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    • propre lien :

      https://www.heise.de/tp/features/Nato-und-Russland-Blick-in-den-Abgrund-6513994.html

      […]

      Selbsttäuschung, mit der Konsequenz einer Täuschung der Öffentlichkeit hat ihren Kern im Bruch der mündlichen Vereinbarungen der Westmächte und der damaligen Sowjetunion aus den Jahren 1989 und 1990 während der Verhandlungen über die Aufnahme der DDR in das Nato-Land Bundesrepublik Deutschland.

      Dazu hielt damals der Staatssekretär im Bundesaußenministerium Jürgen Chrobog (FDP) als Verhandlungsresultat fest:

      Wir haben in den Zwei-plus-vier Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die Nato nicht über die Elbe hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine Nato-Mitgliedschaft anbieten. Jürgen Chrobog

      Heute erklären die Nato-Kräfte und ihre Unterstützer wie Bundesaußenministerin Baerbock, es sei Russland, das die Sicherheitsarchitektur Europas infrage stelle, indem es ein “System der Mächterivalität und Einflusssphären” einfordere, denn: “Über den Weg, den ein Land gehen will, können nur das Land selbst, und vor allen Dingen seine Menschen entscheiden.”

      Das ist ein leicht durchschaubares Narrativ zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Es klingt auf den ersten Blick plausibel, weshalb es seine Wirkung erzielt. Natürlich hat die Nato immer mitzuentscheiden, wen sie als Alliierten aufnimmt und wen nicht. Das ist nicht nur die Entscheidung des Staates, der sich um Aufnahme bewirbt. Ohne Einladung, ohne Aufnahmebereitschaft kommt es nicht zur Aufnahme; das zeigt schließlich schon der Umgang der EU mit dem Aufnahmeantrag der Türkei.

      Darum beharrt Russland auf schriftliche Vereinbarungen

      Wenn die Nato erklärt, die Aufnahme der Ukraine stehe aktuell nicht an, ist das für Russland nicht befriedigend. Es erinnert daran, wie die Westmächte mit ihren Erklärungen gegenüber der Sowjetunion während der Verhandlungen zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten umgingen, indem sie die abgesprochenen Inhalte nicht in die von beiden Seiten unterschriebenen vertraglichen Regelung aufnahmen.

      Damals war Michail Gorbatschow wohl zu gutgläubig, dass Worte seiner Verhandlungspartner gelten. Wäre das Thema damals juristisch sauber geführt worden, dann wäre die aktuelle Kriegsgefahr gar nicht erst entstanden. Implizit ist diese Frage allerdings sehr wohl völkerrechtlich zu bewerten.

      Mit ihrer Politik, das auszublenden, hebeln die Nato und die sie unterstützenden Kräfte – auch in der Ampel-Koalition – nicht nur die Vereinbarungen aus, die die Einheit der beiden deutschen Staaten erst möglich gemacht haben. Und sie verkaufen die von ihnen selbst praktizierte Aufkündigung der zum Ende des Kalten Krieges 1990 vereinbarten Sicherheitsarchitektur als deren Aufrechterhaltung.

      Der stoische Verweis auf die Verteidigung von “Souveränität”, “Freiheit” und “Demokratie” könnte den Kontinent dem Risiko eines Atomkriegs aussetzen. Denn die Spannungen, die sich aus der Verletzung unter anderem der Abmachungen von 1990 ergeben, führen zu Konfliktsituationen, die von beteiligten Akteuren schon selbst als gefährlich nahe an einem dritten großen Krieg in Europa seit 100 Jahren gekennzeichnet werden, wie man auch aus den Zitaten aus der Münchner Sicherheitskonferenz ersehen kann.

      Während dieser Konferenz warfen westliche Politiker Russland vor, es plane eine fingierte Situation herbei, um einen Angriff auf die Ukraine zu legitimieren: Nato-Generalsekretär Stoltenberg sprach von "Anzeichen, dass ‘Russland sich darauf vorbereitet, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu schaffen’. Die zunehmenden Waffenstillstandsverstöße in der Ostukraine, die ‘falschen Anschuldigungen’ eines ‘Genozids’ im Donbass und die Evakuierung der von den prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete seien ‘beunruhigende Zeichen’.

      […]

      #Ukraine #Russie #Allemagne 1990 #OTAN #NATO
      #Donbass

  • Impfpflicht : Freiheit, die gemeint ist
    https://www.heise.de/tp/features/Impfpflicht-Freiheit-die-gemeint-ist-6302651.html?seite=all

    Pouquoi et comment l’épidémie du coronavirus a provoqué la naissance d’un mouvement contestataire sans orientation politique traitionnelle

    25.12.2021 von Georg Schuster - Der liberale Rechtsstaat gerät zusehends mit den Freiheitsrechten seiner Bürger in Konflikt

    Die gesetzgeberisch angedachte allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 und ihre Einführung bei bestimmten Berufsgruppen sowie die Politik der Einschränkungen für Ungeimpfte verschärfen den gesellschaftlichen Streit um die Corona-Maßnahmen.

    Nachträge zu : Freiheit, die gemeint ist
    https://www.heise.de/tp/features/Nachtraege-zu-Freiheit-die-gemeint-ist-6318515.html?seite=all

    Was die Querdenker eint
    https://www.heise.de/tp/features/Was-die-Querdenker-eint-6351309.html?seite=all

    Die Freiheit, die sie meinen und die sie verbindet, ist der Widerhall dessen, was der demokratische Rechtsstaat unter diesem Titel proklamiert und ins Werk setzt. Lauter Konkurrenzbürger treiben sich unter seiner Obhut herum, deren gegensätzliche Interessen er im Namen dieses hohen Werts als Rechte bewilligt.

    Folglich nehmen auch demokratische Untertanen für ihre widerstreitenden Anliegen den Titel in Anspruch. Kein Wunder, dass Impfgegner glauben, mit dem Ruf „Mein Körper, meine Freiheit, mein Recht!“, der kein Virus beeindruckt, alles Nötige gesagt zu haben.

    Neben der falschen Sicherheit, in der sie sich damit wiegen, übersehen sie allerdings, dass der Staat ihnen die private Sorge um ihre Gesundheit normalerweise zwar gerne zuschiebt (und dies für Normalverdiener, denen dazu die Mittel fehlen, mit einer Zwangsversicherung bezahlbar macht).

    Im Fall einer Epidemie aber, wo die Infizierten selber zu einer Krankheitsursache werden, überlässt er die Gesundheit nicht dem persönlichen Ermessen, sondern verpflichtet es auf seine Prioritäten. Daran wird im Prinzip ersichtlich, was die Querdenker nicht oder ganz anders sehen wollen, wenn sie die Freiheit für ein naturgegebenes, den Staat bindendes Recht halten.

    Von wegen: Es ist die ideologische Fassung seiner Konzessionen, mit denen er die kapitalistische Gesellschaft beherrscht und verwaltet.

    #covid-19 #coronavirus #épidémie #pandémie #révolte #idéiligie #maladie #capitalisme

  • Uni Groningen: Dozent muss nach „Unterricht in Verschwörungstheorien“ aufhören
    https://www.heise.de/tp/features/Uni-Groningen-Dozent-muss-nach-Unterricht-in-Verschwoerungstheorien-aufhoeren-

    31.1.2022 von Stephan Schleim - KI-Forscher wollte nach eigenen Angaben „kritisches Denken“ unterrichten

    Etwas Wichtiges vorab: Es geht hier um einen Dozenten meiner eigenen Universität, den ich allerdings nicht persönlich kenne. Im Folgenden stütze ich mich auf Berichte in den niederländischen Medien und stelle ich ein paar eigene Gedanken zur Diskussionsfreiheit an. Ich spreche hier nur für mich, nicht für meinen Arbeitgeber.

    Tjeerd Andringa hat einen Hintergrund in Festkörperphysik (Master, 1991) und promovierte schließlich über Künstliche Intelligenz und Kognition (PhD, 2002). Dabei spezialisierte er sich auf die Erkennung von Sprache und gründete auch das Start-up-Unternehmen „Sound Intelligence“.

    Zurzeit ist er Assoziierter Professor und Leiter einer Forschungsgruppe für auditorische Kognition sowie Dozent am University College der Universität Groningen. Das University College gilt formal als eigene Fakultät und bietet einer kleinen Auswahl von Studierenden aus aller Welt eine breite interdisziplinäre akademische Ausbildung auf hohem Niveau an. Dafür zahlen die Teilnehmer auch doppelte Studiengebühren.
    Folgenreicher Artikel

    Am 26. Januar erschien dann aber die wöchentliche Ausgabe unserer (unabhängigen) Universitätszeitung mit einer beunruhigenden Titelstory: Der Dozent würde Fabeln und Verschwörungstheorien unterrichten und sei sonst auch mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

    In Windeseile verbreitete sich das Thema in den landesweiten Medien. Zuerst wurde nur das strittige Fach eingestellt, das im Februar wieder hätte beginnen sollen. Jetzt wurde dem Dozenten aber vorläufig die Lehrbefugnis entzogen, bis das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung vorliegt. Was ist da los?

    Im Brennpunkt ist ein Kurs mit dem Namen „Systems View on Life“ – systemisch auf das Leben schauen. Der Dozent verspricht in der Kursbeschreibung, die Studierenden würden lernen, einen wirklich eigenen Standpunkt zu entwickeln. Nur damit, andere Meinungen nachzuplappern, würde man bei ihm keine Punkte verdienen.

    In dem Kurs würde man herausgefordert. Es gehe darum, die Teilnehmenden aus ihrer „Komfortzone“ zu holen. Das könne unangenehm sein. Doch zur Belohnung warte nach der Auseinandersetzung mit „hochqualitativem Inhalt“ ein Verständnis dessen, was einen echten Akademiker ausmacht.
    „Bildung“ kommt von „bilden“

    Das klingt für mich ein bisschen nach einem Seminar zur Selbstfindung. Das muss nicht schlimm sein – immerhin kommt „Bildung“ von „bilden“ und geht es dabei auch um Persönlichkeitsbildung.

    Man wirft den Universitäten oft genug vor, sich im Abstrakten und Theoretischen zu verlieren. Gerade an so einem University College soll natürlich auch mal außerhalb des Bekannten gedacht werden, „out of the box“.

    Der Kurs scheint sich von der ursprünglichen Frage, wie Leben entsteht, in jüngerer Vergangenheit zu einem Potpourri gesellschaftspolitischer Fragen entwickelt haben. Der Artikel der Universitätszeitung, deren Redaktion mit insgesamt zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus mehreren Jahren sprach, nennt vor allem Klimawandel und Impfungen.

    Demnach habe der Dozent hauptsächlich Quellen verwendet, die den (vom Menschen verursachten) Klimawandel bestreiten. Über Impfungen sei behauptet worden, dass sie Autismus verursachen können. Letzteres ist ein auf den inzwischen mit einem Berufsverbot belegten britischen Arzt Andrew Wakefield zurückgehender Mythos.

    Dieser gründet auf einer 1998 in der angesehenen medizinischen Zeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie. 2004 publizierten allerdings zehn der zwölf Autoren – ohne Erstautor Wakefield – eine Korrektur. 2010 wurde die Veröffentlichung aufgrund unterschiedlicher Fehler und falscher Angaben dann von der Zeitschrift vollständig zurückgezogen.

    Einer Studentin, die den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus in Zweifel zog, soll Tjeerd Andringa „Respektlosigkeit“ vorgeworfen haben. Ein Experte in einem Video habe über das Thema immerhin sehr viel länger nachgedacht und mehr darüber geschrieben als sie. Vielleicht müsse sie erst noch etwas „wachsen“. Vom Wissenschaftler in dem Video könne sie noch viel lernen.

    Umgekehrt sei ein Student gelobt worden, der darüber schrieb, wie die Eliten die Menschheit beeinflussen. Beispielsweise würden die Rockefeller Familie oder der Amazon-Milliardär Jeff Bezos in Bildung investieren, um die Menschen hinterher besser manipulieren zu können.

    Der Artikel in der Universitätszeitung kommt zum deutlichen Fazit, dass der Dozent nur vorgeblich kritisches Denken habe fördern wollen. In Wirklichkeit habe er nur eine Wahrheit gelten lassen – nämlich seine eigene.

    Allerdings kommen auch Studierende zu Wort, die Andringa loben. Er sei eloquent und beschäftige sich auch intensiv mit den Ansichten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einer meint, durch die offenen Diskussionen habe er erst richtig kritisches Denken gelernt.
    Außerhalb der Uni

    Die Journalisten machten sich auf die Suche danach, wie sich der Wissenschaftler sonst in der Öffentlichkeit äußerte. Dabei stießen sie auf Texte und Interviews, in denen er Gedanken über eine „Kakistokratie“ entwickelt habe: Demnach würde die herrschende Elite systematisch Kinder missbrauchen, damit diese zu gefügsamen Dienern heranwüchsen.

    Sogar Geheimdienste würden höchstwahrscheinlich Sexpartys mit Kindern organisieren, um diese „Kakistokratie“ zu stützen. Und dies würde wiederum von den Regierungen gedeckt. Allerdings gebe es hierfür nur Indizienbeweise.

    Mit Blick auf die Anschläge vom 11. September meine er, dass Regierungen häufiger ihre eigene Bevölkerung angreifen, um die Menschen gefügiger zu machen. Der Dozent betone auch immer wieder die herausragende Bedeutung alternativer Medien.

    Auf dem Bio-Bauernhof seiner Frau habe Andringa schließlich außeruniversitäre Vorträge organisiert, auf denen die Coronamaßnahmen und die angeblich dominante Position der Juden kritisiert wurden. Ein Student, der daran im Herbst 2020 teilgenommen haben soll, wandte sich dann an eine Vertrauensperson der Universität, die schließlich die Verwaltung einschaltete.
    Qualitätskontrolle

    In Gesprächen zwischen Verwaltung und Dozent habe dieser sich immer wieder geringschätzend über die Bürokratie geäußert, die Meldung des Studenten als „cancel culture“ abgetan und sich mit beinahe kriminellen Äußerungen über das Antisemitismusverbot geäußert. Im Ergebnis erhielt Andringa eine Warnung und der strittige Kurs wurde vorläufig unter Aufsicht gestellt.

    Der Direktor des University College meint nun dazu, dass Dozenten auch außerhalb ihres Fachgebiets im engeren Sinn unterrichten könnten – das sei bei ihrer interdisziplinären Ausbildung ausdrücklich Sinn der Sache. Auch sei kritisches Denken wichtig. Dieses müsse aber innerhalb „ethischer Grenzen“ geschehen.

    Zudem müsse man bestimmte Qualitätsmaßstäbe einhalten. Nach der Untersuchung des Kurses habe man aber festgestellt, dass dieser sich nicht hinreichend verbessern lasse. Daher habe man entschieden, ihn nicht länger anzubieten.

    Wie bereits erwähnt, bleibt es dabei nun aber nicht: Landesweite Medien griffen den Artikel der Groninger Universitätszeitung vom 26. Januar sofort auf, beispielsweise die Tageszeitung NRC Handelsblad oder die Nachrichtenseite NOS.

    Am 28. Januar veröffentlichte die Universität dann eine kurze Mitteilung, dass der Dozent bis auf Weiteres gar nicht mehr am University College unterrichte. Man beginne nun eine unabhängige Untersuchung und warte deren Ergebnis ab.

    Tjeerd Andringa bekam von der Universitätszeitung die Gelegenheit einer Stellungnahme. Meinem Eindruck nach drückt er sich darin sehr kryptisch aus, verweist auf Aristoteles und den Bildungspychologen William Perry.

    Beide hätten sich dahingehend geäußert, ein entwickelter Geist müsse „mit Gedanken spielen, ohne diese zu akzeptieren“. Auf die Berichte in den landesweiten Medien will er diese Woche reagieren.
    Komplexe, aber wichtige Fragen

    Der Fall berührt eine ganze Reihe von Fragen, die für die Demokratie, die akademische Freiheit und die Polarisierung verschiedener Lager in unserer Zeit von enormer Bedeutung sind. Dazu im Folgenden ein paar Gedanken:

    Warum gibt es überhaupt Universitäten? Wenn der Sinn des Bildungssystems ausschließlich wäre, produktive Arbeitskräfte zu erzeugen, dann bräuchte man gar kein öffentliches Bildungswesen.

    Eine marktgerechte Ausbildung könnte man besser der freien Wirtschaft überlassen: Dann gäbe es vielleicht eine Allianz-Akademie für Versicherungswesen, eine BMW-Hochschule für Maschinenbau oder ein Facebook-Institut für Meinungsfreiheit.

    Man kann sich leicht vorstellen, wie „frei“ Diskussionen etwa von Verbraucherschutz, Umweltschutz oder Netz-Zensur an solchen Einrichtungen wären. Der Staat könnte bei Bedarf finanzielle Zuschüsse verteilen und wäre unterm Strich wahrscheinlich immer noch viel günstiger dabei als beim heutigen, größtenteils öffentlichen Bildungswesen.

    Wir wissen aber alle nicht genau, wie die Zukunft aussieht und welche Herausforderungen auf uns zukommen. Allein das verpflichtet uns dazu, nicht nur eingleisig zu fahren. Zudem sind nicht alle Lösungen, die für die Menschen wichtig sind, auch profitabel.

    In der Pharma-Forschung gibt es Beispiele zuhauf. Seltene Krankheiten sind finanziell weniger lukrativ, auch wenn die Folgen für die Betroffenen und ihre Angehörigen enorm sind. Auch spricht nach Marktlogik mehr für die Behandlung chronischer Erkrankungen als für eine einmalige Heilung. Wie wichtig Grundlagenforschung sein kann, für die es zum Zeitpunkt der Entwicklung noch keine Anwendung gibt, haben gerade erst die mRNA-Impfstoffe gezeigt.

    Ein Menschenleben besteht aber nicht nur aus Arbeit und Gesundheit. Wie viel unsere Freiheiten wirklich wert sind, werden viele wohl erst verstehen, wenn sie sie nicht mehr haben.
    Problematische Vorwürfe

    Gerade diejenigen, die heute lautstark meinen, wir würden in einer Diktatur leben, könnten in selbiger ihre Meinung gar nicht äußern: Ihre Chatberichte würden dann wie von Zauberhand verschwinden, wenn nicht gar die Chatprogramme von vorneherein blockiert wären.

    Willkürlich würde die Geheimpolizei an der Haustür klingeln und denjenigen zu einer „intensiven Befragung“ mitnehmen. Wann er oder sie zurückkäme, wäre völlig unbekannt. Manche Leute würden sich dann nach ihrer Rückkehr auffällig regierungstreu äußern.

    Der uns heute so bekannte Reflex aus dem bürgerlichen Lager, unliebsame Meinungen sofort als „Verschwörungstheorie“ abzutun und ihre Überbringer als „Querdenker“, „Trolle“, „Verfassungsfeinde“ oder Ähnliches, ist aber auch sinnlos. Wir sehen seit gut zwanzig Jahren, dass sich die so Ausgegrenzten nur noch lautstärker äußern und dafür auch immer wieder neue Kanäle finden. Bestes Beispiel dafür ist Donald Trump, der es sogar ins Amt des US-Präsidenten schaffte.

    Dabei ist der Verschwörungstheorie-Vorwurf insofern schlimm, als er dem Gegenüber nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der emotionalen Ebene eine falsche Wahrnehmung der Realität unterstellt. Die Grenze zur Geisteskrankheit ist dann fließend. Wenn man aber nicht mehr Argumente austauscht, sondern nur noch Beleidigungen, dann kann es auch zu keiner sinnvollen Lösung mehr kommen.

    Tückisch ist an solchem Vokabular, dass die Bedeutung meistens unklar ist: Wo hört berechtigte Regierungs- oder Wirtschaftskritik auf und wo fängt ein irriger Verschwörungsglaube an? Oder wo genau hört beispielsweise Kritik am Staat Israel auf und wo fängt Antisemitismus an?

    Beim Fall von Tjeerd Andringa kommt nun hinzu, dass hier ein Beamter in seiner öffentlichen Funktion problematische Äußerungen getätigt hat. Die Beteiligten scheinen sich zumindest darüber einig zu sein, dass das Lehren und Lernen kritischen Denkens wichtig ist. Doch wie weit darf das gehen?
    Methode, nicht Ergebnis zählt

    Beim Streitthema menschengemachter Klimawandel könnte man durchaus untersuchen, wie die große Mehrheit der Klimaforscher zu ihrem Konsens kommt – und wieso Kritiker diesen anzweifeln. Man könnte dann herausarbeiten, wie die beiden Gruppen aufeinander reagieren: Werden noch Argumente ausgetauscht, das heißt, geht man noch prinzipiell auf den Standpunkt des anderen ein? Oder wird immer nur dasselbe wiederholt?

    Auf welchen Gegebenheiten beruhen die Argumente und welche Interessen könnten für Konflikte sorgen? Wie sicher ist „sicher“ bei den zugrundeliegenden wissenschaftlichen Daten? Wie stark hängt das Ergebnis von Interpretationen ab und wie sehr unterscheiden sich diese?

    Wichtig: Für den Erfolg so einer Unterrichtseinheit muss das Ergebnis weder vorgegeben werden noch am Ende eindeutig feststehen. Wenn die Standpunkte hinterher 99:1, 90:10 oder 80:20 verteilt sind, kann die Demokratie gut damit leben.

    Den selbsternannten Verfechtern der Aufklärung liegt sonst doch auch so viel an Pluralismus. Man muss daraus keinen Meinungskrieg machen und die Gegenseite emotional-psychologisch abwerten; wie wir zur Genüge gesehen haben, löst das gar nichts, sondern eskaliert es die Situation nur weiter.

    Wenn die Standpunkte nach der Diskussion aber nahe bei 50:50 liegen, dann ist das ein starker Hinweis darauf, dass die Daten nicht eindeutig und die Argumente nicht überzeugend sind; oder es handelt sich prinzipiell um einen Streit um Werte, der sich nicht mit Fakten beilegen lässt.

    Dann sollte man offen über diese Werte sprechen. Lässt sich damit immer noch keine Einigung finden, muss man das tolerieren: Bestraft werden in demokratischen Rechtsstaat keine Gedanken oder Meinungen, sondern nur ausdrücklich verbotene Taten.
    Unabhängige Untersuchung

    In dem Fall Andringa wird es nun eine Untersuchung geben. Und so viel ist klar: Das Ergebnis wird die Öffentlichkeit beschäftigen, wie auch schon der Artikel in der Universitätszeitung (im niederländischen Original) rund 200 Kommentare nach sich zog, bis die Redaktion die Funktion deaktivierte. In der Regel wird dort kaum diskutiert.

    Die Universitätsleitung täte also gut daran, den Fall von neutralen Personen untersuchen zu lassen, die den Verdacht einer Beeinflussung von oben erst gar nicht aufkommen lassen. Wenn der Dozent mit dem Ergebnis nicht übereinstimmen sollte, steht ihm wie allen Bürgerinnen und Bürgern der Rechtsweg offen – wo der Konflikt dann in öffentlichen Sitzungen und nach festen Regeln, die eine „Waffengleichheit“ garantieren sollen, ausgetragen würde.

    Die Kommission und später vielleicht die Gerichte werden sich erst einmal damit beschäftigen müssen, was überhaupt in den universitären Sitzungen gesagt wurde. Äußerungen, die Andringa als Privatmann getätigt hat, müssen anders bewertet werden.

    Aber auch hier ist die Toleranz nicht grenzenlos: Der demokratische Rechtsstaat hat das Recht, ja sogar die Pflicht, seine eigene Grundlage zu verteidigen. Auch in Deutschland würde ein Beamter Probleme bekommen, der offen zur Revolution aufruft, um nur ein Beispiel zu nennen. Und der umstrittene Radikalenerlass, der angeblich gefährliche Personen präventiv aus dem Beamtentum halten sollte, feierte gerade sein 50. Jubiläum – und wird immer noch kritisch diskutiert.

    Wie weit kritisches Denken gehen kann, wie unvoreingenommen es sein muss und was akademische Freiheit in unserer Zeit bedeutet – all das sind Fragen, auf die uns der vorliegende Fall Antworten geben kann. Und bevor wir es merken, sind wir vielleicht selbst schon kritische Denker geworden.

    #science #iatrocratie

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      https://www.heise.de/tp/features/Querschlaeger-Querdenker-Querfront-6342176.html

      [...]

      Norbert Wohlfahrt: In der Tat sprechen die Neurechten davon, Marx, Lenin, Gramsci und Luxemburg für ihre Überlegungen nutzen zu wollen und sie für das, was sie Metapolitik nennen, einzuspannen.

      In meinem Buch zeige ich an verschiedenen Beispielen, dass die Neurechten sich bei den linken Theoretikern Versatzstücke herausgreifen, von denen sie meinen, dass sie damit ihre Sehnsucht nach einer wirklichen, nicht durch wirtschaftliche Einflüsse verschmutzten Volksgemeinschaft unterfüttern können.

      Aus der Kritik von Marx an einer Nutzung der Arbeitskraft im Kapitalismus, die diese ausschließlich am Maßstab der Rentabilität misst, wird bei den Neurechten ein die Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit störender Prozess sinnloser Arbeitsverausgabung.

      Wenn Rosa Luxemburg den Parlamentarismus der Sozialdemokratie kritisiert, weil sie die Arbeiterbewegung nicht auf ihre repräsentative Vertretung festgelegt wissen will, dann machen die Neurechten daraus – kurioserweise – ein Plädoyer für die Ergänzung der AfD durch Querdenker und Pegida.

      Der Bezug auf linke Theoretiker ist an deren theoretischen Resultaten vollkommen desinteressiert, sie interessieren nur als Bezugspunkte für einen antikapitalistischen Gestus, mit dem die Neurechten ihre Kritik an einer liberalen Entartung und individualistischen Verseuchung der Volksgemeinschaft unterfüttern wollen.

      [...]

      #droite #socialisme #théorie #imitation #décalque

    • propre lien :

      https://www.heise.de/tp/features/Wie-sich-die-Zivilluftfahrt-gegen-Raketenbeschuss-schuetzt-6341368.html

      Das Frachtunternehmen Fedex wolle laserbasierte Schutzsysteme auf seinen Flugzeugen installieren, um sie gegen schultergestützte Flugabwehrraketen, sogenannte Man Portable Air Defense Systems (Manpads) zu schützen. Dies berichten die Nachrichtenagentur Reuters, CNN und das US-Magazin Politico.

      Die Medien beziehen sich auf ein entsprechendes Dokument der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Authority (FAA). Die FAA wolle sicherstellen, heißt es darin, dass die Abwehrwaffen nicht aus Versehen ausgelöst werden und eine Gefährdung darstellen.
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      Vergleichbare Abwehrsysteme bieten der Rüstungskonzern Airbus und der französische Konzern Sabena technics bereits für Flugzeuge der zivilen Luftfahrt an.

      Auch die israelische Luftfahrtgesellschaft El Al sowie die Maschine des US-Präsidenten, die Air Force One, sollen mit vergleichbaren Schutzsystemen ausgestattet sein, um Boden-Luft-Raketen wie die Stinger ablenken zu können.

      #Manpads, auch bekannt als #Stinger, waren an die afghanischen Mudschaheddin geliefert worden, damit diese sie gegen russische Helikopter einsetzen. Von dort gelangten sie in die ganze Welt und bedrohen nun auch die einstigen Lieferanten.

      [...]

      #missiles #aviation_civile

  • Corona-Proteste: Welche Gewalt nehmen wir wahr?
    https://www.heise.de/tp/features/Corona-Proteste-Welche-Gewalt-nehmen-wir-wahr-6327790.html?seite=all

    14.1.2022, von Harald Neuber, Gerd Roettig - Besonders bemerkenswert ist dabei die Bewertung des zweiten von sieben Fällen, die der UN-Sonderberichterstatter exemplarisch in seiner Anfrage vorgelegt hatte.

    In einem in den sozialen Netzwerken kursierenden Video ist einem ersten Abschnitt zu sehen, wie ein Mann über einen weitgehenden menschenleeren Platz geht und aus dem Grundgesetz die Grundrechte laut vorliest.

    In einem zweiten Abschnitt ist erkennbar, wie mehrere Polizeibeamte auf denselben Mann im Laufschritt zueilen und den offenbar Ahnungslosen rücklings attackieren, während dieser im Begriff ist, auf seinem Rad davonzufahren. Die Beamten reißen den Mann von hinten zu Boden und halten ihn minutenlang nach unten gedrückt, während er immer wieder getreten und anderweitig malträtiert wird.

    Die Bundesregierung äußert sich zu dem Fall wie folgt:

    Zur Durchsetzung des Verbots wurden polizeiliche Einsatzmaßnahmen durchgeführt. Bei diesem Einsatz wurde ein Bürger von Polizeikräften aus Nordrhein-Westfalen beobachtet, der lautstark das Grundgesetz verlas. Daraufhin bildete sich eine immer größer werdende Menschenmenge, was zu weiteren Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und die Corona-Schutzverordnung führte. Der Betroffene nahm unmittelbar Einfluss auf die Menschen, indem er mit ihnen interagierte. Damit initiierte er eine verbotene Versammlung. Es wurde die Gefahr erkannt, dass diese später in einen illegalen Aufmarsch ausufern könnte. Den wiederholten Aufforderungen der Polizeivollzugsbeamten, sein Verhalten zu ändern, kam der Betroffene nicht nach. Stattdessen versuchte die Person, sich der polizeilichen Maßnahme zu entziehen und mit dem Fahrrad zu flüchten. Um dies zu verhindern, wurde der Mann vorläufig festgenommen, um seine Identität festzustellen. Aufgrund seines Widerstandes musste die Festnahme unter Anwendung unmittelbarer Gewalt durchgeführt werden.

    #Allemagne #ACAB

  • „Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein“?
    https://www.heise.de/tp/features/Reden-erst-die-Voelker-selber-werden-sie-schnell-einig-sein-6298946.html

    30.12.2021 von Nadja Maurer - Wie der Solidaritätsgedanke in der Debatte über Migration für Verwirrung sorgt. Ein Szenebeispiel aus der Hamburger Hafenstraße

    Der heutige Internationale Tag der menschlichen Solidarität gibt Anlass, ein Schlaglicht auf die Vielfältigkeit der Auffassungen und Praktiken eines linken Kampfbegriffes zu werfen. Ein Beispiel solidarischer Praxis findet sich in der Hamburger Hafenstraße.

    Ein Teil der Bewohnerschaft der ehemals besetzten Häuser solidarisiert sich mit afrikanischen Geflüchteten, die sich mehrheitlich dort aufhalten, um als Straßendealer Betäubungsmittel zu verkaufen.

    Südlich der Reeperbahn ist ein offener Drogenmarkt mit einer anwachsenden Anzahl von Händlern etabliert. Vor allem die Sichtbarkeit der Szene, fast ausschließlich junge Männer westafrikanischer Herkunft, führte dazu, dass die Polizei seit 2016 mit einer Taskforce versucht, die „öffentlich wahrnehmbare Drogenkriminalität“ zu bekämpfen.

    Neben der Formierung polizeikritischer Bürgerinitiativen verfestigte sich eine Situation, in der die Nachbarschaft bei Kontrollen Pulks bildet und Passanten in polizeiliche Maßnahmen intervenieren.

    Der Drogenhandel spaltet das Quartier: Während sich viele Anwohner durch die Dealer gestört fühlen, prangern andere an, dass vergleichsweise harmlose Kriminalität, verübt von marginalisierten Menschen mit prekärem Status, mit Nachdruck strafverfolgt würde, während man organisierte Kriminalitätsstrukturen gewähren ließe. Der Polizei wird eine Gegnerschaft gegen prekäre Minderheiten sowie Rassismus unterstellt:

    In St. Georg haben die noch leichteres Spiel. (…) Da geht es gegen Prostituierte, Obdachlose, gegen Schwarze und Dealer. Hier und dort ist das Ziel der Politik Vertreibung. Aber hier ist halt schwerer, weil es die Hafenstraße ist.
    Anwohner

    Ich finde es absurd, dass ausgerechnet das Ende der Kette verfolgt wird.
    Anwohnerin

    Die spezifischen Unterstützungsformen sind das Organisieren von Kundgebungen, um Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik zu üben. Das Einmischen in polizeiliche Maßnahmen ist zugleich Widerstands- wie auch Solidaritätshandlung, die auch dazu dient, von Personenkontrollen Betroffene darin zu unterstützen, Rechtsmittel einlegen zu können.

    Auch soll durch den Beistand ihre Würde – immerhin geschehen Kontrollen vor den Augen der Öffentlichkeit – gewahrt und die Demütigung, die einer Polizeikontrolle innewohnt, abgemildert werden. Weitere Hilfsangebote sind die Bereitstellung von Wlan, eines Stromkabels zum Telefonaufladen, und die Gewährung des Aufenthalts im eigenen privaten Garten, in dem sich mutmaßlichen Dealer vor Polizeikontrollen schützen können.
    Selbst solidarische Anwohner fühlen sich gestört

    Fast ausnahmslos wird die Gegenwart der Afrikaner auch von solidarischen Anwohnern als belastend, störend, und die Männer als aufdringlich und unzuverlässig empfunden. Vergebliche Versuche, durch Kontaktaufnahme ein gedeihliches Miteinander zu verabreden, mündeten in Ratlosigkeit und Resignation:

    Man kommuniziert, dass die Geflüchteten nachts nicht hier sein dürfen. Aber das muss man auch durchsetzen. Man lässt die da sein und versucht, denen Angebote zu schaffen (und) sich mit denen zu organisieren. Es ist nicht so, dass alle sich freuen, wenn hier 30 Männer im Garten stehen. Zum Beispiel wenn man im Homeoffice arbeitet oder schlafen möchte ist das nervig. Aber hauptsächlich ist die Polizei das Belastende.
    Anwohnerin

    Dieser Artikel handelt nicht von Moral: Die Autorin bewertet hier nicht das Begehen von Straftaten durch arme Menschen und ebenso wenig die hohe Polizeipräsenz. Auch die Sichtweise, Politik und Polizei handelten rassistisch, soll hier nicht untermauert oder widerlegt werden. Es geht um die Koexistenz unterschiedlicher Erwartungen an und Aufladungen des Solidaritätsbegriffs.

    Innerhalb der gesellschaftlichen Linken konfligiert in der Migrationsfrage der menschenrechtliche mit dem Anspruch sozialstaatlicher Solidarität. Eine den Sozialstaat schützende Migrationspolitik kollidiert mit Menschenrechten.

    Zugleich würde eine menschenrechtlich gebotene Open-Border-Politik die Anforderungen an den Sozialstaat (die letztlich die materielle Grundlage für den Schutz von Geflüchteten bilden) unterminieren. Die Forderung nach Solidarität „für alle“ geht mit der Preisgabe staatlicher Schutzpflichten einher.

    Doch nicht nur die hiesige demokratisch sozialisierte Linke ist gespalten, wenn es um Solidarität geht. Die gegenseitige Bezugnahme der linken Anwohnerschaft und der afrikanischen Männer am Hafenrand mit dem Verweis auf „Solidarität“ lässt vermuten, dass jene zwar immer eine Vergemeinschaftungsofferte ist, aber die Wertvorstellungen von Gemeinwohl und kollektiver Verantwortung nicht frei von Widersprüchen sind.

    Begriffsgeschichtlich ist Solidarität ein „Fuzzy Concept“: Das im Nachklang der Französischen Revolution ausformulierte Prinzip der Brüderlichkeit a.k.a Solidarität ist ein moralischer Wert.

    In der politischen Theorie der Moderne dagegen ist Solidarität ein normativer Anspruch an Gleichstellung und gleiche Rechte für alle. Zum tradierten normativen Fundament des Solidaritätsbegriffs gehört es, Opferbereitschaft zu verlangen.1 Dies hängt nicht zuletzt mit der im 19. Jahrhundert entstandenen Auffassung von der Nation als Solidargemeinschaft zusammen, durch die sich ein Schuldverhältnis konstituiert: Der Einzelne wurde zu Transferleistungen verpflichtet mit dem Verweis auf die „soziale Schuld“, die gegenüber vorangegangenen Generationen abzutragen war.2
    Solidarität ist begrenzt und schließt aus

    Auch die christliche Soziallehre formuliert Solidarpflichten als eine ethische Leitidee. Im Gegensatz zu universalistisch gerichteter Gerechtigkeit oder Ethik ist Solidarität jedoch partikular: Sie hat eine begrenzte Reichweite und Verfügbarkeit.

    Dadurch generiert Solidarität immer auch Ausschließungen. Überdies spielen Gefühle eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von einem „Wir-Gefühl“, das als starke Motivation für Solidarität fungieren, allerdings auch Partikularismen generieren und Feindbilder fördern kann.

    Solidarität kann nur intrinsisch durch den Antrieb einer inneren Überzeugung funktionieren. Dabei geht es um die Ausweitung von Betroffenheit durch die Unterstützung anderer in ihrem Kampf um Rechte. Diese Betroffenheitsausdehnung kann ohne direkten Bezug zu den Adressaten von Solidarisierungen und sogar ohne deren Wissen geschehen.

    Viele der Anwohner, die sich mit den afrikanischen Männern solidarisieren und sich für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse und gegen die Einwanderungspolitik einsetzen, pflegen bedingt durch Altersdifferenz, Lebenssituation, Einstellungen und die weitgehende Abwesenheit gemeinsamer Interessen kaum oder gar keine persönlichen Kontakte zu den Dealern.

    Auch Kommunikationshindernisse und eine hohe Fluktuation führen dazu, dass es wenig Verständigung gibt. Dabei sind Zuschreibungen und Othering seitens der Anwohner recht verbreitet:

    Die meisten sind Muslime und finden Drogen gar nicht gut. Die haben konservative Wertbilder und wollen möglichst schnell eine Familie haben und einen Job. D…… Das ist nicht von ungefähr, dass das schwarze Männer machen und nicht weiße. Es liegt an Kolonialismus, Globalisierung, Rassismus, Weltordnung und so.
    Anwohnerin

    Das Referenzobjekt der Solidarität liefern also nicht einfach diejenigen, die es zu schützen gilt. Vielmehr geht es – ganz klassisch – stets auch um imaginierte Gemeinschaft. Mit dem Stichwort der imaginierten Gemeinschaft ist die Kernfrage des Solidaritätsbegriffs erreicht, nämlich welche Kollektivgüter überhaupt realisiert werden sollen.

    Für einige Anwohner in der Hafenstraße ist die Solidarisierung mit den Afrikanern eingebettet in die politische Forderung nach gesellschaftlicher Inklusion und Teilhabemöglichkeiten für alle, unabhängig von der Herkunft. Aus dieser Perspektive sind die Auseinandersetzungen am Hafenrand als Teil eines Inklusionsprozesses in ein gesellschaftliches System von Berechtigungen, also Demokratisierung zu verstehen.
    „Solidarität“ als greifbares Hilfsangebot

    Dagegen ist der demokratische Rechtsstaat – mit dem die meisten Geflüchteten zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen, in der Ausländerbehörde, und (im vorliegenden Beispiel) in polizeilichem Gewahrsam Bekanntschaft schließen – für die Dealer nicht unbedingt eine positive Referenzgröße.

    Mit „Solidarität“ assoziieren sie greifbare Hilfsangebote und ad-hoc Unterstützungsstrukturen in volatilen Netzwerken – was nur plausibel und biografisch bedingt ist durch die Erfahrung von Flucht und Migration. Die Fluchtrouten von Westafrika in Richtung afrikanische Mittelmeerküste und oft via Ostafrika sind hochriskant und gefährlich.

    Migranten stecken in Gefälligkeitsökonomien, Schuldverhältnissen und in Abhängigkeiten. Dazu kommen die Erwartungen an Remittenden der Familie und der Dorfgemeinschaft im Herkunftsland, und die polizeiliche Strafverfolgung mit dem Risiko der Abschiebung oder einer Haftstrafe.

    Ihr Nexus ist vielmehr „Glokalität“, globale und doch stark orts- und situationsgebundene Netzwerke. Teilhabe bedeutet für die afrikanischen Dealer vorwiegend die Möglichkeit, an Wohlstand zu partizipieren. Von der örtlichen Polizeiwache heißt es, sie dächten, irgendwann angegriffen und zurückgeführt zu werden. Solange versuchten sie, so viel Geld wie möglich zu machen:

    Die Menschen sind leider, seitens der organisierten Strukturen dahinter, beliebig austauschbar. Wir hatten Phasen, wo wir nur ‚Duldungen aus Baden-Württemberg‘ hatten, dann waren aus ostdeutschen Ländern viele vertreten. Es sind immer wieder neue Gesichter da. Viele werden rekrutiert in Asylbewerberheimen, um hier zu verkaufen. Da wird es irgendein Versprechen geben.
    Polizeiwache

    Partizipation mittels rohem Kapitalismus ist mit demokratischer Rechtsstaatlichkeit, die nicht nur Strafverfolgung qua Legalitätsprinzip, sondern auch den Schutz und die Wahrung von Rechten Schutzbedürftiger regelt, nicht widerspruchslos vereinbar:

    Wer nicht arbeitet, der kann nach Afrika gehen. …… Wenn jemand nicht arbeiten will, er müsste zurück nach Afrika. Das ist klar.
    Afrikaner, Hafenstraße

    Das zweckrationale Handeln der Dealer mit dem Ziel der Profitmaximierung steht im offensichtlichen Widerspruch zur Ideologie des Solidaritätsspektrums. Denn Ersteren geht es nicht um eine liberale oder gar linke Positionierung.

    Die Solidarität wird einer extrem marginalisierten Gruppe zuteil, die auch von Befürwortern einer humaneren Flüchtlingspolitik ansonsten wenig beachtet wird: junge, gesunde, männliche Erwachsene mit der Hoffnung auf bessere Lebenschancen.

    Die Schnittmenge der geteilten Anschauungen oder der gemeinsamen Ziele wird auf dem Rekurs auf Solidarität eher verschleiert als erhellt.

    Im Titel dieses Beitrags – ein Zitat aus dem Solidaritätslied, gedichtet von Bertolt Brecht und vertont von Hanns Eisler – lassen sich nicht die Dilemmata erahnen, die mit einer Verständigung über noch zu realisierende Kollektivgüter verbunden wären.

    Der Artikel und die angeführten Zitate basieren auf einer ethnographischen Konfliktanalyse im Quartier St. Pauli-Süd::https://criminologia.de/blog/wp-content/uploads/2021/12/Report_Balduintreppe_FosPol_Maurer.pdf

    #racisme #solidarité #immigration #Allemagne #politique

  • Corona-Pandemie: Wut, Spaltung und offene Fragen
    https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-Wut-Spaltung-und-offene-Fragen-6292656.html?seite=all

    12. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Der Ton in Deutschland wird zunehmend aggressiver. Die allgemeine Impfpflicht scheint zu kommen und nur wenige besonnene Stimmen sind zu hören, die vor der drohenden Spaltung des Landes warnen. Was passiert in Deutschland? (Teil 1)

    Blindflug und ein fragwürdiges Narrativ
    https://www.heise.de/tp/features/Blindflug-und-ein-fragwuerdiges-Narrativ-6293078.html?seite=all

    13. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Der Ton wird generell schärfer und aggressiver in Deutschland. Während die Schuld an der Krise oftmals eindeutig den Ungeimpften zugeschoben wird, gehen wichtige Fragen und Aspekte der aktuellen Krise unter. (Teil 2)

    „Absolut letztes Mittel“
    https://www.heise.de/tp/features/Absolut-letztes-Mittel-6305359.html?seite=all

    23. Dezember 2021 Andreas von Westphalen - Die Erhöhung der Impfquote gilt als zentrales Mittel zur Lösung der gegenwärtigen Krise. Aber ist die allgemeine Impfpflicht „geeignet, erforderlich und angemessen“? (Teil 3)

    #politique #covud-19 #corona #vaccination

  • Abschiebung von Kindern : UN kritisieren Polen, Baerbock schweigt
    https://www.heise.de/tp/features/Abschiebung-von-Kindern-UN-kritisieren-Polen-Baerbock-schweigt-6303532.html?se

    L’article ne le dit pas expressément mais nous savons qu’il y a des enfants parmi les réfugiés refoulés à la frontière polonaise.
    Nous apprenons par contre que la ministre des affaires étrangères Annalena Baerbock net fait rien pour Julian Assange et n’exige pas de la pologne qu’elle respecte la loi internationale et européene qui donn des droits aux demandeurs d’asile.

    22.12.2021 von Florian Rötzer
    ...
    Polen sperrte das Grenzgebiet ab, setzte Militär ein, ließ Hilfsorganisationen nicht zu den Flüchtlingen und Migranten und schickte diese auch mit Gewalt wieder zurück nach Belarus, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen.

    Wer nicht zurückgeschickt wurde, kam in Haft. Wie es scheint, hat dies die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen) bei ihrem Antrittsbesuch in Polen am 10. Dezember nicht kritisch thematisiert, obgleich sie und die Grünen ansonsten die Menschenrechte hochhalten – etwa mit Blick auf die innenpolitische Situation in Russland und Belarus.

    Bei Ihrem Besuch in Großbritannien dann erwähnte sie den Fall des inhaftierten und gesundheitlich massiv angeschlagenen Journalisten und Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht. Beides lässt nichts Gutes von der angekündigten „wertegeleitete Außenpolitik“ erwarten, die bislang recht einseitig ausfällt.

    Auch wenn das UN-Team nicht in die Grenzregion zwischen Polen und Belarus reisen durfte, um sich über die Lage der Flüchtlinge und Migranten, die sich dort aufhalten, zu informieren, konnten die Experten mit 31 Personen sprechen, aus Weißrussland nach Polen gekommen waren. Sie berichteten, so Throssell, „von schlechten Bedingungen auf beiden Seiten der Grenze, sie hatten keinen Zugang zu Lebensmitteln, sauberem Wasser und Unterkünften bei oft eisigen Temperaturen“.

  • Welcher Weg führt zu einer neuen Sicherheitsarchitektur ?
    https://www.heise.de/tp/features/Welcher-Weg-fuehrt-zu-einer-neuen-Sicherheitsarchitektur-6304349.html

    Cette proposition pour une nouvelle architecture de sécurité pour l’Europe ne sera pas réalisée mais elle constitue un rappel au parti vert et sa ministre des affaires étrangères. L’ancien parti pacifique s’est transformé dans une force politique russophobe la plus dangereuse d’Allemagne. C’est le moment de rappeller à chaque membre et proche du parti que la prochaine guerre sur le sol européen ne verra que des perdants.

    22.12. von 2021 Klaus Moegling - Vorschläge für einen Spannungsabbau zwischen Russland und der Nato

    Die kürzlich stattgefundenen Gespräche zwischen Joe Biden und Wladimir Putin sollten um Gespräche mit der EU und Xi Jinping erweitert werden. Ein solcher Austausch könnte der Beginn einer neuen Entwicklung hin zu Entspannung und Sicherheit sein.

    Erforderlich ist eine neue Sicherheitsarchitektur, die durch multilaterale Partnerschaft und durch den Abbau medial erzeugter Feindbilder gekennzeichnet ist. Die gegenwärtig eskalierende Situation an der russischen Westgrenze verweist auf die dringende Notwendigkeit, dass ernsthaft miteinander gesprochen und verhandelt wird.
    Die Konstruktion von Feindbildern

    Die Entwicklung gegenseitiger Feindbilder stellt die sozialpsychologische Voraussetzung für die Durchführung von Kriegen dar. Auf russischer Seite wird das Feindbild einer imperialistischen Nato bemüht, die primär das Interesse von US-Konzernen international durchzusetzen habe.

    Auf westlicher Seite wird das Feindbild eines militaristischen und aggressiven russischen Autokraten entwickelt. Russland wird als Staat dämonisiert. Ähnliches entwickelt sich zwischen den USA und China.

    Die gegenseitige Feindbildkonstruktion, die häufig durch dementsprechende Berichterstattung in den Medien intensiviert wird, hat verschiedene Funktionen. Sie lenkt von innenpolitischen Schwierigkeiten ab, erhält militärische Strukturen, unterstützt die Existenz des militärisch-ökonomischen Komplexes, erhöht die Kampfbereitschaft in der Bevölkerung und schafft die Voraussetzung für militärische Interventionen mit einem geostrategischen bzw. machtpolitischen Hintergrund.

    Wie könnte man also der gegenseitigen Feindbildkonstruktion die Voraussetzungen entziehen?
    Zur Rolle von politischen Visionen
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    Kurzfristige Realpolitik in den internationalen Beziehungen ist häufig nicht genügend an längerfristigen politischen Zielsetzungen orientiert. Doch politische Visionen, also langfristige Entwürfe einer sinnvollen zukünftigen politischen Neuordnung, sollten in einem positiven Sinne die Normen gegenwärtigen politischen Handelns in der internationalen Politik bestimmen.

    Immanuel Kant hätte in seinen Überlegungen Zum ewigen Frieden1 ohne eine positive Vision gesellschaftlicher Entwicklung nicht die ideellen Grundlagen der Vereinten Nationen entwickeln können.

    Eine auf der Kritik realer Verhältnisse und an ethischen Idealen einer gemeinsamen, demokratischen, gerechten, friedlichen und ökologisch vertretbaren Entwicklung basierende Vision gesellschaftlicher Neuordnung stellt die Voraussetzung dafür dar, dass die gegenwärtigen politischen Schritte nicht orientierungslos ausfallen, den interessierten Machteliten bzw. den herrschenden Mächten überlassen bleiben.

    Hierbei kann man einer politischen Vision nicht vorwerfen, sie sei visionär und nicht sofort umsetzbar. Das Visionäre ist ja der Kern einer Vision. Sie stellt – im positiven Sinne – eine in die Zukunft gedachte vernünftige politische Entwicklungsabsicht dar.

    Die an einer derartigen Vision ausgerichteten ersten Schritte müssen allerdings realistisch am Ist-Zustand ausgerichtet sein. Hierbei sollte eine eher optimistische Grundhaltung das bestimmende Moment sein, ohne die keine Motivation für konkrete Schritte in eine sinnvolle friedenspolitische Richtung entstehen kann. Ein pessimistisch ausgerichteter realpolitischer Habitus stellt hingegen ein Hemmnis für eine friedliche Entwicklung dar, da er den Völkern keine gemeinsame Entwicklungschance zutraut.

    Die friedenspolitische Initiative „Sicherheit neu denken“ bzw. „Rethinking Security“ entwickelt daher ein Positivszenario friedenspolitischer Entwicklung, das von folgenden Prämissen ausgeht:

    Nachhaltige zivile Sicherheitspolitik beruht auf einer Friedensethik, in der sich die Gedanken und Handlungen nicht nur auf die eigenen nationalen Interessen beziehen, sondern zugleich reflektieren, welche Folgen diese für die Menschen in anderen Ländern haben. Sicherheit besteht in dieser Perspektive (nur) als gemeinsame Sicherheit aller Beteiligten. Das gilt sowohl für den Einzelnen in seinem privaten Alltag als auch für die Akteure in Wirtschaft, Politik, Kultur, Erziehung und Wissenschaft. In diesem Szenario entwickelt die Gesellschaft als Ganze eine Orientierung gemeinsamer Sicherheit als Weg und Ziel, um der Kultur der Gewalt entgegentreten und eine Kultur des Friedens entwickeln zu können.
    Initiative Sicherheit neu denken

    Die Nato und Russland

    Die Nato rückt immer näher an die Westgrenze Russlands bzw. der Russischen Föderation heran. Dies ist unbestreitbar. Ehemalige Staaten des Warschauer Pakts wurden zu Nato-Staaten.

    Militärische Nato-Strukturen wurden in diesen Staaten aufgebaut. Umfassende Militärmanöver einer hinsichtlich konventioneller Waffen vielfach überlegenen Nato fanden an der russischen Westgrenze statt.

    Es ist daher nachvollziehbar, dass Russland sich bedroht fühlt, nachdem es im vergangenen Jahrhundert zweimal in Weltkriege mit schrecklichem Blutzoll verwickelt wurde. Genauso fühlen sich hingegen die osteuropäischen Staaten durch russische Truppenkonzentrationen und Militärübungen bedroht, da sie die russischen Interventionen in der Krim und der Ostukraine vor Augen haben.

    Abrüstungsverträge, wie z.B. der „Intermediate Range Nuclear Forces Treaty“ (INF-Vertrag), wurden aufgekündigt. Beide Seiten rüsten wieder rücksichtslos auf – auch im Bereich der Nuklearwaffen. Maßnahmen zur militärpolitischen Transparenz wurden abgeschafft.

    So erfolgte 2020 bzw. 2021 der Austritt der USA und Russlands aus dem 1992 beschlossenen Treaty on Open Skies, der die gegenseitige Kontrolle von Rüstungsmaßnahmen und Truppenbewegungen erleichtern sollte.

    Einerseits hat sich die Nato entgegen der 1990 zunächst geäußerten, aber nie vertraglich geregelten Absichten in Richtung Osteuropa bis an die Grenzen der Russischen Föderation ausgebreitet. Dies wird von russischer Seite als Wortbruch und als Gefährdung ihrer Sicherheit empfunden.

    Andererseits gilt auch das in der UN-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Einem Staat kann daher auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts nicht vorgeschrieben werden, welchem Bündnis er beizutreten hat.

    Die Waffenlieferungen in die Ukraine und deren Bestrebungen, in die Nato einzutreten, und die dadurch von Russland empfundene Bedrohung führten nun zur aktuellen Truppenkonzentration an der russischen Westgrenze. Die Nato-Staaten und die EU drohen hingegen mit massiven Sanktionen, falls Russland militärisch in der Ukraine intervenieren wird.

    Wie kann man nun dieses gegenseitige Bedrohungspotenzial reduzieren und zu gemeinsamen Verhandlungen sowie wieder zu einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur gelangen?
    Die Nato sollte der Russischen Föderation ein Angebot unterbreiten

    In der Charta von Paris von 1990 wurde eine neue Sicherheitsarchitektur Europas unter Einschluss Russlands entworfen:

    In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen gemäß der Charta der Vereinten Nationen und der Schlussakte von Helsinki erneuern wir unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt oder jeder sonstigen mit den Grundsätzen oder Zielen dieser Dokumente unvereinbaren Handlung zu enthalten. Wir erinnern daran, dass die Nichterfüllung der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt.

    Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Wir beschließen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen den Teilnehmerstaaten zu entwickeln.
    Charta von Paris

    So war die russische Seite in diesem Sinne noch Anfang des 21. Jahrhunderts nicht abgeneigt, über eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und eine Annäherung an die Nato zu verhandeln. Wladimir Putins Rede am 21.9.2001 vor dem Deutschen Bundestag enthielt friedenspolitische Angebote, die in diese Richtung zielten:

    Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.
    Wladimir Putin vor dem Deutschen Bundestag am 25.9.2001

    Doch die von russischer Seite ausgestreckte Hand wurde aufgrund verschiedener westlicher Interessenlagen nicht ergriffen und ignoriert.

    Diese damals angelegte Entwicklung gilt es nun aber wieder aufzugreifen, ehe es zu spät ist.

    Hierbei geht es um die politische Vision einer internationalen Zusammenarbeit in Europa unter Einbezug Russlands und um die wieder herzustellende und zu erweiternde Vernetzung der Nato mit Russland bzw. der Russischen Föderation.2

    Der Russischen Föderation ist in einem ersten Schritt vonseiten der Nato ein Angebot einer Annäherung an die Nato mit dem mittelfristigen Ziel einer gemeinsamen tragfähigen Sicherheitsarchitektur zu unterbreiten.

    Dies kann im Rahmen der 1990 in der Charta von Paris festgelegten friedenspolitischen Normen unter der zu leistenden Vermittlung der EU und der OSZE erfolgen – so in der Charta von Paris:

    Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden. Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten.
    Charta von Paris (1990): a.a.O.

    Hierbei kann auf bereits früher existierende Strukturen zurückgegriffen werden, wie sie unter dem Dach der ehemaligen KSZE (heute OSZE) vorgenommen wurden.

    Wieder herzustellen wäre auch Russlands Status bei der Nato im Rahmen des Nato-Russland-Rats, der durch die gemeinsame Unterzeichnung der Erklärung von Rom (2002) festgelegt wurde.

    Hierfür müsste zunächst die Ausweisung russischer Vertreter bei der Nato rückgängig gemacht werden. Genauso sind das Zurückziehen aller russischen Vertreter aus der Nato sowie der Entzug der diplomatischen Akkreditierung der Nato-Vertreter in Moskau zu revidieren.

    In einem nächsten Schritt sind die Neuverhandlung der aufgekündigten Abrüstungsverträge unter Vermittlung der OSZE vorzunehmen und weitere Abrüstungsschritte einzuleiten. Hierüber hinaus sind die Verabredung gemeinsamer Sicherheitsstrategien sowie technologischer Zusammenarbeit im Rahmen der Absprachen im wieder zu aktivierenden Nato-Russland-Rat sinnvoll.

    Insbesondere gilt es die Transparenz über die gemeinsame Kooperation zu erhöhen, z.B. den Treaty on Open Skies wieder zu aktivieren, und regelmäßige Treffen und Gespräche institutionalisiert aufzunehmen.

    Die aktuellen russischen Forderungen, dass die Nato ihre Truppen auf die Positionen hinter 1997 – also vor der Osterweiterung der Nato um Staaten wie z.B. Polen, Ungarn oder Bulgarien – zurückziehen solle und dass die Nato eine Mitgliedschaft für die Zukunft ausschließen solle, scheinen für die NATO nicht akzeptabel zu sein.

    Dennoch liegt hierin zumindest ein Verhandlungsansatz begründet, über den miteinander gesprochen werden könnte.

    Es wäre z.B. möglich, z.B. über die Aktivierung des Normandie-Formats, mit oberster Priorität kurzfristig die 400 km lange und im Vertrag von Minsk II 2015 festgelegte militärische Pufferzone durchzusetzen und dort für die notwendige Entspannung einer aktuell eskalierenden Situation zu sorgen. Truppen und schweres militärisches Gerät müssen auf beiden Seiten aus der Nähe des ostukrainischen Krisengebiets zurückgezogen werden.

    Zudem müsste mittelfristig ein militärfreier Sicherheitskorridor zwischen den osteuropäischen Nato-Staaten und der angrenzenden Russischen Föderation insgesamt verabredet werden, um den gemeinsamen Sicherheitsinteressen zu entsprechen.

    In einem dritten Schritt sind weitere wichtige Akteure, wie die UNO sowie die chinesische Regierung in die Gespräche über eine zu erweiternde internationale Sicherheitsarchitektur einzubeziehen, u.a. mit dem Ziel eines bedeutenden und vertraglich abgesicherten Beitrags für die Abrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich der existierenden Waffenarsenale.

    Hierbei ist diese Sicherheitsarchitektur über die UN-Generalversammlung und den UN-Sicherheitsrat zu legitimieren und zu institutionalisieren.

    Angesichts der derzeit eintretenden militärischen Bedrohungsszenarien an der osteuropäischen Grenze erscheinen derartige sicherheitspolitische Schritte ausschließlich realpolitisch ausgerichteten Skeptikern wahrscheinlich abwegig. Doch gerade angesichts der aktuellen Kriegsgefahr ist ein Umlenken dringend erforderlich.

    Ein Krieg zwischen der Nato und der Russischen Föderation wird nur Verlierer kennen. Sowohl im Falle eines mit konventionellen Mitteln als auch nuklear ausgetragenen militärischen Konflikts werden wieder Millionen Menschenleben als Opfer zu beklagen sein, wird möglicherweise eine militärische Eskalation verursacht, die nicht mehr zu stoppen ist und welche die Grundlagen menschlicher Zivilisation zerstören wird.

    Hierbei kann die massive Überlegenheit der NATO im konventionellen Waffenbereich3 dazu führen, dass Russland im Falle militärischer Unterlegenheit Nuklearwaffen einsetzt.

    Ist es angesichts dieses durchaus realistischen Zukunftsszenarios nicht wert, über eine konsequente Neuordnung der internationalen Strukturen nachzudenken?
    Vorteile einer neuen Sicherheitsstruktur

    Die sicherheitspolitische Neuordnung der internationalen Beziehungen müsste von den ebenfalls zu reformierenden Vereinten Nationen 4 im UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung begleitet und legitimiert werden.

    Der dann zu vollendende Prozess einer Annäherung und die wieder zu beginnende Kooperation der Russischen Föderation mit der Nato müsste mit einer Umstrukturierung der Nato zu einem echten Verteidigungsbündnis unter Verzicht von Angriffswaffen und u.a. mit einem Angebot an die VR China für eine umfassende Sicherheitspartnerschaft zwischen Nato, EU, Russischer Föderation und der VR China verbunden sein, damit sich diese nicht durch ein neues Sicherheitsbündnis der Nato und der Russischen Föderation militärisch bedroht fühlt.

    Durch eine derartige Sicherheitsarchitektur von New York, über Brüssel, Moskau bis nach Peking würde die Notwendigkeit, sich mit der manipulativen Konstruktion gegenseitiger Feindbilder gegenseitig zu bedrohen, wegfallen.

    Der Feind würde abhandenkommen und zu einem Partner im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft werden. Das kurzfristige Ziel wäre eine sicherheitspolitische Partnerschaft. Doch das mittelfristige Ziel wäre eine gute Nachbarschaft befreundeter Staaten im Kontext einer zu reformierenden UN.

    Ein weiterer Vorteil würde in der Umlenkung gesellschaftlicher Ressourcen in eine konstruktive Richtung liegen. Zunächst würde das neue Sicherheitsbündnis über gemeinsame Verhandlungen die Rüstungsinvestitionen einfrieren, um die Rüstungsspirale zu stoppen. In einem nächsten Schritt gilt es dann, die Investitionen in Waffensysteme bis auf das notwendige Minimum im Rahmen der durch die UN kontrollierten weltpolizeilichen Maßnahmen5 zu reduzieren, sodass gewaltige Finanzmittel für das globale Engagement gegen die Klimakrise, gegen den Welthunger und für die notwendigen Investitionen in soziale Absicherung frei werden.

    Es geht hierbei um einen umzulenkenden gigantischen Betrag von ca. 20 Billionen US-Dollar in den nächsten 10 Jahren. Letztlich werden alle Beteiligten – bis auf die Rüstungsindustrien – Gewinner der Einlösung dieser politischen Vision sein. Doch auch die Rüstungsindustrien könnten zum ökonomischen Gewinner dieser sicherheitspolitischen Umorientierung werden, wenn sie ihre Rüstungskonversion und die damit verbundene Stärkung ihrer zivilen Produktionszweige ernsthaft vornehmen würden.6
    Fazit

    Hiermit ist ein umfassender Vorschlag für die Gestaltung einer zukünftigen Sicherheitsarchitektur skizziert, der nicht ignoriert werden sollte. Über die Kooperation auf allen wichtigen Ebenen werden Vertrauen und damit Sicherheit aufgebaut. Es gilt nun, den hier vorgelegten Vorschlag in den entsprechenden Institutionen und Gremien zu diskutieren, auch parteipolitisch aufzugreifen, weiter auszudifferenzieren und dann Schritt für Schritt umzusetzen.

    Hierbei seien sowohl die EU, die Russische Föderation und die NATO an Putins Worte im Rahmen seiner 2001 im Deutschen Bundestag vorgetragene Rede erinnert:

    Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.
    Zitat aus Putin (2001): a.a.O.

    Das gegenwärtige Bedrohungsszenario und die gegenseitigen Drohgebärden im Kontext der russischen Truppenkonzentration an der Grenze zur Ostukraine und den entsprechenden militärischen Maßnahmen der Nato und der ukrainischen Regierung sind hingegen äußerst kontraproduktiv.

    Hier sollten die Nato und die EU an die Charta von Paris (1990) und die Russische Föderation an Putins Rede vor dem Deutschen Bundestag (2001) erinnert werden. Darin sind die Normen und Werte sowie die sicherheitspolitischen Strategien und Verhaltensweisen enthalten, die für eine Deeskalation der gegenwärtigen Bedrohungslage notwendig sind. Hören Sie auf, sich zu bedrohen, reden Sie endlich wie erwachsene, reife Menschen miteinander!

    Die Welt kann sich keine weitere Vergeudung gesellschaftlicher Ressourcen leisten. Die gemeinsamen Kräfte müssen global gebündelt werden, um die gegenwärtigen Bedrohungen, wie die Klimakrise, militärische Konflikte, Pandemien oder wachsende soziale Unterschiede, zu bekämpfen.

    Der Nato, der Russischen Föderation, der VR China, der EU und der OSZE sowie vor allem der UNO kommen hier die entscheidenden Aufgabenstellungen in Zusammenarbeit aller Staaten und transnationalen Regionen zu, um einen dritten Weltkrieg zu vermeiden und auch den nächsten Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

  • Triage-Urteil zwischen den Feiertagen
    https://www.heise.de/tp/features/Triage-Urteil-zwischen-den-Feiertagen-6302610.html

    Tu mourra parce tu es handicapé. L’euthanasie entre par l’arrière-porte. En Allemagne la cour de justice constitutionnelle décidera après noël sur la plainte d’une association qui revendique le droit au traitement pour les handicapés. Après des années de fermetures d’hôpitaux on risque le triage des patients. Les handicapés craignent d’ètre les premières victimes de la peinurie des soins et exigent des règles de triage qui leur donnent la même chance comme les personnes sans handicap.

    21.12.2021 von Claudia Wangerin - Bundesverfassungsgericht entscheidet über Klage von Menschen mit Behinderung, die befürchten, in der Pandemie „medizinisch aussortiert“ zu werden

    Der lange nur in der Kriegsmedizin gebrauchte Begriff ist in der Corona-Krise auch wegen des kaputt gesparten Gesundheitssystems wieder an der Tagesordnung: Zwischen Weihnachten und Silvester will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zur Triage veröffentlichen.

    Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe kündigte heute an, am 28. Dezember zu bekanntzugeben, wie es über eine Klage von neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen, die befürchten, bei einer Überlastung der Intensivstationen wegen ihrer statistisch schlechten Überlebenschancen benachteiligt zu werden, entschieden hat.

    Die Klage wird von dem Verein Ability Watch unterstützt. Die Beteiligten fordern, dass die Gesetzgebung Entscheidungskriterien für den Fall vorgibt, dass die Intensivkapazitäten in der Corona-Pandemie nicht ausreichen. Sie berufen sich auf das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem ausdrücklich steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Die Frage, wer im Fall nicht ausreichender Behandlungsplätze versorgt wird, sei deshalb keine rein medizinische, sondern eine gesellschaftliche, betont Ability Watch,

    Ihre Verfassungsbeschwerde hatten sie bereits im vergangenen Jahr angestrengt und mit einem Eilantrag verbunden, um durchzusetzen, dass bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ein Gremium, in dem auch behinderte Menschen vertreten sind, Regelungen für die Zwischenzeit erarbeitet. Dem war der zuständige Erste Senat aber nicht nachgekommen.

    Als krankenversicherte Menschen haben wir einen Anspruch auf medizinische Behandlung – gerade, wenn sie unser Leben retten kann. Diesen Anspruch haben wir gleichberechtigt mit allen anderen krankenversicherten Patienten. Wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Situation eintreten kann, in der die Ressourcen nicht ausreichen, jede und jeden, der lebensrettender Behandlung bedarf, dementsprechend zu versorgen, muss er versuchen, Ressourcen zu erweitern.

    Wenn das nicht ausreichend möglich ist, muss er zumindest selbst Kriterien entwickeln, wie diese Knappheit zu bewältigen ist. Diese Lösungen müssen in der Gesellschaft diskutiert werden und sie müssen verfassungsgemäß sein. Eine Lösung, die Menschen mit Behinderungen in so einer Situation benachteiligt – egal ob direkt oder mittelbar – ist nicht verfassungsgemäß.

    Ability Watch e. V.

    Medizinerinnen und Mediziner könnten entscheiden, wie eine lebensrettende Behandlung aussehen könne und für wen sie indiziert sei.

    Der Fachverband der Intensivmediziner (DIVI) hatte im Frühjahr 2020 eine „Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit“ vorgelegt. Die Fachgesellschaften hatten zwar einleitend betont, nicht aufgrund von Behinderungen oder aus Altersgründen diskriminieren zu wollen, allerdings war dies nach Ansicht der Klägerinnen und Kläger durch die Auswahl der Kriterien zumindest indirekt der Fall. Ihnen drohe nach DIVI-Kriterien die „medizinische Aussortierung“.
    Fehlende Impfung gilt nicht als legitimes Kriterium

    Im November dieses Jahres wurde die Leitlinie zwar aktualisiert, aber nicht aufgrund der Kritik von Menschen mit Behinderungen, sondern vor allem wegen der Debatte um die mögliche Benachteiligung von ungeimpften Covid-19-Patienten und der Kritik an der massenhaften Verschiebung „planbarer“ Operationen – darunter auch Krebs-Operationen – zugunsten von Covid-19-Patienten allgemein.

    Eine fehlende Impfung ist demnach kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen, da laut der DIVI-Arbeitsgruppe Ethik medizinische Hilfspflichten „bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unabhängig vom Auslöser beziehungsweise dem vorangehenden Verhalten des bedürftigen Patienten“ bestehen.

    Zugunsten von Covid-19-Patienten dürfen laut der aktualisierten Leitlinie zunächst nur solche Behandlungen anderer Krankheiten aufgeschoben werden, bei denen durch die Verzögerung „keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder gar der vorzeitige Tod“ zu erwarten sind. In Grenzfällen sollen die Betroffenen zumindest nicht gegenüber Covid-19-Patienten benachteiligt werden. Die Gleichbehandlung aller zu versorgenden Patienten ist auch im Falle knapper Ressourcen zu gewährleisten, heißt es.

    #coronavirus #covid-19 #triage #maladie #euthanasie

  • Onkel Arturo und der Mossad | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/Onkel-Arturo-und-der-Mossad-4590962.html

    20.11.2019 von Gaby Weber
    ...
    Am 11. Mai wurde Eichmann vom Werksbus von Mercedes-Benz um 18.20 Uhr an der Stadtautobahn (Puente Saavedra) abgesetzt; von dort aus stieg er in einen lokalen Omnibus um. Arbeitskollegen haben dies dem argentinischen Ermittlungsrichter zu Protokoll gegeben.

    Die Mossad-Leute trafen etwa um dieselbe Uhrzeit in Buenos Aires ein, mit einem Flugtaxi, einer Piper, aus Montevideo. Das geht aus dem Flugplan der uruguayischen Einwanderungsbehörde hervor, den ich dort gefunden habe. Der Pilot war 1960 bei der Luftwaffe und flog gelegentlich, nach Dienstschluss, also ab dem späten Nachmittag, mit dieser Piper auf die andere Seite des Rio de la Plata. Sie sei wegen ihrer Spezialausstattung außergewöhnlich schwer und nicht flugsicher gewesen.

    Man kann den Mossad des Jahres 1960 nicht mit dem heutigen vergleichen. Die Agenten reisten im Wintermonat Mai in Sommerkleidung auf die südliche Halbkugel, und keiner sprach spanisch. Was sie nicht wussten: Der Flieger flog für die CIA und gehörte einem Manager von Standard Oil. Diese Auskunft erteilte mir die US-Flugbehörde FAA.

    Die Piper startete am 11. Mai in Montevideo und landete in San Fernando, einem kleinen Flughafen für nationale Flüge, ohne Zoll und ohne Pass-Kontrollen. Aber natürlich kontrollierten die Sicherheitsbehörden den Landeplatz und registrierten, wer eintraf. Vermutlich hat sie der Dilettantismus der Israelis auf die Spur der Entführer gebracht.

    Wer Eichmann wirklich ergriffen hat, steht in einem Dokument des argentinischen Geheimdienstes. „Eichmann wurde, bei seiner Entführung, in einem Fahrzeug des Präsidialamtes transportiert, mit einem amtlichen Nummernschild. (Frondizis) Sekretär Samuel Schmuckler saß am Steuer und brachte ihn in das Haus von Mazar Barnet. Präsident Frondizi war über alle Geschehnisse auf dem Laufenden.“

    Die beiden waren bewährte Mitglieder der UCRI, Mazar Barnet leitete die Zentralbank. Wer noch bei der Entführung dabei gewesen ist, kann nur vermutet werden. Aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Frondizi die Operation allein in die Hände der sehr unerfahrenen Mossad-Leute legen wollte.

    Fakt ist, dass Gouverneur Gelsi genau in dieser Zeit in Buenos Aires gewesen war. Überraschend kam er am Abend des 23. Mai mit einem Flugzeug der Luftüberwachung zurück nach Tucumán. Er sei wegen des Nationalfeiertags in der Hauptstadt gewesen, antwortete er einem Reporter der „Gaceta“. Der Feiertag war aber erst am 25. - fragte der Journalist. Er habe sich nicht wohl gefühlt, meinte er kurz.

    Die Söhne Eichmanns hatten bereits am 12. Mai das Verschwinden ihres Vaters angezeigt. Kurze Zeit später nahm die Polizei die Israelis, die UCRI-Leute und Eichmann fest. Es muss am 13. oder 14. Mai gewesen sein. Laut offizieller Geschichtsschreibung wollen die Mossad-Agenten ihre Geisel vom 11. bis 21. Mai gefangen gehalten haben , aber am 14. Mai traf Chruschtschow - einen Tag früher als geplant - wutschnaubend in Paris ein. Und ein Dokument des militärischen Geheimdienstes ("Casa militar") mit Datum vom 18. Mai berichtet von der Überprüfung von Eichmanns Identität mit den Fingerabdrücken aus Tucumán. Einer der Mossad-Agenten wurde bei der Festnahme verletzt, bestätigte mir der behandelnde Arzt Alberto Kaplan, damals Neuro-Chirurg im israelitischen Hospital .

    Am Montag den 16. Mai, um 10.30 Uhr, tauchte Marisa Liceaga in der sowjetischen Botschaft in Buenos Aires auf, die Ehefrau von José Liceaga, der zwei Jahre zuvor mit der Sowjetunion den Millionen-Kredit ausgehandelt hatte. Unangemeldet, „auf ihre Bitte hin“. Der Inhalt des Gesprächs ist noch nicht offen gelegt. Es folgten laut der neuen russischen Dokumente weitere Gespräche mit dem Bürgermeister von Buenos Aires, Hernán Giralt, und Innenminister Rogelio Frigerio, alle bewährte UCRI-Leute. Alexei Kossygin, stellvertretender sowjetischer Ministerpräsident, flog ein, ebenso wie der israelische Außenminister Abba Eban, der seine von den Militärs festgesetzten Leute herausholen wollte.

    Nachdem der Abrüstungsgipfel in Paris erfolglos zu Ende gegangen war, wie es die US-Administration gewünscht hatte, hatten weder die Argentinier noch die CIA eine Verwendung für ihre Geiseln. Juristisch hätte Eichmann nach Deutschland ausgeliefert werden müssen, da der Haftbefehl von der Frankfurter Staatsanwaltschaft ausgestellt war. Doch die Militärs setzten durch, dass sich Eichmann das Land, in das er abgeschoben würde, selbst aussuchen durfte. Er wählte Israel. Dort traf er unter höchster Geheimhaltung am 23. Mai ein. Der Weltöffentlichkeit wurde die Mär von der heldenhaften Entführung des Mossad aufgetischt.

    #nazis #guerre_froide #Argentine

  • media.ccc.de - DESINFORMATION
    https://media.ccc.de/v/desinformation-das_dokudrama_des_ndr_eichmanns_ende

    Tout le monde a entendu l’histoire de l’enlèvement de l’organsateur de l’holocauste Adolf Eichmann par le service secret israeiien Mossad. Cette histoire est un mensonge, une fabrication qui devait protéger les responsables véritables et contribuer à l’image du Mossad. Dans cette vidéo Gaby Weber démantèle le récit d’une docu-fiction de la télévision publique allemande. Suite à la censure sur youtube le CCC publie la vidéo sur son site.

    Ein Lehrstück über die erwünschte Geschichte

    Das Dokudrama des NDR “Eichmanns Ende – Liebe, Verrat, Tod” wurde weltweit ausgezeichnet. Es erzählt die tragische Liebesgeschichte von Romeo und Julia des 20. Jahrhunderts: Romeo ist Klaus Eichmann, Sohn des Nazi-Kriegsverbrechers, den der Mossad 1960 aus Argentinien entführt haben will, und Julia ist Silvia, Tochter von Lothar Hermann, einem Überlebenden der Shoá. Das Dokudrama sei Desinformation, protestiert Hermanns Grossnichte, ein Stück aus der Geheimdienstküche, eine Lügengeschichte des Mossad. Der Film beschreibt, wie der NDR alle Warnungen ignorierte – er strahlt sein Machwerk bis heute aus. Die Autorin beschreibt, wie im Falle Eichmanns Historiker erst vom Mossad und dann untereinander abgeschrieben haben. Es ist ja die perfekte „erwünschte Geschichte“, nach der sich der Deutsche sehnt: nur neun Jahre nach Kriegsende himmeln ihn die jüdischen Mädchen wieder an. Und auch an die angebliche Entführung Eichmanns mag man gerne glauben: Dank einer mutigen Operation wurde ein Verbrecher der Gerechtigkeit zugeführt. Pech nur, dass diese Geschichte nicht wahr ist.

    #nazis #censure

  • Wie Leag, Tesla & Co. Privathaushalten das Wasser abgraben
    https://www.heise.de/tp/features/Wie-Leag-Tesla-Co-Privathaushalten-das-Wasser-abgraben-6286640.html

    Le #Brandebourg a donné une garantie d’approvisionnement avec le l’eau à l’usine Tesla alors que les particuliers subissent le rationnement de la ressource de plus en plus précieuse.

    5.22.2021 von Bernd Müller - Die Pegel von Brandenburgs Seeh sind in den letzten Jahrzehnten gesunken. Mit Tesla kommt ein Akteur hinzu, der das Problem verschärfen könnte.

    Wassermangel macht Brandenburg zu schaffen. Mit dem Grundwasser sinken auch Pegel etlicher Seen. Während sich Private einschränken müssen, können Konzerne weiter prassen

    Brandenburg hat ein Wasserproblem; das Land ist zwar reich an Seen, gilt aber dennoch als wasserarm. „Das liegt eben daran, dass wir eine sehr flache Region haben, in der gar nicht so viel Niederschlag fällt, aber das Wasser eben auch nicht so schnell abfließt“, erklärte unlängst Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).

    „Das Problem ist wirklich massiv, gerade wenn man die ganze Landschaft betrachtet“, so Hattermann. Die Niederschläge des vergangenen Sommers hätten das Problem nicht entspannt. Das Problem ist schon länger bekannt: Der Grundwasserspiegel fällt und damit auch die Wasserpegel vieler Seen in Brandenburg. Von den 1970er-Jahre an bis zur Gegenwart wurde das Grundwasser weniger, im Schnitt sank der Grundwasserspiegel in fast ganz Brandenburg um ein bis drei Zentimeter pro Jahr. In den letzten 50 Jahren summierte sich die Absenkung auf bis zu 1,5 Meter.
    Konzerne bevorzugt

    Dennoch erlaubt die Landesregierung einigen Akteuren einen laxen Umgang mit dem Grundwasser. Ein Fall wird nun vor Gericht verhandelt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Grüne Liga gehen mit einer Klage gegen den Braunkohletagebau Jänschwalde vor. Einen entsprechenden Eilantrag haben sie nun beim Verwaltungsgericht Cottbus gestellt. Sie werfen dem Tagebaubetreiber vor, ein Mehrfaches des Grundwassers abgepumpt zu haben als genehmigt war.

    Die Lausitzer Energie Bergbau AG (Leag) habe damit geschützte Seen und Feuchtgebiete in Gefahr gebracht. „Die Bergbehörde hat einen Betriebsplan zugelassen, der gar nicht ohne massive Verstöße gegen die geltende wasserrechtliche Erlaubnis umsetzbar ist. Die Zulassung ist deshalb offensichtlich rechtswidrig“, fasst Rechtsanwalt Dirk Teßmer zusammen, der die Verbände vertritt.

    Dem Konzern sei im vergangenen Jahr die Entnahme von 42 Millionen Kubikmetern Grundwasser erlaubt worden. Tatsächlich habe die Leag jedoch mehr als 114 Millionen Kubikmeter abgepumpt. Seit 2017 sollen insgesamt mehr als 240 Millionen Kubikmeter mehr entnommen worden sein, als erlaubt war.

    „Es ist ein Skandal, dass ausgerechnet im wasserarmen Brandenburg 240 Millionen Kubikmeter Wasser ohne jede Genehmigung abgepumpt wurden – mehr als sechs Mal das Volumen des Müggelsees“, sagte René Schuster von der Grünen Liga. Die Menschen in der Lausitz hatten dagegen nach Nachsehen. Ihnen wurde mehrfach die private Wassernutzung auf Druck der Wasserbehörden eingeschränkt.

    Rationiert wird das Wasser jetzt auch in Ostbrandenburg – auch wegen der Fabrik des US-Autobauers Tesla in Grünheide. Der Wasserverband Strausberg Erkner (WSE) hatte davor gewarnt, nun macht er ernst: In Zukunft soll der Wasserverbrauch für alle Anwohner und Unternehmen gedeckelt werden. Darüber berichtete der rbb am Donnerstag. Für jedes Grundstück soll nun eine Maximalmenge an Wasser festgelegt werden, die pro Jahr zur Verfügung gestellt wird.

    Hintergrund der Entscheidung ist, dass die Wasservorräte von Jahr zu Jahr knapper werden. „Im Juni dieses Jahres wurden unsere Behälter abends nicht mehr voll“, sagte demnach WSE-Chef Andre Bähler. Nur eine andere Witterung habe Abhilfe schaffen können. Schon 2018 hatte das genehmigte Förderkontingent nicht ausgereicht, um die Versorgung sicherzustellen; deshalb habe man sie damals schon überschreiten müssen, erklärte der stellvertretende WSE-Chef Gerd Windisch.

    Bislang liefert der Wasserverband pro Jahr rund elf Millionen Kubikmeter Wasser aus – Tendenz steigend, denn immer mehr Menschen und Unternehmen ziehen in die Region. Mit der Tesla-Werk in Grünheide kommt noch ein Großverbraucher hinzu: Bis zu 1,4 Millionen Kubikmeter jährlich soll es beziehen.
    Schuldzuweisung an Privathaushalte

    Obwohl der Wassermangel eher ein strukturelles Problem in der Region zu sein scheint, machen manche die privaten Haushalte in der Region dafür verantwortlich. Man wolle ihnen nicht das Wasser wegnehmen, behauptete Henryk Pilz, Bürgermeister von Erkner, man wolle nur übermäßigen Wasserverbrauch reglementieren. Denn es sei problematisch, wenn Anwohner im Sommer ihre Pools immer wieder mit neuem Wasser befüllen, anstatt das alte zu reinigen.

    „Umweltschutz, Klimawandel und Ressourcenschonung beginnt am eigenen Wasserhahn und im Umgang mit Trinkwasser“, so Pilz. Ähnlich äußerte sich Arne Christiani, Bürgermeister von Grünheide. „Wenn man die Unvernunft der Menschen sieht, die einen normalen Wasserverbrauch immer wieder überschreiten, vor allem im Sommer, bleibt einem nichts anderes übrig“, erklärte er. Die Märkische Oderzeitung (MOZ) spekulierte zuletzt, dass hinter dem Sparplan ein anderes Kalkül stehen könnte: Tesla habe sich schon im letzten Jahr mit einem Vertrag knapp zehn Prozent des im Verband verfügbaren Trinkwassers gesichert, für die erste Ausbaustufe seiner Fabrik. Sollte der WSE das benötigte Wasser nicht liefern können, dann könnten hohe Entschädigungen gefordert werden.

    Der Wassermangel in Brandenburg zeigt bereits direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. So hatte der US-Konzern Google geplant, in Neuenhagen ein Rechenzentrum zu bauchen. Doch das scheiterte, weil das Rechenzentrum nicht mit ausreichend Wasser hätte versorgt werden können. Der Wasserverband WSE hatte schließlich ein Veto gegen die Ansiedlung von Google eingelegt.

    #eau #Brandenburg #Tesla

  • Britische Regierung plant geheime Ausbürgerungen
    https://www.heise.de/tp/features/Britische-Regierung-plant-geheime-Ausbuergerungen-6277297.html?seite=all

    Sous Boris Johnson le Royaume Uni est en train d’adopter des mesures dignes des dictatures fascistes du siècle passé. Dans ce contexte une nouvelle lois définit la nationalité britannique comme privilège à attribuer ou révoquer par les autorités.

    Le gouvernement anglais ajoute une touche dystopique à l’affaire en autorisant la révocation de la nationalité à l’insu des personnes concernées les tranformant ainsi en objets sans droits. La loi prévoit également l’impunité totale des gardes frontières et autorise ainsi implicitement l’assassinat des nouveaux hors la loi.

    Dans les démocraties libérales de l’UE la nationalité fait partie des droits fondamentaux de chaque citoyen. Le développement dans l’UK nous oblige d’agir afin de prévenir des projet de droite similaires dans nos pays.

    26.11.2021 von Gerd Roettig - Bürger könnten in Geheimvorgang Staatsbürgerschaft aberkannt bekommen, Rechtsbehelf bliebe womöglich verwehrt. „Pushbacks“ gegen Flüchtlinge sollen faktisch straffrei bleiben

    Klammheimlich und von der internationalen Öffentlichkeit bislang kaum beachtet hat die britische Regierung einige wesentliche Änderungen des nationalen Staatsangehörigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht. Die regierenden Tories möchten die Befugnisse weiter ausdehnen, Menschen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen.

    Zu einer solchen Maßnahme war das Innenministerium nach den Bombenanschlägen in London 2005 ermächtigt worden. Kritische Beobachter hatten damals schon vor einem rechtlichen Rückfall in Weltkriegszeiten gewarnt, als vor allem autoritäre und totalitäre Staaten Millionen Menschen ausbürgerten.

    Nun soll dieses Erbe des „Krieg gegen den Terror“ noch weiter verschärft werden. Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs könnten den Plänen zufolge ohne jegliche Vorankündigung oder Warnung ausgebürgert werden.

    Das Gesetz, das Anfang des Monats novelliert wurde, befreit die Regierung von der Pflicht, eine Benachrichtigung auszustellen, wenn dies nicht „praktikabel“ sei, wie die britische Zeitung The Guardian bereits am 17. November berichtete.

    Schon die sprachliche Formulierung, die eine willkürliche Auslegung ermöglicht, ist eher einer Diktatur und nicht eines Rechtsstaats würdig. Die Regierung erklärt mit dem Gesetz einen permanenten Ausnahmezustand, und zwar „im Interesse der nationalen Sicherheit, der diplomatischen Beziehungen oder in einem anderweitigen öffentlichen Interesse“, wie der Guardian zitiert.
    Staatsbürgerschaft als Privileg des Staates

    Auch darüber hinaus sollen die Tore für staatliche Willkür weit geöffnet werden: So soll die neue Regelung es den Behörden ermöglichen, sie rückwirkend anzuwenden. Dies würde die Möglichkeit Betroffener infrage stellen, Rechtsbehelf einzulegen.

    Das Innenministerium erklärte hierzu:

    Die britische Staatsbürgerschaft ist ein Privileg, kein Recht. Der Entzug der Staatsbürgerschaft aus förderlichen Gründen ist zu Recht auf diejenige anzuwenden, die eine Bedrohung für das Vereinigte Königreich darstellen oder deren Verhalten hohen Schaden verursacht.

    Die reaktionäre Umdeutung des völker- und menschenrechtlich verbürgten Rechts auf Staatsangehörigkeit in ein von der Obrigkeit verliehenes „Privileg“ geht ebenso auf den sogenannten „Krieg gegen den Terror“ zurück, den Georg W. Bush und Tony Blair 2001 angezettelt hatten. Neokonservative Interessengruppen werden nicht müde, das Recht auf Staatsbürgerschaft weiter zu schwächen. Auch darum geht von dem britischen Gesetzesentwurf eine substanzielle Gefahr weit über die Inseln hinaus aus.

    Frances Webber, die stellvertretende Vorsitzende des Institute of Race Relations, wird vom Guardian mit den Worten zitiert:

    Dieser Änderungsantrag vermittelt die Botschaft, dass bestimmte Bürger, obwohl sie im Vereinigten Königreich geboren und aufgewachsen sind und keine andere Heimat haben, Migranten in diesem Land bleiben. Ihre Staatsbürgerschaft und damit alle ihre Rechte werden dadurch präkarisiert.

    Damit würden internationale Menschenrechtsverpflichtungen und grundlegende Normen der Gerechtigkeit auf frappierende Weise missachtet.
    Warnungen von Hannah Arendt sind wieder aktuell

    Wie weit Großbritannien bezüglich des Staatsbürgerrechts in der Rechtsentwicklung Rückschritte macht, wird deutlich, wenn man es anderen Zeiten gegenüberstellt. In der McCarthy-Ära der 1950er-Jahre beschrieb die liberale Publizistin Hannah Arendt die Angriffe auf das in der UN-Menschenrechtskonvention verankerte „Recht darauf, Rechte zu haben“ noch mit folgenden Worten:

    Vor dem letzten Krieg griffen nur totalitäre oder halbtotalitäre Diktaturen zu der Waffe der Ausbürgerung. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem selbst freie Demokratien, wie z.B. die Vereinigten Staaten, ernsthaft in Erwägung ziehen, gebürtigen Amerikanern, die Kommunisten sind, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das Unheimliche an diesen Maßnahmen ist, dass sie in aller Unschuld erwogen werden.

    Die damalige von Arendt beschriebene Gefahr konnte damals durch die weltweiten Bürgerrechtsbewegungen der 1960er-Jahre gebannt werden.

    So ein Druck wird auch im Fall Großbritanniens notwendig sein, denn die britische Regierung plant einen noch weitergehenden Rechtsabbau. Der Gesetzentwurf ist Teil der sogenannten Nationality and Borders Bill - und dieses Gesetz hat es in sich.

    Mit diesem Gesetz wären Asylanträgen von Personen unzulässig, die auf „illegalem Weg ins Vereinigte Königreich“ gekommen sind, unabhängig von der Art der Bedrohung, der sie ausgesetzt waren. Zudem soll die Straffreiheit für Grenzschutzbeamte festgeschrieben werden.

    Wie mehrere Zeitungen berichteten, könnten diese bei sogenannten „Pushback“-Einsätzen im Ärmelkanal — also militarisierten Attacken auf Flüchtlingsboote — nicht mehr strafrechtlich belangt werden, sollte es dabei zur Tötung von Menschen kommen.

  • Griechenland: Was und wie darf Journalismus fragen?
    https://www.heise.de/tp/features/Griechenland-Was-und-wie-darf-Journalismus-fragen-6266178.html

    13.11.2021 von Wassilis Aswestopoulos - Ist die Presse nun „vierte Gewalt“, oder soll sie Politiker lieber nach ihrer Leibspeise fragen?

    Eklat bei Pressekonferenz: Wer über Pushbacks reden will, beleidigt angeblich das griechische Volk. Eine niederländische Journalistin bekommt dafür einen Shitstorm der Extraklasse

    In Griechenland wird aktuell über die Frage diskutiert, was Journalismus darf - und was nicht. Wichtigster Anlass dafür ist eine harsche Frage, welche die niederländische Journalistin Ingeborg Beugel am Dienstagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Premierminister Kyriakos Mitsotakis und dessen niederländischen Amtskollegen Mark Rutte stellte. Mitsotakis antworte harsch und wütend. Der Vorfall war internationalen Agenturen und Medien eine Nachricht wert.

    In Griechenland selbst führte er zu einem sexistischen Shitstorm griechischer Kollegen gegen Beugel. Das International Press Institute verurteilt „Versuche, eine niederländische Journalistin zu beleidigen und deren Arbeit zu diskreditieren“. Beugel wurde in regierungsnahen Medien als „türkische Agentin“ gebrandmarkt.
    Der Premier und die direkte Frage

    Bei Staatsbesuchen im Amtssitz des Premierministers herrscht folgendes Procedere: Die beiden Staatschefs stellen sich nach einer kurzen Einlassung den Fragen ausgewählter Journalisten. Die meisten Fragemöglichkeiten erhalten einheimische Medien und internationale Agenturen. Unter den Journalisten, die für Medien des Gastlandes arbeiten, wird ebenfalls ein Vertreter ausgelost, wenn es mehr als einen für den Besuch akkreditierten Journalisten gibt. Beugel war nicht über die griechischen Institutionen, sondern vielmehr über die niederländische Botschaft akkreditiert worden.

    Die Pressekonferenz wurde live im Fernsehen übertragen und auf den Kanälen des Premierministers im Internet geteilt. Der aktuelle Vorfall ist auf dem offiziellen Youtube Kanal von Premier Mitsotakis abrufbar. Beugel, mit einem auffälligen großen Hut und farblich passender Maske gekleidet, stellt ihre Frage ab Minute 20.30.

    Sie vertritt ihr Anliegen forsch und durchaus aggressiv. Sie fordert beide Regierungschefs indirekt auf, nicht mehr über die Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze und die Zustände in den griechischen Lager zu lügen, „wann hören sie endlich auf zu lügen?“. Die mehrteilige Frage ist gespickt mit Vorwürfen, in denen das Lügen der Politiker als „narzisstischer Missbrauch“ gebrandmarkt wird.

    Beugel fragt auch, warum sich Griechenland den schwarzen Peter zuschieben lasse, und nicht selbst offensiv die EU zu mehr Solidarität für Geflüchtete dränge und auf Umverteilung der Menschen poche. An Rutte gerichtet fragte sie, warum dieser sich weigere, den niederländischen Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen wollen, die Erlaubnis dafür zu erteilen.

    Mitsotakis reagiert sofort gereizt. Er meint, dass er die in den Niederlanden geübte, in Griechenland jedoch unbekannte Praxis der „direkten Frage“ respektiere, aber er „akzeptiere nicht, dass Sie in diesem Amtssitz mich und das griechische Volk beleidigen, und Anschuldigungen und Ausdrücke benutzen, die nicht mit Fakten belegbar sind“.

    Mitsotakis ließ sich also provozieren und redete sich in Rage. In der Folge fuhr er die Journalistin heftig an: „Waren Sie auf Samos?“. Beugel antwortete: „Ja ich war auf Samos.“ Mitsotakis schrie, „Nein, Sie waren nicht auf Samos!“ Es entwickelte sich ein scharfer, kurzer Dialog, den Mitsotakis abbrach, indem er der Journalistin das Wort entzog.

    Tatsächlich war Beugel mit Erlaubnis der Regierung und von einem Regierungsvertreter geführt, eine der ersten Journalistinnen, welche Einblick in das neue, gefängnisartige Lager bekam. Sie veröffentlichte dazu im Mai einen kritischen Artikel. Mitsotakis‘ Aussagen während der Pressekonferenz widersprachen in mehreren Fällen den Fakten.

    So bestritt er, dass die griechische Wasserschutzpolizei jemals an Pushbacks beteiligt gewesen sei. Tatsächlich aber hat die Europaabgeordnete der Nea Dimokratia, Maria Spyraki, bereits im Juni 2017 eine derartige Praxis in einer parlamentarischen Anfrage im Europaparlament zur Sprache gebracht. Damals war Mitsotakis Oppositionsführer. 2018 wiederholte Miltiadis Varvitsiotis, seinerzeit Schattenminister von Mitsotakis für Migration, heute stellvertretender Minister im Außenministerium, die Anschuldigung, dass Griechenlands Küstenwache Pushbacks praktiziere, im Parlament.

    Heute sieht Mitsotakis allein in der Frage nach Pushbacks, die jedoch sein amtierender Migrationsminister Notis Mitarachi laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur untersuchen lassen will, eine Beleidigung des griechischen Volkes. Allerdings verlangt auch die EU-Kommission Aufklärung und hält für Athen vorgesehene Geldmittel zur Finanzierung des Etats des griechischen Migrationsministeriums vorerst zurück.
    Das Privatleben der Journalistin wird durchleuchtet

    All dies hindert griechische Medien nicht daran, der seit mehr als drei Jahrzehnten in Griechenland lebenden Beugel allein wegen der Frage nach Pushbacks vorzuwerfen, sie betreibe „türkische Propaganda“. Über Twitter wiederholte der Anchorman des Senders ANT1, Herausgeber der Zeitung Real News und Leiter der Radiostation Real News, Nikos Chatzinikolaou, diese Anschuldigung.

    Chatzinikolaou, bis zum Januar 2021 Vorsitzender des griechischen Verlegerverbands, lieferte sich auf sozialen Medien mit Usern, die ihm widersprachen, mit Schimpfwörtern und Fäkalsprache gespickte Duelle. In der Hauptnachrichtensendung von SKAI TV ließ sich Sia Kossioni, zufällig mit dem Neffen des Premiers, Kostas Bakoyiannis verheiratet, mit einem Kommentator darüber aus, dass Mitsotakis zu sanft auf die Äußerungen von Beugel reagiert habe.

    Bakoyiannis ist ebenso zufällig Bürgermeister von Athen. Die griechische Medienwelt sieht hier keine mögliche Befangenheit oder Interessenkonflikte bei Kossioni. Giannis Pretenderis sprach als Kommentator in den Nachrichten des Senders MegaTV Beugel die Berechtigung, sich Journalistin zu nennen, ab. Chatzinikolaou empfahl Beugel, doch mal Journalismus zu studieren. Die Kommentatoren konstatierten, dass Beugel befangen sei, weil sie im vergangenen Sommer festgenommen wurde, weil ihr vorgeworfen wurde, einem „illegalen Migranten“ Obdach geboten zu haben.

    Dementsprechend läuft aktuell noch ein Strafverfahren gegen die Journalistin. Beim „illegalen Migranten“ handelte es sich um einen zunächst abgelehnten Asylbewerber, der sich zum Zeitpunkt der Festnahme im Widerspruchsverfahren befand. Dieses soll nach Angaben von Beugel vor zwei Wochen mit einem positiven Asylbescheid abgeschlossen worden sein.

    Die Boulevardpresse in Griechenland dichtet der Journalistin eine Beziehung mit dem erheblich jüngeren Asylbewerber an. Nachbarn werden zitiert, die behaupten, dass Beugel ihre Hunde von Asylbewerbern ausführen lasse. Der Bürgermeister der Insel Hydra, wo Beugel eine Zweitwohnung besitzt, zeigte die Journalistin an. Denn er sah sich beleidigt, weil Beugel in einem Interview nach der Pressekonferenz von die Hälfte der Inselbewohner als Anhänger der ultrarechten „Goldenen Morgenröte“ bezeichnet habe.

    Die Syriza-Opposition und die ihr nahestehende Presse erhebt dagegen die niederländische Journalistin zur Ikone. Dabei wird verschwiegen, dass es auch unter der Syriza-Regierung vielfach Anschuldigungen wegen Pushbacks an der Grenze gegeben hatte. Beugels auffälliger Hut wird von Anhängern von Syriza als Symbol gefeiert.

    Erst mit einigen Tagen Abstand rückt eine weitere Frage in den Vordergrund: Was meinte Mitsotakis mit den „direkten Fragen“, die er von griechischen Journalisten nicht gewohnt sei? Diese Frage brachte unter anderen der sozialdemokratische Politiker Kostas Skandalidis anlässlich eines Antrags der Opposition auf einen Untersuchungsausschuss ins griechische Parlament ein.

    Wenn Spitzenpolitiker lieber nach ihrer Lieblingsspeise gefragt werden

    Der Antrag wurde, wie in der reformierten Verfassung vorgesehen, mit den Stimmen von mehr als zwei Fünfteln der Abgeordneten angenommen. Der Untersuchungsausschuss soll dem Vorwurf nachgehen, dass die Regierung von Mitsotakis mit staatlichen Geldern die Meinung und Berichterstattung der Medien beeinflusse. Ein Umstand, der ebenso wie die am Donnerstag im Parlament verabschiedeten Gesetze zur Strafverfolgung von Nachrichten, die von der Regierung als „Fake News“ eingestuft werden, auch die Kommission in Brüssel beschäftigt.

    Eigentlich müssten sich die einheimischen Journalisten ihrerseits beleidigt fühlen. Räumt doch der Premier ein, dass er von ihnen eher mit Samthandschuhen angefasst wird. Nikos Chatzinikolaou hatte jedenfalls in einem politischen Interview Mitsotakis ungerührt nach eher belanglosen Themen wie dessen Lieblingsspeise gefragt. Es sind gefüllte Weinblätter, in Griechenland Dolmadakia genannt. Dem früheren Ppräsidenten des Verlegerverbands verpassten die Griechen daher den Spitznamen „Dolmadakias“.

    #Grèce #journalisme #réfugiés #liberté_de_la_presse

  • Die Wirecard-Connection deutscher Behörden | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/Die-Wirecard-Connection-deutscher-Behoerden-6261779.html?seite=all

    Suite à la lecture de cet aricle l’envie me prend de déménager à Palerme ou Naples. Là bas on est sans doute davantage à l’abri de la mafia qu’à Berlin. En plus il fait meilleur temps dans le Mezzogiorno qu’à Berlin où on n’est même plus récompensé par de vrais hivers pour les longues périodes pluvieuses de l’automne.

    09.11.2021 von Rainer Winters „Failed State Germany“ - Kommentar und Hintergrund

    Cambridge Analytica, Wirecard, Glencore, Bosch, Credit Suisse, Kolping, UBS, M.M. Warburg, Facebook, HSBC, Deutsche Bank - ohne Whistleblower wie Christopher Wylie oder Karsten vom Bruch wären die epochalen Skandale rund um diese Unternehmen nicht ans Tageslicht gekommen.

    Die eindrucksvolle Liste wäre beliebig erweiterbar, doch erweckt sie den Anschein, dass nur Firmen auf der Anklagebank sitzen. Dabei dürfte die Liste mit Trägern staatlicher Aufgaben ebenso lang ausfallen. Kraftfahrtbundesamt, US-Army, Südwestrundfunk (SWR), Kreisverwaltung Bad Segeberg, FBI, Andrej Babis, Behörden, Minister, Beamte aller Art sind kaum besser als die von ihnen verfolgten Unternehmen. Auch das zeigen regelmäßige Hinweise mutiger Whistleblower wie Daniel Hale, Ole Skambraks, John Kiriakou oder Margit Herbst.

    In der Reihe großer Skandale nimmt der Fall des Dax-Unternehmens Wirecard eine besondere Stellung ein. Kaum ein anderer deutscher Skandal hat je so viele Verfehlungen von staatlich Verpflichteten offengelegt.

    Wie schon der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum NSA-Skandal muss der Untersuchungsausschuss zu Wirecard im Großen und Ganzen als gescheitert bezeichnet werden. Nicht zuletzt, weil Bundeskanzleramt, Geheimdienste und Ministerien Wissen und Beteiligung bis heute effektiv vertuschen.

    In moderater Manier attestiert die Financial Times dem designierten Bundeskanzler Olf Scholz, er habe „während des Wirecard-Skandals bei der Arbeit geschlafen“, an Scholz scheine „nichts Negatives hängen zu bleiben“.

    Ein paar hierarchische Ebenen unter dem Bundeskanzleramt scheinen auch diverse Staatsanwaltschaften auf der ganzen Linie zu versagen. Das Online-Magazin The Pioneer mutmaßt, die Staatsanwaltschaft München habe sich „in ihre Vision von der Wirklichkeit verrannt“.
    Hochproblematischer Schulterschluss

    Nun mag ja der Fisch immer vom Kopfe her stinken, im Falle Wirecards aber müffelt die halbe Republik. Am Drama rund um den Finanzkonzern Wirecard zeigt sich, welch unerträgliche Gesinnungsgemeinschaft deutsche Behörden zusammen mit Deutschlands Finanz- und Wirtschaftselite verfestigt haben.

    Der hochproblematische Schulterschluss ist ein demokratiegefährdender Cocktail mit bislang unbekannter Ausprägung von Demokratieverachtung. Auch ein Untersuchungsausschuss im Bundestag konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gebildeten Strukturen an mafiöse Spektren erinnern: Hochorganisiert und strukturell schädlich.

    Jährlich erwirtschaften Deutschlands Top-Konzerne Milliardenumsätze mit fragwürdigen Methoden. Steht das große Geld generell nicht selten im Verruf, kriminell zu sein, erwartet man zumindest von Politik und Staat Rechtschaffenheit. Die Wahrheit ist flächendeckend eine andere. Das Beispiel: Fast alle staatlichen Stellen, die mit der Kontrolle des Finanzgebarens von Wirecard beauftragt waren, sind auf miserable Art involviert.

    Bundesregierung, Bundesfinanzministerium (BMF), Bundesjustizministerium (BMJV), Geheimdienste, Bundeskriminalamt (BKA), oberste Bundesbehörden, Wirtschaftsprüfer, DAX-Konzerne, sie alle sitzen in einem Boot, in der Krähen den anderen zwar kein Auge aushacken, die kleinen von ihnen aber - so wie die DPR - gefressen werden.

    Der Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach sagt: „Die Tatsache, dass sich ehemalige Minister, Staatssekretäre, ein ehemaliger Polizeichef und ein aktiver Berliner Politiker von Wirecard einspannen ließen, macht mich sprachlos.“ Der Herausgeber der Berliner Zeitung, Michael Maier, sagt im Kontext Wirecard, so etwas erwarte man vielleicht in Sizilien, aber nicht in Bayern. Mafiöses Gebaren?

    In geradezu konzertierter Aktion wird die Presse bekämpft, beschattet, denunziert, angeklagt, wenn sie über die Machenschaften berichtet.

    Nur dank der Robustheit einer ausländischen Medieninstitution, der britischen Financial Times (FT), wird Deutschland bewusst, wie korrupt ihre obersten Behördenvertreter sind. Die Zeitung hat wunderbar beschrieben, wie sich hierzulande die Politik- und Finanzelite entlarvt.

    Die Hartnäckigkeit ihres Investigativ-Reporters Dan McCrum spielte eine zentrale Rolle bei der Aufklärung. Er wurde deswegen in Deutschland massiv angegriffen. Das ist ein Lehrstück für sich.
    Die Hintergründe

    Beginnen wir im Bundestag. Es gab einen Untersuchungsausschuss, der am 22. Juni seinen Abschlussbericht an Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble übergab.

    Die Oppositionsparteien beantragten ihn, die Vertreter der Großen Koalition (KoGroKo) enthielten sich, wollten ihn tendenziell verhindern. Die FT zitiert das Ausschussmitglied Danyal Bayaz, den Moment festhaltend, als Deutschlands Behörden sich auf die Seite von Kriminellen stellten und gegen Journalisten und Marktteilnehmer ermittelten, die kritische Fragen stellten.
    Output deutscher Medien = Fehlanzeige

    Natürlich wäre es die Aufgabe deutscher Journalisten gewesen, allen voran der öffentlich-rechtlichen ARD und ZDF, über die Verfehlungen Wirecards und aller beteiligten Behörden zeitnah zu berichten. Dass sie jahrelang zu offensichtlichem Unrecht schwiegen, ist eine Kapitulation des deutschen Pressewesens.

    Dagegen erklärte der für Wirecard-Berichte federführende Journalist der FT seine journalistische Hartnäckigkeit im Mai damit, dass es „so himmelschreiend war, dass wir es mit einem kriminellen Unternehmen zu tun hatten“. Sechs Jahre lang hatte Dan McCrum mit seiner Zeitung investigativ recherchiert.

    Der organisierten Behörden- und Finanzlandschaft fiel nichts Besseres ein, als den Botschafter der Nachricht von der Justiz verfolgen zu lassen. McCrum berichtet, dass [Wirecard] die Klage persönlich an seine Privatadresse lieferte. Es war, als würden sie sagen: „Übrigens, wir wissen, wo Sie wohnen“, so McCrum.

    Bereits 2015 hatte er zusammen mit seinen Kollegen John Reed, Stefania Palma und dem heute noch aus Frankfurt berichtenden Olaf Storbeck über Unstimmigkeiten in der Wirecard-Bilanz hingewiesen.

    Deutschlands Politiker verfolgen die nationale und internationale Medienberichterstattung sehr genau. Selbst in Landtagen gibt es einen Dienst, der allen Mitarbeitern täglich eine Presseschau zusammenstellt.

    Deutschen Behörden scheint es egal zu sein, was ausländische Medien über ein deutsches Top-Unternehmen schreiben. Sie verlassen sich lieber auf deutsche Medien, in Momenten, wenn selbst Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur der Bildzeitung, über eine Agentur für Wirecard tätig wird. Informationsinsel Deutschland.
    Input aus Großbritannien: Der Zatarra Report

    2016 fassen britische Shortseller in Sherlock Holmes Manier zusammen, was alles bei Wirecard faul ist. In ihrem 101 Seiten starken Zatarra Report (vgl dazu Bundesfinanzministerium 2020, PDF, S.4) steht zum Beispiel, dass der Geschäftsführer von Wirecard Technologies, M. B. zusammen mit J. P. S. zwei Schweizer Firmen inkorporierte. S., der im Mittelpunkt einer laufenden Untersuchung stehe, die Beihilfe und Anstiftung in mehreren Fällen von Geldwäsche, illegalen grenzüberschreitenden Transaktionen, Veruntreuung und gewerbsmäßigem Betrug beinhalte.

    Obwohl die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Report liest, lässt sie die Kritik an Wirecard im Sande verlaufen. Einer der Shortseller, Fraser Perring, wird selber angeklagt, und erst vier Jahre später wird die Anklage fallen gelassen. Zu oft werden in Deutschland die Botschafter geköpft, und die Feldherren geschont.

    Seit 2003 machte Wirecard Geld mit E-Payment-Funktionen für internetbasierte Glückspiel- und Pornoseiten. Kaum verwunderlich im Puffland Deutschland, in dem Massenpuffs wie das Pascha in Köln durch wohlwollende Gesetzgebung florieren und gedeihen, ermöglicht durch die „christlichen“ Parteien CDU und CSU und ihren willfährigen Partner SPD.

    Der Sachverständige Kilian Kleinschmidt nannte Wirecard ein Finanzierungsdarknet für (Einf. d. A. libysche) Milizen und Dienste. Solche Unternehmen befinden sich in Deutschlands Top 30 Aktienunternehmen, mit solchen Unternehmen arbeitet das BKA zusammen, mit solchen Unternehmen machen Banken wie die Commerzbank oder die Deutsche Bank Geschäfte?
    Input von Deutschlands kriminellen Banken Commerzbank und Deutsche Bank

    Nachdem Medien 2019 von ihren Recherchen berichten, schreibt eine Aktienanalystin der Commerzbank an ihre Kunden: „Gestern hat der Serientäter Dan McCrum, Journalist bei der ansonsten renommierten FT, einen weiteren negativen Artikel über Wirecard veröffentlicht.“ Und weiter: „Wir sind eigentlich mehr besorgt über [die] offensichtliche aktive Beteiligung der FT an der Marktmanipulation als über die Vorwürfe an das Unternehmen. Wir glauben, dass die Aufsichtsbehörden dies ernsthaft untersuchen müssen.“

    So macht die Commerzbank Geld? Journalisten werden als Serientäter dargestellt. Wie die Großfinanz wünscht, so springt das Hündchen Staatsanwaltschaft auf den Zug und ermittelt gegen die Medien, nein, einen Journalisten.

    Und so weiter und so fort. Ein damaliges Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank schreibt an den inzwischen inhaftierten Wirecard-Chef Markus Braun: „habe übrigens 3x wirecard aktien gekauft letzte woche, macht diese zeitung fertig!!“, gefolgt von einem Smiley.

    Das Handelsblatt zitiert das entlarvende Sprachbild, auch andere Zeitungen berichten, was der frühere Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Braun als Maßnahme gegen die Financial Times vorschlägt.

    Als großer Aktionär der Deutschen Bank sieht die Fondsgesellschaft Deka in dem Aufsichtsratsmitglied ein „Reputationsrisiko“. Der Mann verlässt die Bank und seitdem müssen sich Journalisten fürchten.

    Ganz als ob kein öffentliches Interesse an dem Berichteten besteht, geht ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank gegen veröffentlichende Medien vor, so gegen das Handelsblatt, die Financial Times oder das Internetportal Zackzack. Kolumbianische Zustände, in denen Journalisten nicht auf Demonstrationen angegriffen werden, sondern dezent und kostenintensiv von Vertretern der White Collar-Branche. So kann man Medien zum Schweigen bringen, und dazu, dass sie erst gar nicht mehr berichten.

    Commerzbank, Staatsanwaltschaft, systemimmanenter Terror Deutschlands. McCrum ist fassungslos. Das Fraud Magazin berichtet über seine Angst, die der deutsche Staat im Zusammenspiel mit Deutschlands Finanzelite bei ihm auslösen:

    Ich dachte nicht, dass ich jemals nach Deutschland reisen könnte, sonst würde ich verhaftet werden.
    McCrum

    Das Magazin schreibt weiter: Twitter-Spam-Accounts behaupteten, er habe die Artikel geschrieben, die Wirecard belasten, weil seine Frau für einen Konkurrenten arbeite. Wirecard schien entschlossen zu sein, seinen und den Ruf seiner Frau zu zerstören.
    Vom britischen Input bis zum Bonner Bafin-Knall

    Dass der Ruf der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kaputt ist, ist nur eine der Lehren des Wirecard-Dramas. Als der Nachfolger für Bafin-Boss Felix Hufeld feststeht, lästert die FT, Deutschlands Finanzaufsichtsbehörde wirke eher wie ein gealterter Zwergspitz (sic Pomeranian) als ein dynamischer Rottweiler. Eine Anspielung auf den Zweck eines Zwergspitzhundes, der in England als Spielzeughund gilt, aus Pommern bzw. Deutschland kommt und zudem das Lieblingstier der deutsch-englischen Königin Victoria war. Victoria war zu 50 Prozent deutsch.

    Felix Hufeld muss die Bafin verlassen, als die Nachrichten in der Welt sind, dass sich eine nicht geringe Anzahl Mitarbeiter an Wirecard-Aktien bereicherte, dass mindestens ein Mitarbeiter sein Insiderwissen versilberte, während die Behörde ihre Aufsichtsfunktion gegen Wirecard gen Null runterfuhr. Dass die Bafin Fraser Perring anklagen und verfolgen ließ, obwohl seine Hinweise von Nutzen waren.

    Und vor allem dass der Vorwurf des Bilanzbetrugs bekannt war, man aber nur ein Leerverkaufsverbot verhängte. Das Magazin Finance schreibt, Berliner Rechtsanwälte würden im Auftrag von Wirecard-Investoren eine Sammelklage gegen die Bafin und die DPR wegen Staatshaftung vorbereiten.

    In einem Moment, wo sich die Verantwortlichen in Deutschlands Finanzaufsicht mit Vorwürfen von Strafvereitelung (§ 258 StGB) und anderen Amtsdelikten konfrontiert sehen, wo die EU-Kommission die Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA beauftragt, die Rolle der deutschen Finanzaufsicht zu überprüfen, wo die FT den Spielzeugcharakter deutscher Behörden herausstellt, propagandiert Hufeld, seine frühere Behörde gehöre zu den besten Aufsichtsbehörden der Welt. Globales Gelächter und ein Knall.

    Der Abgang Hufelds wird als Bonner Knall in Erinnerung bleiben, als sich in den Hallen der Bafin die geballte Blockadeenergie entlud, die sich unter Hufeld angestaut hatte.
    Bundeskriminalamt schleust Wirecard ein

    Von Bonn nach Wiesbaden sind es knappe 90 Minuten. Hier sitzt die nächste Behörde, die keine gute Figur macht. Die Beschreibung dieser Behörde gelingt einfach, denn sie trägt den Namen Kriminalamt als Amtsbezeichnung. Das Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet mit der Bafin zusammen, vor allem wenn es um die Zuständigkeiten des BKA wie bei Geldwäsche geht.

    Man sollte erwarten, dass das BKA vor drei Jahren von der Bafin informiert worden war, nachdem die Bonner von der Finanzakteurin Fahmi Quadir informiert wurden, dass Wirecard eine gigantische Geldwaschmaschine ist. Angeblich verfolgte die Bafin den Hinweis nicht weiter. Da Hufelds Paradebehörde aber detaillierte Informationen zur Verfügung standen, dürften ihre Mitarbeiter mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit auch das BKA informiert haben.

    Sofern das BKA die Informationen vorliegen hatte, stellt sich die Frage, warum auch diese Behörde nicht reagierte. Eine mögliche Antwort findet sich bei den von Wirecard ausgegebenen Kreditkarten. Das BKA ließ sich von Wirecard bestechen? Verdeckte Ermittler des BKA wurden mit kostenlosen Wirecard-Kreditkarten versorgt.

    Kaum vorzustellen, dass BKA-Mitarbeiter dieses anvertraute Dax-Unternehmen auf Geldwäsche hin überprüfen. Anstatt dem Verdacht auf Geldwäsche nachzugehen, vertraute die Machtelite lieber dem neuen Aushängeschild Deutschlands, und klagte stattdessen Journalisten und den Überbringer der schlechten Nachricht an.

    Der Sonderermittler des Bundestagsuntersuchungsausschusses, Wolfgang Wieland, beziffert die Quote aller für Strafrechtssachen eingesetzten Kreditkarten auf ein Drittel. Wirecard konnte so die Umsätze der verdeckten Ermittler einsehen. Die Tagesschau berichtet über einen erfreuten Wirecard-Vorstand: „dann sehe ich wenigstens, was über das Konto läuft“.

    Laut Medienberichten wählte das BKA die Wirecard-Bank aus, um mit Hilfe von Kreditkarten Verdächtige zu überwachen. 2014 habe sich ein BKA-Beamter mit folgendem Anliegen an Wirecard gewandt: "Wir würden einer Zielperson gerne eine originalverschweißte mywirecard-VISA als „Geschenk“ geben, damit diese die Karte fleißig nutzt. […]"

    Sobald die auf Überwachung gesetzte Karte eingesetzt werde, werde ein entsprechender Datensatz mit den Informationen unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörde gesandt. Da die Zielperson sehr misstrauisch sei, müsse ihr diese Karte originalverpackt übergeben werden.

    Das BKA kooperierte seit 2013 mit derjenigen Firma, die sie überwachen sollte. Dass das BKA auf FT-Anfrage keine Stellung nahm, obwohl es dazu gemäß Pressegesetz verpflichtet ist, spricht Bände. Auch dieses Amt ist nicht sauber.
    Kaum richtig drin, schon draußen - die DPR

    Nicht sauber zu sein, dagegen wehrt sich unterdessen die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Im englischen Sprachraum heißt die DPR auch FREP. Ihr Chef Edgar Ernst schimpft über die Politik. Die Bafin habe die Bilanzbetrugsvorwürfe „niedrig gehängt“, und dann seiner Stelle mit gerade mal 15 Mitarbeitern die große Aufgabe übertragen, komplexe forensische Prüfungen durchzuführen.

    Diese Beauftragung erfolgte erst 2019, obwohl da längst zahlreiche Hinweise vorgelegen hatten. Eine Rekapitulation. 1999 wird Wirecard gegründet, 2003 verdient die Firma Geld an Glücksspiel und Pornos. 2008 gibt es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. 2016 zirkuliert der Zatarra-Report. 2017 berichtet das Manager-Magazin über intransparente Bilanzierungen. 2019 legt die FT nach.

    BMF, Bafin und BMJV wissen sehr wohl von Wirecard und deren vermuteten Bilanzfälschungen, beide kennen die „Personalstärke“ der DPR. Laut Bericht der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) konnte die DPR einen von 15 Mitarbeitern für die Prüfung abstellen. Eine Prüfung, die 16 Monate dauern sollte.

    Ernst sagt der FAZ, mit der DPR habe niemand gesprochen. Es scheint, BMF und BMJV nehmen die DPR als Trumpfkarte, um Medien und Öffentlichkeit einen Happen hinzuschmeißen, damit sie Ruhe geben. Als das BMJV der DPR den Vertrag kündig, sieht sich Ernst als „Bauernopfer“.

    Die FT berichtet, Ernst habe gesagt, das Budget der DPR sei bewusst klein gehalten worden, um die finanzielle Belastung der deutschen Unternehmen, die die Stelle finanzieren, zu begrenzen.
    Wieviel Input in Bundesministerien?

    Überhaupt BMJV - und BMF . Die beiden Bundesministerien werden von Ministern der SPD geleitet. Nun sagt der Bundesrechnungshof, beide hätten das Verfahren der Bilanzkontrolle „zu keiner Zeit“ kritisch überprüft, obwohl „Zuständigkeitsprobleme“ bekannt gewesen seien.

    Das Ministerium von Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz habe außerdem nicht nachgehalten, ob die Bafin ihre Instrumente ausschöpfe. Die Bafin sei dem Anspruch des Gesetzgebers nicht gerecht geworden, als integrierte Allianzaufsicht zu wirken. Eine fast zurückhaltend diplomatische Insinuierung.

    Bundestagsmitglied Jens Zimmermann beklagt die geringe Kooperationsbereitschaft der Regierung. Jetzt gehts um die Geheimdienste. Der Bundesnachrichtendienst sitzt in Berlin, untersteht direkt Kanzlerin Merkel. Sonderermittler Wieland stellt fest, dass auch der BND Kreditkarten von Wirecard nutzte. Und noch mehr.

    Der ehemalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt für Geheimdienste, Klaus-Dieter Fritsche, CSU, ist Sicherheitsberater von Wirecard. Im Untersuchungsaussschuss bestätigt er, seine guten Kontakte in Regierungs- und Geheimdienstkreise seien doch nützlich gewesen. Er habe gemeinsam mit Mitgliedern des Wirecard-Vorstands Termine im Kanzleramt wahrnehmen können, worauf sich Kanzlerin Merkel „höchstpersönlich“ bei einer China-Reise für den Konzern einsetzte. Ja mei.

    Welche Mitglieder der Bundesregierung zu welchem Zeitpunkt involviert waren, wird noch vor der kommenden Bundestagswahl thematisiert, so lautete die Hoffnung…
    Viel Input durch Bundesnachrichtendienst

    Die Zeitung Junge Welt berichtete, Fritsche habe zu Protokoll gegeben, er selbst habe auf die Arbeit der Finanzaufsicht Bafin vertraut und keinen Grund gesehen, sich nicht für Wirecard zu engagieren. Oben verlässt sich auf unten, unten auf oben, und keiner schaut ins Eingemachte - außer vielleicht Whistleblower, aber die werden kaltgestellt.

    Der Vertraute von Korruptions-Kanzler Helmut Kohl (CDU), Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer, sagt im Ausschuss, im Zusammenhang von Wirecard verschweige er lieber Informationen, die die nationalen Sicherheitsinteressen Deutschlands gefährden können. Er sei als Teil eines Rings von Senior-Experten aus der Geheimdienstwelt gegenüber Wirecard Chef Jan Marsalek aktiv geworden.

    Schmidbauer berichtet, Wirecard habe ein besonderes Interesse am Bundestagsmitglied Fabio De Masi gehabt. In Finanzkreisen gilt de Masi als kritisch. Anlässlich der Luxemburg Leaks bezeichnete er die Verbindung von Regierungen der Europäischen Union (EU) und internationalen Konzernen wie Apple und Google als Komplizenschaft. Die Bundesländer würden versuchen, Unternehmen und Vermögende mit schlechter Personalausstattung bei Betriebsprüfungen anzulocken.

    Schmidbauer sagte der Zeitung Die Welt, er habe De Masi „nicht ausspioniert“. Schmidbauer gibt zum Besten, es gäbe noch weit mehr Zeugen als ihn, „dann müssten ganze Armeen mit ihren Generälen in Berlin vor dem Ausschuss erscheinen.“ Die Bundesregierung legt Unterlagen vor, schwärzt aber wesentliche Passagen.

    Laut Medienberichten sagt ein ex-Vorstandsmitglied von Wirecard aus, Wirecard-Chef Marsalek habe von ihr „einen kompletten Jahresdatensatz der Wirecard-Geschäftspartner zur Weiterleitung an den BND angefordert und erhalten“. Wirecard, BND, Kanzlerin Merkel, eine Wirecard-Connection.
    Nebulöses Interesse des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)

    Etwas unklarer dagegen das Interesse des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Warum hat der BVT im Zusammenhang mit Wirecard ein Interesse an De Masi? Laut Bericht der Berliner Zeitung legen vorliegende Akten nahe, dass das BVT hinter De Masi her war.

    Die Zeitung schreibt: „Im Original-Chat der Ex-BVT Agenten Martin W. und Egisto O. hatte W. von O. gefordert, den Lebenslauf De Masis an Schmidbauer zu schicken, worauf dieser entgegnet haben soll: ’Ist schon passiert.’ De Masi sagte dieser Zeitung: ’Ich habe bis heute keine Antwort auf meine Aufforderung an den österreichischen Innenminister bekommen, die Vorgänge umfassend aufzuklären.’ Die Bundesregierung behauptet, über keine Erkenntnisse zu den Vorgängen um Martin W. und Egisto O. zu verfügen und sich auch nicht um solche Erkenntnisse zu bemühen! Das ist an sich schon ein Skandal!“

    Die Rolle Österreichs ist ein eigenes Kapitel, die den Umfang dieses Artikels übersteigt. Geheimdienste unterstützen die Spiele der Machteliten und sie erschweren jegliche Aufklärungsversuche enorm. Die Korruptionsjägerin Eva Joly schreibt in ihrem Buch „Im Auge des Zyklons“, ihre Ermittlungen als zuständige Untersuchungsrichterin im Fall Elf-Aquitaine-Leuna hätten ergeben, dass Elf mehr als 50 Millionen Deutsche Mark an einen Mittelsmann zahlte, der Kontakte zum BND pflegte.

    Doch obwohl die deutsche Justiz alle Trümpfe in der Hand hatte, sei nichts geschehen. Bis heute nicht. In der laut Guardian größten Betrugsuntersuchung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ging es um 200 Millionen Britische Pfund für politische Gefälligkeiten, Mätressen, Schmuck, Kunstwerke, Villen und Wohnungen. Auch die deutsche Justiz hat ihren Anteil an der staatsversagenden Wirecard-Connection.
    Nachrichtendienstliche Außenstelle Wirecard?

    Die Verstrickungen von Wirecard, den Geheimdiensten und explizit dem Bundeskanzleramt lässt die Hypothese zu, dass Wirecard zu einer Art nachrichtendienstlicher Außenstelle aufgebaut werden sollte. Parallel wird man von Seattle bis Berlin nicht müde, den chinesischen Tech-Konzern Huawei zu verteufeln, weil dieser in der chinesischen nachrichtendienstlichen Infrastruktur eine wesentliche Rolle spielt.

    Dass umgekehrt Wirecard möglicherweise ein Baustein in der nachrichtendienstlichen Infrastruktur Deutschlands war, hängt man natürlich tief. Erst als zu viele Skandale ans Licht kamen, wurde dieser Teil der Infrastruktur wieder fallen gelassen.
    Die Rolle der Ermittler 1: Die Staatsanwaltschaften

    Bis die für Wirecard zuständige Staatsanwaltschaft München ihre diversen Anklagen fallen ließ, dauerte es mitunter vier Jahre. 18 Monate lang verfolgte der Staat Deutschland den britischen Shortseller Fraser Perring. Erst Mitte 2020 wurde die Anklage fallen gelassen.

    Der Kollege von Perring, der Shortseller Matthew Earl, präsentierte der Staatsanwaltschaft München 2019 konkrete Hinweise auf Geldwäschegeschäfte. Im Untersuchungsausschuss sagt Earl: „Es war ein seltsames Treffen, die Atmosphäre frostig“. Das Manager-Magazin berichtet, man habe ihn behandelt „wie den Staatsfeind Nummer eins“.

    Irgendwann sei der Staatsanwältin ein Licht aufgegangen. Sie habe gesagt: „Du lieber Himmel, das ist ein Dax-30-Unternehmen“. Und Earl: „Ganz genau, und das ist Ihr Problem“, so die Zeitung. Natürlich hätte dieselbe Staatsanwaltschaft längst gegen Wirecard, gegen die Bafin oder das BKA ermitteln können. Aber nein, man kennt sich, man schätzt sich, man hackt sich gegenseitig kein Auge aus? Es könnte den eigenen Job kosten, zumal die Staatsanwaltschaften dem Justizministerium unterstehen.

    Stattdessen erwirkt die Behörde lieber einen Strafantrag wegen Marktmanipulation gegen Hinweisgeber. Die FT schildert, wie nach der Veröffentlichung des Zatarra-Reports auch ihr Reporter Dan McCrum überwacht wurde, eben weil er über den Report berichtete.

    Die Süddeutsche Zeitung berichtet über die Aussage einer Wirecard-Sprecherin, der Konzern habe „niemals die Überwachung einzelner Personen durch Detektive beauftragt - auch nicht von Herrn McCrum noch anderer Journalisten“. In Konzernkreisen hieß es, eine von Wirecard beauftragte Forensik-Beratung hätte damals einmalig von sich aus und ohne Absprache Personen beschattet, so die Zeitung.

    Wer es am Ende war, ist ja egal. Festzuhalten gilt, wie die Behörden (hier im Zusammenspiel mit Wirecard) die Presse einschüchtern. Zwar ließ die Staatsanwaltschaft auch die Geschäftsräume von Wirecard durchsuchen, aber erst im Juni 2020, als schon 12 Jahre lang Nachrichten über Fehlverhalten im Umlauf waren.

    Ob nun, da die Würfel gefallen sind, die Staatsanwaltschaften anfangen, ihre Arbeit zu machen, darf bezweifelt werden. Den Beteiligten bei der Staatsanwaltschaft droht selber eine Anklage wegen Strafvereitelung im Amt. Selbiges gilt womöglich für die Staatsanwaltschaft Frankfurt, die erst jetzt, im Jahre 2021, ein Ermittlungsverfahren gegen die Bafin eröffnete. Jeder ermittelt gegen jeden, Deutschland kaputt.
    Die Rolle der Ermittler 2: Wirtschaftsabschlussprüferaufsichtsstelle APAS

    Die Aufgabe von Staatsanwaltschaften ist die Prüfung für den Staat, ob der Staat wegen Rechtsbruch Anklage erheben will. Eine andere Bundesbehörde prüft, ob Wirtschaftsprüfer wie die der TOP 4 aus EY, PricewaterhouseCoopers (PwC), Deloitte oder KPMG ihre Aufgaben rechtskonform ausführen. Die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS ist die Wirtschaftsprüferaufsicht in Deutschland, und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier untergeordnet. Laut dpa wurde APAS-Chef Ralf Bose fristlos gekündigt.

    Denn Bose wird vorgeworfen, dass er illegal mit Wirecard-Aktien just in dem Moment handelte, als seine Behörde die Wirtschaftsprüfergesellschaft EY in Hinblick auf Wirecard überprüften. Da EY vorgeworfen wird, ebenfalls nicht rechtskonform gearbeitet zu haben, ermittelt die APAS gegen EY. Staatsanwaltschaften ermittelten gegen die Bafin, APAS gegen EY, der Untersuchungsausschuss gegen Geheimdienste und das Bundeskanzleramt: Das Wirecard-Drama legt in der Tat systemisch-staatliche Strukturen offen, in dem der Staat selber zum Angeklagten wird.

    Auch die Weigerung der APAS, dem Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé die benötigten Dokumente zur Verfügung zu stellen, gehört da hinein. APAS und Bundeswirtschaftsminister Altmeier verweigern die Herausgabe mit der Begründung, die Öffentlichkeit würde sonst erfahren, wie die APAS arbeitet. Mafia-Prinzipien?

    In diesem Zusammenhang muss auch die Frage gestellt werden, warum die Staatsanwaltschaften nicht bereits 2008 oder 2016 gegen Wirecard ermittelten? Oder warum sie nicht gegen den neuen APAS-Chef und Bundeswirtschaftsminister Altmeier ermitteln. Streng genommen müsste auch gegen die Staatsanwaltschaft München wegen Verdacht auf Amtsvereitelung ermittelt werden.
    Die Rolle der Ermittler 3: Financial Intelligence Unit (FIU)

    Der nächste Kandidat ist die Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln. Ermittelt das BKA noch bis 2017 in Sachen Geldwäsche, fällt diese Aufgabe nun der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen oder auch Financial Intelligence Unit (FIU) zu. Das Bundesinnenministerium unter Karl Ernst Thomas de Maizière (CDU) gibt die Aufgabe an Wolfgang Schäubles (CDU) Bundesfinanzministerium. ZDF zoom berichtet, dass es hier keine kriminelle Expertise gibt.

    Ein Hauptgrund, warum Deutschland selbst für Italiens Mafia zum Geldwäscheparadies geworden ist. Geschätzt werden in Deutschland jährlich 100 Milliarden Euro dreckiges Geld gewaschen.

    Markus Herbrand von der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundestagsfinanzausschuss stellt mit seiner Fraktion diverse Anfragen zur Arbeit der FIU, und merkt: „Da stimmt etwas nicht.“ Merkels Bundesregierung blockierte - mal wieder. Mit Täuschungen schafft man 16 Jahre Bundeskanzlerschaft am Stück.

    Die Kanzlerin steht nicht nur für die Förderung von Prostitution auf deutschem Boden, sondern insbesondere auch für weltweit geschätzte Geldwäsche. So wendet sich die FDP an die Strafverfolgungsbehörden der Länder, weil die Bundesregierung blockiert. Die Strafverfolgungsbehörden geben zur Antwort, dass sie von der FIU zu spät und zu schlecht informiert werden, um die Geldwäsche zu unterbinden.

    Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat es so arrangiert, dass die Mitarbeiter der FIU nicht den erforderlichen Zugriff auf Daten erhalten, um Geldwäsche überhaupt nachgehen zu können. Der ZDF-zoom-Report erzeugt den Eindruck, dass die FIU eine Schattenbehörde ist. Im Juli 2020 durchsucht die Staatsanwaltschaft Osnabrück die FIU. Der Vorwurf auch hier: Strafvereitelung im Amt.

    Staatsanwaltschaften ermitteln gegen die Bafin, APAS gegen EY, der Untersuchungsausschuss gegen Geheimdienste, Bundesminister und Bundeskanzlerin und dann die Staatsanwaltschaft gegen die FIU. Und Staatsanwaltschaften ermitteln gegen Journalisten, die den Fall erst ins Rollen bringen.
    Die Rolle der Wirtschaftsprüfergesellschaften EY und KPMG

    Bei so viel Sand im Getriebe lastet die größte Kritik, neben Wirecard natürlich, an der Bundesregierung. Diese gab sich unberührbar und kündigte an, die Regeln für Wirtschaftsprüfer zu verschärfen. Unter den TOP 4 hatte vor allem EY schlecht ausgesehen.

    Die APAS leitet 2019 ein Vorermittlungsverfahren gegen EY ein, welches 2020 in ein förmliches Berufsaufsichtsverfahren überführt wird, nachdem ein anderer TOP 4 Wirtschaftsprüfer, KPMG seinen Prüfbericht vorlegt. KPMG bestätigt, dass ein EY Mitarbeiter bereits 2016 innerbetrieblich vor einem Betrug warnte. Finance berichtet, der Hinweis sei versandet.

    Zehn Jahre bestätigt EY mehr oder weniger die Bilanzen von Wirecard. 2007 fertigte (bitte das e streichen) EY ein Sondergutachten an, und selbst 2017, also nach dem Zatarra-Report attestiert EY Wirecard ein „clean audit“. Erst 2020, als Staatsanwaltschaften längst ermittelten, verweigert EY das Testat für die Bilanz des Vorjahres. Im Februar 2021 wird EY-Chef Hubert Barth ausgetauscht.

    Der Whistleblower, der sich an die Financial Times wandte, um das Betrugssystem Wirecard offenzulegen, Pav Gill aus Singapur, sagt der FT, dass EY der externe Ermöglicher für Wirecard war, zusammen mit den fuchtelnden Behörden in Deutschland ("flailing regulatory agencies"). In Deutschland zumindest ist der Ruf von EY stark beschädigt.
    Ein Hoch auf Dan McCrum und Pav Gill

    Pav Gill hatte anfangs nicht gedacht, dass der gesamte Wirecard-Konzern „verseucht“ ist ("deseased"), sondern nur der asiatische Firmenteil, für den er als Anwalt eingestellt wurde.

    Ebenso verhält es sich mit dem Staat Deutschland? Hier geht es nicht um Einzelfälle, einzelne Ämter oder gar Mitarbeiter. Der Staat zeigt sich bis in höchste Ämter korrupt, vertuschend, ein wahrhafter failed state - mit weißem Kragen und Jackett. Am Ende ist es fast egal, ob innerhalb der Finanzsäule APAS, Bafin oder BMF die Hauptschuld tragen. Zu viele Beteiligte spielen regelmäßig schmutzige Spiele. Ebenso innerhalb der Innenpolitiksäule mit BMI, BKA oder auf Länderebene. Selbst die Justizvorinstanzen „Staatsanwaltschaften“ müssen sich viel Kritik gefallen lassen.

    Fassungslos über die Reaktionen der deutschen Behörden, war für den erfahrenen Journalisten McCrum das Überraschendste, „wie gewillt Leute in Deutschland waren, die Fragen zu ignorieren, obwohl sie mit Beweisen konfrontiert wurden“ ("how willing people were to ignore these questions").

    Die Behörden hatten eindeutige Fingerabdrücke vorliegen, und sie behandelten sie mit Misstrauen. In der Beschwerde gegen mich sagten sie, dass es so aussah, als ob das Teil der Verschwörung zur Manipulation des Aktienkurses war. Kein guter Versuch, die Aufsichtsbehörden darauf aufmerksam zu machen, was vor sich ging.
    Dan McCrum

    Das Fraud Magazin zitiert McCrum, er sei erleichtert, dass die Wirecard-Geschichte ihr offensichtliches Ende gefunden habe, aber er sei immer noch frustriert, dass es sechs Jahre investigativer Berichterstattung brauchte, um an diesen Punkt zu gelangen.

    Bei jeder Geschichte dachten wir [bei der Financial Times], das ist es. Diese Geschichte wird die Leute endlich zur Einsicht bringen. Aber das tat sie nicht, weil die deutschen Behörden uns effektiv dämonisiert hatten.
    Dan McCrum

    Für die Financial Times mag die Geschichte zu Ende sein, für Deutschland ist sie noch immer ein Prüfstein für eine resiliente Demokratie. Ein Hoch auf Dan McCrum und Pav Gill, denn sie haben viel für Deutschland getan.

    #Allemagne #capitalisme #criminalité #banques #politique #Wirecard