Taxi

Reality Check - Geschichten rund ums Taxi in Berlin und weltweit - Materialsammlung, Bilder, Videos, Texte

  • Wegen Antisemitismus: In Berlin sollten mindestens 100 Straßen umbenannt werden
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wegen-antisemitismus-in-berlin-sollten-mindestens-100-strassen-umbe

    Bald ist Schluss und so macht der Ansprechpartner für Antisemitismus-Fragen beim Land Berlin Samuel Salzborn nochmal ordentlich Reklame für sein Projekt Straßenumbenennung. Das Problem dabei: Bis zur Beseitigung des Nazireichs durch die Rote und die US-Armee waren die meisten entscheidenden Figuren Deutschlands irgendwo Antsemiten. Bei genauem Hinsehen und wenn man das unbefingt will, findet man deshalb zu fast allen Namenspatronen unserer Straßen Antisemitisches. Sogar Karl Marx wurde in letzter Zeit von fanatischen Philosemiten des Antisemitismus beschuldigt.

    Zum Glück ist die Verankerung in und Abhängigkeit von den geschichtsbewusstseinsbefreiten grünen und linken Milieus in der kommenden Regierungskoalition nicht so stark ausgeprägt wie bei Bündnis 90 / die Grünen und der Berliner Linkspartei. Die Sache wird deshalb vermutlich ruhiger angegangen werden und die Verdrängung der deutschen Geschichte aus dem Berliner Stadtplan weniger absurde Formen annehmen als unter R2G.
    Alles hat halt Vor- und Nachteile.

    30.3.2023 von Antonia Valencia - Der Senat für Justiz gibt den aktuellen Stand der Debatte bekannt – und empfiehlt bei rund 100 zu handeln. Und was ist mit der Martin-Luther-Straße? Umbenennen?

    Langwierig könnten sie werden, die Diskussionen, sagt Samuel Salzborn. Aber er sieht auch denen gelassen entgegen. Aufarbeitung und kontroverse Debatten bräuchten eben Zeit. Dann wird der Ansprechpartner für Antisemitismus-Fragen beim Land Berlin ungewöhnlich scharf: „Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus hat viel mit Selbstkritikfähigkeit zu tun, welche oft nicht leichtfalle.“ Zudem sei sie jahrzehntelang in Deutschland „verschlafen“ worden.

    Samuel Salzborn hat am Mittwoch zu einer Pressekonferenz in die Räume des Senats für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung geladen, um noch einmal über Straßennahmen mit antisemitischen Bezügen zu diskutieren. An einem glänzenden runden Holztisch unter einem imposanten Kronleuchter sitzt Urte Evert ihm zur Seite, Leiterin des Stadtgeschichtlichen Museums Spandau. Beide verweisen zunächst auf ein Dossier, das schon im Dezember 2021 vorgelegt wurde. Das hatte 290 Straßen und Plätze in Berlin identifiziert, deren Namensgeber Antisemiten waren oder antisemitische Haltungen zeigten.

    Autor des Dossiers ist der Leipziger Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen. Sein Dossier regt zu weiterer Recherche an und bietet drei verschiedene Handlungsempfehlungen: 1. weitere Forschung, 2. Kontextualisierung, 3. Umbenennung der Straße oder des Platzes. Kontextualisierung bedeutet, dass Infotafeln vor Ort den Kontext deutlich machen. Das kann auch digital geschehen, Evert nennt beispielsweise die „Berlin History App“, eine Art digitaler Stadtführer. In etwa 100 Fällen empfiehlt der Autor eine Umbenennung der Straßen und Plätze.

    Berlin hat inzwischen einige Übung im Neuschöpfen und Umbenennen von Straßen nach berühmten Verstorbenen. Seit 1997 gibt es den Marlene-Dietrich-Platz am Potsdamer Platz, die Axel-Springer-Straße wird seit 2008 von der Rudi-Dutschke-Straße durchkreuzt und erst vor wenigen Monaten wurde der Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg nach dem Sänger benannt, der in demselben Stadtteil gelebt hatte. Die heißesten Debatten um Berliner Straßennahmen betrafen zuletzt auch U-Bahn-Stationen: Die Mohrenstraße (Straße und U-Bahnhof) sollten erst nach dem russischen Komponisten Michail Glinka benannt werden. Aufgrund von Antisemitismusvorwürfen gegen Glinka wurde letztlich der afrodeutsche Philosoph Anton-Wilhelm-Amo erwählt.

    Oft gehen den Umbenennungen langjährige Diskussionen voraus, so wie jetzt wieder beim Vorschlag, den Großen Stern im Tiergarten nach Helmut Kohl zu benennen. Bis der Beschluss gefasst wurde, sagt Evert, die Kinkelstraße in Spandau im Jahr 2002 wieder Jüdenstraße zu nennen, seien siebzehn Jahre vergangen. Sie bekräftigt: „Langjährige Debatten sind das, was ich an Demokratie so toll finde.“ Alle hätten schließlich die Kraft, den öffentlichen Raum mitgestalten zu können.
    Kann noch eine Straße nach Martin Luther benannt sein?

    Ähnliche Diskussionen entbrannten um den U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte in Zehlendorf, benannt nach einem berühmten Roman aus dem Jahr 1852. Der Profi-Basketballer Moses Pölking fühlte sich durch den „entmenschlichenden“ Namen diskriminiert und startete eine Petition. Aber war der Roman nicht gegen Rassismus?

    Die Debatte um die Umbenennung von Straßen sei aber nicht neu. „Seit der Gründung von Großberlin hat es immer Debatten um Straßennahmen gegeben“, betont Urte Evert. Vor allem nach 1945 kam es zu vielen Umbenennungen. „Wir können alle froh sein, dass der Adolf-Hitler-Platz nicht mehr existiert“, so Evert. Er ist heute nach Theodor Heuß benannt. „Durch die Umbenennungen entsteht keinesfalls Geschichtsvergessenheit“, sagt sie, „vielmehr wird die Geschichte durch die Diskussion bekannter.“

    Eleganter ging die Umbenennung der zwei Straßen vonstatten, die auch in der Pressekonferenz von Salzborn und Evert genannt wurden: der Elkartsweg in Spandau heißt nun Erna-Koschwitz-Weg und der Maerckerweg in Lankwitz heißt Maria-Rimkus-Weg. Es gab ein paar Gegendemonstranten, aber insgesamt ist es still geworden um diese Straßen. Weitere Umbenennungen, die bereits als beschlossen gelten, nennt Salzborn gegen Ende der Konferenz: die Treitschkestraße in Steglitz und die Robert-Rössle-Straße in Buch. „Und es laufen viele weitere Prüfverfahren.“

    Zusammen mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. entwickeln derzeit Stadtmuseen mehrerer Bezirke das Projekt „(Um)Benennen. Zur Geschichte der Straßennamen in den Berliner Bezirken“. Verschiedenen Ausstellungen sollen einladen, sich mit den vielen Straßenumbenennungen in der Geschichte Berlins und den damit einhergehenden gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen auseinanderzusetzen.

    Nicht nur deshalb komme laut Salzborn die Diskussion um Straßennahmen „bundesweit intensiver in Gang“. Besonders kontrovers ist aktuell die Debatte um die Martin-Luther-Straße, die sich ausgerechnet in unmittelbarer Nähe der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung befindet. Salzborn hält Luther in Anbetracht seiner Judenfeindlichkeit für „hochproblematisch“. Er verstehe aber auch die evangelische Perspektive. Es gäbe „stark auseinanderliegende Grundpositionen“. Er schließt versöhnlich wie nebulös: „Eine Annäherung ist jedoch möglich.“

    #Berlin #Martin-Luther-Straße #Karl-Marx-Straße #Karl-Marx-Allee #Straßenumbenennung #Politik #Antisemitismus #Philosemitismus