Taxi

Reality Check - Geschichten rund ums Taxi in Berlin und weltweit - Materialsammlung, Bilder, Videos, Texte

  • Die Fackel Karl Kraus - Suche nach „Kutscher“
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    Verkehrsregelung - Glück muß man haben oder: Wenn die Ochsen den Schwoaf aufstellen (Die Fackel, Heft 820-826, 1929)

    Dieser Straßenverkehr — dessen System #Paris oder #Berlin täglich unfehlbar in ein Schlachtfeld verwandeln würde, während man dort durch das dichteste Gewühl heil hindurchkommt —, dieses Chaos aus Dürftigkeit und Zufall muß eine Strafexpedition bedeuten gege die Stadt, deren Bevölkerung in ihrer Majorität den Tag nicht vergessen kann, wo es auf der Ringstraße Unfälle ohne Verschulden von Autos gab, welche vielmehr ausschließlich für den Transport der Verwundeten herangezogen wurden. ... Ohne Zweifel, wenn man in Wien sich vor den Autos retten will, muß man eins nehmen, und auch da ist es nicht sicher, ob es gelingt. Glück muß man haben.

    Wie anders auf dem flachen Lande! Dort, von wo unsere Minister offenbar mit dem Personenzug angekommen sind, betrachtet man das Automobil zwar auch als den Feind der Bevölkerung, aber als einen, der ihr unterliegt. Dort bildet es wieder das einzige Denkproblem des Autolenkers, wie er ungefährdet vom Fußgänger auf der Landstraße weiterkommt. Die Gefahr, daß der Kutscher eines Jauchewagens beherzt eine Schaufel seiner Fuhre auf die Insassen des Autos schütte, ist die geringere. Selbst die nachgeschleuderte Verdammnis: »Stinkata!« mag einen unberührt lassen. Doch auf dem Lande werden Autounfälle veranstaltet. Und zwar mit der plausiblen Begründung, daß die Urheber einmal einen solchen sehen wollten, zu welchem Behufe sie ebeni — man muß sich zu helfen wissen — Telegraphenstangen, die doch gleichfalls zu nichts nütz sind, über die Straße legen. Denn man darf nicht glauben, daß der Troglodyt nur so hinvegetiert, auch seine Wißbegier ist durch die Zeitung schon geweckt worden, und er kann seiner natürlichen Abneigung gegen das Automobilwesen tätigeren Ausdruck geben als die Hunde, die sich nach wie vor damit begnügen müssen, durch Bellen prinzipielle Verwahrung gegen den Fortschritt einzulegen, wie seinerzeit die deutsche Fortschrittspartei gegen die Unbilden der Regierung.

    Wacker (Die Fackel, Heft 454-456, 1. 4. 1917)

    Hohe Staatsbeamte beim Schneeschaufeln in Berlin.

    Aus Berlin wird uns berichtet: Der Aufruf des Oberbefehlshabers in den Marken zum Schneeschaufeln hat auch in den höchsten Beamtenkreisen tatkräftige Nacheiferung gefunden. Wer gestern durch die Linden ging, konnte vor dem Kultusministerium das Schauspiel erleben, daß Unterstaatssekretär Dr. Chappuis und Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Nentwig an der Spitze
    mehrerer Geheimer Kanzlei- und Rechnungsräte und Kanzleidiener eifrig am Werke waren, um Bürgersteig und Fahrdamm vor dem Kultusministerium vom Schnee zu reinigen.

    Wir leben seit drei Jahren nach der Fibel. So aber, wie in diesem Lesestück, sollte es immer gewesen sein. Daß die Schneeschaufler im Krieg sein müssen, ist eine bittere Empfindung.

    Aber es wird uns künftig erspart werden, wenn die Wirklichen Geheimen Oberregierungsräte mehr vor den Ministerien als drinnen tätig sein werden. Wer jetzt nach Berlin kommt, erlebt das letzte Wunder, dessen diese Zauberwelt des Ersatzes fähig ist. Es hat dort immer Menschenersatz gegeben, aber es gibt keinen Ersatz für die Ordnung. Da Klimbim, Betrieb und Aufmachung weggeblasen sind und die dürftige Seele, die sich für diese Güter geopfert hat, zurückgeblieben ist, herrscht ein Pallawatsch, der in Wien durch die Gewohnheit gemildert ist. Aus Schuhsohlen Marmelade zu machen, gelingt eben dann nicht mehr, wenn keine Schuhsohlen mehr da sind. Und wenn das nicht mehr da ist, was sich früher von selbst verstanden hat, so lebt sichs weit wienerischer als in Wien. Nur der Telephonzauber, uns ewig unerreichbar, funktioniert wie eh und je. Die Gesten des Betriebs sind geblieben, jetzt versteht sich eben das Hindernis von selbst wie einst der Fortschritt, und das Chaos klappt famos. Natürlich nur für den Einheimischen. Der Fremde steht verblüfft, denn ein Berliner Kutscher, wenn’s einen gibt, will nicht fahren und schon gar nicht um die Taxe, und durch das fabelhaft funktionierende Telephon fragt mich ein Konzertagent, auf den man ehedem nur einmal zu drücken brauchte, um einen fertigen Saal zu haben, fragt mich Ankommenden: »Habn Se für Kohlen jesorgt?« Das Geheimnis, keines zu haben, über nichts zu staunen und sich bei nichts aufzuhalten, wirkt fort. Und auch an der Straßenreinigung will man jetzt die alte Kraft erproben. Da eine Menschheit, die sich daran verausgabt hat, im großen Ganzen fehlt, so schaffen’s die Beamten. In Wien hat sich auch darin nichts verändert, indem der Dreck, der auf der Straße liegt, eh’ noch vom Frieden herrührt. Nicht um ihn wegzukriegen, sondern wegen meiner Einschätzung der kulturellen Tätigkeit unseres Unterrichtsministeriums würde ich wünschen, daß das Berliner Beispiel tatkräftige Nachahmung findet, und ich miete eine Proszeniumsloge, um das Schauspiel zu erleben, wie der Khoss von Sternegg sowie der Milosch von Fesch Hand anlegen.

    #Verkehr #Geschichte #Wien #Kutscher #Krieg