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  • Wohnungsnot: Es war lange nicht mehr so schwer, eine Wohnung in Berlin zu finden
    https://prod.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/wohnungssuche-in-berlin-so-schwer-war-es-seit-jahrzehnten-nich

    29.5.2022 von Niklas Liebetrau - Der Tag, an dem Angelika Pietz erfährt, dass sich ihr Leben ändern muss, endet mit einer Tafel Milka und zwei Gläsern Rotwein. Das Schreiben mit der Eigenbedarfskündigung hat sie nur überflogen. Kurz aufs Datum geschaut, wann sie ihre kleine Wohnung in Pankow räumen soll: 28. Februar 2023. Dann schnell wieder alles weggelegt.

    Bloß nicht zu nah an sich heranlassen. Bei Google gibt sie trotzdem gleich die Worte ein, die von nun an ihren Alltag bestimmen werden: Wohnung in Berlin, Wohnberechtigungsschein (WBS), Wohnungsamt. Bis spät in die Nacht sitzt sie vor ihrem PC, trinkt Wein und isst Schokolade. So erzählt sie es etwa eine Woche später.

    Es ist ein sonniger Morgen im Mai. Frau Pietz sitzt in einem hippen Café in Prenzlauer Berg. Um sie herum junge Leute. Alle trinken Chai Latte, Matcha Latte, Golden Latte. Frau Pietz trinkt stilles Wasser. Die kleine, bald 69 Jahre alte Rentnerin hat den gelben Kaschmir-Pullover an, den sie tags zuvor „aus Frust“ gekauft hat. Sie lacht, wenn sie davon erzählt. Aber innerlich, sagt Pietz, sei sie unruhig.

    22 Jahre lang hat sie in ihrer Wohnung gewohnt, hat gedacht, hier werde sie alt. Als das Schreiben ihrer Vermieterin kam, war das erst ein Schock. Dann habe sie gedacht, ein Neuanfang – könnte auch ganz nett sein. Geht eine Tür zu, öffnet sich eine andere.

    Wie damals, als sie nach der Wende ihren Job verlor und zur Altenpflegerin umschulte. Aber als ihr dann neulich bei der Mieterberatung jemand sagte, ohne WBS drohe ihr die Wohnungslosigkeit, „da war das wie ein körperlicher Schmerz“. „Ick“, sagt sie. „Ick und wohnungslos?“

    In Berlin häufen sich die Eigenbedarfskündigungen. Sicher geglaubte Lebenspläne ändern sich von einem Tag auf den anderen.

    Wohnraum in Berlin ist Mangelware. Wer umziehen will, oder wie Frau Pietz umziehen muss, der erfährt die ganze Härte des Marktes. Im Schnitt bewerben sich um jede freie Wohnung in der Stadt mehr als 200 Menschen. Als die Berliner Zeitung am Wochenende kürzlich die Vermietung einer 81-Quadratmeter-Wohnung in Wedding begleitete, waren es 656 Menschen.

    Parallel steigen die Preise so rasant wie nirgendwo sonst in der Republik. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Neuvertragsmieten mehr als verdoppelt. Sie liegen bei durchschnittlich 10,55 Euro pro Quadratmeter. Und sie haben sich von dem entkoppelt, was in bestehenden Mietverhältnissen bezahlt wird, im Schnitt nämlich 6,37 Euro pro Quadratmeter. Mehr als vier Euro Unterschied also zwischen denen, die eine Wohnung haben und denen, die eine suchen.

    „Eine bezahlbare Wohnung in Berlin zu finden war noch nie so schwierig wie heute“, heißt es daher auch im jüngst veröffentlichten Wohnmarktreport der Immobilienbank Berlin Hyp. Selbst Gutverdiener spüren das. Vor kurzem war es Kevin Kühnert, der mit der Aussage überraschte, er finde in Tempelhof-Schöneberg keine Wohnung mehr. Und das mit einem Monatsgehalt von über 10.000 Euro.

    Die Ursachen der Wohnungskrise liegen Jahrzehnte zurück

    Wie konnte es dazu kommen? Eine Antwort ist: Berlin ist begehrt. Zwischen 2012 und 2020 ist die Stadt pro Jahr im Schnitt um fast 29.000 Menschen gewachsen. Wegen Corona war die Entwicklung kurz rückläufig, künftig wird das Wachstum aber eher noch zunehmen. Allein der Krieg in der Ukraine wird 100.000 Menschen nach Berlin spülen, die dauerhaft bleiben werden. Damit rechnet der Berliner Senat.

    Hinzu kommen die politischen Fehler der Vergangenheit. Allen voran der Ausverkauf von städtischen Wohnungen seit der Jahrtausendwende. Damals hatte Berlin durch die Wiedervereinigung hohe Schulden. Gleichzeitig einen Leerstand von zeitweise über fünf Prozent. Für Mieter waren Wohnungen Schnäppchen. Für die Stadt waren sie ein einfaches Mittel, um Haushaltslücken zu schließen. Gab es 2001 noch 264.000 Sozialwohnungen in Berlin, sind es heute nur noch 92.000. Und die sind voll vermietet. Etwa ein Viertel der Wohnungen in der Stadt sind heute öffentlich, genossenschaftlich oder gemeinnützig verteilt. Der Rest gehört dem freien Markt.

    Spätestens seit der Finanzkrise 2008 sind Immobilien in Berlin für Anleger hochinteressant. Vor allem, solange die Zinsen niedrig sind. Ein Beispiel aus Friedrichshain: Dort, am Samariterplatz, schraubte sich der durchschnittliche Bodenpreis von 460 Euro im Jahr 2008 innerhalb von zehn Jahren auf 5500 Euro pro Quadratmeter. Ein Anstieg von mehr als 1000 Prozent. Und so sieht es in weiten Teilen der Stadt aus. „Wohnungen werden gekauft, damit sie Rendite abwerfen“, sagt der Sozialwissenschaftler Andrej Holm von der Humboldt-Universität, „das läuft dem Wunsch nach bezahlbaren Mieten völlig zuwider.“

    Jeder zweite Berliner hätte Anspruch auf eine Sozialwohnung

    Seit über 20 Jahren beschäftigt sich Holm mit Wohnungspolitik und Gentrifizierung. Er sagt: „Geht es so weiter, werden Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen bald nicht mehr hier wohnen können.“ Oder nur unter hoher finanzieller Belastung. Schon jetzt gebe es einige Menschen, die mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete zahlen würden. Beinahe jeder zweite Berliner Haushalt hätte, gemessen am Einkommen, Anspruch auf eine Sozialwohnung.

    Eine solche bekommt, wer einen WBS vorlegen kann. Ob man Anspruch darauf hat, entscheidet das Gehalt. In Berlin liegt die Einkommensgrenze für Ein-Personen-Haushalte bei 16.800 Euro. Je nach Fall wird davon noch etwas abgezogen. Doch einen WBS zu beantragen ist aufwendig. Oft dauert es Monate, bis das Amt dem Antrag zustimmt. Und das Angebot an Wohnungen reicht ohnehin nicht aus. Allein 2020 und 2021 kamen 85.000 neue WBS-Berechtigte hinzu. Im gleichen Zeitraum wurden etwa 3000 geförderte Wohnungen gebaut. „Die Wohnungskrise“, sagt Holm, „ist eine soziale Versorgungskrise.“
    Wohnungsnot gefährdet die Psyche

    Es ist eine Entwicklung, wie man sie aus New York, London und Paris kennt: In der Innenstadt leben die Gutverdienenden, am Rand die Geringverdiener, die Verdrängten.

    Angelika Pietz wird in Pankow wohl nichts mehr finden. Neulich habe ihre Tochter ihr ein Inserat geschickt – eine Wohnung im Märkischen Viertel. „Die könnt ick bezahlen“, sagt Pietz. „Aber will ick dit?“ Sie hat Sorge, dass sie sich dort nicht sicher fühlen wird, in dieser für sie völlig unbekannten Gegend im Norden von Berlin. „Aber wenn gar nichts geht, zieh ick och dahin“, sagt sie. Unterkriegen lasse sie sich nicht. Und ein bisschen Zeit habe sie ja auch noch.

    Frau Pietz versucht, optimistisch zu bleiben. Doch die Ungewissheit, die Angst vor der Wohnungslosigkeit, der Verlust des heimischen Viertels – all das belastet Menschen schwer, die von der Wohnungsnot betroffen sind. Micha aus Steglitz sagt: „Fast jede Nacht wache ich auf und frage mich: Wo soll ich hin?“

    Es ist ein lauer Abend in Kreuzberg. Kinder spielen auf der Straße Fußball, vor den Spätis sind die Tische voll. Micha, ein kleiner, drahtiger Mann von 64 Jahren, mit grünen Augen und schneeweißem Bart, erzählt seine Geschichte. Er will seinen Nachnamen nicht verraten und auch nicht seinen Beruf. Vielleicht ist er etwas misstrauisch. Nur, dass er im öffentlichen Dienst arbeitet und etwa 2000 Euro im Monat verdient, darf der Reporter schreiben.

    Erst Eigenbedarf, dann Zwangsräumung

    Auf den ersten Blick ähnelt sein Fall dem von Angelika Pietz. Auch Micha lebt schon lange in seiner 59-Quadratmeter-Wohnung. Er ist dort als junger Mann eingezogen, 40 Jahre ist das jetzt her. Dabei sei die Wohnung nichts Besonderes, sagt er. Dritter Stock ohne Aufzug, zwei Zimmer, klassischer Fünfzigerjahre-Bau. Linoleum, offene Rohre, „das Ding ist marode“, sagt er.

    2018 wird diese Wohnung von zwei Geschäftsmännern gekauft, für 110.000 Euro, wie Micha hört. Ein Jahr später kommt die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Die Mutter des einen Eigentümers soll in die Wohnung ziehen. Eigentlich gibt es in Berlin eine Sperrfrist von zehn Jahren, ehe ein Käufer Eigenbedarf anmelden darf. Das gilt aber nur beim ersten Verkauf. In den Neunzigern hatte die Wohnung schon einmal den Eigentümer gewechselt. Doch Micha ist nicht bereit, auszuziehen.

    Eine Klage gegen die Kündigung verliert er. Am 30. November wird seine Wohnung zwangsgeräumt. Er will auch dann noch da sein. „Wo soll ich denn hin?“, sagt er noch mal. Seine 89-jährige Mutter, um die er sich kümmern muss, lebe nur 15 Minuten mit dem Fahrrad entfernt. „Wer macht ihren Einkauf, wenn ich weg bin?“ Etwas anderes in der Nähe finde er nicht. 500 Euro könne er maximal an Miete zahlen. Dafür gibt es in Steglitz bei Immoscout aktuell nur eine einzige Wohnung – eine Tauschwohnung.

    Micha glaubt, der Eigenbedarf sei nur vorgeschoben. Auch deswegen will er nicht raus. Er hat sich informiert. Die beiden neuen Eigentümer sind Inhaber eines Online-Handels für Luxusschuhe. 2019 habe das Unternehmen einen Umsatz von 18 Millionen Euro gemacht. „Und die wollen ihre Mutter in meine Bruchbude setzen?“, fragt er.

    Tausende Zwangsräumungen pro Jahr

    Manchmal hilft ihm die Wut. Doch die meiste Zeit sind da vor allem Fragen, auf die er keine Antworten findet. „Innerlich bin ich ein Wrack“, sagt er. Er sehe in seinem Leben nichts mehr, worauf er sich freuen könne. Er hat Briefe geschrieben an den Bausenator, an die Regierende Bürgermeisterin, sogar an den Bundespräsidenten. Niemand kann ihm helfen. Micha schaut ins Leere. „Wer hilft dir“, fragt er, „wenn dir keiner mehr hilft?“

    Jeden Tag werden in Berlin gleich mehrere Haushalte zwangsgeräumt. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, aber Schätzungen sprechen von mehreren Tausend Räumungen pro Jahr. Allein in Berlin. Droht einem Menschen dieses Schicksal, ruft das oft ein linkes Bündnis auf den Plan, das sich „Zwangsräumung verhindern“ nennt und von dem der Verfassungsschutz sagt, es sei „linksextremistisch beeinflusst“. Die Aktivisten organisieren Demos, besuchen in größeren Gruppen die Eigentümer und blockieren am Tag der Räumung die Wohnung. Auch von Michas Fall hat das Bündnis gehört. „Wir haben schon einen Brief an die Vermieter geschrieben“, sagt einer vom Bündnis am Telefon, der sich David Schuster nennt. Jetzt folge die nächste „Eskalationsstufe“.

    Ein Tag später. Am Kudamm ist die Welt noch in Ordnung. Im Schuhgeschäft „Budapester“ sitzen Damen, trinken Sekt, vielleicht auch Champagner, und lassen sich Schuhe bringen. Sneaker von Givenchy, 650 Euro. Pumps von Aquazura, 995 Euro. Stiefel von Dolce & Gabbana, 1390 Euro. Plötzlich marschieren sieben Leute in den Laden. Sie tragen dunkle Sonnenbrillen und halten rote Schilder in die Höhe. „Stop Zwangsräumungen“ steht darauf. „Alle mal herhören“, ruft einer. „Die Eigentümer dieses Ladens und des Online-Shops MyBudapester wollen ihren Mieter rausschmeißen.“ Es geht um Micha. „Das finden wir scheiße“, ruft der Mann.

    Wohnungsnot ist sozialer Sprengstoff

    Es wird hektisch. Mitarbeiter eilen herbei. Sie bitten, man möge den Laden verlassen. Sie flehen fast. Die Inhaber seien nicht im Haus. Eine Kundin springt auf: „Die setzen ihren Mieter auf die Straße? Mit so einem Laden kann ich mich nicht identifizieren.“ Sie stürmt empört aus dem Geschäft. Später stellt sich heraus: Auch sie ist Teil des Bündnisses. Flyer fliegen. Dann drängen alle schon wieder nach draußen. Das Ganze dauert keine zwei Minuten. Am Abend veröffentlicht die Gruppe die Namen der Inhaber des Geschäfts auf ihrer Website. David Schuster sagt: „Spätestens jetzt wissen die, dass sie die Räumung nicht leise über die Bühne bringen werden.“ Weitere Aktionen seien geplant. Die Berliner Zeitung hat versucht, die Geschäftsinhaber zu ihrer Sicht der Dinge zu befragen, die Anfrage blieb unbeantwortet.

    Das Thema Wohnungsnot ist zum sozialen Sprengstoff geworden. Das zeigen nicht nur Aktionen wie die am Kudamm. Der Ton wird rauer. Am 1. Mai bewarf jemand die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey gar mit einem Ei, als sie eine Rede auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes hielt. Zuvor hatte die Menge lautstark gefordert, den Berliner Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungsbauunternehmen umzusetzen.
    Hilft die Enteignung großer Wohnungsunternehmen?

    Sucht man in der Stadt nach Lösungen für die Wohnungskrise, kommt man immer wieder auf diesen Vorschlag: Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen sollen enteignet werden. Insgesamt wären das etwa 240.000 Wohnungen, die wieder in die Verwaltung der Stadt übergingen – wo sie ja einst bereits waren. Die Hoffnung: Mieten würden dadurch dauerhaft auf das kostendeckende Maß beschränkt, eine soziale Durchmischung von Arm und Reich wäre auch innerhalb des Berliner Rings weiterhin möglich. Wie viel die Übernahme der Wohnungen kosten würde, ob das verfassungsrechtlich überhaupt machbar wäre und welche Auswirkungen es tatsächlich hätte, all das ist höchst umstritten. Nur eines ist gewiss: Eine Entscheidung darüber wird noch Jahre dauern. Eine schnelle Lösung bringt der Vorschlag nicht..

    Stattdessen setzt die Stadt, allen voran die regierende SPD, vor allem auf eins: Neubau. Bis 2030 will der Senat 200.000 neue Wohnungen schaffen. Nur dadurch könne den steigenden Mieten Einhalt geboten werden. Aber ist das wirklich so? Andrej Holm, der Sozialwissenschaftler, sagt: „Rechnerisch fehlen Berlin schon jetzt etwa 50.000 Wohnungen.“ Auf 2,03 Millionen Haushalte kämen nur 1,98 Millionen Wohnungen. Bauen sei also ein richtiger Weg, so Holm. „Aber es müssen eben vor allem bezahlbare Wohnungen sein, die gebaut werden.“

    „Neubau wird die Mieten senken, natürlich.“
    Christian Gaebler, Staatssekretär für Bauen und Wohnen

    Ein Besuch bei Christian Gaebler, dem Staatssekretär für Bauen und Wohnen. Schlichtes Büro, Bauhelm und Warnweste auf dem Schrank, aus dem Fenster der Blick auf den Fehrbelliner Platz, es riecht nach Kaffee. Als Staatssekretär kommt Gaebler eine wichtige Rolle in der Bewältigung der Wohnungsnot zu. Wobei Wohnungsnot – seine Pressesprecherin und er reden lieber von einer Wohnungsknappheit. Eine Not sei ja doch noch mal was anderes.

    Herr Gaebler, wird Bauen die Mieten in Berlin senken? „Natürlich“, sagt er. Berlin sei seit längerem ein Vermietermarkt, die Nachfrage übersteige bei weitem das Angebot. Das treibe die Preise in die Höhe. „Das muss aufgelöst werden, auch Enteignungen nützen da nichts“, sagt er. Erhöhe man das Angebot, sänken die Mieten. Die Regeln der Marktwirtschaft. „Den Effekt werden wir spätestens in fünf Jahren spüren.“ Was Gaebler allerdings auch sagt: Die steigenden Baupreise machten es derzeit schwer, bezahlbare Wohnungen zu bauen.
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    Das eigentliche Problem sind die steigenden Baupreise

    Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine. Dazu immer strengere Vorgaben zur Einhaltung der Klimaziele – all das lässt die Baupreise rasant steigen. Möchte man wissen, ob es sich in dieser Situation überhaupt noch rechnet, bezahlbare Wohnungen zu bauen, muss man bei Susanne Klabe nachfragen. Klabe ist Geschäftsführerin des Berliner Landesverband der privaten mittelständischen Immobilienwirtschaft (BFW). Sie sagt: Sozialwohnungen, wie private Unternehmer sie zu 30 Prozent bauen müssen, könnten nur dann finanziert werden, wenn die Mieten der restlichen 70 Prozent entsprechend teurer seien.

    „Um einen Neubau stemmen zu können, sind die Unternehmen auf die Finanzierung von Banken angewiesen“, erklärt Klabe. „Wie hoch der Kredit der Bank ist, hängt davon ab, was man mit der Wohnung später einnimmt.“ Derzeit, so Klabe, brauche man für die Refinanzierung einer einfachen Wohnung „ohne Schnickschnack“, eine Miete von etwa 13 Euro pro Quadratmeter. Mit einer 65-Quadratmeter-Wohnung würde man demnach – ohne Betriebskosten – 845 Euro einnehmen. Dürfe man nun aber nur 6,50 Euro pro Quadratmeter Miete verlangen, weil es eine Sozialwohnung sei, entstehe eine Lücke.

    „Diese Lücke soll eigentlich die Förderung schließen“, sagt Klabe. Doch das Konstrukt der Förderung sei als Darlehen angelegt. Ein solches rechneten die Banken aber nicht auf den fehlenden Anteil „Miete“ an, weil ein Darlehen keine Einnahme sei.
    Wie die Mieten steigen

    Etwas kompliziert. Doch was am Ende relevant ist: Unternehmer verzichten in den meisten Fällen auf die staatliche Förderung und schrauben stattdessen lieber die Mieten der restlichen 70 Prozent der Wohnungen nach oben, um das Projekt zu finanzieren. Einfach, weil es einfacher ist.

    Wie stark die Mieten nach oben angepasst würden, das hänge vor allem von Grundstückskosten und den Baupreisen ab, sagt Klabe. Und letztere wiederum hingen insbesondere auch davon ab, wie lange ein Projekt brauche. „In Berlin ist da noch sehr viel Spielraum“, sagt sie.

    Klabe beklagt, dass es in Berlin viel zu lange brauche, bis überhaupt gebaut werden könne. So dauere es zum Beispiel im Schnitt ganze neun Jahre, bis ein Bebauungsplan festgesetzt werde. Dabei gebe die Stadt die Dauer für ein solches normales Verfahren mit etwa vier Jahren an. „Wir brauchen dringend mehr und auch entscheidungsfreudigeres Personal in den Ämtern“, sagt Klabe. Denn wenn die Baupreise alle zwei Monate stiegen, zähle jeder Monat. „Am Ende merken das vor allem die Mieter“, sagt Klabe.

    Eine Lösung für die Wohnungskrise ist nicht in Sicht

    Gegen die steigenden Mieten also, so die Ansicht des Senats, hilft vor allem das Bauen neuer Wohnungen. Wohnungsunternehmen zu enteignen schaffe ja keine einzige neue Wohnung. Kritiker sagen: Bauen, ja, aber eben vor allem günstige Wohnungen. Und die Bauindustrie sagt: Günstige Wohnungen bei den steigenden Preisen – das wird schwer. Vor allem, wenn die Verwaltung so lange braucht. Und so bleibt am Ende vor allem diese Erkenntnis: Jeder schiebt sich gegenseitig die Verantwortung zu, eine Lösung aber ist weiterhin nicht in Sicht.

    Was das bedeutet, kann man sehen, wenn man mit Angelika Pietz aus Pankow spricht. Oder mit Micha aus Steglitz. Beide werden nach vielen Jahren ihre Wohnungen verlieren. Dort, wo sie ihr halbes Leben verbracht haben, werden sie nicht bleiben können.

    Ein junges Drama auf dem Wohnungsmarkt

    Man sieht es aber auch an dem jungen Paar, das vor kurzem auf Ebay-Kleinanzeigen einen Hilferuf absetzt: Kristina, 22, und Jannis, 27, aus Moabit. Seit fünf Monaten, so erzählen sie am Telefon, sind sie nun auf Wohnungssuche. Bis heute sind sie zu keiner einzigen Wohnungsbesichtigung eingeladen worden. Dabei bewerben sie sich auf alles, was sie sich mit ihren knapp 900 Euro, die sie zusammen haben, gerade so leisten können.

    Kristina macht ihr Fachabitur. Jannis hat seinen Job verloren. Er ist wegen der Situation häufig krank. Nach einem Familienstreit mussten die beiden überstürzt ihre alte Wohnung verlassen, das war Mitte Januar. Seitdem kommen sie bei Freunden unter, mal hier, mal da. Allmählich aber merken die beiden, wie ihre Freunde ungeduldig werden. Wie das Angebot, die Couch zu nutzen, bislang ohne Wenn und Aber ausgesprochen, immer zögerlicher erfolgt. „Wo wir heute Abend schlafen sollen“, sagt Kristina, „wir wissen es noch nicht.“

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