Der schlimmste Feind
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1926/Der+schlimmste+Feind?hl=der+schlimmste+feind
Für Ernst Toller
Der schlimmste Feind, den der Arbeiter hat,
das sind nicht die Soldaten;
es ist auch nicht der Rat der Stadt,
nicht Bergherrn, nicht Prälaten.
Sein schlimmster Feind steht schlau und klein
in seinen eignen Reihn.
Wer etwas diskutieren kann,
wer einmal Marx gelesen,
der hält sich schon für einen Mann
und für ein höheres Wesen.
Der ragt um einen Daumen klein
aus seinen eignen Reihn.
Der weiß nichts mehr von Klassenkampf
und nichts von Revolutionen;
der hat vor Streiken allen Dampf
und Furcht vor blauen Bohnen.
Der will nur in den Reichstag hinein
aus seinen eignen Reihn.
Klopft dem noch ein Regierungsrat
auf die Schulter: »Na, mein Lieber . . . «,
dann vergißt er das ganze Proletariat –
das ist das schlimmste Kaliber.
Kein Gutsbesitzer ist so gemein
wie der aus den eignen Reihn.
Paßt Obacht!
Da steht euer Feind,
der euch hundertmal verraten.
Den Bonzen loben gern vereint
Nationale und Demokraten.
Freiheit? Erlösung? Gute Nacht.
Ihr seid um die Frucht eures Leidens gebracht.
Das macht: Ihr konntet euch nicht befrein
von dem Feind aus den eignen Reihn.
· Theobald Tiger
Die Weltbühne, 28.12.1926, Nr. 52, S. 998, wieder in: Mona Lisa.
#mouvement_ouvrier #fonctionnaires #parlamentarisme #lutte_des_classes #poésie #chanson #Allemagne #histoire #social-démocrates #communistes
Die Ackerstraße als Loch
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1931/Zur+soziologischen+Psychologie+der+L%C3%B6cher Meyers Hof
Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.
...
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Aus: Kaspar Hauser, Zur soziologischen Psychologie der Löcher, Die Weltbühne, 17.03.1931, Nr. 11, S. 389, in: Lerne Lachen.
Quelle: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 152-154.
Permalink:
▻http://www.zeno.org/nid/20005819199
Bernauer Straße (Abschnitt Mietshäuser und Meyers Hof)
▻https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bernauer_Stra%C3%9Fe#Mietsh%C3%A4user_und_Meyers_Hof
Entlang der Bernauer Straße wurden eine Reihe gründerzeitlicher Wohnhäuser errichtet. Direkt hinter dem Lazarus-Krankenhaus entstand ab den 1870er Jahren eine der bekanntesten Berliner Mietskasernen, der sogenannte Meyers Hof, ein hochverdichteter Wohn- und Arbeitskomplex mit 257 Wohnungen und 13 Gewerbebetrieben mit Eingang an der Ackerstraße. Bis zu 2000 Menschen lebten in dem fünfgeschossigen Bau mit sechs Hinterhöfen. Meyers Hof gilt als extremes Beispiel für die damals mitunter sehr engen und einfachen Lebensumstände des Proletariats rund um die Bernauer Straße und in ganz Berlin.
1904: Kindermord in der Ackerstaße
▻https://www.berlin-chronik.de/3995
Die Ackerstraße im Wedding (heute: Gesundbrunnen) war Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine berühmte und berüchtigte Gegend. Vor allem arme Arbeiter, Tagelöhner, Arbeitslose und Prostituierte wohnten in den Mietskasernen, die bis zu sechs Hinterhöfe hatten. Oft mussten ganz Familien in einem Zimmer leben, Wasser und Toiletten gab es oft nur auf dem Hof. In einem dieser Häuser wohnte auch die 8‑jährige Lucie Berlin mit ihren Geschwistern. Ihre Eltern lebten davon, in der Stube Zigarren zusammenzurollen.
Am 9. Juni 1904 verschwand das Mädchen im Treppenhaus spurlos. Zwei Tage später fanden Fischer in der Spree den Rumpf des Mädchens. Bei der Befragung der Nachbarn kam schnell Theodor Berger, der vorbestrafte Zuhälter einer Frau ins Visier der Polizei, der gesehen wurde, wie er mit einem Mädchen an der Hand das Haus verlassen hatte. Die Frau wohnte im gleichen Haus, wie die Familie.
In den folgenden Tagen fanden sich auch der Kopf und die restlichen Körperteile des Mädchens in der Spree. Der verdächtige Mann machte mehrmals sich widersprechende Aussagen, zahlreiche Indizien sprachen für ihn als Mörder. In der Presse, die jeden Schritt der Polizei sowie den Prozess teilweise seitenweise dokumentierte, wurden Forderungen nach der Todesstrafe gestellt. Am 23. Dezember 1904 wurde Berger wegen Vergewaltigung und Totschlags zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Lucie Berlin wurde auf dem St. Elisabeth-Friedhof beerdigt, ebenfalls in der Ackerstraße, nicht weit entfernt von ihrer Wohnung. Der Trauerzug mit offenem Leichenwagen und einer voranschreitenden Musikkapelle zog vom Gerichtsmedizinischen Institut in der Hannoverschen Straße zum Friedhof, rund 1.000 Menschen nahmen daran teil.
Der Mordfall der kleinen Lucie ist nicht nur bemerkenswert, weil er viele Menschen und Medien in Berlin sehr beschäftigte. Im Prozess wurde auch das erste Mal in einem Kriminalfall in Berlin die Bestimmung von gefundenem Blut berücksichtigt. Zwar konnte noch nicht die Blutgruppe bestimmt werden, aber es wurde festgestellt, dass es sich um menschliches Blut handelt. Der Täter hatte behauptet, es wäre Blut von einem Tier.
Bei uns in Europa
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1927/Bei+uns+in+Europa
Il y a 97 ans déjà notre Kurt préféré nous a pondu un petit poème plein d’anti-américanisme et de bon sens. Les choses n’ont pas vraiment changé depuis sinon pour le pire .
Ihr schickt uns aus dem Lande von Ford
einen ziemlich miesen Menschenexport:
überschwemmt sind Paris und Griechenland
von euerm mäßigen Mittelstand.
Diese Reisenden, laut und prahlerisch,
legen geistig die Füße auf den Tisch,
fallen lästig an allen Orten;
und jeder zweite Satz beginnt mit den Worten:
»Bei uns in Amerika . . . «
Bei euch in Amerika gibts zweierlei Rechte
(für Arme und Reiche) – gibt es Gute und Schlechte;
gibt es solche und solche: Lewis und Mencken,
und Dollardiener, die in Dollars denken.
Bei euch in Amerika gibt es Republikaner
und richtende blutige Puritaner.
Ihr habt Kraft, Jugend und Silberlinge –
aber ihr seid nicht das Maß aller Dinge,
bei euch in Amerika.
Bei uns in Europa ist das Weib
keine Haremsfrau ohne Unterleib –
bei uns in Europa ist die schwarze Haut
kein Aussatz, dem man Extra-Bahnwagen baut;
bei uns in Europa kann wer ohne Geld sein
und dennoch, dennoch auf der Welt sein –
bei uns in Europa kann man bestehn,
ohne in die Sonntags-Schule zu gehn,
weil fast keiner so am Altare steht:
eine plärrende nüchterne Realität –
wie bei euch in Amerika.
Das wissen natürlich bei euch die Guten
ganz genau. Der Rest hat von Blasen und Tuten
keine Ahnung. Hört nur den Schmeichelchor
seiner news-papers; kommt sich so erstklassig vor . . .
Hör nicht hin, Arbeitsmann. Laß sie ziehn,
die Eitelkeiten der Bourgeoisien.
Pässe, Fahnen und Paraden
das sind lächerliche Zementfassaden . . .
Denn die wahre Grenze, zwischen Drohnen und Fronen,
läuft quer hindurch durch alle Nationen –
bei euch in Amerika.
Wie bei uns in Europa.
Theobald Tiger, Die Weltbühne, 04.10.1927, Nr. 40, S. 530, wieder in: Deutschland, Deutschland.
Quelle :
Kurt Tucholsky : Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 335-336.
Permalink :
▻http://www.zeno.org/nid/2000581393X
Die Leibesfrucht spricht
▻http://www.zeno.org/nid/20005820146
On l’oublie souvent : la lutte contre les femmes enceintes malgré elles fait partie des éléments typiques pour les sociétés fascistes. Kurt Tucholsly a publié cet avertissement célèbre en 1932.
Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte und Richter.
Ich soll wachsen und gedeihen; ich soll neun Monate schlummern; ich soll es mir gut sein lassen – sie wünschen mir alles Gute. Sie behüten mich. Sie wachen über mich. Gnade Gott, wenn meine Eltern mir etwas antun; dann sind sie alle da. Wer mich anrührt, wird bestraft; meine Mutter fliegt ins Gefängnis, mein Vater hintennach; der Arzt, der es getan hat, muß aufhören, Arzt zu sein; die Hebamme, die geholfen hat, wird eingesperrt – ich bin eine kostbare Sache.
Für mich sorgen sie alle: Kirche, Staat, Ärzte und Richter.
Neun Monate lang.
Wenn aber diese neun Monate vorbei sind, dann muß ich sehn, wie ich weiterkomme.
Die Tuberkulose? Kein Arzt hilft mir. Nichts zu essen? keine Milch? – kein Staat hilft mir. Qual und Seelennot? Die Kirche tröstet mich, aber davon werde ich nicht satt. Und ich habe nichts zu brechen und zu beißen, und stehle ich: gleich ist ein Richter da und setzt mich fest.
Fünfzig Lebensjahre wird sich niemand um mich kümmern, niemand. Da muß ich mir selbst helfen.
Neun Monate lang bringen sie sich um, wenn mich einer umbringen will.
Sagt selbst:
Ist das nicht eine merkwürdige Fürsorge –?
Kurt Tucholsky
Aus: Lerne Lachen.
▻https://de.m.wikisource.org/wiki/Die_Leibesfrucht_spricht
USA : Schwanger – und mit einem Bein im Gefängnis
▻https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/usa-schwanger-und-mit-einem-bein-im-gefaengnis
Daniela Gschweng / 22.10.2024 Seit in einigen US-Bundesstaaten strenge Abtreibungsgesetze gelten, wurden mehrere Frauen nach Fehlgeburten angeklagt.
Oswald Spengler - Preussentum und Sozialismus,
▻http://www.zeno.org/Philosophie/M/Spengler,+Oswald/Politische+Schriften/Preussentum+und+Sozialismus/Einleitung
Voilà un texte pour vous faire peur. S’approcher des idées d’Oswald Spengler c’est comme prendre le petit train fantôme du jardin du Luxembourg. Tu sais ce qui t’attend mais à chaque tour tu t’amuses quand même. Parmi ses textes autrement illisibles pour les amateurs d’une pensée méthodique et matérialiste celui sur le « prussianisme et le socialisme » est le plus effrayant. Il y anticipe le règne nazi sous l’angle du royaliste réactionnaire qu’il fut déjà pour son époque.
On ne s’étonne pas quand les extrêmistes de droite pas totalement abrutis de notre époque se servent de ses idées pour composer leurs chants de sirènes faites pour nous nous attirer dans l’abîme des projets néofascistes.
Diese kleine Schrift ist aus Aufzeichnungen hervorgegangen, die für den »Untergang des Abendlandes«, namentlich den zweiten Band bestimmt, die teilweise sogar der Keim waren, aus dem diese ganze Philosophie sich entwickelt hat.
Das Wort Sozialismus bezeichnet nicht die tiefste, aber die lauteste Frage der Zeit. Jeder gebraucht es. Jeder denkt dabei etwas andres. Jeder legt in dieses Schlagwort aller Schlagworte das hinein, was er liebt oder haßt, fürchtet oder wünscht. Aber niemand übersieht die historischen Bedingungen in ihrer Enge und Weite. Ist Sozialismus ein Instinkt oder ein System? Das Endziel der Menschheit oder ein Zustand von heute und morgen? Oder ist er nur die Forderung einer einzelnen Klasse? Ist er mit dem Marxismus identisch?
Der Fehler aller Wollenden ist, daß sie das, was sein sollte, mit dem verwechseln, was sein wird. Wie selten ist der freie Blick über das Werden hin! Noch sehe ich niemand, der den Weg dieser Revolution begriffen, ihren Sinn, ihre Dauer, ihr Ende überschaut hätte. Man verwechselt Augenblicke mit Epochen, das nächste Jahr mit dem nächsten Jahrhundert, Einfälle mit Ideen, Bücher mit Menschen. Diese Marxisten sind nur im Verneinen stark, im Positiven sind sie hilflos. Sie verraten endlich, daß ihr Meister nur ein Kritiker, kein Schöpfer war. Für eine Welt von Lesern hat er Begriffe hinterlassen. Sein von Literatur gesättigtes, durch Literatur gebildetes und zusammengehaltenes Proletariat war nur so lange Wirklichkeit, als es die Wirklichkeit des Tages ablehnte, nicht darstellte. Heute ahnt man es – Marx war nur der Stiefvater des Sozialismus. Es gibt ältere, stärkere, tiefere Züge in ihm als dessen Gesellschaftskritik. Sie waren ohne ihn da und haben sich ohne ihn und gegen ihn weiter entfaltet. Sie stehen nicht auf dem Papier, sie liegen im Blut. Und nur das Blut entscheidet über die Zukunft
Oswald Spengler, Oswald Spengler | WIkipedia
▻https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Spengler#%E2%80%9EPreu%C3%9Fentum_und_Sozialismus%E2%80%9C
„Preußentum und Sozialismus“
Die Streitschrift Preußentum und Sozialismus plante Spengler am Tag nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, sie erschien im November 1919 als Reaktion auf den Versailler Vertrag und die Weimarer Verfassung. Die Schrift ist vor allem werkgeschichtlich von Bedeutung und entspricht nach Spenglers Aussage weitgehend dem Keim seines Hauptwerks.[84] Spengler plädiert darin für einen autoritären Staat unter einem caesaristischen Diktator, der auf den Traditionen des alten Preußen basieren sollte. Preußen stehe für Tugenden wie Pflicht, Ordnung und Gerechtigkeit, die Ideale einer „deutschen Kultur“ – im Gegensatz zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, den Idealen der westlichen Zivilisation. Diesem Begriff, den er mit Dekadenz gleichsetzt, stellt er den positiv besetzten Begriff Kultur (vertreten durch Goethe) gegenüber. Der nationale Sozialismus, den Spengler skizziert, ist nicht als Ansatz zu einer Änderung der Wirtschaftsverfassung oder einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu verstehen. Mit den Worten des Historikers Hans Mommsen handelt es sich um einen „Sozialismus der Gesinnung, nicht um eine ökonomische Theorie“, der keinen Gegensatz zu Spenglers elitärer Verachtung der Masse darstellt.[85] Mit ihm will Spengler sowohl den marxistischen Sozialismus der Arbeiterbewegung bekämpfen, als auch den liberalen Parlamentarismus, den er als plutokratisch denunziert.[86] Spenglers Sozialismus-Vorstellung ist explizit gegen den Westen und dessen Betonung individueller Freiheitsrechte gerichtet:
„Die Macht gehört dem Ganzen. Der einzelne dient ihm. Das Ganze ist souverän. Der König ist nur der erste Diener seines Staates (Friedrich der Große). Jeder erhält seinen Platz. Es wird befohlen und gehorcht. Dies ist, seit dem 18. Jahrhundert, autoritativer Sozialismus, dem Wesen nach illiberal und antidemokratisch, soweit es sich um englischen Liberalismus und französische Demokratie handelt.“
Zur Überwindung des gehassten westlichen Liberalismus und des Versailler Vertrags strebte Spengler vor allem ein Bündnis mit Russland bzw. der Sowjetunion an.
1924 erschienen seine ergänzenden Schriften Politische Pflichten der deutschen Jugend und Neubau des Deutschen Reiches, in denen er zur Überwindung des „nationalen Sumpfes“ aufrief, in den das Deutsche Reich geraten sei: Die Weimarer Republik tut er ab als „eine fünfjährige Orgie von Unfähigkeit, Feigheit und Gemeinheit“. Sie müsse überwunden werden, um für das seines Erachtens bevorstehende Ringen um die deutsche Weltgeltung gewappnet zu sein. Dabei verglich er das Deutschland seiner Gegenwart mit Frankreich zur Zeit des Direktoriums, eines Regimes, das 1799 von Napoleon Bonaparte in einem Putsch beseitigt worden war.[89] Der darauf folgende Neubau des Reiches könne aber auf „Rassegefühle“, so „tief und natürlich“ sie auch sein mochten, keine Rücksicht nehmen, wie die Beispiele des Italieners Napoleon, des Juden Benjamin Disraeli und der Deutschen Katharina II. lehren würden.
TV-Kritik : Ein intelligenter ’Tatort’ ohne Mord
▻https://www.abendzeitung-muenchen.de/tv/tv-kritik-ein-intelligenter-tatort-ohne-mord-art-673976
Comment tomber dans le piège antisemite par négligence. Dans cette critiqe de polar de télévison Tatort l’auteur Prechtel perpétue le mythe antisemite des juifs vindicatifs en utilisant la tournure qui évoque un « Dieu jaloux, qui punit jusqu’à la septième génération ». Passons sur l’idée absurde vielle de plusieurs millénaires, la vérification dans quelques traductions de la bible dévoile l’erreur. Il n’y est question que de trois á quatre générations . Le nombre de « 7 » ou « 1000 » qu’on rencontre dans pas mal de textes autrement bien écrits a ses origines dans la propagande antisemite de la fin du dix neuvième siècle.
4.1.2020 von Adrian Prechtel - „Ein paar Worte nach Mitternacht“ heißt der Fall aus Berlin, in dem es um ein Brüderpaar geht, dessen gemeinsames Verbrechen thematisiert wird.
Auch für uns überzeugte Demokraten gibt es immer wieder aufrauende Momente, die auf gesunde Weise stutzig machen. Als die Kommissare Karow (Mark Waschke) und Rubin (Meret Becker) einen Überraschungsbesuch in einer Ostberliner Druckerei machen, um einen Tatverdächtigen aus dem Rechtsaußen-Lager zu vernehmen, treffen sie nur dessen Frau an. Und die haut ihnen einen Stakkato-Wutmonolog um die Ohren, der in wenigen, radikalen Minuten ein ganzes Ossi-Ohnmachtsgefühl zusammenfasst (eine Sternstundenszene des Drehbuchautoren Christoph Darnstädt): das Gefühl kolonisiert worden zu sein und der West-Selbstgerechtigkeit nichts entgegengesetzt zu haben.
Berliner Tatort zum Jubiläum der Wiedervereinigung
Der „Tatort - Ein paar Worte nach Mitternacht“ (Regie: Lena Knauss) ist am Wochenende des 30. Jahrestags der Wiedervereinigung natürlich nicht zufällig aus Berlin, wo die Trennlinie zwischen Ost und West mitten durch die Stadtgesellschaft lief.
Aber dieser „Tatort“ schultert auch noch den ganz großen Geschichtsbogen, indem er davon ausgeht, dass die letzten Zeitzeugen der NS-Zeit noch leben. Ein Brüderpaar war in der HJ und beging als 15-Jährige gemeinsam ein Verbrechen. Dann trennte sie DDR und BRD. Einer wurde als jetzt überzeugter Antifaschist hoher Stasi-Offizier (Friedhelm Ptok), ohne den Widerspruch wahrzunehmen, der andere ein erfolgreicher westdeutscher Bauunternehmer (Rolf Becker), der viel Geld und Energie in deutsch-jüdische Versöhnung und Aufklärung gegen Rechts gesteckt hat.
Geschickt geraten wir als Zuschauer in ein Familiennetz, in dessen Maschen sich alle Generationen verfangen haben, weil die Vergangenheit und ein blutiges Familiengeheimnis niemals aufgearbeitet wurde.
„Seid verflucht bis ins siebte Glied!“, droht das Alte Testament Frevlern und meint: Es braucht viele Generationen, um aus der Last von Schuld und Verbrechen herauszukommen, selbst wenn man sich der Geschichte und den Familiengeschichten dazu stellt.
Angenehmerweise ist dieser „Tatort“ aber kein politisch korrekter Geschichtsbetroffenheits-Krimi geworden, sondern ein dichtes psychologisches Geflecht bundesrepublikanischer Wirklichkeit. Eine junge Antifa-Aktivistin (Victoria Schulz) ist im Hintergrund – auch erotisch - treibende Kraft. Ihr Slogan: „Kein Vergeben! Kein Vergessen!“
Aber auch diese Haltung kann tödlich sein, auch wenn dieser intelligente „Tatort“ geschickt und überraschenderweise ohne Mord auskommt.
Luther-Bibel 1545, Das Alte Testament, Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium), Deuteronomium 5
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Luther,+Martin/Luther-Bibel+1545/Das+Alte+Testament/Das+f%C3%BCnfte+Buch+Mose+(Deuteronomium)/Deuteronomium+5
Du solt dir kein Bildnis machen einicher gleichnis / weder oben im Himel / noch vnten auff Erden / noch im Wasser vnter der Erden / Du solt sie nicht anbeten /noch jnen dienen. DEnn ich bin der HERR dein Gott / ein eiueriger Gott / Der die missethat der Veter heimsucht vber die Kinder / ins dritte vnd vierde Gliede / die mich hassen. Vnd Barmhertzigkeit erzeige in viel tausent / die mich lieben vnd meine Gebot halten.
cf. (quelques traductions plus récentes)
▻https://www.bibleserver.com/de/verse/5.Mose5,9
trad. 2017
9 Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,
10 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
Chez Louis Segond (1910) on découvre un problème de traduction. Chez Luther (1545 et 2017) il est question des milliers (de personnes) que dieu récompensera alors qu’il interprète la phrase (grèque ?) par mille générations . Il confirme par contre que dieu ne persécutera les enfants des infidèles que pendant quantre générations alors que le mythe antisemite agrandit le nombre à sept ou mille afin de rendre plus impressionnant l’esprit vindicatif du dieu de l’ancien testament juif.
9 Tu ne te prosterneras point devant elles, et tu ne les serviras point ; car moi, l’Éternel, ton Dieu, je suis un Dieu jaloux, qui punis l’iniquité des pères sur les enfants jusqu’à la troisième et à la quatrième génération de ceux qui me haïssent,
10 et qui fais miséricorde jusqu’en mille générations à ceux qui m’aiment et qui gardent mes commandements.
Conclusion - il faut arrêter de d’employer le nombre symbolique « 7 » dans ce contexte si on n’y ajoute pas une couche explicative ou ironique.
#Allemagne #Berlin #TV #film_policier #histoire #nazis #DDR #BRD #RFA #antisemitisme
Arnim, Ludwig Achim von, Biographie - Zeno.org
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Arnim,+Ludwig+Achim+von/Biographie
Dans la série how I met your mother ... ;-)
1802
...
Die Europareise führt ihn nach Wien, München und Frankfurt, wo die Brentanos leben. Dort begegnet er zum ersten Mal seiner späteren Frau Bettina Brentano.
Mit Clemens Brentano unternimmt Arnim eine Rheinreise.
#Allemagne #histoire #romantique #lettres #Bettina_von_Arnim
You went with me ... Erich Mühsam
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/M%C3%BChsam,+Erich/Lyrik+und+Prosa/Sammlung+1898-1928/Erster+Teil%3A+Verse/Weltschmerz+und+Liebe/Du+gingst+mit+mir+...
You went with me. The low sky threatened
and crept crouched closer from all sides.
A rock hound lay by the path, a scout
With flat belly and paw thrust forward.
Dulled stars stared wet and lazy
and coughed from age-sick lungs.
Ill-lit from a tattered cloud mouth
The moon hung yellow, the sky’s horny tongue ...
You went with me. The sea gurgled in the distance.
Signs of fire slipped from the hem of the world.
We felt the damp night air creeping around us
and trudged away from the fear of life,
intent on our last courage of existence,
that it might conquer the pale grey of the haunting. -
But before us a tree darkened the night,
That swayed its tops very precariously.
Dschuang Dsï - Die Gründe von Konfuzius’ Mißerfolg
▻http://www.zeno.org/Philosophie/M/Zhuang+Zi+(Dschuang+Dsi)/Das+wahre+Buch+vom+s%C3%BCdlichen+Bl%C3%BCtenland/2.+Exoterisches/Buch+XIV/4.+Die+Gr%C3%BCnde+von+Konfuzius%27+Mi%C3%9Ferfolg
Critiquez Lin, critiquez Confucius ;-)
Als Kung Dsï einst auf Reisen war im Lande We, fragte (sein Lieblingsjünger) Yen Hui den Musikmeister Gin von Lu und sprach: »Was hältst du vom Wandel unseres Meisters?«
Der Musikmeister Gin sprach: »Wie schade, daß dein Meister zu Mißerfolg verdammt ist!«
Yen Hui sprach: »Wieso?«
Der Musikmeister Gin sprach: »Ehe die strohernen Hunde (bei der Opferfeier für die Verstorbenen) aufgestellt werden, tut man sie in einen Schrein und umhüllt sie mit Stickereien. Der Totenpriester fastet und reinigt sich, um sie darzubringen. Sind sie aber erst einmal aufgestellt gewesen, so wirft man sie weg, also daß die Vorübergehenden ihnen auf Kopf und Rücken treten, und die Reisigsammler sie auflesen und verbrennen. Würde einer abermals sie nehmen und in einen Schrein setzen, sie umhüllen mit Stickereien, sich von seinen Geschäften zurückziehen und zu ihren Füßen schlafen, so würde er entweder Träume bekommen oder aber von Alpdrücken geplagt werden. Nun hebt dein Meister ebenfalls die schon aufgestellt gewesenen strohernen Hunde der früheren[160] Könige auf, sammelt Schüler um sich, zieht sich von seinen Geschäften zurück und schläft zu ihren Füßen. Darum mußte er erleben, daß im Lande Sung der Baum gefällt wurde, unter dem er sich aufhielt, daß er den Staub von den Füßen schütteln mußte im Lande We, daß er Mißerfolg hatte in Schang und Dschou. Sind das nicht üble Träume? Er wurde umringt auf der Grenze von Tschen und Tsai, also daß er sieben Tage lang kein warmes Essen hatte und zwischen Tod und Leben schwebte. Ist das nicht Alpdrücken?
Um auf dem Wasser voranzukommen, ist’s am besten, ein Schiff zu benützen; um aber auf dem Lande voranzukommen, benützt man am besten einen Wagen. Wenn einer, weil man mit einem Schiff auf dem Wasser vorankommen kann, darnach streben würde, es auf dem Lande zu schieben, so würde er sein Leben lang keinen Schritt vorwärts kommen. Die alten und die neuen Zeiten verhalten sich wie Wasser und Land. Die Einrichtungen der alten Dschoudynastie und die des heutigen Staates Lu verhalten sich zueinander wie Schiff und Wagen. Sucht man heute die Einrichtungen der alten Dschoudynastie im Lande Lu durchzuführen, so ist es gerade so, wie wenn man ein Schiff auf dem trockenen Lande voranschieben wollte. Es ist Mühe ohne Erfolg und bringt in persönliche Gefahr. Jener aber hat noch nicht erkannt, daß nur die Lehre, die auf keine bestimmten Verhältnisse zugeschnitten ist, den Dingen zu entsprechen vermag, ohne Mißerfolg zu haben.
Hast du denn noch nie einen Ziehbrunnen gesehen? Wenn man dran zieht, so neigt er sich; läßt man ihn los, so fährt er wieder in die Höhe. Er muß von Menschen gezogen werden; nicht kann er die Menschen ziehen. Darum neigt er sich und geht in die Höhe, ohne den Menschen zu widerstreben. Nun sind die Sitten und Gesetze der verschiedenen Herrscher des Altertums nicht dadurch groß, daß sie übereinstimmen, sondern dadurch, daß sie Ordnung zuwege brachten. Die Sitten und Gesetze jener Herrscher kann man vergleichen mit Mehlbeeren, Birnen, Apfelsinen und Pomeranzen. Ihr Geschmack ist ganz verschieden voneinander, und doch sind sie alle wohlschmeckend. So müssen sich die Sitten[161] und Gesetze den Zeiten anpassen und sich ändern. Wollte man heutzutage einen Affen nehmen und ihn kleiden in die Gewänder des Herzogs von Dschou, so würde er sie sicher zerbeißen und zerreißen und sich erst dann wieder wohlfühlen, wenn er ihrer allesamt wieder ledig wäre. Betrachtet man den Unterschied zwischen einst und jetzt, so ist er nicht geringer als der zwischen einem Affen und dem Herzog Dschou.
Als einst die schöne Si Schï im Herzen Kummer hatte, da zeigte sie ihrer ganzen Nachbarschaft eine gerunzelte Stirn. Das sah eine Häßliche und fand es schön. Sie ging heim und preßte auch die Hand aufs Herz und zeigte ihrer Nachbarschaft eine gerunzelte Stirn. Die reichen Leute ihrer Nachbarschaft, die sie sahen, verrammelten ihre Türen und wagten sich nicht hervor; die Armen, die sie sahen, nahmen Weib und Kind an der Hand und liefen vor ihr davon. Sie hatte erfaßt, daß Stirnrunzeln schön sein können, aber nicht, was sie schön macht.
Wie schade, daß dein Meister zu Mißerfolg verdammt ist!«
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland.
▻http://www.zeno.org/Philosophie/M/Zhuang+Zi+(Dschuang+Dsi)/Das+wahre+Buch+vom+s%C3%BCdlichen+Bl%C3%BCtenland/2.+Exoterisches/Buch+VIII/Wider+die+Kultur+I
Wider die Kultur I
Schwimmhäute zwischen den Zehen und ein sechster Finger an der Hand sind Bildungen, die über die Natur hinausgehen und für das eigentliche Leben überflüssig sind. Fettgeschwülste und Kröpfe sind Bildungen, die dem Körper äußerlich angewachsen und für die eigentliche Natur überflüssig sind. In allerhand Moralvorschriften Bescheid wissen und sie anwenden, ist ebenfalls etwas, das von außen her dem menschlichen Gefühlsleben hinzugefügt wird und nicht den Kern[103] von SINN und LEBEN trifft. Darum, wer Schwimmhäute am Fuße trägt, dessen Zehen sind einfach durch ein nutzloses Stück Fleisch verbunden; wer sechs Finger an der Hand hat, dem wächst einfach ein nutzloser Finger zu viel. Wer solche überflüssigen Auswüchse im innerlichen Gefühlsleben zeigt, der läßt sich hinreißen zu einem zügellosen Moralbetrieb und zu einem Gebrauch der Sinne, der das rechte Maß übersteigt. Denn solche überflüssige Verfeinerung des Gesichtssinnes führt zu weiter nichts als dazu, daß die natürlichen Farbenempfindungen in Unordnung geraten und man zu einem übertriebenen Kultus der Linien und Farben kommt. Wer des Guten zuviel tut in Beziehung auf den Gehörsinn, der bringt es zu nichts weiter als dazu, daß die natürlichen Gehörsempfindungen in Unordnung geraten und man zu einem übertriebenen Kultus musikalischer Verfeinerung kommt. Auswüchse der Moral führen zu nichts weiter, als daß man in willkürlicher Tugendübung die Natur unterbindet, um sich einen Namen zu machen, daß die ganze Welt mit Trommeln und Pfeifen einen als unerreichbares Vorbild rühmt. Überflüssige Pflege logischer Spitzfindigkeiten führt zu nichts weiter, als daß man (seine Beweise) wie Dachziegel aufeinanderschiebt oder wie Stricke zusammenbindet, daß man sich in seinen Sätzen verklausuliert und sich ergötzt an leeren begrifflichen Unterscheidungen und mit kleinen vorsichtigen Schritten überflüssige Sätze verteidigt. Das alles sind Methoden, so überflüssig wie Schwimmhäute und sechste Finger, und nicht geeignet, als Richtmaß der Welt zu dienen.
Das höchste Richtmaß vernachlässigt nicht die tatsächlichen Naturverhältnisse. Darum, wo es zusammenfaßt, bedarf es nicht der Schwimmhäute, wo es trennt, entstehen keine sechsten Finger. Das Lange ist für diesen Standpunkt nicht überflüssig, das Kurze nicht ungenügend. Die Beine einer Ente sind wohl kurz; wollte man sie strecken, so täte es ihr weh. Die Beine eines Kranichs sind wohl lang; wollte man sie kürzen, so empfände er Schmerz. Darum: was von Natur lang ist, soll man nicht kürzen; was von Natur kurz ist, soll man nicht strecken. Dann gibt es keinen Schmerz, den man beseitigen müßte. Ach, wie widerspricht doch die Moral der[104] menschlichen Natur! Was macht diese Moral doch für viele Schmerzen!
Aber freilich, wenn einer Schwimmhäute zwischen den Zehen hat und man will sie ihm durchschneiden, so weint er; wenn einer einen sechsten Finger an der Hand hat und man will ihn abbeißen, so schreit er. Im einen Fall hat er ein Glied zuviel, im andern Fall (weil durch eine Haut verbunden) ein Glied zuwenig; aber der Schmerz ist derselbe. Die moralischen Menschen von heutzutage jammern blinzelnden Auges über die Leiden der Welt. Die unmoralischen Menschen verkümmern den tatsächlichen Zustand ihrer Natur und gieren nach Ehre und Reichtum. Darum halte ich dafür, daß die Moral etwas ist, das nicht der menschlichen Natur entspricht. Was hat sie doch seit Anbeginn der Weltgeschichte für unnötige Verwirrung angerichtet!
Wer mit Haken und Richtschnur, mit Zirkel und Richtscheit die Leute recht machen will, der verkümmert ihre Natur; wer mit Stricken und Bändern, mit Leim und Kleister sie festigen will, der vergewaltigt ihr Wesen; wer Umgangsformen und Musik zurechtzimmert, um die Moral dadurch aufzuschmücken und so dem Herzen der Welt Trost zu spenden, der zerstört ihre ewigen Gesetze. Es gibt ewige Gesetze in der Welt, und was nach diesen ewigen Gesetzen krumm ist, das ist nicht durch einen Haken so geworden; was gerade ist, ist nicht durch eine Richtschnur so geworden; was rund ist, ist nicht durch einen Zirkel so geworden; was rechteckig ist, ist nicht durch das Richtscheit so geworden. Die Vereinigung des Getrennten bedarf nicht des Leims und des Kleisters, und die Verbindung bedarf nicht Strick noch Schlinge. Die gegenseitige Anziehung auf Erden entsteht, ohne zu wissen, warum sie entsteht; die Einheit wird erreicht, ohne zu wissen, wodurch sie erreicht wird. Vom Uranfang an bis auf den heutigen Tag war es nicht anders, und das soll man nicht verderben. Was hat hier nun die Moral zu schaffen mit ihren Einigungsmitteln, die nichts anderes sind als Leim und Kleister, Stricke und Schlingen? Was braucht sie sich einzudrängen in das Gebiet urewiger Naturordnungen? Sie bringt die Welt nur in Zweifel. Entstehen Zweifel über Nebendinge, so wird dadurch[105] die Richtung verschoben; entstehen Zweifel in wichtigen Sachen, so wird die Natur verschoben. Woher weiß ich, daß das so ist? Seit der große Schun die Moral herangezogen hat, um die Welt zu verwirren, rennt die ganze Welt den Geboten der Moral des Rechts und Unrechts nach, und die Moral verschiebt ihr Wesen. Ich werde versuchen, das genauer auszuführen.
Seit Anbeginn der Weltgeschichte gibt es niemand auf der Welt, der nicht durch die Außendinge sein Wesen verschieben ließe. Der Gemeine gibt sein Leben um des Gewinnes willen, der Richter gibt sein Leben her um des Ruhmes willen; der Heilige gibt sein Leben her um der Welt willen. Alle diese Herren stimmen zwar nicht überein in ihren Beschäftigungen und nehmen einen verschiedenen Rang ein in der Schätzung der Menschen, aber was die Verletzung der Natur und die Preisgabe des Lebens anlangt, darin sind sie sich gleich.
Ein Knecht und eine Magd hüteten einmal miteinander Schafe, und beide verloren sie ihre Schafe. Als man den Knecht fragte, was er getrieben, da hatte er Bücher mitgenommen und gelesen; als man die Magd fragte, was sie getrieben, da hatte sie sich mit Würfelspiel vergnügt. Die beiden stimmten zwar nicht überein in ihren Beschäftigungen, aber was das Verlieren der Schafe anbelangt, waren sie einander gleich.
Bo I starb um des Ruhmes willen am Fuße des Schou-Yang-Berges; der Räuber Dschï starb um des Gewinnes willen auf dem Gipfel des Osthügels. Die beiden Leute stimmten zwar nicht überein in dem, wofür sie starben; aber darin, daß sie ihr Leben vernichteten und ihr Wesen verletzten, waren sie sich gleich. Was hat es nun für einen Sinn, dem Bo I recht zu geben und dem Räuber Dschï unrecht? Alle Menschen auf der Welt geben ihr Leben preis. Ist das, wofür einer sein Leben hergibt, die Moral, so ist es Sitte, ihn einen großen Mann zu nennen; gibt er sein Leben her für Geld und Gut, so ist es Sitte, ihn einen gemeinen Kerl zu nennen; aber die Preisgabe des Lebens ist dieselbe. Und dabei soll der eine ein großer Mann sein und der andere ein gemeiner Kerl? In der Art, wie er sein Leben vernichtete und sein Leben zu Schaden brachte, war der Räuber Dschï auch so etwas wie Bo I. Wie[106] will man also den großen Mann und den gemeinen Mann unter den beiden herausfinden?
Daß nun einer seine Natur der Moral unterordnet, und ob er es noch so weit darin brächte, ist nicht das, was ich gut nenne. Daß einer seine Natur dem Geschmackssinn unterordnet, und wenn er es noch so weit darin brächte, ist nicht das, was ich gut nenne. Daß einer seine Natur den Tönen unterordnet, und wenn er es darin noch so weit brächte, ist nicht das, was ich Hören nenne. Daß einer seine Natur den Farben unterordnet, und wenn er es noch so weit darin brächte, ist nicht das, was ich Schauen nenne. Was ich gut nenne, hat mit der Moral nichts zu tun, sondern ist einfach Güte des eigenen Geistes. Was ich gut nenne, hat mit dem Geschmack nichts zu tun, sondern ist einfach das Gewährenlassen der Gefühle des eigenen Lebens. Was ich Hören nenne, hat mit dem Vernehmen der Außenwelt nichts zu tun, sondern ist einfach Vernehmen des eigenen Innern. Was ich Schauen nenne, hat mit dem Sehen der Außenwelt nichts zu tun, sondern ist einfach Sehen des eigenen Wesens. Wer nicht sich selber sieht, sondern nur die Außenwelt; wer nicht sich selbst besitzt, sondern nur die Außenwelt: der besitzt nur fremden Besitz und nicht seinen eigenen Besitz, der erreicht nur fremden Erfolg und nicht seinen eigenen Erfolg. Wer fremden Erfolg erreicht und nicht seinen eigenen Erfolg, dessen Erfolg ist, ganz einerlei, ob er der Räuber Dschï heißt oder Bo I, unwahr und falsch, und ich würde mich seiner schämen angesichts der urewigen Naturordnungen. Darum halte ich mich auf der einen Seite zurück von allem Moralbetrieb und auf der andern Seite von allem zügellosen und unwahren Wandel.
Übersetzung von Richard Wilhelm
Zhuangzi
▻https://de.m.wikipedia.org/wiki/Zhuangzi
Zhuāngzǐ (chinesisch 莊子 / 庄子, W.-G. Chuang-tzu; * um 365 v. Chr.; † 290 v. Chr.) bedeutet „Meister Zhuang“. Sein persönlicher Name war Zhuāng Zhōu (莊周 / 庄周). Zhuangzi war ein chinesischer Philosoph und Dichter. Ein berühmtes, zu Teilen von seiner Hand stammendes Werk wird ebenfalls „Zhuangzi“ genannt. Es bekam im Zuge der Verehrung Zhuang Zhous als daoistischer Heiliger im Jahre 742 unter Kaiser Xuanzong auch noch den Ehrentitel „Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“ (南華眞經 / 南华真经, Nánhuā zhēnjīng, abgekürzt 南華經 / 南华经, Nánhuājīng).
Chunqiu : Frühling und Herbst des Lü Buwei (呂氏春秋 / 吕氏春秋, . Lüshi chūnqiū) 2. Kapitel Anpassung an das Leben
▻http://www.zeno.org/Philosophie/M/L%C3%BC+Bu+Wei/Chunqiu+-+Fr%C3%BChling+und+Herbst+des+L%C3%BC+Bu+We/Erster+Teil/Buch+I+-+Mong+Tschun+Gi/2.+Kapitel
A propos de l’armement, au moment de la publication du receuil son directeur Lǚ Bùwéi (呂不韋 / 吕不韦) avait déjà subi le même sort que Walter Benjamin.
Die Weltleute, die den Reichtum wichtig nehmen, sind in Beziehung auf die Genüsse der Sinne ganz verblendet. Wenn man Tag und Nacht nach Glück strebt und es erlangt, so wird man zügellos. Aber wie will ein zügelloser Mensch es machen, daß sein Leben nicht verdirbt? Wenn 10000 Leute den Bogen ergreifen und gemeinsam nach einem Ziel schießen, so wird das Ziel sicher getroffen. Wenn 10000 Dinge gleißen und scheinen, um ein Leben zu verderben, so wird dieses Leben sicher verderben. Wenn aber alles dazu mithilft, dieses eine Leben zu fördern, so wird dieses Leben sicher lange dauern. Darum richtet der Weise den Gebrauch aller Dinge so ein, daß sie sein vom Himmel gegebenes Leben vollenden. Wer dieses Leben vollendet, dessen Geist kommt in Harmonie, sein Auge wird klar, sein Ohr verständig, sein Geruch fein, sein Geschmack scharf, und alle seine Glieder werden gewandt und frei. Ein solcher Mann findet Glauben, ohne zu reden, trifft das Rechte, ohne sich vorher zu überlegen, findet sein Ziel, ohne sich vorher zu besinnen. Denn sein Geist durchdringt Himmel und Erde, und sein Verstand umfaßt das Weltall. Er steht den Dingen so gegenüber, daß alle zu seiner Verfügung stehen und ihm dienen müssen; er gleicht darin Himmel und Erde. Ist er hoch droben auf dem Königsthron, so wird er nicht stolz; ist er tief drunten als gemeiner Mann, so wird er nicht traurig darüber. Von einem solchen Mann kann man sagen, daß er seinen Charakter vollkommen gemacht hat. Ehre und Reichtum ohne die Erkenntnis, daß Wohlhabenheit ins Elend führt, ist schlimmer als Armut und Niedrigkeit. Denn wer arm und niedrig ist, dem fällt es schwer, die Dinge an sich zu raffen. Selbst wenn er Luxus treiben wollte, wie könnte[5] er’s denn? Auf der Straße der Wagen und im Hause der Fahrstuhl, man sucht sie, um es sich selbst bequem zu machen, aber sie heißen Maschinen zur Herbeiführung der Lähmung. Fettes Fleisch und alter Wein, man sucht sie, um sich selbst zu stärken, aber man heißt sie Gifte, die die Eingeweide faulen machen. Zarte Wangen und weiße Zähne und die verführerischen Töne von Tschong und We, man sucht sie, um sich selbst zu ergötzen, aber sie heißen die Axt, die das Leben fällt. Aber diese drei Übel sind die Folgen von Ehre und Reichtum. Darum gab es unter den Menschen des Altertums solche, die sich weigerten, geehrt und reich zu werden, weil sie das Leben wichtig nahmen. Wer sich nicht durch eitle Namen betören lassen will, sondern die Wirklichkeit wichtig nimmt, der darf diese Mahnung nicht unbeachtet lassen.
▻https://zh.m.wikipedia.org/wiki/%E5%90%95%E6%B0%8F%E6%98%A5%E7%A7%8B
Über die allmähliche Verfertigung
der Gedanken beim Reden
Heinrich von Kleist an R[ühle] v. L[ilienstern]
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Kleist,+Heinrich+von/%C3%84sthetische,+philosophische+und+politische+Schriften/%C3%9Cber+die+allm%C3%A4hliche+Verfertigung+der+Gedanken+beim+Reden?hl=kleist+
A propos de la relation de la pensée et du discours public, avec des références à Honoré-Gabriel Riqueti de Mirabeau et Jean de La Fontaine
Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen. Ich sehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man habe dir in frühern Jahren den Rat gegeben, von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits verstehst. Damals aber sprachst du wahrscheinlich mit dem Vorwitz, andere, ich will, daß du aus der verständigen Absicht sprechest, dich zu belehren, und so könnten, für verschiedene Fälle verschieden, beide Klugheitsregeln vielleicht gut nebeneinander bestehen. Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l’idée vient en parlant. Oft sitze ich an meinem Geschäftstisch über den Akten, und erforsche, in einer verwickelten Streitsache, den Gesichtspunkt, aus welchem sie wohl zu beurteilen sein möchte. Ich pflege dann gewöhnlich ins Licht zu sehen, als in den hellsten Punkt, bei dem Bestreben, in welchem mein innerstes Wesen begriffen ist, sich aufzuklären. Oder ich suche, wenn mir eine algebraische Aufgabe vorkommt, den ersten Ansatz, die Gleichung, die die gegebenen Verhältnisse ausdrückt, und aus welcher sich die Auflösung nachher durch Rechnung leicht ergibt. Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt, und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne sagte; denn sie kennt weder das Gesetzbuch, noch hat sie den Euler, oder den Kästner studiert. Auch nicht, als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf[453] welchen es ankommt, wenn schon dies letzte häufig der Fall sein mag. Aber weil ich doch irgendeine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis, zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist. Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei ist mir nichts heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte; denn mein ohnehin schon angestrengtes Gemüt wird durch diesen Versuch von außen, ihm die Rede, in deren Besitz es sich befindet, zu entreißen, nur noch mehr erregt, und in seiner Fähigkeit, wie ein großer General, wenn die Umstände drängen, noch um einen Grad höher gespannt. In diesem Sinne begreife ich, von welchem Nutzen Molière seine Magd sein konnte; denn wenn er derselben, wie er vorgibt, ein Urteil zutraute, das das seinige berichten konnte, so ist dies eine Bescheidenheit, an deren Dasein in seiner Brust ich nicht glaube. Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns einen halbausgedrückten Gedanken schon als begriffen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben. Ich glaube, daß mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen.
Mir fällt jener »Donnerkeil« des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23. Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? »Ja«, antwortete Mirabeau, »wir haben des Königs Befehl vernommen« – ich bin gewiß, daß er bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: »ja, mein Herr«, wiederholte er, »wir haben ihn vernommen« – man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. »Doch was berechtigt Sie« – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – »uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.« – Das war es was er brauchte! »Die Nation gibt Befehle und empfängt keine« – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. »Und damit ich mich Ihnen ganz deutlich erkläre« – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: »so sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsre Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.« – Worauf er sich, selbst zufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte. – Wenn man an den Zeremonienmeister denkt, so kann man sich ihn bei diesem Auftritt nicht anders, als in einem völligen Geistesbankrott vorstellen; nach einem ähnlichen Gesetz, nach welchem in einem Körper, der von dem elektrischen Zustand Null ist, wenn er in eines elektrisierten Körpers Atmosphäre kommt, plötzlich die entgegengesetzte Elektrizität erweckt wird. Und wie in dem elektrisierten dadurch, nach einer Wechselwirkung, der ihm inwohnende Elektrizitätsgrad wieder verstärkt wird, so ging unseres Redners Mut, bei der Vernichtung seines Gegners, zur verwegensten Begeisterung über.
Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung der Dinge bewirkte. Man liest, daß Mirabeau, sobald der Zeremonienmeister sich entfernt hatte, aufstand, und[455] vorschlug: 1) sich sogleich als Nationalversammlung, und 2) als unverletzlich, zu konstituieren. Denn dadurch, daß er sich, einer Kleistischen Flasche gleich, entladen hatte, war er nun wieder neutral geworden, und gab, von der Verwegenheit zurückgekehrt, plötzlich der Furcht vor dem Chatelet, und der Vorsicht, Raum. – Dies ist eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen den Erscheinungen der physischen und moralischen Welt, welche sich, wenn man sie verfolgen wollte, auch noch in den Nebenumständen bewähren würde. Doch ich verlasse mein Gleichnis, und kehre zur Sache zurück. Auch Lafontaine gibt, in seiner Fabel: Les animaux malades de la peste, wo der Fuchs dem Löwen eine Apologie zu halten gezwungen ist, ohne zu wissen, wo er den Stoff dazu hernehmen soll, ein merkwürdiges Beispiel von einer allmählichen Verfertigung des Gedankens aus einem in der Not hingesetzten Anfang. Man kennt diese Fabel. Die Pest herrscht im Tierreich, der Löwe versammelt die Großen desselben, und eröffnet ihnen, daß dem Himmel, wenn er besänftigt werden solle, ein Opfer fallen müsse. Viele Sünder seien im Volke, der Tod des größesten müsse die übrigen vom Untergang retten. Sie möchten ihm daher ihre Vergehungen aufrichtig bekennen. Er, für sein Teil gestehe, daß er, im Drange des Hungers, manchem Schafe den Garaus gemacht; auch dem Hunde, wenn er ihm zu nahe gekommen; ja, es sei ihm in leckerhaften Augenblicken zugestoßen, daß er den Schäfer gefressen. Wenn niemand sich größerer Schwachheiten schuldig gemacht habe, so sei er bereit zu sterben. »Sire«, sagt der Fuchs, der das Ungewitter von sich ableiten will, »Sie sind zu großmütig. Ihr edler Eifer führt Sie zu weit. Was ist es, ein Schaf erwürgen? Oder einen Hund, diese nichtswürdige Bestie?« Und: »quant au berger«, fährt er fort, denn dies ist der Hauptpunkt: »on peut dire«, obschon er noch nicht weiß was? »qu’il méritoit tout mal«, auf gut Glück; und somit ist er verwickelt; »étant«, eine schlechte Phrase, die ihm aber Zeit verschafft: »de ces genslà«, und nun erst findet er den Gedanken, der ihn aus der Not reißt: »qui sur les animaux se font un chimérique empire.« –[456] Und jetzt beweist er, daß der Esel, der blutdürstige! (der alle Kräuter auffrißt) das zweckmäßigste Opfer sei, worauf alle über ihn herfallen, und ihn zerreißen. – Ein solches Reden ist ein wahrhaftes lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen nebeneinander fort, und die Gemütsakten für eins und das andere, kongruieren. Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade des Geistes, sondern wie ein zweites, mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Achse. Etwas ganz anderes ist es wenn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist. Denn dann muß er bei seiner bloßen Ausdrückung zurückbleiben, und dies Geschäft, weit entfernt ihn zu erregen, hat vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von seiner Erregung abzuspannen. Wenn daher eine Vorstellung verworren ausgedrückt wird, so folgt der Schluß noch gar nicht, daß sie auch verworren gedacht worden sei; vielmehr könnte es leicht sein, daß die verworrenst ausgedrückten grade am deutlichsten gedacht werden. Man sieht oft in einer Gesellschaft, wo durch ein lebhaftes Gespräch, eine kontinuierliche Befruchtung der Gemüter mit Ideen im Werk ist, Leute, die sich, weil sie sich der Sprache nicht mächtig fühlen, sonst in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich mit einer zuckenden Bewegung, aufflammen, die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches zur Welt bringen. Ja, sie scheinen, wenn sie nun die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen haben, durch ein verlegnes Gebärdenspiel anzudeuten, daß sie selbst nicht mehr recht wissen, was sie haben sagen wollen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Leute etwas recht Treffendes, und sehr deutlich, gedacht haben. Aber der plötzliche Geschäftswechsel, der Übergang ihres Geistes vom Denken zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben, die zur Festhaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen erforderlich war, wieder nieder. In solchen Fällen ist es um so unerläßlicher, daß uns die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand sei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von uns geben können, wenigstens so[457] schnell, als möglich, aufeinander folgen zu lassen. Und überhaupt wird jeder, der, bei gleicher Deutlichkeit, geschwinder als sein Gegner spricht, einen Vorteil über ihn haben, weil er gleichsam mehr Truppen als er ins Feld führt. Wie notwendig eine gewisse Erregung des Gemüts ist, auch selbst nur, um Vorstellungen, die wir schon gehabt haben, wieder zu erzeugen, sieht man oft, wenn offene, und unterrichtete Köpfe examiniert werden, und man ihnen ohne vorhergegangene Einleitung, Fragen vorlegt, wie diese: was ist der Staat? Oder: was ist das Eigentum? Oder dergleichen. Wenn diese jungen Leute sich in einer Gesellschaft befunden hätten, wo man sich vom Staat, oder vom Eigentum, schon eine Zeitlang unterhalten hätte, so würden sie vielleicht mit Leichtigkeit durch Vergleichung, Absonderung, und Zusammenfassung der Begriffe, die Definition gefunden haben. Hier aber, wo diese Vorbereitung des Gemüts gänzlich fehlt, sieht man sie stocken, und nur ein unverständiger Examinator wird daraus schließen daß sie nicht wissen. Denn nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß. Nur ganz gemeine Geister, Leute, die, was der Staat sei, gestern auswendig gelernt, und morgen schon wieder vergessen haben, werden hier mit der Antwort bei der Hand sein. Vielleicht gibt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vorteilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Examen. Abgerechnet, daß es schon widerwärtig und das Zartgefühl verletzend ist, und daß es reizt, sich stetig zu zeigen, wenn solch ein gelehrter Roßkamm uns nach den Kenntnissen sieht, um uns, je nachdem es fünf oder sechs sind, zu kaufen oder wieder abtreten zu lassen: es ist so schwer, auf ein menschliches Gemüt zu spielen und ihm seinen eigentümlichen Laut abzulocken, es verstimmt sich so leicht unter ungeschickten Händen, daß selbst der geübteste Menschenkenner, der in der Hebeammenkunst der Gedanken, wie Kant sie nennt, auf das meisterhafteste bewandert wäre, hier noch, wegen der Unbekanntschaft mit sei nem Sechswöchner, Mißgriffe tun könnte. Was übrigens solchen jungen Leuten, auch selbst den[458] unwissendsten noch, in den meisten Fällen ein gutes Zeugnis verschafft, ist der Umstand, daß die Gemüter der Examinatoren, wenn die Prüfung öffentlich geschieht, selbst zu sehr befangen sind, um ein freies Urteil fällen zu können. Denn nicht nur fühlen sie häufig die Unanständigkeit dieses ganzen Verfahrens: man würde sich schon schämen, von jemandem, daß er seine Geldbörse vor uns ausschütte, zu fordern, viel weniger, seine Seele: sondern ihr eigener Verstand muß hier eine gefährliche Musterung passieren, und sie mögen oft ihrem Gott danken, wenn sie selbst aus dem Examen gehen können, ohne sich Blößen, schmachvoller vielleicht, als der, eben von der Universität kommende, Jüngling gegeben zu haben, den sie examinierten.
(Die Fortsetzung folgt.)
Quelle: Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 385,460.
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Honoré-Gabriel Riqueti de Mirabeau
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Arnim, Ludwig Achim von - Zeno.org
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Arnim,+Ludwig+Achim+von
Confucius, The Analects - 2 | US-China Institute
▻https://china.usc.edu/confucius-analects-2
Ah, le vieux rusé essaye encore de nous faire marcher ;-)
The Master said, "At fifteen, I had my mind bent on learning. "At thirty, I stood firm. "At forty, I had no doubts. "At fifty, I knew the decrees of Heaven. "At sixty, my ear was an obedient organ for the reception of truth. “At seventy, I could follow what my heart desired, without transgressing what was right.”
Kong Fu Zi (Konfuzius) -> Lunyu - Gespräche -> Buch II -> 4. Stufen der Entwicklung des Meisters
▻http://www.zeno.org/Philosophie/M/Kong+Fu+Zi+(Konfuzius)/Lunyu+-+Gespr%C3%A4che/Buch+II/4.+Stufen+der+Entwicklung+des+Meisters
Der Meister sprach: »Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich[42] keine Zweifel mehr, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr aufgetan, mit siebzig konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu übertreten.«
Der Mond
▻http://www.zeno.org/Literatur/M/Morgenstern,+Christian/Gedichte/Galgenlieder/4./Der+Mond
Als Gott den lieben Mond erschuf,
gab er ihm folgenden Beruf:
Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen
sich deutschen Lesern zu bequemen,
ein [A] formierend und ein [Z] –
daß keiner groß zu denken hätt.
Befolgend dies, ward der Trabant
ein völlig deutscher Gegenstand.
Bundesweite Razzia gegen Letzte Generation : Vier Durchsuchungen in Berlin
▻https://www.berliner-zeitung.de/news/bundesweite-razzia-gegen-letzte-generation-polizei-bayerisches-lka-
On peut compter sur l’état allemand et ses partis politiques : dès qu’un mouvement contestataire aussi non-violent et paisible qu’il soit atteint un niveau de notoriété suffisant on l’écrase par des mesures de criminalisation et la persécution de ses membres.
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht , Meyers Großes Konversations-Lexikon 6. Auflage 1905–1909
▻http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Ruhe+ist+die+erste+B%C3%BCrgerpflicht
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, geflügeltes Wort, das sich an die Schlußworte der Kundgebung des Gouverneurs von Berlin, Friedrich Wilhelm, Grafen von der Schulenburg (s. d.), anlehnt, mit der dieser 18. Okt. 1806 den Berlinern die Niederlagen von Jena und Auerstädt kundgab. Deren letzte Worte lauteten: »Die erste Bürgerpflicht ist Ruhe«. Willibald Alexis (s. Häring 1) schrieb einen Roman: »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« (Berl. 1852).
C’est une des valeurs éternelles allemandes. Les razzias contre la dernière génération ne constituent qu’une mise à jour du procédé vieux de deux siècles.
24.5.2023 von Barkey, AFP, dpa, Sophie - Am Mittwochmorgen finden Durchsuchungen in sieben Bundesländern gegen die Letzte Generation statt. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Einsatzkräfte von Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Mittwochmorgen in sieben Bundesländern Durchsuchungen bei der Klimaschutzgruppe Letzte Generation durchgeführt. Das teilte das Bayerische Landeskriminalamt mit. Demnach habe die bayerische Justiz ab 7 Uhr 15 Wohnungen von Mitgliedern der Letzten Generation durchsuchen lassen. Die sieben Beschuldigten sind zwischen 22 und 38 Jahre alt. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Betroffen seien neben Bayern auch Berlin, Hamburg, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. In Berlin sei es zu vier Durchsuchungen gekommen. Das geht aus einem Bericht des Spiegels hervor. Auch Konten seien beschlagnahmt worden. Zudem wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet, wie ein Polizeisprecher sagte.
Laut Polizei waren bundesweit etwa 170 Beamte im Einsatz. Die Durchsuchungen verliefen ersten Informationen nach friedlich. Die Klimaaktivisten der Letzten Generation wollen sich am Mittag zu den Hausdurchsuchungen äußern. Auf Twitter fragen die Aktivisten als Reaktion auf die Razzia, wann „Lobbystrukturen“ durchsucht und „fossile Gelder der Regierung“ beschlagnahmt würden.
Zahlreiche Strafanzeigen: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung
Hintergrund der Aktion ist ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft, welches sich den Angaben zufolge gegen die sieben Beschuldigten richtet. Gegen sie werde wegen des Tatvorwurfes der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Das Verfahren wurde der Anklagebehörde zufolge „aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung, die seit Mitte des Jahres 2022 eingingen“, eingeleitet.
Konkret wird den Beschuldigten zur Last gelegt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung „weiterer Straftaten“ für die Letzte Generation organisiert, diese über deren Homepage beworben und dadurch mindestens 1,4 Millionen Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Das Geld sei auch überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden, hieß es. Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.
Richtiges Signal oder überzogen? Reaktionen auf Razzia gespalten
Die Deutsche Polizeigewerkschaft hat die Durchsuchungen von Objekten der Klimaschutzgruppe Letzte Generation gutgeheißen. „Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt am Mittwoch in Berlin. „Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen.“ Die Gewerkschaft begrüße das konsequente Handeln der bayerischen Justiz.
Aktivisten von Extinction Rebellion haben sich indes mit den Beschuldigten solidarisiert. „Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam“, schrieben die Umweltaktivisten am Mittwoch auf Twitter und bekundeten ihre Unterstützung. Razzien mit dem Strafrechtsparagrafen 129 zu begründen – der Bildung krimineller Vereinigungen – solle „umfassende Überwachung ermöglichen, Rechte und Demokratie aushebeln und vor allem: von den wahren Kriminellen ablenken“, erklärte Extinction Rebellion weiter.
Razzien mit Pa. 129 zu begründen soll eines - umfassende Überwachung ermöglichen, Rechte und Demokratie aushebeln und vor allem: von den wahren Kriminellen ablenken.
Lobbys und Konzernen legen wir das Handwerk nur gemeinsam, Soli mit @AufstandLastGen! ▻https://t.co/GXVjAQ2Kza
— Extinction Rebellion DE #Frühlingsrebellion (@ExtinctionR_DE) May 24, 2023
Der stellvertretende Vorsitzende der Linken, Lorenz Gösta Beutin, bezeichnete die Durchsuchungen bei der Letzten Generation als überzogen. „Die Menschen, die sich der sogenannten Letzten Generation zurechnen, setzen auf friedlichen zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakatastrophe und das Versagen der Bundesregierung aufmerksam zu machen“, sagte Beutin. Probleme für die Gesellschaft und die Zerstörung der Lebensgrundlagen produzierten diejenigen, die Lobbypolitik für Konzerne machten. „Wann findet die Razzia bei den Herren Lindner und Wissing statt und bei all denen, die mit ihrem Bremsen beim Klimaschutz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 ignorieren?“, kritisierte der Linken-Politiker mit Blick auf die beiden Bundesminister der FDP.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schrieb auf Twitter: „Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht.“ Mit einer großangelegten Razzia waren Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwoch gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation vorgegangen.
Klimaschutz ist ein richtiges und drängendes Anliegen. Klimaschutz gegen Rechtsstaat, Demokratie und die Bevölkerung dagegen nicht. #LetzteGeneration
— Bettina Stark-Watzinger (@starkwatzinger) May 24, 2023
Letzte Großrazzia bei Letzter Generation im Dezember
Polizei und Staatsanwaltschaft hatten bereits am 13. Dezember 2022 elf Wohnungen und Räume von Mitgliedern der Letzten Generation in mindestens sechs Bundesländern durchsucht. Grund dafür waren mehrere Attacken von Klimaaktivisten auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt, wie die Staatsanwaltschaft erläuterte. Dabei sei unter anderem die Ölzufuhr unterbrochen worden. In einigen Fällen sei es damals nur beim Versuch geblieben.