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      https://www.heise.de/tp/features/Nato-und-Russland-Blick-in-den-Abgrund-6513994.html

      […]

      Selbsttäuschung, mit der Konsequenz einer Täuschung der Öffentlichkeit hat ihren Kern im Bruch der mündlichen Vereinbarungen der Westmächte und der damaligen Sowjetunion aus den Jahren 1989 und 1990 während der Verhandlungen über die Aufnahme der DDR in das Nato-Land Bundesrepublik Deutschland.

      Dazu hielt damals der Staatssekretär im Bundesaußenministerium Jürgen Chrobog (FDP) als Verhandlungsresultat fest:

      Wir haben in den Zwei-plus-vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten. Jürgen Chrobog

      Heute erklären die Nato-Kräfte und ihre Unterstützer wie Bundesaußenministerin Baerbock, es sei Russland, das die Sicherheitsarchitektur Europas infrage stelle, indem es ein “System der Mächterivalität und Einflusssphären” einfordere, denn: “Über den Weg, den ein Land gehen will, können nur das Land selbst, und vor allen Dingen seine Menschen entscheiden.”

      Das ist ein leicht durchschaubares Narrativ zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Es klingt auf den ersten Blick plausibel, weshalb es seine Wirkung erzielt. Natürlich hat die Nato immer mitzuentscheiden, wen sie als Alliierten aufnimmt und wen nicht. Das ist nicht nur die Entscheidung des Staates, der sich um Aufnahme bewirbt. Ohne Einladung, ohne Aufnahmebereitschaft kommt es nicht zur Aufnahme; das zeigt schließlich schon der Umgang der EU mit dem Aufnahmeantrag der Türkei.

      Darum beharrt Russland auf schriftliche Vereinbarungen

      Wenn die Nato erklärt, die Aufnahme der Ukraine stehe aktuell nicht an, ist das für Russland nicht befriedigend. Es erinnert daran, wie die Westmächte mit ihren Erklärungen gegenüber der Sowjetunion während der Verhandlungen zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten umgingen, indem sie die abgesprochenen Inhalte nicht in die von beiden Seiten unterschriebenen vertraglichen Regelung aufnahmen.

      Damals war Michail Gorbatschow wohl zu gutgläubig, dass Worte seiner Verhandlungspartner gelten. Wäre das Thema damals juristisch sauber geführt worden, dann wäre die aktuelle Kriegsgefahr gar nicht erst entstanden. Implizit ist diese Frage allerdings sehr wohl völkerrechtlich zu bewerten.

      Mit ihrer Politik, das auszublenden, hebeln die Nato und die sie unterstützenden Kräfte – auch in der Ampel-Koalition – nicht nur die Vereinbarungen aus, die die Einheit der beiden deutschen Staaten erst möglich gemacht haben. Und sie verkaufen die von ihnen selbst praktizierte Aufkündigung der zum Ende des Kalten Krieges 1990 vereinbarten Sicherheitsarchitektur als deren Aufrechterhaltung.

      Der stoische Verweis auf die Verteidigung von “Souveränität”, “Freiheit” und “Demokratie” könnte den Kontinent dem Risiko eines Atomkriegs aussetzen. Denn die Spannungen, die sich aus der Verletzung unter anderem der Abmachungen von 1990 ergeben, führen zu Konfliktsituationen, die von beteiligten Akteuren schon selbst als gefährlich nahe an einem dritten großen Krieg in Europa seit 100 Jahren gekennzeichnet werden, wie man auch aus den Zitaten aus der Münchner Sicherheitskonferenz ersehen kann.

      Während dieser Konferenz warfen westliche Politiker Russland vor, es plane eine fingierte Situation herbei, um einen Angriff auf die Ukraine zu legitimieren: Nato-Generalsekretär Stoltenberg sprach von "Anzeichen, dass ‘Russland sich darauf vorbereitet, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu schaffen’. Die zunehmenden Waffenstillstandsverstöße in der Ostukraine, die ‘falschen Anschuldigungen’ eines ‘Genozids’ im Donbass und die Evakuierung der von den prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete seien ‘beunruhigende Zeichen’.

      […]

      #Ukraine #Russie #Allemagne 1990 #OTAN #NATO
      #Donbass

  • Impfpflicht : Freiheit, die gemeint ist
    https://www.heise.de/tp/features/Impfpflicht-Freiheit-die-gemeint-ist-6302651.html?seite=all

    Pouquoi et comment l’épidémie du coronavirus a provoqué la naissance d’un mouvement contestataire sans orientation politique traitionnelle

    25.12.2021 von Georg Schuster - Der liberale Rechtsstaat gerät zusehends mit den Freiheitsrechten seiner Bürger in Konflikt

    Die gesetzgeberisch angedachte allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 und ihre Einführung bei bestimmten Berufsgruppen sowie die Politik der Einschränkungen für Ungeimpfte verschärfen den gesellschaftlichen Streit um die Corona-Maßnahmen.

    Nachträge zu : Freiheit, die gemeint ist
    https://www.heise.de/tp/features/Nachtraege-zu-Freiheit-die-gemeint-ist-6318515.html?seite=all

    Was die Querdenker eint
    https://www.heise.de/tp/features/Was-die-Querdenker-eint-6351309.html?seite=all

    Die Freiheit, die sie meinen und die sie verbindet, ist der Widerhall dessen, was der demokratische Rechtsstaat unter diesem Titel proklamiert und ins Werk setzt. Lauter Konkurrenzbürger treiben sich unter seiner Obhut herum, deren gegensätzliche Interessen er im Namen dieses hohen Werts als Rechte bewilligt.

    Folglich nehmen auch demokratische Untertanen für ihre widerstreitenden Anliegen den Titel in Anspruch. Kein Wunder, dass Impfgegner glauben, mit dem Ruf „Mein Körper, meine Freiheit, mein Recht!“, der kein Virus beeindruckt, alles Nötige gesagt zu haben.

    Neben der falschen Sicherheit, in der sie sich damit wiegen, übersehen sie allerdings, dass der Staat ihnen die private Sorge um ihre Gesundheit normalerweise zwar gerne zuschiebt (und dies für Normalverdiener, denen dazu die Mittel fehlen, mit einer Zwangsversicherung bezahlbar macht).

    Im Fall einer Epidemie aber, wo die Infizierten selber zu einer Krankheitsursache werden, überlässt er die Gesundheit nicht dem persönlichen Ermessen, sondern verpflichtet es auf seine Prioritäten. Daran wird im Prinzip ersichtlich, was die Querdenker nicht oder ganz anders sehen wollen, wenn sie die Freiheit für ein naturgegebenes, den Staat bindendes Recht halten.

    Von wegen: Es ist die ideologische Fassung seiner Konzessionen, mit denen er die kapitalistische Gesellschaft beherrscht und verwaltet.

    #covid-19 #coronavirus #épidémie #pandémie #révolte #idéiligie #maladie #capitalisme

  • Gorillas & Co: Amsterdam und Rotterdam verbieten Lagerräume von Lieferdiensten
    https://www.heise.de/news/Amsterdam-und-Rotterdam-verbieten-Lagerraeume-von-Online-Diensten-6348069.html

    Rotterdam verbietet vorläufig die Einrichtung von Lagerräumen, sogenannten Dark Stores, von Online-Lieferdiensten. Bürger klagten über Lärm, blockierte Gehwege und Gefahren im Verkehr, begründete die Stadt am Donnerstag das Verbot. Auch Amsterdam hatte bereits in der vergangenen Woche ein Verbot der Läden angekündigt.
    Läden mit verklebten Fenstern

    Neue Online-Lieferdienste versprechen, Einkäufe innerhalb von zehn Minuten bei Kunden zu Hause abzuliefern. Um das Versprechen zu halten, müssen sie aber ihre Lager auch in Wohnvierteln haben. Diese werden auch „Dark Stores“ genannt, weil die Fenster meist mit schwarzen Folien zugeklebt sind.

    Niederländer in Großstädten klagen zunehmend über die Super-Schnell-Fahrradkuriere. Sie sorgten für Unfälle im Verkehr. Außerdem warteten Dutzende der Kuriere vor den Läden auf einen Auftrag.

    „Im Prinzip ist Schnell-Lieferung nicht falsch“, sagte die zuständige Beigeordnete in Rotterdam, Roos Vermeij. „Aber wie das jetzt in der Praxis läuft, ist total nervig.“ Die Stadt gönne zwar den neuen Unternehmen ihre Einkünfte, sagte sie. „Aber vor allem gönnen wir Rotterdamern schöne Einkaufsstraßen ohne Belästigungen.“
    Immer mehr Verteilzentren

    Nach Ansicht der Behörden geht es bei den Dark Stores nicht um offen zugängliche Supermärkte, stattdessen sind es Distributionszentren. Und die dürfe man aus Wohngebieten fernhalten. In den Niederlanden gibt es immer mehr Schnell-Lieferdienste. Bisher nutzen einer Marktanalyse vom vergangenen Sommer zufolge gut vier Prozent der 18- bis 34-Jährigen den Service.

  • Uni Groningen: Dozent muss nach „Unterricht in Verschwörungstheorien“ aufhören
    https://www.heise.de/tp/features/Uni-Groningen-Dozent-muss-nach-Unterricht-in-Verschwoerungstheorien-aufhoeren-

    31.1.2022 von Stephan Schleim - KI-Forscher wollte nach eigenen Angaben „kritisches Denken“ unterrichten

    Etwas Wichtiges vorab: Es geht hier um einen Dozenten meiner eigenen Universität, den ich allerdings nicht persönlich kenne. Im Folgenden stütze ich mich auf Berichte in den niederländischen Medien und stelle ich ein paar eigene Gedanken zur Diskussionsfreiheit an. Ich spreche hier nur für mich, nicht für meinen Arbeitgeber.

    Tjeerd Andringa hat einen Hintergrund in Festkörperphysik (Master, 1991) und promovierte schließlich über Künstliche Intelligenz und Kognition (PhD, 2002). Dabei spezialisierte er sich auf die Erkennung von Sprache und gründete auch das Start-up-Unternehmen „Sound Intelligence“.

    Zurzeit ist er Assoziierter Professor und Leiter einer Forschungsgruppe für auditorische Kognition sowie Dozent am University College der Universität Groningen. Das University College gilt formal als eigene Fakultät und bietet einer kleinen Auswahl von Studierenden aus aller Welt eine breite interdisziplinäre akademische Ausbildung auf hohem Niveau an. Dafür zahlen die Teilnehmer auch doppelte Studiengebühren.
    Folgenreicher Artikel

    Am 26. Januar erschien dann aber die wöchentliche Ausgabe unserer (unabhängigen) Universitätszeitung mit einer beunruhigenden Titelstory: Der Dozent würde Fabeln und Verschwörungstheorien unterrichten und sei sonst auch mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

    In Windeseile verbreitete sich das Thema in den landesweiten Medien. Zuerst wurde nur das strittige Fach eingestellt, das im Februar wieder hätte beginnen sollen. Jetzt wurde dem Dozenten aber vorläufig die Lehrbefugnis entzogen, bis das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung vorliegt. Was ist da los?

    Im Brennpunkt ist ein Kurs mit dem Namen „Systems View on Life“ – systemisch auf das Leben schauen. Der Dozent verspricht in der Kursbeschreibung, die Studierenden würden lernen, einen wirklich eigenen Standpunkt zu entwickeln. Nur damit, andere Meinungen nachzuplappern, würde man bei ihm keine Punkte verdienen.

    In dem Kurs würde man herausgefordert. Es gehe darum, die Teilnehmenden aus ihrer „Komfortzone“ zu holen. Das könne unangenehm sein. Doch zur Belohnung warte nach der Auseinandersetzung mit „hochqualitativem Inhalt“ ein Verständnis dessen, was einen echten Akademiker ausmacht.
    „Bildung“ kommt von „bilden“

    Das klingt für mich ein bisschen nach einem Seminar zur Selbstfindung. Das muss nicht schlimm sein – immerhin kommt „Bildung“ von „bilden“ und geht es dabei auch um Persönlichkeitsbildung.

    Man wirft den Universitäten oft genug vor, sich im Abstrakten und Theoretischen zu verlieren. Gerade an so einem University College soll natürlich auch mal außerhalb des Bekannten gedacht werden, „out of the box“.

    Der Kurs scheint sich von der ursprünglichen Frage, wie Leben entsteht, in jüngerer Vergangenheit zu einem Potpourri gesellschaftspolitischer Fragen entwickelt haben. Der Artikel der Universitätszeitung, deren Redaktion mit insgesamt zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus mehreren Jahren sprach, nennt vor allem Klimawandel und Impfungen.

    Demnach habe der Dozent hauptsächlich Quellen verwendet, die den (vom Menschen verursachten) Klimawandel bestreiten. Über Impfungen sei behauptet worden, dass sie Autismus verursachen können. Letzteres ist ein auf den inzwischen mit einem Berufsverbot belegten britischen Arzt Andrew Wakefield zurückgehender Mythos.

    Dieser gründet auf einer 1998 in der angesehenen medizinischen Zeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie. 2004 publizierten allerdings zehn der zwölf Autoren – ohne Erstautor Wakefield – eine Korrektur. 2010 wurde die Veröffentlichung aufgrund unterschiedlicher Fehler und falscher Angaben dann von der Zeitschrift vollständig zurückgezogen.

    Einer Studentin, die den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus in Zweifel zog, soll Tjeerd Andringa „Respektlosigkeit“ vorgeworfen haben. Ein Experte in einem Video habe über das Thema immerhin sehr viel länger nachgedacht und mehr darüber geschrieben als sie. Vielleicht müsse sie erst noch etwas „wachsen“. Vom Wissenschaftler in dem Video könne sie noch viel lernen.

    Umgekehrt sei ein Student gelobt worden, der darüber schrieb, wie die Eliten die Menschheit beeinflussen. Beispielsweise würden die Rockefeller Familie oder der Amazon-Milliardär Jeff Bezos in Bildung investieren, um die Menschen hinterher besser manipulieren zu können.

    Der Artikel in der Universitätszeitung kommt zum deutlichen Fazit, dass der Dozent nur vorgeblich kritisches Denken habe fördern wollen. In Wirklichkeit habe er nur eine Wahrheit gelten lassen – nämlich seine eigene.

    Allerdings kommen auch Studierende zu Wort, die Andringa loben. Er sei eloquent und beschäftige sich auch intensiv mit den Ansichten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einer meint, durch die offenen Diskussionen habe er erst richtig kritisches Denken gelernt.
    Außerhalb der Uni

    Die Journalisten machten sich auf die Suche danach, wie sich der Wissenschaftler sonst in der Öffentlichkeit äußerte. Dabei stießen sie auf Texte und Interviews, in denen er Gedanken über eine „Kakistokratie“ entwickelt habe: Demnach würde die herrschende Elite systematisch Kinder missbrauchen, damit diese zu gefügsamen Dienern heranwüchsen.

    Sogar Geheimdienste würden höchstwahrscheinlich Sexpartys mit Kindern organisieren, um diese „Kakistokratie“ zu stützen. Und dies würde wiederum von den Regierungen gedeckt. Allerdings gebe es hierfür nur Indizienbeweise.

    Mit Blick auf die Anschläge vom 11. September meine er, dass Regierungen häufiger ihre eigene Bevölkerung angreifen, um die Menschen gefügiger zu machen. Der Dozent betone auch immer wieder die herausragende Bedeutung alternativer Medien.

    Auf dem Bio-Bauernhof seiner Frau habe Andringa schließlich außeruniversitäre Vorträge organisiert, auf denen die Coronamaßnahmen und die angeblich dominante Position der Juden kritisiert wurden. Ein Student, der daran im Herbst 2020 teilgenommen haben soll, wandte sich dann an eine Vertrauensperson der Universität, die schließlich die Verwaltung einschaltete.
    Qualitätskontrolle

    In Gesprächen zwischen Verwaltung und Dozent habe dieser sich immer wieder geringschätzend über die Bürokratie geäußert, die Meldung des Studenten als „cancel culture“ abgetan und sich mit beinahe kriminellen Äußerungen über das Antisemitismusverbot geäußert. Im Ergebnis erhielt Andringa eine Warnung und der strittige Kurs wurde vorläufig unter Aufsicht gestellt.

    Der Direktor des University College meint nun dazu, dass Dozenten auch außerhalb ihres Fachgebiets im engeren Sinn unterrichten könnten – das sei bei ihrer interdisziplinären Ausbildung ausdrücklich Sinn der Sache. Auch sei kritisches Denken wichtig. Dieses müsse aber innerhalb „ethischer Grenzen“ geschehen.

    Zudem müsse man bestimmte Qualitätsmaßstäbe einhalten. Nach der Untersuchung des Kurses habe man aber festgestellt, dass dieser sich nicht hinreichend verbessern lasse. Daher habe man entschieden, ihn nicht länger anzubieten.

    Wie bereits erwähnt, bleibt es dabei nun aber nicht: Landesweite Medien griffen den Artikel der Groninger Universitätszeitung vom 26. Januar sofort auf, beispielsweise die Tageszeitung NRC Handelsblad oder die Nachrichtenseite NOS.

    Am 28. Januar veröffentlichte die Universität dann eine kurze Mitteilung, dass der Dozent bis auf Weiteres gar nicht mehr am University College unterrichte. Man beginne nun eine unabhängige Untersuchung und warte deren Ergebnis ab.

    Tjeerd Andringa bekam von der Universitätszeitung die Gelegenheit einer Stellungnahme. Meinem Eindruck nach drückt er sich darin sehr kryptisch aus, verweist auf Aristoteles und den Bildungspychologen William Perry.

    Beide hätten sich dahingehend geäußert, ein entwickelter Geist müsse „mit Gedanken spielen, ohne diese zu akzeptieren“. Auf die Berichte in den landesweiten Medien will er diese Woche reagieren.
    Komplexe, aber wichtige Fragen

    Der Fall berührt eine ganze Reihe von Fragen, die für die Demokratie, die akademische Freiheit und die Polarisierung verschiedener Lager in unserer Zeit von enormer Bedeutung sind. Dazu im Folgenden ein paar Gedanken:

    Warum gibt es überhaupt Universitäten? Wenn der Sinn des Bildungssystems ausschließlich wäre, produktive Arbeitskräfte zu erzeugen, dann bräuchte man gar kein öffentliches Bildungswesen.

    Eine marktgerechte Ausbildung könnte man besser der freien Wirtschaft überlassen: Dann gäbe es vielleicht eine Allianz-Akademie für Versicherungswesen, eine BMW-Hochschule für Maschinenbau oder ein Facebook-Institut für Meinungsfreiheit.

    Man kann sich leicht vorstellen, wie „frei“ Diskussionen etwa von Verbraucherschutz, Umweltschutz oder Netz-Zensur an solchen Einrichtungen wären. Der Staat könnte bei Bedarf finanzielle Zuschüsse verteilen und wäre unterm Strich wahrscheinlich immer noch viel günstiger dabei als beim heutigen, größtenteils öffentlichen Bildungswesen.

    Wir wissen aber alle nicht genau, wie die Zukunft aussieht und welche Herausforderungen auf uns zukommen. Allein das verpflichtet uns dazu, nicht nur eingleisig zu fahren. Zudem sind nicht alle Lösungen, die für die Menschen wichtig sind, auch profitabel.

    In der Pharma-Forschung gibt es Beispiele zuhauf. Seltene Krankheiten sind finanziell weniger lukrativ, auch wenn die Folgen für die Betroffenen und ihre Angehörigen enorm sind. Auch spricht nach Marktlogik mehr für die Behandlung chronischer Erkrankungen als für eine einmalige Heilung. Wie wichtig Grundlagenforschung sein kann, für die es zum Zeitpunkt der Entwicklung noch keine Anwendung gibt, haben gerade erst die mRNA-Impfstoffe gezeigt.

    Ein Menschenleben besteht aber nicht nur aus Arbeit und Gesundheit. Wie viel unsere Freiheiten wirklich wert sind, werden viele wohl erst verstehen, wenn sie sie nicht mehr haben.
    Problematische Vorwürfe

    Gerade diejenigen, die heute lautstark meinen, wir würden in einer Diktatur leben, könnten in selbiger ihre Meinung gar nicht äußern: Ihre Chatberichte würden dann wie von Zauberhand verschwinden, wenn nicht gar die Chatprogramme von vorneherein blockiert wären.

    Willkürlich würde die Geheimpolizei an der Haustür klingeln und denjenigen zu einer „intensiven Befragung“ mitnehmen. Wann er oder sie zurückkäme, wäre völlig unbekannt. Manche Leute würden sich dann nach ihrer Rückkehr auffällig regierungstreu äußern.

    Der uns heute so bekannte Reflex aus dem bürgerlichen Lager, unliebsame Meinungen sofort als „Verschwörungstheorie“ abzutun und ihre Überbringer als „Querdenker“, „Trolle“, „Verfassungsfeinde“ oder Ähnliches, ist aber auch sinnlos. Wir sehen seit gut zwanzig Jahren, dass sich die so Ausgegrenzten nur noch lautstärker äußern und dafür auch immer wieder neue Kanäle finden. Bestes Beispiel dafür ist Donald Trump, der es sogar ins Amt des US-Präsidenten schaffte.

    Dabei ist der Verschwörungstheorie-Vorwurf insofern schlimm, als er dem Gegenüber nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der emotionalen Ebene eine falsche Wahrnehmung der Realität unterstellt. Die Grenze zur Geisteskrankheit ist dann fließend. Wenn man aber nicht mehr Argumente austauscht, sondern nur noch Beleidigungen, dann kann es auch zu keiner sinnvollen Lösung mehr kommen.

    Tückisch ist an solchem Vokabular, dass die Bedeutung meistens unklar ist: Wo hört berechtigte Regierungs- oder Wirtschaftskritik auf und wo fängt ein irriger Verschwörungsglaube an? Oder wo genau hört beispielsweise Kritik am Staat Israel auf und wo fängt Antisemitismus an?

    Beim Fall von Tjeerd Andringa kommt nun hinzu, dass hier ein Beamter in seiner öffentlichen Funktion problematische Äußerungen getätigt hat. Die Beteiligten scheinen sich zumindest darüber einig zu sein, dass das Lehren und Lernen kritischen Denkens wichtig ist. Doch wie weit darf das gehen?
    Methode, nicht Ergebnis zählt

    Beim Streitthema menschengemachter Klimawandel könnte man durchaus untersuchen, wie die große Mehrheit der Klimaforscher zu ihrem Konsens kommt – und wieso Kritiker diesen anzweifeln. Man könnte dann herausarbeiten, wie die beiden Gruppen aufeinander reagieren: Werden noch Argumente ausgetauscht, das heißt, geht man noch prinzipiell auf den Standpunkt des anderen ein? Oder wird immer nur dasselbe wiederholt?

    Auf welchen Gegebenheiten beruhen die Argumente und welche Interessen könnten für Konflikte sorgen? Wie sicher ist „sicher“ bei den zugrundeliegenden wissenschaftlichen Daten? Wie stark hängt das Ergebnis von Interpretationen ab und wie sehr unterscheiden sich diese?

    Wichtig: Für den Erfolg so einer Unterrichtseinheit muss das Ergebnis weder vorgegeben werden noch am Ende eindeutig feststehen. Wenn die Standpunkte hinterher 99:1, 90:10 oder 80:20 verteilt sind, kann die Demokratie gut damit leben.

    Den selbsternannten Verfechtern der Aufklärung liegt sonst doch auch so viel an Pluralismus. Man muss daraus keinen Meinungskrieg machen und die Gegenseite emotional-psychologisch abwerten; wie wir zur Genüge gesehen haben, löst das gar nichts, sondern eskaliert es die Situation nur weiter.

    Wenn die Standpunkte nach der Diskussion aber nahe bei 50:50 liegen, dann ist das ein starker Hinweis darauf, dass die Daten nicht eindeutig und die Argumente nicht überzeugend sind; oder es handelt sich prinzipiell um einen Streit um Werte, der sich nicht mit Fakten beilegen lässt.

    Dann sollte man offen über diese Werte sprechen. Lässt sich damit immer noch keine Einigung finden, muss man das tolerieren: Bestraft werden in demokratischen Rechtsstaat keine Gedanken oder Meinungen, sondern nur ausdrücklich verbotene Taten.
    Unabhängige Untersuchung

    In dem Fall Andringa wird es nun eine Untersuchung geben. Und so viel ist klar: Das Ergebnis wird die Öffentlichkeit beschäftigen, wie auch schon der Artikel in der Universitätszeitung (im niederländischen Original) rund 200 Kommentare nach sich zog, bis die Redaktion die Funktion deaktivierte. In der Regel wird dort kaum diskutiert.

    Die Universitätsleitung täte also gut daran, den Fall von neutralen Personen untersuchen zu lassen, die den Verdacht einer Beeinflussung von oben erst gar nicht aufkommen lassen. Wenn der Dozent mit dem Ergebnis nicht übereinstimmen sollte, steht ihm wie allen Bürgerinnen und Bürgern der Rechtsweg offen – wo der Konflikt dann in öffentlichen Sitzungen und nach festen Regeln, die eine „Waffengleichheit“ garantieren sollen, ausgetragen würde.

    Die Kommission und später vielleicht die Gerichte werden sich erst einmal damit beschäftigen müssen, was überhaupt in den universitären Sitzungen gesagt wurde. Äußerungen, die Andringa als Privatmann getätigt hat, müssen anders bewertet werden.

    Aber auch hier ist die Toleranz nicht grenzenlos: Der demokratische Rechtsstaat hat das Recht, ja sogar die Pflicht, seine eigene Grundlage zu verteidigen. Auch in Deutschland würde ein Beamter Probleme bekommen, der offen zur Revolution aufruft, um nur ein Beispiel zu nennen. Und der umstrittene Radikalenerlass, der angeblich gefährliche Personen präventiv aus dem Beamtentum halten sollte, feierte gerade sein 50. Jubiläum – und wird immer noch kritisch diskutiert.

    Wie weit kritisches Denken gehen kann, wie unvoreingenommen es sein muss und was akademische Freiheit in unserer Zeit bedeutet – all das sind Fragen, auf die uns der vorliegende Fall Antworten geben kann. Und bevor wir es merken, sind wir vielleicht selbst schon kritische Denker geworden.

    #science #iatrocratie

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      https://www.heise.de/tp/features/Querschlaeger-Querdenker-Querfront-6342176.html

      [...]

      Norbert Wohlfahrt: In der Tat sprechen die Neurechten davon, Marx, Lenin, Gramsci und Luxemburg für ihre Überlegungen nutzen zu wollen und sie für das, was sie Metapolitik nennen, einzuspannen.

      In meinem Buch zeige ich an verschiedenen Beispielen, dass die Neurechten sich bei den linken Theoretikern Versatzstücke herausgreifen, von denen sie meinen, dass sie damit ihre Sehnsucht nach einer wirklichen, nicht durch wirtschaftliche Einflüsse verschmutzten Volksgemeinschaft unterfüttern können.

      Aus der Kritik von Marx an einer Nutzung der Arbeitskraft im Kapitalismus, die diese ausschließlich am Maßstab der Rentabilität misst, wird bei den Neurechten ein die Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit störender Prozess sinnloser Arbeitsverausgabung.

      Wenn Rosa Luxemburg den Parlamentarismus der Sozialdemokratie kritisiert, weil sie die Arbeiterbewegung nicht auf ihre repräsentative Vertretung festgelegt wissen will, dann machen die Neurechten daraus – kurioserweise – ein Plädoyer für die Ergänzung der AfD durch Querdenker und Pegida.

      Der Bezug auf linke Theoretiker ist an deren theoretischen Resultaten vollkommen desinteressiert, sie interessieren nur als Bezugspunkte für einen antikapitalistischen Gestus, mit dem die Neurechten ihre Kritik an einer liberalen Entartung und individualistischen Verseuchung der Volksgemeinschaft unterfüttern wollen.

      [...]

      #droite #socialisme #théorie #imitation #décalque

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      https://www.heise.de/tp/features/Wie-sich-die-Zivilluftfahrt-gegen-Raketenbeschuss-schuetzt-6341368.html

      Das Frachtunternehmen Fedex wolle laserbasierte Schutzsysteme auf seinen Flugzeugen installieren, um sie gegen schultergestützte Flugabwehrraketen, sogenannte Man Portable Air Defense Systems (Manpads) zu schützen. Dies berichten die Nachrichtenagentur Reuters, CNN und das US-Magazin Politico.

      Die Medien beziehen sich auf ein entsprechendes Dokument der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Authority (FAA). Die FAA wolle sicherstellen, heißt es darin, dass die Abwehrwaffen nicht aus Versehen ausgelöst werden und eine Gefährdung darstellen.
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      Vergleichbare Abwehrsysteme bieten der Rüstungskonzern Airbus und der französische Konzern Sabena technics bereits für Flugzeuge der zivilen Luftfahrt an.

      Auch die israelische Luftfahrtgesellschaft El Al sowie die Maschine des US-Präsidenten, die Air Force One, sollen mit vergleichbaren Schutzsystemen ausgestattet sein, um Boden-Luft-Raketen wie die Stinger ablenken zu können.

      #Manpads, auch bekannt als #Stinger, waren an die afghanischen Mudschaheddin geliefert worden, damit diese sie gegen russische Helikopter einsetzen. Von dort gelangten sie in die ganze Welt und bedrohen nun auch die einstigen Lieferanten.

      [...]

      #missiles #aviation_civile

  • Corona-Proteste: Welche Gewalt nehmen wir wahr?
    https://www.heise.de/tp/features/Corona-Proteste-Welche-Gewalt-nehmen-wir-wahr-6327790.html?seite=all

    14.1.2022, von Harald Neuber, Gerd Roettig - Besonders bemerkenswert ist dabei die Bewertung des zweiten von sieben Fällen, die der UN-Sonderberichterstatter exemplarisch in seiner Anfrage vorgelegt hatte.

    In einem in den sozialen Netzwerken kursierenden Video ist einem ersten Abschnitt zu sehen, wie ein Mann über einen weitgehenden menschenleeren Platz geht und aus dem Grundgesetz die Grundrechte laut vorliest.

    In einem zweiten Abschnitt ist erkennbar, wie mehrere Polizeibeamte auf denselben Mann im Laufschritt zueilen und den offenbar Ahnungslosen rücklings attackieren, während dieser im Begriff ist, auf seinem Rad davonzufahren. Die Beamten reißen den Mann von hinten zu Boden und halten ihn minutenlang nach unten gedrückt, während er immer wieder getreten und anderweitig malträtiert wird.

    Die Bundesregierung äußert sich zu dem Fall wie folgt:

    Zur Durchsetzung des Verbots wurden polizeiliche Einsatzmaßnahmen durchgeführt. Bei diesem Einsatz wurde ein Bürger von Polizeikräften aus Nordrhein-Westfalen beobachtet, der lautstark das Grundgesetz verlas. Daraufhin bildete sich eine immer größer werdende Menschenmenge, was zu weiteren Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und die Corona-Schutzverordnung führte. Der Betroffene nahm unmittelbar Einfluss auf die Menschen, indem er mit ihnen interagierte. Damit initiierte er eine verbotene Versammlung. Es wurde die Gefahr erkannt, dass diese später in einen illegalen Aufmarsch ausufern könnte. Den wiederholten Aufforderungen der Polizeivollzugsbeamten, sein Verhalten zu ändern, kam der Betroffene nicht nach. Stattdessen versuchte die Person, sich der polizeilichen Maßnahme zu entziehen und mit dem Fahrrad zu flüchten. Um dies zu verhindern, wurde der Mann vorläufig festgenommen, um seine Identität festzustellen. Aufgrund seines Widerstandes musste die Festnahme unter Anwendung unmittelbarer Gewalt durchgeführt werden.

    #Allemagne #ACAB

  • Entlassen : US-Cops verfolgen lieber seltenes Pokémon statt Diebe
    https://www.heise.de/news/Entlassen-US-Cops-verfolgen-lieber-seltenes-Pokemon-statt-Diebe-6323293.html

    Le jeux Pokémon Go transforme de féroces policiers en grands enfants. Deux flics étatsuniens ont préféré le mode virtuel au combat avec de vrais pistolets. Les fonctionnaires paisibles ont été licenciés. Conclusion : Quand tu choisis le métier de cop tu perds le droit de te comporter comme quelqu’un de bon. Voilà la preuve du bien fondé de l’acronyme ACAB . #QED

    11.1.2021 von Oliver Bünte - Das Bild von Donut futternden Cops, die es in US-Filmen auch mal gelassener angehen, ist ja legendär. Dass aber ihre echten Kollegen während des Dienstes seltenen Pokémon hinterjagen, anstatt einen Ladendieb auf frischer Tat hopszunehmen, ist dagegen neu. Geschehen ist das in Los Angeles, wie unter anderem die BBC berichtet. Demnach sind zwei Polizeibeamte des Los Angeles Police Departement (LAPD) aus dem Polizeidienst entlassen worden, weil sie während des Dienstes Pokémon Go spielten und es auf der erbitterten Jagd nach „Snorlax“ (in Deutschland „Relaxo“) versäumten, einen über Funk eingehenden Hilferuf von Kollegen zur Verstärkung nachzugehen. Die Polizisten bestritten die Vorwürfe und gingen in Berufung, die nun jedoch von einem Berufungsgericht des Bundesstaates Kalifornien abgelehnt wurde.

    Dabei begann alles am 15. April 2017, an dem das Kaufhaus Macy’s in Los Angeles ausgeraubt wurde. Ein Beamter in der Nähe des Kaufhauses hörte einen eingehenden Funkruf über den Raub und sah, dass zwei Polizeibeamte, die in einer nahe gelegenen Gasse ihr Polizeifahrzeug geparkt hatten, darauf nicht reagierten, sondern mit dem Fahrzeug davonfuhren.
    Snorlax gestellt

    Auf die Schliche kam man den beiden spielwütigen Beamten über die Innenkamera des Polizeifahrzeugs. Sie zeichnete auf, dass beide Polizisten den Funkruf zunächst diskutierten, dann aber beschlossen, nicht darauf zu antworten, um auf die Jagd nach dem vergleichsweise seltenen Pokémon „Snorlax“ zu gehen, das sich virtuell in der Gegend herumtrieb. Die beiden Cops nahmen die Fährte auf. Es folgte eine Verfolgungsjagd, die in einem erfolgreichen Fang endete. „Die Jungs werden so neidisch sein“, sagte einer der Beamten, nachdem „Snorlax“ dingfest gemacht worden war, laut Gerichtsunterlagen. Offenbar war das Spielen von Pokémon Go damals unter Polizeibeamten des LAPD üblich. Die Cops sprachen danach noch darüber, wie schwierig es sei, gegen einen anderes Pokémon mit Namen „Togetic“ zu kämpfen, bevor sie ihren Dienst wieder fortsetzten.

    Vor Gericht leugneten die beiden Polizisten zunächst, Pokémon Go gespielt zu haben. Sie gaben an, den Funkspruch nicht gehört zu haben. Einer der beiden Polizisten habe lediglich aus einem Chat vorgelesen, in der andere Spieler mit ihrem Fang prahlten. Später gaben beide Cops angesichts der Kameraaufzeichnungen zu, Jagd auf „Snorlax“ gemacht zu haben. Allerdings sei dies ein Teil einer Extra-Patrouille gewesen, die Tour hätte also nicht nur der Jagd nach dem Pokémon gegolten.

    Der Versuch, die aufgezeichneten Gespräche als Beweismittel nicht zuzulassen, scheiterte – auch im Berufungsverfahren. Das Berufungsgericht wies den Fall ab. Die Polizeibeamten bleiben aus dem Polizeidienst entlassen, weil sie auf den Funkruf nicht reagierten, im Dienst Pokémon Go spielten sowie irreführende und falsche Aussagen gemacht hatten.

    Verbrecher jagen die beiden ehemaligen Beamten nicht mehr. Ob sie weiterhin Pokémon jagen, ist nicht überliefert.

    Pokémon Go
    https://en.m.wikipedia.org/wiki/Pok%C3%A9mon_Go

    #ACAB #USA #WTF #jeux

  • Uber streicht Support für Apple Watch
    https://www.heise.de/news/Uber-streicht-Support-fuer-Apple-Watch-6323331.html

    11.1.2022 von Leo Becker - Der Fahrdienstleister Uber hat seine Apple-Watch-App offensichtlich eingestellt: Man unterstütze die Apple Watch nicht länger, heißt es jetzt beim Öffnen der watchOS-App, Funktionen sind nicht mehr verfügbar. Nutzer sollen für Fahrtbuchung zur Smartphone-App wechseln, heißt es in dem Hinweis – man entschuldige sich für die Unannehmlichkeiten. Eine offizielle Bestätigung für das Aus der Apple-Watch-App liegt noch nicht vor, auch eine Begründung für das angekündigte Support-Ende fehlt.

    Ubers Watch-App weiter verfügbar

    Mit einem Hinweis in der Watch-App stellt Uber den Support ein.

    Im App Store wird die App bislang weiterhin für die Smartwatch zum Download bereitgestellt, auch in Support-Dokumenten ist die Funktionalität unverändert zu finden.

    Entsprechend bleibt vorerst offen, ob eine neue, überarbeitete App für watchOS geplant ist oder die Plattform in Zukunft nicht mehr unterstützt werden soll. Vom Google-Konkurrenten Wear OS hat sich Uber schon vor längerem zurückgezogen.

    Bei der Einführung der Apple Watch präsentierten Apple-Manager die Uber-App noch als großes Aushängeschild für die Möglichkeiten der neuen Gerätekategorie. Trotz App Store und enger iPhone-Anbindung konnte sich die Apple Watch bislang allerdings nicht als lebhafte neue allgemeine App-Plattform etablieren, nur in bestimmten Kategorien wie etwa Fitness, Health, Outdoor und Musik gibt es aber ein größeres Angebot.

    Andere große App-Anbieter, die anfangs noch auf den Zug aufsprangen, stellten ihre meist sehr limitierten und oft wenig nützlichen Watch-Apps schon in den vergangenen Jahren ein. Vereinzelt wurden Watch-Apps allerdings auch ganz neu aufgelegt, nachdem Apple die Funktionalität der ursprünglich massiv begrenzten Programme schrittweise erweitert hat – so kehrte etwa Google Maps auf die Apple Watch zurück. Inzwischen können auch alleinstehende Apple-Watch-Apps angeboten werden, die auch ohne Begleit-iPhone direkt mit Web-Diensten kommunizieren können. Ganz ohne iPhone lässt sich die Smartwatch aber weiterhin nicht in Betrieb nehmen.

    #Uber #Apple #Plattform #Auftragsvermittlung

  • Chaotische Zustände nach Ausfall der Covid-19-App in chinesischer Lockdown-Stadt
    https://www.heise.de/news/Chaotische-Zustaende-nach-Ausfall-der-Covid-19-App-in-chinesischer-Lockdown-St

    Corona-Warn-App
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Corona-Warn-App

    En Chine tout est x fois plus grand que dans nos contrées, alors la loi des grands nombres agit aisément en prouvant qu’un système de logiciels complexes contient toujours des erreurs. A Xian les conséquenes de ce simple fait sont des morts devant les portes d’hôpitaux et l’impossibilité d’acheter de la nourriture pour la population entière. On n’y accède aux services publiques qu’après avoir montré son code de santé vert avec son smartphone L’app qui censée afficher le statut de santé de chaque habitant de la ville ne fonctionne plus parce que les serveurs de données se ont écroulés sous le nombre de tâches.

    L’app d’avertissement covid allemande officielle est protégée contre ce problème car elle ne transmet pas de données individuelles sans les avoir anonymisées et ne récupère pas d’énormes quantités de données comme les apps de surveillane en Chine.

    6.1.2022 von Stefan Krempl - Seit zwei Wochen befindet sich die chinesische 13-Millionen-Metropole Xi’an im Lockdown. Rund 1800 Coronafälle registrierten die Behörden in der Großstadt in Zentralchina seit dem Ausbruch Mitte Dezember, der als einer der größten im Reich der Mitte seit dem ursprünglichen in Wuhan vor zwei Jahren gilt. Ein lokaler Ausfall des App-basierten Systems für den „Covid-19-Gesundheitscode“, das die Bewegungen der Menschen in China streng reguliert, sorgte nun für zusätzliche Verschlechterungen der Situation der Bewohner Xi’ans.

    Die in der Stadt eingeschlossenen Bürger dürfen eigentlich nur noch zum Testen und in Notfällen außer Haus. Selbst die zweimalige Möglichkeit zum Lebensmitteleinkauf hatten die Behörden vorige Woche gestrichen. Der Absturz der Covid-App am Dienstagvormittag habe nun aber etwa die Bemühungen der Verwaltung Xi’ans erschwert, neue Infektionsfälle durch Massentests frühzeitig zu erkennen, berichtet der Finanzdienst „Bloomberg“. Menschen, die Hilfe in Krankenhäusern suchten, hätten vor großen Hürden gestanden.

    Eine schwangere Frau in Xi’an hat Berichten zufolge sogar ihr Baby verloren, nachdem ihr der Zutritt zu einer Klinik verweigert worden sein soll. Sie habe über die Corona-App nicht nachweisen können, dass sie infektionsfrei war. Auf der chinesischen Twitter-Alternative Weibo ging am Dienstag zudem ein Video viral, das eine blutende Frau auf dem Bürgersteig vor einem Krankenhaus im Gaoxin-Bezirk von Xi’an zeigt. Ähnliche Beschwerden und Kritik gab es auch anderswo in den chinesischen sozialen Medien, da Patienten offenbar mehrfach in Krankenhäusern, die mit Infizierten aktuell bereits viel zu tun haben, nicht rechtzeitig behandelt werden konnten.
    Grund für App-Zusammenbruch sei hoher Datenverkehr

    Der Direktor und Parteichef des Büros für die Verwaltung von Big-Data-Ressourcen in der Stadt, Liu Jun, wurde mittlerweile „wegen schlechter Leistungen“ von seinen Aufgaben entbunden, teilten die örtlichen Behörden am Mittwoch laut chinesischen Medienberichten mit. Das zuständige Komitee nannte zwar keinen genauen Grund für seine Entscheidung, aber sie erfolgte, nachdem die App zur Anzeige des Gesundheitscodes erneut versagt hatte. Schon am 20. Dezember war sie zusammengebrochen.

    Die Provinzregierung gab als Grund für beide Vorfälle den hohen Datenverkehr an, den die Anwendung zu bewältigen gehabt habe. In dem System werden unter anderem Testergebnisse hinterlegt. Neue Tests sind aber nur möglich, wenn ein entsprechender „Health Code“ für den bisherigen Covid-Infektionsstatus vorgezeigt wird. Xi’an ist ein wichtiger Standort für die Produktion von Computer-Chips, die aufgrund der Corona-Situation bereits angepasst werden musste.
    Reisehinweise

    Das Auswärtige Amt warnt in seinen aktuellen Reisehinweisen zu China: „Bei Auftreten lokaler Ausbrüche muss in den betroffenen Gebieten kurzfristig mit Verhängung von Ausgangssperren sowie Reisebeschränkungen gerechnet werden.“ Das Betreten vieler Gebäude, Bahnhöfe, sonstiger eingezäunter Gelände und die ÖPNV-Nutzung „sind teilweise nur mit einer von Stadt zu Stadt unterschiedlichen, auf der App WeChat oder Alipay basierenden Gesundheitsanwendung möglich“. Nur wenn diese den korrekten Farbcode generiere, werde der Zugang gestattet. Oft werde bereits bei Einreise in eine andere Provinz oder Stadt die Vorlage des entsprechenden Gesundheitscodes gefordert.

    Das Reisen in China könne darüber hinaus die Installation weiterer Apps erfordern, da etwa spezielle lokale Gesundheitscodes gefordert werden, heißt es beim Außenministerium. Die chinesischen Behörden legten großen Wert darauf, „sämtliche Aufenthaltsorte in den letzten 14 Tagen zurückverfolgen zu können“.
    Bezahl- und Scoring-Apps als Grundlage für Corona-Apps

    Die chinesische Regierung veröffentlichte am 9. Februar 2020 eine erste einschlägige Anwendung als „Nahbereichsdetektor“. Sie teilte den Nutzern mit, ob sie Kontakt mit einer infizierten oder möglicherweise an Covid-19-erkrankten Person hatten. Das anfangs kleine, mittlerweile deutlich ausgebaute Programm läuft innerhalb bekannter, in China etwa auch zum Bezahlen und für Scoring-Verfahren eingesetzter Apps wie Alipay, WeChat und QQ.

    Schier alle chinesischen Städte und Provinzen nutzen diesen Dienst, wofür sie teils angepasste eigene Apps herausgeben. Die Zentralregierung gibt zudem eine eigene digitale Gesundheitseinschätzung über eine solche Anwendung ab, die aber nicht überall anerkannt wird. Im Zentrum steht dabei immer ein per QR-Code aktualisierbarer, nur kurzfristig gültiger Farbcode, der prinzipiell die Dauer einer möglichen Quarantäne signalisiert: Grün steht für keine Isolationspflicht, Gelb für 7 und Rot für 14 Tage. Dieser Corona-Status muss bei vielen Kontrollen am Ein- und Ausgang etwa von größeren Bahnhöfen, U-Bahn-Stationen, Geschäften, Krankenhäusern und Büros vorgezeigt werden.
    Zentrale Server sammeln Vielzahl von Informationen

    Wenn Nutzer dort einen QR-Code scannen, öffnet sich die Gesundheitsapp. Im Hintergrund werden dafür etwa die Passdaten und die aktuelle Herkunft von Reisenden analysiert. Die Anwendung kann also erkennen, wo sich ein User zuvor aufgehalten hat. Wie das algorithmische Entscheidungssystem genau funktioniert, verrät die Regierung nicht. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Blackbox. Klar ist nur: Wenn die App Rot zeigt, muss sich der Betroffene sofort zwei Wochen lang in Quarantäne begeben. Nur bei Grün ("Kein abnormaler Zustand") wird Einlass gewährt.

    Bei der Installation der Programme müssen Nutzer Angaben zu ihrem Gesundheitszustand und möglicher Covid-19-Symptome machen sowie ihre Ausweisnummer und ihren vollen Namen eintippen. Nötig ist auch die Eingabe einer möglichst genauen Chronik, wo man sich in den vergangenen 14 Tagen aufgehalten hat. Die kaum zu umgehenden Apps werden auch in China kritisiert, weil sie eine Vielzahl von Informationen auf zentralen Servern sammeln, darunter persönliche Daten, Standort, aktuelle Kontakte, Gesundheitszustand und Reiseverlauf. Der Großteil der Chinesen akzeptiert den Einsatz der Tracking-Apps im Kampf gegen die Pandemie aber.
    Strafverfolgungsbehörden als Entwicklungspartner der Apps

    Eine Analyse des Software-Codes der von Alibaba herausgegebenen einschlägigen Anwendung „Alipay-Gesundheitscode“ durch die New York Times ergab, dass das System nicht nur in Echtzeit entscheidet, ob eine Person ein Ansteckungsrisiko darstellt. Es scheine auch Informationen mit der Polizei auszutauschen und damit eine Vorlage für neue Formen der automatisierten sozialen Kontrolle zu schaffen.

    Dem Bericht zufolge sendet ein Teil des Programms mit der Bezeichnung „reportInfoAndLocationToPolice“ den Standort der Person, den Namen der Stadt und eine identifizierende Codenummer an einen Server, sobald ein Nutzer der Software Zugriff auf persönliche Daten gewährt. Ein Hinweis darauf erfolge nicht. Nach offiziellen Angaben fungierten Strafverfolgungsbehörden als Partner bei der Entwicklung des Systems. Chinesische Internetkonzerne gäben zwar häufig Daten an die Regierung weiter, selten laufe der Prozess aber so direkt ab wie hier.

    Die Analyse ergab ferner, dass jedes Mal, wenn der Code einer Person gescannt wird, zugleich ihr aktueller Standort an die Server des Systems geht. Dies könnte es den Behörden ermöglichen, die Bewegungen von Personen im Laufe der Zeit zu verfolgen. Bei der deutschen Corona-Warn-App mit ihrem anonymisierten Warnsystem auf Bluetooth-Basis erfolgt kein solches Tracking.
    Zweifel an Sinnhaftigkeit der Apps

    Immer wieder beklagen in China lebende Menschen, dass sie die App einer bestimmten Stadt nicht nutzen können oder einen falschen „Health Code“ angezeigt bekommen. Viele zweifeln an der Sinnhaftigkeit einschlägiger Apps. In Peking wisse niemand, wer etwa auf einem Großmarkt in einer Provinz mit Neuinfizierten gewesen sei, schreibt das Handelsblatt. Um das herauszufinden, gingen nach wie vor „Nachbarschaftskomitees“ von Tür zu Tür und befragten jeden einzeln, ob er dort gewesen sei. Allwissend sei das System hinter den Gesundheitscodes nicht.

    Nicht nur der chinesische Menschenrechtsanwalt Xi Yanyi fürchtet, dass durch die Pandemie die staatliche Kontrolle über die Bürger immer weiter zunimmt. Die Nutzer hinterlassen mit den Apps überall digitale Spuren. Xi glaubt laut einem Bericht der Tagesschau, dass die Überwachung weitergeht, auch wenn die Pandemie längst vorbei ist. China sei ein anderes Land geworden.
    Gesundheitsprofile und mehr mit Big-Data-Analysen

    Die Lokalregierung der Metropole Hangzhou südlich von Schanghai etwa hatte laut der taz schon im Frühjahr 2020 vorgeschlagen, die im Februar eingeführte „Praxis des Gesundheitscodes zu normalisieren“. So sollte jedem Bürger künftig via QR-Code nicht nur die Ampelfarbe zugewiesen werden, sondern auch eine Punktzahl von 0 bis 100, die den Gesundheitszustand messbar macht. In Hangzhou haben Alibaba und Tencent ihren Sitz, die auch am geplanten Sozialkreditsystem Chinas mitarbeiten.

    Als Startpunkt für den permanenten „Health Code“ war dem Bericht zufolge trotz Protesten auf sozialen Medien der Sommer vorigen Jahres vorgesehen. In die Endnote sollten nicht nur Krankenakte und Gesundheitstests einfließen, sondern auch persönliche Daten über den Lebensstil der Bürger wie Alkoholkonsum, Rauchverhalten und das generelle Bewegungsniveau. Die örtlichen Gesundheitsbehörden planten schon damals zudem, mit Big-Data-Analysen auch Gesundheitsprofile für einzelne Wohnanlagen und Unternehmen zu erstellen.

    #covid-19 #coronavirus #Chine

  • „Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein“?
    https://www.heise.de/tp/features/Reden-erst-die-Voelker-selber-werden-sie-schnell-einig-sein-6298946.html

    30.12.2021 von Nadja Maurer - Wie der Solidaritätsgedanke in der Debatte über Migration für Verwirrung sorgt. Ein Szenebeispiel aus der Hamburger Hafenstraße

    Der heutige Internationale Tag der menschlichen Solidarität gibt Anlass, ein Schlaglicht auf die Vielfältigkeit der Auffassungen und Praktiken eines linken Kampfbegriffes zu werfen. Ein Beispiel solidarischer Praxis findet sich in der Hamburger Hafenstraße.

    Ein Teil der Bewohnerschaft der ehemals besetzten Häuser solidarisiert sich mit afrikanischen Geflüchteten, die sich mehrheitlich dort aufhalten, um als Straßendealer Betäubungsmittel zu verkaufen.

    Südlich der Reeperbahn ist ein offener Drogenmarkt mit einer anwachsenden Anzahl von Händlern etabliert. Vor allem die Sichtbarkeit der Szene, fast ausschließlich junge Männer westafrikanischer Herkunft, führte dazu, dass die Polizei seit 2016 mit einer Taskforce versucht, die „öffentlich wahrnehmbare Drogenkriminalität“ zu bekämpfen.

    Neben der Formierung polizeikritischer Bürgerinitiativen verfestigte sich eine Situation, in der die Nachbarschaft bei Kontrollen Pulks bildet und Passanten in polizeiliche Maßnahmen intervenieren.

    Der Drogenhandel spaltet das Quartier: Während sich viele Anwohner durch die Dealer gestört fühlen, prangern andere an, dass vergleichsweise harmlose Kriminalität, verübt von marginalisierten Menschen mit prekärem Status, mit Nachdruck strafverfolgt würde, während man organisierte Kriminalitätsstrukturen gewähren ließe. Der Polizei wird eine Gegnerschaft gegen prekäre Minderheiten sowie Rassismus unterstellt:

    In St. Georg haben die noch leichteres Spiel. (…) Da geht es gegen Prostituierte, Obdachlose, gegen Schwarze und Dealer. Hier und dort ist das Ziel der Politik Vertreibung. Aber hier ist halt schwerer, weil es die Hafenstraße ist.
    Anwohner

    Ich finde es absurd, dass ausgerechnet das Ende der Kette verfolgt wird.
    Anwohnerin

    Die spezifischen Unterstützungsformen sind das Organisieren von Kundgebungen, um Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik zu üben. Das Einmischen in polizeiliche Maßnahmen ist zugleich Widerstands- wie auch Solidaritätshandlung, die auch dazu dient, von Personenkontrollen Betroffene darin zu unterstützen, Rechtsmittel einlegen zu können.

    Auch soll durch den Beistand ihre Würde – immerhin geschehen Kontrollen vor den Augen der Öffentlichkeit – gewahrt und die Demütigung, die einer Polizeikontrolle innewohnt, abgemildert werden. Weitere Hilfsangebote sind die Bereitstellung von Wlan, eines Stromkabels zum Telefonaufladen, und die Gewährung des Aufenthalts im eigenen privaten Garten, in dem sich mutmaßlichen Dealer vor Polizeikontrollen schützen können.
    Selbst solidarische Anwohner fühlen sich gestört

    Fast ausnahmslos wird die Gegenwart der Afrikaner auch von solidarischen Anwohnern als belastend, störend, und die Männer als aufdringlich und unzuverlässig empfunden. Vergebliche Versuche, durch Kontaktaufnahme ein gedeihliches Miteinander zu verabreden, mündeten in Ratlosigkeit und Resignation:

    Man kommuniziert, dass die Geflüchteten nachts nicht hier sein dürfen. Aber das muss man auch durchsetzen. Man lässt die da sein und versucht, denen Angebote zu schaffen (und) sich mit denen zu organisieren. Es ist nicht so, dass alle sich freuen, wenn hier 30 Männer im Garten stehen. Zum Beispiel wenn man im Homeoffice arbeitet oder schlafen möchte ist das nervig. Aber hauptsächlich ist die Polizei das Belastende.
    Anwohnerin

    Dieser Artikel handelt nicht von Moral: Die Autorin bewertet hier nicht das Begehen von Straftaten durch arme Menschen und ebenso wenig die hohe Polizeipräsenz. Auch die Sichtweise, Politik und Polizei handelten rassistisch, soll hier nicht untermauert oder widerlegt werden. Es geht um die Koexistenz unterschiedlicher Erwartungen an und Aufladungen des Solidaritätsbegriffs.

    Innerhalb der gesellschaftlichen Linken konfligiert in der Migrationsfrage der menschenrechtliche mit dem Anspruch sozialstaatlicher Solidarität. Eine den Sozialstaat schützende Migrationspolitik kollidiert mit Menschenrechten.

    Zugleich würde eine menschenrechtlich gebotene Open-Border-Politik die Anforderungen an den Sozialstaat (die letztlich die materielle Grundlage für den Schutz von Geflüchteten bilden) unterminieren. Die Forderung nach Solidarität „für alle“ geht mit der Preisgabe staatlicher Schutzpflichten einher.

    Doch nicht nur die hiesige demokratisch sozialisierte Linke ist gespalten, wenn es um Solidarität geht. Die gegenseitige Bezugnahme der linken Anwohnerschaft und der afrikanischen Männer am Hafenrand mit dem Verweis auf „Solidarität“ lässt vermuten, dass jene zwar immer eine Vergemeinschaftungsofferte ist, aber die Wertvorstellungen von Gemeinwohl und kollektiver Verantwortung nicht frei von Widersprüchen sind.

    Begriffsgeschichtlich ist Solidarität ein „Fuzzy Concept“: Das im Nachklang der Französischen Revolution ausformulierte Prinzip der Brüderlichkeit a.k.a Solidarität ist ein moralischer Wert.

    In der politischen Theorie der Moderne dagegen ist Solidarität ein normativer Anspruch an Gleichstellung und gleiche Rechte für alle. Zum tradierten normativen Fundament des Solidaritätsbegriffs gehört es, Opferbereitschaft zu verlangen.1 Dies hängt nicht zuletzt mit der im 19. Jahrhundert entstandenen Auffassung von der Nation als Solidargemeinschaft zusammen, durch die sich ein Schuldverhältnis konstituiert: Der Einzelne wurde zu Transferleistungen verpflichtet mit dem Verweis auf die „soziale Schuld“, die gegenüber vorangegangenen Generationen abzutragen war.2
    Solidarität ist begrenzt und schließt aus

    Auch die christliche Soziallehre formuliert Solidarpflichten als eine ethische Leitidee. Im Gegensatz zu universalistisch gerichteter Gerechtigkeit oder Ethik ist Solidarität jedoch partikular: Sie hat eine begrenzte Reichweite und Verfügbarkeit.

    Dadurch generiert Solidarität immer auch Ausschließungen. Überdies spielen Gefühle eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von einem „Wir-Gefühl“, das als starke Motivation für Solidarität fungieren, allerdings auch Partikularismen generieren und Feindbilder fördern kann.

    Solidarität kann nur intrinsisch durch den Antrieb einer inneren Überzeugung funktionieren. Dabei geht es um die Ausweitung von Betroffenheit durch die Unterstützung anderer in ihrem Kampf um Rechte. Diese Betroffenheitsausdehnung kann ohne direkten Bezug zu den Adressaten von Solidarisierungen und sogar ohne deren Wissen geschehen.

    Viele der Anwohner, die sich mit den afrikanischen Männern solidarisieren und sich für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse und gegen die Einwanderungspolitik einsetzen, pflegen bedingt durch Altersdifferenz, Lebenssituation, Einstellungen und die weitgehende Abwesenheit gemeinsamer Interessen kaum oder gar keine persönlichen Kontakte zu den Dealern.

    Auch Kommunikationshindernisse und eine hohe Fluktuation führen dazu, dass es wenig Verständigung gibt. Dabei sind Zuschreibungen und Othering seitens der Anwohner recht verbreitet:

    Die meisten sind Muslime und finden Drogen gar nicht gut. Die haben konservative Wertbilder und wollen möglichst schnell eine Familie haben und einen Job. D…… Das ist nicht von ungefähr, dass das schwarze Männer machen und nicht weiße. Es liegt an Kolonialismus, Globalisierung, Rassismus, Weltordnung und so.
    Anwohnerin

    Das Referenzobjekt der Solidarität liefern also nicht einfach diejenigen, die es zu schützen gilt. Vielmehr geht es – ganz klassisch – stets auch um imaginierte Gemeinschaft. Mit dem Stichwort der imaginierten Gemeinschaft ist die Kernfrage des Solidaritätsbegriffs erreicht, nämlich welche Kollektivgüter überhaupt realisiert werden sollen.

    Für einige Anwohner in der Hafenstraße ist die Solidarisierung mit den Afrikanern eingebettet in die politische Forderung nach gesellschaftlicher Inklusion und Teilhabemöglichkeiten für alle, unabhängig von der Herkunft. Aus dieser Perspektive sind die Auseinandersetzungen am Hafenrand als Teil eines Inklusionsprozesses in ein gesellschaftliches System von Berechtigungen, also Demokratisierung zu verstehen.
    „Solidarität“ als greifbares Hilfsangebot

    Dagegen ist der demokratische Rechtsstaat – mit dem die meisten Geflüchteten zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen, in der Ausländerbehörde, und (im vorliegenden Beispiel) in polizeilichem Gewahrsam Bekanntschaft schließen – für die Dealer nicht unbedingt eine positive Referenzgröße.

    Mit „Solidarität“ assoziieren sie greifbare Hilfsangebote und ad-hoc Unterstützungsstrukturen in volatilen Netzwerken – was nur plausibel und biografisch bedingt ist durch die Erfahrung von Flucht und Migration. Die Fluchtrouten von Westafrika in Richtung afrikanische Mittelmeerküste und oft via Ostafrika sind hochriskant und gefährlich.

    Migranten stecken in Gefälligkeitsökonomien, Schuldverhältnissen und in Abhängigkeiten. Dazu kommen die Erwartungen an Remittenden der Familie und der Dorfgemeinschaft im Herkunftsland, und die polizeiliche Strafverfolgung mit dem Risiko der Abschiebung oder einer Haftstrafe.

    Ihr Nexus ist vielmehr „Glokalität“, globale und doch stark orts- und situationsgebundene Netzwerke. Teilhabe bedeutet für die afrikanischen Dealer vorwiegend die Möglichkeit, an Wohlstand zu partizipieren. Von der örtlichen Polizeiwache heißt es, sie dächten, irgendwann angegriffen und zurückgeführt zu werden. Solange versuchten sie, so viel Geld wie möglich zu machen:

    Die Menschen sind leider, seitens der organisierten Strukturen dahinter, beliebig austauschbar. Wir hatten Phasen, wo wir nur ‚Duldungen aus Baden-Württemberg‘ hatten, dann waren aus ostdeutschen Ländern viele vertreten. Es sind immer wieder neue Gesichter da. Viele werden rekrutiert in Asylbewerberheimen, um hier zu verkaufen. Da wird es irgendein Versprechen geben.
    Polizeiwache

    Partizipation mittels rohem Kapitalismus ist mit demokratischer Rechtsstaatlichkeit, die nicht nur Strafverfolgung qua Legalitätsprinzip, sondern auch den Schutz und die Wahrung von Rechten Schutzbedürftiger regelt, nicht widerspruchslos vereinbar:

    Wer nicht arbeitet, der kann nach Afrika gehen. …… Wenn jemand nicht arbeiten will, er müsste zurück nach Afrika. Das ist klar.
    Afrikaner, Hafenstraße

    Das zweckrationale Handeln der Dealer mit dem Ziel der Profitmaximierung steht im offensichtlichen Widerspruch zur Ideologie des Solidaritätsspektrums. Denn Ersteren geht es nicht um eine liberale oder gar linke Positionierung.

    Die Solidarität wird einer extrem marginalisierten Gruppe zuteil, die auch von Befürwortern einer humaneren Flüchtlingspolitik ansonsten wenig beachtet wird: junge, gesunde, männliche Erwachsene mit der Hoffnung auf bessere Lebenschancen.

    Die Schnittmenge der geteilten Anschauungen oder der gemeinsamen Ziele wird auf dem Rekurs auf Solidarität eher verschleiert als erhellt.

    Im Titel dieses Beitrags – ein Zitat aus dem Solidaritätslied, gedichtet von Bertolt Brecht und vertont von Hanns Eisler – lassen sich nicht die Dilemmata erahnen, die mit einer Verständigung über noch zu realisierende Kollektivgüter verbunden wären.

    Der Artikel und die angeführten Zitate basieren auf einer ethnographischen Konfliktanalyse im Quartier St. Pauli-Süd::https://criminologia.de/blog/wp-content/uploads/2021/12/Report_Balduintreppe_FosPol_Maurer.pdf

    #racisme #solidarité #immigration #Allemagne #politique

  • Corona-Pandemie: Wut, Spaltung und offene Fragen
    https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-Wut-Spaltung-und-offene-Fragen-6292656.html?seite=all

    12. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Der Ton in Deutschland wird zunehmend aggressiver. Die allgemeine Impfpflicht scheint zu kommen und nur wenige besonnene Stimmen sind zu hören, die vor der drohenden Spaltung des Landes warnen. Was passiert in Deutschland? (Teil 1)

    Blindflug und ein fragwürdiges Narrativ
    https://www.heise.de/tp/features/Blindflug-und-ein-fragwuerdiges-Narrativ-6293078.html?seite=all

    13. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Der Ton wird generell schärfer und aggressiver in Deutschland. Während die Schuld an der Krise oftmals eindeutig den Ungeimpften zugeschoben wird, gehen wichtige Fragen und Aspekte der aktuellen Krise unter. (Teil 2)

    „Absolut letztes Mittel“
    https://www.heise.de/tp/features/Absolut-letztes-Mittel-6305359.html?seite=all

    23. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Die Erhöhung der Impfquote gilt als zentrales Mittel zur Lösung der gegenwärtigen Krise. Aber ist die allgemeine Impfpflicht „geeignet, erforderlich und angemessen“? (Teil 3)

    #politique #covud-19 #corona #vaccination

  • Abschiebung von Kindern : UN kritisieren Polen, Baerbock schweigt
    https://www.heise.de/tp/features/Abschiebung-von-Kindern-UN-kritisieren-Polen-Baerbock-schweigt-6303532.html?se

    L’article ne le dit pas expressément mais nous savons qu’il y a des enfants parmi les réfugiés refoulés à la frontière polonaise.
    Nous apprenons par contre que la ministre des affaires étrangères Annalena Baerbock net fait rien pour Julian Assange et n’exige pas de la pologne qu’elle respecte la loi internationale et européene qui donn des droits aux demandeurs d’asile.

    22.12.2021 von Florian Rötzer
    ...
    Polen sperrte das Grenzgebiet ab, setzte Militär ein, ließ Hilfsorganisationen nicht zu den Flüchtlingen und Migranten und schickte diese auch mit Gewalt wieder zurück nach Belarus, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen.

    Wer nicht zurückgeschickt wurde, kam in Haft. Wie es scheint, hat dies die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen) bei ihrem Antrittsbesuch in Polen am 10. Dezember nicht kritisch thematisiert, obgleich sie und die Grünen ansonsten die Menschenrechte hochhalten – etwa mit Blick auf die innenpolitische Situation in Russland und Belarus.

    Bei Ihrem Besuch in Großbritannien dann erwähnte sie den Fall des inhaftierten und gesundheitlich massiv angeschlagenen Journalisten und Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht. Beides lässt nichts Gutes von der angekündigten „wertegeleitete Außenpolitik“ erwarten, die bislang recht einseitig ausfällt.

    Auch wenn das UN-Team nicht in die Grenzregion zwischen Polen und Belarus reisen durfte, um sich über die Lage der Flüchtlinge und Migranten, die sich dort aufhalten, zu informieren, konnten die Experten mit 31 Personen sprechen, aus Weißrussland nach Polen gekommen waren. Sie berichteten, so Throssell, „von schlechten Bedingungen auf beiden Seiten der Grenze, sie hatten keinen Zugang zu Lebensmitteln, sauberem Wasser und Unterkünften bei oft eisigen Temperaturen“.

  • Welcher Weg führt zu einer neuen Sicherheitsarchitektur ?
    https://www.heise.de/tp/features/Welcher-Weg-fuehrt-zu-einer-neuen-Sicherheitsarchitektur-6304349.html

    Cette proposition pour une nouvelle architecture de sécurité pour l’Europe ne sera pas réalisée mais elle constitue un rappel au parti vert et sa ministre des affaires étrangères. L’ancien parti pacifique s’est transformé dans une force politique russophobe la plus dangereuse d’Allemagne. C’est le moment de rappeller à chaque membre et proche du parti que la prochaine guerre sur le sol européen ne verra que des perdants.

    22.12. von 2021 Klaus Moegling - Vorschläge für einen Spannungsabbau zwischen Russland und der Nato

    Die kürzlich stattgefundenen Gespräche zwischen Joe Biden und Wladimir Putin sollten um Gespräche mit der EU und Xi Jinping erweitert werden. Ein solcher Austausch könnte der Beginn einer neuen Entwicklung hin zu Entspannung und Sicherheit sein.

    Erforderlich ist eine neue Sicherheitsarchitektur, die durch multilaterale Partnerschaft und durch den Abbau medial erzeugter Feindbilder gekennzeichnet ist. Die gegenwärtig eskalierende Situation an der russischen Westgrenze verweist auf die dringende Notwendigkeit, dass ernsthaft miteinander gesprochen und verhandelt wird.
    Die Konstruktion von Feindbildern

    Die Entwicklung gegenseitiger Feindbilder stellt die sozialpsychologische Voraussetzung für die Durchführung von Kriegen dar. Auf russischer Seite wird das Feindbild einer imperialistischen Nato bemüht, die primär das Interesse von US-Konzernen international durchzusetzen habe.

    Auf westlicher Seite wird das Feindbild eines militaristischen und aggressiven russischen Autokraten entwickelt. Russland wird als Staat dämonisiert. Ähnliches entwickelt sich zwischen den USA und China.

    Die gegenseitige Feindbildkonstruktion, die häufig durch dementsprechende Berichterstattung in den Medien intensiviert wird, hat verschiedene Funktionen. Sie lenkt von innenpolitischen Schwierigkeiten ab, erhält militärische Strukturen, unterstützt die Existenz des militärisch-ökonomischen Komplexes, erhöht die Kampfbereitschaft in der Bevölkerung und schafft die Voraussetzung für militärische Interventionen mit einem geostrategischen bzw. machtpolitischen Hintergrund.

    Wie könnte man also der gegenseitigen Feindbildkonstruktion die Voraussetzungen entziehen?
    Zur Rolle von politischen Visionen
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    Kurzfristige Realpolitik in den internationalen Beziehungen ist häufig nicht genügend an längerfristigen politischen Zielsetzungen orientiert. Doch politische Visionen, also langfristige Entwürfe einer sinnvollen zukünftigen politischen Neuordnung, sollten in einem positiven Sinne die Normen gegenwärtigen politischen Handelns in der internationalen Politik bestimmen.

    Immanuel Kant hätte in seinen Überlegungen Zum ewigen Frieden1 ohne eine positive Vision gesellschaftlicher Entwicklung nicht die ideellen Grundlagen der Vereinten Nationen entwickeln können.

    Eine auf der Kritik realer Verhältnisse und an ethischen Idealen einer gemeinsamen, demokratischen, gerechten, friedlichen und ökologisch vertretbaren Entwicklung basierende Vision gesellschaftlicher Neuordnung stellt die Voraussetzung dafür dar, dass die gegenwärtigen politischen Schritte nicht orientierungslos ausfallen, den interessierten Machteliten bzw. den herrschenden Mächten überlassen bleiben.

    Hierbei kann man einer politischen Vision nicht vorwerfen, sie sei visionär und nicht sofort umsetzbar. Das Visionäre ist ja der Kern einer Vision. Sie stellt – im positiven Sinne – eine in die Zukunft gedachte vernünftige politische Entwicklungsabsicht dar.

    Die an einer derartigen Vision ausgerichteten ersten Schritte müssen allerdings realistisch am Ist-Zustand ausgerichtet sein. Hierbei sollte eine eher optimistische Grundhaltung das bestimmende Moment sein, ohne die keine Motivation für konkrete Schritte in eine sinnvolle friedenspolitische Richtung entstehen kann. Ein pessimistisch ausgerichteter realpolitischer Habitus stellt hingegen ein Hemmnis für eine friedliche Entwicklung dar, da er den Völkern keine gemeinsame Entwicklungschance zutraut.

    Die friedenspolitische Initiative „Sicherheit neu denken“ bzw. „Rethinking Security“ entwickelt daher ein Positivszenario friedenspolitischer Entwicklung, das von folgenden Prämissen ausgeht:

    Nachhaltige zivile Sicherheitspolitik beruht auf einer Friedensethik, in der sich die Gedanken und Handlungen nicht nur auf die eigenen nationalen Interessen beziehen, sondern zugleich reflektieren, welche Folgen diese für die Menschen in anderen Ländern haben. Sicherheit besteht in dieser Perspektive (nur) als gemeinsame Sicherheit aller Beteiligten. Das gilt sowohl für den Einzelnen in seinem privaten Alltag als auch für die Akteure in Wirtschaft, Politik, Kultur, Erziehung und Wissenschaft. In diesem Szenario entwickelt die Gesellschaft als Ganze eine Orientierung gemeinsamer Sicherheit als Weg und Ziel, um der Kultur der Gewalt entgegentreten und eine Kultur des Friedens entwickeln zu können.
    Initiative Sicherheit neu denken

    Die Nato und Russland

    Die Nato rückt immer näher an die Westgrenze Russlands bzw. der Russischen Föderation heran. Dies ist unbestreitbar. Ehemalige Staaten des Warschauer Pakts wurden zu Nato-Staaten.

    Militärische Nato-Strukturen wurden in diesen Staaten aufgebaut. Umfassende Militärmanöver einer hinsichtlich konventioneller Waffen vielfach überlegenen Nato fanden an der russischen Westgrenze statt.

    Es ist daher nachvollziehbar, dass Russland sich bedroht fühlt, nachdem es im vergangenen Jahrhundert zweimal in Weltkriege mit schrecklichem Blutzoll verwickelt wurde. Genauso fühlen sich hingegen die osteuropäischen Staaten durch russische Truppenkonzentrationen und Militärübungen bedroht, da sie die russischen Interventionen in der Krim und der Ostukraine vor Augen haben.

    Abrüstungsverträge, wie z.B. der „Intermediate Range Nuclear Forces Treaty“ (INF-Vertrag), wurden aufgekündigt. Beide Seiten rüsten wieder rücksichtslos auf – auch im Bereich der Nuklearwaffen. Maßnahmen zur militärpolitischen Transparenz wurden abgeschafft.

    So erfolgte 2020 bzw. 2021 der Austritt der USA und Russlands aus dem 1992 beschlossenen Treaty on Open Skies, der die gegenseitige Kontrolle von Rüstungsmaßnahmen und Truppenbewegungen erleichtern sollte.

    Einerseits hat sich die Nato entgegen der 1990 zunächst geäußerten, aber nie vertraglich geregelten Absichten in Richtung Osteuropa bis an die Grenzen der Russischen Föderation ausgebreitet. Dies wird von russischer Seite als Wortbruch und als Gefährdung ihrer Sicherheit empfunden.

    Andererseits gilt auch das in der UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Einem Staat kann daher auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts nicht vorgeschrieben werden, welchem Bündnis er beizutreten hat.

    Die Waffenlieferungen in die Ukraine und deren Bestrebungen, in die Nato einzutreten, und die dadurch von Russland empfundene Bedrohung führten nun zur aktuellen Truppenkonzentration an der russischen Westgrenze. Die Nato-Staaten und die EU drohen hingegen mit massiven Sanktionen, falls Russland militärisch in der Ukraine intervenieren wird.

    Wie kann man nun dieses gegenseitige Bedrohungspotenzial reduzieren und zu gemeinsamen Verhandlungen sowie wieder zu einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur gelangen?
    Die Nato sollte der Russischen Föderation ein Angebot unterbreiten

    In der Charta von Paris von 1990 wurde eine neue Sicherheitsarchitektur Europas unter Einschluss Russlands entworfen:

    In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen gemäß der Charta der Vereinten Nationen und der Schlussakte von Helsinki erneuern wir unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt oder jeder sonstigen mit den Grundsätzen oder Zielen dieser Dokumente unvereinbaren Handlung zu enthalten. Wir erinnern daran, dass die Nichterfüllung der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt.

    Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Wir beschließen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen den Teilnehmerstaaten zu entwickeln.
    Charta von Paris

    So war die russische Seite in diesem Sinne noch Anfang des 21. Jahrhunderts nicht abgeneigt, über eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und eine Annäherung an die Nato zu verhandeln. Wladimir Putins Rede am 21.9.2001 vor dem Deutschen Bundestag enthielt friedenspolitische Angebote, die in diese Richtung zielten:

    Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.
    Wladimir Putin vor dem Deutschen Bundestag am 25.9.2001

    Doch die von russischer Seite ausgestreckte Hand wurde aufgrund verschiedener westlicher Interessenlagen nicht ergriffen und ignoriert.

    Diese damals angelegte Entwicklung gilt es nun aber wieder aufzugreifen, ehe es zu spät ist.

    Hierbei geht es um die politische Vision einer internationalen Zusammenarbeit in Europa unter Einbezug Russlands und um die wieder herzustellende und zu erweiternde Vernetzung der Nato mit Russland bzw. der Russischen Föderation.2

    Der Russischen Föderation ist in einem ersten Schritt vonseiten der Nato ein Angebot einer Annäherung an die Nato mit dem mittelfristigen Ziel einer gemeinsamen tragfähigen Sicherheitsarchitektur zu unterbreiten.

    Dies kann im Rahmen der 1990 in der Charta von Paris festgelegten friedenspolitischen Normen unter der zu leistenden Vermittlung der EU und der OSZE erfolgen – so in der Charta von Paris:

    Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden. Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten.
    Charta von Paris (1990): a.a.O.

    Hierbei kann auf bereits früher existierende Strukturen zurückgegriffen werden, wie sie unter dem Dach der ehemaligen KSZE (heute OSZE) vorgenommen wurden.

    Wieder herzustellen wäre auch Russlands Status bei der Nato im Rahmen des Nato-Russland-Rats, der durch die gemeinsame Unterzeichnung der Erklärung von Rom (2002) festgelegt wurde.

    Hierfür müsste zunächst die Ausweisung russischer Vertreter bei der Nato rückgängig gemacht werden. Genauso sind das Zurückziehen aller russischen Vertreter aus der Nato sowie der Entzug der diplomatischen Akkreditierung der Nato-Vertreter in Moskau zu revidieren.

    In einem nächsten Schritt sind die Neuverhandlung der aufgekündigten Abrüstungsverträge unter Vermittlung der OSZE vorzunehmen und weitere Abrüstungsschritte einzuleiten. Hierüber hinaus sind die Verabredung gemeinsamer Sicherheitsstrategien sowie technologischer Zusammenarbeit im Rahmen der Absprachen im wieder zu aktivierenden Nato-Russland-Rat sinnvoll.

    Insbesondere gilt es die Transparenz über die gemeinsame Kooperation zu erhöhen, z.B. den Treaty on Open Skies wieder zu aktivieren, und regelmäßige Treffen und Gespräche institutionalisiert aufzunehmen.

    Die aktuellen russischen Forderungen, dass die Nato ihre Truppen auf die Positionen hinter 1997 – also vor der Osterweiterung der Nato um Staaten wie z.B. Polen, Ungarn oder Bulgarien – zurückziehen solle und dass die Nato eine Mitgliedschaft für die Zukunft ausschließen solle, scheinen für die NATO nicht akzeptabel zu sein.

    Dennoch liegt hierin zumindest ein Verhandlungsansatz begründet, über den miteinander gesprochen werden könnte.

    Es wäre z.B. möglich, z.B. über die Aktivierung des Normandie-Formats, mit oberster Priorität kurzfristig die 400 km lange und im Vertrag von Minsk II 2015 festgelegte militärische Pufferzone durchzusetzen und dort für die notwendige Entspannung einer aktuell eskalierenden Situation zu sorgen. Truppen und schweres militärisches Gerät müssen auf beiden Seiten aus der Nähe des ostukrainischen Krisengebiets zurückgezogen werden.

    Zudem müsste mittelfristig ein militärfreier Sicherheitskorridor zwischen den osteuropäischen Nato-Staaten und der angrenzenden Russischen Föderation insgesamt verabredet werden, um den gemeinsamen Sicherheitsinteressen zu entsprechen.

    In einem dritten Schritt sind weitere wichtige Akteure, wie die UNO sowie die chinesische Regierung in die Gespräche über eine zu erweiternde internationale Sicherheitsarchitektur einzubeziehen, u.a. mit dem Ziel eines bedeutenden und vertraglich abgesicherten Beitrags für die Abrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich der existierenden Waffenarsenale.

    Hierbei ist diese Sicherheitsarchitektur über die UN-Generalversammlung und den UN-Sicherheitsrat zu legitimieren und zu institutionalisieren.

    Angesichts der derzeit eintretenden militärischen Bedrohungsszenarien an der osteuropäischen Grenze erscheinen derartige sicherheitspolitische Schritte ausschließlich realpolitisch ausgerichteten Skeptikern wahrscheinlich abwegig. Doch gerade angesichts der aktuellen Kriegsgefahr ist ein Umlenken dringend erforderlich.

    Ein Krieg zwischen der Nato und der Russischen Föderation wird nur Verlierer kennen. Sowohl im Falle eines mit konventionellen Mitteln als auch nuklear ausgetragenen militärischen Konflikts werden wieder Millionen Menschenleben als Opfer zu beklagen sein, wird möglicherweise eine militärische Eskalation verursacht, die nicht mehr zu stoppen ist und welche die Grundlagen menschlicher Zivilisation zerstören wird.

    Hierbei kann die massive Überlegenheit der NATO im konventionellen Waffenbereich3 dazu führen, dass Russland im Falle militärischer Unterlegenheit Nuklearwaffen einsetzt.

    Ist es angesichts dieses durchaus realistischen Zukunftsszenarios nicht wert, über eine konsequente Neuordnung der internationalen Strukturen nachzudenken?
    Vorteile einer neuen Sicherheitsstruktur

    Die sicherheitspolitische Neuordnung der internationalen Beziehungen müsste von den ebenfalls zu reformierenden Vereinten Nationen 4 im UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung begleitet und legitimiert werden.

    Der dann zu vollendende Prozess einer Annäherung und die wieder zu beginnende Kooperation der Russischen Föderation mit der Nato müsste mit einer Umstrukturierung der Nato zu einem echten Verteidigungsbündnis unter Verzicht von Angriffswaffen und u.a. mit einem Angebot an die VR China für eine umfassende Sicherheitspartnerschaft zwischen Nato, EU, Russischer Föderation und der VR China verbunden sein, damit sich diese nicht durch ein neues Sicherheitsbündnis der Nato und der Russischen Föderation militärisch bedroht fühlt.

    Durch eine derartige Sicherheitsarchitektur von New York, über Brüssel, Moskau bis nach Peking würde die Notwendigkeit, sich mit der manipulativen Konstruktion gegenseitiger Feindbilder gegenseitig zu bedrohen, wegfallen.

    Der Feind würde abhandenkommen und zu einem Partner im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft werden. Das kurzfristige Ziel wäre eine sicherheitspolitische Partnerschaft. Doch das mittelfristige Ziel wäre eine gute Nachbarschaft befreundeter Staaten im Kontext einer zu reformierenden UN.

    Ein weiterer Vorteil würde in der Umlenkung gesellschaftlicher Ressourcen in eine konstruktive Richtung liegen. Zunächst würde das neue Sicherheitsbündnis über gemeinsame Verhandlungen die Rüstungsinvestitionen einfrieren, um die Rüstungsspirale zu stoppen. In einem nächsten Schritt gilt es dann, die Investitionen in Waffensysteme bis auf das notwendige Minimum im Rahmen der durch die UN kontrollierten weltpolizeilichen Maßnahmen5 zu reduzieren, sodass gewaltige Finanzmittel für das globale Engagement gegen die Klimakrise, gegen den Welthunger und für die notwendigen Investitionen in soziale Absicherung frei werden.

    Es geht hierbei um einen umzulenkenden gigantischen Betrag von ca. 20 Billionen US-Dollar in den nächsten 10 Jahren. Letztlich werden alle Beteiligten – bis auf die Rüstungsindustrien – Gewinner der Einlösung dieser politischen Vision sein. Doch auch die Rüstungsindustrien könnten zum ökonomischen Gewinner dieser sicherheitspolitischen Umorientierung werden, wenn sie ihre Rüstungskonversion und die damit verbundene Stärkung ihrer zivilen Produktionszweige ernsthaft vornehmen würden.6
    Fazit

    Hiermit ist ein umfassender Vorschlag für die Gestaltung einer zukünftigen Sicherheitsarchitektur skizziert, der nicht ignoriert werden sollte. Über die Kooperation auf allen wichtigen Ebenen werden Vertrauen und damit Sicherheit aufgebaut. Es gilt nun, den hier vorgelegten Vorschlag in den entsprechenden Institutionen und Gremien zu diskutieren, auch parteipolitisch aufzugreifen, weiter auszudifferenzieren und dann Schritt für Schritt umzusetzen.

    Hierbei seien sowohl die EU, die Russische Föderation und die NATO an Putins Worte im Rahmen seiner 2001 im Deutschen Bundestag vorgetragene Rede erinnert:

    Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.
    Zitat aus Putin (2001): a.a.O.

    Das gegenwärtige Bedrohungsszenario und die gegenseitigen Drohgebärden im Kontext der russischen Truppenkonzentration an der Grenze zur Ostukraine und den entsprechenden militärischen Maßnahmen der Nato und der ukrainischen Regierung sind hingegen äußerst kontraproduktiv.

    Hier sollten die Nato und die EU an die Charta von Paris (1990) und die Russische Föderation an Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag (2001) erinnert werden. Darin sind die Normen und Werte sowie die sicherheitspolitischen Strategien und Verhaltensweisen enthalten, die für eine Deeskalation der gegenwärtigen Bedrohungslage notwendig sind. Hören Sie auf, sich zu bedrohen, reden Sie endlich wie erwachsene, reife Menschen miteinander!

    Die Welt kann sich keine weitere Vergeudung gesellschaftlicher Ressourcen leisten. Die gemeinsamen Kräfte müssen global gebündelt werden, um die gegenwärtigen Bedrohungen, wie die Klimakrise, militärische Konflikte, Pandemien oder wachsende soziale Unterschiede, zu bekämpfen.

    Der Nato, der Russischen Föderation, der VR China, der EU und der OSZE sowie vor allem der UNO kommen hier die entscheidenden Aufgabenstellungen in Zusammenarbeit aller Staaten und transnationalen Regionen zu, um einen dritten Weltkrieg zu vermeiden und auch den nächsten Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

  • Triage-Urteil zwischen den Feiertagen
    https://www.heise.de/tp/features/Triage-Urteil-zwischen-den-Feiertagen-6302610.html

    Tu mourra parce tu es handicapé. L’euthanasie entre par l’arrière-porte. En Allemagne la cour de justice constitutionnelle décidera après noël sur la plainte d’une association qui revendique le droit au traitement pour les handicapés. Après des années de fermetures d’hôpitaux on risque le triage des patients. Les handicapés craignent d’ètre les premières victimes de la peinurie des soins et exigent des règles de triage qui leur donnent la même chance comme les personnes sans handicap.

    21.12.2021 von Claudia Wangerin - Bundesverfassungsgericht entscheidet über Klage von Menschen mit Behinderung, die befürchten, in der Pandemie „medizinisch aussortiert“ zu werden

    Der lange nur in der Kriegsmedizin gebrauchte Begriff ist in der Corona-Krise auch wegen des kaputt gesparten Gesundheitssystems wieder an der Tagesordnung: Zwischen Weihnachten und Silvester will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Triage veröffentlichen.

    Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe kündigte heute an, am 28. Dezember zu bekanntzugeben, wie es über eine Klage von neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen, die befürchten, bei einer Überlastung der Intensivstationen wegen ihrer statistisch schlechten Überlebenschancen benachteiligt zu werden, entschieden hat.

    Die Klage wird von dem Verein Ability Watch unterstützt. Die Beteiligten fordern, dass die Gesetzgebung Entscheidungskriterien für den Fall vorgibt, dass die Intensivkapazitäten in der Corona-Pandemie nicht ausreichen. Sie berufen sich auf das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem ausdrücklich steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Die Frage, wer im Fall nicht ausreichender Behandlungsplätze versorgt wird, sei deshalb keine rein medizinische, sondern eine gesellschaftliche, betont Ability Watch,

    Ihre Verfassungsbeschwerde hatten sie bereits im vergangenen Jahr angestrengt und mit einem Eilantrag verbunden, um durchzusetzen, dass bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ein Gremium, in dem auch behinderte Menschen vertreten sind, Regelungen für die Zwischenzeit erarbeitet. Dem war der zuständige Erste Senat aber nicht nachgekommen.

    Als krankenversicherte Menschen haben wir einen Anspruch auf medizinische Behandlung – gerade, wenn sie unser Leben retten kann. Diesen Anspruch haben wir gleichberechtigt mit allen anderen krankenversicherten Patienten. Wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Situation eintreten kann, in der die Ressourcen nicht ausreichen, jede und jeden, der lebensrettender Behandlung bedarf, dementsprechend zu versorgen, muss er versuchen, Ressourcen zu erweitern.

    Wenn das nicht ausreichend möglich ist, muss er zumindest selbst Kriterien entwickeln, wie diese Knappheit zu bewältigen ist. Diese Lösungen müssen in der Gesellschaft diskutiert werden und sie müssen verfassungsgemäß sein. Eine Lösung, die Menschen mit Behinderungen in so einer Situation benachteiligt – egal ob direkt oder mittelbar – ist nicht verfassungsgemäß.

    Ability Watch e. V.

    Medizinerinnen und Mediziner könnten entscheiden, wie eine lebensrettende Behandlung aussehen könne und für wen sie indiziert sei.

    Der Fachverband der Intensivmediziner (DIVI) hatte im Frühjahr 2020 eine „Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit“ vorgelegt. Die Fachgesellschaften hatten zwar einleitend betont, nicht aufgrund von Behinderungen oder aus Altersgründen diskriminieren zu wollen, allerdings war dies nach Ansicht der Klägerinnen und Kläger durch die Auswahl der Kriterien zumindest indirekt der Fall. Ihnen drohe nach DIVI-Kriterien die „medizinische Aussortierung“.
    Fehlende Impfung gilt nicht als legitimes Kriterium

    Im November dieses Jahres wurde die Leitlinie zwar aktualisiert, aber nicht aufgrund der Kritik von Menschen mit Behinderungen, sondern vor allem wegen der Debatte um die mögliche Benachteiligung von ungeimpften Covid-19-Patienten und der Kritik an der massenhaften Verschiebung „planbarer“ Operationen – darunter auch Krebs-Operationen – zugunsten von Covid-19-Patienten allgemein.

    Eine fehlende Impfung ist demnach kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen, da laut der DIVI-Arbeitsgruppe Ethik medizinische Hilfspflichten „bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unabhängig vom Auslöser beziehungsweise dem vorangehenden Verhalten des bedürftigen Patienten“ bestehen.

    Zugunsten von Covid-19-Patienten dürfen laut der aktualisierten Leitlinie zunächst nur solche Behandlungen anderer Krankheiten aufgeschoben werden, bei denen durch die Verzögerung „keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder gar der vorzeitige Tod“ zu erwarten sind. In Grenzfällen sollen die Betroffenen zumindest nicht gegenüber Covid-19-Patienten benachteiligt werden. Die Gleichbehandlung aller zu versorgenden Patienten ist auch im Falle knapper Ressourcen zu gewährleisten, heißt es.

    #coronavirus #covid-19 #triage #maladie #euthanasie

  • Missing Link: Chinas neue Datenschutzgesetze – eine ’Kulturrevolution 4.0’
    https://www.heise.de/hintergrund/Missing-Link-Chinas-neue-Datenschutzgesetze-eine-Kulturrevolution-4-0-6298616.

    19.12.2021 von Monika Ermert - Neue Gesetze für mehr Datenschutz und -sicherheit ähneln teils der DSGVO. Doch tatsächlich hat in China längst eine allumfassende Regulierungskampagne begonnen.

    China hat sich im zweiten Pandemiejahr ein erstes Online-Datenschutzgesetz gegeben und ein neues Datensicherheitsgesetz. Es macht mit einer Algorithmenregulierung sozialistischer Prägung auf sich aufmerksam. Anleihen bei der Datenschutzgrundverordnung und den europäischen Plänen zur Einhegung der großen Plattformen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein Nutzer freundliches Internet nicht das Ziel des Rundumschlags von Xi Jinping ist.

    Im Herbst 2021 sah sich der große chinesische Plattformkonzern Tencent bemüßigt, die Identität eines Gamers festzustellen. Der hatte beim populären Online-Spiel „Honor of Kings“ zu nächtlicher Stunde fünf Gegner auf einen Streich – einen sogenannten Pentakill – geschafft. Der Mann hatte angegeben, 60 Jahre alt zu sein, und ein Raunen ging durchs chinesische Netz, wie das US-Magazin The Atlantic Mitte November berichtete.
    Zocken nur an Sonn- und Feiertagen

    Bewunderer und Neider vermuteten sogleich, dass sich hinter der Rentneridentität ein Teenager versteckte, der gegen das Spielverbot für Kinder und Jugendliche verstoßen hatte. Das neue Gesetz verbietet allen unter 18-jährigen, an normalen Tagen überhaupt zu spielen. Nur Freitag, Samstag und Sonntag sowie an öffentlichen Feiertagen dürfen sie jeweils eine Stunde lang ihrer Spielleidenschaft frönen. Die für die Spiele zuständige National Press and Publication Administration (NPPA) hatte schon 2019 Zeitlimits eingeführt, im Pandemie-Jahr 2021 legte sie nochmals nach.

    Natürlich hätten Videospiele das öffentliche Bedürfnis nach Unterhaltung befriedigt und das „spirituelle und kulturelle Leben der Menschen bereichert“, heißt es in der ursprünglichen Begründung der NPPA. Doch zugleich litten junge Menschen zunehmend unter einer ungesunden Spielsucht. Also müsse reguliert werden, zum Schutz der Jugend und auch, weil man damit „den Geist der Anweisungen des Generalsekretärs, Xi Jinping“ am besten umsetzen könne. Laut der von The Atlantic zitierten US-Wissenschaftlerin Regina Abrami schickt es sich laut diesem „Geist“ für Chinesen nicht, „den ganzen Tag Videospiele zu spielen.“
    Eine Art ’Kulturrevolution 4.0’

    Klingt ein bisschen nach Kulturrevolution 4.0. Dazu passen sowohl neue Verordnungen, die der ausgeprägten Fankultur im Internet den Garaus machen wollen, als auch das ebenfalls 2021 verhängte Verbot von kommerzieller Nachhilfe für den um Universitätsplätze konkurrierenden chinesischen Nachwuchs. Statt bezahlter Kurse und ausländischer Lehrer verordnen Partei, Staatsrat und Bildungsministerium besseren Unterricht an den Schulen im Land und gut genutzte Freizeit. Kursangebote im Ausland sind strikt untersagt.

    Die Abschottung gegenüber dem Westen ist für Wissenschaftler in Deutschland heute auch direkt spürbar. Aus gemeinsamen rechtswissenschaftlichen Projekten haben sich chinesische Kollegen zurückgezogen, schreibt ein deutscher Rechtswissenschaftler auf Anfrage von heise online. Der chinesische Beitrag zu einer soeben erschienenen Publikation zur Plattformregulierung in aller Welt fehlt. Das Land drohe, verstärkt durch weniger direkten Austausch während der Pandemie, zu einer Black Box zu werden. Dabei gäbe es gerade aktuell reichlich Stoff für den Austausch.
    Import: Wie viel DSGVO steckt im PIPL?

    Gesetzgeberisch hat Xis Regierung die Pandemie nämlich intensiv genutzt und Gesetze im Goldachterschlag vorgelegt. Für sein Personal Information Protection Law (PIPL) hat man sich trotz der Abschottung nach außen nicht gescheut, Anleihen bei Europas Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu machen. Zu den Gemeinsamkeiten gehören die Anerkennung eines Rechtsschutzes für die persönlichen Daten natürlicher Personen (Artikel 2), Informationspflichten zur Art der Verarbeitung und Speicherdauer, gewisse Mitteilungspflichten bei Datenverlusten, Ansprüche der Bürger auf Einsicht (Artikel 44, 45) und Berichtigung (Artikel 46) sowie auf Entschädigung bei Verletzung gegenüber den Datenverarbeitern (Artikel 69).

    Es gibt das Konzept der informierten Einwilligung (Artikel 13.1). Zwar können Daten in einer Reihe von Fällen auch ohne Einwilligung verarbeitet werden, etwa von Arbeitgebern, in der Berichterstattung, in Notfallsituation oder wo es gesetzlich vorgesehen ist. Wie in der DSGVO enthält aber auch PIPL den Grundsatz, dass Service Provider Dienste nicht einfach verweigern dürfen, weil ein Nutzer der Art der Verarbeitung ihrer Daten nicht zustimmt.

    Datenverarbeiter, die im Auftrag des Data Controllers arbeiten, sind durch die Bestimmungen gebunden (Artikel 20, 21). Spezielle Regeln gelten für „sensible Datenkategorien“ (Artikel 28 ff.), zu denen biometrische, Gesundheitsdaten, Daten zu religiösen Anschauungen, Gesundheits-, Finanz- und Ortsdaten sowie die Daten von Kindern gehören. Für den Schutz der Daten von Kindern gibt es übrigens seit Ende 2019 bereits eigene Regeln auf Basis des chinesischen Gesetzes zur Cybersicherheit von 2017.
    Datentransfers und Extraterritorialität

    Abgeguckt hat sich Chinas Gesetzgeber von Europa auch das Prinzip der extraterritorialen Wirkung des Datenschutzes. Wer Daten chinesischer Bürger außerhalb des Reichs der Mitte verarbeitet, muss einen Bevollmächtigten innerhalb des Landes benennen, der als Ansprechpartner für Bürger und Behörden zur Verfügung steht (Artikel 53).

    Bei Datentransfers ins Ausland legt Chinas Regierung allerdings nach. Kritische Infrastrukturbetreiber und große Provider – was das heißt, steht noch nicht fest – sollen grundsätzlich alle persönlichen Daten im Inland halten (Artikel 40). Wer eine Ausnahme haben will, muss sich einer eingehenden Prüfung durch die Cyberspace Administration of China (CAC) unterziehen.

    Auch die Weitergabe chinesischer persönlicher Daten an nicht-chinesische Strafverfolgungsbehörden muss von offizieller Seite vorgenommen werden Artikel 41). Und dann gibt es noch die Warnung an alle ausländischen Unternehmen: Auch wer gegen Chinas Datenschutzgesetz im Ausland verstößt, muss mit Sanktionen rechnen (Artikel 42). Zudem behält man sich vor, ausländische Sanktionen gegenüber China im Bereich Datenschutz mit gleicher Münze heimzuzahlen.

    Drakonisch klingen die Bestimmungen des am 1. September – drei Monate vor dem PIPL – in Kraft getretenen Datensicherheitsgesetzes (PDF-Datei): „Datenverarbeitungsprozesse außerhalb des Territoriums der Volksrepublik China, die der nationalen Sicherheit, dem öffentlichen Interesse oder den rechtmäßigen Ansprüchen der Bürger der VRC schaden, werden gemäß diesem Gesetz verfolgt“, heißt es im Artikel 2 des Datensicherheitsgesetzes.

    Recht, Moral und teure Strafen

    Das Datensicherheitsgesetz (DSL) ist wie das PIPL zugleich durchsetzt von unbestimmten Rechtsbegriffen. Nicht nur die Missachtung von Gesetzen kann sanktioniert werden, sondern auch der Verstoß gegen „Moral und Ethik“, gegen „kommerzielle und professionelle Ethik“ oder gegen „Ehrlichkeit und Verantwortlichkeit“. Die Beschädigung nationaler Sicherheitsinteressen – diesbezügliche Daten gehören zu „Kerndaten“ in einem abgestuften System – kann laut DSL und PIPL teuer bestraft werden.

    Nur ein Beispiel: 10 Millionen Yuan teuer kann es werden, wenn man beim Datentransfers ins Ausland die Behörden nicht ausreichend informiert, und für den jeweils Verantwortlichen kann eine Extrastrafe von bis zu 1 Million Yuan dazukommen. Die Höchststrafen im PIPL belaufen sich auf 50 Millionen Yuan oder 5 Prozent des Jahresumsatzes, wobei Kommentatoren darauf hingewiesen haben, dass noch geklärt werden muss, ob dabei der in China erzielte oder der globale Jahresumsatz gemeint ist. Festgestellte Verstöße gegen PIPL werden als Saldo auf dem Social Credit-Konto der Missetäter verbucht (Artikel 67).

    Vom Schlimmsten ausgehen

    Viele Details der frisch gedruckten Gesetze waren beim Inkrafttreten im September, beziehungsweise November (PIPL) 2021 noch nicht klar. Ausführungsbestimmungen, -Verordnungen der nachgeordneten Behörden müssen noch her und für Unternehmen gibt es einige Rechtsunsicherheiten. Anwaltsexperten der International Association for Privacy Professionals berichten von fieberhaften und manchmal kopflosen Bemühungen von Firmen zur Umsetzung.

    Mindestens zwei Indizien für eine pessimistische Auslegung der neuen Datenschutzgesetze gibt es trotz aller Beschwichtigungen, Chinas Behörden würden nicht sofort in die Vollen gehen: Da ist erstens die von Xi initiierte Neuverhandlung des Verhältnisses von Wirtschaft und Partei und der klare Machtanspruch letzterer. Zweitens verbietet die Umsetzung des von China der ehemaligen Kronkolonie Hongkong aufgezwungen Sicherheitsgesetzes alle Erwartungen an eine wenigstens zurückhaltende oder faire Behandlung von Gegnern des Xi-schen Traums für das zukünftige China.
    Aktion „Cyberschwert“

    Chinas große Plattform-Unternehmen haben nach kommerziellen Höhenflügen ganz offenbar die Flügel gestreckt. Das berichten Experten des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Das Institut, vom offiziellen China selbst wegen seiner Analysen auf der schwarzen Liste gelandet und daher aktuell – wie auch andere unbotmäßige Forscher – ohne Chance einzureisen, spricht von einer nie dagewesenen Regulierungsmanie und Durchsetzungskampagne der Xi-Republik. Im Land der politischen Kampagnen gibt es laut den MERICS-Forschern Kai von Carnap und Valerie Tan dafür auch einen Kampagnentitel: „Chinas Cyberschwert“.

    Hunderte von Firmen wurden auf Basis neuer oder novellierter Gesetze innerhalb eines guten Jahres mit Strafen von insgesamt mehr als 3 Milliarden US-Dollar belegt. International aktive Figuren wie der auch vom UN-Generalsekretär hofierte Jack Ma verschwanden für Monate von der Bühne, notiert MERICS. Chinas Behörden würden im Rahmen der „Cyberschwert“-Kampagne nachdrücklich ermuntert, hart gegen Chinas Unternehmen vorzugehen.

    Die erst 2018 neu gegründete State Administration for Market Regulation, verantwortlich für die Durchsetzung des seit 2019 geltenden Wettbewerbsrechts und des 2019 verabschiedeten E-Commerce Gesetzes, hat laut MERCIS bereits 3000 Verfahren angestrengt und allein im ersten halben Jahr 2021 206 Millionen Yuan kassiert.

    Die CAC ihrerseits habe unmittelbar nach dem Inkrafttreten des PIPL 100 Apps als Datenschutz-verletzend beschieden und die großen Plattformen verpflichtet, sie aus ihren App-Stores zu entfernen. Auch die Mitfahrplattform Didi Chuxing musste offline gehen.
    Unternehmen müssen mitspielen

    Die Tech-Unternehmen in China sehen ganz offenbar keinen Ausweg – sie spielen mit, konstatieren die MERICS Experten. Mas Alibaba etwa hat einen „Wohlfahrts-Fonds“ eingerichtet und 13,7 Milliarden Dollar dafür versprochen. Das sei als Reaktion auf Xis Forderung zu werten, den Reichtum der Neumilliardäre wieder mehr unters Volk zu bringen. Auch andere Unternehmen der Branche haben laut MERICS Vorschau auf 2022 nachgezogen: Tencent, Pinduodou, Meituan und Xiaomi wollen also viel Geld fürs Gemeinwohl ausgeben.

    Ob Xi durch die zur Schau gestellte Politik fürs Volk Kapital schlagen kann für seine Wiederwahl als Generalsekretär der KP 2022? Das könnte zumindest ein Kalkül sein. Denn eine dritte Amtszeit ist normalerweise unüblich und würde Xi noch mächtiger machen.
    Hongkongs Ende?

    Zum Fürchten ist der Machtanspruch Xis aus der Sicht von Hongkong, wo diejenigen, die noch an einer Art demokratischem System festhalten, in ein mörderisches Rückzugsgefecht verstrickt sind. Gefangenenhilfs- und Medienorganisationen weltweit bescheinigen der an China zurück gegebenen Kronkolonie eine immer verheerendere Menschenrechtssituation. Die Anwendung des 2020 von der VRC verabschiedeten und von Pekings Statthalterin Carrie Lam umgesetzten Nationalen Sicherheitsgesetzes liefert ein weiteres, untrügliches Indiz für pessimistische Prognosen, wenn es um die Umsetzung neuer angeblich nach dem Modell anderer, und sogar demokratischer Staaten geschaffener neuer Gesetze geht.

    Gut ein Jahr nachdem es in Kraft getreten ist, zog die Redaktion Bloomberg Bilanz: mindestens 150 Personen sind demnach wegen Subversion, Sezession, Kollaboration mit ausländischen Mächten oder Terrorvorwürfen angeklagt und teils zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Als subversiv zählen dabei bereits Social Media-Äußerungen zur Unterstützung von Aktivisten der Demokratiebewegung und natürlich entsprechende Berichterstattung. Allein Gespräche mit Ausländern können da schon zur Gefahr werden.

    Vergangene Woche wurden acht Delinquenten wegen der Teilnahme an der in Hongkong seit über 30 Jahren abgehaltenen Mahnwache am Tag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens zu Gefängnisstrafen verurteilt, darunter auch der Medienunternehmer Jimmy Lai. Die Erinnerung an das Massaker passt nicht in Xis neues Selbstbild.

    Die Verurteilten hätten wegen der Pandemie weder an der Versammlung teilnehmen, noch zu ihr aufrufen dürfen, so das Urteil der Vorsitzenden Richterin Amanda J. Woodcock. Sie gehört zur Riege der speziell für die Kammern zu Verfahren für nationale Sicherheitspolitik ausgewählten Juristen.
    Wider internationale Grundrechte

    Der Fall des NextMedia Gründers und Apple Daily Herausgebers Jimmy Lai gilt bereits jetzt als Präzedenzfall für die Härte, mit der das Sicherheitsgesetz von Chinas Gnaden um- und gegen jegliche Kritiker am chinesischen Regierungssystem eingesetzt wird.

    Unter anderem wird dem 74-jährigen Unternehmer in weiteren Verfahren Konspiration mit dem Ausland vorgeworfen. Am 23. Dezember vergangenen Jahres zunächst gegen eine Kaution von 1,29 Millionen Dollar aus der Haft in den Hausarrest entlassen, wurde er bereits am 31. Dezember wieder eingesperrt.

    Das Oberste Gericht von Hongkong hatte der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die Freisetzung auf Kaution stattgegeben. Der Vorrang der nationalen Sicherheit gegenüber jeglichen Kautionsanträgen gilt unter Juristen als Menetekel für künftige Verfahren. Überdies hatten die Hongkonger Richter erklärt, dass sie keine Kompetenz hätten, etwaige Verfassungsverletzungen durch die Richtersprüche der Kammern für Nationale Sicherheit zu überprüfen.

    Einige der Vorwürfe gegen Lai richten sich überdies, wie Amnesty in seinem ausführlichen Bericht zu den Anklagen unter dem Sicherheitsgesetz vermerkt, gegen Äußerungen im Jahr 2019. Das bedeutet, dass Chinas neue Gesetze auch rückwirkend angewandt werden.

    Lais unabhängige Zeitung AppleDaily gab im Sommer auf, kurz nachdem im Juni 2021 fünf Mitglieder der Chefredaktion unter dem gleichen Vorwurf – Konspiration mit dem Ausland – verhaftet worden waren. Wer noch als Journalist arbeiten will, dem bleibt am Ende wohl nur der Weggang aus Hongkong. Viele Nichtregierungsorganisationen sind dabei, diesen Schritt zu vollziehen: Amnesty etwa wird seine beiden Hongkonger Büros zum Ende des Jahres schließen.
    Wie sicher sind Olympioniken?

    Wie sicher also werden die im kommenden Jahr in China erwarteten Olympioniken sein – in dem Land, dessen Behandlung der Uighuren von einer der Vorsitzendes des Britischen Jewish Boards 2020 schon mit dem Umgang der Nazis mit den Juden verglichen wurde? Auf jeden Fall werden Sportler – und die Regierungsvertreter, die doch noch einreisen, sehr gut überwacht sein.

    Rund 600 Millionen Überwachungskameras gibt es im Land, allgegenwärtige Gesichtserkennung und ein gut behütetes (und gefiltertes) Internet, wie der Journalist Ian Williams in seinem Buch „Every Breath You Take: Chinas neue Tyrannei“ detailreich beschreibt. Mao, so meint Williams, hätte für seine Kulturrevolution von den Möglichkeiten, die Xi zur Verfügung stehen, nur träumen können.


    Welche Behörden in China sind besonders aktiv bei verhängten Maßnahmen?


    Viele neue Gesetze und Behörden, die regulierend eingreigen (Bild: Merics)


    Das Jahr, in dem China massiv gegen große Technik-Unternehmen vorging (Bild: The Wire)


    Die meisten Festnahmen aufgrund des neuen Sicherheitsgesetzes für Hongkong gab es an nur einem Tag (Bild: Bloomberg)

    Amnesty Interntional: HONG KONG: IN THE NAME OF
    NATIONAL SECURITY HUMAN RIGHTS VIOLATIONS RELATED TO THE IMPLEMENTATION OF THE
    HONG KONG NATIONAL SECURITY LAW
    https://www.amnesty.de/sites/default/files/2021-06/Amnesty-Bericht-Hongkong-China-Sicherheitsgesetz-In-the-name-of-national-sec

    #droit #internet #sécurité #surveillance #liberté_d_expression