Taxi

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  • Taxi-Chef: „Wir brauchen Hilfe. Sonst wird es uns bald nicht mehr geben“
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    28.4.2022 von Peter Neumann - Die Zahl der Taxis in Berlin ist um ein Drittel gesunken, in Außenbezirken wird das Angebot dünn. Nun präsentiert die gebeutelte Branche einen Zukunftsplan.

    Es war eine flehentliche Bitte um Beistand. „Wir brauchen Hilfe. Sonst wird es uns bald nicht mehr geben“, sagt Leszek Nadolski, Vorsitzender der Innung des Berliner Taxigewerbes. Weil es immer schwieriger werde, als Betreiber über die Runden zu kommen, sei die Zahl der Taxis in Berlin allein in den vergangenen zwei Jahren um fast ein Drittel gesunken. Waren im Januar 2020 noch 8098 Taxikonzessionen vergeben, so betrug die Zahl im März 2022 nur noch 5797, berichtete der Innungschef am Donnerstag. „Wenn es so weitergeht, wird die Zahl am Jahresende unter 5000 rutschen.“

    Dass die Branche immer weiter dahinschwindet, bekämen vor allem die Menschen in den Außenbezirken zu spüren: Sie werden künftig länger auf ein Taxi warten müssen. Nun versucht die Branche einen Neustart im Zeichen der Klimadiskussion. Mit einem Plan, der 4000 Elektrotaxis für Berlin vorsieht, soll sie aus dem Tal herauskommen.

    Taxis und Berlin – das gehörte lange zusammen. Dieser Teil der Nahverkehrs und der Daseinsvorsorge prägte nicht nur den Straßenverkehr, sondern auch das Bild, das sich Menschen von dieser Metropole machen. Ein Beispiel ist Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“ von 1929, in dem die jungen Helden den Dieb mit einer „Autodroschke“ verfolgen. Von den 1950er-Jahren an profilierte der Kabarettist Wolfgang Gruner mit den Figuren „Kalle Bräsicke“ und „Fritze Flink“ das Bild vom Berliner Taxifahrer, der manchmal eine große Schnauze, aber auch ein großes Herz hat.
    Nur noch 14 bis 15 Euro brutto pro Stunde

    Hatten Taxichauffeure in früheren Jahrzehnten meist ein gutes Auskommen, ist dieser Beruf heute fast nur noch etwas für sehr genügsame Menschen, bedauert Innungschef Nadolski: „Heutzutage muss man sich als Ehefrau einen Taxifahrer leisten können.“ In Berlin sei der Umsatz auf durchschnittlich 14 bis 15 Euro brutto pro Stunde zusammengeschmolzen, berichtete er. Nicht nur die vielen „Einzelkämpfer“, die wie er selbst nur ein Taxi besitzen, leiden unter den Verhältnissen. Wenn der gesetzliche Mindestlohn im Juli auf 10,45 und im Oktober auf 12 Euro steigt, hätten vor allem Mehrwagenunternehmen noch größere Schwierigkeiten, legal zu arbeiten, so Nadolski.

    Wie berichtet, hat die Berliner Taxibranche im vergangenen Oktober eine zwölfprozentige Erhöhung der Fahrpreise beantragt. Doch ob und wann der Wunsch erfüllt wird, ist ungewiss. Wie berichtet kommt nun erst einmal ein Flughafentarif, der für Fahrgäste, die am BER einsteigen, eine Gebühr von 1,50 Euro vorsieht.

    „In Berlin ist die Situation der Taxibranche noch dramatischer als anderswo in Deutschland“, sagt Michael Oppermann, Geschäftsführer des Bundesverbands Taxi und Mietwagen. Das liege vor allem an Uber, FreeNow und Bolt. Diese großen Firmen, die per App Fahrtwünsche annehmen und an Subunternehmen vermitteln, wären in Berlin zu einer besonders starken Konkurrenz geworden, so Oppermann. Von Anfang 2020 bis März 2022 sei die Zahl der Mietwagen, als die man diese Fahrzeuge rechtlich einordnet, um rund 2400 auf mehr als 4000 gestiegen. Erst als das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten wie von der Taxibranche gefordert die Kontrollen intensiviert hat, verlangsamte sich der Anstieg, sagte Axel Rühle von der Zeitschrift Taxi Times.
    „Die mehr als 4000 Mietwagen nehmen uns viel Umsatz weg“

    „Die Zunahme bedeutet aber nicht, dass sich die Mobilität der Berliner im selben Maße verbessert hat“, gab Oppermann zu bedenken. Während Taxis ein Pflichtfahrgebiet haben, das sich in Berlin auf das ganze Stadtgebiet erstreckt, und nur genehmigte Tarife berechnen dürfen, betreiben die Fahrtenvermittler oft „Rosinenpicken“ in der Innenstadt. Die Fahrpreise richten sich häufig nach der Nachfrage – mit Ausreißern nach oben, so der Taxi-Funktionär. In der Preisgestaltung seien sie „völlig frei“, hieß es.

    „Noch haben wir in Berlin eine ausreichende Taxidichte. Taxis steuern fast jeden Punkt in Berlin an“, sagte Hermann Waldner, dessen Funkzentralen jährlich rund acht Millionen Taxifahrten in Berlin vermitteln. Das Angebot sei weitaus besser als anderswo. Doch Tag für Tag würden ein oder zwei Konzessionen abgemeldet. „Nicht nur ich mache mir Sorgen, dass dieser gute Service bald nicht mehr überall möglich sein wird“, so Waldner. „Die mehr als 4000 Mietwagen nehmen uns viel Umsatz weg.“
    Festpreise vom BER in die Stadt – das Eichamt lehnt ab

    Zwar biete das novellierte Personenbeförderungsrecht den Behörden Möglichkeiten zum Eingreifen, sagte Oppermann. „Doch der Werkzeugkasten droht zu verstauben.“ Auch in Berlin wünschen sich viele Kunden Festpreise, so Innungschef Nadolski. So sah der Antrag der Branche für den neuen, voraussichtlich ab Juni geltenden Flughafentarif vor, vom BER ins östliche Stadtzentrum 60 Euro und vom BER zur Messe 65 Euro zu berechnen.

    Gesetzlich wären fixe Tarife für bestimmte Relationen jetzt möglich, trotzdem sehe das Eichamt rechtliche Probleme. Mindesttarife für Uber & Co. könnten Sozialdumping vorbeugen, ergänzte Oppermann. Doch auch hier zierten sich Berlin und fast alle anderen Städte – aus Furcht vor Klagen.

    Wo bleibt das Positive? Das Berliner Taxigewerbe könne entscheidend zur Mobilitätswende beitragen, sagte Leszek Nadolski. Ein Förderprogramm der Wirtschaftsverwaltung, bei dem es Zuschüsse für den Kauf von Elektrotaxis gab, war ein „voller Erfolg“. Knapp 60 Fahrzeuge dieser Art fahren schon durch Berlin, so der Verbandsvorsitzende. Mit einem neuen Förderprogramm könnte der Senat erreichen, dass die Zahl in fünf Jahren auf 4000 Taxis mit Elektroantrieb in Berlin wächst.

    Dabei denken Nadolski und andere Taxistrategen weniger an Ladesäulen, an denen E-Autos oft lange Zeit verbringen müssen. Zudem gebe es in Berlin derzeit nur knapp 2440 Ladepunkte – zu wenige für die fast 19.000 batterieelektrischen Fahrzeuge in der Stadt. „Der Taxiverkehr könnte problemlos elektrifiziert werden, wenn Berliner Tankstellen mit Express-Batteriewechselstationen ausgerüstet werden. Das ist weniger zeitraubend. Der Clou: Der Senat müsste nur dabei helfen, dass die Tankstellen 10-Kilovolt-Anschlüsse bekommen. Mehr Investitionen fallen für die Politik nicht an.“
    „Die Menschen haben die Nase voll von dem Ladequatsch“

    Wie eine solche Wechselstation aussieht, lässt sich bereits auf dem Gelände des Westhafens betrachten. Alexander Yu Li und Dieter Flämig, Gründer des Berliner Start-ups Infradianba, haben die versteckt neben eine Halle gelegene Anlage konzipiert. Das Elektroauto fährt in die Station hinein. Robotertechnik nimmt das Wechselgehäuse mit der Batterie heraus und bringt sie zu einem Speichersystem, das sie in knapp zwei Stunden wieder auflädt. Danach setzt er einen frischen Akku ein und das Auto kann weiterfahren. Die Prozedur dauert im Schnitt zwei bis drei Minuten.

    „Ein 50-Kilowatt-Akku reicht für 300 bis 400 Kilometer“, sagte Yu Li. Ende dieses Jahres geht am Flughafen BER eine weitere Station in Betrieb – für zunächst rund 500 Wechsel pro Tag. Anders als zum Beispiel in China sind derzeit nur wenige Elektrofahrzeuge für diese Technik geeignet, so Flämig. Das Vorführ-Elektrotaxi ist ein MG aus Großbritannien. Doch Gespräche mit großen europäischen Autoherstellern seien im Gang, sagte der 72 Jahre alte Hochschullehrer. Wenn es um Elektromobilität geht, seien Wechselstationen die Technik der Zukunft, weil sie rationeller sind als Ladesäulen. „Die Menschen haben die Nase voll von dem Ladequatsch.“

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