Restaurant Kreuzberger Himmel an der Yorckstraße: Übers Essen sind wir alle verbunden
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16.3.2025 von Tina Hüttl - Wo essen gehen politisch wird: Im Kreuzberger Himmel wird Migration erfolgreich gelebt. Und zwar am Tisch, wo alle Nationen zum Essen zusammenkommen.
Forschungsergebnisse zeigen, dass wir ungefähr 200-mal am Tag übers Essen nachdenken. Zieht man die Schlafenszeit ab, stellen wir uns etwa alle fünf Minuten ein Gemüsekebab, Schnitzel oder Schokotörtchen vor.
Planen, weniger Zucker zu verzehren, entscheiden, wie wir den Blumenkohl würzen, wählen, welchen Joghurt wir kaufen oder was für ein Restaurant wir demnächst besuchen. Wie und was wir essen, hat Folgen für Gesundheit, Klima, Artenvielfalt und soziale Gerechtigkeit. Zum Glück muss man das heute niemandem mehr erklären.
Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Essen politisch. Eine engagierte Kochbuchautorin und Gastrokollegin schrieb kurz vor der Wahl, dass ihre Gewürzschublade von Reisen durch die Welt erzähle, ihre Rezepte von Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und jede Küche von Migrationsgeschichten und kulturellem Austausch. Sie rief daher dazu auf, sich bei der Bundestagswahl für diejenigen Parteien zu entscheiden, die das Fremde als bereichernd, nicht als bedrohlich ansehen.
Aus Südamerika nach Europa
Tatsächlich gibt es keine Esskultur, die sich ohne Migration und Handel entwickelt hätte. Man denke nur: Selbst die für die mediterrane Küche so entscheidende Tomate musste erst aus Südamerika nach Europa gelangen! Übers Essen sind wir alle verbunden. Hier sehen wir Vielfalt als selbstverständlich an. Hier macht uns Neues nicht ängstlich, sondern neugierig. Hier ist Fusion der natürliche Zustand.
Genau daran, an diese positiven Gefühle und die kulinarische sowie gesellschaftliche Win-win-Situation, die durch Migration entsteht, knüpft auch das Restaurant an, das ich Ihnen heute vorstellen will. Es heißt Kreuzberger Himmel. Einmal, weil es die hohen, gewölbeartigen Räume der Sankt-Bonifatius-Kirche in der Yorckstraße bezogen hat. Zum anderen, weil als Betreiber der Verein „Be an Angel“ dahinter steht, der Geflüchtete bei der Integration in die Gesellschaft unterstützt und dazu 2018 dieses Restaurant eröffnete.
Im „Himmel“, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Laden liebevoll nennen, arbeiten Menschen aus Syrien, dem Irak, Pakistan und Afghanistan. Derzeit werden vier neue Servicekräfte ausgebildet. Einer, der selbst hier gelernt hat, ist nun ihr IHK-geprüfter Ausbilder.
Bei meinem letzten Besuch durfte ich auch Rami Adham kennenlernen. Der 33-jährige Syrer ist seit 2017 in Berlin, hat als Kellner im Himmel angefangen, bis er mithilfe des „Be an Angel“-Vereins eine Ausbildungsstelle zum Koch im Berliner Restaurant Weltwirtschaft begann. Vor etwas mehr als einem halben Jahr ist Adham in den Kreuzberger Himmel zurückgekehrt – als neuer Küchenchef.
Kein Mahl ohne Mezze
Als solcher hat er gleich einige neue Gerichte auf die Speisekarte gesetzt: darunter Kebab Betahini und Zahra Betahini – ein Gericht mit sehr aromatischem Fleisch beziehungsweise geröstetem Blumenkohl mit karamellisierten Zwiebeln sowie einer cremigen Tahini-Soße, den ich sehr empfehle.
Doch erstmal zu den Vorspeisen. Ein arabisches Mahl ist kein Mahl, wenn für den ersten Hunger nicht mindestens vier bis fünf Mezze in der Mitte des Tisches zum Teilen stehen. Die Mezze verantwortet Rima. Sie ist aus dem Libanon geflüchtet, hat aber syrische Wurzeln und – so betont sie – kocht alles mit „viel Liebe“.
Natürlich braucht es am Tisch ein Schälchen Hummus als Grundlage. Ihrer hat die perfekte Geschmeidigkeit. Die Kichererbsen sind fein passiert und die Masse nicht klebrig. Denn mit der Sesampaste Tahini geht sie behutsam um. Ebenso haben der Knoblauch und das Olivenöl genau das richtige Maß. So steht der Geschmack der Hülsenfrüchte im Vordergrund, die mit Kreuzkümmel, Koriander und Zitrone gewürzt sind. Gut gefällt mir auch Schawandar, ein süßlich-erdiger Rote-Bete-Salat. Hier jedoch nicht als Rohkost, sondern aus gebackener, dann zerquetschter Bete zubereitet, die mit viel Minze und Walnüssen vermengt wird. Geschmacklich vertraut und doch neu ist das.
Ebenso wenig kannte ich Khater, eine sahnige Frischkäsepaste, in die gegrillte rote Paprika, Nüsse und Oliven eingearbeitet sind. Mir ist sie zu üppig. Dafür esse ich umso mehr vom Nasektun, wohl ein Fantasiename, hinter dem ein leichter, mit Öl und Zitrone angemachter Salat aus feinst geschnippelten Oliven, Gurken, Karotten und Granatäpfeln mit viel Minze und Oregano steckt. Mit ebenso viel Liebe, sprich Geduld, Fleiß und Hingabe, sind die Kräuter für das hervorragende Taboulé gehackt, bei dem das wunderbar abgeschmeckte Grün und nicht der Bulgur dominieren. Schade ist nur, dass das dünne, zugekaufte Fladenbrot den generell hohen Anspruch unterläuft und kalt serviert wird.
Besser man hält sich an die knusprig frittierten Fladenbrotchips, die sich im Klassiker, dem Fattusch-Salat, finden. Noch besser machen sie sich allerdings in Fatteh Makdusch, einem warmen Gericht, das süchtig machen könnte. Küchenchef Rami Adham betont, dass es ein 500 Jahre altes Rezept aus Damaskus sei. Streifen frittierten Fladenbrots, eine mit Tahini verrührte Joghurtsoße sowie Granatapfelkerne und Cashews krönen wie ein Deckel den darunter befindlichen würzigen Eintopf aus Tomaten, gebratenen Auberginen und Weinblättern. Einfach verrühren und löffeln, garantiert schmeckt das unvergesslich.
Wahlweise kann man dieses Gericht auch mit Huhn oder Rinderhack bestellen, was nicht nötig ist. Generell schmecken mir die fleischlosen Kreationen auf der Speisekarte besser, etwa Rami Adhams Blumenkohl Zahra Betahini. Dabei geben karamellisierten Zwiebeln dem gebackenen Kohl das Umami, die Tahinisoße die Frische. Perfekt ist auch der luftige persische Reis dazu.
Im Kreuzberger Himmel kursieren stets neue Ideen, weil sich hier so viele unterschiedliche Menschen engagieren. Seit Russlands Überfall ist der Verein „Be an Angel“, der über die Jahre zu einer weltweit tätigen Organisation mit vielen NGO-Partnern herangewachsen ist, in der Ukraine aktiv. Seit März 2022 lebt der Vereinsinitiator Andreas Toelke in Odessa, seine Organisation hat Hilfsgüter im Gesamtgegenwert von 60 Millionen ins Land und um die 30 000 Zivilisten aus umkämpften Gebieten aus dem Land geschafft. Nun konzentriert man sich dort auf den Wiederaufbau. Und in Berlin? Plant das Kreuzberger-Himmel-Team demnächst ukrainische Wochen auf der Speisekarte.
Kalte und warme Vorspeisen 7,10–8,90 Euro, Hauptspeisen 13,80–21,10 Euro, Desserts 5 Euro
Restaurant Kreuzberger Himmel. Yorckstraße 89, 10965 Berlin, Di–Sa 12–23 Uhr, Tel.: 030 92142782, ▻https://www.kreuzberger-himmel.de