1999er „Cluetrain Manifesto“ – publiziert von vier Silicon Valley Pionieren – erinnerte gar an die 95 Thesen von Martin Luther, der 500 Jahre zuvor die europäische Reformation in Gang gesetzt hatte. Wir lehnen Könige, Präsidenten und Wahlen ab. Wir glauben an „rough consens and running code“, sagte David Clark bereits 1993.

    Mit anderen Worten: Barlows 1996er Cyber-Unabhängigkeitserklärung war zu jener Zeit eigentlich gar nicht so neu. Trotzdem war seine Aussage eine besondere. Sein Verweis auf die US-amerikanische „Unabhängigkeitserklärung“ von 1776 machte sie viel politischer. Barlow wusste, wie man Worte benutzt und mit Menschen spricht. Er schrieb Songs für die Rockband „Grateful Dead“.

    Barlow’s Vision hat viele inspiriert. Ich selbst erinnere mich an eine Diskussion in Harvard, bei der Charles Nesson die Vorstellungskraft seines Publikums mobilisierte, sich an den historischen Moment in der „Hall of Independecne“ von Philadelphia zu erinnern, als 1776 die US-Verfassung ausgearbeitet und die Institutionen der US-Demokratie entworfen wurden. „Wir müssen jetzt die demokratischen Institutionen für ein digitales 21. Jahrhundert aufbauen“, sagte er.

    Es war die Zeit, als Icann als das Pilotprojekt für „Cyberdemokratie“ galt und „globale Wahlen“ für sein Direktorium vorbereitete. „Governance without Governments“. Das war neu. Entscheidungen bei Icann werden von den unmittelbar „Betroffenen und Beteiligten“, den Anbietern und Nutzern der Dienste getroffen. Regierungen sitzen bei Icann in einem, beratenden Ausschuss, dem „Governmental Advisory Committee“ (Gac). Und ein „Gac-Advice“ ist für das Icann Direktorium nicht verbindlich.
    Barlow argumentierte in seiner Erklärung:

    Wir haben keine gewählte Regierung und werden wahrscheinlich auch keine haben. Deshalb spreche ich Sie mit keiner größeren Autorität an als der, mit der die Freiheit selbst immer spricht. Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir aufbauen, für natürlich unabhängig von den Tyranneien, die Sie uns aufzwingen wollen. Sie haben weder ein moralisches Recht, uns zu regieren, noch besitzen Sie Durchsetzungsmethoden, die wir wirklich befürchten müssen. Regierungen leiten ihre gerechten Befugnisse aus der Zustimmung der Regierten ab. Sie haben unsere weder angefordert noch erhalten. Wir haben Sie nicht eingeladen. Sie kennen uns nicht, noch kennen Sie unsere Welt. Der Cyberspace liegt nicht innerhalb Ihrer Grenzen. Wir werden eine Zivilisation des Geistes im Cyberspace schaffen. Möge es humaner und fairer sein als die Welt, die Ihre Regierungen zuvor geschaffen haben.

    Es dauerte jedoch keine fünf Jahre und die von den Schweizer Bergen verkündeten Visionen landeten in den Tälern der Realitäten. Im Jahr 2001 platzte die „Doc-Com-Blase“ und der 11. September verwandelte die mehr theoretische Debatte um „Cyberdemokratie“ in eine sehr realpolitische Diskussion über „Cybersicherheit“.
    Innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl der Internetnutzer von einer Million auf eine Milliarde. Die grenzenlosen Möglichkeiten der vernetzten Welt wurden nicht mehr nur von den „Good Guys“ genutzt. Das Internet bot die gleichen Freiheiten auch für Kriminelle, Vandalen, Hassprediger, Pädophile, Terroristen, Geldwäscher und andere „Bad Guys“.

    Die neuen Buchpublikationen hatten eher pessimistische Titel: „Die Zukunft des Internets und wie man es aufhält“ (Jonathan Zittrain) oder „The Darkening Web“ (Alexander Klimburg). Jeff Moss, der Gründer von Black Hat, argumentierte einmal: „Wir haben Innovationen geschaffen, um die Regierungen fernzuhalten. Mit den neuen Anwendungen kam viel Geld herein. Großes Geld zog die Kriminellen an. Und bei Kriminellen im Cyberspace ist es nur natürlich, dass die Regierungen zurückgekommen sind.“
    Rückblickende Bewertung auf Barlows „Unabhängigkeitserklärung“

    Hatte Barlow unrecht? Ja und nein. Denn selbst wenn Regierungen heute „zurück“ sind, sie sind es auf andere Weise. Die Welt ist heute tatsächlich eine Cyberwelt. Die Wirtschaft ist eine digitale Wirtschaft. Die neue Komplexität des globalen Internet Governance-Ökosystems kann nicht mehr auf herkömmliche Weise verwaltet werden.

    2005 – auf dem Weltgipfel der Vereinten Nationen zur Informationsgesellschaft (WSIS) – akzeptierten die Staatsoberhäupter von 193 UN-Mitgliedstaaten in der „Tunis Agenda“, dass für die Steuerung des Internets alle Beteiligten, einschließlich des Privatsektors, der technischen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft, einbezogen werden müssen. Das sogenannte Multistakeholder-Modell wurde zur Blaupause für die globale Internet-Governance.

    Auch wenn das Multistakeholder-Modell noch viele konzeptionelle Schwächen hat und immer wieder herausgefordert wird, gibt es praktisch dazu keine Alternative. Regierungen allein werden keine Lösungen für die Probleme des digitalen Zeitalters finden können. Das von UN-Generalsekretär Antonio Guterres eingesetzte „High Level Panel on Digital Cooperation“ titelte seinen 2018er Abschlussbericht mit einem indirekten Bezug zu Barlow’s Cyberunabhängigkeitserklärung „Das Zeitalter der Cyberinterdependenz“ (The Age of Cyberinterdependence).

    Insofern ist die „Rückkehr der Regierung“ in den Cyberspace mehr als das bloße Zurückschwingen eines Pendels. Es geht jetzt nicht mehr um „Regierung oder Community“, es geht um „Regierung und Community“. Es geht um neue innovative und erweiterte Politikmodelle, um die Entwicklung innovativer Mischformen einer sinnvollen Kombination von Elementen der „repräsentativen Demokratie“ und einer „partizipativen Demokratie“.

    Vertikale Hierarchien müssen zu horizontalen Netzwerken werden bei denen, je nach Sachverhalt Prozesse mal „Bottom Up“ und mal „Top Down“ gemanagt werden. Stakeholder müssen sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und ihre sich gegenseitig ergänzenden Rolle spielen. Keiner kann das System allein managen. Regierungen nicht. Unternehmen aber auch nicht. Die Grundphilosophie des Multistakeholder-Modelles ist die, das das Internet von Anfang an hatte: Teilhabe (Sharing), und zwar auch bei der Entwicklung von Politiken und deren Durchsetzung.

    Es ist ein großes Problem und es geht um mehr als Tablets, Smartphones und 5G. Mit der digitalen Revolution bewegt sich die Menschheit auf eine neue Ebene. Noch weiß man eigentlich nicht, wie diese grenzenlose digitale Cyberwelt funktioniert, wie sie gemanagt und reguliert werden soll. Die Noten für diese Zukunftsmusik müssen erst noch geschrieben werden. Die 2020er Jahre haben ja aber auch gerade erst begonnen.
    Lehren aus der industriellen Revolution?

    Die digitale Revolution wird heute oft als „4. Industrielle Revolution“ bezeichnet. Natürlich gab es eruptiven Phasen, die Wirtschaft und Gesellschaft rockten, schon früher? Einiges kann man z.B. von den Diskussionen lernen, die aufpoppten, als sich die Welle der „1. Industrielle Revolution“ ausbreitete.

    Das Industriezeitalter nahm in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fahrt auf. Als die Begleiterscheinungen für das tägliche Leben sichtbarer wurden, rüttelte ein 30-jähriger Deutscher die Welt auf, indem er argumentierte, dass diese industrielle Revolution mehr sei als Dampfschiffe, Eisenbahnen, Elektrizität, Telegraph und Textilfabriken. Er prognostizierte eine „New Economy“ und eine „New Society“ und entwickelte einen Plan, wie diese zu bauen sei. 1848 nannte Karl Marx seine Deklaration das „Kommunistische Manifest“.

    Aber auch Marx wurde bald mit den Realitäten seiner Zeit konfrontiert. In einer Rede in London am 14. April 1856 erkannte er die tiefen Widersprüche: „In unseren Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, dass die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern lässt und bis zur Erschöpfung auszehrt.

    Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint der Mensch durch andre Menschen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden. Selbst das reine Licht der Wissenschaft scheint nur auf dem dunklen Hintergrund der Unwissenheit leuchten zu können.

    All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, dass sie materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen.
    Dieser Antagonismus zwischen moderner Industrie und Wissenschaft auf der einen Seite und modernem Elend und Verfall auf der anderen Seite, dieser Antagonismus zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftlichen Beziehungen unserer Epoche ist eine handgreifliche, überwältigende und unbestreitbare Tatsache.“

    Wir wissen heute, dass die Geschichte nicht so verlaufen ist, wie sie sich Karl Marx vorgestellt hat. Seine Erkenntnisse waren wohl begründet. Der Plan hat nicht funktioniert. 100 Jahre später war die Welt aber dennoch „voll industrialisiert“. Und die Königreiche, die die Welt beherrschten als Marx noch ein junger Journalist war, waren verschwunden. Stattdessen existierten nun Republiken, wenngleich diese sehr unterschiedlich waren. Auf der einen Seite Demokratien, pluralistische Marktwirtschaften, die sich an Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit orientierten.

    Auf der anderen Seite Autokratien, staatswirtschaftliche Ein-Parteien-Systeme mit einem „General“ an der Spitze, der dem Rest des Landes diktierte, was zu tun ist. Schlimmer noch, nach zwei verheerenden Weltkriegen begann 1948 ein kalter Krieg zwischen den beiden Blöcken. Und es dauerte fast ein halbes Jahrhundert, bis die Staatsoberhäupter der „zwei Blöcke“ die Demokratie zum Sieger des Industriezeitalters erklärten.

    Ihre Vision in der „Charta von Paris“ (1991) lautet wie folgt:

    Unsere ist eine Zeit, um die Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen, die unsere Völker seit Jahrzehnten hegen: unerschütterliches Engagement für Demokratie auf der Grundlage von Menschenrechten und Grundfreiheiten; Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit; und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder. Wir verpflichten uns, die Demokratie als einziges Regierungssystem unserer Nationen aufzubauen, zu festigen und zu stärken. Die demokratische Regierung basiert auf dem Willen des Volkes, der regelmäßig durch freie und faire Wahlen zum Ausdruck gebracht wird. Die Demokratie hat als Grundlage den Respekt vor der menschlichen Person und der Rechtsstaatlichkeit. Demokratie ist der beste Schutz der Meinungsfreiheit, der Toleranz aller Gesellschaftsgruppen und der Chancengleichheit für jeden Menschen. Demokratie mit ihrem repräsentativen und pluralistischen Charakter beinhaltet die Rechenschaftspflicht gegenüber den Wählern und die Verpflichtung der Behörden, die unparteiisch geltenden Gesetze und Gerechtigkeiten einzuhalten. Niemand wird über dem Gesetz stehen.

    Ist das nicht eine schöne Vision: Frieden und Verständnis, Wohlstand, wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit für alle von Vancouver bis Wladiwostok? Diese „Vision“ kam von Regierungen, nicht von Träumern wie John Perry Barlow. Aber auch diese Vision überlebte den Stresstest der Realität nicht.

    Warten auf die Enkelkinder?

    1991, als die „Charta von Paris“ unterzeichnet und das Industriezeitalter beendet wurde, öffnete das World Wide Web die Tür zum „digitalen Zeitalter“. 30 Jahre später sind die „Väter des Internets“ nun Großväter. Ihre Kinder haben den Cyberspace kommerzialisiert, politisiert und militarisiert.

    Die Visionen von gestern sind hinterm Horizont verschwunden. Heutige Realität ist, dass all die großen Errungenschaften, die neuen Anwendungen und digitalen Dienste, die unser Leben freier, einfacher, reicher und komfortabler gemacht haben, eine dunkle Kehrseite haben. Soziale Netzwerke laufen Gefahr, Zensoren zu werden. Suchmaschinen riskieren, zu globalen Wachhunden zu mutieren.

    Wir sind umgeben von Massenüberwachung, biometrischen Kontrollsystemen und einem Sumpf gefälschter Nachrichten und Hassreden. Neue profitable Anwendungen zerstören traditionelle Unternehmen und es ist unklar, ob diese Erfindungen eine „konstruktive Zerstörung“ (Schumpeter) sind oder ob sie den Weg bahnen in eine sich immer tiefer spaltende Gesellschaft.

    Wir müssen uns rumschlagen mit Cyberkriminalität, Fehlinformationen, Marktbeherrschung, digitalen Handelskriegen und tödlichen autonomen Waffensystemen. Es scheint wie 1856 zu sein, als „jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger“ ging.

    Werden Plattformregulierung, digitale Steuern, Datenschutz, Normen des staatlichen Verhaltens im Cyberspace und Regeln für einen ethischen Ansatz für künstliche Intelligenz unserer Zukunft besser machen? Was werden die „Enkel des Internet“ mit dieser neuen Generation von Problemen anfangen, die in John Perry Barlow’s Unabhängigkeitserklärung gar nicht vorkommen?

    Geschichte wiederholt sich nicht. Niemand weiß, wie unsere Welt in 25 Jahren aussehen wird. Man kann sicher davon ausgehen, dass im Jahr 2046 die Welt „vollständig digitalisiert“ sein wird. Aber wird diese Welt eine „Zivilisation des Geistes“ sein? Wird jeder Einzelne einen erschwinglichen Zugang zum Internet haben?Können wir den Erfolg des „grünen und digitalen Deals“ genießen? Hat der digitale Fortschritt unsere Umwelt, Bildung und Gesundheitsversorgung verbessert? Wird es für alle „menschenwürdige Arbeit“ geben? Wird die Welt „menschlicher und fairer“ sein? Oder haben wir einen digitalen „Kalten Krieg“ zwischen Cyberdemokratien und Cyberautokratien mit Internet-basierten Drohnen und Killerrobotern?

    Visionen und Träume für die Zukunft zu haben, ist immer eine gute Sache. Es ist notwendig, Menschen zu inspirieren, ihre Ansichten zu erweitern und die Fantasie anzuregen. Man sollte sich aber auch bewusst sein, dass die Realität einen anderen Weg einschlägt. Das Heute ist Ergebnis von gestern; das morgen Ergebnis von heute.

    Dieser simple Sinnspruch ist eine alte buddhistische Weisheit. Heinrich Heine hat es - etwas poetischer - mal so formuliert: „Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will“. Und Winston Churchill meinte „Eine Nation, die ihre Vergangenheit vergisst, hat keine Zukunft“. Insofern würde ich den Professoren von morgen empfehlen, Barlows „Unabhängigkeitserklärung im Cyberspace“ auf die Leseliste der Studenten von übermorgen zu setzen.

    #internet #politique #web_indépendant