• Interview mit Ben Gibson: Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin wird 50 | Berliner Zeitung
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    Fünfzig Jahre nach Holger Meins

    Im 9.Stock des Filmhauses liegt das Büro von Ben Gibson. Seit Februar 2016 ist der gebürtige Brite Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), die im Sony Center ansässig ist. Anlässlich ihres 50-jährigen Gründungsjubiläums am 17. September sprachen wir mit dem international vorzüglich vernetzten Gibson über die Zukunft der dffb.

    Mr. Gibson, Sie sind Anfang des Jahres nach Berlin gezogen. Wie ist Ihr Eindruck von der Stadt?

    Obwohl ich Berlin kenne, ist das alles sehr aufregend – schließlich besuche ich seit 1979 regelmäßig die Berlinale; in jenem Jahr schloss ich das College ab. Danach kam ich als Filmautor, Verleiher, Kinobetreiber und als Filmproduzent zu den Filmfestspielen Berlin. Deren Direktor Dieter Kosslick kenne ich seit 25 Jahren. Bei Ulrich Gregor, der gemeinsam mit Erika Gregor das Forum der Berlinale begründet hat, erhielt ich meine filmische Bildung, im Kino Delphi. Vor dem Mauerfall ging ich via Grenzübergang Friedrichstraße nach Ostberlin, ins Berliner Ensemble. – Berlin spielte in meinem Leben also immer eine Rolle. Eigentlich sehe ich mich selbst als reisenden Europäer. Aber nach dem Brexit bin ich wohl eine Art Flüchtling. Wenn man aus London kommt, erlebt man Berlin als sehr durchlässig und tolerant – auch gegenüber Leuten, die kein Geld haben, und für kulturelle Experimente. Berlin hat ja nichts außer Museen und die Kulturszene. Für mich ist Berlin ein wundervoller Zufall!

    Und wie sind Ihre ersten Erfahrungen mit Ihren Studenten?

    Viele sind sehr begabt. Wir haben interessante Debatten und Streits. Grundsätzlich wollen sie alles in Frage stellen: Warum sie tun, was sie tun; wofür die Filmhochschule da ist … Ich finde das richtig! Filmhochschulen sollten keine „Corporate Training Places“ für die Industrie sein. Die bedeutendsten Filmhochschulen der Welt, etwa die WGIK in Moskau oder die FAMU in Prag, waren Geburtsstätten neuer filmischer Bewegungen, wo Fragen gestellt wurden zu dem, was gerade geschah. Meine Erfahrung – ambitionierte Low-Budget-Filme zu produzieren, die in den USA für den Kinoverleih verkauft werden konnten – kommt dem zugute, was sich nun an der dffb verändern muss. Ich mag es nicht, durch Begriffe wie „Kunstfilm“, „marginale“ oder „gewinnorientierte“ Filme zu polarisieren. Der Punkt ist doch, großartige Arbeit zum richtigen Preis zu machen.

    Worauf legen Sie besonderes Augenmerk in der Ausbildung?

    Auf das filmische Handwerk. Ich möchte hier Cutter als Dozenten haben und auch eine Abteilung für Produktionsdesign. Es gibt keinen Grund, warum sich die dffb nicht um das Vermitteln solcher Kenntnisse und Fähigkeiten kümmern sollte. Wir sind bereits mit den Studenten dahingehend übereingekommen, dass wir das Grundstudium ändern. In den ersten zwei Jahren der Ausbildung dürfen die Studenten durchaus zugeben, dass sie eigentlich nichts wissen und von der Pike auf zu lernen beginnen. So wird übrigens auch an Konservatorien und Schauspielschulen verfahren. An der dffb gibt es nun eine veränderte Studienstruktur – in Trimestern. Und es geht sehr transparent zu: Jeder arbeitet an einem Filmprojekt, und alle haben darin Einblick. Außerdem wird die dffb noch mehr zweisprachig. Und schließlich starten wir auch das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung geförderte Filmnetzwerk Berlin für Filmemacher in Berlin, und wir werden noch mehr mit Filmhochschulen überall auf der Welt arbeiten.

    Bevor Sie Ihr Amt als dffb-Direktor antraten, gab es heftige Konflikte um die Besetzung des Postens, Streiks, öffentliche Erklärungen. Wie wurden Sie eigentlich von den Studenten und Dozenten aufgenommen?

    Nachdem mein Name in die Debatte geworfen war, musste ich erst mal eine Vorlesung halten. Einige Leute haben gegen mich gearbeitet, wohl weil ich Brite und Produzent bin. Vielleicht fürchteten sie, dass ich „Award Season“-Filme in der Art des US-Produzenten Harvey Weinstein fördern würde! Diese Leute waren nicht informiert darüber, dass ich an einem Konservatorium unterrichtet und Arbeiten von Arthouse-Regisseuren wie Terence Davies produziert hatte. Es gibt natürlich immer noch Auseinandersetzungen. Aber letztlich sehen alle die unbedingte Notwendigkeit von Veränderungen an der dffb. Nur konnte man die Art dieser Veränderungen nicht so recht formulieren. Jetzt arbeiten wir gemeinsam an diesen Veränderungen. Das bringt uns Respekt ein.

    Was ist, außer den bereits erwähnten Strukturveränderungen, noch neu an der dffb?

    Die meisten Lehrveranstaltungen in den vergangenen zwei Jahren wurden hier durch Gast-Dozenten realisiert, die Filmseminare gaben, und zwar sehr gute, über ihr jeweiliges Fach. Jetzt werden wir zu einem System übergehen, wo jeder Film, den wir drehen – ob Seminarfilm, Übungen oder Kurzfilme – einen Produzenten, Regisseur, Autor, Kameramann haben wird. Und dann werden wir die Filme gemeinsam anschauen und kritisieren. Dies ist eine alte Tradition, aber wir wollen sie stärken. Film ist ja ein Gesamtkunstwerk; also muss sich die gesamte Schule in allen Gewerken/Spezialisierungen zusammentun, ähnlich einer Jazz-Session. Die Leute können nicht schon zu Beginn ihres Studiums sagen: Okay, ich will Regisseur sein und befasse mich jetzt fünf Ausbildungsjahre lang mit Regieführen. Wenn das geschieht, hat die Schule versagt. Sie hat auch versagt, wenn sie politische und gesellschaftliche Gegebenheiten außer Acht lässt. Und die künstlerische Freiheit.

    Wie beginnt eine Ausbildungswoche an der dffb?

    Jeder Montag beginnt mit einer Filmvorführung im Kino, thematisch zur Filmgeschichte oder zu Filmstilen. Am Donnerstag gibt es weitere Vorführungen. Die Studenten sollen Cinephile sein, also wissen, dass es auch lange vor Francis Ford Coppolas „Der Pate“ eine Kinogeschichte gab. Sie sollen wissen, dass die Filme, die in den 1970ern von den Regisseuren des New Hollywood, Coppola, Scorsese et cetera, gemacht wurden, heute nicht mehr denkbar wären – „Taxi Driver“ etwa wäre zu gewagt für heutige Verhältnisse! Die Studenten sollen eine Menge über Filmformen wissen. Filmemacher stehlen, ob sie wollen oder nicht. Ich glaube nicht besonders an originäres Filmemachen oder Genialität, wohl aber an intelligenten Diebstahl.

    Was halten Sie darüber hinaus für die notwendigsten Eigenschaften eines Filmstudenten?

    Einsatz. Engagement. Bereitschaft zu sehr harter Arbeit, zur Zusammenarbeit; bereit sein, voneinander zu lernen – das sind Life Skills. Dann, dass man die eigenen Instinkte ernst nimmt. Den Unterschied kennt zwischen Spezialisierung und Professionalität. Die Zeiten für unabhängige Filme sind gerade gut, weil Hollywood sich nicht darum kümmert – dort setzt man auf Comic-Adaptionen und Sequels. Das ganze Feld der Independents liegt offen da!

    Wie wirkt die dffb künftig in die Stadt hinein?

    Ich glaube, dass die dffb in der Stadt von außen zu wenig wahrgenommen wird. Wenn Sie Leute in Neukölln oder Kreuzberg fragen, können die oft nichts mit dem Kürzel dffb anfangen. dffb ist ein politisches Initial. Wir sollten erst einmal ein paar Jahre lang nur die volle Bezeichnung benutzen: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin.

    Das Gespräch führte

    Anke Westphal.

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