Taxi

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  • Job im Robotaxi: Was der (Mit-)Fahrer zu tun hat
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    1.8.2022 von Zeyi Yang - Liu Yang hat Probleme beim Autofahren, seitdem er seinen jetzigen Job angetreten hat. „Ich habe mich einfach instinktiv auf den Beifahrersitz gesetzt. Und wenn ich fuhr, erwartete ich plötzlich, dass das Auto von selber bremst“, sagt der 33-Jährige aus Peking, der seit Januar 2021 als Robotertaxi-Fahrer beim chinesischen Tech-Riesen Baidu arbeitet.

    Wer an Orten wie San Francisco, Phoenix oder Shenzhen lebt, kennt die selbstfahrenden Taxis bereits, denn dort sind sie regelmäßig im Einsatz. Doch die Robotertaxis werden oft noch „gefahren“. So schreibt die chinesische Regierung beispielsweise vor, dass eine Person im Auto anwesend sein muss – selbst wenn sie nicht kontrolliert, wie sich das Auto genau bewegt. Liu ist daher einer von Hunderten von „Fahrern“ – oder sogenannten Sicherheitsoperatoren, wie sie in der Branche genannt werden –, die Baidu beschäftigt.

    Erprobung von Robotaxis auf öffentlichen Straßen

    Der Beruf des Robotaxi-Sicherheitsfahrers ist ein Beruf, den es erst seit kurzem gibt. Er ist das Ergebnis einer sich schnell weiterentwickelnden Technik, die zwar fortschrittlich genug ist, den eigentlichen Fahrer – zumindest in kontrollierten Umgebungen wie feingliedrig abgemessenen Städten – loszuwerden, doch nicht fortschrittlich genug, um die Behörden davon zu überzeugen, dass sie den menschlichen Eingriff ganz abschaffen können, selbst wenn der Sicherheitsoperator nicht am Steuer sitzt.

    Inzwischen sind Fahrzeug-KI-Unternehmen aus den USA, Europa und China dabei, die Technologie zu kommerzialisieren. Die meisten von ihnen, darunter auch Apollo, eine Tochtergesellschaft von Baidu, haben mit der Erprobung von Robotaxis auf öffentlichen Straßen begonnen, müssen aber noch mit verschiedenen Einschränkungen arbeiten.

    Mit einem Uni-Abschluss als Associate im Bereich Personalwesen hat Liu keine wirkliche Ausbildung für diesen Job, aber er ist schon immer gerne Auto gefahren und hat früher einmal als Fahrer für seinen Chef fungiert. Als er von den selbstfahrenden Autos hörte, veranlasste ihn seine Neugier, online nach entsprechenden Stellen zu suchen und sich zu bewerben. Heute „fährt“ Liu fünf Tage in der Woche ein Robotertaxi in Shougang Park, einem 3,3 Quadratkilometer großen ehemaligen Kraftwerksgelände in Peking, das zu einer Touristenattraktion umgestaltet wurde, nachdem es einst als Sportstätte für die Olympischen Winterspiele 2022 diente. Sein Auto darf den Bereich, der als Testgebiet für Robotertaxis ausgewiesen ist, allerdings nicht verlassen, so dass seine Fahrgäste in der Regel Menschen sind, die dort arbeiten – oder Touristen, die am Wochenende zu Besuch kommen.
    Schleudersitz Sicherheitsoperator

    Liu muss sich aber auch Gedanken über seine nächsten Schritte machen, da sein Job in einigen Jahren wahrscheinlich wegfallen wird. In seiner 19-monatigen Laufbahn als Sicherheitsfahrer hat er bereits mehrere Robotertaxi-Modelle erlebt – sowie Veränderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen. Im April 2021 erwarb Baidu die Lizenz, den Sicherheitsoperator auf den Beifahrersitz statt auf den Fahrersitz zu setzen (allerdings nur in Shougang Park), woraufhin Liu seine Position wechselte und sich vom Lenkrad verabschiedete. Am 21. Juli 2022 stellte Baidu dann sein neues Robotertaxi-Modell vor, bei dem das Lenkrad sogar ganz entfernt werden kann. Es soll im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden.

    MIT Technology Review sprach bereits im Juni mit Liu Yang. Wir haben ihn gefragt, wie er zu diesem Job gekommen ist, wie sein Alltag ist und wie für ihn die Zukunft eines Berufs aussieht, der bald verschwinden wird. Das Interview wurde aus dem Chinesischen übersetzt und zur besseren Verständlichkeit bearbeitet.

    Herr Yang, wie sind Sie dazu gekommen, Sicherheitsoperator für ein selbstfahrendes Taxi zu werden?

    Das war eher Zufall. Als ich einmal das Auto für meinen damaligen Chef einparkte, wusste ich noch gar nicht, was selbstfahrendes Fahren ist. Ich sah nur, dass sein Auto eine Parkautomatik hatte. Ich war super neugierig darauf. Es war wirklich interessant, als wir „Normalos“ es zum ersten Mal ausprobierten. Danach wollte ich mehr wissen.

    Wie lange fahren Sie schon Auto?

    Zwölf oder dreizehn Jahre.

    Können Sie sich noch daran erinnern, wie das Vorstellungsgespräch ablief?

    Ich war extrem nervös, als ich zum Vorstellungsgespräch kam. Es gab zwei Runden, ein persönliches Gespräch und einen Fahrtest. Ich glaube, die Prüfung für selbstfahrende Autos ist schwieriger als die Prüfung für den regulären Führerschein. Wenn man das Autofahren lernt, muss man nach links, rechts und in den Rückspiegel schauen, aber bei der Prüfung [für Baidu] muss man auf alle Richtungen achten und auch darauf, was die Autos vor und hinter einem machen. Vielleicht wechselt ein anderes Fahrzeug plötzlich die Spur und stößt mit einem zusammen.
    Keinen Zugriff aufs Lenkrad

    Wie sieht Ihr Tagesablauf als Sicherheitsfahrer aus?

    Die Arbeit beginnt um 10 Uhr morgens und dauert bis 18 Uhr. Im Durchschnitt verbringe ich jeden Tag sieben Stunden im Auto. Da es sich bei uns um einen kommerziellen Fahrdienst handelt, müssen wir dafür sorgen, dass immer ein Auto zur Verfügung steht, wenn die Fahrgäste es bestellen. Wir [Fahrer] wechseln uns also mit dem Mittagessen ab, normalerweise ist es zwischen 11 und 13 Uhr. Wenn an einem Tag viele Fahrten stattgefunden haben und die Batterie des Fahrzeugs aufgeladen werden muss, laden wir das Auto auf, während wir zu Mittag essen.

    Wofür sind Sie verantwortlich, wenn Sie im Auto sitzen, da Sie es ja nicht selbst fahren können?

    Wenn ich auf dem Fahrersitz sitze, achte ich auf die Straße und kontrolliere das Auto, wenn es ein Problem gibt. Wenn ich auf dem Beifahrersitz sitze, achte ich mehr auf die Umgebung des Autos, zum Beispiel durch den Rückspiegel. Da ich keinen Zugriff auf das Lenkrad habe, kann ich über die Cloud-basierte Plattform mit einem Operator sprechen [wenn ein Mensch eingreifen muss].

    Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie den Job zum ersten Mal gemacht haben?

    Da ich noch nie in einem selbstfahrenden Auto gesessen hatte, hatte ich zu Beginn meiner Tätigkeit etwas Angst, weil ich nicht derjenige war, der es steuern konnte. Wenn das Fahrzeug z. B. in eine Kurve fährt, würde ich die als Fahrer vielleicht anders nehmen. Das Auto folgt stets den gesetzlich vorgeschriebenen Regeln. Wenn ich selbst am Steuer sitze, würde ich dagegen gelegentlich eine Kurve schneiden oder die durchgezogene Linie überfahren, wenn es notwendig ist. Die Art des Fahrens ist also unterschiedlich. Ich hatte zwar etwas Angst, aber es war sicher. Das Auto fährt einfach selbst und hält sich an die Verkehrsregeln.
    „Manchmal ging ich instinktiv zur Beifahrerseite“

    Fühlt es sich komisch an, nach eineinhalb Jahren als Sicherheitsoperator wieder ein eigenes Auto zu fahren?

    Am Anfang konnte ich mich nicht daran gewöhnen. Wenn ich nach einem Arbeitstag wieder in mein eigenes Auto stieg, behandelte ich es, als wäre es ein selbstfahrendes Auto. Manchmal, wenn ich zu meinem Auto kam, ging ich instinktiv zur Beifahrerseite. Oder wenn ich fuhr, erwartete ich plötzlich, dass das Auto von selbst bremst, wenn es notwendig ist. Dann habe ich schnell gemerkt, dass das nicht richtig ist. Aber nach ein paar Mal des Hin und Her habe ich mich daran gewöhnt. Dann ist es wieder normal.

    Hat sich Ihre Arbeitsweise verändert, seit Sie Passagiere in Ihrem Auto haben?

    Früher gab es nur mich. Ich saß im Auto und habe es den ganzen Tag lang überwacht. Aber jetzt, seit wir den kommerziellen Betrieb mit Fahrgästen aufgenommen haben, treffe ich jeden Tag andere Leute, und die Vielfalt der Fahrgäste macht die Arbeit weniger trocken als früher. Alle sind neugierig auf das selbstfahrende Auto, die Leute wollen sich mit dir unterhalten und stellen Fragen.

    Wie viele Fahrgäste haben Sie jeden Tag?

    Im Durchschnitt sind es 10 bis 15 Fahrten. Und dann sind es meist ein oder zwei Fahrgäste pro Fahrt. Die Fahrten dauern etwa vier bis fünf Minuten.

    Hat schon einmal jemand an der Sicherheit des Autos gezweifelt und wollte, dass Sie von Hand fahren?

    Nein, aber es gibt viele, die sich für das Auto interessieren und es sogar selbst fahren wollen. Sie fragen dann, ob sie auf dem Fahrersitz Platz nehmen dürfen, und ich muss nein sagen.

    Gibt es viele Leute, die darum bitten, auf dem Fahrersitz Platz nehmen zu dürfen?

    Ich würde sagen 30 Prozent der Leute.

    Sie halten sich jeden Tag in Shougang Park auf. Haben Sie die Gegend gut kennengelernt und langweilen Sie sich dort jetzt?

    Ich würde nicht sagen, dass ich mich langweile, aber ich kenne die Straßen in Shougang Park jetzt sehr gut. Ich weiß, an welchen Kreuzungen es wahrscheinlich einen toten Winkel gibt, in dem normale Autos unsere Fortkommen behindern, wo Fußgänger eher über die Straße laufen. Wahrscheinlich weiß ich mehr darüber als die Leute, die Shougang Park nur besuchen.

    Es gibt zum Beispiel eine Kreuzung, an der Vegetation die Straßen trennt. Dieser Bereich ist ein einziger großer toter Winkel. Wenn Autos ankommen, ist die Sicht [durch die Vegetation] versperrt, so dass man manchmal Probleme mit dem Gegenverkehr bekommt. Aber nachdem wir hier eine Weile gearbeitet haben, wissen wir, dass man dort die Situation vorausschauend beobachten muss, um Unfälle zu vermeiden.
    Die Zukunft als Sicherheitsoperator

    Wie fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit? Haben Sie das Gefühl, dass Sie einen Einfluss auf den technischen Fortschritt selbstfahrender Autos haben?

    Da wir jeden Tag im Auto sitzen, können wir mehr Probleme erkennen und sie anschließend melden. Wir helfen den technischen Abteilungen dabei, auf dem Laufenden zu bleiben, was täglich mit den Autos passiert und welche Probleme gelöst werden müssen.

    Das Ziel des selbstfahrenden Autos ist es ja, den Fahrer und den Sicherheitsoperator eines Tages überflüssig zu machen. Sagen wir, in einem Jahr oder in fünf Jahren wird kein Sicherheitsfahrer mehr benötigt. Was sind dann Ihre Karrierepläne?

    Ich möchte in dieser Branche bleiben. Ich setze große Hoffnungen in sie und sie gefällt mir sehr. Ich bin hier eingestiegen, weil ich neugierig war auf. Wir arbeiten hier fortschrittlich und sind leistungsfähig. Es ist ein sehr futuristischer Job.

    Wenn ich Zeit habe, mich selbst weiterzuentwickeln, möchte ich mehr im technischen Bereich lernen, z. B. in der IT. Ein anderer Gedanke, den ich hatte, war, dass ich mit dem Wissen und der Erfahrung, die ich durch meine Tätigkeit in diesem Sektor bekommen habe, neue Leute aus anderen Bereichen für selbstfahrende Autos schulen kann. Ich möchte also weiter in der Branche bleiben.

    (bsc)