Taxi

Reality Check - Geschichten rund ums Taxi in Berlin und weltweit - Materialsammlung, Bilder, Videos, Texte

  • Restaurant Kreuzberger Himmel an der Yorckstraße: Übers Essen sind wir alle verbunden
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/restaurant-kreuzberger-himmel-an-der-yorckstrasse-uebers-essen-sind

    16.3.2025 von Tina Hüttl - Wo essen gehen politisch wird: Im Kreuzberger Himmel wird Migration erfolgreich gelebt. Und zwar am Tisch, wo alle Nationen zum Essen zusammenkommen.

    Forschungsergebnisse zeigen, dass wir ungefähr 200-mal am Tag übers Essen nachdenken. Zieht man die Schlafenszeit ab, stellen wir uns etwa alle fünf Minuten ein Gemüsekebab, Schnitzel oder Schokotörtchen vor.

    Planen, weniger Zucker zu verzehren, entscheiden, wie wir den Blumenkohl würzen, wählen, welchen Joghurt wir kaufen oder was für ein Restaurant wir demnächst besuchen. Wie und was wir essen, hat Folgen für Gesundheit, Klima, Artenvielfalt und soziale Gerechtigkeit. Zum Glück muss man das heute niemandem mehr erklären.

    Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Essen politisch. Eine engagierte Kochbuchautorin und Gastrokollegin schrieb kurz vor der Wahl, dass ihre Gewürzschublade von Reisen durch die Welt erzähle, ihre Rezepte von Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und jede Küche von Migrationsgeschichten und kulturellem Austausch. Sie rief daher dazu auf, sich bei der Bundestagswahl für diejenigen Parteien zu entscheiden, die das Fremde als bereichernd, nicht als bedrohlich ansehen.

    Aus Südamerika nach Europa

    Tatsächlich gibt es keine Esskultur, die sich ohne Migration und Handel entwickelt hätte. Man denke nur: Selbst die für die mediterrane Küche so entscheidende Tomate musste erst aus Südamerika nach Europa gelangen! Übers Essen sind wir alle verbunden. Hier sehen wir Vielfalt als selbstverständlich an. Hier macht uns Neues nicht ängstlich, sondern neugierig. Hier ist Fusion der natürliche Zustand.

    Genau daran, an diese positiven Gefühle und die kulinarische sowie gesellschaftliche Win-win-Situation, die durch Migration entsteht, knüpft auch das Restaurant an, das ich Ihnen heute vorstellen will. Es heißt Kreuzberger Himmel. Einmal, weil es die hohen, gewölbeartigen Räume der Sankt-Bonifatius-Kirche in der Yorckstraße bezogen hat. Zum anderen, weil als Betreiber der Verein „Be an Angel“ dahinter steht, der Geflüchtete bei der Integration in die Gesellschaft unterstützt und dazu 2018 dieses Restaurant eröffnete.

    Im „Himmel“, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Laden liebevoll nennen, arbeiten Menschen aus Syrien, dem Irak, Pakistan und Afghanistan. Derzeit werden vier neue Servicekräfte ausgebildet. Einer, der selbst hier gelernt hat, ist nun ihr IHK-geprüfter Ausbilder.

    Bei meinem letzten Besuch durfte ich auch Rami Adham kennenlernen. Der 33-jährige Syrer ist seit 2017 in Berlin, hat als Kellner im Himmel angefangen, bis er mithilfe des „Be an Angel“-Vereins eine Ausbildungsstelle zum Koch im Berliner Restaurant Weltwirtschaft begann. Vor etwas mehr als einem halben Jahr ist Adham in den Kreuzberger Himmel zurückgekehrt – als neuer Küchenchef.

    Kein Mahl ohne Mezze

    Als solcher hat er gleich einige neue Gerichte auf die Speisekarte gesetzt: darunter Kebab Betahini und Zahra Betahini – ein Gericht mit sehr aromatischem Fleisch beziehungsweise geröstetem Blumenkohl mit karamellisierten Zwiebeln sowie einer cremigen Tahini-Soße, den ich sehr empfehle.

    Doch erstmal zu den Vorspeisen. Ein arabisches Mahl ist kein Mahl, wenn für den ersten Hunger nicht mindestens vier bis fünf Mezze in der Mitte des Tisches zum Teilen stehen. Die Mezze verantwortet Rima. Sie ist aus dem Libanon geflüchtet, hat aber syrische Wurzeln und – so betont sie – kocht alles mit „viel Liebe“.

    Natürlich braucht es am Tisch ein Schälchen Hummus als Grundlage. Ihrer hat die perfekte Geschmeidigkeit. Die Kichererbsen sind fein passiert und die Masse nicht klebrig. Denn mit der Sesampaste Tahini geht sie behutsam um. Ebenso haben der Knoblauch und das Olivenöl genau das richtige Maß. So steht der Geschmack der Hülsenfrüchte im Vordergrund, die mit Kreuzkümmel, Koriander und Zitrone gewürzt sind. Gut gefällt mir auch Schawandar, ein süßlich-erdiger Rote-Bete-Salat. Hier jedoch nicht als Rohkost, sondern aus gebackener, dann zerquetschter Bete zubereitet, die mit viel Minze und Walnüssen vermengt wird. Geschmacklich vertraut und doch neu ist das.

    Ebenso wenig kannte ich Khater, eine sahnige Frischkäsepaste, in die gegrillte rote Paprika, Nüsse und Oliven eingearbeitet sind. Mir ist sie zu üppig. Dafür esse ich umso mehr vom Nasektun, wohl ein Fantasiename, hinter dem ein leichter, mit Öl und Zitrone angemachter Salat aus feinst geschnippelten Oliven, Gurken, Karotten und Granatäpfeln mit viel Minze und Oregano steckt. Mit ebenso viel Liebe, sprich Geduld, Fleiß und Hingabe, sind die Kräuter für das hervorragende Taboulé gehackt, bei dem das wunderbar abgeschmeckte Grün und nicht der Bulgur dominieren. Schade ist nur, dass das dünne, zugekaufte Fladenbrot den generell hohen Anspruch unterläuft und kalt serviert wird.

    Besser man hält sich an die knusprig frittierten Fladenbrotchips, die sich im Klassiker, dem Fattusch-Salat, finden. Noch besser machen sie sich allerdings in Fatteh Makdusch, einem warmen Gericht, das süchtig machen könnte. Küchenchef Rami Adham betont, dass es ein 500 Jahre altes Rezept aus Damaskus sei. Streifen frittierten Fladenbrots, eine mit Tahini verrührte Joghurtsoße sowie Granatapfelkerne und Cashews krönen wie ein Deckel den darunter befindlichen würzigen Eintopf aus Tomaten, gebratenen Auberginen und Weinblättern. Einfach verrühren und löffeln, garantiert schmeckt das unvergesslich.

    Wahlweise kann man dieses Gericht auch mit Huhn oder Rinderhack bestellen, was nicht nötig ist. Generell schmecken mir die fleischlosen Kreationen auf der Speisekarte besser, etwa Rami Adhams Blumenkohl Zahra Betahini. Dabei geben karamellisierten Zwiebeln dem gebackenen Kohl das Umami, die Tahinisoße die Frische. Perfekt ist auch der luftige persische Reis dazu.

    Im Kreuzberger Himmel kursieren stets neue Ideen, weil sich hier so viele unterschiedliche Menschen engagieren. Seit Russlands Überfall ist der Verein „Be an Angel“, der über die Jahre zu einer weltweit tätigen Organisation mit vielen NGO-Partnern herangewachsen ist, in der Ukraine aktiv. Seit März 2022 lebt der Vereinsinitiator Andreas Toelke in Odessa, seine Organisation hat Hilfsgüter im Gesamtgegenwert von 60 Millionen ins Land und um die 30 000 Zivilisten aus umkämpften Gebieten aus dem Land geschafft. Nun konzentriert man sich dort auf den Wiederaufbau. Und in Berlin? Plant das Kreuzberger-Himmel-Team demnächst ukrainische Wochen auf der Speisekarte.

    Kalte und warme Vorspeisen 7,10–8,90 Euro, Hauptspeisen 13,80–21,10 Euro, Desserts 5 Euro

    Restaurant Kreuzberger Himmel. Yorckstraße 89, 10965 Berlin, Di–Sa 12–23 Uhr, Tel.: 030 92142782, https://www.kreuzberger-himmel.de

    #Berlin #Kreuzberg #Yorckstraße #Gastronomie #Restaurant

  • Kritik am neuen Gendarmenmarkt in Mitte: „Was für Menschenfeinde waren hier am Werk?“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/kritik-am-neuen-gendarmenmarkt-in-mitte-was-fuer-menschenfeinde-war

    Das heilige Raster: der Gendarmenmarkt in Mitte nach seiner Wiedereröffnung Hannes P. Albert/dpa

    They paved paradise, put up a parking lot .
    Joni Mitchell, Big Yellow Taxi
    https://www.youtube.com/watch?v=ratQlft_G5c

    16.3.2025 von Peter Neumann - Ein Grauen aus Stein und Beton, ökologischer Irrsinn, Stadtglatze: Der Platz ohne Schatten erntet Wut und Spott. Wer trug zu der Misere bei? Nazis, die DDR und ein Linker.

    Anfangs gab es auch Lob. Aber inzwischen ist die Ablehnung einhellig: Der neue, zwei Jahre lang für 21 Millionen Euro sanierte Gendarmenmarkt in Mitte ist ein Desaster. Darin sind sich Politiker, Klimaschützer und alle anderen, die sich in sozialen Medien geäußert haben, einig. Am Sonntag setzte der CDU-Politiker Armin Laschet einen drauf: An der Steinwüste sei eine Politikerin der Grünen schuld, schrieb der Rheinländer bei X (ehemals Twitter). Auch wenn man die Einschätzung teilt, dass eine kahle steinerne Fläche entstanden ist: Die anderen Fakten sollten ebenfalls stimmen. Und da liegen die Dinge im Falle des sanierten Gendarmenmarkts anders, als die Kritiker dies darstellen.

    „Der Tagesspiegel schreibt, dass eine Ex-Senatorin der Grünen diese neue Steinwüste zu verantworten hat“, twitterte Laschet. Er meinte offenbar Regine Günther, während deren Amtszeit als Berliner Verkehrssenatorin angeblich die Planung begonnen hat.

    Festakt zur Wiedereröffnung des Gendarmenmarkts am 13. März 2025: Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister, Franziska Giffey (SPD), Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, und Ute Bonde (CDU), Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, vor der Kulisse des Konzerthauses. Hannes Albert/dpa

    Großzügig schrieb der Landesvorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalen, er wolle gar nicht erst versuchen, die Berliner Kommunalpolitik zu verstehen. „Aber: Warum hat man zur Kaiserzeit im Jahr 1900 mehr Grün geplant als Grüne 2025?“ Frühere Bilder zeigen Rasen, Blumen und mehr Bäume als heute. Was dort passiert ist, sei „weder aus ästhetischen, denkmalpflegerischen noch aus klimaresilienten Gründen zu begreifen“.

    In zwei Jahren Sanierungszeit habe das der Senat in „beeindruckender Weise geschafft, den historischen Gendarmenmarkt durch Umbauten dermaßen zu verschlimmbessern, dass wir uns jetzt über einen Parkplatz im Herzen Berlins freuen dürfen. Bäume waren aus. Stadtplanung als Trauerspiel“, bemängelt Cord C. Schulz bei X. Er leitet das Büro der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Europäischen Parlament.

    „Ich sehe eine hässliche Betonwüste im Stil der 70er-Jahre“

    Auch am anderen Ende des politischen Spektrums erntet der Gendarmenmarkt, den der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) und Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) am Donnerstag wiedereröffneten, schlechte Rezensionen. Wegner nennt den Platz nach dem Umbau „einen der schönste Platz Berlins und einen der schönsten Plätze Europas“, so Niema Movassat, bis 2021 Bundestagsabgeordneter der Linken. Aber: „Ich sehe nur eine hässliche Betonwüste im Stil der 70er-Jahre. Für paar Bäume war offenbar kein Platz. Ökologischer Irrsinn.“

    „Der umgestaltete Gendarmenmarkt ist ein Grauen aus Stein und Beton. Kein einziger Baum, der Schatten spendet. Was für Menschenfeinde waren hier am Werk?“, fragt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Fridays for Future Berlin fragt Kai Wegner, ebenfalls bei X: „Am Gendarmenmarkt sind noch Bäume zu sehen!! Sagt mal, hackt’s bei ihnen?? Da könnte man gleich ZWEI PARKPLÄTZE stattdessen bauen. Autofahrer werden diskriminiert!“ Berlin zeige mit der „Stadtglatze Gendarmenmarkt“ vor allem eines: Wünsche nach Grün und Bäumen zu missachten, meint das Grünen-Mitglied Heinrich Strößenreuther, Organisator des Baumentscheids in Berlin: „Bäume statt Beton. Bäume statt Asphalt. Bäume statt Pflaster.“

    Und so weiter, und so fort. Es sieht so aus, als ob das Projekt gründlich danebengegangen ist.

    Die landeseigene Grün Berlin hatte das Vorhaben, zunächst 1,4 der 1,9 Hektar großen Platzfläche am Konzerthaus, dem Deutschen und dem Französischen Dom zu sanieren, unter seine Fittiche genommen. Der Entwurf stammt vom Büro Rehwaldt Landschaftsarchitekten Dresden und PST GmbH, Werder/Havel.

    Vieles, was entstand, ist von oben nicht sichtbar. So wurden sechs Wasserspeicher („Rigolen“) gebaut, die bei Starkregen Feuchtigkeit sammeln und langsam in den Boden sickern lassen. Weil auf dem Gendarmenmarkt wie bisher wieder viele Veranstaltungen stattfinden sollen, wurde im Untergrund jede Menge neue Infrastruktur geschaffen: 850 Meter Wasserrohre, 265 Meter Fernwärmeleitungen, drei Kilometer Stromkabel. Auf dem Platz gibt es je 27 Anschlüsse für Schmutz- und Trinkwasser sowie 29 für Strom.

    Die Kritiker stören sich eher daran, wie die Platzoberfläche aussieht. 14.000 Quadratmeter präsentieren sich wie vorher wieder als fast durchgehend gepflasterte, steinerne Fläche. Platten und Steine aus schlesischem Granit, Kleinpflaster aus Basalt wohin man schaut – dazu Sitzgelegenheiten, Poller und anderes Betonmobiliar. Die Planer haben ein Stück des zu DDR-Zeiten verlegten Pflasters erhalten: Kleinpflaster aus Natur- und Betonstein. Viele Bäume blieben stehen, aber es wurden auch welche gefällt.

    So sind die Kugelahornbäume, die einst die Südostecke verschatteten, nicht mehr da. Drei neue Bäume wurden dort gepflanzt: große Japanische Schnurbäume (Sophora japonica), die gegenüber Hitze, Trockenheit und Abgasen extrem tolerant seien, wie die landeseigene Grün Berlin betont. Mit einer ausladenden Krone von zwölf bis 18 Metern sind sie gute Schattenspender.

    Der Tagesspiegel schreibt, dass eine Ex-Senatorin der Grünen diese neue Steinwüste zu verantworten hat. Will gar nicht erst den Versuch machen, Berliner Kommunalpolitik zu verstehen, aber: Warum hat man zur Kaiserzeit im Jahr 1900 mehr Grün geplant als Grüne 2025? Es ist weder… https://t.co/6QbKymAeKL pic.twitter.com/hutmsUrTqF
    — Armin Laschet (@ArminLaschet) March 16, 2025

    Viel Stein, wenig Bäume: Was soll man davon halten? Viele Städte, auch Berlin, entsiegeln Straßen- und Platzbereiche. Bäume werden gepflanzt, damit sich die Städte in den heißen Sommern, die im Zeichen der Erderhitzung erwartet werden, nicht noch stärker aufheizen. Und dann entsteht so ein Platz wie der Gendarmenmarkt neu? Obwohl: Die steinerne Umrahmung des Schlosses wirkt ebenfalls unwirtlich.

    Ja, es ist irgendwie peinlich! Ja, es ist eine Diskussion, die geführt werden muss. Aber dann richtig! Auf dem Gendarmenmarkt entstanden keine Parkplätze, er ist weiterhin den Fußgängern gewidmet. Schuld an der Gestaltung sind auch nicht die Grünen.

    Stattdessen haben die Nazis, die DDR und ein Kultursenator der Linken Aktien darin, dass der Platz wieder so aussieht, wie er vorher schon aussah. Die Vorplanungen begannen unter dem rot-roten Senat, den Klaus Wowereit zwischen 2006 und 2011 anführte. In diese Zeit fiel auch das Bürgerforum, bei dem 2011 die wichtigsten Grundentscheidungen festgezurrt wurden. Selbst Kai Wegner hätte das alles nicht rückgängig machen können.

    Blumenbepflanzungen ausgestatteter Schmuckplatz

    Aber eines nach dem anderen: In der Tat hatte der Gendarmenmarkt, der in einigen Abschnitten bis 1886 noch als Marktfläche diente, jahrzehntelang grüne Elemente – Rasen, Blumenrabatten, Springbrunnen, mehr Bäume als heute. „Ab 1871 erfolgte eine erste gärtnerische Ausgestaltung des 1684 entstandenen, bis dahin gepflasterten Platzes im Zusammenhang mit der Aufstellung des von Reinhold Begas geschaffenen Schiller-Denkmals vor dem Schauspielhaus“, heißt es in einem Bericht des Landesdenkmalamts. „1893/94 erstellte der damalige Stadtgartendirektor Hermann Mächtig erstmals einen Entwurf für die gärtnerische Ausgestaltung des gesamten Platzes.“

    Vor dem Schauspielhaus, dem heutigen Konzerthaus, entstand ein auf die großzügige Freitreppe ausgerichteter Zugangsbereich mit dem Schillerdenkmal in der Mitte, der von einem ornamentierten Pflasterband gerahmt und von zwei lang gestreckten Rasenspiegeln gefasst wurde. „Dieser repräsentative Vorplatz wurde ergänzt durch die Einbindung der Kirchen in jeweils auf allseits und zügige Durchwegung abgestimmte Grünanlagen. Lang gestreckte linsenförmige Rasenteppiche mit höhenmäßig abgestuften Gehölzgruppen umgaben die Dome. Nach der Ausgestaltung präsentierte sich der Platz als typischer, mit reichen Blumenbepflanzungen ausgestatteter Schmuckplatz des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der die repräsentative Wirkung der Baulichkeiten steigerte“, fassten die obersten Berliner Denkmalpfleger zusammen.

    Die Nazis machten den Gendarmenmarkt zum Aufmarsch- und Parkplatz

    Das änderte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. „1936 wurde anlässlich der Olympiade die Beseitigung der Vegetationsflächen vor dem Schauspielhaus sowie des Schillerdenkmals veranlasst, um eine einheitliche gerasterte Fläche anzulegen, die fortan als Aufmarsch- und Parkplatz diente“, so der Bericht.

    Dieses Raster tauchte auch in den Planungen zu DDR-Zeiten auf, als die im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstörte Platzanlage neu entstand. So ist in den Unterlagen zu einer Studie von 1976 eine quadratische Rasterstruktur des Platzes wieder deutlich erkennbar. „Interessanterweise zieht sich das Gestaltungsmittel des Quadratrasters, das für den Gendarmenmarkt zunächst in einer Planung der 1930er-Jahre aufkommt und 1935/36 nur auf der Fläche vor dem Schauspielhaus als Aufmarschplatz realisiert wurde, durch alle Planungsdokumente der Nachkriegszeit“, stellt das Landesdenkmalamt fest.

    Linken-Politiker wollte das postmoderne Erbe der DDR erhalten

    Genau dieses Raster ist nun mehr oder weniger sakrosankt – genauso wie die großräumige Pflasterung und der Verzicht auf Entsiegelung. Denn 2021 vollzog der damalige Kultursenator Klaus Lederer, was schon lange absehbar war. „Aufgrund ihrer geschichtlichen, künstlerischen sowie städtebaulichen Bedeutung hat das Landesdenkmalamt Berlin die Bauten und die Platzgestaltung der 1980er-Jahre des Gendarmenmarkts unter Denkmalschutz gestellt“, teilte die Kulturverwaltung mit. Der Gendarmenmarkt, wie er sich heute präsentiert, sei „mit all seinen Elementen ein hervorragend überliefertes Zeugnis eines städtebaulichen Großprojektes der DDR“.

    Die 1976 begonnenen und bis in die 1980er-Jahre ausgeführten Planungen umfassten den Wiederaufbau des Konzerthauses und der beiden Dome, die Neugestaltung der gesamten Freifläche und die Rückgewinnung des Platzraumes durch hochwertig gestaltete Neubauten. Der Platz und seine bauliche Einfassung bildeten das umfangreichste Bauprogramm zur Wiedergewinnung und Neuinterpretation eines historisch bedeutsamen Platzes in der Hauptstadt der DDR. „Auch dieses Erbe muss bewahrt werden“, sagte Lederer. „Der Gendarmenmarkt ist schließlich der bedeutendste Platzraum der Postmoderne in der DDR!“ Er muss in dieser Form erhalten bleiben.

    Stadtrat: Ein Platz, viele Nutzungen – das erfordert Kompromisse

    Die Planer hatten es schon kommen sehen und sich stets am DDR-Status-Quo orientiert. Die Vorbereitungen für das Sanierungsprojekt begannen, als die Grünen in Berlin noch in der Opposition waren. „Die Vorarbeiten für die heutige Gestaltung laufen seit 2009, damals noch unter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung“, ruft Christopher Schriner, Bezirksstadtrat für öffentlichen Raum in Mitte, in Erinnerung. Damals war Ingeborg Junge-Reyer (SPD) Senatorin. Auch das Bürgerforum fiel in ihre Amtszeit, dann übernahm Michael Müller den wichtigen Posten in der Landesregierung. Die Grünen kamen erst 2016 in den Senat. Da waren die Vorbereitungen größtenteils abgeschlossen.

    Die Notwendigkeit, Bäume zu fällen, ist auf technische Anforderungen zurückzuführen, heißt es bei Grün Berlin. „Der Platz wird, zur Herstellung der Barrierefreiheit, abgesenkt, unter den Bäumen liegt teilweise ein U-Bahn-Tunnel.“ Stadtrat Schriner erinnerte daran, dass der Gendarmenmarkt viele Funktionen hat – und dazu gehöre auch, als eine der wenigen weitläufigen Flächen im historischen Zentrum für Großveranstaltungen wie Classic Open Air oder den Weihnachtsmarkt zu dienen. „Nicht jeder Platz kann alles leisten. Die Entscheidung, hier bestimmte Veranstaltungen möglich zu machen, schließt andere Funktionen aus – wie zum Beispiel eine aktive Kühlung durch Entsiegelung und Begrünung. Denkmalschutz kommt dann auch noch mit rein.“

    Werden wir hier eine hohe Aufenthaltsqualität bei hohen Temperaturen haben? „Ja“, antwortet der Grünen-Politiker. „Aber nicht für einen langen Aufenthalt und zu jeder Tageszeit.“ Das entspräche auch nicht der bisherigen Nutzung. „Der Gendarmenmarkt ist keine Grünanlage für die tägliche Naherholung der angrenzenden Bevölkerung. Dafür gibt es andere und bessere Orte – wie den nahen Lustgarten, den WBM-Jugendpark oder den Monbijoupark. Abends wird es aber auch am Gendarmenmarkt sehr schön und angenehm sein. Und im Norden haben wir noch einen unsanierten Teil, der wesentlich mehr Grün hat und auch in Zukunft haben wird, wenn wir die Neugestaltung angehen.“

    Dort stehen die Kugelahornbäume aus DDR-Zeiten noch.

    #Berlin #Mitte #Gendarmenmarkt #Architektur #Stadtentwicklung

  • Tschüss, SEZ, war schön mit dir! Ein Lost Place in Friedrichshain
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/tschuess-sez-war-schoen-mit-dir-ein-lost-place-in-friedrichshain-li

    Im Winter war es zugig: Trockene Becken im SEZ, hinten der Platz für Bubble-Fußball Markus Wächter/Berliner Zeitung

    16.3.2025 von Alexander Reich - In der DDR war das SEZ ein Ort der Massenproduktion von Glücksmomenten. Ein Investor machte es zum Lost Place mit eigener Fernsehserie. Nun ist es reif für den Abriss.

    Das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) am Volkspark Friedrichshain dürfte derzeit Berlins bekanntester Lost Place sein. Neulich gingen Fotos durch die Presse. Sie zeigen Räume, in denen sich Leute häuslich eingerichtet haben. Schlafstätten mit dürftigem Mobiliar. Kleine Feuerstellen. Fäkalien. Alles ist zugemüllt. Bauschutt liegt herum. Kabel hängen von der Decke.

    Präsentiert wurden die Fotos vom Chef der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), die das Gebäude nun übernommen hat. Man habe im Inneren auch Heuballen und Pferdeäpfel gefunden, erklärte er. Das SEZ werde rund um die Uhr bewacht, auch mittels Kameras. Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, hier sein Pferd abzustellen.

    Eindeutig Schwarzschimmel: Dit is Berlin!

    Zum Lost Place geworden ist das SEZ in den Händen eines Investors. Rückblickend mag es so wirken, als habe dieser Rainer Löhnitz aus Leipzig die Immobilie verfallen lassen, um sie als Kulisse für apokalyptische Filme zu vermarkten.

    Aktuell wird auf Apple-TV eine Krankenhausserie ausgestrahlt, die im SEZ gedreht wurde. „Krank Berlin“ heißt sie. Das ZDF war Koproduzent.

    Vier von acht Folgen sind bisher veröffentlicht. In dieser Serie hausen Junkies in den Büschen vor dem verwitterten Gebäude. Sie werden von einem Arzt versorgt, der schon mal völlig zugedröhnt auf seiner Arbeitsstelle zusammenbricht, wobei sein Blick vorher noch über eine dunkle Stelle im Flur der Notaufnahme huscht: eindeutig Schwarzschimmel – dit is Berlin!

    Kulisse für apokalyptische Filme: SEZ-Außenansicht Jens Kalaene/dpa

    In dieser Serie steht die ganze Zeit Wasser auf den Außentreppen und auf dem Vorplatz, auf dem die Rettungswagen parken. Ein dünner Film, in dem sich alles stimmungsvoll spiegelt. Man möchte am liebsten gleich mit untergehen in dieser Todeswelt.

    Wasser steht auch in einigen Räumen des SEZ, die auf den Fotos der WBM zu sehen sind. Trocken geblieben sind in den Jahrzehnten des Engagements von Rainer Löhnitz offenbar nur die Schwimmbecken des legendären Spaßbades.

    Mit einer Ausnahme, muss man gerechterweise sagen. Zeitweise war das Außenbecken mit Wasser gefüllt. Geschwommen wurde dort allerdings kaum wieder. Kein Vergleich mit den letzten Jahren der DDR jedenfalls, in denen dieses Becken im Sommer rappelvoll war. An der unspektakulären Kinderrutsche, die ins Wasser führte, gab es in aller Regel eine Warteschlange.

    Im Winter war das Außenbecken für uns Kinder damals gut für Mutproben. Nach zweimal Wellenbad – das gab es alle halbe Stunde -, einigem Gerangel unter den kleinen Wasserfällen der Kaskaden und ein paar wackligen Sprüngen vom Ein- oder Dreimeterbrett war man reif dafür.

    Man stieg noch Innen ins recht kühle Nass des Außenbeckens und paddelte auf einen Plastikvorhang zu. Er bestand aus dicken Lamellen, die etwas vergammelt aussahen. Wer sich traute, mit erhobenem Kopf hindurchzuschwimmen, fühlte das Plastik am Gesicht langratschen.

    Vielen war das nichts. Sie konnten noch nicht tauchen, aber versuchten es. Unter dem Vorhang durch. Immer wieder. Es herrschte einiges Gewusel, was die Sache erschwerte. Wenn es dann einer zum ersten Mal geschafft hatte, kam er oder sie stolz wie Bolle an die frische Luft, die das Wasser angemessen dampfen ließ.

    In

    In der Tradition von „Medizin nach Noten“: Aerobic im SEZ, Anfang 2002 Olaf Wagner/imago

    Zur Krönung gab es vielleicht noch ein Jägerschnitzel am Schwimmbadimbiss. Wie im Restaurant, nur dass man klatschnass war. Größeres Glück war schwer vorstellbar.

    In seinen besten Jahren war das SEZ ein Ort solcher harmlosen Massenvergnügungen. Alles ein paar Nummern kleiner als heute. Weniger individualistisch.

    Es war nicht üblich, die zwei Stunden Aufenthalt, für die man rund zwei Mark der DDR bezahlt hatte, zu überschreiten. Man konnte an der Kasse nachzahlen. Mickrige Beträge. Aber das gehörte sich nicht: „Die anderen warten auch“, hieß es, und gut.

    Löhnitz übernahm das SEZ im Jahr 2003 für einen Euro mit dem Versprechen, das Spaßbad wieder aufzumachen. Aber als er zehn Jahre später Wasser in des Außenbecken laufen ließ, war es für ein paar Saunagäste. Er hatte das Becken zum Kältebecken umfunktioniert.

    In der DDR war das SEZ absolut einzigartig

    So ähnlich lief es mit den anderen Räumen. In der Turnhalle, in der die Fernsehsendung „Medizin nach Noten“ aufgezeichnet worden war, die Massen zu Aerobic animiert hatte, spielte nun ein Dutzend Leute Federball – wenn’s hoch kam. Und in den trockenen Schwimmbecken ließ der Investor Fitnessgeräte und Zimmerpalmen verstauben.

    Es gab auch einen Platz für Bubble-Fußball, bei dem man sich in große Gummikugeln zwängte: Das 25-Meter-Becken, in dem einst viele Schwimmen gelernt hatten. Gut besucht war das alles nie. Im Winter war es zugig, im Sommer kam erst Recht niemand. Der große Spaß für alle war vorbei. Wer sich dazu entschloss, die Reste aufzuklauben, war schnell deprimiert.

    Zur Wahrheit gehört, dass sich das Spaßbad schwerlich wirtschaftlich hätte betreiben lassen. In der DDR war es absolut einzigartig. Familien kamen von überallher angereist, um sich in die langen Warteschlangen zu stellen. Nach der Wende kostete der Betrieb das Land jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag.

    Ostalgie der Warteschlange: Ostpro-Messe für Ostprodukte 2016 im SEZ Berlinfoto/imago

    Drei Jahre nach dem SEZ wurde 2005 das private Westberliner Spaßbad Blub geschlossen, weil es sich nicht rentierte. Bedarf an kleineren Spaßbädern gab es anscheinend nur noch in Brandenburg. Hier schossen sie wie Pilze aus dem Boden. Im Spreewald gibt es eines mit Pinguinen, in Templin eines mit Salzgrotte, in Oranienburg eines mit großer Rutsche. Bei dem in Schwedt war das Dach eingestürzt, aber die Sanierung steht kurz vor dem Abschluss. Dazu kommt das Tropical Islands in der weltgrößten Traglufthalle.

    Braucht Berlin ein eigenes Wellenbad? Am Görli wird gerade eines saniert, für etwa 40 Millionen Euro. Und für den Schwimmunterricht von Schulklassen steht wenige Hundert Meter von der SEZ-Ruine entfernt das Sportbad Velodrom zur Verfügung.

    Freie Fahrt für den Investor

    Zum Glück hat Löhnitz das riesige Areal mit dem SEZ ans Land Berlin zurückgeben müssen. Er hatte viele Ideen für die Nutzung. Eine schlimmer als die andere. Für die drei Hektar Außenfläche dachte er an eine Feriensiedlung. Außerdem schwebte ihm ein Parkplatz für Wohnmobile vor. Der eine Hektar Innenflächen schien ihm etwa gut genug für einen Reitstall. Darum die Pferdeäpfel.

    Zuletzt erklärte dieser Investor im vergangenen Sommer im Tip, das Land Berlin könne ihm seinen Euro für das SEZ nicht offiziell genug zurückgeben. Er sei da rechtlich auf der sicheren Seite. Und außerdem viel unterwegs: „Wenn der Gerichtsvollzieher zu mir kommt, muss der erstmal gucken, auf welchem Teil der Autobahn ich gerade bin.“ Gute Fahrt!

    Anstehen an der Rutsche: SEZ-Außenbecken im August 1993 Peter Meissner/imago

    Dieser Wahnsinn ist ausgestanden. Nun gibt es Initiativen, die das Spaßbad wiederhaben wollen. Aber selbst wenn man nur ein paar Knöpfe drücken und ein paar Wasserleitungen aufdrehen müsste, um das Bad aus dem Dornröschenschlaf aufzuwecken – seine Zeit ist vorbei.

    Berlin braucht alles mögliche, aber kein defizitäres Spaßbad. Würde das SEZ wiedereröffnet, stünden die verantwortlichen Politiker in den Spuren von Erich Honecker. Der letzte Chef der DDR verlegte sich auf Wohltaten, die den Alltag der Bürger angenehmer machten, ohne das bezahlen zu können. Es ging ihm um die Beruhigung der Gemüter.

    Auf einmal gab es Vanillemilch im Konsum. Und das riesige SEZ an der Leninallee mit 850 Angestellten im Dreischichtbetrieb. Gleichzeitig verfielen in direkter Nachbarschaft die Friedrichshainer Altbauten. Staatsfirmen produzierten weit unter Weltmarktniveau. Die Staatsschulden wuchsen. Wie es mit Honeckers DDR ausging, ist bekannt.

  • Tanz auf den Tischen: Gibt es eigentlich in Berlin noch Table Dance?
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/tanz-auf-den-tischen-gibt-es-eigentlich-in-berlin-noch-table-dance-

    16.3.2025 von Dirk Engelhardt - Geht eigentlich noch jemand in Stripclubs? Tanzen dort immer noch Frauen in Hot Pants vor Männern? Unser Autor hat sich auf die Suche nach Antworten begeben.

    Besucht eigentlich heute überhaupt noch jemand einen Stripclub? Eine Tabledance-Bar? Ich kenne niemanden, der mir je davon erzählt hätte. Als Mann halbnackte Frauen begaffen und ihnen überteuerte Drinks spendieren, vielleicht noch auf eine erotische Begegnung hoffen – ist das in Zeiten von MeToo nicht völlig antiquiert?

    Immerhin gibt es in Berlin aber immer noch mehrere solcher Bars. Sie heißen Grace Lounge, Tutti Frutti, Angels, Golden Dolls, Sin City, Tabu Bar. Sogar einen Ladys-Club, in dem Männer tanzen, gibt es, er nennt sich Wildhouse. Das Geschäft muss also irgendwie immer noch funktionieren. Online verspricht man viel: „Genieße prickelnden Champagner und lass dich von ihrer elektrisierenden Energie mitreißen. Hier hast du die Chance, die faszinierenden Persönlichkeiten der Tänzerinnen kennenzulernen und ihre verführerische Ausstrahlung hautnah zu erleben.“

    Golden Dolls - Table Dance auf der Potsdamer Straße, wo Hipness auf shabby Metropole trifft. Eric Richard/Berliner Kurier

    Poledance ist heute eine eigene Sportart, der sich viele Frauen in ihrer Freizeit oder auch professionell widmen. Es gibt dafür sogar eine eigene Organisation, die ODPS, das steht für Organisation des deutschen Pole Sports e.V. Sie richtet jedes Jahr eine Pole & Aerial Meisterschaft aus. Auch eine Weltmeisterschaft gibt es, diese wird von der International Pole Sports Federation veranstaltet. Es gibt Frauen, die sagen, dass der Tanz an der Stange zu mehr Selbstbewusstsein verhilft, nebenbei ersetzt dieses sehr anstrengende Training die Mitgliedschaft.

    Unter Feministinnen ist Poledance indes nach wie vor umstritten. Zu oft verbindet man damit Frauen, die in knappen Hot Pants vor und für Männer tanzen. Alice Schwarzer würde sicherlich keinen Fuß über die Schwelle eines gängigen Tabledance-Clubs setzen.

    Auch ein Swerf, also ein Sex Worker Exclusionary Radical Feminist, würde den Stripclub Rush Hour in Wilmersdorf, einen der größeren Tabledance-Clubs der Hauptstadt, sicher meiden – für Swerfs sind Sexarbeit und Feminismus ein Widerspruch in sich.

    Auf der anderen Seite argumentieren Feministinnen und Feministen oft gegen das Geschäftsmodell Tabledance, ohne jemals einen derartigen Club von innen gesehen und mit den Frauen und Männern dort gesprochen zu haben. In der Tat zeigen sich die Clubs nach außen hin wenig auskunftsfreudig. Anfragen von Journalisten werden meist nicht beantwortet, auch die Tänzerinnen wollen selten mit der Presse sprechen. Also hilft nur die klassische verdeckte Recherche.

    Im Rush Hour Club in Wilmersdorf gibt es noch den Zwangsumtausch

    Ich gehe an einem Freitagabend gegen halb elf ins Rush Hour. Die gutgelaunte Garderobenfrau nimmt meine Jacke entgegen und will 30 Euro von mir haben – 10 Euro Eintrittsgeld und 20 Euro Zwangsumtausch. Dafür erhalte ich 10 „Rush-Hour-Dollars“, also nachgemachte, ziemlich abgegriffene Dollar-Scheine, die ich den Tänzerinnen, sollten sie mir gefallen, zustecken könne. Der Club ist um diese frühe Stunde noch sehr leer, ich bekomme einen Platz „in der ersten Reihe“. Junggesellenabschiede, die ja angeblich öfters Clubs dieser Art besuchen, sind heute nicht auszumachen.

    Man hat sich hier offensichtlich Las Vegas als Vorbild genommen, überall blinkt und leuchtet es. Die Tanzfläche in der Mitte, einige Wände und sogar die Tischplatten werden mit Video-Installationen bespielt. Wie hält man dieses Stroboskopgewitter jede Nacht aus? Die Getränkekarte bietet nur Sekt und Champagner – der günstigste liegt bei 90 Euro für ein Gläschen, der teuerste kostet einige Tausend Euro die Flasche. 90 Euro für ein Glas Champagner???

    My goodness, gibt es auch andere Getränke? „Das ist die Karte, wenn man eine Frau auf einen Drink einlädt“, klärt mich die Bedienung auf. Die „normalen“ Getränke stehen auf einer separaten Karte. Ich bestelle ein Bier, das glücklicherweise weniger als zehn Euro kostet. Auf den Sofas im Raum sitzen ungefähr 20 Tänzerinnen, alle in knappen Dessous, die man mit vielen Schnüren um Bauch und Brust bindet.

    Einige Tänzerinnen sind superschlank, andere nicht, manche sind blond, andere dunkelhaarig, manche haben Tattoos oder sind operiert – offensichtlich soll hier jeder Geschmack bedient werden. Allen Frauen gemeinsam ist, dass sie etwas gelangweilt wirken. Noch sind kaum Gäste da. Der DJ ruft vor jedem Lied einen Namen auf: „Und jetzt: Mandy!“ Es klingt ein bisschen wie ein Lehrer, der seine Schülerinnen zur Tafel bittet. Ein neues Lied beginnt, Mandy betritt auf sehr hohen Plateauschuhen die bunt beleuchtete Showbühne, die die vorherige Tänzerin gerade verlassen hat.

    Die meisten Tänzerinnen scheinen zwischen 18 und 30 Jahre alt zu sein. Manche legen manegenreife Auftritte hin, wirbeln wie schwerelos in zwei Metern Höhe an der Stange herum. Es gibt aber auch recht ungelenke, lustlose Nummern. Am Ende eines jeden Tanzes, der immer genau einen Song lang dauert, streift die Tänzerin lasziv ihren Slip herunter. Trotzdem will keine richtig erotische Stimmung aufkommen. Die Verruchtheit wirkt aufgesetzt, das Klischee überreizt.

    Mandy stöckelt zu mir herüber, fragt, ob sie einen Dollar für ihre Darbietung bekommt. Ihren Slip hat sie wieder angezogen, deutet an, dass ich das Geld direkt hineinstecken kann. Nachdem ich ein paar Tänze gesehen habe, kommt Sofia an meinen Tisch. Sie ist ziemlich verschwitzt und sagt, dass heute ihr erster Tag in dem Club und sie total aufgeregt sei.

    Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, aber Sofia ist sehr redefreudig und erzählt auf Englisch, dass sie in Polen lebe und extra für diesen Auftritt hier angereist sei. Wenig später will sie mich zu einem „privaten Tanz“ in einen anderen Raum des Clubs einladen, nur 100 Euro würde das kosten. Auf einen Drink ist sie nicht scharf.

    Als ich ablehne, zieht sie etwas ernüchtert weiter. Wenig später kommt Julia aus Kiew an meinen Tisch, ein Smalltalk über das Dauerthema „Wie finde ich eine Wohnung in Berlin“ beginnt. Auch Julia möchte gerne einen privaten Tanz für 100 Euro vorführen. Sie spricht gutes Englisch, die vorherrschende Sprache im Rush Hour.

    Mittlerweile ist der Club etwas voller geworden, drei Tische sind besetzt mit Männern, die dem Anschein nach nicht aus Deutschland kommen. Sie werden von den Tänzerinnen taxiert und wenig später umgarnt. Champagnerflaschen von der teuren Karte bringt die Bedienung kaum – auch bei den Nachtclub-Besuchern sitzt das Geld nicht mehr locker.

    Wie um diesen Gedanken fortzuführen, kauert, als ich den Club verlasse, ein in Lumpen gehüllter Mann mitten auf dem Bürgersteig, wenige Meter von der Leuchtreklame des Clubs entfernt. Es sieht so aus, als ob er dort schon mehrere Stunden lang ausharrt.

    #Berlin #Gastronomie #Sex

  • Berliner Ruinen auf der Spur: Fünf Lost Places mitten in der Stadt
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berliner-ruinen-auf-der-spur-fuenf-lost-places-mitten-in-der-stadt-

    14.3.2025 von Katharina Heflik - Sie locken Besucher mit dem Hauch des Verbotenen und dem Verwachsen von alten Gebäuden mit der Natur. Wir stellen fünf Lost Places in Berlin vor.

    Manche würden sie als verfallene Ruinen bezeichnen. Andere nutzen den romantisierenden Pseudoanglizismus Lost Places, um jene Orte zu beschreiben, die seit längerer Zeit verlassen, leer geräumt und von Natur überwuchert sind. In Berlin gibt es zahlreiche von ihnen. Lost Places strahlen eine besondere Anziehungskraft aus. Sie rufen Neugierde auf das Unbekannte hervor und kitzeln ein Bedürfnis nach Aufregung und ein wenig Spuk.

    Das Betreten ist in vielen Fällen allerdings untersagt und kann als Hausfriedensbruch bestraft werden. Wir stellen fünf weniger bekannte Lost Places mitten in Berlin vor – mindestens einer davon darf legal betreten werden.

    1. Sporthotel am Hohenschönhauser Tor

    An der stark befahrenen Kreuzung, an der die Hohenschönhauser Straße in die Konrad-Wolf-Straße übergeht und den Weißenseer Weg kreuzt, ruht seit knapp 30 Jahren eine Ruine. Hier steht und verfällt das Kongresszentrum und Sporthotel, angrenzend an das Sportforum Hohenschönhausen. Mehr als 30.000 Quadratmeter groß ist das verwucherte Gelände, das seit einigen Jahren bereits in Privatbesitz ist. Das Betreten der Anlage ist daher verboten.

    Dieser Lost Place im Herzen des Berliner Ostens könnte in der kommenden Zeit jedoch verschwinden. Wie die Berliner Zeitung zuletzt berichtete, sollen die Gebäude abgerissen und durch das Quartier Konrad-Wolf-Straße mit etwa 900 neuen Wohnungen ersetzt werden. Von einem Abriss im Jahr 2025 ist demnach die Rede. Wann genau die Arbeiten beginnen könnten, ist allerdings noch unklar. Geplante Bauarbeiten waren in den vergangenen Jahren immer wieder angekündigt und nicht umgesetzt worden.

    Weißenseer Weg 53, 13053 Berlin

    2. Die Siemensbahn

    Einst führte diese Bahnlinie von der Charlottenburger Jungfernheide bis nach Gartenfeld in Spandau. 1929 war die Strecke im Nordwesten Berlins in Betrieb genommen worden, um die Siemensstadt an den Schienenverkehr anzubinden. Seit 1980 fahren dort keine Züge mehr. Die mehr als vier Kilometer lange Strecke ist überwuchert von Büschen und Unkraut und an ihren Haltestellen mit Graffiti übersät. Das Dasein der Siemensbahn als Lost Place neigt sich jedoch dem Ende zu.

    Die Deutsche Bahn und Siemens haben angekündigt, die Strecke zu reaktivieren – allerdings werden bis dahin noch ein paar Jahre vergehen. 2029 soll der Zugbetrieb auf der Strecke wieder aufgenommen werden. Für das Sanierungsunterfangen hatte die Deutsche Bahn bereits 2021 mehr als 500 Millionen Euro veranschlagt. Start der Hauptarbeiten an der Bahn ist voraussichtlich 2026.

    Alter Bahnhof Siemensstadt, Rohrdamm 29, 13629 Berlin

    3. Lungenklinik Heckeshorn am Wannsee

    Am Wannsee befindet sich ein Lost Place, der erst seit vergleichsweise kurzer Zeit leer steht: die Lungenklinik Heckeshorn. 1947 wurde sie an dem Standort als Behandlungsort für Tuberkulose am Rande von Berlin gegründet. 2007 verließ die Lungenklinik die Gebäude auf dem Gelände Heckeshorn am Wannsee und zog in das Zehlendorfer Helios Klinikum Emil von Behring ein. Das ehemalige Klinik-Gelände am Wannsee wird überwacht. Betreten ist strengstens untersagt, und die Gebäude sind teils einsturzgefährdet.

    Am Großen Wannsee 72, 14109 Berlin

    4. Rundlokschuppen in Pankow und Rummelsburg

    In Pankow und Rummelsburg befinden sich zwei der letzten erhaltenen Rundlokschuppen Deutschlands, die dort langsam verfallen und bisher vor Abrissbemühungen geschützt wurden. Rundlokschuppen dienten zur Wartung von Lokomotiven. Zuletzt hatte ein Gericht im Dezember den Abriss des Rundlokschuppens in Pankow und zwei weiterer denkmalgeschützter Gebäude verhindert.

    Es handelt sich um ein Gelände des ehemaligen Betriebswerks Pankow, das seit 2011 dem Möbelunternehmer Kurt Krieger gehört, und der dort durch den Abriss Platz für das geplante „Pankower Tor“ mit 2000 Wohnungen schaffen möchte. Die Kuppel des alten Rundlokschuppens ist von der S-Bahn-Station Pankow-Heinersdorf aus sichtbar.

    Neben dem Rundlokschuppen aus dem Jahr 1893 befinden sich auf dem Gelände ein Ringlokschuppen aus dem Zeitraum zwischen 1901 und 1906 und ein Verwaltungsgebäude aus den 1960er-Jahren. Der Rundlokschuppen in Rummelsburg im Bezirk Lichtenberg liegt seit den 1990er-Jahren still. 2023 berichtete das Geo Magazin, dass seit jeher kein neues Nutzungskonzept für den Schuppen gefunden werden konnte.

    Beide Gelände befinden sich in Privatbesitz und dürfen daher und auch aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden.

    Rundlokschuppen Pankow, Prenzlauer Promenade, 13187 Berlin – Rundlokschuppen Rummelsburg, nahe dem Betriebsbahnhof Rummelsburg, 10317 Berlin

    5. Schöneberger Südgelände

    Mitten in Berlin auf dem Schöneberger Südgelände befindet sich ein verlassenes Bahngelände für Fernverkehr. Es ist einer der wenigen sogenannten Lost Places in Berlin, der legal betreten werden darf – gegen eine Eintrittsgebühr von einem Euro. Seit fast 20 Jahren fahren hier schon keine Bahnen mehr.

    Das Südgelände wurde 1999 zum Naturschutzgebiet erklärt, und seither winden sich dort Pflanzen um die alten Schienen. Auf zwei Rundwegen kann das Areal, auf dem auch Kunstwerke zu finden sind, erkundet werden.

    Prellerweg 47–49, 12157 Berlin

    #Berlin #architecture #histoire

  • Wohnhäuser und die Mercedes-Benz-Arena sollen Güterbahnhöfen weichen
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wohnhaeuser-und-die-mercedes-benz-arena-sollen-gueterbahnhoefen-wei

    Eine Utopie in Form einer Modelleisenbahn: Adam Page (l.) und Wolfgang Richter mit einem Exponat der Ausstellung „The Last Mile“ im SPD-Haus in Wedding Peter Neumann/Berliner Zeitung

    27.2.2023 von Peter Neumann - Eine Ausstellung in Berlin provoziert mit brachialen Ideen. Doch sie basiert auf einer klaren Analyse: Der Güterverkehr muss zurück zu den Anfängen.

    Was ist denn mit dem Park am Gleisdreieck passiert? Wo heute noch Ball gespielt und gejoggt wird, ist ein Güterzug aus China vorgefahren. Ein Portalkran fängt damit an, die Container abzuladen. Ein Teil des Rasens ist schon weggebaggert, im Hintergrund werden Wohnhäuser am Rand des Parks abgebrochen, damit noch mehr Platz für den Güterumschlag entsteht. So könnte der heutige Park im Jahr 2030 aussehen. Es ist eine ungewöhnliche Zukunftsvision, die jetzt in einer Ausstellung in Berlin zu sehen ist.

    „Schluss mit dem Park. Das Gelände in Kreuzberg muss zurückgewonnen werden für den Güterverkehr“, sagt Adam Page. Der britische Künstler, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, hat das Aquarell zusammen mit Eva Hertzsch gemalt. „Wir schlagen vor, ehemalige Güterbahnhofstandorte in Berlin wie den heutigen Park am Gleisdreieck wieder zu nutzen. Dort bekommt die Versorgung der Stadtteile mit Lebensmitteln Priorität über den Freizeitwert“ – diesem Wunsch soll das Bild Ausdruck verleihen. Dem Mauerpark, der auf dem alten Güterbahnhof der Nordbahn entstand, soll es genauso ergehen.

    „The Last Mile – Güterversorgung nach dem Dieselverbot“: So heißt die Ausstellung, die bis Mitte August im August-Bebel-Institut in der Müllerstraße zu sehen ist. Der Titel weist in die Zukunft, in der Dieselfahrzeuge Berlin nicht mehr beliefern dürfen und in der die Versorgung anders ablaufen sollte als heute: dezentral, klimafreundlich, mit der Bahn als Rückgrat. Aber die Ausstellung erinnert auch an die Vergangenheit.

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    „Radwege haben es auf die politische Agenda geschafft“ – Güterzüge nicht

    Im hinteren Bereich der kleinen Schau im SPD-Haus in Wedding gilt es ein weiteres Bild zu entdecken und zu studieren. Es ist ein Plan der Gleisanlagen in der Berliner Innenstadt. Schwarze Linien zeigen, wo sich einst die Bahnhöfe für Güter und für Menschen befanden. Mit roter Farbe ließen Adam Page und Eva Hertzsch die alten Umschlagplätze wieder auferstehen – als moderne Güterverkehrszentren (GVZ). Auf ihrer Zeichnung heißt ein Standort „ehemaliger Mauerpark“, ein anderer „ehemalige Mercedes-Benz-Arena“. Auch der Park am Westkreuz, der Naturpark Südgelände oder Bereiche der Stadtautobahn A100 sollen 2030 wieder der Güterversorgung dienen.

    „Güterverkehrszentrum Park am Gleisdreieck (2030)“: So heißt das Aquarell von Eva Hertzsch und Adam Page. Ein Güterzug hat Container aus China gebracht. Für den wiedereröffneten Umschlagplatz wurde schon Rasen entfernt, im Hintergrund werden Wohnhäuser abgerissen.

    „Güterverkehrszentrum Park am Gleisdreieck (2030)“: So heißt das Aquarell von Eva Hertzsch und Adam Page. Ein Güterzug hat Container aus China gebracht. Für den wiedereröffneten Umschlagplatz wurde schon Rasen entfernt, im Hintergrund werden Wohnhäuser abgerissen.Eva Hertzsch/Adam Page, Berlin

    Eine Utopie? Auf jeden Fall eine Provokation, sagt Page. In den vergangenen Jahren wurde viel über die Erderhitzung und den Klimaschutz diskutiert. Wissenschaftler, Politiker und Planer haben Schlüsse daraus gezogen. „Radwege haben es auf die politische Agenda geschafft“, so der 56-Jährige. „Auf den Güterverkehr trifft das nicht zu.“ Als wäre er ein schmutziges Geschäft, von dem man besser die Finger lässt. Dabei trage die Art, wie Berlin und viele andere Städte versorgt werden, zur globalen Krise bei. Wer Klimapolitik und die Mobilitätswende ernst nimmt, sollte darüber nachdenken – auch wenn die Konzepte nicht unbedingt zum Abriss von Wohnungen führen müssten.
    Mit der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn zum Flughafen BER

    Heute spielt die Eisenbahn bei der Versorgung von Berlin fast keine Rolle mehr. Auch für die „Last Mile“, die letzte Meile von den Güterverkehrszentren vor der Stadt zu Unternehmen und Verbrauchern in der Stadt, sind Dieselfahrzeuge zuständig. „Für die Lkw- und autogerechte Stadt, den geplanten Börsengang der Bahn und für Urban Living mussten 16 Berliner Güterbahnhöfe weichen“, so die Künstler. „Ein innerstädtisches Schienentransportnetz verschwand zugunsten von Parks, Straßen, Gewerbe- und Wohngebieten.“ Die Umwandlung dezentraler Umschlagplätze in Parks wurde als grüner Fortschritt verkauft, doch das stimme nicht, sagen Adam Page und Eva Hertzsch.

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    Zusammen mit Kindern und Jugendlichen haben sie die Gegenwart und Zukunft des städtischen Güterverkehrs erkundet. Mit Schülern einer fünften Klasse der Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule aus Hellersdorf besuchten sie den Containerbahnhof Großbeeren südlich von Berlin. Eine Wand von bemalten Pappcontainern im Maßstab 1:10 zeugt davon. Mit Elftklässlern der Walter-Gropius-Schule aus Gropiusstadt entstand eine Utopie in Form einer Modelleisenbahn. Die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn, auf der heute keine Züge mehr verkehren, wurde zum Herzstück einer Logistikachse, die im Norden bis zum Alexanderplatz und im Süden zum BER reicht.

    „Es ist wichtig, Bewusstsein für das Thema Güterverkehr zu schaffen“, sagt Wolfgang Richter. Der 82 Jahre alte Ruheständler, der zum Leitungsteam des volkseigenen Betriebs Kombinat Autotrans Berlin gehörte, hat die Künstler beraten. Aktive Güterverkehrsprofis, Politiker und Aktivisten waren ebenfalls zu Gast.

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    Auch im Osten von Berlin gab es Infrastruktur, auf der Züge Waren in die Zentren der Stadt brachten, erinnert sich Richter. „Der Containerbahnhof Frankfurter Allee war mit modernster Technik ausgestattet.“ Doch die Anlage bestand nur von 1969 bis 1995. Der Hamburger und Lehrter Güterbahnhof, in dem bis 2003 ebenfalls Container verladen wurden, ist heute überbaut – als Teil der Europacity in Mitte.

    Wer weiß, vielleicht wird sich auch dort das Stadtbild wieder ändern. Die Diskussion ist eröffnet.

    Ausstellung „The Last Mile“ im August-Bebel-Institut, Müllerstraße 163, 13353 Berlin. Bis 17. August 2023, dienstags bis freitags 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

    #Berlin #Verkehr #Stadtentwicklung #Bahn #Güterbanhnhof

  • Charlottenburg-Wilmersdorf: Taxifahrer stirbt nach schwerem Verkehrsunfall
    https://www.berliner-zeitung.de/news/charlottenburg-wilmersdorf-taxifahrer-stirbt-nach-schwerem-verkehrs

    Im Westen nichts neues könnte der Titel dieser Meldung lauten. Die Arbeit im Taxi und der geringe Verdienst machen krank. 65 Jahre ist ein normales Alter zum Sterben in dem Job.

    13.3.2025 - Ein 65-Jähriger kommt auf dem Heilmannring in Charlottenburg von der Fahrbahn ab und stößt mit mehreren Autos zusammen. Er stirbt noch am Unfallort.

    In Charlottenburg-Wilmersdorf ist es am Mittwochabend zu einem schweren Verkehrsunfall mit einem Toten gekommen. Nach Angaben der Polizei fuhr ein 65-jähriger Taxifahrer gegen 22.45 Uhr den Heilmannring entlang. Hier kam er aus bislang unerklärlichen Gründen in der Nähe der Einmündung zum Halemweg von der Fahrbahn ab. Dabei stieß er mit mehreren am Rand geparkten Autos zusammen und beschädigte insgesamt fünf Autos sowie eine Straßenlaterne.

    Trotz sofort eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen verlor der Fahrer nach dem Unfall das Bewusstsein und verstarb noch am Unfallort. Ein Fachkommissariat für Verkehrsdelikte der Polizeidirektion 2 führt derzeit umfassende Ermittlungen zur Ursache des Unfalls durch.

    Quelle: Polizei Berlin

    #Berlin #Charlottenburg-Nord #Heilmannring #Taxi #Arbeit #Krankheit

  • Viele liegen an der U8: Die 5 schlimmsten U-Bahnhöfe Berlins
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/von-kotti-bis-alexanderplatz-die-5-schlimmsten-u-bahnhoefe-berlins-
    https://www.youtube.com/watch?v=-mq1rG84uhs

    13.3.2025 von Anne Vorbringer, Marcus Weingärtner - Der Streik der BVG hatte auch ein Gutes – man konnte die U-Bahnhöfe meiden. Wir sagen, an welchen sich die Hauptstadt von ihrer besonders unangenehmen Seite zeigt.

    Die Frage nach dem schlimmsten U-Bahnhof Berlins, sie füllt ganze Reddit-Foren und Instagram-Kommentarspalten. Mit ihr beschäftigt sich die Kriminalstatistik und jeden Tag, wenn auch unbewusst, der zahlende BVG-Kunde.

    Gefahren für Leib und Leben sind das eine – und geht es nach den blanken Zahlen, so liegen die drei U-Bahnhöfe Berlins mit den meisten Straftaten im Jahr 2023, Kottbusser Tor, Alexanderplatz und Hermannplatz, allesamt an der Linie U8. Etwa 35 Prozent aller Straftaten an Berliner U-Bahnhöfen ereigneten sich auf der Strecke der U8.

    Bedrohung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Raub, Nötigung, Sexualdelikte, Mord und Totschlag, es ist alles dabei. Und wie um die Statistik zu unterstreichen, ist auch das Look and Feel an vielen Stationen im mehrfachen Sinne unterirdisch. Hier unsere Top 5 der schlimmsten Berliner U-Bahnhöfe.

    1. Alexanderplatz – Come in and never find out

    Auch nach vielen Jahren in Berlin ist das unterirdische Gewirr an Treppen, Bahnsteigen, Zugängen und Abgängen am U-Bahnhof Alexanderplatz ein Mysterium. Niemals wird sich einem Menschen erschließen, wo der kürzeste Weg zum Gleis der U5 liegt – erst recht keinem ortsunkundigen Touristen. Vom Ditschbrezelduft umfangen, irren die Fahrgäste hilflos Stufen auf und ab, geraten schlimmstenfalls in die Fänge der U8 und landen am Kottbusser Tor, obwohl sie doch eigentlich nur nach Hellersdorf wollten.

    Bei Reddit wird der Alexanderplatz regelmäßig heruntergerankt, wegen der weiten Wege und der Unübersichtlichkeit sei er einfach nur furchtbar, schreiben User auf der Plattform: „Ich habe zum Beispiel jahrelang gebraucht, um herauszufinden, wo der Aufzug ist, mit dem man von draußen direkt zur U5 kommt.“

    2. Hermannplatz – Lasst alle Hoffnung weiterfahren

    Was gibt es noch zu sagen, außer: Berlin hat den Hermannplatz irgendwie aufgegeben. Tagtäglich eine saure Melange aus Armut, Drogensucht, Geschrei und Irrsinn. Eine Zeit lang gar galt das als typisch Berlin: Der Hermannplatz war eine roughe Ecke, an der man sich seiner eigenen Großstadt-Credibility versichern konnte, wenn man erst vor kurzem aus einem Dorf in Mittelfranken nach Berlin gekommen war.

    Mittlerweile ist auch dieses Portiönchen Metropolen-Charme verbraucht, der Hermannplatz nur noch ein Ort, den man meiden sollte und der höchstens noch von sich reden macht durch Pro-Palästina-Demos, Obdachlosencamps und Kaufhauskrisen.

    3. Kottbusser Tor – Berliner Unterwelten

    Sie fanden den BVG-Streik eine Zumutung? Dann empfehlen wir ein halbes Stündchen am Kottbusser Tor, jenem Ort, an dem sich mehrere U-Bahn-Linien kreuzen und der dank seiner bizarren Mischung aus Drogenkonsumenten, Alkoholikern, Hipstern, Touristen und Nachtschwärmern in seinen besten Momenten internationales Großstadtflair verströmt.

    Allerdings nur, wenn man sich vorher selbst ein ordentliches Beruhigungsmittel reingepfiffen hat. Allen anderen wünschen wir gute Fahrt und eine zügige Anbindung.

    4. Moritzplatz – Tor zur Hölle

    Hat sich der Moritzplatz oberirdisch mittlerweile neu erfunden mit dem wunderbaren Kreativ-Geschäft Modulor und einer ordentlichen Auswahl gastronomischer Betriebe, so ist der U-Bahnhof Moritzplatz gemäß seiner Lage und seiner Anmutung das Tor zur Hölle: Ein so abweisender wie zugiger Durchgang, dessen uringeschwängerter Duft selbst die hartgesottene BVG-Kundschaft schwindelig werden lässt. Wer kann, der meidet den Moritzplatz.

    Hier hat man die Stadt wahrlich sich selbst überlassen, mit dem Ergebnis, dass der U-Bahnhof Moritzplatz zu einem florierenden Umschlagplatz für Drogen aller Art heruntergekommen ist.

    5. Gesundbrunnen – Gesund ist das nicht

    „Hallöchen“, leitet eine junge Frau etwas unbedarft in einem Online-Forum ihre Frage ein. Sie sei für eine Veranstaltung auf den Zug angewiesen und habe viereinhalb Stunden Aufenthalt am Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen. Ob sie sich denn zu vorgerückter Stunde so ganz allein dort unwohl fühlen müsste? Die Antworten wollen wir hier in ihrer bestürzenden Vielzahl nicht wiedergeben, nur so viel: Die Reisende hätte auch fragen können, ob sie mal ohne Bungee-Seil von einer Brücke springen könne.

    Der zugige Umsteigebahnhof im Norden Berlins ist nicht nur voll und wuselig, er ist auch regelmäßig auf den vorderen Rängen zu finden, wenn es um Sachbeschädigungen und andere Delikte geht. Immerhin: Es gibt einen Biomarkt und McDonald’s. Gesünder wird’s nicht.

    #Berlin #BVG #U-Bahn #Gesundbrunnen #Kreizberg #Moritzplatz #Kottbusser_Tor #Neukölln #Hermannplatz #Mitte #Alexanderplatz

  • Jördis Triebel über Berlin: „Ich war traurig, als wir aus Marzahn weggezogen sind“
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/joerdis-triebel-ueber-berlin-ich-war-traurig-als-wir-aus-marzahn-we

    In Lichtenberg geboren, in Friedrichshain zu Hause: Jördis Triebel Linda Rosa Saal

    10.3.2025 von Anne Vorbringer - Die Schauspielerin Jördis Triebel spielt die Hauptrolle in der neuen Serie „Marzahn, mon amour“. Sie kennt den Ost-Berliner Stadtteil gut und knüpft besondere Erinnerungen an ihn.

    Vor sechs Jahren ist „Marzahn, mon amour“ erschienen, Katja Oskamps Roman über eine Schriftstellerin, die inmitten einer Lebenskrise in Marzahn als Fußpflegerin anheuert und dort Geschichten erfährt, die das Leben schrieb.

    Als das Buch 2023 den Dublin Literary Award gewann, sprach die Oberbürgermeisterin der irischen Hauptstadt von einem „wunderschön geschriebenen Roman, einem warmen, witzigen und bewegenden Porträt älterer Bewohner Berlins, das dem Leser einen Einblick in eine Gemeinschaft bietet, die oft übersehen wird.“

    Jetzt ist das Buch verfilmt worden – mit Jördis Triebel in der Rolle der fußpflegenden Autorin Kathi Grabowski. Die Hauptdarstellerin, 1977 in Lichtenberg zur Welt gekommen und inzwischen in Friedrichshain zu Hause, hat selbst einige Jahre in Marzahn gelebt. Oskamps Buch sei für sie schon lange vor den Planungen zur Serienverfilmung ein kostbarer Schatz und eine seltene Perle gewesen, sagt die 47-Jährige. Ab Mitte März ist die sechs Episoden umfassende Serie in der ARD-Mediathek zu begutachten – aber vorher haben wir Jördis Triebel noch zu ihrer Heimatstadt Berlin befragt.

    1. Frau Triebel, in „Marzahn, mon amour“ spielen Sie die Hauptrolle, gedreht wurde natürlich in Marzahn. Wie ist Ihr Verhältnis zu diesem Stadtteil?

    Als Kind habe ich einige Jahre in Marzahn gelebt – und ich habe es geliebt. Damals gab es noch viele Brachflächen, auf denen wir Kinder unbeschwert spielen konnten. Ich mochte den weiten Blick aus dem Fenster im zehnten Stock, und mein Lieblingsort war der Spielplatz direkt vor unserem Haus. Zur Schule konnte ich zu Fuß gehen, und in unserem Wohnhaus lebten viele Familien mit Kindern – wir besuchten uns oft gegenseitig. Meine Erinnerungen an Marzahn sind schöne Kindheitserinnerungen. Alles war überschaubar, gut erreichbar und vertraut. Ich war traurig, als wir weggezogen sind.

    2. Kaum ein Berliner Bezirk ist so mit Vorurteilen und Klischees belegt wie Marzahn-Hellersdorf. Welche Vorbehalte ärgern Sie persönlich am meisten?

    Vorurteile bestehen oft so lange, bis man sich selbst ein Bild macht. Marzahn war einst ein Prestigeprojekt der DDR – wer dort eine Wohnung bekam, konnte stolz sein. Heute blicken viele aus der Berliner Innenstadt mit Klischees auf den Bezirk, ohne ihn wirklich zu kennen. Dabei ist Marzahn ein lebendiger Stadtteil, in dem alle Generationen zusammenkommen. Kultureinrichtungen bieten Lesungen, Tanz- und Sportveranstaltungen, noch immer gibt es bezahlbare Cafés und Kneipen. Zudem ist es hier grüner als in der Innenstadt, mit zahlreichen Spielplätzen und einer guten medizinischen Versorgung. Warum also nicht mal einen Sonntagsspaziergang durch diesen Kiez machen? Sie werden überrascht sein!

    3. Als gebürtige Berlinerin – wie nehmen Sie die Veränderungen in der Stadt wahr? Denken Sie manchmal daran, hier wegzuziehen?

    Berlin war schon immer eine Stadt der großen Veränderungen. Nach der Wende habe ich das besonders stark gespürt. Beständigkeit gehört nicht zu Berlins Wesen – und genau das muss man lieben. Doch manchmal wird mir der ständige Wandel zu viel, und dann brauche ich eine Auszeit. Zum Glück ist es mit Bus und Bahn nur ein kurzer Weg in den Wald oder an den See.

    4. Welcher ist Ihr Lieblingsort in der Stadt?

    Meine Lieblingsorte sind die großartigen Kulturangebote unserer Stadt – insbesondere die Museen und Theater. Leider werden sie durch die Sparmaßnahmen unseres Bürgermeisters und Kultursenators zunehmend gefährdet. Doch gerade die kulturelle Vielfalt macht diese Stadt so lebendig und zieht einen Großteil der Touristen an.

    5. Wo in Berlin wollten Sie immer schon mal hin, haben es aber noch nie geschafft?

    Ich war noch nie in den Gärten der Welt oder im Botanischen Garten – das muss ich unbedingt nachholen!

    6. Ein Abend mit Freunden: In welchem Restaurant wird reserviert?

    Im Saporito in der Straßmannstraße in Friedrichshain. Ein gemütliches kleines Restaurant mit fantastischer italienischer Küche und herzlichster Gastfreundschaft.

    7. Einkaufen in der Stadt: In welchem Store kennt Ihre Kreditkarte kein Limit?

    Ganz klar: Soeur in der Marienburger Straße. Der beste Vintageladen der Stadt – wenn nicht überhaupt.

    8. Der beste Stadtteil Berlins – von welchem Kiez kriegen Sie nicht genug?

    Treptow. Im Treptower Park kann man stundenlang an der Spree spazieren gehen oder Fahrrad fahren, bis in den Plänterwald. Dort steht immer noch der alte Vergnügungspark, den ich als Kind so geliebt habe. Jetzt ist er eine Geisterstadt, umzäunt und bewacht. Man sieht noch die alten Fahrgeschäfte. Sehr, sehr schade, dass es das nicht mehr gibt. Zwar gibt es Pläne, dem Gelände wieder Leben einzuhauchen. Soweit ich weiß aber keine Nutzung, die für Kinder, Jugendliche und Familien gedacht ist. Dabei fehlt es in Berlin genau daran.

    9. Was nervt Sie am meisten an der Stadt?

    Am meisten ärgert mich, dass seit Jahren an Freizeiteinrichtungen gespart wird – ein besonders trauriges Beispiel ist das SEZ. Früher gab es hier ein großes Schwimmbad, eine Schlittschuhbahn im Winter und Rollschuhfahren im Sommer. Wie großartig wäre es, diesen Ort wieder mit Leben zu füllen und den Menschen im Herzen der Stadt ein vielfältiges Freizeitangebot zu bieten? Es wäre ein echtes Geschenk für die Berliner. Ich kann nicht verstehen, warum nicht erkannt wird, wie wichtig ein solcher Ort für die Menschen ist.

    10. Was raten Sie anderen: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

    Berlin ist eine Stadt, in der jeder so leben kann, wie er möchte. Menschen, die sich anderswo vielleicht als Außenseiter fühlen, finden hier die Möglichkeit, ein buntes, freies Leben zu führen. Genau das macht diese Stadt so besonders. Hoffen wir, dass das trotz der aktuellen politischen Lage und der rigorosen Einsparungen so bleibt.

    Zur Person

    Jördis Triebel studierte Schauspiel an der „Ernst Busch“ und wurde nach ihrem Abschluss 2001 Ensemblemitglied am Bremer Theater. Für ihre erste Filmhauptrolle als Jungbäuerin in „Emmas Glück“ (2006) wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Danach spielte sie in Sönke Wortmanns „Die Päpstin“, Christian Schwochows „Westen“, der Mysteryserie „Dark“ und „Babylon Berlin“. 2023 wurde sie für ihre Nebenrolle der Gisela in „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ erneut mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

    „Marzahn, mon amour“ mit Jördis Triebel als Kathi Grabowski (Foto) läuft in sechs Folgen ab dem 14. März in der ARD-Mediathek und am 21. März ab 23.50 Uhr im Ersten.

    #Berlin Marzahn #Friedrichshain #Straßmannstraße

    #Kultur #Prominente

  • Jacobs-Kaffeezug: Was mit einem der letzten Güterzüge in Berlin passiert
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/jacobs-kaffeezug-was-mit-einem-der-letzten-gueterzuege-in-berlin-pa

    Einer der letzten Güterzüge in Berlin: Der Jacobs-Kaffeezug wartet im Güterbahnhof Neukölln auf die Weiterfahrt. Künftig wird der Containertransport nicht mehr zur Rösterei Nobelstraße fahren. Michael Krolop

    4.3.2025 von Peter Neumann - Seit 32 Jahren wird die Kaffeerösterei in Neukölln auf der Schiene beliefert. Doch in Zukunft kommen die Bohnen woanders an. Das sind die Pläne für den Zug.

    Viel Kaffee, wenig Kohlendioxid. Seit mehr als drei Jahrzehnten wird das Kaffeewerk von Jacobs Douwe Egberts (JDE) in Neukölln von Bremen aus auf der Schiene beliefert. Doch von September an wird es den legendären Kaffeezug in dieser Form nicht mehr geben. Zwar reisen die Bohnen auch weiterhin den größten Teil der Strecke per Bahn. Doch in der Rösterei an der Nobelstraße werden sie künftig per Lastwagen ankommen – immerhin per E-Lkw, wie der Kaffeehersteller auf Anfrage mitteilt. Was ist geplant?

    Gleise mit Verwöhnaroma. Die lange Reise des braunen Goldes. Für die Klimaziele - Kaffee fährt Bahn. Wenn es um den Jacobs-Kaffeezug nach Neukölln geht, kommen Autoren ins Schwärmen. Kein Wunder, gibt es in Berlin kaum noch Unternehmen, die Schienenwege nutzen. Dabei hieß es einst: Güter gehören auf die Bahn! Doch der alte Werbespruch wird auch in der Hauptstadt kaum noch beherzigt. Lastwagen, Binnenschiffe und das Flugzeug beherrschen fast vollständig das Transportgeschäft. Das einst umfangreiche Netz von Anschlussbahnen und -gleisen wurde durch Abbau dezimiert, oder die Schienen liegen brach. Währenddessen wächst der Lkw-Verkehr.
    Der Kaffeezug erspart den Autobahnen mehrere Tausend Lkw-Fahrten pro Jahr

    Jacobs Douwe Egberts ist inzwischen eine rare Ausnahme. Schon seit mehr als fünf Jahrzehnten lässt das Unternehmen Rohkaffee auf der Schiene nach Berlin bringen.

    Seit 1972 sei das der Fall, berichtet Michael Schwindkowski aus Spandau. Er war von 1973 an einige Jahre als Ladeplatz-Aufsicht tätig. Damals traf auf dem kurz davor eröffneten Containerterminal im Hamburger und Lehrter Güterbahnhof an der Heidestraße dienstags bis sonnabends gegen 6.30 Uhr ein Zug des Kombinierten Ladungsverkehrs aus Bochum-Langendreer ein. Er brachte zwei oder drei Wagen mit Rohkaffee aus Bremen mit. „Diese Wechselpritschen wurden der Firma Jakobs zur Röstung zugestellt, um am Nachmittag wieder die Rückreise nach Bremen im Nachtsprung anzutreten“, berichtet Schwindkowski. „Die Zustell-Lkw trugen ein grünes Nummernschild, waren also von der Steuer befreit, weil diese Transportart gefördert werden sollte.“

    1993, als der Rückzug der Industrie aus Berlin in vollem Gange war und die Güterbahn immer weniger zu tun hatte, handelte der Vorläufer von Jacobs Douwe Egberts mutig gegen den fatalen Trend. Das Unternehmen ließ das Werk in der Nobelstraße mit einem Gleisanschluss ausstatten und kommt allein für dessen Unterhaltung auf.

    Der Jacobs-Kaffeezug kam ins Rollen. Er erspart den Straßen und Autobahnen pro Jahr circa 5000 Lkw-Fahrten, hieß es. Allein im Jahr 2020 rollten 2321 Güterwagen mit je zwei 20-Fuß-Containern von Bremen-Holzhafen nach Berlin-Neukölln, so DB Cargo. Seit 2012 nutzt JDE das Angebot DBeco plus und fährt komplett CO₂-frei. Durch den Einsatz von Ökostrom spart das rund 460 Tonnen Kohlendioxid gegenüber dem konventionellen Schienenverkehr ein, gegenüber dem Lkw sogar mehr als 3130 Tonnen Kohlendioxid.

    Unterwegs in Wilmersdorf: Der Jacobs-Kaffeezug passiert den S-Bahnhof Bundesplatz auf dem Ring. Michael Krolop

    Per Schiff kommt der Rohkaffee aus Übersee nach Bremerhaven. Michael Krolop aus Berlin berichtet, wie die Logistikkette funktioniert: „Zunächst fährt ein Zug mit vollen Containern nach Seddin. Dort wird die Lok gewechselt, und DB Cargo bringt die Wagen zum Güterbahnhof Treptow, wo eine Lok der Industriebahngesellschaft Berlin den Zug übernimmt und über die Gleise der ehemaligen Industriebahn Neukölln bis ins Werk an der Nobelstraße befördert. Nach der Entladung gehen die leeren Container in Gegenrichtung von der Nobelstraße über Treptow und Seddin zurück.“ Verkehrte der Kaffeezug anfangs meist zweimal pro Woche, fährt er heute öfter.

    Michael Krolop fotografiert seit mehr als vier Jahrzehnten Eisenbahnen. Er ist Mitautor mehrerer Bücher zum Thema. Der Güterbahnhof Neukölln, in dem der Kaffeezug derzeit noch mehrmals wöchentlich zu Gast ist, liegt auf seinem Heimweg von der Arbeit nach Hause. „Da fahre ich dann gerne zum Feierabend mal vorbei und schaue. Somit hat sich im Laufe der Zeit das eine oder andere Foto von dem Zug in meiner Sammlung eingefunden“, erklärt Krolop.

    Güterzugverkehr in Berlin während der 1960er-Jahre. Ein Güterzug mit Stückgutwagen passiert den S-Bahnhof Frankfurter Allee auf Höhe des Stellwerks B2. Im Hintergrund der Containerbahnhof, der 1998 schloss. Burkhard Wollny/Sammlung Sven Heinemann

    Auf den Gleisen der einstigen Industriebahn fährt nur noch dieser eine Zug, sagt er. Die Lok der Industriebahngesellschaft wird extra für den Kaffeezug dorthin gefahren. Nicht weit entfernt verlaufen Gleise der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn, die aber keine eigenen Lokomotiven mehr hat. Das Ganze ist vermutlich ziemlich aufwendig, schätzt der Insider ein. Aber ist das der Grund für die Änderungen, die für den Sommer geplant sind?

    In der Bahn-Community hat man bereits davon Wind bekommen. Das einst belebte Güternetz in Neukölln verliert den letzten Zug, der Gleisanschluss im JDE-Kaffeewerk liegt künftig brach, wird bei Drehscheibe Online berichtet. Der Rohkaffee kommt dann auf der Straße ins Werk. So haben es die Fans gehört – und es stimmt. Doch das ganze Bild ist etwas umfangreicher, wie JDE-Sprecher Dirk Friedrichs auf Anfrage erklärt.

    „Wir haben uns dazu entschieden, den Rohkaffeetransport von Bremerhaven in unser Kaffeewerk in Berlin-Neukölln anzupassen“, teilt Friedrichs mit. „Ab September erfolgt der Transport unserer Kaffeebohnen zum Berliner Westhafen. Von dort werden wir emissionsfreie elektrische Lkw für den weiteren Transport in unser Werk einsetzen.“ Derzeit werde zwei- bis sechsmal pro Woche Kaffee per Zug direkt zur Nobelstraße geliefert. „Nach der Umstellung rechnen wir mit circa zehn E-Lkw-Anlieferungen pro Tag. Mit dieser Umstellung erreichen wir eine höhere Flexibilität im Hinblick auf Bedarfsänderungen, da wir im Westhafen höhere Lagerkapazität zur Verfügung haben.“

    Die Verlagerung werde auch dazu führen, dass auf dem Werksgelände mehr Platz zur Verfügung steht, berichtet der Sprecher des Bremer Unternehmens. Der Platz soll als zusätzliche Stellfläche für den Lkw-Lieferverkehr genutzt werden. „An unserem Produktportfolio oder unseren Kapazitäten im Werk ändert sich nichts.“

    Auch die Klimastrategie bleibt dieselbe, und sie werde weiterhin umgesetzt. „So haben wir uns dazu verpflichtet, bis 2030 unsere absoluten Treibhausgasemissionen nach Scope 1 und 2 um 43 Prozent zu verringern“, erklärt Friedrichs. Scope 1 nimmt zum Beispiel Erdgas, Heizöl, Benzin oder Diesel in den Blick. Bei Scope 2 geht es unter anderem um Strom, Fernwärme, Dampf oder Kühlungsenergie in Gebäuden sowie in Elektrofahrzeugen. Auch in anderen Bereichen will JDE Treibhausgasemissionen senken, etwa in den Bereichen Wald, Land und Landwirtschaft um rund 30 Prozent.

    Auch wenn die Lastwagen, die den Rohkaffee in Berlin vom Westhafen nach Neukölln befördern, Elektromotoren haben: Zum dichten Verkehr tragen sie ebenfalls bei. Vermutlich werden die Lkw über die A100 fahren – die von 2026 an der Rudolf-Wissell-Brücke in Charlottenburg und anderswo zur Großbaustelle wird. „Vielleicht brauchen die Container dann vom Westhafen nach Neukölln länger als von Bremerhaven bis Berlin“, meint Michael Krolop. „Für wirklich sinnvoll halte ich diese Planung jedenfalls nicht.“
    Viele Berliner Güterbahnhöfe wurden stillgelegt

    „Für die Lkw- und autogerechte Stadt, den geplanten Börsengang der Bahn und für Urban Living mussten 16 Berliner Güterbahnhöfe weichen. Ein innerstädtisches Schienentransportnetz verschwand zugunsten von Parks, Straßen, Gewerbe- und Wohngebieten“, berichten die Künstler Adam Page und Eva Hertzsch. Ihre Ausstellung „The Last Mile – Güterversorgung nach dem Dieselverbot“, die 2023 im August-Bebel-Institut in der Müllerstraße gezeigt wurde, beschäftigte sich mit dem Güterverkehr.

    Signale auf Halt: der Jacobs-Kaffeezug im Güterbahnhof Neukölln. Künftig wird der Güterzug im Westhafen beginnen und enden. Michael Krolop

    Auch im Osten von Berlin gab es Infrastruktur, auf der Züge Waren in die Zentren der Stadt brachten, erinnert sich ihr Berater Wolfgang Richter. „Der Containerbahnhof Frankfurter Allee war mit modernster Technik ausgestattet.“ Doch die Anlage bestand nur von 1968 bis 1999. Der Hamburger und Lehrter Güterbahnhof, in dem bis 2003 ebenfalls Container verladen wurden, ist heute überbaut – als Teil der Europacity.

    Güter auf die Bahn: Das gilt in Berlin schon lange nicht mehr.

  • Senat stoppt Straßenbahnprojekte in Berlin: So viele Millionen wurden schon versenkt
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/senat-stoppt-strassenbahnprojekte-in-berlin-so-viele-millionen-wurd

    5.3.2025 von Peter Neumann - Vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz, von Johannisthal in die Gropiusstadt: Diese Vorhaben wurden beerdigt. Doch es wurde bereits viel investiert.

    Mal hü, mal hott. Ein rund drei Jahrzehnte altes Verkehrsprojekt in Mitte zeigt, wie schwierig es mittlerweile geworden ist, die Infrastruktur in Berlin zu erweitern. Die Vorbereitungen für den Bau einer Straßenbahnstrecke zum Potsdamer Platz hatten gerade wieder an Tempo gewonnen, da stellte die schwarz-rote Koalition die Signale plötzlich auf Halt. Damit sind bisherige Anstrengungen auf absehbare Zeit umsonst. Der Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg hat den Senat gefragt, wie viel Geld für dieses Vorhaben schon ausgegeben wurde. Jetzt liegen die Zahlen vor. Auch ein anderes gestopptes Tramprojekt hat die Steuerzahler bereits belastet.

    Rein in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln. Immer wenn für die Straßenbahnstrecke vom Alexanderplatz über die Leipziger Straße und den Potsdamer Platz zum Kulturforum wieder die Planungen aufgenommen wurden, dekretierte die Politik erneut einen Stopp. 1996, 2001 und 2013 begannen Vorplanungen, die dann versandeten.
    Die ersten Schienen wurden im Jahr 2000 in der Leipziger Straße verlegt

    Die Schienen, die der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder 2000 für 1,85 Millionen Euro auf 530 Metern in der Leipziger Straße verlegen ließ, zeugen von dem Hin und Her. Sie sind längst unbrauchbar geworden und müssten entfernt werden, wenn die Ost-West-Trasse tatsächlich gebaut würde – was nun wieder als unwahrscheinlich gilt. Zeitweilig hieß es, dass die erste M4 zum Kulturforum 2008 fahren soll. Zuletzt wurde 2029 als möglicher Zeitpunkt genannt. Jetzt gibt es offiziell keinen Termin mehr.

    Ein breiter Grünstreifen, links und rechts Gleise für die Straßenbahn – und dann ein Fahrstreifen pro Richtung: Das war eine Variante für die Umgestaltung der Leipziger Straße in Mitte, die im Jahr 2020 präsentiert wurde.Visualisierung: Senatsverwaltung für Mobilität

    Die Verlängerung der M4 ist nicht nur eines der ältesten, sondern auch eines der größten Projekte dieser Art. Die Ost-West-Trasse soll 3950 Meter lang werden. Ein 440 Meter langer Anschluss in der Spandauer Straße sowie ein 237 Meter langer Abzweig in die Ben-Gurion-Straße am Sony-Center kommen dazu. Erste Rechnungen erwarteten ein hohes Fahrgastaufkommen – von bis zu 40.000 Reisenden pro Tag war die Rede.

    In der parlamentarischen Drucksache, mit der Verkehrsstaatssekretär Johannes Wieczorek die jüngste Anfrage des Linke-Abgeordneten Kristian Ronneburg beantwortete, werden 10.000 bis 15.000 werktägliche Personenfahrten als Aufkommen genannt. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass die offiziellen Schätzungen sehr konservativ sind. Für den Neubauabschnitt der M10 in Moabit hatten die Planer pro Tag 10.000 Fahrgäste vorher gesagt – wenige Monate nach der Eröffnung waren es 18.500.
    2023 war der Senat noch auskunftsbereiter – das ist die damalige Rechnung

    Die bisherige, noch unter der Grünen-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch abgestimmte Planung sah vor, die Gleise über die Leipziger Straße nach Westen weiterzuführen. Auf dem schmalen Abschnitt zwischen der Charlottenstraße, dem Bundesratsgebäude und dem Potsdamer Platz wäre es allerdings erforderlich, den Platz für den Autoverkehr auf einen Fahrstreifen pro Richtung zu halbieren. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, dass die schwarz-rote Koalition dieses Vorhaben 2023 auf den Prüfstand stellte. Offiziell heißt es, dass es die angespannte Haushaltslage erfordert, Vorhaben zu priorisieren.

    Still ruht der See. Es wurden und werden keine konkreten Planungen veranlasst, so der Senat. Aber wie viel Geld wurde schon ausgegeben? Was die Grundlagenuntersuchung und die verwaltungsinternen Planungen anbelangt, reagierte Wieczorek ausweichend. Diese Kosten könnten „bisher nicht näher beziffert werden“, teilte er mit. Das hatte bereits Wieczoreks Vorgängerin Claudia Elif Stutz bedauert. In ihrer Antwort auf eine Grünen-Anfrage war sie 2023 auskunftsbereiter. „Seit Beginn der Vorplanungsphase sind externe Planungskosten in Höhe von 2,1 Millionen Euro angefallen. Zum aktuellen Projektstand betragen die Gesamtkosten der Planung aufgrund vertraglicher Verpflichtungen insgesamt circa sechs Millionen Euro“, erklärte die CDU-Politikerin.
    Linke-Politiker: „Die Leidtragenden sind die Fahrgäste in Berlin“

    Immerhin konnte der Senat jetzt in seiner aktuellen Drucksache auflisten, welche Planungskosten nach Auskunft der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angefallen seien. Sie sei die Vorhabenträgerin. Bis 2022 bezifferte der Senatspolitiker diese Aufwendungen mit 1,704 Millionen Euro. 2023 wurden 794.000, im vergangenen Jahr 999.000 Euro ausgegeben. Das macht aufseiten des Landesunternehmens zusammen 3.497.000 Euro für Planungen, die nun nicht weitergeführt, geschweige denn umgesetzt werden.

    Kristian Ronneburg äußerte sich kritisch. „Die Antworten des Senats zeigen, dass die Straßenbahnstrecken rein aus politischen Gründen von CDU und SPD gestrichen wurden, weil sie manchen in den eigenen Reihen einfach nicht passen“, so der Abgeordnete in seiner Stellungnahme. „Die Leidtragenden sind die Fahrgäste in Berlin, die von beiden Strecken profitieren würden, denn dadurch würden überlastete Buslinien ersetzt werden und es wären weitere sinnvolle Netzerweiterungen möglich.“
    Grünen-Abgeordnete: „Die CDU setzt weiter auf neue Luftschlösser“

    Dass der Senat nach wie vor als Grund für die Kürzung die angespannte Haushaltslage angibt, sei eine „intellektuelle Beleidigung“, bemängelte der Linke-Politiker. „Einerseits sind die Planungskosten für die Straßenbahn vergleichsweise gering. Es gibt überhaupt keine finanzpolitische Notwendigkeit hier zu kürzen, schon gar nicht bei dem langfristigen Nutzen der Erweiterung des Straßenbahnnetzes. Andererseits ist allgemein bekannt, dass neue Straßenbahnstrecken viel billiger als neue U-Bahn-Strecken sind. Doch auf der Kürzungsliste von CDU und SPD taucht keine einzige U-Bahn-Strecke auf, obwohl die Koalitionäre genau wissen, dass ihre Pläne völlig unrealistisch sind.“

    Es gibt noch ein zweites Straßenbahnprojekt in Berlin, das „qualifiziert beendet“ wurde, wie Staatssekretärin Britta Behrendt im Januar den Grünen-Abgeordneten Oda Hassepaß und André Schulze mitteilte. Der Tram M11 von Johannisthal in die Gropiusstadt wurde im Nahverkehrsplan ein dringlicher Bedarf bescheinigt. Im November 2023 beschloss der Senat, dass für die Ost-West-Verbindung über die ehemalige innerstädtische Grenze hinweg die Planung beginnen. Damals hieß es, dass der Betrieb auf der 6,2 Kilometer langen Trasse zum U-Bahnhof Johannisthaler Chaussee in Neukölln 2020 beginnt.

    Zu einer Grundlagenermittlung ist es noch gekommen: Der Senat bezifferte die Kosten auf 238.828,43 Euro. Doch dabei soll es nach dem Willen der Koalition nun bleiben. Dabei hatte das Land Berlin der BVG zugesagt, Planungskosten zu übernehmen. In diesem Jahr hätten sie sich auf 2,237 Millionen Euro summiert - damit lässt sich schon viel bewegen.

    „Die CDU setzt weiter auf neue Luftschlösser, statt naheliegende Lösungen umzusetzen“, kommentierten Oda Hassepaß und André Schulze. „Neben einer Güterstraßenbahn und einer Magnetschwebebahn für Berlin, wurden von der CDU gleich vier neue Tramideen für die City West angekündigt, für die es weder Planungen noch Geld gibt. Auf der anderen Seite gibt es einen Tram-Stopp bei Linien, die bereits geplant sind, Bedarf nachgewiesen ist und schon Gelder eingesetzt wurden. Diese Vorgehensweise ist nicht nachvollziehbar. Wir Grüne wollen mehr Trams in Betrieb.“

  • Touristen in Berlin: Diese 5 Orte sollten Besucher meiden
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/tourismus-in-berlin-diese-5-orte-sollten-besucher-meiden-li.2304095

    Naja, was den nicht-ganz-so-Urberlinern aus der Redaktion so einfällt sind eigentlich total interessante, teils sogar mit echtem Charm und Schönheit ausgestattete Orte.

    Dafür ist vom Besuch der folgenden Orte ernsthaft abzuraten.

    Kategorie Touristenfalle

    – Alle Berliner Shopping Malls inklusive ehemaliges Bikini Haus und Kadewe. Wir haben über 60 davon.
    – Mauerpark und RAW sind nur etwas für drogenversessene Krawalltouristen mit Hang zum eigenen Messer.

    Kategorie Lebensgefahr durch Lamgeweile

    – Tempelhof südlich der Ringbahn
    – Reinickendorf
    – Spandau

    Kategorie „muss echt nicht sein“

    – Der neue Potsdamer Platz. Hier ist in der Tat off limit, no go zone, wirklich nicht zu empfehlen, es sei denn, man muss da durch auf dem Weg zum #Taxifilmfest oder zur #Berlinale.

    – Kaiser-Wilhelm-Platz (der verbliebene), fahr besser gleich nach Potsdam.

    5.3.2025 von Anne Vorbringer, Marcus Weingärtner, Manuel Almeida Vergara, Enno Kramer - Wo die Stadt sich selbst überlassen wurde, schickt man keinen Gast hin. Auch die Einheimischen meiden diese Orte, soweit es geht.

    Während die ITB aktuell die schönsten Urlaubs-Destinationen bewirbt, tut die deutsche Hauptstadt wenig bis gar nichts dafür, sich für den Tourismus der Zukunft fit zu machen. Im Gegenteil: Viele Gegenden wirken, als ob sich die Stadt selbst überlassen wäre.

    Wir haben fünf Orte in Berlin herausgesucht, die an zentraler Stelle exemplarisch für das Versagen der Stadt stehen. Hier würden wir keine Freunde hinschicken.

    1. Mehringplatz in Kreuzberg: verwahrloste Innenstadt

    Der Beginn der teilverwahrlosten Friedrichstraße ist zugleich ihr soziales Ende: Der Kreuzberger Teil mündet im Mehringplatz, einem Ort, der dank sämtlicher fehlgeschlagener Versuche der Aufwertung immer noch ein sozialer Brennpunkt ist und von Menschen in der Regel höchstens als Durchgang zwischen Halleschem Tor und Friedrichstraße passiert wird.

    Touristen verlaufen sich höchstens an den Mehringplatz, wenn sie die U-Bahn-Station zum Checkpoint Charlie verpasst haben und reiben sich verwundert die Augen ob der Tatsache, dass sich eine europäische Metropole in ihrem Zentrum ein derart heruntergekommenes Gebiet gönnt, das unter Milieuschutz steht, „um die Gentrifizierung infolge von aufwertenden Sanierungen zu bremsen“. Da kann man nur sagen: Glückwunsch! Damit ist trotz einiger Sanierungsarbeiten ein Zustand der Konservierung erreicht und wer sich den Mehringplatz ansieht, kann darüber sicher nur den Kopf schütteln.

    2. Hermannplatz in Neukölln: Obdachlosigkeit, Drogenkonsum, Kriminalität

    Der Klassiker. Strenggenommen ist der Hermannplatz gar kein Platz, sondern eine große Kreuzung mit Betondeckel auf dem U-Bahnhof. Und überhaupt würde niemand auf die Idee kommen, hier länger als nötig zu verweilen: Obdachlosigkeit, Drogenkonsum, Kriminalität und ein abweisendes Erscheinungsbild haben den Hermannplatz so sehr in Verruf geraten lassen, dass der Slogan „Du hast Angst vorm Hermannplatz“ auch in der deutschen Provinz noch ein Begriff ist.

    Zwar hat die Gentrifizierung auch diese Ecke im Guten wie Schlechten im Griff, angenehmer ist der Hermannplatz trotzdem nicht geworden. Wer kann, der flüchtet in die umliegenden Straßen wie die ex-hippe Weserstraße, die Karl-Marx-Straße oder die Sonnenallee, die den Hermannplatz im Gruselranking mittlerweile eindeutig abgelöst hat.

    3. Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg: Burn-out garantiert

    Bars, Clubs und jede Menge Restaurants – eigentlich ist die Eberswalder Straße der ideale Ort für einen Freitagabend. Könnte man meinen. Doch wer öfter hier vorbeikommt, lernt die wohl unübersichtlichste Kreuzung der Stadt zu hassen. Von rechts schreien einen die Radfahrer an, von links bimmelt die Straßenbahn, aus allen Richtungen hupen Autos im Sekundentakt und von oben rattert die U2 über die Gleise.

    Wer nicht gerade auf der Suche nach einem Burn-out pünktlich zum Wochenendbeginn ist, sollte die Eberswalder nicht nur unter der Woche meiden. Denn auch wenn die Ausgehmöglichkeiten in Prenzlauer Berg hier wohl am vielfältigsten sind – spätestens, wenn man auf der Suche nach einem Späti unter der U-Bahn-Station in Richtung Norden unterwegs ist, vergeht einem der Spaß. Stichwort Taubentoilette: Nirgendwo ist der Gehweg so flächendeckend mit Kot bedeckt wie hier.

    Auch auf den Bürgersteigen entlang der Kulturbrauerei oder in Richtung Kastanienallee geht es mit der Lebensqualität steil bergab. Altes Fett, Glutamat und schlechtes Parfüm liegen in der Luft, 15-Jährige in voller Adidas-Montur, von denen man angerempelt wird. Wer hier als Touri vorbeikommt, sollte besser zusehen, dass er Land gewinnt.

    4. Alexanderplatz in Mitte: Bausünden und Dreck

    Ein Kaufhaus mit ungewisser Zukunft, eine Dauerbaustelle mit Bauzäunen und provisorischen Fußgängerpassagen, eine versiegelte, fleckige Plattenfläche, bespielt mit peinlichen, jahreszeitlich wechselnden Ramschmärkten: Der Alexanderplatz ist gerade wahrlich nicht in seiner besten Verfassung.

    Dabei könnte und müsste er das Aushängeschild dieser Stadt sein. Er atmet Geschichte, ist einer der belebtesten Orte Berlins, Ausgangs- und Umsteigepunkt, voller touristischer Highlights in unmittelbarer Nähe. Man kommt nicht um ihn herum – und würde es dennoch gern. Nicht wenige Berliner steigen lieber eine Station früher aus, um sich die U-Bahn-Labyrinthe, das Gewusel, die musizierenden Laien und den Geruch der Champignonpfanne zu ersparen.

    „Normalerweise wird ein großer Bogen um diesen Ort gemacht“, heißt es bei Tripadvisor selbst von Berlin-Besuchern. „Mal von den fiesen Bausünden und Umgestaltungen der letzten 25 Jahre, die dem Alexanderplatz das Gesicht genommen haben, abgesehen, ist es hier einfach nur der reinste Horror. Dreckig, versifft und an vielen Stellen einfach nur verkommen“, so das knallharte Touri-Urteil. Das Schlimme ist: Man kann dem kaum widersprechen.

    5. Flohmarkt im Mauerpark: Karaoke und Nepp seit ewigen Zeiten

    Wollten Sie für einen ausrangierten H&M-Pulli auch schon mal das Doppelte des Originalpreises zahlen? Haben Sie tierisch Lust, eine Dreiviertelstunde für ein Hotdog anzustehen? Interessieren Sie sich wahnsinnig für die dürftigen Sangeskünste Ihnen völlig fremder Menschen?

    Dann sind Sie im Mauerpark goldrichtig, diesem staubig-braunen Flecken Berlin, der am Wochenende zum Eldorado für Schnäppchenjäger wird – oder zumindest für solche, die sich für Schnäppchenjäger halten. Denn günstig sind die Preise auf dem Flohmarkt im Mauerpark schon lang nicht mehr; weder die für Secondhand-Klamotten und Vintage-Möbel noch jene für die begleitenden Snacks und Getränke.

    Dabei rechtfertigt das Angebot – anders als zum Beispiel auf dem wirklich gut sortierten, mit hochwertigen Antiquitäten ausgestatteten Flohmarkt am Arkonaplatz – die mitunter horrenden Preise keineswegs. Und dann auch noch das: Will man sich vom Preisschock kurz mal erholen, setzt sich also auf eine nahe Wiese oder – schlimmer noch – direkt ins Amphitheater, muss man zwangsläufig dem Freiluft-Karaoke folgen, das aus völlig unerklärlichen Gründen seit Jahren Hunderte Besucherinnen und Besucher an jedem sonnigen Sonntag anzieht. Wem’s gefällt …

    Überhaupt wird’s auf dem Flohmarkt im Mauerpark gerne mal übervoll; ein einziges Drängeln und Schieben, ein hastiges Gegrabsche nach überteuerten H&M-Pullis und dürftigen Hotdogs. Genau Ihr Ding? Dann nichts wie hin! Doch eher Lust auf einen entspannten Berlin-Aufenthalt? Dann machen Sie am Sonntag lieber einen großen Bogen um den Mauermeiden

    #Berlin
    #Mehringplatz #Kreuzberg
    #Hermannplatz #Neukölln
    #Eberswalder_Straße #Oderberger_Straße #Prenzlauer_Berg
    #Alexanderplatz #Mitte
    #Mauerpark #Bernauer_Straße

  • „Existenzbedrohend“: Ein Flohmarktbetreiber klagt über den Berliner Bürokratiewahnsinn
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/existenzbedrohend-ein-flohmarktbetreiber-klagt-ueber-den-berliner-b

    4.3.2025 von Michael Schrottmeyer - Vorgaben- und Regelwut bringen unseren Autor, der seit 30 Jahren Flohmärkte in Berlin betreibt, zur Verzweiflung. Doch er hat auch Lösungen parat.

    Die behördlichen Anforderungen an die selbstständigen Unternehmen haben sich in den letzten Jahren enorm erhöht. Stress und steigende Kosten sind die Folge. Was ist aber wirklich dran an der tendenziellen Überforderung der Unternehmen? Um mein eigenes unternehmerisches Unwohlsein mit den steigenden bürokratischen Anforderungen einem kleinen Lackmustest zu unterziehen, bin ich ins Archiv gestiefelt, um meine Genehmigungen vom Bezirksamt gegeneinanderzuhalten.

    Dazu kurz zum Verständnis: Ich betreibe gemeinsam mit meiner Frau seit 30 Jahren in Berlin verschiedene Flohmärkte. Alle unsere Märkte finden auf öffentlichem Straßenland statt. Und für das Betreiben dieser Flohmärkte müssen wir jährlich eine Erlaubnis bei den jeweiligen Bezirksämtern beantragen. In diesen Genehmigungen finden sich verkehrsrechtliche Anweisungen etwa zum Auf- und Abbau von Verkehrszeichen, mit denen die Straße für den Markt gesperrt wird. Es finden sich aber auch allgemeine Vorgaben, wie etwa Versorgungsleitungen (zum Beispiel Stromkabel für die Imbisse) zu verlegen sind.

    Die Aktenordner aus der Anfangszeit unseres Betriebs waren im Archiv leider nicht mehr auffindbar. Gefunden habe ich aber eine bezirksamtliche Erlaubnis aus dem Jahr 2005, die verglichen mit unserer aktuellen Erlaubnis von 2025 schon vom Umfang her vergleichsweise schmal aussieht.

    Fünf einseitig bedruckte Blätter umfasste 2005 die behördliche Erlaubnis, während das Schriftstück zum Betreiben desselben Marktes 20 Jahre später auf 16 Blätter angewachsen ist. Bezogen auf die in der Genehmigung einzeln aufgeführten Nebenbestimmungen nimmt sich die wunderbare Vermehrung noch krasser aus. Hier stehen 19 einzeln aufgeführte Nebenbestimmungen in der Erlaubnis von 2005 sage und schreibe 46 Nebenbestimmungen in der aktuellen Erlaubnis von 2025 gegenüber.
    Dem Sicherheitswahn verschrieben

    In den letzten 20 Jahren sind die bürokratischen Vorgaben – zumindest in unserem Fall – also um 250 bis 300 Prozent gestiegen. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht und mein Unwohlsein hat handfeste Gründe.

    Was ist in den zurückliegenden 20 Jahren passiert, das eine solche Vorgaben- und Regelwut legitimiert oder wenigstens erklärt? An den Berliner Flohmärkten kann es nicht gelegen haben. Denn weder gibt es heute mehr Märkte als vor 20 Jahren noch geht von ihnen eine irgendwie gestiegene Gefahr aus, die besondere Vorgaben nötig machen würde.

    Die Gründe für das Bürokratiewachstum sind meiner Überzeugung nach extern. Das System selbst erzeugt die Regeln und stülpt diese den einzelnen konkreten Unternehmungen über. Meine persönliche Erzählung geht etwa so: Es war und ist die mit der Babyboomer-Generation einsetzende Spezialisierung und Arbeitsteilung, die permanent neue Beschäftigungsfelder schafft. Neue Jobs (und das ist im Allgemeinen durchaus positiv), deren Akteure aber (und hier kommt der Haken) ernst genommen werden wollen.

    Man denke hier beispielsweise an die Spezialisten des Denkmalschutzes, des Umweltschutzes sowie alle Adepten, die sich dem neuen Sicherheitswahn verschrieben haben, wie Feuerwehr, Katastrophenschutz, Terrorabwehr oder Rettung. Alle wollen etwas beitragen, mitreden und angehört werden. Alle wollen ihr Geld verdienen und verkomplizieren und verteuern damit auch die einfachsten Unternehmungen.

    Bis die Bratwurst sieben Euro kostet

    Für uns als Flohmarkt-Veranstalter bedeutet dies, dass wir die Vorgaben von Rettung, Feuerwehr, Umweltschutz, Katastrophenschutz und Terrorabwehr zu beachten haben, wie sinnvoll oder weniger sinnvoll diese im konkreten Einzelfall auch sein mögen. Betonpoller zur Terrorabwehr, ein Rettungsdienst vor Ort, überdimensionierte Rettungsgassen für die Feuerwehr auch an unbebauten Plätzen sowie die zahlreichen Auflagen bei den Abgaben von Speisen und Getränken (Mülltrennung, Nutzung von Mehrweggeschirr, mobile Spülanlagen usw.) verteuern zwangsläufig die Märkte. Bis die einfache Bratwurst sieben und mehr Euro kostet und die Besucher mit vollem Recht Imbiss und Veranstalter des Wuchers zeihen.

    Existenzbedrohend werden die in immer kürzeren Abständen erlassenen Regeln aber überall dort, wo sie aufgrund der konkreten Örtlichkeiten nicht mehr umsetzbar sind. Auf den Plätzen der von uns vor 30 Jahren gegründeten Märkte lassen sich zahlreiche Vorgaben gar nicht einhalten. Einer durchaus sinnvollen Anweisung, den Müll zu trennen, steht zum Beispiel der in derselben Erlaubnis stehende Punkt entgegen, alle Marktaufbauten, also auch die Müllcontainer, spätestens zwei Stunden nach Marktende vom Platz zu entfernen. Der durchaus sinnvollen Vorgabe, bei den Imbissen ausschließlich Mehrweggeschirr zu nutzen, steht die nicht vorhandene Infrastruktur (kein Wasser- und Kanalanschluss) vor Ort entgegen.

    Kurzum: Der Deckel der sich ständig erweiternden bürokratischen Regeln passt immer seltener auf den Topf der Unternehmungen und Betriebe. In der Konsequenz sollte dies im Falle der Berliner Flohmärkte zur Folge haben, dass die Stadt Berlin den Betreibern neue Plätze anweist, auf denen die Umsetzung der erlassenen Regeln dann auch (preiswert) möglich ist. Bis dahin bewegen sich die meisten Veranstalter in einer Art von Grauzone, was ein erhebliches existenzbedrohendes Stresslevel impliziert.

    Die Berliner lieben ihre Märkte

    Da sich die Stadt Berlin vermutlich nicht in der Pflicht sehen wird, solche den neuen Regeln entsprechende Plätze und Veranstaltungsorte aus- und anzuweisen, sollten die erlassenen Regeln selbst hinterfragt werden. Nach dem Leitsatz, wonach Regeln nur so gut sind, wie sie auch befolgt werden (können), würde ich mir wünschen, dass in unserem Falle alle aufgelisteten Vorgaben und Nebenbestimmungen ein Verfallsdatum haben, an dem sie hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit entweder erneut überprüft werden oder zur Gänze entfallen. Gerne auch in Rücksprache mit den Betreibern auf der Suche nach möglichst sinnvollen Kompromissen.

    Utopisch? Vielleicht. Die Berliner aber lieben ihre Märkte, und auch die Bezirksämter schätzen die Flohmärkte als belebende soziale Begegnungsstätten.

    Ärgernismindernd will ich zum Abschluss erwähnen, dass die von den Bezirksämtern erlassenen Veranstalter-Erlaubnisse zwar im Umfang ihrer Nebenbestimmungen stark angeschwollen sind, es aber gleichzeitig in den letzten 20 Jahren keine nennenswerte Erhöhung der ohnehin preiswerten Gebühren gegeben hat.

    Bei Michael Schrottmeyer dreht sich alles um den Verkauf von Antiquitäten und die Förderung von Sammlerkultur. Gemeinsam mit seiner Frau Regina Pröhm betreibt der gebürtige Wiener seit mehr als 30 Jahren unterschiedliche Antikflohmärkte und Sammlerbörsen in Berlin, unter anderem die einmal im Jahr stattfindende Antikmeile Suarezstraße oder die Designbörse Berlin.

    #Berlin #Handel #Kultur #Bürokratie #Verwaltung #Bezirksamt

  • Boutiquen, Galerien und Wohnblocks: Die Potsdamer Straße „ist all das, was Berlin ausmacht“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/boutiquen-galerien-und-wohnblocks-die-potsdamer-strasse-ist-all-das

    Designerin Fiona Bennett in ihrem Laden auf der Potsdamer Straße Thomas Meyer/Ostkreuz

    4.3.2025 von Johann Voigt - Die besten Galerien, Concept-Stores und ein mehrstöckiger Sexshop verkaufen hier Ideen für ein besseres Morgen – oder das Ende der Welt. Ein Besuch.

    „Ich bin vor über einem Jahrzehnt aus Berlin-Mitte weggegangen, weil es mir dort zu kommerziell geworden ist“, sagt Andreas Murkudis an diesem Morgen in seinem Concept-Store auf der Potsdamer Straße. Er trägt schlichte, dunkle Kleidung und strahlt eine Ruhe aus, die mit dem Lärm von draußen bricht.

    Baustellen machen es einem teilweise unmöglich, sich als Fußgänger sicher fortzubewegen. Das Hupen der Autos im stockenden Verkehr verklebt die Gedanken. Die Potsdamer Straße ist ein Ort der Widersprüche Berlins. Diese Straße ist nicht zum Flanieren gemacht und trotzdem reihen sich hier Galerien und Concept-Stores aneinander, kauft eine Frau einen Hut für 600 Euro bei Fiona Bennett, der besten Hut-Designerin der Stadt. Und einige Meter weiter besorgt sich jemand illegale Substanzen für den nächsten Schuss.

    In den 1980er-Jahren kamen die Hausbesetzer, dann kamen Kriminalität und Prostitution, dann die Galerien. Zweieinhalb Kilometer der Gegensätze. Schöneberg und Tiergarten, das alte Westberlin mit seiner verwinkelten Staatsbibliothek und der Potsdamer Platz im Osten als Versuch eines urbanen Zentrums voller Glas.

    Wegen dieser Gegensätze ist auch Andreas Murkudis hierhergekommen. Wenn man in Berlin etwas Besonderes kaufen will, ein rosafarbenes Designer-Kuscheltier-Schwein, ein paar knallbunte Schuhe des belgischen Designers Dries van Noten, etwas Hochwertiges also, das kein anderer besitzt, dann geht man zu ihm.

    Murkudis Laden befindet sich in einem Hinterhof. Der Concept-Store, angesiedelt in einer kargen Halle mit weißen Wänden, ist ein Hort der schönen Dinge. „Ich bin auf diesen Hof gekommen, alles stand leer, es war recht ungastlich.“ Einige Kunden hätten gesagt: „Wir kommen nicht hierher“. Murkudis dachte nur: „Ist mir egal.“ Er kennt die Gegend, besuchte die in einer Nebenstraße gelegene Sophie-Scholl-Schule.

    „Es ist eine hässliche Straße, eine Durchgangsstraße, nach wie vor“

    Ob sich hier viel verändert hat, im Vergleich zu früher? Nein, sagt Murkudis. Der Fleischer, der Bäcker und der Schreibwarenhandel von früher sind noch da. Und auch die Joseph-Roth-Diele, ein uriges Restaurant, benannt nach dem jüdischen österreichischen Schriftsteller. Passend zur Potsdamer Straße heißt eine Novelle von ihm: „Triumph der Schönheit“, ein anderer Roman „Rechts und links“.

    „Es ist eine hässliche Straße, eine Durchgangsstraße, nach wie vor“, sagt Murkudis. Direkt an der Straße befindet sich der zweite Raum seines Ladens. Blickt man nach draußen, dann sieht man Müll und das Wintergartenvarieté. Drinnen stehen Plattenspieler. Bleistiftzeichnungen von eigenartigen Räumen, die aussehen wie Büros in toten Fabriken, hängen an der Wand. Sie stammen von dem Künstler Carsten Nicolai. Als Alva Noto macht er geisterhafte Experimentalmusik.

    Am Wochenende steht er in diesem Raum, den ihm sein Freund Andreas Murkudis zur Verfügung gestellt hat. Man kann hier mit ihm zusammen seine Musik hören, wenn man das will. Wieder so ein Ruhepol. Im März wird all das verschwunden sein. Ein Ort so fluide wie die Potsdamer Straße selbst. Murkudis bespielt den Raum ständig neu. „Man muss seine Kunden hierherholen“, sagt er noch und meint damit die Potsdamer Straße im Allgemeinen. „Einige, vor allem internationale Kunden, finden den Laden nicht, irren umher.“

    Umherirrende erblicken dann vielleicht den Slogan „This Will Not End Well“, der am Gebäude der Neuen Nationalgalerie zu lesen ist. Dort läuft gerade die Nan Goldin-Retrospektive. Oder LSD, Love, Sex and Dreams, in roten Lettern an einem mehrstöckigen Sexkaufhaus einige hundert Meter entfernt, in dem sich Sexarbeiterinnen Zimmer mieten können. Oder sie sehen in einem Café namens Need a break?! Autor:in Hengameh Yaghoobifarah sitzen und teilnahmslos aus dem Fenster schauen.

    Entlang der Potsdamer Straße versprechen Zeichen und Sätze die Zukunft und verkünden gleichzeitig das Ende. Diese beiden Extreme passen ganz gut zur wachsenden Metropole Berlin. Nirgendwo werden die Gegensätze so gut abgebildet, wie hier zwischen den Wohnblocks, dem Acne-Store und all der Kunst. Denn in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sind unzählige Galerien auf die Potsdamer Straße gezogen. Man sieht sie nicht sofort. Sie sind in den Hinterhöfen angesiedelt, in Altbauwohnungen versteckt.

    Einige Meter entfernt von Murkudis Store befindet sich die Galerie Esther Schipper. Man fährt mit einem Fahrstuhl hinauf und steht gewissermaßen über den schönen Dingen. Auch sie ist vor ein paar Jahren auf die Potsdamer übergesiedelt. Ein Mitarbeiter schwärmt von der experimentierfreudigen Szene in der Gegend, von junger Kunst, die hier gezeigt wird. Im Hintergrund hört man düstere Musik. Es ist gerade die Show „Road Runner“ von der Künstlerin und Autorin Cemile Sahin zu sehen. Sahins Arbeiten spiegeln indirekt auch die Ambivalenzen der Potsdamer Straße. Das Schöne, das Rohe, die Gewalt, die Sinnlichkeit.

    „Road Runner“ ist ein dystopisches Video, das auch mit den Ästhetiken von TikToks spielt, mit Action und AI. Die Dialoge hat Sahin geschrieben, sie beschreiben den Kampf einer Heldin. Sie schießt und springt. An den Wänden hängen dazu Abbildungen von Patronen und pinken Bentleys, von Waffen und Wüstensand. Darauf gesetzt sind mit künstlicher Intelligenz generierte Textfetzen. „The future is hot and dry“, steht da unter anderem. Die Zukunft ist heiß und trocken.

    Auf der Potsdamer Straße passiert Diskurs – sie lockt eine internationale Szene an

    In der Galerie Esther Schipper wird klar: Auf der Potsdamer Straße passiert Diskurs. Man kann das zynisch finden, weil es nicht unbedingt ein Angebot für Menschen ist, die auch wirklich dort leben. Man kann es aber auch spannend finden, weil die Concept-Stores, die Designer, die Galerien sich gegenseitig befruchten und eine internationale Szene auf die Potsdamer Straße treiben.

    So denkt auch Fiona Bennett, die um die Ecke den renommiertesten Hutladen Berlins betreibt. „Ich habe immer die Galerie-Nähe gesucht“, sagt Bennett. „Galeristen, Sammler, Künstler waren immer meine Kunden. Hier fühlt man sich gut eingebettet.“ In ihrem Laden gibt es Hüte, in die Kaschmir-Schals integriert sind. Bunte Hüte, edle Hüte, Hüte für Pferderennen und Hochzeiten. Viele sehr teure Hüte. Bennett hat ihre eigene Manufaktur in Berlin, war auch für die Hüte der Schauspieler in „Babylon Berlin“ verantwortlich.

    Genau wie Andreas Murkudis ist auch sie von Mitte auf die Potsdamer Straße gezogen. „Ich bin vor 14 Jahren mit meinem Geschäftspartner hier hergekommen“, sagt sie. „Murkudis war schon im Hof. Wir haben zur Straße hin geöffnet – damals gab es noch den Straßenstrich fast vor der Tür, das Haus stand weitestgehend leer. In den letzten Jahren hat sich alles zu einem spannenden Ort entwickelt.“ Gerade ist deswegen auch noch das junge Berliner Modelabel Working Title mit eingezogen. Björn Kubeja, ein Architekt und neben Designerin Antonia Goy einer der beiden Betreiber, sitzt neben Fiona Bennett und sagt: „Die Kunden hier sind Individualisten. Leute aus Asien, aus Amerika – sie wissen genau, dass hier der Spot für sie ist.“

    Was Kubeja und Bennett eint, ist ihr Sinn für Nachhaltigkeit. Ihre Mode ist entschleunigt, sie soll lange überdauern können. Ein Gegenentwurf zum Ausstellungstitel der Show in der Neuen Nationalgalerie also, der besagt, dass das hier alles nicht gut enden wird. Die Sachen von Working Title sind schlicht, sleek, unisex. Kubeja sagt: „Wenn man unsere Stücke gar nicht mehr restaurieren kann, dann kann man sie guten Gewissens gehen lassen. Sie bestehen nur aus Naturmaterialien.“

    Laut, aber nicht ekelhaft laut

    „Ich finde, die Straße hat was sehr Urbanes, ist sehr laut, aber nicht ekelhaft laut, hat ein gutes Grundtempo, einen urbanen Beat, ist multikulturell“, sagt Kubeja. Wenn er spricht, klingt es jetzt auch wie ein Beat. Er macht eine kurze Denkpause und fügt hinzu. „Es ist all das, was Berlin ausmacht.“

    Nur das Nachtleben fehlt hier weitestgehend. Es gibt die Stripclubs und die Kaschemmen auf der einen Seite und die Victoria Bar und das Kumpelnest für die Szene-Leute auf der anderen Seite. Sonst sieht es mau aus. Das Studio 1111 von Nachtleben-Urgestein Till Harter versucht parallel dazu Marken und Partys zusammenzubringen und die Leute, die hier arbeiten, auch am Abend auf der Straße zu halten. Keine einfache Aufgabe. Die meisten gehen dann doch lieber zurück nach Neukölln oder Kreuzberg.

    „In der Nacht verändert sich das Publikum auf der Potsdamer Straße“, sagt auch Hannes Schmidt. „Die Menschen, die hier in den Agenturen und Galerien arbeiten, gehen in ihre Viertel zurück.“ Er steht in einer Altbauwohnung auf der Potsdamer Straße und ist in Eile. Schmidt ist Künstler, hat kleine Projekt-Spaces geleitet und betreibt hier nun seine Galerie Schiefe Zähne. Sie ist ein Bindeglied zwischen Orten wie der Esther Schipper Galerie, den Läden von Murkudis oder Bennett und der Gegenkultur der 80er-Jahre. An diesem Tag Ende Februar läuft eine Gruppenausstellung, die sich kritisch mit dem Konzept Gruppenausstellung auseinandersetzt: „Ten thousand ugly inkblots | Part 3/3.“

    Schiefe Zähne ist ein ursprünglicher Ort, der mit der Sterilität anderer Galerien bricht. Die Kunst, die dort gezeigt wird, ist hoch-diskursiv, kritisch gegenüber dem Kunstmarkt, kritisch gegenüber Kunst selbst. „Man profitiert von der Galeriendichte“, sagt Schmidt noch, während er sich einen Kaffee holt und dann schnell weiter hastet.

    Die Potsdamer Straße ist kein Ort des Innehaltens. Wer sie besucht, muss in ständiger Bewegung bleiben, kann kurz in den Läden, in der Mode, in der Kunst abtauchen, aber landet am Ende doch wieder auf dem Gehsteig dieser launigen und dreckigen Hauptverkehrsader. Das erdet.

    #Berlin #Schöneberg #Tiergarten #Mitte #Potsdamer_Straße #Kultur #Wirtschaft #wohnen

  • Rave und Rausch: Warum Berliner Clubs alkoholabhängig sind
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/rave-und-rausch-warum-berliner-clubs-alkoholabhaengig-sind-li.23019

    2.3.2025 von Kristoffer Cornils - Der „Dry January“ ist längst vorbei und mit ihm die Debatte über den Alkoholkonsum in Berliner Clubs. Doch das Nachtleben hängt am Tropf der Bier- und Schnapsindustrie.

    Rave und Rausch, das gehört angeblich untrennbar zusammen. Infrage gestellt wurde diese Engführung von Clubkultur und Konsum im zurückliegenden Monat – dem „Dry January“.

    Die Initiative Sober Nightlife, die im Rahmen einer Umfrage die Erfahrungswerte und Änderungswünsche von Szenemitgliedern abfragt, die Alkohol und anderen Substanzen abgeschworen haben oder es zumindest wollen, erhielten während dieser Zeit ebenso viel Aufmerksamkeit wie keineswegs feuchte, allemal aber fröhliche Veranstaltungsreihen wie „Sober Sensation“, „Lemonade Queers“ im SchwuZ oder die substanzbefreite Ecstatic-Dance-Reihe „Tanzen3000“ im Beate Uwe. Sie alle beweisen hinlänglich, dass das Publikum auch ohne Alkohol und andere Neurotoxine Spaß haben kann. Wäre das also geklärt. Und nun?

    Clubs haben zwei Geldquellen, eine davon ist die Bar

    Nun ist es höchste Zeit, eine noch dringlichere Gretchenfrage zu stellen: Ist nicht die gesamte Clubszene von Bier und Spirituosen abhängig? Marcel Weber bestätigt das. Er leitete 13 Jahre lang das SchwuZ und ist Vorstandsvorsitzender der Clubcommission. Weber rechnet vor, dass Clubs zwei primäre Geldquellen haben: „Je nach Club machen die über die Eintrittspreise generierten Einnahmen zwischen 20 und 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus, der Rest wird an der Bar verdient“, erklärt er.

    Von diesen 60 bis 80 Prozent des Gesamtumsatzes wiederum kommt der Großteil aus dem Verkauf von alkoholischen Getränken – so gesehen ja doch die nahezu perfekte Ware, weil der Konsum von einer Einheit automatisch Lust auf die nächste macht. Das schafft im Gesamten allerdings eine wirtschaftliche Verbindlichkeit.

    Weber betont, dass diese durchaus wechselseitig ist. Bier- oder Spirituosenhersteller wollen sich in der Gastronomie im Gesamten und deshalb auch in Clubs einen bestimmten Absatz sichern. Seltener strecken sie deshalb Investitionsgelder für Neugründungen vor, weiter verbreitet ist die Schaffung von finanziellen Anreizen durch Lieferabkommen.

    Mittel für beides ist die sogenannte Rückvergütung: „Für jeden verkauften Hektoliter Bier oder jede Flasche Schnaps bekommt der Club Geld ausgezahlt. Es handelt sich um eine Art Prämie“, erklärt Weber. Die wird entweder als Starthilfe im Voraus ausgezahlt oder aber laufend entsprechend der Absatzzahlen, die die zwischengeschalteten Vertriebe an die Hersteller melden. Von außen betrachtet mögen solche Deals sonderbar wirken, im Grunde aber schaffen sie eine Win-win-Situation. Und stärken die gegenseitige Bindung.

    Das wiederum führt zu Gewissensbissen. „Wie kann man es gutheißen, einen kulturellen Ort mit dem Verkauf eines Nervengifts zu finanzieren, das viele Menschen in den gesundheitlichen und sozialen Ruin treibt?“, fragt Marcel Weber. In der Szene wird dieser Widerspruch kaum diskutiert. Lediglich Clubs wie das About Blank am Markgrafendamm lassen verlautbaren, dass sie sich langfristig von der Alkoholindustrie unabhängiger machen möchten. Perspektivisch scheint das auch in wirtschaftlicher Hinsicht ratsam, melden doch zunehmend Clubbetreibende rückläufige Umsätze im so wichtigen gastronomischen Bereich. Laut Weber müsse dabei indes unterschieden werden: „Der Getränkeabsatz hat sich verringert, weil die Besucherzahlen niedriger sind. Die Leute, die kommen, konsumieren weiterhin fleißig.“

    Übergreifender Trend zum Nüchternsein

    Dennoch sei eine gewisse Tendenz zu einem moderateren Trinkverhalten vor allem unter Jüngeren zu beobachten. Während sich viele Alkoholhersteller durch Sponsoring oder, wie im Falle einer deutschen Kräuterschnapsmarke, die Bereitstellung von Risikokapital für Initiativen aus dem Nachtleben um mehr Sichtbarkeit und also Absatzmöglichkeiten in der Szene bemühen, könnte das Publikum in Zukunft diesen Werbungsversuchen gegenüber immer weniger aufgeschlossen werden.

    Auch Gideon Bellin von „Sober Sensation“ und Vlady Schklover von den „Lemonade Queers“ sehen jenseits des Kernpublikums ihrer eigenen nüchternen Veranstaltungsreihen einen übergreifenden Trend hin zu mehr Neugier auf Nüchternheit, maßvollerem Konsum oder sogar freudvoller Abstinenz. Lässt sich daher von ihren Projekten vielleicht beides lernen – ohne Rauschmittel ein geselliges Miteinander zu schaffen und sich wirtschaftlich von den Geldern der Alkoholindustrie unabhängig zu machen?

    Die Antwort fällt ernüchternd aus. Bellin ist seit dem Jahr 2016 als Veranstalter der „Sober Sensation“ aktiv und hat dafür aus eigener Tasche bezahlt. „Ich habe die Party jahrelang von dem Geld getragen, das ich als Eventmanager und DJ verdient habe“, berichtet er. Zwar sei das Interesse noch da, doch die sowieso schon bescheidenen Einnahmen an der Bar durch den Verkauf von alkoholfreien Cocktails seien zuletzt auch zurückgegangen. „Der Pro-Kopf-Umsatz lag bei uns zuletzt zwischen zehn und 15 Euro pro Gast“, rechnet er vor. Selbst bei einem Eintrittspreis von zwanzig Euro trage sich das nicht. „Dafür müsste der Eintritt schon 50 Euro kosten und die Getränke zwischen zehn und 15 Euro.“

    Das aber würde viele potenzielle Gäste mit schmaler Brieftasche ausschließen, jede Mehreinnahme würde vermutlich durch niedrigere Besucherzahlen wieder getilgt. „Wirtschaftlich sieht es derzeit nicht gut aus. Ohne finanzielle Unterstützung wird die Sober Sensation langfristig nicht mehr umsetzbar sein“, resümiert Bellin.

    Im Laufe der Zeit hat Gideon Bellin immer wieder mit Partnern wie zum Beispiel einer Krankenkasse zusammengearbeitet, um sich zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten aufzutun. Für die Zukunft wünscht er sich, mehr von solchen Kooperationen zu lancieren und interessiert sich ebenso für Förderungen. Dank solcher trägt sich die regelmäßig im SchwuZ stattfindende Reihe Lemonade Queers, die sich an die LGBTQ-Szene der Stadt richtet und pro Ausgabe bis zu 200 Menschen anzieht. Der Eintritt ist kostenfrei, die Gelder kommen unter anderem aus der sogenannten Spartenoffenen Förderung der Stadt. Gründer Vlady Schklover hat durchgerechnet, was für Eintrittspreise er aufrufen müsste, um die Veranstaltungen ohne solche Unterstützung durchzuführen: „30 Euro“, seufzt er. „Gewinn würden wir damit aber nicht machen.“ Wie Bellin sieht er dennoch großes Wachstumspotenzial für das Konzept. „Ich habe aber noch nicht herausgefunden, wie man daraus ein richtiges Business machen kann“, lacht Schklover.

    So schillernd und beliebt diese Veranstaltungsreihen also auch jenseits des „Dry January“ für ein treues Publikum sein mögen, können sie dennoch nicht den Weg aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Clubszene von der Alkoholindustrie vorzeichnen.

    Und obwohl der faustische Pakt mit der Branche die Clubs über Jahrzehnte hinweg getragen hat: In einer ökonomischen Gesamtlage von rückläufigen Umsatzzahlen und steigenden Kosten, ja einer gigantischen wirtschaftlichen Krise der Clubkultur insgesamt stellen solche Bindungen an die sich zunehmend monopolisierende Industrie perspektivisch betrachtet einen massiven Risikofaktor dar. „Die große Herausforderung der Clubkultur insgesamt besteht darin, ihr Angebot so zu diversifizieren, dass insgesamt weniger Abhängigkeit von bestimmten Strukturen besteht“, unterstreicht Marcel Weber von der Clubcommission. Bis neue Konzepte erarbeitet wurden, steht diesbezüglich fest: Auf Bier und Schnaps lässt sich kein Club bauen.

  • Das war unser Wochenende in Berlin – einem Fiebertraum von einer Stadt
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/das-war-unser-wochenende-in-berlin-einem-fiebertraum-von-einer-stad

    24.02.2025 von Suri Manelis - Ein wenig wildes Wochenende – schließlich darf man nicht jeden Sonntag mit Harry Styles im Berghain tanzen. Über Träume, Projektionen und eine besondere Berliner Bevölkerungsschicht: die Expats.

    Freitagabend ziehe ich mit einem Freund los, wir spazieren durch Neukölln, Hakan Demir raucht vor einem Späti auf der Sonnenallee selbstgedrehte Zigaretten. Wir verirren uns in Das Labor in der Fuldastraße, auf der Google-Maps-Seite sieht man das Bild einer jungen Frau, die für junge und social-media-affine Berliner:innen unschwer als die hier wohnhafte chinesische Influencerin Jing Yu erkennbar sein sollte, 170.000 Follower, Lifestyle-Content, ein fotogener Dalmatiner.

    Mit dem sah ich sie auch schon einmal an der Türschwelle dieses Ladens sitzen, der bei Maps als Galerie ausgewiesen ist. Musik strömt raus, wir gehen rein, klein und voll ist es hier, vor allem voller angetrunken Tanzender. Nicht unbedingt ein Vibe. Viel Spannendes scheint es an diesem Abend nicht zu geben.

    Spannend eher in L.A.

    Es ist ja immer noch Berlinale. Mein Handy blinkt auf: ein neues Raya-Match. Raya ist eine Dating-App für die Schönen, Reichen oder Einflussreichen. Für Menschen, die berühmt sind oder beliebt. Zugang auf Einladung, und auch dann nur nach Prüfung des Instagram-Accounts. Manche warten ewig auf Zulassung, auch solche mit vielen Followern. Lewis Hamilton sah ich dort mal, aber der ist nicht wirklich mein Typ. Und jetzt wohl auch vergeben, an Sofia Vergara.

    Natürlich sind nicht alle potenziellen Matches von dieser Größenordnung. Und wenn man nur in Berlin ist, das musste ich feststellen, lohnt sich die App ohnehin kaum. Viel spannender ist die Nutzung in New York oder L.A. Oder halt eben zur Berlinale, wenn Leute vom Film von überall her angereist kommen.

    Wie der Regisseur aus New York, der mir gleich schreibt. Seine Bilder und Nachrichten lassen vermuten, dass ein Date witzig werden könnte. Wir texten ein wenig hin und her und verabreden uns für Samstag auf einen Kaffee. Die Sonne scheint, das Eis ist geschmolzen, Menschenmassen fluten die Straßen. Alle sprechen über die Wahlen. Mein sehr charmantes Date und ich streifen das Thema nur kurz, furchtbar natürlich, das mit dem Rechtsruck, er hat das Böhmermann-Video auf der Seite der New York Times gesehen. Dann kommen wir auf Berlin zu sprechen. Der junge Mann merkt an, auch schon mit der Idee gespielt zu haben, herzuziehen. Nicht besonders originell, denke ich mir.

    Berlin ist für viele junge Menschen weltweit eine Art Projektionsfläche. Was ihn hierherzieht? „The dream of living in a libertine city“, sagt er. Berlin – die Hauptstadt sexueller Freiheiten. Wenn ich in New York ausgehe und Leuten erzähle, dass ich in Berlin lebe, heißt es oft gleich: „Ich liebe Berlin! Das Mekka sexueller Freiheiten! Und die Clubs, so was könnte es hier nicht geben!“

    So zieht es unheimlich viele junge Menschen auf der Suche nach ganz verschiedenen Formen der Selbstverwirklichung hierher. Sie machen eine eigene Bevölkerungsgruppe aus, deren Bedeutung für das kulturelle Leben der Stadt kaum zu unterschätzen ist. Immer wieder Thema zahlreicher Gespräche und Anekdoten: die Expats. Jene Menschen, die, anders als Geflüchtete, aus freien Stücken hierherkommen. Auf der Suche nach kreativer Selbstentfaltung, zum Arbeiten oder auch einfach nur zum Feiern: Sexpartys, Drogen, Exzess.

    Was machen sie hier, diese Expats? Warum leben sie so häufig in besseren Apartments als gleichaltrige Deutsche? Warum bleiben so viele von ihnen unter sich, in ihren Bubbles?

    Auf der Suche nach Abenteuern

    Viele meiner Freundinnen und Freunde aus dem Ausland haben ihren Traum, nach Berlin zu ziehen, Realität werden lassen. Künstler, Fotografen, Performer, Filmemacher – nur wenige haben deutsche Freunde. Sie wollen die Stadt, ihr Freiheitsversprechen kennenlernen, aber nicht unbedingt deren Bevölkerung. Oder Bürokratie. Oder Sprache. Es ist eine Art Parallelwelt, die sich da manchmal auftut. Nicht alle, aber viele von ihnen leben besser als meine deutschen Freunde.

    Manche sind vorrangig auf der Suche nach Abenteuern, andere sind hier, um zu arbeiten. Das Leben in Berlin ist schlichtweg einfacher als an vielen anderen Orten dieser Welt, geringerer ökonomischer Druck, zugängliches Kulturangebot, gute Gesundheitsversorgung. Wer New Yorker oder Londoner Mietpreise gewohnt ist, für den ist Berlin immer noch günstig. Der kann sich einen ziemlich guten Lifestyle leisten hier, insbesondere dann, wenn das Gehalt kein deutsches ist. Und die Freiheiten. Irgendwie gibt es sie schon, diese Berlin-Erfahrung. Dieses Gefühl: Woanders wäre das nicht möglich gewesen.

    Dass man an manchen Orten in Berlin nur noch Englisch spricht, darüber kann man sich natürlich echauffieren – viel schwerer wiegt, dass sich das Sozialgefüge verändert, die Mieten steigen. Die Menschen, die in Deutschland aufgewachsen oder geboren sind, vor allem die Urberliner, hört man deshalb häufig über Expats sagen, sie hätten die Stadt kaputt gemacht. Aber sie machen die Stadt auch aufregender.

    Und mein Date? Gefällt mir trotz der etwas platten Bemerkung eigentlich ganz gut. Wir treffen uns noch einmal am Sonntag in der Nähe seines Hotels, spazieren durch den Tiergarten. Anne Will spaziert hier auch, mit ihrer neuen und ihr aus der Ferne verblüffend ähnlich sehenden Freundin. Ich erkläre meinem Date, wer das ist. Er sagt, er wolle später noch ins Berghain, und fragt, ob ich mitkommen wolle. Ich lehne ab, da habe ich schließlich schon die letzten zwei Sonntage verbracht. Manchmal braucht es eben auch ein weniger wildes Wochenende in diesem (Fieber-)Traum von einer Stadt.

    #Berlin #Kultur #Tourismus #Clubszene #Party #Berlinale

  • Gegen die Ubernahme der Stadt
    https://jungle.world/artikel/2025/08/taxi-filmfest-gegen-die-ubernahme-der-stadt

    29.2.2025 von Holger Heiland - Das Taxifilmfest ist nicht einfach nur ein weiteres Filmfest, sondern ein Protest für gute Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte von Personenbeförderern.

    Zwei Tage vor der Eröffnung der 75. Internationalen Filmfestspiele von Berlin steht Klaus Meier in der Kälte vor dem Berlinale-Palast und wartet auf seine Mitstreiter. Er ist einer der Veranstalter des 2. Taxifilmfests; bei dessen Erst­auf­lage waren während der vorigen Berlinale in Taxis Filme mit Taxibezug gezeigt worden. Nicht nur seine Mitstreiter, sondern auch die für die Filmvorführungen aufgerüsteten Großraumtaxen lassen auf sich warten.

    »Improvisation gehört dazu«, erklärt Meier der Jungle World. »Noch ist nicht alles ausdiskutiert. Etwa, ob wir Filme wieder nur in den Taxen zeigen. Das hieße, dass immer je acht Menschen eine Vorstellung besuchen können. Wir könnten die Wagen aber auch als Shuttles nutzen, um unser Publikum in einen komfortabel geheizten Kinosaal zu befördern.«

    Das Taxikultur-Team, dem neben Meier die Taxiunternehmer:innen Stephan Berndt und Irene Jaxtheimer angehören, stellt sich an den Festival­tagen bis zur Dämmerung den Fragen von Interessierten, informiert über das Programm und ihren Protest »gegen die Übernahme der Stadt durch Plattformkapitalisten und Ausbeuter«.

    »Eine angekündigte Fachkunde­prüfung als Voraussetzung für die Erteilung einer Beförderungslizenz lässt bis heute auf sich warten.« Klaus Meier, Veranstalter des Taxifilmfests

    Veranstaltungen wie die Berlinale – mit 2024 nach eigenen Angaben 329.502 verkauften Tickets eines der größten Publikumsfilmfestivals auf der Welt – sind seit langem wichtiger Teil des Stadtmarketings. Sie sollen helfen, Investoren und damit Steuereinnahmen anzulocken. Gerade deshalb stellte es für den Filmenthusiasten Meier, der neben seinem Beruf schon für das Videofilmfest (seit 1988) und die daraus entstandene Transmediale gearbeitet hat, einen Skandal dar, dass der Haupt­sponsor der Berlinale in den beiden vergangenen Jahren ausgerechnet der Vermittlungsdienstleister Uber war.

    »Das war kein gutes Zeichen, weder für das Festival noch für die Stadt. Zumal sich die Berlinale ja als dezidiert politisches Festival versteht.« Uber selbst beschäftigt keine Fahrer, sondern betreibt nur die Plattform, auf der diese ihre Dienste anbieten können. Das Geschäftsmodell führt Meier zufolge zu »Schwarzarbeit, Lohndumping und Steuerhinterziehung«. Das Unternehmen ziehe sich aus der Verantwortung und argumentiere damit, dass es nur als Vermittler auftrete, das lediglich seine App zur Verfügung stelle.

    Der RBB titelte bereits 2023 nach einer Recherche zum Uber-System: »Fahrer sind Opfer organisierter Schwarzarbeit«. Der Fachgebietsleiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Hauptzollamt Berlin berichtete der Zeitung von Firmen, die gegründet würden, um »in großem Umfang Arbeitnehmer« als Fahrer zu beschäftigen, die dann nicht sozialversichert seien.
    Illegale Taxifahrten über Uber und Bolt

    Mitte Januar gab es in einem solchen Fall Hausdurchsuchungen in mehreren Bundesländern wegen des Verdachts der besonders schweren illegalen Beschäftigung, der besonders schweren Steuerhinterziehung und der bandenmäßigen Urkundenfälschung. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wirft insgesamt 30 Personen vor, seit 2022 illegale Taxifahrten über Uber und Bolt angeboten zu haben.

    »Den Fahrer:innen bringt das in der Summe Unsicherheit und den Zwang, ständig zu arbeiten, um überhaupt etwas zu verdienen. Das führt oft in biographisch ausweglose Lagen«, weiß Meier aus seiner langjährigen Erfahrung als hauptberuflicher Taxifahrer. Seit er nicht mehr selbst hinterm Steuer sitzt, berät er ehemalige Kolleg:in­nen in prekären Arbeitsverhältnissen als Taxi-Soziallotse für das vom Senat geförderte Berliner Arbeitslosenzen­trum (Balz). Seit Jahren engagiert er sich zudem in der AG Taxi, einer gewerkschaftlichen Gruppe im Rahmen von Verdi Berlin, und setzt sich dafür ein, die Anliegen der gewerkschaftlich kaum organisierbaren Angestellten im Taxigewerbe zu Gehör zu bringen.

    Von den politisch Verantwortlichen fordert er beispielsweise, sich den Hamburger Senat zum Vorbild zu nehmen und durch angemessene Ordnungs- und Kontrolltätigkeit die wirtschaftliche Situation der Beschäftigten zu verbessern. In Hamburg werden kaum Uber-Fahrzeuge zugelassen. Der Senat bezweifelt die zumindest kostendeckende Betriebsführung des durch Apps vermittelten Mietwagenverkehrs. Um zugelassen zu werden, sind die Unternehmen dazu verpflichtet, einen Geschäftsplan vorzulegen.

    Mit seinen Protestaktionen war Meier bereits erfolgreich. Aus einer Plakataktion gegen Uber 2023 entstand 2024 das Taxifilmfest mit Filmen aus privaten DVD-Sammlungen. Das Festival erhielt weltweit Aufmerksamkeit. Das trug sicher mit dazu bei, dass Uber sich in diesem Jahr als Sponsor der Berlinale zurückgezogen hat.
    »Gegen-Kartographie«

    Das Taxifilmfest hat sich mittlerweile etabliert. 1.640 Filme von Filme­macher:innen aus aller Welt wurden in diesem Jahr eingereicht. Gezeigt werden davon fünf Spiel- und 59 Kurzfilme. Von grell bis experimentell dreht sich alles ums Taxifahren und seinen Beitrag zur urbanen Kultur. Einst auf Super 8 gedrehte Einblicke in die Berliner Gegenkultur der siebziger und achtziger Jahre gibt es auch – in Erstaufführung.

    Besonders stolz ist Meier auf den Workshop »Besser als die App«. Da gehe es um die Besinnung auf eigenes Wissen und Stärken, um auf Navigationssysteme bauende Beförderungsmodelle alt aussehen zu lassen. »Unter Verkehrsminister Scheuer wurde die Ortskundeprüfung abgeschafft. Dadurch sind die Fahrer:in­nen enteignet worden und die Qualität der individuellen Personenbeförderung wurde schlagartig schlechter. Eine angekündigte Fachkundeprüfung als Voraussetzung für die Erteilung einer Beförderungslizenz lässt bis heute auf sich warten.«

    Das Werkzeug, das der Workshop an die Hand gibt, heißt »Gegen-Kartographie«. Kartieren wird dabei als Praxis verstanden. In Karten, so die Überlegung, sind immer schon Interessen und damit Herrschaftsstrukturen eingeflossen und werden dadurch verfestigt. Die Gegen-Kartographie ist hingegen auf die Perspektive der Akteure ausgerichtet. Am Beispiel von Taxifahrer wären also Fragen wie die entscheidend, wie ein konkreter Platz aussieht, wo man abbiegen, sich einordnen oder parken kann. Taxifahrer:innen bietet das die Möglichkeit, ihre Interessen klar zu formulieren und ihre Rechte durchzusetzen. Eine Preisverleihung für die beim Taxifilmfest ausgezeichneten Filme gibt es natürlich auch.

    #Berlin #Mitte #Friedrichshain #Moabit #Potsdamer_Straße #Potsdamer_Platz #Alt_Stralau #Markgrafendamm #Beusselstraße #Wiclefstraße #Kultur #Kino #Film #Taxifilmfest

  • Rentnerin über Sozialamt Köpenick: „Es kam kein Bescheid, kein Geld, kein gar nichts“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/rentnerin-ueber-sozialamt-koepenick-es-kam-kein-bescheid-kein-geld-

    20.2.2024 von Alexander Reich - Gabriele Bläser hat immer gearbeitet. Trotzdem ist sie auf Grundsicherung angewiesen. Eines Tages blieb das Geld aus. Bis heute ist im Sozialamt niemand zu erreichen.

    Es ist ein Wunder, dass Gabriele Bläser (69) ihren Humor nicht verloren hat. Wenn sie von ihren Versuchen erzählt, zum Sozialamt Treptow-Köpenick durchzudringen, bricht sie hin und wieder in Lachen aus. So absurd ist das alles.

    Bläser hat ihr Leben lang sehr viel gearbeitet. Vor zweieinhalb Jahren kam ihr Rentenbescheid: „350 Euronen“, sagt sie. Zeitgleich wurde der Altbau in Kreuzkölln, in dem sie 25 Jahre günstig zur Miete lebte, in Eigentum umgewandelt. Von den berüchtigten Samwer-Brüdern.

    Sie hat auch das weggesteckt, mit einiger Mühe eine Bleibe am südöstlichen Stadtrand gefunden, in Friedrichshagen – noch hinter Köpenick am Müggelsee. Ein ruhiger Ort für den Lebensabend. Dann kam der Tiefschlag vom Sozialamt.

    Eine Eingangsbestätigung darf man nicht erwarten

    Weil ihre Rente nicht zum Überleben reicht, bezieht sie Grundsicherung. Bürgergeld für Senioren. Der Antrag war noch in Neukölln bewilligt worden. Allerdings nur für ein Jahr. Das ist so üblich. Wer in Altersarmut lebt, muss dem Sozialamt Jahr für Jahr nachweisen, dass er nicht über Nacht zum Schwerverdiener geworden ist.

    Ende September war bei Bläser das erste Jahr um. Sie hatte die Verlängerung im Mai beantragt. Mehr als rechtzeitig. Und auf Papier, weil digital nichts zu machen ist. Sie hatte auf dem Formular alles noch einmal fein säuberlich ausgefüllt, die Kontoauszüge der vergangenen drei Monate beigelegt und so weiter.

    So etwas wie eine Eingangsbestätigung dürfen Antragsteller von Sozialämtern offenbar nicht erwarten. Immerhin hatte das Amt in Treptow-Köpenick die Übernahme der Akte aus Neukölln bestätigt. Bläser machte sich also keine großen Sorgen. Bis das Geld im September ausblieb. „Es kam nichts: kein Bescheid, kein Geld, kein gar nichts“, sagt sie. Und beim Sozialamt war niemand zu erreichen. Egal, was sie versuchte.
    Plötzlich kam kein Geld mehr – „da bin ich ein bisschen panisch geworden“

    „Da bin ich ein bisschen panisch geworden“, räumt Bläser ein, und schlägt die wachen Augen nieder. Sie habe das Amt „mit Anrufen bombardiert“, sei von der Zentrale immer wieder nur an ihre Sachbearbeiterin verwiesen worden. „Aber die kann ich nicht erreichen!“ „‚Ja, dann müssen Sie das weiter probieren‘. Klatsch, legen die auf.“

    Mails blieben unbeantwortet. Auf Einschreiben kam keine Reaktion. Ihre mickrigen Rücklagen waren schnell weg. Und von den 350 Euro Rente konnte sie keine Monatsmiete für ihre anderthalb Zimmer in der kleinen Neubausiedlung am Müggelsee bezahlen.

    Die Sozialwohnung hat 48 Quadratmeter, kostet 490 Euro und ist stilsicher eingerichtet. An der Fensterwand steht ein alter Sekretär. Das spart den Platz für den Schreibtisch. Gegenüber ein Lesesessel. Die Lehne ist „muskulär zu verstellen“, sagt Bläser – sie könnte sich jedes Mal beeiern bei der Formulierung. Auf ihrem Minibalkon stehen karge Sträucher in der Wintersonne: Blutpflaume, Felsenbirne, Sommerflieder. Bläser macht das Beste aus ihrer Situation.

    Es sei nicht so, dass man von Grundsicherung „munter leben“ könne, erklärt sie. Man dreht gewohnheitsmäßig jeden Cent zweimal um. Aber wenn einen das Sozialamt am ausgestreckten Arm verhungern lässt, geht die „Kleinrechnerei“ erst richtig los. Kann ich mich von Möhren und Kartoffeln noch halbwegs gesund ernähren? Das Schwimmhallenticket ist gestrichen, aber wie komme ich in die Stadt, meine Freunde besuchen? Bläser dachte an ein Deutschlandticket, bekam Angst vor einer „Abofalle“. Es war ja völlig unklar, ob sie die 49 Euro im nächsten Monat noch bezahlen können würde.
    Sie hat versucht, in das Amt reinzukommen

    Sie hat sich Geld bei ihren Freunden geborgt. Keinen Cent mehr, als sie vom Amt hätte bekommen müssen. Nur so schien halbwegs sicher, dass sie sich nicht verschulden würde.

    Weil das Amt weiterhin nichts von sich hören ließ, versuchte die kleine, drahtige Frau irgendwann, „da reinzukommen“. Aber das Sozialamt wird auch in Treptow-Köpenick bewacht. Von bulligen Typen in schwarzen Security-Uniformen, wie sie sagt. Bläser deutet mit hängenden Armen an, wie breit die waren, bläst dabei Luft durch die Zähne, als würde sie die Kerle aufblasen: „Pfffft!“

    Supergau im Sozialamt Steglitz: Ingenieure aus der Ukraine warten seit einem Jahr auf Bescheid

    Sozialamt Pankow braucht Jahre für Pflegeanträge: „Wenn einer es ehrlich meint, verhungert er“

    Sie sei nie sonderlich autoritätshörig gewesen. Das wird klar, als sie ihre Erwerbsbiografie Revue passieren lässt. Direkt nach der Schule ließ sie sich in Nordrhein-Westfalen zur Erzieherin ausbilden und arbeitete zwei, drei Jahre lang mit behinderten Kindern, bis sie merkte: „Das kann es nicht sein im Leben.“

    Sie zog nach West-Berlin, holte das Abitur nach, studierte auf Lehramt. An den Wochenenden und in den Semesterferien arbeitete sie in Wohngruppen als Erzieherin. Sie ging dabei davon aus, dass alle Ausbildungsjahre auf die Rente angerechnet würden, sagt sie. Diese Regelung sei erst in den 90ern gekippt worden.

    Die Muskeln der Toreropferde

    Direkt nach dem Staatsexamen wurde Bläser verbeamtet. Sie war nun Förderschullehrerin in Reinickendorf, sah einer stattlichen Pension entgegen. Wäre sie dabeigeblieben, würde sie an diesem sonnigen Wintertag womöglich ausreiten, statt vom Horror am unteren Rand der Gesellschaft zu erzählen. Aber sie hat die Beamtenlaufbahn nach einem Jahr an den Nagel gehängt.

    Sie sei immer wahnsinnig gern geritten, erzählt sie auf die Frage nach einem Foto, das über dem muskulär zu verstellenden Sessel hängt. „Das ist in Spanien“, sagt sie, „das sind diese Toreropferde“. Warum sind die Köpfe der Tiere am Bildrand abgeschnitten? Sie lacht. „Ich hab die fotografiert, weil die so ’ne wahnsinnige Muskulatur am Hintern haben.“

    Nirgendwo falsch abgebogen

    Zur Beamtin taugte Bläser nicht, wie sie damals schnell feststellte. Weder konnte sie jede Weisung einfach nur befolgen noch mochte sie ständig gegen Obrigkeiten anrudern. Einmal kam sie in eine Klasse, die „eher ruhiggestellt“ war, und bemerkte etwas Begeisterung. Draußen lag Schnee. Prima, dachte sie, fragte den Hausmeister, ob sie die Schlitten der Schule haben könne, bastelte eine Unterrichtseinheit im Park um die Ecke. Bei der Rückkehr war ein Schild an ihrer Tür: sofort ins Direktorat! Sie hätte mit der Klasse einkaufen oder schwimmen gehen dürfen, die Erlaubnisse der Eltern lagen vor – für die Schlitten hätte sie eine Extragenehmigung benötigt. Solche Sachen seien ihr ständig passiert.

    Wenn sie davon erzählt, scheint sie mit sich im Reinen. Sie hadert nicht mit ihrem Lebensweg, ist nirgendwo falsch abgebogen. Nach ihrer Kündigung an der Förderschule war sie übergangslos mit einem Forschungsprojekt befasst, machte parallel eine Zusatzausbildung zur Lerntherapeutin und eröffnete anschließend in Potsdam eine Praxis für Kinder mit Lernschwierigkeiten.

    Der Anfang war hart, aber bald lief der Laden wirklich gut. So gut, dass für die Pflege ihrer Mutter hohe Zuzahlungen veranschlagt wurden. Die Mutter war schon dement. Dann kam sie in ein Pflegeheim. Das ging nicht anders. 15 Jahre lang musste Bläser zahlen. „Das fing an mit 1200 Mark und endete mit 1800 Euro.“ Von ihren Einnahmen blieb nicht allzu viel übrig.

    Als ihre Mutter starb, hatte sie dennoch einen Grundstock für die Altersversorgung. Sie war Mitte 50, dachte: „Jetzt muss ich noch mal Gas geben. Ich hätte das schaffen können.“ Aber dann wurde sie selbst krank. Vier Jahre lag sie flach. Anfangs zahlte sie alles weiter: Mitarbeiter, Räume, Auto ... Nach einem Jahr waren alle Ersparnisse aufgebraucht.

    Mit einem Teilzeitjob in der Praxis einer Bekannten schleppte sie sich bis zur Rente, während das Vorkaufsrecht für ihre Altbauwohnung zwischen Hermannplatz und Maybachufer ablief.

    Kein Durchkommen auch für den Bürgerbeauftragten

    Bläser hat sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Mehr als einmal. Im vergangenen Herbst kam sie nach drei Wochen ohne Nachricht vom Amt darauf, sich an den Bürgerbeauftragten zu wenden. Eine Beschwerdestelle, von der sie vorher nichts gehört hatte.

    „Ach, dass Sie sich schon nach drei Wochen melden!“, meinten sie dort überrascht. „Ja, wissen Sie, drei Wochen komplett ohne Geld ist ’ne lange Zeit.“ „Ja, entschuldigen Sie, aber die meisten Leute melden sich hier erst nach vier Monaten mit so was. Wenn sie kurz davor sind, aus ihrer Wohnung zu fliegen.“

    Vor die Tür gesetzt werden kann zum Teil schon, wer zwei Monatsmieten schuldig bleibt. Und dann geht es in aller Regel erst mal steil bergab. „Ich sah mich schon mit Schlafsack auf der Straße sitzen“, sagt Bläser, räumt aber gleich ein: „Ist ein bisschen übertrieben, aber das sind diese Ängste.“

    Der Bürgerbeauftragte meldete sich einige Tage später: „Wir mussten es schriftlich machen.“ Telefonisch war auch für ihn kein Durchkommen beim Sozialamt Treptow-Köpenick. „Wir haben eine Frist gesetzt.“

    Kein Pieps von irgendwem

    Weitere drei Wochen später konnte Bläser beim Blick auf das Konto aufatmen. Das Geld war eingegangen. „Aber ohne Pieps von irgendwem. Der Bürgerbeauftragte hat nix gesagt, das Amt hat nix gesagt.“ Und den Bescheid zur Verlängerung der Grundsicherung hatte sie auch noch nicht.

    „Dieses Papier ist für mich gar nicht so unwichtig“, sagt die 69-Jährige. Sie braucht es für das Sozialticket. Für den halben Eintritt ins Schwimmbad, für die Museen und so ziemlich alles, „was ich an Kultur noch machen könnte“. Ohne dieses A4-Blatt, das sie einen „komischen Lappen“ nennt, gehe so gut wie überhaupt nichts mehr.

    Inzwischen war ihr klar, dass ihr Problem nicht nur ihr eigenes ist. Sie war am Müggelsee mit älteren Nachbarn ins Gespräch gekommen. „Viele sagen nicht gerne, dass sie beim Amt sind. Ich auch nicht, muss ich ehrlich gestehen. Aber jetzt habe ich eher ein Ohr dafür, frage auch mal nach.“

    Sieben-, achtmal habe sie von unterschiedlichen Leuten gehört, dass entweder das Geld oder der Bescheid nicht gekommen sei. Oder beides. „Da scheint es wirklich diesen Stau zu geben“, sagt Bläser. „Das ist ein generelles Problem.“

    Sie beschloss, „einen Zacken zuzulegen“, und wandte sich an den Petitionsausschuss des Senats. „Es lief so ähnlich wie mit dem Bürgerbeauftragten“, sagt sie. „Wir haben uns nett hin und her geschrieben: wie schrecklich und so. Dann hat sich das Amt für die Unannehmlichkeiten entschuldigt: ‚Wir haben einen Riesenstau hier und tun, was wir können. Frau Bläser bekommt den Bescheid.‘“

    Ende Januar hatte sie ihn in der Post. Fünf Monate verspätet. Sie kann nicht ausschließen, dass ohne die Aufregung alles genauso gekommen wäre. Es hat ja nie jemand etwas gesagt.

    Alte, Arme, Kranke haben keine Lobby

    Vom Petitionsausschuss hatte sie sich erhofft, dass er das Ganze etwas allgemeiner in den Blick nimmt. „Ich kann mich halbwegs ausdrücken, komme mit Medien zurecht.“ Viele seien dem „kaputten System“ noch hilfloser ausgesetzt.

    Es dürften allein in ihrem Bezirk Hunderte, wenn nicht Tausende sein. Alte, kranke Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, aber beim Sozialamt niemanden erreichen. Sie haben keine Lobby, kriegen keinen Termin.

    Gabriele Bläser wird „sich nicht in die Ecke setzen“, sagt sie. „Das war noch nie meine Option.“ Aber wie auch immer es weitergeht: Im Mai wird sie die Verlängerung der Grundsicherung beantragen müssen. „Mir graut jetzt schon davor.“

  • Der hässlichste Fleck Berlins: Nichts ist so trist wie der Uber-Platz in Friedrichshain
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/der-haesslichste-fleck-berlins-nichts-ist-so-trist-wie-der-uber-pla

    Da hat der Kollege Schreiberling aber schlecht aufgepasst. Gerade am 19. Februar hat das Taxifilmfest dem Platz ein freundlicheres Gedicht gegeben.
    https://www.taxifilmfest.de/article182.html
    Zumindrest auf der Mühlenstraße waren die Taxifilmfesttaxis unübersehbar. Tja.

    19.2.2025 von Johann Voigt - Egal ob O₂-, Mercedes- oder Uber-Platz: Die Tristesse dieses Ortes ist erdrückend. Außer, es finden dort gleichzeitig die Berlinale und ein K-Pop-Konzert statt.

    Berlin verkommt zum mittelmäßigen Provinzkaff. Zumindest am Uber-Platz in Friedrichshain. Zwischen der Uber Arena und der Uber Eats Music Hall wirkt alles so generisch, als würde man sich auf dem Gelände von irgendeiner Mall im Niemandsland der USA befinden. Aber nicht auf die romantische Roadmovie-Art.

    An diesem seelenlosen Ort zwischen L’Osteria, Five Guys und, natürlich, einer Rooftop-Bar schreit alles so sehr nach Konsum, dass sich selbst der letzte Hyperkapitalist fragen sollte: Was will ich hier? Denn geboten wird nichts außer mittelmäßiger Architektur, mittelmäßigem Essen und mittelmäßigen Geschäften.

    Bei UCI ballern währenddessen Actionhelden in Blockbustern stoisch gegen die Tristesse an. Das Areal um den Uber-Platz, ein Ort so grau wie der Berliner Winter. Trotz der blinkenden Neonlichter auf den Werbetafeln. Jeder Mensch, der sich allein an diesen Ort begibt, wird früher oder später seiner Lebensfreude beraubt.

    Außer am Abend. Das Absurde an diesem Fleck Erde ist, dass er alle paar Monate glänzt, dass hier Kultur von Weltrang passiert. Beyoncé spielte in der Uber Arena, auch Drake, Kiss und Madonna waren da. Von einem auf den anderen Moment wird der Uber-Platz zum Hotspot der globalen Popkultur.

    Cineasten und K-Pop-Fans

    Derzeit ist dort eine besonders interessante Wechselwirkung zu beobachten. Einerseits ist die Uber Eats Music Hall erneut einer der Austragungsorte der Berlinale: Plötzlich läuft hier internationales Nischenkino für Cineasten. Andererseits spielte die K-Pop-Band Ateez zwei Konzerte hintereinander in der Uber Arena.

    Das führt dazu, dass sich auf dem Uber-Platz Anhänger beider (Sub-)Kulturen umeinander herumschlängeln. Die sleeken, dunklen Outfits und strengen Brillen der Kinogänger treffen auf die knallige, ein bisschen grungy, ein bisschen an Anime erinnernde Ästhetik von K-Pop. Die Haare der einen sind nach hinten gegelt, die der anderen grün oder pink gefärbt.

    Die beiden Gruppen sprechen nicht miteinander, sie beäugen sich nur interessiert. Das Wichtigste aber ist: Sie geben dem Uber-Platz eine Seele, jede auf ihre Art. Sie stülpen dem Grau ihre Ästhetiken über, nehmen den Raum ein mit ihren Gesprächen, während sie draußen darauf warten, dass drinnen große Kultur passiert.

    Und so hören 17.000 Fans Ateez zu und kreischen, während nebenan der Film „Girls on Wire“ der chinesischen Regisseurin Vivian Qu läuft und mit vornehmem Applaus bedacht wird. Der Uber-Platz ist da längst wieder verwaist. Nur die Absperrgitter für die K-Pop-Fans vor der Konzerthalle und ein paar Berlinale-Bären erinnern noch an einen kurzen Moment der Lebensfreude an diesem toten Ort.

    #Berlin #Friedrichshain #Mühlenstraße #Uber #Taxifilmfest

  • Tödlicher Unfall auf Leipziger Straße: Anklage gegen Berliner Rentner
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/toedlicher-unfall-auf-leipziger-strasse-anklage-gegen-berliner-rent

    Von Amateuren gelenkte Kfz haben auf den Straßen der Innenstadt nichts zu suchen. Es wurd Zeit, nur noch Berufskraftfahrer mit Sonderausbildung und persönlicher Genehmigumg in den Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings einfahren zu lassen.

    17.2.2024 von Katrin Bischoff - Ein damals 83-Jähriger soll mit seinem Auto auf der Fahrradspur der Leipziger Straße am Stau vorbeigefahren sein. Mit dem Dreifachen der erlaubten Geschwindigkeit.

    Der Kurztrip nach Berlin sollte ein unbeschwertes Wochenende für die belgische Familie werden. Feuerwehrmann Gregory D., seine Lebensgefährtin Emeline C. und ihr gemeinsamer kleiner Sohn Guy sowie Laurie C., die Schwester der Kindesmutter, wollten an jenem 9. März des vorigen Jahres die Hauptstadt erkunden. Sie hatten viel vor, wollten doch schon am nächsten Tag zurückreisen.

    Nach dem Frühstück machten sie sich auf den Weg. Guy, vier Jahre alt, saß im Buggy, den seine 41 Jahre alte Mutter schob. Der Sonnabend war ein trockener, kühler Tag. Kurz nach 10 Uhr wollte die Familie die Leipziger Straße in Höhe des Einkaufszentrums Mall of Berlin überqueren.

    Es war Stau. In dem Abschnitt gilt für den Autoverkehr Tempo 30. Womit die Touristen nicht gerechnet hatten und auch nicht rechnen konnten: Auf dem rechten Fahrbahnrand kam mit hoher Geschwindigkeit ein Ford Mondeo angerast und erfasste Emeline C. und ihren Sohn Guy. Beide mussten reanimiert werden. Ärzte konnten im Krankenhaus nur noch den Tod der Mutter feststellen. Auch das Kind schaffte es nicht. Trotz einer sofortigen Notoperation verstarb der Junge am Abend.

    Nach Informationen der Berliner Zeitung hat die Staatsanwaltschaft Berlin nun Anklage gegen den mutmaßlichen Raser erhoben. Sie wirft dem zur Tatzeit 83 Jahre alten Peter R. aus Charlottenburg-Wilmersdorf vor, grob verkehrswidrig und rücksichtslos gefahren zu sein, zudem noch falsch und mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Leipziger Straße überholt zu haben. Peter R. muss sich wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen, fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen sowie gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verantworten.

    Demnach war der Senior mit seinem Fahrzeug von der Wilhelmstraße in Richtung Potsdamer Platz unterwegs. Zunächst soll er mit 70 bis 90 Kilometern pro Stunde auf der Busspur unterwegs gewesen und dann an der Mall of Berlin auf dem markierten Radweg einfach weiter gefahren sein, um so die im Stau stehenden Fahrzeuge rechts zu überholen.

    Mit einer Geschwindigkeit von 89 Kilometern pro Stunde soll Peter R. dann mit seinem Wagen die Fußgängerin Emeline C. und den Buggy frontal erfasst haben. Der Ford Mondeo des Unfallfahrers sei anschließend in einen Skoda gefahren, der wiederum auf einen an der roten Ampel stehenden BMW gestoßen sein soll. Beide Fahrzeuge wurden dabei schwer beschädigt, deren Fahrer und weitere Zeugen zudem verletzt. Das Auto des mutmaßlichen Unfallverursachers kam erst Dutzende Meter weiter zum Stehen.

    Gregory D. und die Schwester seiner Lebensgefährtin mussten den schweren Crash mit ansehen. Sie kamen mit einem Schock ins Krankenhaus. Auch zahlreiche andere Augenzeugen des Geschehens mussten sich behandeln lassen, sind teilweise noch bis heute traumatisiert.

    Die Staatsanwaltschaft wirft dem mutmaßlichen Todesfahrer vor, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn Peter R. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde eingehalten und nicht falsch überholt hätte.

    Der Tatverdächtige musste seinen Führerschein abgeben. Ein Alkoholtest ergab null Promille. Offenbar gab er später im Krankenhaus an, sich an den Unfallhergang nicht erinnern zu können. An seinem Fahrzeug soll es keine technischen Mängel gegeben haben.

    Ein völlig zerstörter Kinderwagen mitten auf der Straße

    Nach dem verheerenden Crash hatte sich den Rettungskräften ein erschütterndes Bild auf der Leipziger Straße geboten. Noch vor Ort kämpften sie um das Leben von Mutter und Kind. Der völlig zerstörte Kinderwagen lag mitten auf dem Fahrdamm, offenbar war er durch den Aufprall meterweit durch die Luft geschleudert worden. Dazu gab es Verletzte sowie mehrere schwer beschädigte Fahrzeuge.

    Die belgische Familie stammt aus einem kleinen Dorf in Saint-Ghislain. Nach dem Unfall erklärte der Bürgermeister der Gemeinde, Daniel Olivier, der belgischen Zeitung De Standaard, die Gemeinde stehe unter Schock. Er sprach von einem zutiefst tragischen Unglück.

    Rechtsanwalt Stephan Maigné vertritt Gregory D. sowie Laurie C., die in einem anstehenden Prozess Nebenkläger sein werden. Der Jurist spricht von einem Horrorunfall, den seine Mandanten auch noch hätten mit ansehen müssen. Ein Auto im Stau hätte den vier Fußgängern mit dem Buggy damals ein Lichtzeichen gegeben, dass sie die Straße gefahrlos überqueren könnten, berichtet der Jurist. „Mein Mandant ist Feuerwehrmann. Er sagte mir, er habe leider Gottes schon gewusst, wie es ausgehen werde, als er Frau und Kind durch die Luft wirbeln sah“, erklärt Maigné.

    Gefragt, wie es seinen Mandanten heute gehe, sagt der Anwalt: „Sehr schlecht, er hat seine Frau und seinen Sohn verloren.“ Die Familie in Belgien habe ihn auffangen müssen. Maigné kann auch heute noch nicht sagen, ob Gregory D. und Laurie C. die Kraft haben werden, zu dem Prozess nach Berlin zu kommen, also an den Ort des Schreckens, an dem ihre Familie zerstört worden sei. „Vor so einem Prozess kommt alles wieder hoch“, weiß der erfahrene Nebenklagevertreter.

    Auf die Frage, ob er sich den Unfall erklären könne, schüttelt der Jurist den Kopf. „Mit so einer Geschwindigkeit, dann noch auf dem Radstreifen, dann noch durch einen Mann dieses Alters: das ist komplett unerklärlich.“ Der Angeklagte habe sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert, auch nicht versucht, sich bei der Familie zu entschuldigen.

    Bisher sind 22 Zeugen für das Verfahren vorgesehen. Gregory D. und Laurie C. sind nicht darunter – aus Rücksicht darauf, was eine Aussage psychisch für sie bedeuten würde. Wie Rechtsanwalt Maigné sagt, habe sein Mandant gehofft, dass die Anklage am Landgericht Berlin verhandelt werde. Doch das Landgericht habe beschlossen, das Verfahren am Amtsgericht Tiergarten zu eröffnen. Nun werde der Prozess dort vor einem erweiterten Schöffengericht stattfinden, ein zweiter Richter für das Verfahren sei angeordnet worden.

    Stephan Maigné sagt, vermutlich werde es noch eine Begutachtung des heute 84-jährigen mutmaßlichen Unfallverursachers geben. Deswegen rechne er nicht damit, dass das Verfahren noch vor dem Sommer dieses Jahres beginnen werde.

    #Berlin #Verkehr #Kfz #Unfall

  • Friedenau: Gericht stellt Verfahren ein - Streit um Fahrradstraße kocht wieder hoch
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/friedenau-gericht-stellt-verfahren-ein-streit-um-fahrradstrasse-koc

    15.2.2025 von Peter Neumann - Anwohner ziehen Beschwerde zur Handjerystraße zurück. Die Debatte geht trotzdem weiter - mit Bewertungen von „absolut hervorragend“ bis „falsch konzipiert“.

    Vor Gericht ist der Streit um ein großes Verkehrswendeprojekt in Berlin zu Ende. Das Verfahren zur Handjerystraße in Friedenau wurde eingestellt, wie die Berliner Zeitung erfuhr. Doch die Debatte darüber, ob es richtig war, dort eine Fahrradstraße einzurichten und viele Parkplätze aufzuheben, lebt jetzt wieder auf. Er sei begeistert, sagt ein Anwohner. „Die Fahrradstraße hat mehrere positive Aspekte, die unerwartet waren.“ Was in der Handjerystraße geschehen sei, ist „zu teuer, falsch konzipiert, zukunftslos und visionslos“, meint dagegen Klaus Hänel, ein anderer Friedenauer.

    Stattliche Gründerzeithäuser, Villen, Gärten, ein Park: Lässt man die skandalumwitterte Friedrich-Bergius-Oberschule am Perelsplatz außer Acht, kann dieser Teil von Friedenau als gutsituiertes Wohnviertel gelten. Seit einiger Zeit ist in der Handjerystraße allerdings Unruhe zu spüren, wie Transparente zeigen. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat dort eine Fahrradstraße eingerichtet, die dem Radverkehr Vorrang gibt. Dagegen zogen Bürger vor das Verwaltungsgericht. Doch die 11. Kammer des Gerichts wies die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im November 2023 zurück. Einen individuellen Rechtsanspruch auf Parkmöglichkeiten gebe es nicht, hieß es.

    Dagegen wurde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg eingelegt. Zu einem Beschluss der zweiten Instanz kam es aber nicht, wie jetzt bekannt wurde. „Der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat das Verfahren OVG 1 S 103/23 mit Beschluss vom 20. Dezember 2024 nach Rücknahme der Beschwerde eingestellt“, teilte Sprecherin Karoline Bülow der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. Damit ist das juristische Verfahren zu einem Ende gekommen. Die Fahrradstraße darf bleiben.
    Verwaltungsgericht Berlin sah Gefahrenlage in der Handjerystraße

    Schon 2015 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung, die Handjerystraße zu einer Fahrradstraße umzugestalten. Doch das Projekt geriet oft unter Beschuss. SPD, CDU und FDP mahnten Änderungen an. Anwohner sammelten Unterschriften für einen Stopp des Projekts. Eine Bürgergruppe gründete sich, die stattdessen eine „Miteinander-Straße“ verlangte. Hauptkritikpunkt war und ist, dass Autostellflächen wegfielen. Während das Bezirksamt davon sprach, dass von den 390 Parkplätzen 130 aufgehoben wurden, führten Anlieger noch größere Verluste ins Feld: Bis zu 175 Parkplätze seien entfallen.

    Insgesamt sei die Handjerystraße knapp unter sieben Meter bis 7,35 Meter breit, stellte das Verwaltungsgericht 2023 fest. Doch zwischen den Autos, die damals auf beiden Seiten parken durften, blieben nur rund 3,25 Meter für den Fließverkehr – Gegenverkehr schwierig bis unmöglich. Die Fahrgasse sei unzureichend breit, erklärte die 11. Kammer des Gerichts. Behörden dürften den Straßenverkehr einschränken, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt. „Eine solche Gefahrenlage ergibt sich hier bereits aus der sehr hohen Fahrradverkehrsdichte.“ Während einer Zählung am 15. September 2020, die von 7 bis 19 Uhr stattfand, wurden 6422 Radfahrer ermittelt – aber nur 1541 Kraftfahrzeuge.

    Heute fällt die Handjerystraße auf. Anders als andere Wohnstraßen im Viertel wirkt sie nicht schmal und zugeparkt. Heute dürfen Autos nur noch auf jeweils einer Seite abgestellt werden. Die nutzbare Breite habe sich dadurch vergrößert, sagt ein Anwohner. Er ist einer der Bürger, die sich für die 2023/24 eingerichtete Fahrradstraße eingesetzt haben. Der Friedenauer, der sich in vielen Initiativen engagiert, hat dem Bezirksamt diverse Mängel gemeldet. Doch im Grundsatz sei er zufrieden, betont der Friedenauer. Die Fahrradstraße sei „absolut hervorragend“, lobt er. Er sei froh, dass der Rechtsstreit beendet sei. Eine der beiden Entscheidungen wurde 2023 gleich rechtskräftig.

    Die Umgestaltung habe die Stimmung in der Handjerystraße verändert und die Situation entspannt, sagt er. Einige Schlaglichter: Bei schönem Wetter sei ihm aufgefallen, wie viele Familien mit kleinen Kindern über die Handjerystraße radeln. Sie fühlen sich offenbar sicher. Nach seiner Einschätzung sei der Radverkehr insgesamt angestiegen.

    Auch Autofahrer würden profitieren, ergänzt er. Früher mussten sie oft die Fahrt unterbrechen und aufeinander warten, weil zwischen den abgestellten Fahrzeugen meist nur Platz für ein fahrendes Kraftfahrzeug war. Nicht selten wurde bis zum nächsten Zwangsstopp laut beschleunigt. Heute kämen Autos fast überall aneinander vorbei. Der Verkehr sei nicht nur für die Radfahrer flüssiger geworden, schätzt der Anwohner ein.
    Anwohner bemängelt: „Die Parksituation hat sich dramatisch verschlechtert“

    Es sei ihm aber auch berichtet worden, dass Fußgänger Angst vor den Radfahrern hätten. Sie seien nun oft schneller unterwegs. Doch auch für diesen Teil des Verkehrs habe sich die Lage verbessert, betont der Anwohner. „Früher war die Handjerystraße wegen der vielen parkenden Autos unübersichtlicher.“ Heute sei das anders. Weil nur noch auf einer Seite Fahrzeuge stehen, sei es einfacher geworden, die Straße zu überqueren.

    Das Bezirksamt habe eine sichere und komfortable Fahrradstraße eingerichtet, lobt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). „Zahlreiche Querungshilfen sowie Radbügel an Kreuzungen und Einmündungen schaffen sowohl für den Fußverkehr als auch für Radfahrende wesentlich bessere Sichtbeziehungen.“

    Klaus Hänel zieht dagegen eine negative Bilanz. „Die Parksituation hat sich dramatisch verschlechtert. Viele suchen, herumkreisend, bis zu einer Stunde“, berichtet der Friedenauer. „Der vorher sehr geringe Pkw-Verkehr ist noch geringer, aber schneller geworden.“ Deutlich zügiger seien auch die Radfahrer unterwegs. Heute sei die Handjerystraße eine „Radlerschnellstrecke, um deretwillen man sogar eine verkehrsberuhigte Zone zum Schutz der Schüler der Friedrich-Bergius-Schule aufgab“.

    CDU-Verkehrspolitiker teilt Kritiker der Anlieger

    Die Zählung sei „fehlerhaft“, so Hänel. Die Bürgergruppe Handjerystraße, in der sich Hänel engagiert, hatte die vom Planungsbüro SHP angeführte Radverkehrszählung von 2020 infrage gestellt. Die Erhebung habe an einem sonnigen Sommertag stattgefunden, hieß es. Zuvor hätten Fahrradlobbyisten dazu aufgerufen, die Straße zu befahren. Die Angabe, dass dort 6422 Radfahrer unterwegs waren, stelle die Summe von zwei Zählpunkten dar – dabei ist eine solche Addition nicht statthaft. Eine eigene Zählung vom 18. August bis 2. September 2024 ergab im Durchschnitt 1079 Zweiräder am Tag.

    Dass er grundsätzlich etwas gegen Radverkehr habe, will sich Klaus Hänel nicht sagen lassen. „Ich war Mitbegründer des Fahrradbüros Berlin, habe sieben Jahre für das Umweltbundesamt im Projekt ‚Fahrradfreundliche Stadt‘ und 15 Jahre zentral an der Verhinderung der Autobahn Westtangente mitgewirkt“, gibt er zu bedenken.

    Die CDU-Fraktion im Bezirksparlament teilt die grundsätzliche Kritik. „Leider haben sich all unsere Befürchtungen in Bezug auf die Fahrradstraße bewahrheitet“, teilte der Bezirksverordnete Johannes Rudschies der Berliner Zeitung mit. „Der Kahlschlag bei den Parkplätzen, ein unübersichtliches Sammelsurium aus Schildern und Piktogrammen sowie rücksichtslos rasende Fahrradfahrer mindern die Lebensqualität und das Sicherheitsgefühl der Menschen vor Ort.“

    Stadträtin Ellenbeck: Nur noch eine Maßnahme geplant

    Die Parkplatznot sei dramatisch, kritisierte der Bezirksverordnete. „Besonders zu den Randzeiten war die Straße schon vor der Umgestaltung voll ausgelastet. Dabei wird die Strecke insbesondere in den Wintermonaten von Radfahrern kaum genutzt.“ Das grün regierte Bezirksamt haben einen enormen Aufwand auf Kosten der Anwohner betrieben, dessen Ertrag „äußerst fragwürdig scheint“, bemängelte Rudschies.

    Der Christdemokrat verweist auf eine Umfrage der Bürgergruppe, die im Mai und Juni des vergangenen Jahres stattfand. 163 Anwohner sowie 214 Schüler der Friedrich-Bergius-Schule nahmen daran teil. Auf die Frage, ob sie mit der Umwandlung in eine Fahrradstraße zufrieden seien, antworteten 86,7 Prozent der Anwohner und 74,6 Prozent der Schüler mit Nein. 87,4 Prozent beziehungsweise 75,2 Prozent gaben zu Protokoll, dass sie sich als Fußgänger nicht sicherer fühlen würden. Radfahrer seien „aggressiv, frech, unhöflich, beleidigend“, hieß es.

    Fast alle befragten Anwohner wünschen sich Verbesserungen. „Trotzdem reagieren Grüne und SPD nicht – dabei hatten sie versprochen, bei Bedarf Nachbesserungen vorzunehmen. Die versprochenen Bodenschwellen vor der Friedrich-Bergius-Schule etwa fehlen bis heute. Das ist ein klarer Wortbruch.“ Die CDU-Fraktion wolle die Umgestaltung der Handjerystraße mittelfristig wieder rückgängig machen. Kurzfristig müsse aus Sicherheitsgründen zwingend wieder „rechts vor links“ gelten und der verkehrsberuhigte Bereich vor der Schule wiederhergestellt werden, sagte Rudschies.

    Für Saskia Ellenbeck, die zuständige Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg, ist die Fahrradstraße ein Erfolg. Größere Änderungen werde es in der Handjerystraße nicht geben, so die Grünen-Politikerin. Zuletzt wurden zwei Dialogdisplays aufgestellt, die anzeigen, wenn ein Fahrzeug zu schnell fährt. „Wir werden noch verkehrsberuhigende Rüttelstreifen anbringen, vor der Schule“, so Ellenbeck. „Weitere bezirkliche Maßnahmen im Rahmen des Projekts Fahrradstraße gibt es nicht.“

  • Umstieg auf Elektroautos „diskriminiert die Leute“: BMW setzt mehr auf Verbrenner
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/elektroautos-bmw-bleibt-verbrennern-treu-li.2294281

    Jochen Goller, Mitglied des Vorstands der BMW AG, spricht bei der Weltpremiere des ersten vollelektrischen Mini John Cooper Works auf dem Pariser Automobil-Salon. Michel Euler/AP

    In der Not entdeckt BMW sein soziales Gewissen und der Vorstand vergießt im Interesse seiner Aktionäre wahrhaftige Krokodilstränen. Na klar, europäische Elektroautos verkaufen sich so gut wie Becheryoghurt mit aufgeblähtem.Deckel, während die EU Verbrenner verbietet. Das wird eine riesige Kampagme, um nicht von chinedischen Herstellern vom.Markt gedrângt zu werden. Demnächst besinnt der Verein sich noch auf alte Tugenden und baut wieder verstätkt Motoren für den Erfolg der deutschenLuftwaffe.

    10.2.2025 von Flynn Jacobs - BMW will auch in Zukunft weiterhin in Verbrenner investieren. Dennoch scheint BMW bei Elektroautos mehr Erfolg zu haben als die Konkurrenz. Wie ist das möglich?

    15 Millionen Elektroautos bis 2030 auf deutschen Straßen: So lautete das erklärte Ziel der scheidenden Ampelregierung. Doch trotz des politisch beschlossenen Umstiegs auf Elektromobilität will der deutsche Autohersteller BMW auch in Zukunft weiter verstärkt auf Verbrenner setzen. Das bestätigte Vorstandsmitglied Jochen Goller in einem Interview mit der britischen Financial Times (FT).

    Goller warnte nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump davor, dass der Umstieg auf Elektroautos schwieriger sei als gedacht. „Ich denke, es wäre naiv zu glauben, dass der Übergang zur Elektrifizierung eine Einbahnstraße ist. Es wird eine Achterbahnfahrt“, sagte Goller, der bei BMW den Bereich Kunde, Marken und Vertrieb im Vorstand verantwortet. „Deshalb investieren wir in unsere Verbrennungsmotoren.“ Dennoch konnte BMW – anders als Konkurrenten wie VW und Mercedes – auch seine Verkäufe von Elektroautos deutlich steigern. Wie ist das möglich?

    BMW setzt mehr auf Verbrenner als VW, ist bei E-Autos aber trotzdem besser

    Laut der vorläufigen Bilanz lieferte der Münchener Autobauer inklusive der Marken Mini und Rolls-Royce im vergangenen Jahr insgesamt 2.200.177 Millionen Fahrzeuge weltweit aus – ein Rückgang gegenüber 2023 von 2,3 Prozent, der vor allem auf den Mangel eines von Continental gelieferten Bremssystems und schwächere Absatzzahlen in China zurückzuführen ist. Mit 426.594 ausgelieferten Fahrzeugen konnte BMW bei den reinen Elektroautos allerdings ein deutliches Wachstum von 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Man sei zuversichtlich, das Absatzwachstum bei Elektroautos auch im Jahr 2025 durch ein starkes, erweitertes Produktportfolio fortzusetzen, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens.

    Die Strategie von BMW wird in diesen Ausführungen sehr deutlich. Anders als beispielsweise VW wollte BMW von Anfang an nicht nur auf Elektroautos setzen – trotz des politisch klar formulierten Kurses. Bereits lange vor dem Nachfrageeinbruch in Deutschland entwickelte der bayerische Hersteller eine breite Produktpalette. VW wiederum setzt bei seiner Strategie mehr oder weniger vollständig auf Elektroautos. Scheinbar hatte dieser Plan deutlich weniger Erfolg: In Deutschland blieb VW 2024 zwar Marktführer, verkaufte jedoch mit 62.108 E-Autos rund zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch weltweit ging der Absatz von Elektroautos mit 744.800 verkauften Fahrzeugen im Vergleich zu 2023 um 3,4 Prozent zurück.
    BMW über E-Autos: „Sind den Weg gegangen, dem andere jetzt folgen“

    Laut Experten ist BMW besser aufgestellt als seine Konkurrenten, um die von der EU verschärften CO₂-Flottengrenzwerte für 2025 einzuhalten, ohne dabei Elektroautos zu hohen Rabatten verkaufen zu müssen. Zudem ist das Münchener Unternehmen weniger von Trumps Zöllen betroffen, da 65 Prozent der von BMW in den USA verkauften Autos vor Ort gebaut werden und der Hersteller zudem Nettoexporteur von US-Autos ist. „Aus operativer Sicht denke ich, dass BMW außerhalb Chinas sehr gut aufgestellt ist“, sagte Patrick Hummel, Analyst bei der Schweizer Großbank UBS, gegenüber FT. Was den Anteil der Elektroautos angehe, sei BMW ziemlich genau dort, wo sie sein müssen.

    Aus Sicht von Philippe Houchois, Analyst bei der US-Investmentbank Jefferies, ist BMW der „rücksichtsvollste Erstausrüster“ der letzten Jahre. „Wir haben damit gerechnet, dass die Leute nicht wegen des Antriebs diskriminiert werden wollen“, so BMW-Vorstandsmitglied Goller. „Wir sind den Weg gegangen, dem andere jetzt folgen.“ BMW führt die Steigerung bei den verkauften Elektroautos und seine „starke Marktposition“ auf sein „breites Angebot an Modellen“ zurück. Hier entscheide die Produktsubstanz, betonte ein BMW-Sprecher auf eine frühere Anfrage der Berliner Zeitung.

    Schwacher Markt in China bleibt „Hauptsorge“ von BMW

    Autoexperte Wulf Schlachter erklärte gegenüber der Berliner Zeitung, dass BMW erheblich in die Entwicklung und Produktion von Elektromotoren und anderen wichtigen Komponenten für E-Fahrzeuge investiert habe. „BMW hat erfolgreiche Marktstrategien entwickelt, um E-Fahrzeuge attraktiver zu machen“, so der Gründer und Geschäftsführer von DXBe Management, einer weltweit agierenden Company im Bereich Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur. „BMW hat geliefert und nicht nur angekündigt“, so Schlachter.

    Einzig auf dem für deutsche Hersteller so wichtigen Absatzmarkt in China schwächelt auch BMW weiterhin. Die Verkäufe von BMW und Mini in China sanken im vergangenen Jahr um mehr als 13 Prozent auf 714.530 Autos. Knapp ein Drittel seiner Fahrzeuge verkauft der bayerische Autobauer in der Volksrepublik. Die sinkenden Verkaufszahlen in China „bleiben die Hauptsorge“, sagten Analysten des US-Finanzdienstleisters Citigroup der FT. Goller überrascht es nicht, dass chinesische Marken ausländischen Autoherstellern rasch Marktanteile auf dem heimischen Markt abgejagt haben. Technisch seien die Autos wirklich gut, so Goller. „Aber wir haben keine Angst.“

    ##Verkehr #Wirtschaft #Krieg

  • Der RBB im Gelbhaar-Skandal: Viele gutbezahlte Chefs – und kein Verantwortlicher weit und breit
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/der-rbb-im-gelbhaar-skandal-viele-gutbezahlte-chefs-und-kein-verant

    David Biesinger, Chefredakteur des Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) picture alliance/dpa | Jens Kalaene

    Tja, wat willste, die ham allw jahrelang jeübt, wie et jeht. Krähen.

    19.2.2024 von Niklas Liebetrau - Der RBB-Chefredakteur weist im Fall Gelbhaar jede Verantwortung von sich und der Führungsriege – schon bevor die Ermittlungen abgeschlossen sind. Wem nützen die dann eigentlich?

    Unter Journalisten des RBB kursiert ein Spitzname für den Chefredakteur. Er lautet: Teflon. Nichts bleibe an David Biesinger haften, alles perle ab, insbesondere jegliche Verantwortung. Manche beim RBB behaupten auch, zu seiner inneren Haltung passe der Satz: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.“

    Von nichts gewusst haben, das will David Biesinger im Fall Stefan Gelbhaar. Der Skandal ist bekannt: Am Silvesterabend hatte die RBB-Abendschau über schwere Vorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten der Grünen berichtet, die sich kurz darauf als erfunden herausstellten. Die Hauptbelastungszeugin, eine Frau namens Anne K., existiert nicht. Der Schaden ist immens. Für die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für die Grünen im Wahlkampf, vor allem für Gelbhaar selbst. Sein „politischer Lebensweg“ sei entwertet, sagte Gelbhaar kürzlich in der Berliner Zeitung. Die Berichterstattung des RBB habe „leider massiv damit zu tun“.

    Wie es zu diesem Gau kommen konnte? Wie Redakteure, Ressortleiter und Justiziare auf den Betrug hereinfallen und sogar noch eine Szene drehen konnten, die ein persönliches Treffen mit Anne K. vortäuschte? Dazu erfährt die Öffentlichkeit seit Wochen: nichts. Auch nicht, welche Konsequenzen der Sender ziehen will. „Detailfragen“, teilt RBB-Sprecher Justus Demmer mit, wolle man erst beantworten, wenn „die externe Untersuchung“ abgeschlossen sei.

    Auf Wunsch der Intendantin Ulrike Demmer hat Chefredakteur Biesinger die Unternehmensberatung Deloitte mit der Aufklärung betraut. Deloitte erzielt seinen Milliarden schweren Umsatz unter anderem mit einer Abteilung von rund 300 sogenannten Forensikern, die Firmen seiner Kunden auf interne Risiken hin untersuchen. „Zum Schutz des Unternehmenswertes und der Integrität“, wie es auf der Website heißt. Meist im Bereich der Wirtschaftskriminalität.

    Beim RBB sollen die Forensiker bis Ende Februar internen Schriftverkehr wie etwa E-Mails auswerten und mit den beteiligten Personen in der Redaktion Interviews führen, erklärt ein Deloitte-Sprecher. Das Ganze soll den Beitragszahler maximal 60.000 Euro kosten. So heißt es bisher.

    RBB-Chefredakteur schließt Verantwortung für Gelbhaar-Skandal aus

    Doch was wollen Intendantin und Chefredakteur eigentlich aufklären lassen, was sie selbst nicht herausfinden könnten? Es gehe darum, „den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden“, begründet Biesinger die Entscheidung für externe Ermittler.

    Gleichzeitig hat der Chefredakteur für sich selbst – getreu seines Spitznamens – bereits jegliche Verantwortung verneint. Dafür braucht er offenbar keine externe Untersuchung.

    Zwar sei er kurz vor Weihnachten über den Gelbhaar-Beitrag informiert worden und habe sich „versichern können“, dass alles seinen geordneten Gang gehe. Jedoch werde er als Chefredakteur „nicht in Einzelheiten des Themas eingebunden“, sagte Biesinger im Radioeins-Medienmagazin. Den Gelbhaar-Beitrag habe er auch nicht vor Ausstrahlung gesehen: So etwas sei „nicht üblich und wäre auch seltsam“. Anfang Februar, bei einer Sondersitzung des RBB-Rundfunkrates, fügte er hinzu: „Sonst würden wir gar nichts mehr senden können.“

    Seltsam ist vor allem das Verständnis, das Biesinger von seinem Job offenbart. Zwar ist richtig: Ein Chefredakteur kann nicht jeden Beitrag vor Erscheinen prüfen. Doch war dies ein Beitrag wie jeder andere? Immerhin ging es um schwere Vorwürfe gegen einen Bundestagsabgeordneten, ein Mitglied eines Verfassungsorgans. So etwas passiert nicht alle Tage. Wäre es nicht selbstverständlich gewesen, so einen Fall zur Chefsache zu machen? Zumal inmitten eines hitzigen Wahlkampfs, in dem zumindest die Möglichkeit besteht, dass auch unlautere Tricks angewendet werden?

    Brisante Aussagen des RBB-Chefs über schwangere Journalistin

    Warum sorgte Biesinger bei einem solch heißen Thema nicht wenigstens dafür, jene investigativen Journalisten die Recherche machen zu lassen, die die meiste Kompetenz dafür mitbringen? Die gibt es beim RBB durchaus, etwa in den Redaktionen von „Kontraste“ und „rbb24Recherche“. Doch offenbar zählt auch die Koordination der einzelnen Redaktionen nicht zum Aufgabenbereich des RBB-Chefredakteurs. Zumindest in der Auslegung von David Biesinger.

    So stellt sich die Frage, was dann eigentlich Biesingers Aufgaben sind. Immerhin verdient der Chefredakteur mit mehr als 160.000 Euro im Jahr nicht gerade schlecht, wie alle Chefs beim RBB. Darauf hat er eine Antwort: „Verantwortung übernehmen“, das wolle er, indem er für Aufklärung sorgt, um aus den Fehlern lernen zu können. Darum die externe Untersuchung, deren Ergebnisse man doch bitte abwarten solle. Mit anderen Worten: Der RBB-Chefredakteur sieht seine Rolle vorrangig darin, die Scherben zusammenkehren zu lassen. Von einem 60.000-Euro- Reinigungsunternehmen.

    Intern scheint er hingegen die forensischen Ergebnisse nicht zu brauchen. In einer vertraulichen Telefonkonferenz der ARD-Chefredakteure hat Biesinger schon Mitte dieser Woche personelle Konsequenzen angekündigt: „Die Frage stellt sich natürlich. Da kommen wir nicht drum herum“, soll er den anderen Sender-Chefs gesagt haben, berichtet das Portal Business Insider.

    Eine Verantwortliche hat Biesinger demnach auch schon ausgemacht. Dabei handelt es sich um eine freie Journalistin, Teil des dreiköpfigen Teams, das den Gelbhaar-Beitrag im Dezember verfasst hatte. Sie befindet sich aktuell im Mutterschutz, offenbar zum Bedauern Biesingers: „In der Phase darfst du ja gar nichts machen personell.“

    RBB-Journalistin schon einmal in einen Skandal verwickelt

    Die Reporterin soll mit der Erfinderin von „Anne K.“ in Kontakt gestanden haben. Laut Biesinger offenbar nur am Telefon. Und er deutet an, dass sie es auch gewesen sei, die auf die Idee kam, eine nachgestellte Szene zu drehen.

    Schon vor zwei Wochen hatte Biesinger im Radioeins-Medienmagazin gesagt: In der Redaktion sei nicht transparent gemacht worden, dass es gar kein Treffen mit Anne K. gegeben hatte. Ob die Autoren diesen Schwachpunkt der Recherche verschwiegen oder gar darüber täuschten, will der Sender wiederum nicht beantworten. Die Untersuchung.

    Bereitet die RBB-Chefetage da gerade Bauernopfer vor, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Fast wirkt es, als habe sich der Sender mit der Beauftragung von Deloitte Zeit gekauft, um drängende Fragen für ein paar Wochen noch abwimmeln zu können.

    Dazu gehören auch weitere Fragen zu der Journalistin im Mutterschutz. Denn sie war schon einmal in einen Skandal verwickelt. Im Sommer des Jahres 2016 hatte sie drei Mitarbeiter einer Werbeagentur im Morgenmagazin interviewt. „Normalen“ Bürgern sollten politische Fragen gestellt werden. Dabei wurde auch die gut laufende Werbeagentur präsentiert. Erst im Nachhinein stellte sich heraus: Die Journalistin war eine der Gesellschafterinnen der Agentur. Nur machte sie das nicht transparent.

    RBB-Sprecher Demmer stufte das damals „als schwerwiegenden Vorfall“ ein. Er kündigte „ernsthafte Gespräche“ an. Was daraus folgte, würde man heute gerne wissen, fast neun Jahre und einen weiteren Skandal später. Doch jetzt möchte Demmer gerade nicht darauf antworten. Der Verweis, bis zum Abschluss der Untersuchung keine Auskunft mehr zu geben, schließe auch Auskünfte über Personen ein, die in den Fall involviert sein könnten.

    Nicht nur der RBB-Chefredakteur steht im Fokus

    Dem Vernehmen nach brodelt es heftig beim RBB, auf allen Ebenen. Und inzwischen ist auch klar: Die organisierte Verantwortungslosigkeit endet nicht beim Chefredakteur. Auch die Chefin der Rechtsabteilung, Kerstin Skiba, muss sich fragen lassen, welche Rolle sie in der Affäre spielt. Der Gelbhaar-Beitrag wurde von ihrem Team juristisch abgesegnet. Und das, obwohl die Recherche unter den Maßstäben einer Verdachtsberichterstattung schwerwiegende Mängel aufwies, worauf Gelbhars Anwälte vor der Ausstrahlung in einem mehrseitigen Antwortschreiben hinwiesen. Dennoch erteilte die Justiziarin grünes Licht.

    Zudem mangelte es den recherchierenden Journalisten offensichtlich an juristischer Aufklärung. Noch Mitte Januar schrieben die drei Autoren: „Eine eidesstattliche Versicherung bedeutet, dass sich Menschen strafbar machen, wenn sie in einer solchen schriftlichen Erklärung falsche Behauptungen aufstellen.“ Dass das falsch ist, weiß auch Kerstin Skiba. Wie also sensibilisierte sie die RBB-Redakteure für die presserechtlichen Feinheiten?

    David Biesinger hat glücklicherweise auch schon für seine Kollegin die rettende Erklärung parat: Der „Urfehler“ liege eben darin, dass die drei Autoren Anne K. nie getroffen und dies nicht transparent gemacht hätten.

    Wem nützt die externe Untersuchung beim RBB?

    Menschen, die den RBB schon lange von innen kennen, stellen nicht mehr die Frage, was die externen Experten eigentlich noch aufklären sollen. Sie fragen stattdessen, wem solche Ermittlungen am Ende nützen: Cui bono?

    Die Untersuchung von Skandalen durch teure Beratungsfirmen hat beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tradition. Die Firma Deloitte etwa war schon einmal für den ÖRR tätig, genauer für den NDR. 2022 waren Führungskräfte des Norddeutschen Rundfunks in den Verdacht geraten, auf die Redaktionen politischen Einfluss auszuüben und Berichte über landespolitische Themen zu verhindern. Der Bericht von Deloitte kam damals zu einem entlastenden Urteil: Für systematische Verstöße habe es keine Anzeichen gegeben.

    Und nach dem Schlesinger-Skandal um den Bau des Digitalen Medienhauses, beauftragte der Sender die Rechtsanwaltskanzlei Lutz/ Abel. Den Beitragszahler kosteten diese Untersuchungen am Ende mehr als 1,6 Millionen Euro. Den Abschlussbericht der Anwälte aber wollte der Sender nicht so gern offenlegen. Dennoch stürzte fast die gesamte Führungsriege des RBB über den Skandal. Nur einer, den ebenfalls Verantwortung traf, konnte damals seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Offenbar waren alle Vorwürfe an ihm abgeperlt, wie Wasser an Teflon. Sein Name: David Biesinger.

    #Beelin #Medien #ÖRR #Politik

  • Karl Marx, Trade or Opium?
    https://www.marxists.org/archive/marx/works/1858/09/20.htm

    Uber ist das Opium des Volks könnte man angesichts der Schilderung der britischen Handelspolitik und ihrer Folgen für das kaiserliche China durch Karl Marx sagen.

    Die Kombination von staatlicher und privater Macht, Einsetzung örtlicher Kompradoren und die vollständige Mißachtung der Gesetze der unterlegenen Nation kennzeichnen das britische Vorgehen bis hin zu den Opiumkriegen in vergleichbarer Weise wie die vom Uber-Konzerns erzwungenen Dumpingpreise und Gesetzesverstöße im Kampf gegen Taxigewerbe und Staatlichkeit Deutschlands.

    Der Text auf Deutsch: Die Geschichte des Opiumhandels
    http://www.mlwerke.de/me/me12/me12_549.htm

    Written: September 20, 1858, in New York Daily Tribune, Articles On China, 1853-1860

    THE NEWS of the new treaty wrung from China by the allied Plenipotentiaries has, it would appear, conjured up the same wild vistas of an immense extension of trade which danced before the eyes of the commercial mind in 1845, after the conclusion of the first Chinese war. Supposing the Petersburg wires to have spoken truth, is it quite certain that an increase of the Chinese trade must follow upon the multiplication of its emporiums? Is there any probability that the war Of 1857-8 will lead to more splendid results than the war of 1839-42? So much is certain that the Treaty Of 1842, instead of increasing American and English exports to China, proved instrumental only in precipitating and aggravating the commercial crisis of 1847. In a similar way, by raising dreams of an inexhaustible market and by fostering false speculations, the present treaty may help preparing a new crisis at the very moment when the market of the world is but slowly recovering from the recent universal shock. Besides its negative result, the first opium-war succeeded in stimulating the opium trade at the expense of legitimate commerce, and so will this second opium-war do if England be not forced by the general pressure of the civilized world to abandon the compulsory opium cultivation in India and the armed opium propaganda to China. We forbear dwelling on the morality of that trade, described by Montgomery Martin, himself an Englishman, in the following terms:

    “Why, the ’slave trade’ was merciful compared with the ’opium trade’. We did not destroy the bodies of the Africans, for it was our immediate interest to keep them alive; we did not debase their natures, corrupt their minds, nor destroy their souls. But the opium seller slays the body after he has corrupted, degraded and annihilated the moral being of unhappy sinners, while, every hour is bringing new victims to a Moloch which knows no satiety, and where the English murderer and Chinese suicide vie with each other in offerings at his shrine.”

    The Chinese cannot take both goods and drug; under actual circumstances, extension of the Chinese trade resolves into extension of the opium trade; the growth of the latter is incompatible with the development of legitimate commerce these propositions were pretty generally admitted two years ago. A Committee of the House of Commons, appointed in 1847 to take into consideration the state of British commercial intercourse with China, reported thus:

    We regret “that the trade with that country has been for some time in a very unsatisfactory condition, and that the result of our extended intercourse has by no means realized the just expectations which had naturally been founded on a freer access to so magnificent a market.... We find that the difficulties of the trade do not arise from any want of demand in China for articles of British manufacture or from the increasing competition of other nations.... The payment for opium ... absorbs the silver to the great inconvenience of the general traffic of the Chinese; and tea and silk must in fact absorb the rest.”

    The Friend of China, Of July 28, I 849, generalizing the same proposition, says in set terms:

    “The opium trade progresses steadily. The increased consumption of teas and silk in Great Britain and the United States would merely result in the increase of the opium trade; the case of the manufacturers is hopeless.”

    One of the leading American merchants in China reduced, in an article inserted in Hunt’s Merchants’ Magazine, for January, 1850, the whole question of the trade with China to this point: “Which branch of commerce is to be suppressed, the opium trade or the export trade of American or English produce?” The Chinese themselves took exactly the same view of the case. Montgomery Martin narrates: “I inquired of the Taoutai at Shanghai which would be the best means of increasing our commerce with China, and his first answer to me, in the presence of Capt. Balfour, Her Majesty’s Consul, was: ’Cease to send us so much opium, and we will be able to take your manufactures.’”

    The history of general commerce during the last eight years has, in a new and striking manner, illustrated these positions; but, before analysing the deleterious effects on legitimate commerce of the opium trade, we propose giving a short review of the rise and progress of that stupendous traffic which, whether we regard the tragical collisions forming, so to say, the axis round which it turns, or the effects produced by it on the general relations of the Eastern and Western worlds, stands solitary on record in the annals of mankind. Previous to 1767 the quantity of opium exported from India did not exceed 200 chests, the chest weighing about 133lbs. Opium was legally admitted in China on the payment of a duty of about $3 per chest, as a medicine; the Portuguese, who brought it from Turkey, being its almost exclusive importers into the Celestial Empire. In I773, Colonel Watson and Vice-President Wheeler — persons deserving to take a place among the Hermentiers, Palmers and other poisoners of world-wide fame — suggested to the East India Company the idea of entering upon the opium traffic with China. Consequently, there was established a depot for opium in vessels anchored in a bay to the southwest of Macao. The speculation proved a failure. In 1781 the Bengal Government sent an armed vessel, laden with opium, to China; and, in I794, the Company stationed a large opium vessel at Whampoa, the anchorage for the port of Canton. It seems that Whampoa proved a more convenient depot than Macao, because, only two years after its selection, the Chinese Government found it necessary to pass a law which threatened Chinese smugglers of opium to be beaten with a bamboo and exposed in the streets with wooden collars around their necks. About 1798, the East India Company ceased to be direct exporters of opium, but they became its producers. The opium monopoly was established in India; while the Company’s own ships were hypocritically forbidden from trafficking in the drug, the licences it granted for private ships trading to China containing a provision which attached a penalty to them if freighted with opium of other than the Company’s own make. In 1800, the import into China had reached the number of 2,000 chests. Having, during the eighteenth century, borne the aspect common to all feuds between the foreign merchant and the national custom-house, the struggle between the East India Company and the Celestial Empire assumed, since the beginning of the nineteenth century, features quite distinct and exceptional; while the Chinese Emperor, in order to check the suicide of his people, prohibited at once the import of the poison by the foreigner, and its consumption by the natives, the East India Company was rapidly converting the cultivation of opium in India, and its contraband sale to China, into internal parts of its own financial system.

    While the semi-barbarian stood on the principle of morality, the civilized opposed to him the principle of self. That a giant empire, containing almost one-third of the human race, vegetating in the teeth of time, insulated by the forced exclusion of general intercourse, and thus contriving to dupe itself with delusions of Celestial perfection-that such an empire should at last be overtaken by fate on [the] occasion of a deadly duel, in which the representative of the antiquated world appears prompted by ethical motives, while the representative of overwhelming modern society fights for the privilege of buying in the cheapest and selling in the dearest markets-this, indeed, is a sort of tragical couplet stranger than any poet would ever have dared to fancy.

    Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, 1843/1844
    http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_378.htm

    Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.

    Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

    #Geschicht #China #Großbritannien #Freihandel #Rauschgift #Kolonialismus #Krieg #Disruption #Uber #Marxusmus #Opium

  • Platznot-Ausrede bei Berlinale-Eröffnungsgala: AfD muss erneut draußen bleiben
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/platznot-ausrede-bei-berlinale-eroeffnungsgala-afd-muss-erneut-drau

    Tja, zum Taxifilmfest wird die Bande auch nicht eingeladen. Warum wohl.

    7.2.2025 von Elmar Schütze, Kevin Gensheimer - Zur Eröffnung der Filmfestspiele am Donnerstag wird niemand von der AfD dabei sein – sie erhielten keine Einladung. Wie sind die Reaktionen?

    Die Verteilung der Einladungen für die Eröffnung der Berlinale am kommenden Donnerstag entwickelt sich auch 2025 zu einem Politikum. Doch diesmal liegen die Dinge offenbar anders als im Vorjahr, als Vertreter der AfD erst ein- und später wieder ausgeladen wurden. Die Berliner AfD sprach damals empört von einem Skandal. Dieses Jahr werden Politiker der in Teilen rechtsextremen Partei offenbar gar nicht erst eingeladen.

    Üblicherweise erhalten die Fraktionschefs sowie die medien- oder kulturpolitischen Sprecher der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen Freikarten zur Eröffnung der Filmfestspiele. Das galt bis 2023 auch für die Vertreter der AfD. Seitdem ist alles anders.

    Recherchen der Berliner Zeitung für dieses Jahr zeigen: Die meisten Fraktionen haben erneut Einladungen erhalten. So bestätigten auf Anfrage die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und Linken, eingeladen worden zu sein.

    Ganz anders bei AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker und AfD-Medienpolitiker Ronald Gläser. Beide haben bisher keine Einladung erhalten. Nach Gläsers Worten müsse das noch keine endgültige Entscheidung sein. In früheren Jahren seien Einladungen manches Mal erst wenige Tage vor dem Termin eingetroffen. Dass dies auch jetzt der Fall sein könnte, hält Gläser jedoch für unwahrscheinlich. „Wir gehen davon aus, dass wir keine kriegen werden“, sagte er der Berliner Zeitung.

    Berlinale-Ehrenkarten nur noch ohne Begleitung in diesem Jahr

    Ein Grund könnten die Platzverhältnisse sein, hieß es. So weist der CDU-Kulturpolitiker Robbin Juhnke auf die Platznot der Veranstalter in diesem Jahr hin. Schließlich seien die Verleihung des Ehrenbären – an Tilda Swinton – und die Eröffnung zusammengelegt worden. So sind Karten für dieses Jahr explizit nur „ohne Begleitung“ gültig, so Juhnke.

    Das Argument mit dem verkleinerten Kontingent könnte zu einer Aussage von Berlinale-Chefin Tricia Tuttle passen – demnach wäre es aber nur ein Teil der Wahrheit. So sagte Tuttle vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Berliner Zeitung: „Jedes Mal, wenn wir einen Vorschlag für einen unserer hart umkämpften Plätze bekommen, überlegen wir, ob das jemand ist, der das, was die Berlinale ist und was sie tut, auch wirklich unterstützt.“

    AfD-Ausladung: Die Berlinale erleichtert den Rechten das Spiel

    AfD-Fraktionschefin Brinker macht sich ihren eigenen Reim daraus. „Es ist sicher nicht nur eine Frage des Anstands, ob die Veranstalter der Berlinale die Vorsitzende einer demokratisch ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählte Fraktion einladen, sondern auch eine Frage des Respekts vor demokratischen Institutionen und deren Repräsentanten“, teilt sie auf Anfrage mit.

    Auf eine erste Anfrage der Berliner Zeitung zur diesjährigen Einladungspraxis hatte die Berlinale geantwortet: „Es ist gute Tradition, dass das Festival über seine Ehren- und Sondergäste informiert und sich nicht zu anderen Festivaleinladungen äußert. Wir machen unsere Einladungsliste nicht öffentlich. Was die Berlinale allen Gästen versprechen kann: Wir bieten ihnen einen inklusiven Raum, in dem unsere Werte gelebt und respektiert werden.“ Auf erneute Anfrage explizit zur AfD heißt es nun einsilbig: „Wir machen unsere Einladungsliste nicht öffentlich.“

    Zustimmung für ihre Haltung zur AfD erhält die Berlinale von der SPD. Die Medienpolitikerin Melanie Kühnemann-Grunow erinnert im Gespräch mit der Berliner Zeitung daran, dass die Berlinale „das politischste aller großen Filmfestivals“ sei. Angesichts der „Tragweite der aktuellen Diskussion“ sei die Entscheidung gegen die AfD „okay“, sagt die SPD-Abgeordnete.

    #Kino #Berlin #Politik #Berlinale