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  • Berliner Privatdetektiv über seinen Job: „Es geht tricky zu wie im Film“
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    13.10.2022 von Birgit Walter -Privatdetektive haben einen miesen Ruf und keine Rechte. Dabei arbeiten sie loyal. Unterwegs in Berlin mit einem Erfolgreichen, seit 40 Jahren in der Branche.

    Die einsamen Spaziergänge des Ehemanns dauerten drei Stunden und führten angeblich immer durch den Park. Meine Freundin bemerkte es im Homeoffice während der Pandemie. Ihr Mann trug keine Joggingsachen und verließ die Wohnung stets gut gelaunt. Als die Spaziergänge anhielten, wollte sie genauer wissen, was von ihrer jahrzehntelangen Ehe noch zu halten war. Sie suchte sich einen Privatdetektiv. – Echt jetzt? Wie im Krimi? Obwohl er vielleicht nur gestresst herumspaziert!? Ja, genau.

    Die Freundin berichtet, dass sie die Auswahl an Detektiven in Berlin eher übersichtlich findet, erst zum dritten Kandidaten überhaupt Vertrauen fassen konnte. Der sei nun allerdings Spitze, ein Berliner Original, von der Arbeit besessen. Das kostenlose Vorgespräch mit ihm dauert Stunden und ist in ihrer Erinnerung ein ausführliches Abraten von dem anstehenden Auftrag.

    Sie erfährt, was einem Detektiv beim Verfolgen und Aufdecken verboten ist: alles. Alles, was auch die hintergangene Ehefrau besser lässt. Der Detektiv darf also nicht bei Rot über die Straße eilen, keine Waffe nutzen, keinen Autobesitzer ermitteln oder Peilsender anbringen, kein Gespräch abhören – nichts. Ja, er darf nicht mal den Ehemann beschatten und fotografieren, solange nicht ein „berechtigtes“ Interesse vorliegt. Was ist das denn für ein Beruf? Eigentlich gar keiner, resümiert die Freundin, bewundert zugleich, was ihr Ermittler trotzdem alles rausbekommen hat. So viel mehr, als sie gehofft hatte. Dazu später, erst mal sehen wir uns diesen interessanten Typen an.

    Stefan Dudzus mit der Kamera im Anschlag

    Stefan Dudzus mit der Kamera im AnschlagEmmanuele Contini
    In Deutschland kann jeder Privatdetektiv werden

    Privatdetektiv werden kann in Deutschland jeder – ohne Abschluss, ohne Erlaubnis, ohne Nachweis, irgendwas zu können.

    Er meldet ein Gewerbe an und fertig. Der Verband Deutscher Detektive beklagt das, bietet Fortbildung an, wünscht Sachkundenachweise, aber verpflichtend wie in anderen Ländern ist nichts. Den wachsenden Aufklärungsbedarf in der Wirtschaft decken eher Wirtschaftsprüfer ab, im Privatbereich gehen die Aufträge zurück. Seit 1977 das Verschuldensprinzip im Scheidungsrecht kippte, bringt Fremdgehen keine finanziellen Nachteile mehr und die Zahl privater Detekteien sinkt stetig. Heute sind bundesweit noch etwa 900 angemeldet. Dem Beruf fehlt es an Attraktivität, Anerkennung und einem anständigen Image.

    Stefan Dudzus, 62, seit 40 Jahren in dieser Branche unterwegs, darunter kurz für meine Freundin, liebt diesen Beruf. Er beschäftigt bei Bedarf bis zu zwölf Kollegen auf Honorarbasis, ist weltweit vernetzt, residiert in einem schwer verrauchten Büro mit riesigen Computermonitoren in seiner Tempelhofer Wohnung. Er ist ein großer stämmiger Mann mit wenig Haupthaar, nach eigenen Angaben 24 Stunden täglich erreichbar.

    Er spricht schnell und viel, schläft selten, raucht immer und bezeichnet seinen Beruf als asozial: „Aber es ist auch der beste der Welt, sehr fordernd. Du musst alles können: deine Auftraggeber einschätzen und ihre Gegner, die Gesetze kennen, ihre Auslegung, Umgehungsmöglichkeit, nicht zu vergessen, die teuren Kommentare von Haufe.“ Haufe bringt, salopp gesagt, Erklärstücke zu juristischen Themen heraus.

    Der Autodidakt Dudzus verfällt gelegentlich in Anwaltssprache: „Nach dem HKÜ wäre die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichtet. Was ich erlebe, grenzt oft an Arbeitsverweigerung.“ HKÜ meint das Haager Abkommen über Kindesentführungen, mit dem sein aktueller Fall zu tun hat – theoretisch nichts für Detektive. Praktisch aber war Stefan Dudzus die letzte Hoffnung für Alexander Herrmann, nachdem sein dreijähriger Sohn Erik entführt wurde.

    Er lebte von der Mutter getrennt, sie war mit dem Kind offensichtlich überfordert. Als Jugendamt und Kita den Eltern im März ein Hilfsangebot unterbreiten wollen, bekommt die aus Italien stammende Mutter Angst, nimmt das Kind und verschwindet. Zurück bleiben der Vater und Eriks geliebte Großeltern in permanenter Aufregung. Die Rechtslage ist klar: Das Sorgerecht haben beide Eltern, Gerichtsstand ist Deutschland – nur, was nutzt das? Der Vater schaltet Anwälte in Berlin und Italien ein, wo er Erik und seine Mutter bei deren Familie vermutet. Als dort niemand gefunden wird, klappt der Staatsanwalt die Akte zu, „bis sich etwas Neues ergibt“.

    Privatermittler sind teuer, Stundensätze von 70 bis 150 Euro sind üblich

    Von selbst ergibt sich gar nichts. Die Herrmanns haben schon 14.000 Euro für Anwälte in Berlin und Italien ausgegeben, als sie in ihrer Not im Sommer die Detektei mit der Suche betrauen. Dudzus fährt nach Süditalien, findet raus, dass Mutter und Kind längst in Albanien sind, wo die Wurzeln der migrantischen Familie liegen. Er mobilisiert Kontakte, setzt mit der Fähre nach Albanien über, wo Straßen keine Hausnummern haben, findet den Aufenthaltsort von Mutter und Kind. Doch als er eintrifft, sind beide verschwunden.

    Da hatten ihn die Herrmanns in Berlin schon zurückbeordert, weil sie der Fall finanziell zu ruinieren drohte. Privatermittler sind teuer, zahlen Sozialabgaben und Versicherungen selbst, Tagessätze von 500 bis 2000 Euro sind daher üblich, Stundensätze von 70 bis 150 Euro auch. Weil es um ein Kind geht, hat Dudzus versucht, den Fall auf eigene Rechnung zu Ende zu bringen – vergeblich. Immerhin ist nun der Aufenthaltsort bekannt. Indessen verlangt die Mutter das alleinige Sorgerecht in Albanien – aussichtslos, doch die Kostenlawine für die Herrmanns nimmt erst richtig Fahrt auf. Dudzus schätzt sie auf bis zu 70.000 Euro, richtet für die Familie einen Spendenaufruf auf YouTube ein.

    Dann stürzt er sich in neue Arbeit. Eine weitere länderübergreifende Kindesentführung steht an. Einfacher laufen Überwachungen, die zu den häufigsten Aufträgen zählen. Der jüngste Fall ließ sich zügig lösen. Der Vorstandschef einer mittelgroßen Firma bezweifelt, dass seine Ehefrau, Mutter gemeinsamer Kinder, regelmäßig bei ihrer Freundin übernachtet. Er wird erfahren, dass sich die Gattin nicht wie vermutet bei einem Liebhaber aufhält, sondern schon lange lustvoll als Prostituierte arbeitet. Ein Ergebnis, das Dudzus seinem Kunden eher schonend vermitteln muss.

    Aber ist das reizvoll, den Scheinwerfer auf Verborgenes zu richten, statt intime Geheimnisse friedlich schlummern zu lassen? Oh, oh, da komme es doch sehr auf den Standpunkt des Betrachters an, so Dudzus, in der Regel sehe er sich als Aufklärer, dem Recht verpflichtet, oft genug der Gerechtigkeit. Man könne Kosten der Rechtsverteidigung sogar steuerlich absetzen. Und wenn er Erfolg hat, ein entführtes Kind zurückbringt und die Mutter heult vor Glück, dann macht das auch ihn froh.

    Die Detektiv-Klassiker – es geht um Unterhalt und Betrug

    Er erzählt aus der Praxis. Eine Direktorin wurde von ihrem geschiedenen Mann auf 3000 Euro Unterhalt verklagt, weil der nach der Trennung einkommenslos bei seinen Eltern wohnen müsse. Die Detektei stellt fest, dass der Mann längst bei einer Freundin lebt und dazu schwarzarbeitet. Er wird vom Richter wegen Prozessbetrugs angezeigt. Die Direktorin überweist 15.000 Euro an die Detektei und spart 3000 Euro monatlich an den Ex – für immer.

    Der Klassiker läuft ähnlich: Ein Vater zahlt keinen Unterhalt für seine Kinder, denn er ist arbeitslos gemeldet. Sein neues großes Auto gehört angeblich einem Kumpel. Ermittlungen ergeben, dass der Vater tagsüber als Lieferant arbeitet und abends in einem Restaurant, alles schwarz. Daraufhin streicht die Richterin die Prozesskostenhilfe, pfändet den Unterhalt und klagt wegen Sozialleistungsbetrugs.

    Wie kommt ein Detektiv denn nun an seine Informationen, wenn das Gesetz selbst bei der Observation von Eheleuten ein „berechtigtes“ Interesse vorschreibt? Darauf antwortet der redselige Dudzus ganz schmallippig: Er habe seine Methoden. Früher, schwärmt er, also vor der Datenschutzgrundverordnung, hatte er beste Beziehungen überall hin, auch zur Polizei. Einen Fahrzeughalter zu ermitteln war keine Sache. Alles vorbei. Und natürlich sind illegal erstellte Fotos vor Gericht als Beweismittel nicht zulässig. Aber meist schaut der Richter trotzdem gern rauf und kann dann die Information ja schlecht vergessen. Peilsender, für ein Bewegungsprofil unerlässlich, würde er seinen Mandanten vermieten. Es gehe tricky zu wie im Film.

    Stefan Dudzus, 62, ist seit 40 Jahren in dieser Branche unterwegs. Zwischendurch ließ er sich zum Berufspiloten ausbilden. Den Beruf fand er dann aber zu langweilig.

    Niederlagen gehören zum Beruf des Detektivs

    Niederlagen gehören dazu. Stadtbekannt ist Dudzus kurze Zeit, als er 1987 die geklauten Instrumente aus dem Tourbus der Berliner Band Penny Lane hurtig wiederbeschafft. Als angeblicher Interessent für die Ware gelangt er in eine Wohnung, randvoll mit Diebesgut, legt dem Hehler Handschellen an, was bei Fluchtgefahr erlaubt ist, ruft die Polizei und die Konzerte sind gerettet. Die Presse schreibt anerkennend. Aber der Hehler zeigt den Detektiv an wegen Freiheitsberaubung. Das Urteil beläuft sich zunächst auf eine Strafe von 40 Tagessätzen, denn Hehlerei ist tatsächlich eine „straflose Nachtat“. Strafbar ist nur der Diebstahl, die frische „Vortat“. Dudzus’ Verurteilung erschüttert damals das Rechtsvertrauen seines jüngeren Bruders Olaf so, dass der vom Jurastudium ins Steuerrecht wechselt.

    Der Detektiv selbst lässt sich nur einmal richtig erschüttern. Er hatte 1990, als bei ihm wäschekörbeweise Bewerbungen früherer Grenzer, Polizisten, Stasileute aus der DDR eingingen, die Sicherheitsfirma Preußen-Wacht gegründet mit Niederlassungen in ganz Ostdeutschland. Er schaffte Uniformen an, Fahrzeuge, wurde Chef von 500 Mitarbeitern, wie er sich erinnert. Als ab 1994 eine Pleitewelle im Baugewerbe einsetzt und Zahlungen für die Wachleute ausbleiben, als sich selbst die Treuhand mit Überweisungen oft sechs Monate Zeit lässt, legt er einen klassischen Anschlusskonkurs hin. Es folgt ein gesundheitlicher Zusammenbruch. Seine erste Frau verlässt ihn, seinen Vermögensverlust mit Anwaltskosten schätzt er auf 1,5 Millionen D-Mark.

    Stefan Dudzus will plötzlich was Richtiges machen, was „Anständiges“. Er hatte zum Entsetzen seines Vaters, ein Oberstudiendirektor, einst das Abitur geschmissen, um Geld zu verdienen. Er erlebt schnelle Erfolge in der Versicherungsbranche, überführt Betrüger, macht sich mit 21 als Detektiv selbstständig, studiert die Gesetze von Fall zu Fall. Nun also erfüllt er sich einen alten Wunsch, macht 1997 den Pilotenschein, lässt sich in den USA zum Berufspiloten ausbilden. Dann nimmt er eine Anstellung an und transportiert Frachtgut in einer Boeing 747.

    Der Berliner Detektiv klagt nie über das Warten beim Observieren

    Es ist spät geworden. Stefan Dudzus hat den ganzen Abend sein außerordentliches Gedächtnis malträtiert, nun besteht er darauf, mich nach Hause zu fahren. In seinem großen bequemen Wagen beobachtet er drei Bildschirme und den Verkehr, hält in einer Hand die Zigarette und das Steuer, mit der anderen macht er vor, wie man ein Flugzeug auf der Stelle wendet. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Er sagt: „Pah, das ist doch nichts gegen wirkliches Multitasking, wie es in einer Pilotenprüfung verlangt wird! Ich kann das, hatte nie einen Unfall.“

    Pilot bleibt er nicht lange, findet die Arbeit „stinklangweilig!“ Er wird wieder Detektiv, will aufklären, Pläne schmieden, Lügen entlarven, Probleme lösen, Erfolg haben. Dazu, sagt er, bringt er Zähigkeit mit, Ideen und Durchhaltekraft. Er hat Judo gelernt und Tanzen, um sich in viele Milieus einschleichen und auf jedem Parkett bewegen zu können. Nie redet er von der Ödnis des Wartens beim Observieren. Urlaub lehnt er ab, die zweite Ehefrau ist das gewohnt. Aber dieses Leben, ungesund und erfolgreich, das will er genau so.

    Die Ehe meiner Freundin befindet sich längst in dramatischer Auflösung, ungekannte Charakterzüge tauchen auf. Der Mann ist ausgezogen, Anwälte haben übernommen. Hätte die Ehe ohne Detektiv vielleicht gehalten? Niemals, sagt sie, nie! Im Gegenteil, so habe sie ihren Mann wenigstens am Ende ihrer Ehe noch kennengelernt.

    #Berlin #Gesellschaft #Familie #DSGVO