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  • Der „Ball der Bälle“: Eine kurze Geschichte des Berliner Presseballs
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    Presseball Berlin im ICC

    Ehepaar Helmut und Hannelore Kohl auf dem Bundespresseball 1987

    Presseball Berlin, Palais am Funkturm, Januar 1958

    14.1.2023 von Alexander Kulpok -Am Sonnabend findet in Berlin der 150. Presseball statt. Unser Autor blickt zurück auf die bewegte Geschichte des Balls, der Luxus in die Stadt bringen sollte.

    2023 ist für Berlin ein Jahr der Medienjubiläen. Vor 100 Jahren – am 29. Oktober 1923 – wurde in Berlin der deutsche Rundfunk geboren („Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400 Meter!“). Und am 14. Januar 2023 geht in Berlin der 150. Presseball übers Parkett. Gern wird in Berlin versucht, an die Tradition jener Bälle anzuknüpfen, die am 9. März 1872 als Charity-Veranstaltung ihren Anfang nahm und über Jahrzehnte und Generationen, politische Systeme und weltpolitische Ereignisse hinweg ihren Reiz bewahrte. Ein Ball als Hauch von Luxus mit Prominenten aus Politik und Kultur.

    Der erste Presseball in Berlin nahm sich den Schriftsteller- und Journalistenball in Wien zum Vorbild und diente der Unterstützung notleidender Kolleginnen und Kollegen. Ein Prinzip, an dem bis in die West-Berliner Tage der Jahrtausendwende festgehalten wurde. Nicht der Journalisten-Verband veranstaltete den Presseball, sondern ein Tochterunternehmen, der Sozialfonds, der auf die Hilfe für nicht so erfolgreiche Journalisten und auf die Ausbildung von journalistischem Nachwuchs ausgerichtet war. Ein Umstand, der – weil ihn die Öffentlichkeit und die Medien nicht so recht einzuordnen wussten – wesentlich zum Niedergang des Berliner Presseballs am Anfang des Jahrtausends beitrug.

    Ab 2009 versuchte dann Mario Koss, der Tausendsassa und erfolgreiche Erfinder der Shape-CD, die in West-Berlin verankerte Presseball-Tradition neu zu beleben. Für den 14. Januar lädt er zum 150. Ball ins Hyatt-Hotel am Potsdamer Platz. In mancher Weise gleichen sich die Bilder zu den Ball-Anfängen in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Die eigenwilligen Verbandsfunktionäre der Journalisten verhedderten sich 1872, als es um die Frage ging, ob der Reichskanzler Otto von Bismarck eingeladen werden sollte oder nicht.

    Durch das Argument, mit einer Einladung an Politiker würde die parteipolitische Neutralität der Journalisten beeinträchtigt, zerstritten sich die Männer im „Ball-Comitee“ und konnten zum zweiten „Ball mit Festsouper“ erst sieben Jahre später einladen. Der „Eiserne Kanzler“ besuchte nie einen Presseball. Ihm waren Journalisten ohnehin suspekt und nur willkommen, wenn sie seine Regierungsarbeit publizistisch unterstützten. Daher richtete er schon 1869 den berühmt gewordenen „Reptilienfonds“ ein, aus dem er regierungsfreundliche Zeitungen bis zum Jahr 1892 bezahlte.

    Aus dem Presseball Berlin wurde sehr schnell der „Deutsche Presseball“ als alljährliches gesellschaftliches Ereignis in der Reichshauptstadt. Veranstaltungsorte waren das Concerthaus am Dönhoffplatz, die Alte Philharmonie in der Bernburger Straße und die Festsäle am Zoologischen Garten. Erklärtes Ziel der Veranstalter war die Verbesserung des Ansehens der Journalisten, die nicht erst nach 1945 in der Bonner Republik als „angepasste Außenseiter“ herabgesetzt wurden.

    Als ab 1909 regelmäßig auch der Reichskanzler zu den Ballgästen zählte, schien der gesellschaftliche Rang der Journalistenbranche gesichert. Nach dem Ersten Weltkrieg, mit dem Beginn der ach so goldenen Zwanzigerjahre, war Kurt Tucholsky einer der humorvollsten und treffsichersten Ballchronisten: „Die Regierung war, soweit man hier von Regierung sprechen kann, vollzählig vertreten. Die Gesandten und Botschafter aller zivilisierten Staaten, sowie Bayerns, waren anwesend ... In einer Loge saßen die leitenden Männer der deutschen Presse, darunter auch ein Redakteur.“ Bissige Beobachtungen eines Top-Journalisten beim Ball des Jahres 1920.

    Schlimmer kam es 1933. Einen Tag vor seiner Machtübernahme ließ Adolf Hitler das Ballereignis ansetzen. Und die BZ am Mittag schrieb später: „Das Pressefest war ganz auf die neue Gestaltung des großen gesellschaftlichen Lebens gestimmt.“ Gleichschaltung war auch hier die Devise, akribisch organisiert von Propagandaminister Joseph Goebbels. Nach 1945 etablierte sich in der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn die Bundespressekonferenz, die erst in Bad Neuenahr, ab 1990 ins Bonner Hotel Maritim zu Tanz und Spaß mit der politischen, kulturellen und sportlichen Prominenz bat. Eine geschlossene Veranstaltung, zu der die Mitglieder der Bundespressekonferenz Gäste einladen konnten.

    1970 im November, am Beginn der Brandt-Ära, hieß das Motto in der Bonner Beethovenhalle „Bonnjunktur“ – mit einem Hundertmarkschein im Hintergrund und dem Brandt-Zitat „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an !“. Meine bleibenden Erinnerungen an diesen Bundespresseball sind ein Interview auf der Bühne mit der damals 23-jährigen Olympiasiegerin Heide Rosendahl und eine peinliche Auseinandersetzung mit Hannelore Kohl, der ich beim Radiointerview mit Helmut Kohl unabsichtlich ein Glas Rotwein aufs Ballkleid gegossen hatte. Frau Hannelore erregte sich verständlicherweise über alle Maßen. Ehegatte Helmut machte sich in Windeseile aus dem Staub. Mit Blick auf seine politischen Ziele als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident wollte er sich mit Journalisten offenbar nicht gern anlegen.
    Presseball in den 1980ern: Ballkleider verhakten sich in Rolltreppen

    Die 70er-Jahre brachten die Hochzeit der West-Berliner Pressebälle. Veranstaltet im Palais am Funkturm, gegenüber dem Haus des Rundfunks, fühlte sich der nicht unbedingt ballaffine SFB-Intendant Franz Barsig wohl zu besonderer Unterstützung verpflichtet (wahrscheinlich hatten ihn aber seine Unterhaltungsexperten Dieter Finnern und Peter Lichtwitz beraten). Wiens Altmeister Robert Stolz wurde nach Berlin geholt (wo er übrigens 1975 auch starb) und dirigierte im Palais am Funkturm nicht nur „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“, sondern auch zum Gesang von Udo Jürgens und Mireille Mathieu.

    Presseball Berlin im ICC

    Presseball Berlin im ICCPresseball Berlin

    Als das bombastische ICC erbaut war, zog in den 1980er-Jahren der Berliner Presseball – eines der Aushängeschilder der westlichen Welt, zu dem Bundespräsidenten, Bundeskanzler und Bonner Minister erschienen – um in das riesige Nebengebäude. Dort beklagten sich vor allem die Frauen darüber, dass sie sich mit ihren langen Ballroben immer wieder in den zahlreichen Rolltreppen des ICC verhakten. Mit der Vereinigung von BRD und DDR 1990 schien das allerletzte Stündlein des West-Berliner Presseballs geschlagen.

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    Die aus Ost-Berlin hinzugekommenen Mitglieder des Berliner Journalisten-Verbandes fühlten sich keiner Balltradition verbunden und plädierten für ein jährliches „Pressefest“ im Sommer, wie es das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ zu DDR-Zeiten veranstaltet hatte. Der Bundespresseball zog konsequenterweise in die wiedergewonnene deutsche Hauptstadt um, eine Zusammenlegung beider Bälle scheiterte an der Engstirnigkeit des von Kontroversen und Intrigen geschüttelten Berliner Verbandes und zwei fulminante Bälle in der Staatsoper Unter den Linden, die Friedrich der Große hatte für derartige Ereignisse erbauen lassen, bildeten einen bunten Schwanengesang.

    Italien und Lateinamerika waren die Themen der beiden Pressebälle in der Staatsoper – mit internationalen Staatsgästen und Prominenz von Gina Lollobrigida bis Antonio Skarmeta. Im Grunde ein würdiger Abschluss einer lieb gewonnenen Tradition. Doch wenn es um den einstigen Ball der Bälle in Berlin geht, hört die Liebe nimmer auf. In Mario Koss fand sich einer, der bereit war, Geduld und Geld in ein Projekt zu investieren, das bereits dem Tod geweiht schien.

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