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  • Uni Groningen: Dozent muss nach „Unterricht in Verschwörungstheorien“ aufhören
    https://www.heise.de/tp/features/Uni-Groningen-Dozent-muss-nach-Unterricht-in-Verschwoerungstheorien-aufhoeren-

    31.1.2022 von Stephan Schleim - KI-Forscher wollte nach eigenen Angaben „kritisches Denken“ unterrichten

    Etwas Wichtiges vorab: Es geht hier um einen Dozenten meiner eigenen Universität, den ich allerdings nicht persönlich kenne. Im Folgenden stütze ich mich auf Berichte in den niederländischen Medien und stelle ich ein paar eigene Gedanken zur Diskussionsfreiheit an. Ich spreche hier nur für mich, nicht für meinen Arbeitgeber.

    Tjeerd Andringa hat einen Hintergrund in Festkörperphysik (Master, 1991) und promovierte schließlich über Künstliche Intelligenz und Kognition (PhD, 2002). Dabei spezialisierte er sich auf die Erkennung von Sprache und gründete auch das Start-up-Unternehmen „Sound Intelligence“.

    Zurzeit ist er Assoziierter Professor und Leiter einer Forschungsgruppe für auditorische Kognition sowie Dozent am University College der Universität Groningen. Das University College gilt formal als eigene Fakultät und bietet einer kleinen Auswahl von Studierenden aus aller Welt eine breite interdisziplinäre akademische Ausbildung auf hohem Niveau an. Dafür zahlen die Teilnehmer auch doppelte Studiengebühren.
    Folgenreicher Artikel

    Am 26. Januar erschien dann aber die wöchentliche Ausgabe unserer (unabhängigen) Universitätszeitung mit einer beunruhigenden Titelstory: Der Dozent würde Fabeln und Verschwörungstheorien unterrichten und sei sonst auch mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

    In Windeseile verbreitete sich das Thema in den landesweiten Medien. Zuerst wurde nur das strittige Fach eingestellt, das im Februar wieder hätte beginnen sollen. Jetzt wurde dem Dozenten aber vorläufig die Lehrbefugnis entzogen, bis das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung vorliegt. Was ist da los?

    Im Brennpunkt ist ein Kurs mit dem Namen „Systems View on Life“ – systemisch auf das Leben schauen. Der Dozent verspricht in der Kursbeschreibung, die Studierenden würden lernen, einen wirklich eigenen Standpunkt zu entwickeln. Nur damit, andere Meinungen nachzuplappern, würde man bei ihm keine Punkte verdienen.

    In dem Kurs würde man herausgefordert. Es gehe darum, die Teilnehmenden aus ihrer „Komfortzone“ zu holen. Das könne unangenehm sein. Doch zur Belohnung warte nach der Auseinandersetzung mit „hochqualitativem Inhalt“ ein Verständnis dessen, was einen echten Akademiker ausmacht.
    „Bildung“ kommt von „bilden“

    Das klingt für mich ein bisschen nach einem Seminar zur Selbstfindung. Das muss nicht schlimm sein – immerhin kommt „Bildung“ von „bilden“ und geht es dabei auch um Persönlichkeitsbildung.

    Man wirft den Universitäten oft genug vor, sich im Abstrakten und Theoretischen zu verlieren. Gerade an so einem University College soll natürlich auch mal außerhalb des Bekannten gedacht werden, „out of the box“.

    Der Kurs scheint sich von der ursprünglichen Frage, wie Leben entsteht, in jüngerer Vergangenheit zu einem Potpourri gesellschaftspolitischer Fragen entwickelt haben. Der Artikel der Universitätszeitung, deren Redaktion mit insgesamt zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus mehreren Jahren sprach, nennt vor allem Klimawandel und Impfungen.

    Demnach habe der Dozent hauptsächlich Quellen verwendet, die den (vom Menschen verursachten) Klimawandel bestreiten. Über Impfungen sei behauptet worden, dass sie Autismus verursachen können. Letzteres ist ein auf den inzwischen mit einem Berufsverbot belegten britischen Arzt Andrew Wakefield zurückgehender Mythos.

    Dieser gründet auf einer 1998 in der angesehenen medizinischen Zeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie. 2004 publizierten allerdings zehn der zwölf Autoren – ohne Erstautor Wakefield – eine Korrektur. 2010 wurde die Veröffentlichung aufgrund unterschiedlicher Fehler und falscher Angaben dann von der Zeitschrift vollständig zurückgezogen.

    Einer Studentin, die den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus in Zweifel zog, soll Tjeerd Andringa „Respektlosigkeit“ vorgeworfen haben. Ein Experte in einem Video habe über das Thema immerhin sehr viel länger nachgedacht und mehr darüber geschrieben als sie. Vielleicht müsse sie erst noch etwas „wachsen“. Vom Wissenschaftler in dem Video könne sie noch viel lernen.

    Umgekehrt sei ein Student gelobt worden, der darüber schrieb, wie die Eliten die Menschheit beeinflussen. Beispielsweise würden die Rockefeller Familie oder der Amazon-Milliardär Jeff Bezos in Bildung investieren, um die Menschen hinterher besser manipulieren zu können.

    Der Artikel in der Universitätszeitung kommt zum deutlichen Fazit, dass der Dozent nur vorgeblich kritisches Denken habe fördern wollen. In Wirklichkeit habe er nur eine Wahrheit gelten lassen – nämlich seine eigene.

    Allerdings kommen auch Studierende zu Wort, die Andringa loben. Er sei eloquent und beschäftige sich auch intensiv mit den Ansichten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einer meint, durch die offenen Diskussionen habe er erst richtig kritisches Denken gelernt.
    Außerhalb der Uni

    Die Journalisten machten sich auf die Suche danach, wie sich der Wissenschaftler sonst in der Öffentlichkeit äußerte. Dabei stießen sie auf Texte und Interviews, in denen er Gedanken über eine „Kakistokratie“ entwickelt habe: Demnach würde die herrschende Elite systematisch Kinder missbrauchen, damit diese zu gefügsamen Dienern heranwüchsen.

    Sogar Geheimdienste würden höchstwahrscheinlich Sexpartys mit Kindern organisieren, um diese „Kakistokratie“ zu stützen. Und dies würde wiederum von den Regierungen gedeckt. Allerdings gebe es hierfür nur Indizienbeweise.

    Mit Blick auf die Anschläge vom 11. September meine er, dass Regierungen häufiger ihre eigene Bevölkerung angreifen, um die Menschen gefügiger zu machen. Der Dozent betone auch immer wieder die herausragende Bedeutung alternativer Medien.

    Auf dem Bio-Bauernhof seiner Frau habe Andringa schließlich außeruniversitäre Vorträge organisiert, auf denen die Coronamaßnahmen und die angeblich dominante Position der Juden kritisiert wurden. Ein Student, der daran im Herbst 2020 teilgenommen haben soll, wandte sich dann an eine Vertrauensperson der Universität, die schließlich die Verwaltung einschaltete.
    Qualitätskontrolle

    In Gesprächen zwischen Verwaltung und Dozent habe dieser sich immer wieder geringschätzend über die Bürokratie geäußert, die Meldung des Studenten als „cancel culture“ abgetan und sich mit beinahe kriminellen Äußerungen über das Antisemitismusverbot geäußert. Im Ergebnis erhielt Andringa eine Warnung und der strittige Kurs wurde vorläufig unter Aufsicht gestellt.

    Der Direktor des University College meint nun dazu, dass Dozenten auch außerhalb ihres Fachgebiets im engeren Sinn unterrichten könnten – das sei bei ihrer interdisziplinären Ausbildung ausdrücklich Sinn der Sache. Auch sei kritisches Denken wichtig. Dieses müsse aber innerhalb „ethischer Grenzen“ geschehen.

    Zudem müsse man bestimmte Qualitätsmaßstäbe einhalten. Nach der Untersuchung des Kurses habe man aber festgestellt, dass dieser sich nicht hinreichend verbessern lasse. Daher habe man entschieden, ihn nicht länger anzubieten.

    Wie bereits erwähnt, bleibt es dabei nun aber nicht: Landesweite Medien griffen den Artikel der Groninger Universitätszeitung vom 26. Januar sofort auf, beispielsweise die Tageszeitung NRC Handelsblad oder die Nachrichtenseite NOS.

    Am 28. Januar veröffentlichte die Universität dann eine kurze Mitteilung, dass der Dozent bis auf Weiteres gar nicht mehr am University College unterrichte. Man beginne nun eine unabhängige Untersuchung und warte deren Ergebnis ab.

    Tjeerd Andringa bekam von der Universitätszeitung die Gelegenheit einer Stellungnahme. Meinem Eindruck nach drückt er sich darin sehr kryptisch aus, verweist auf Aristoteles und den Bildungspychologen William Perry.

    Beide hätten sich dahingehend geäußert, ein entwickelter Geist müsse „mit Gedanken spielen, ohne diese zu akzeptieren“. Auf die Berichte in den landesweiten Medien will er diese Woche reagieren.
    Komplexe, aber wichtige Fragen

    Der Fall berührt eine ganze Reihe von Fragen, die für die Demokratie, die akademische Freiheit und die Polarisierung verschiedener Lager in unserer Zeit von enormer Bedeutung sind. Dazu im Folgenden ein paar Gedanken:

    Warum gibt es überhaupt Universitäten? Wenn der Sinn des Bildungssystems ausschließlich wäre, produktive Arbeitskräfte zu erzeugen, dann bräuchte man gar kein öffentliches Bildungswesen.

    Eine marktgerechte Ausbildung könnte man besser der freien Wirtschaft überlassen: Dann gäbe es vielleicht eine Allianz-Akademie für Versicherungswesen, eine BMW-Hochschule für Maschinenbau oder ein Facebook-Institut für Meinungsfreiheit.

    Man kann sich leicht vorstellen, wie „frei“ Diskussionen etwa von Verbraucherschutz, Umweltschutz oder Netz-Zensur an solchen Einrichtungen wären. Der Staat könnte bei Bedarf finanzielle Zuschüsse verteilen und wäre unterm Strich wahrscheinlich immer noch viel günstiger dabei als beim heutigen, größtenteils öffentlichen Bildungswesen.

    Wir wissen aber alle nicht genau, wie die Zukunft aussieht und welche Herausforderungen auf uns zukommen. Allein das verpflichtet uns dazu, nicht nur eingleisig zu fahren. Zudem sind nicht alle Lösungen, die für die Menschen wichtig sind, auch profitabel.

    In der Pharma-Forschung gibt es Beispiele zuhauf. Seltene Krankheiten sind finanziell weniger lukrativ, auch wenn die Folgen für die Betroffenen und ihre Angehörigen enorm sind. Auch spricht nach Marktlogik mehr für die Behandlung chronischer Erkrankungen als für eine einmalige Heilung. Wie wichtig Grundlagenforschung sein kann, für die es zum Zeitpunkt der Entwicklung noch keine Anwendung gibt, haben gerade erst die mRNA-Impfstoffe gezeigt.

    Ein Menschenleben besteht aber nicht nur aus Arbeit und Gesundheit. Wie viel unsere Freiheiten wirklich wert sind, werden viele wohl erst verstehen, wenn sie sie nicht mehr haben.
    Problematische Vorwürfe

    Gerade diejenigen, die heute lautstark meinen, wir würden in einer Diktatur leben, könnten in selbiger ihre Meinung gar nicht äußern: Ihre Chatberichte würden dann wie von Zauberhand verschwinden, wenn nicht gar die Chatprogramme von vorneherein blockiert wären.

    Willkürlich würde die Geheimpolizei an der Haustür klingeln und denjenigen zu einer „intensiven Befragung“ mitnehmen. Wann er oder sie zurückkäme, wäre völlig unbekannt. Manche Leute würden sich dann nach ihrer Rückkehr auffällig regierungstreu äußern.

    Der uns heute so bekannte Reflex aus dem bürgerlichen Lager, unliebsame Meinungen sofort als „Verschwörungstheorie“ abzutun und ihre Überbringer als „Querdenker“, „Trolle“, „Verfassungsfeinde“ oder Ähnliches, ist aber auch sinnlos. Wir sehen seit gut zwanzig Jahren, dass sich die so Ausgegrenzten nur noch lautstärker äußern und dafür auch immer wieder neue Kanäle finden. Bestes Beispiel dafür ist Donald Trump, der es sogar ins Amt des US-Präsidenten schaffte.

    Dabei ist der Verschwörungstheorie-Vorwurf insofern schlimm, als er dem Gegenüber nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der emotionalen Ebene eine falsche Wahrnehmung der Realität unterstellt. Die Grenze zur Geisteskrankheit ist dann fließend. Wenn man aber nicht mehr Argumente austauscht, sondern nur noch Beleidigungen, dann kann es auch zu keiner sinnvollen Lösung mehr kommen.

    Tückisch ist an solchem Vokabular, dass die Bedeutung meistens unklar ist: Wo hört berechtigte Regierungs- oder Wirtschaftskritik auf und wo fängt ein irriger Verschwörungsglaube an? Oder wo genau hört beispielsweise Kritik am Staat Israel auf und wo fängt Antisemitismus an?

    Beim Fall von Tjeerd Andringa kommt nun hinzu, dass hier ein Beamter in seiner öffentlichen Funktion problematische Äußerungen getätigt hat. Die Beteiligten scheinen sich zumindest darüber einig zu sein, dass das Lehren und Lernen kritischen Denkens wichtig ist. Doch wie weit darf das gehen?
    Methode, nicht Ergebnis zählt

    Beim Streitthema menschengemachter Klimawandel könnte man durchaus untersuchen, wie die große Mehrheit der Klimaforscher zu ihrem Konsens kommt – und wieso Kritiker diesen anzweifeln. Man könnte dann herausarbeiten, wie die beiden Gruppen aufeinander reagieren: Werden noch Argumente ausgetauscht, das heißt, geht man noch prinzipiell auf den Standpunkt des anderen ein? Oder wird immer nur dasselbe wiederholt?

    Auf welchen Gegebenheiten beruhen die Argumente und welche Interessen könnten für Konflikte sorgen? Wie sicher ist „sicher“ bei den zugrundeliegenden wissenschaftlichen Daten? Wie stark hängt das Ergebnis von Interpretationen ab und wie sehr unterscheiden sich diese?

    Wichtig: Für den Erfolg so einer Unterrichtseinheit muss das Ergebnis weder vorgegeben werden noch am Ende eindeutig feststehen. Wenn die Standpunkte hinterher 99:1, 90:10 oder 80:20 verteilt sind, kann die Demokratie gut damit leben.

    Den selbsternannten Verfechtern der Aufklärung liegt sonst doch auch so viel an Pluralismus. Man muss daraus keinen Meinungskrieg machen und die Gegenseite emotional-psychologisch abwerten; wie wir zur Genüge gesehen haben, löst das gar nichts, sondern eskaliert es die Situation nur weiter.

    Wenn die Standpunkte nach der Diskussion aber nahe bei 50:50 liegen, dann ist das ein starker Hinweis darauf, dass die Daten nicht eindeutig und die Argumente nicht überzeugend sind; oder es handelt sich prinzipiell um einen Streit um Werte, der sich nicht mit Fakten beilegen lässt.

    Dann sollte man offen über diese Werte sprechen. Lässt sich damit immer noch keine Einigung finden, muss man das tolerieren: Bestraft werden in demokratischen Rechtsstaat keine Gedanken oder Meinungen, sondern nur ausdrücklich verbotene Taten.
    Unabhängige Untersuchung

    In dem Fall Andringa wird es nun eine Untersuchung geben. Und so viel ist klar: Das Ergebnis wird die Öffentlichkeit beschäftigen, wie auch schon der Artikel in der Universitätszeitung (im niederländischen Original) rund 200 Kommentare nach sich zog, bis die Redaktion die Funktion deaktivierte. In der Regel wird dort kaum diskutiert.

    Die Universitätsleitung täte also gut daran, den Fall von neutralen Personen untersuchen zu lassen, die den Verdacht einer Beeinflussung von oben erst gar nicht aufkommen lassen. Wenn der Dozent mit dem Ergebnis nicht übereinstimmen sollte, steht ihm wie allen Bürgerinnen und Bürgern der Rechtsweg offen – wo der Konflikt dann in öffentlichen Sitzungen und nach festen Regeln, die eine „Waffengleichheit“ garantieren sollen, ausgetragen würde.

    Die Kommission und später vielleicht die Gerichte werden sich erst einmal damit beschäftigen müssen, was überhaupt in den universitären Sitzungen gesagt wurde. Äußerungen, die Andringa als Privatmann getätigt hat, müssen anders bewertet werden.

    Aber auch hier ist die Toleranz nicht grenzenlos: Der demokratische Rechtsstaat hat das Recht, ja sogar die Pflicht, seine eigene Grundlage zu verteidigen. Auch in Deutschland würde ein Beamter Probleme bekommen, der offen zur Revolution aufruft, um nur ein Beispiel zu nennen. Und der umstrittene Radikalenerlass, der angeblich gefährliche Personen präventiv aus dem Beamtentum halten sollte, feierte gerade sein 50. Jubiläum – und wird immer noch kritisch diskutiert.

    Wie weit kritisches Denken gehen kann, wie unvoreingenommen es sein muss und was akademische Freiheit in unserer Zeit bedeutet – all das sind Fragen, auf die uns der vorliegende Fall Antworten geben kann. Und bevor wir es merken, sind wir vielleicht selbst schon kritische Denker geworden.

    #science #iatrocratie