• Flughafen-Chaos: In Tegel herrscht ganz normaler Wahnsinn - WELT
    https://www.welt.de/regionales/berlin/article106415219/In-Tegel-herrscht-ganz-normaler-Wahnsinn.html

    Dieser Artikel aus dem Jahr 2012 zeigt, wozu der Flughafen Tegel in der Lage war. Wie die neuen #BER Terminals das hinbekommen, werden wir sehen. Das absurde Taxitheater läßt befürchten, dass die Gäste lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen werden.

    04.06.2012 von Isabell Jürgens - Das befürchtete Chaos am Flughafen Tegel ist zunächst ausgeblieben. Auf dem Plan standen rund 530 Flüge – 100 mehr als sonst. Jetzt melden auch Reisebüros Schadensersatzansprüche an.

    Energisch winkend sprintet Erkan Özmen los, quer über die sechseckige Platzanlage im Inneren des Flughafenterminals in Tegel. „Das Taxi darf da nicht einfach halten und Gäste aufnehmen, wozu haben wir denn extra die Taxihaltestellen“, schimpft der Mann, dessen Warnweste ihn als Mitarbeiter des „Taxi-Service-Tegel“ ausweist. Doch wild haltende Taxifahrer sind an diesem Montagmorgen fast schon das einzige Ärgernis, um das sich Özmen und seine sieben Kollegen kümmern müssen.

    Dass die Taxen an der Einfahrt zum Flughafen an den Schranken vorbeifahren, um so die 50-Cent-Vorfahrtgebühr zu sparen, quittiert Özmen mit einem Achselzucken. Die Firma, die diese Aufgabe übernommen hatte, wurde gekündigt, die neue wird erst ab Juli einspringen. „Hier herrscht der ganz normale Wahnsinn“, kommentiert Özmen die unübersichtliche Verkehrssituation im Inneren des Terminals A, „nicht schlimmer als an anderen Montagen auch.“

    Auch die Flughafen-Betreiber teilen die Einschätzung der Taxi-Aufsicht. Der alte Landeplatz hat nach Auskunft des Flughafen-Sprechers den stärkeren Verkehr zum Wochenbeginn gut verkraftet. „Es ist eng, aber es läuft“, so Leif Erichsen. Auf dem Plan standen rund 530 Flüge. Das waren etwa 100 mehr als am Sonntag, als Tegel zum ersten Mal die Last zusätzlicher Starts und Landungen tragen musste, die für den Hauptstadtflughafen geplant waren. Verglichen mit dem Montag vor zwei Wochen waren es exakt 20 Flüge mehr, die der alte Airport zu verkraften hatte.

    Viele Passagiere kommen extra früh nach Tegel

    „Dennoch mussten weder am Sonntag noch am Montag Flugzeuge eine Sondergenehmigung beantragen, um nach 23 Uhr zu starten oder zu landen“, sagte der Flughafen-Sprecher. Lediglich eine Maschine von Air Berlin durfte am Sonntag um 23.45 Uhr landen – allerdings nach den Verspätungsregelungen für sogenannte Home-Carrier, die auch schon vor dem 3. Juni in Tegel galten. Dass Montag am Flughafen alles relativ reibungslos lief, hatten die Flughafen-Betreiber auch der Umsicht ihrer Fluggäste zu verdanken. Viele kamen extra früh zum Airport.

    So auch Elisabeth Binder aus Zehlendorf, die ihre Cousine zum Flieger nach New York begleitete. Obwohl dieser erst um 9.35 Uhr abheben sollte, stieg die Zehlendorferin bereits um kurz nach 7 Uhr aus dem Taxi. „Wir sind auf Anraten der Airline extra früh gekommen, aber das war eigentlich überflüssig, wir hatten enorm viel Zeit zum Kaffeetrinken“, so die 68-Jährige.

    Während es für die vielen Geschäftsreisenden Montagfrüh kaum Grund zum Klagen gab, bringt die Verschiebung des Eröffnungstermins des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg International (BER) nicht nur den Fluggesellschaften, sondern auch den Reisebüros und Reiseveranstaltern vor allem enorme Mehrarbeit und zusätzliche Kosten. Der Deutsche Reise Verband (DRV) schätzt deren „unmittelbaren finanziellen Schaden auf mehrere Millionen Euro“, so Otto Schweisgut, DRV-Vizepräsident und Vorsitzender des DRV-Ausschusses Flug.

    Viel Verwaltungsarbeit durch Umbuchungen

    Millionen Flugbuchungen müssten erneut in den Reservierungssystemen – und zwar manuell – bearbeitet werden. Dadurch fielen zusätzliche Arbeitsstunden an. „Das verursacht Zusatzkosten, die bei den Unternehmen hängenbleiben“, so der DRV-Vizepräsident. „Wir werden die Zusatzkosten ermitteln und behalten uns vor, unsere Schadenersatzforderungen zu gegebener Zeit gegenüber der Flughafenbetreibergesellschaft geltend zu machen“, kündigt Schweisgut an: „Es kann nicht sein, dass wir auf den finanziellen Schäden sitzenbleiben.“

    Je nach Fluggesellschaft und Buchungssystem müssen viele Flugtickets von Reisebüro und Reiseveranstalter manuell aktualisiert werden. Eine Vielzahl von Flugbuchungen und Flugtickets für geplante Flugreisen ab 3. Juni von BER werden zwar von den Fluggesellschaften automatisch aktualisiert. Sie müssen aber von den Reisebüros gegenüber der Fluggesellschaft rückbestätigt werden.

    Gleich zwei Volksbegehren für Nachtflugverbot

    Unterdessen ist eine Woche nach dem Start der Berliner Initiative auch in Brandenburg mit der Unterschriftensammlung für ein Nachtflugverbot am künftigen Hauptstadtflughafen in Schönefeld begonnen worden.

    Nach Angaben des Vereins „Mehr Demokratie“ gibt es damit erstmals zwei Volksbegehren in verschiedenen Bundesländern zum gleichen Thema. Seit Montag werden auch in Brandenburg Unterschriften für ein generelles Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr gesammelt. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen bis zum 3. Dezember 80.000 gültige Unterschriften gesammelt werden.

    Ziel der Volksbegehren in beiden Ländern ist ein Volksentscheid über ein Nachtflugverbot. Für Brandenburg wäre es der erste #Volksentscheid.

    #Berlin #Taxi #Flughafen #TXL

  • Buchautor über den Taxifahrer-Protest - Am Rand des Existenzminimums (Archiv)
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/buchautor-ueber-den-taxifahrer-protest-am-rand-des.1008.de.htm
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/2/2bac71eb117fd98423a5058827024771v1_max_635x357_b3535db83dc50e2

    Beitrag vom 21.02.2019 - Jochen Rausch im Gespräch mit Dieter Kassel

    Der Bundesverkehrsminister will neuen Fahrdiensten wie Uber den Marktzugang erleichtern. Taxifahrer fürchten um ihr mageres Einkommen. Jochen Rausch hat ein Buch über sie geschrieben und warnt, die Lebensgrundlage vieler Fahrer sei in Gefahr.

    Die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer angestrebte Reform des Personenbeförderungsgesetzes soll es privaten Fahrdienst-Anbietern wie Uber künftig leichter machen. Unter anderem soll die Rückkehrpflicht für Mietwagenfirmen mit Fahrern abgeschafft werden. Bislang müssen die Fahrer nach jeder Tour an den Hauptstandort zurückkehren und dürfen anders als Taxis nicht auf der Straße auf Kunden warten. Das will Scheuer ihnen in Zukunft erlauben.

    Taxiunternehmen betrachten dies als existenzbedrohend. Die Branche wehrt sich gegen die Konkurrenz und protestiert, ruft zu Demonstrationen auf.

    Jochen Rausch, Autor und Journalist beim WDR, hat sich länger mit dem Job hinter dem Steuer beschäftigt. Für sein Buch „Im Taxi. Eine Deutschlandreise“ (2017) führte Rausch über 200 Gespräche mit Fahrern.

    Taxifahrer wird, wer keine andere Möglichkeit hat
    Tatsächlich, so Rausch, lebten viele Fahrer schon jetzt oft am Existenzminimum – was man unter anderem auch am Typ und Zustand ihrer Taxis ablesen könne. Und kaum einer sei Taxichauffeur aus Leidenschaft:

    „Es sind schon oft Leute, die am Ende einer beruflichen Karriere stehen, die vielleicht nicht gerade sehr erfolgreich verlaufen ist. Ich habe noch nie einen Taxifahrer getroffen, der gesagt hat: ‚Ich wollte immer schon Taxifahrer werden!‘ Das ist immer etwas, das man macht, wenn nichts anderes mehr bleibt.“

    Es gebe viele Taxikunden, die die Fahrer überhaupt nicht „als Menschen beachteten“, sagte Rausch. Deshalb müsse man sich fragen: „Will man diesen Menschen auch noch ihre Existenz wegnehmen – wo landen wir dann?“

    Er könne jedenfalls niemandem empfehlen, Taxifahrer zu werden, betonte der Journalist. Tatsächlich hätten diese wenig Möglichkeiten, ihre Dienstleistung zu verbessern, um sich von Konkurrenz wie Uber abzuheben.

    Jochen Rausch hat ein Buch über seine Taxi-Erlebnisse verfasst - WELT
    https://www.welt.de/regionales/nrw/article160561842/Der-Mann-der-im-Taxi-immer-freiwillig-vorne-sitzt.html

    1Live-Chef Jochen Rausch fährt gerne Taxi. Aus seinen Erlebnissen hat er ein Buch gemacht – 120 Geschichten mitten aus dem Leben. Und so etwas wie ein Sittengemälde unserer Gesellschaft.

    Vor fünf Jahren hat Jochen Rausch das mit dem Autofahren aufgegeben. Nur ab und an steuert er noch die Familienkutsche, wenn die Kinder irgendwo hinwollen, wenn sein Sohn Tim ins Stadion muss, um dort als Jungreporter für eine Wuppertaler Stadtzeitung ins Internet zu tickern. Meist aber freut sich Rausch, dass er nicht mehr ans Steuer muss, dass er Bahnfahren kann. Oder Taxi. Dass er vor allem Leute treffen darf, dass er mit denen reden kann. „Ich war vorher immer isoliert in meinem Auto“, sagt der 60-Jährige, der beim WDR die sogenannten Breitenprogramme im Radio verantwortet, also zuständig ist für 1Live, WDR2 und WDR4.

    Jeden Morgen pendelt er deshalb von Wuppertal nach Köln, und abends fährt er zurück. Manchmal wird es sehr spät, bis er wieder am Wuppertaler Bahnhof landet. Dann nimmt Rausch ein Taxi, dann beginnt er gerne ein Gespräch mit den Fahrern.

    Rausch steigt immer vorne ein, und dann sagt er ziemlich schnell auch was, um das Gespräch in Gang zu bringen. „Schöner Wagen“, lobt er, wenn er in einen neuen BMW steigt. Oder er lässt einfach ein lapidares „Und?“ fallen. Manchmal reicht das schon als Gesprächseröffnung. Der legendäre Gerd Ruge hat unzählige Weihnachtsreportagen aus fremden Ländern so gefüllt. Einfach auf Menschen zugehen und sie mit einem unschuldigen „Und?“ aufschließen.

    Viele Hundert Mal ist Rausch Taxi gefahren, hat zugehört und sich oft nach dem Aussteigen Notizen gemacht. Daheim hat er das Notierte in sein Laptop übertragen. So sind 120 Geschichten entstanden, die regelmäßig bei WDR 5 laufen und Mitte Januar auch als Buch vorliegen. „Im Taxi“ heißt das lapidar und trägt den Untertitel „Eine Deutschlandreise“, weil der Autor viel unterwegs ist und dann gerne in die Welt der Taxifahrer eintaucht.

    Rausch hat die Geschichten streng formatiert. Jede Story passt auf eine Seite. Auf einer Seite muss also alles erzählt sein. Das passt natürlich zum Schicksal der Taxifahrer, die oft über viel zu kurze Fahrten klagen und über viel zu lange Wartezeiten danach.

    Das Soziogramm einer Schicht

    Nimmt man all die Geschichten zusammen, dann entsteht so etwas wie ein kleines Sittengemälde der rollenden Republik. „Das Buch ist ein Soziogramm aus einer ganz bestimmten Schicht“, sagt Rausch. Vorbei seien die Zeiten, da in den Taxis vornehmlich Studenten saßen. Heute sind es vor allem ältere Männer, die nicht viel verdienen, die sich aber nach Rauschs Eindruck mehrheitlich redlich mühen, anständig über die Runden zu kommen. Viele haben einen Migrationshintergrund, sind geflohen vor Kriegen und vor politischer Unterdrückung.

    Rausch hat Ärzte und Literaturwissenschaftler aus dem Iran kennengelernt, Bauingenieure aus Krakau und Wachtmeister aus russischen Gefängnissen. Alle haben ihm ihre sehr eigene Sicht auf die Dinge geschildert.

    Einmal in Dortmund hat er einen Pakistani getroffen, der lauthals auf all die Flüchtlinge geschimpft hat. Die wolle er nicht hier haben. Als Rausch ihn sanft darauf hinwies, dass er doch wohl auch mal ein Flüchtling war, sagte der Fahrer nur, dass das etwas anderes sei. Er sei hier, weil er hier sein wolle, weil hier alles so gut funktioniere. „Mir gefällt es in Deutschland besser als vielen Deutschen“, sagte er. Rausch hat das aufgeschrieben.

    Er sieht sein neues Werk in der Tradition von Walter Kempowski, der sich mit der Wiedergabe von Feldpostbriefen auch zwischen Literatur und Journalismus bewegt hat. Er sieht gleichfalls Parallelen zu einem sehr berühmten Jim-Jarmusch-Episodenfilm, der von Taxifahrern in aller Welt erzählt. „Das ist ,Night On Earth’ in 120 Episoden“, sagt Rausch, der sein Buch auch gerne als „Shortstories auf engstem Raum“ anpreist.

    Dass sein Buch so lapidar „Im Taxi“ heißt, wurmt Rausch im Nachhinein, aber als der Titel entschieden werden musste, gab es keine bessere Wahl. Inzwischen nennt er sein Werk gerne „Beobachtungen im Nahverkehr“, was natürlich eine wunderbare Doppeldeutigkeit beinhaltet. Bei der Lit. Cologne im März wird der Schauspieler Johann von Bülow unter diesem Titel aus dem Buch lesen. Die Veranstaltung ist jetzt schon ausverkauft.

    „Das Taxi ist ein sehr intimer Raum“, skizziert der Autor seine Rangehensweise und verweist auf die Kunst, selbst nicht allzu viel zu reden. „Ich gebe den Leuten meistens recht. Wenn man widerspricht, erfährt man nichts“, sagt er. Im Idealfall macht sich der Protokollant unsichtbar und erfreut sich dessen, was da auf ihn einströmt. „Taxifahren macht arm und übergewichtig. Sehen Sie ja“, sagt in Geschichte 100 ein dicker Hamburger, der noch bei seiner Mutter wohnt und am liebsten Sport im Fernsehen guckt. Möglicherweise hat Rausch ihm den prominenten Platz auf der Position 100 eingeräumt, weil der Dicke so schwärmt vom Radio, von der Faszination, die es erzeugt, wenn im Radio jemand so vom Turmspringen erzählt, dass man meint, selbst mit auf dem Zehner zu stehen.

    Manchmal verschwimmen die Rollen

    Das gefällt einem wie Rausch natürlich, weil Radio für ihn ja nicht nur Job, sondern auch Leidenschaft ist. Kennt man den Autor schon eine Weile, dann verschwimmen an manchen Stellen die Rollen ein wenig. Dann ist Rausch plötzlich nicht mehr nur Zuhörer, dann lässt er sich von einem Taxifahrer notfalls auch seine eigene Geschichte erzählen. So wie bei jenem Fahrer, der den Sänger Peter Gabriel verehrt, der sogar mal zu dessen Studio ins britische Bath gepilgert ist, um über die Hecken hinweg zuzuschauen, wie Gabriel aus seinem Auto steigt. Auch Rausch ist ein riesiger Peter-Gabriel-Fan, selbst wenn man ihm das nicht gleich ansieht und wenn ihm zum Pilgern schlichtweg die Zeit fehlt.

    Zu spüren ist in allen Geschichten die Sympathie, die Rausch für jene aufbringt, denen er sich regelmäßig als fahrender Gast anvertraut. „Ich will niemanden bloßstellen“, sagt er. Manche Stellen hat er verfremdet, manchmal auch den Ort vertauscht, auf dass nur niemand sein freies Sprechen bereue.

    Und manchmal wurde es dann auch sehr nah. „Ich wollte nie Taxifahrer sein und davon träumen, einmal Rockstar zu werden“, sagt Rausch, der als Musiker früher schon mal mit dem legendären Conny Plank und Udo Lindenberg zusammenarbeiten durfte, dem die große Schallplattenkarriere aber verwehrt blieb.

    Als solcher trat er nach einer Besprechung beim NDR in Hamburg aus dem Sender, und der Taxifahrer hielt ihn prompt für einen wichtigen Entscheider aus der Musikbranche. Er spielte ihm prompt Demoaufnahmen von seiner Musik vor, in der Hoffnung, Rausch könne irgendetwas für seine Karriere tun. „Da wurde mir mein Albtraum live aufgeführt“, erinnert sich der Fahrgast.

    Geschichten über einfache Leute

    Rausch mag seine Protagonisten, das spürt man durchweg. Er mag sie möglicherweise auch, weil er sich in ihnen wiedererkennt. „Ich habe immer Geschichten über einfache Leute gemacht“, sagt er. Vielleicht rührt das daher, dass er selbst aus eher bescheidenen Verhältnissen stammt. „Meine Eltern waren einfache, fleißige Leute“, sagt der Wuppertaler. Der Vater war Dekorateur, die Mutter hat Gardinen gewaschen.

    Rausch hat sich da rausgearbeitet, könnte man sagen. Aber sein Herz ist geblieben bei den einfachen Leuten. Daran konnte auch der Erfolg seiner beiden Bücher „Trieb“ (2013) und „Krieg“ (2015) wenig ändern. Bei beiden finden sich fünfstellige Verkaufszahlen in der Bilanz, was nicht unbedingt nach Bestseller riecht, sich aber durchaus sehen lassen kann. „Krieg“ wird sogar bald verfilmt, was die Aufmerksamkeit für das Buch sicherlich noch einmal anfeuern wird.

    Rausch kommt zugute, dass er einen guten Job beim WDR hat, dass er mit dem Schreiben nicht sein Geld verdienen muss. „Ich schreibe, was ich will und nicht, was ich muss, damit die Miete reinkommt.“

    Jochen Rausch / Im Taxi – lesefieber.ch
    https://www.lesefieber.ch/buchbesprechungen/jochen-rausch-im-taxi

    28. Februar 2017 von Manuela Hofstätter
    Als Kind war für den Autor Jochen Rausch das Taxifahren im Mercedes ein Luxus, für welchen er einen langen Fussmarsch in Kauf nahm. Die Taxis haben sich verändert, längst sind nicht nur Luxusmarken unterwegs und wie steht es wohl mit den Taxichauffeuren in Deutschland? Auf etlichen Fahrten in verschiedensten Orten zeugen diese Geschichten von der Befindlichkeit der Menschen in Deutschland. Manch ein Chauffeur erzählt aus seiner Heimat und warum er sie verlassen hat, nicht wenige unter ihnen loben Deutschland. Andere müssen sich als Deutsche verteidigen, weil sie nicht deutsch genug aussehen, jedoch besser Deutsch sprechen, als der Fahrgast, der sie offensichtlich nicht hier haben möchte. So flucht ein Fahrgast auf den Humanisten, den er eigentlich Terrorist nennen wollte, wenn denn seine Hirnzellen dazu ausgereicht hätten, auch das richtige Wort zu verwenden. Deutschland? Sehr sehr viel Unterschied. Hier streichelt man Hund und tritt alte Menschen. In Afrika streichelt man alte Menschen und tritt Hund. Ich hab oft Fahrgast mit Hund. Reden mit Hund wie mit Mensch. Aber Hund ist kein Mensch. Ja, so ist das wohl, und auch die Tatsache, dass hier vierzehnjährige Mädchen volltrunken nachts ein Taxi bestellen, ist für manche Fremdländer ebenso unglaublich wie die Tatsache, dass sich die Paare heute im Internet finden. Die Kehrseite der Medaille? Im Internet findest du rasch heraus, in welchem Land es dir als Flüchtling gefallen könnte und du bist stolz darauf, dass deine Kinder keinen Alkohol trinken und studieren in der neuen Heimat. Deutsche sind oft einsam, trauern der DDR nach und versinken in Selbstmitleid, viele Taxifahrer leiden unter Rückenschmerzen und träumen von einem besseren Leben.

    Fazit: Fahrer und Fahrgast haben eines gemeinsam: Beide fahren Taxi, weil sie müssen!

    Jochen Rausch hat aus seinen Eindrücken und Begegnungen bei Taxifahrten quer durch Deutschland ein faszinierendes Porträt des menschlichen Daseins gezeichnet. Wem die Familie wirklich viel bedeutet, erfahren wir ebenso wie welches die stillsten Kunden sind. Religion, Herkunft, Gesinnung, Charakter und Schicksal, das Leben würfelt so, wie es ihm gefällt und wir lesen und staunen bei der Lektüre dieses Buches; und ob in Deutschland oder in der Schweiz, das Bild ist sicherlich ein ganz ähnliches. Ein Buch, das verblüfft und mir gut gefallen hat.

    ver.di: Gefangen in Eden
    https://publik.verdi.de/2017/ausgabe-01/spezial/kulturbeutel/seiten-22-23/A5

    Jochen Rausch: Im Taxi

    Jeder hat seine eigene Story. Jochen Rausch hat sie gesammelt, als Fahrgast in Taxis, kreuz und quer durchs ganze Land. Er hat zugehört, verdichtet, auf den Punkt gebracht. 120 Geschichtchen, jedes nur eine Seite lang, viele davon kleine Kunstwerke. Die Fahrer erzählen von ihrem Leben, ihren Träumen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Sie politisieren, polemisieren, philo­sophieren und parlieren über das Menschlich-Allzumenschliche, das ihnen tagein, tagaus so begegnet. Das ist oftmals witzig, skurril oder einfach nur daneben. So wie der Frust, von zwei jungen Mädchen ausgeraubt zu werden, junge Jungs wären weniger schmählich gewesen. Oder der Kasache, der unbedingt in den Himmel kommen will - in den über Deutschland. Auch viel Mitgefühl ist zu hören, für Menschen, denen es schlecht geht. Jochen Rausch hat einen guten Riecher gehabt, einfach mal Leute reden zu lassen, die das pralle Leben bestens kennen. Mit diesen Storys hat er eine kleine Welt des Banalen und Besonderen erschaffen, das unseren Alltag so oft ausmacht. Das lässt sich gut auch zwischendurch mal lesen - auch im Taxi. Tina Spessert

    BERLIN VERLAG, 128 S., 9 €

    NEU: IM TAXI | JOCHEN RAUSCH
    http://www.jochenrausch.com/taxi-im-januar
    http://www.jochenrausch.com/wp-content/uploads/2017/01/IMG_6674-768x576.jpg

    Beobachtungen im Nahverkehr – 120 Miniaturen Piper Verlag (9.00 Euro).

    Im Taxi von Jochen Rausch | PIPER
    https://www.piper.de/buecher/im-taxi-isbn-978-3-8333-1081-2

    In Deutschland gibt es eine Viertelmillion Taxifahrer und jeder hat seine Geschichte.

    Sie fahren Tag für Tag, Nacht für Nacht, ohne je richtig anzukommen: In Deutschland gibt es über 250.000 Taxifahrer und jeder hat seine Geschichte. Viele Jahre sammelte Jochen Rausch Gespräche im Taxi: Aus 120 Miniaturen von erstaunlicher Intensität entsteht das Psychogramm unserer multinationalen Gesellschaft aus einer sehr speziellen Perspektive. Mal nachdenklich, mal heiter, aber immer authentisch, unverstellt, berührend. Schon mit seinen hochgelobten Short-Story-Bänden „Trieb“ und „Rache“ zeigte Rausch, dass er auf engstem Raum große Geschichten zu erzählen weiß.

    Rastlose Existenzen - Unterwegs mit Jochen Rausch: „Im Taxi“ auf einer „Deutschlandreise“ : literaturkritik.de
    https://literaturkritik.de/rausch-im-taxi-rastlose-existenzen-unterwegs-mit-jochen-rausch-im-ta

    13.03.2017 - von Bernhard Judex

    Spätestens seit Martin Scorseses Taxi Driver (1976) mit Robert de Niro als frustriert-wanhsinnigem Travis, der sein Yellow Cab durch den New Yorker Straßendschungel lenkt, hat das Taxi einen wenn auch nicht prominenten, so doch festen Platz in Kino und Literatur. Jim Jarmuschs genial witzige Nahaufnahme Night on Earth inszenierte 1991 einprägsame Begegnungen zwischen Fahrgästen und ihren skurrilen Chauffeuren. In Deutschland hat die Hamburger Ex-Taxilenkerin und Schriftstellerin Karen Duve 2008 ihren Roman Taxi veröffentlicht und gibt mit ihm Einblicke in das alles andere als langweilige Beförderungsgewerbe. Auf einem bereits 1958 im französischen Original erschienenen Text von Louise de Vilmorin basiert die deutsche Übersetzung Der Brief im Taxi von 2016.

    Aktuell erschienen ist nun unter dem Titel Im Taxi die literarisch-journalistische Reportage des WDR-Redakteurs und Autors Jochen Rausch. Nicht wenigen der von ihm in insgesamt 120 kurzen Sequenzen auf je einer Seite porträtierten Taxilenkern und – weit weniger häufig vertretenen – Taxilenkerinnen merkt man an, dass die goldenen Zeiten der Branche längst vorbei sind. Eine ungehemmt freie Marktwirtschaft und der Konkurrenzdruck – Stichwort Uber –, vereint mit immer strengeren behördlichen Vorschriften bei gleichzeitig zunehmendem Verkehrsaufkommen trüben nicht nur die Freude am Fahren, sondern auch die Verdienstmöglichkeiten. Rund 50.000 elfenbeinfarbene Autos mit dem „Dachziegel“ sind im Bundesgebiet registriert. Ihre 250.000 Fahrer und Fahrerinnen sind im Schichtdienst Tag und Nacht bei jedem Wetter unterwegs und warten mal mehr, mal weniger gelassen auf Kundschaft.

    Jochen Rausch, selbst leidenschaftlicher Taxifahrgast, ließ sich auf seiner „Deutschlandreise“, so der Untertitel seines Porträts, durch verschiedene Städte – von Aachen bis Wuppertal, von Rosenheim bis Berlin, von Saarbrücken bis Cottbus – chauffieren. Neben den notorischen Nörglern und Schwarzsehern, den „Adipösen“ und von ihrer Arbeit Frustrierten gibt es zahlreiche fröhliche Freigeister, intellektuelle Lebenskünstler und erfahrene Routiniers. Der Studienabbrecher der Politologie ist ebenso anzutreffen wie der ausgebildete Akademiker aus dem Iran oder der türkischstämmige Berliner, wütende Lenker aus dem Ruhrgebiet, die über Radfahrer schimpfen, genauso wie der kultivierte und zuvorkommende Chauffeur alter Schule, der anstrengende Possenreißer oder manch reifere Dame, die ihre Pension aufbessert und der Tochter das Studium finanziert. So mancher beklagt sich zu Recht über die Primitivität einzelner Fahrgäste, unter denen sich neben unangenehmen und handgreiflichen Nachtschwärmern – so in Düsseldorf – durchaus auch mal ein harmloses Hündchen befindet, das zum doppelten Fahrpreis zu seinem Herrchen gefahren werden will. Nur für wenige ist die Arbeit als Taxilenker ihr „Traumberuf“.

    Im Taxi bietet einen äußerst lesenswerten Einblick in den beruflichen Alltag sowie das höchst unterschiedliche soziale Milieu des Berufskraftfahrers hinter dem Volant der modernen Droschke, die schon längst nicht mehr ausschließlich einen Stern auf der Kühlerhaube trägt. Die 120 Momentaufnahmen, aus dem Leben gegriffene Szenen einer im Durchschnitt an die 15 Minuten dauernden Fahrt, sind rasch verschlungen. Vielleicht mag die eine oder andere Episode in der Kürze etwas zu überzeichnet oder literarisch nachbearbeitet wirken. Doch insgesamt bietet das Buch eine spannende und amüsante Perspektive auf die Welt, wie sie der Taxler eben nur aus seiner Sicht kennt.

    Als „Seismographen unserer Gesellschaft“, so Rausch, haben Taxilenker mit allen Bevölkerungsschichten Kontakt und immer etwas zu erzählen. Das liegt am Unerwarteten dieses Jobs, an der vielschichtigen Klientel, die vom renommierten Opernsänger bis zum arbeitslosen Alkoholiker, vom hochbetagten Rentner bis zum partygestylten Teenager reicht. Im Grunde genommen wissen weder Fahrer noch Kunde im Vorhinein, wer neben ihnen sitzt. Freilich kann man es auch nüchterner sehen wie jener im Vorwort zitierte Chauffeur: „Fahrer und Fahrgast haben eines gemeinsam […], beide fahren Taxi, weil sie müssen.“ Doch dabei wird der Wagen zu einer Art Mikrokosmos des oft banalen, aber auch aufregenden und überraschenden Alltags und hat eine dem Beichtstuhl vergleichbare Atmosphäre des vertraulich geschützten Raumes. Hernach steigt man nicht nur seelisch geläutert, sondern um einige Euro erleichtert, wenn schon nicht im Paradies, so doch am Ort seiner vorübergehenden Wahl aus. Die Taxifahrer und -fahrerinnen hingegen sind berufsbedingt rastlose Existenzen. Sie kennen die Höhen und Tiefen der menschlichen Psyche und haben zwischen den Fahrten, während manch unerträglich langer Stunde des Wartens Zeit, über den Sinn des Lebens zu reflektieren. In welch anderem Beruf außer dem des Schriftstellers oder Philosophen hat man schon dieses Privileg?

    Jochen Rausch: Im Taxi. Eine Deutschlandreise.
    Berlin Verlag, Berlin 2017.
    128 Seiten, 9,00 EUR.
    ISBN-13: 9783833310812

    Jochen Rausch: „Taxifahren ist intim“ - DER SPIEGEL
    https://www.spiegel.de/reise/deutschland/jochen-rausch-taxifahren-ist-intim-a-1136702.html

    14.03.2017 - von Anne Haeming

    Geschichten vom Taxifahren - „Ich möchte, dass sie weiterreden“

    Er steigt stets vorne ein und fragt erst mal: Und? Die Geschichten, die ihm Taxifahrer daraufhin erzählten, hat Jochen Rausch in einem Buch veröffentlicht.

    SPIEGEL ONLINE: Herr Rausch, Sie kommen gerade aus Österreich. Sind Sie Taxi gefahren?

    Rausch: Selbstverständlich. Und ich habe auch gleich ein interessantes Gespräch geführt. Der Fahrer hatte einen Verband an einer Hand, also fragte ich, was passiert sei. Offenbar war Eis aus einem Hydranten geschossen und hatte ihm den kleinen Finger weggerissen. Manchmal reichen zehn Minuten im Taxi, um von einem Menschen ein ganzes Leben zu erfahren.

    SPIEGEL ONLINE: 120 Protokolle solcher Gespräche haben Sie nun veröffentlicht - neben Ihrem Job als Programmleiter beim WDR. Wieso fahren Sie denn so häufig Taxi?

    Rausch: Ich dachte irgendwann, ich stehe zu oft im Stau - und schaffte vor sechs Jahren mein Auto ab. Seither mache ich alles mit der Bahn, auch privat und wenn ich zu Lesungen fahre. Deswegen fahre ich nun auch öfter Taxi. In den sechs Jahren waren es etwa 200 Fahrten, also drei im Monat. So viel ist das gar nicht.

    SPIEGEL ONLINE: Welche Bedeutung hat das Taxifahren für Sie bekommen?

    Rausch: Es hat meinen Blick auf unsere Gesellschaft sehr verändert. Wenn man von seiner Wohnung aus über die Autobahn in die Garage des WDR fährt, bleibt man in seiner Blase. Aber so spürte ich den Frust früher: Viele Themen, die jetzt politisch aufgepoppt sind, habe ich schon vor zwei, drei Jahren von Taxifahrern oder in der Bahn gehört. Da gärte etwas. Ich sehe mich als eine Art Meinungsforscher, wobei es mir nicht um lustige Taxifahrer-Anekdoten ging, sondern um den Blick aufs Leben.

    SPIEGEL ONLINE: Und wie kommen Sie ins Gespräch?

    Rausch: Meine Standardfrage ist: Wie geht’s Ihnen? Manchmal schaue ich, welcher Radiosender läuft; wenn einer ein schönes Auto fährt, spreche ich ihn darauf an. Wenn schlechtes Wetter ist, kann man auch fragen, ob das gut oder schlecht fürs Geschäft ist. Aber ich habe es noch weiter reduziert und frage oft nur: „Und?“ Selbst wenn der Fahrer dann antwortet: „Ja, wie - und?!“, haben sich daraus schon interessante Gespräche entwickelt.

    SPIEGEL ONLINE: Wieso klappen Unterhaltungen im Taxi besonders gut?

    Rausch: Ich setzte mich immer nach vorne - und viele Fahrer sind nach Stunden am Halteplatz froh, mal wieder mit jemandem reden zu können. Sie sagen gerne: „Sollen wir da oder da längs fahren“, da entsteht ein „Wir“ für die kurze Fahrtzeit. Auch wenn es eine reine Zufallsbegegnung ist, ist es eine sehr intime Situation. Man fühlt sich unbeobachtet - und redet offener. Zumal ich ja kein Aufnahmegerät dabei habe: Ich notiere mir die Stichworte immer erst, wenn ich ausgestiegen bin.

    SPIEGEL ONLINE: Welche Momente haben Sie überrascht?

    Rausch: Unter Taxifahrern gibt es das gesamte Spektrum - vom Kommunisten bis zum Ausländerfeind. Insgesamt sind die Leute konservativer und politisch inkorrekter, als wir Journalisten das vielleicht wahrhaben wollen und es sich auch offenbar in den Meinungsumfragen ausdrückt. Einer erzählte zuerst ganz freundlich und begeistert von seinen beiden indischen Schwiegersöhnen und dann, dass er mal in der Stadtverwaltung angerufen hat und nach dem Inländerbeauftragten gefragt habe, den es ja bekanntlich nicht gibt. Und wenn noch mehr Ausländer nach Deutschland kämen, würde er demnächst mal „rechts ranfahren“.

    SPIEGEL ONLINE: Diskutieren Sie in solchen Fällen?

    Rausch: Fast nie. Ich bin eher affirmativ und möchte, dass sie weiterreden. So kommt zum Vorschein, dass sich die Leute oft eine eigene Welt zurechtzimmern: etwa, wenn einem ausländerfeindliche Ausländer als Taxifahrer begegnen. In Dortmund sagte ein Pakistani, der seit 15 Jahren hier lebt: Die Flüchtlinge sollen wegbleiben. Wenn man dann entgegnet: Sie sind doch auch mal hierhergekommen, folgt die Erklärung, man habe sich aber angepasst - und die, die jetzt kämen, wollten sich nicht anpassen. Es ist nicht immer logisch oder intellektuell belastbar, was die Leute sagen, aber ich habe auch sehr viele kluge Gedanken gehört, die zum Teil weit über Talkshow-Niveau waren.

    SPIEGEL ONLINE: Spiegelt sich im Taxikosmos unsere Gesellschaft wider?

    Rausch: Den Taxifahrer gibt es nicht, in Deutschland gibt es allein 250.000. Es fahren allerdings kaum noch Frauen, nachts erst recht nicht. Und Studenten, wie damals unter meinen Kommilitonen noch üblich, auch kaum noch. Manche Taxifahrer haben nie einen „richtigen“ Beruf gelernt, andere sind iranische Ärzte oder Literaturwissenschaftler, die vor Khomeini geflohen sind. Die meisten sind über 40, viele mit Migrationshintergrund. Es ist für viele ein Job am Existenzminimum. Nicht wenige fahren auch als Zweitjob Taxi, weil der Hauptjob nicht genug einbringt, um die Familie durchzubringen.

    SPIEGEL ONLINE: Also sind die Fahrer doch repräsentativ für eine bestimmte Schicht?

    Rausch: Der Job scheint oft Ergebnis einer gebrochenen Biografie zu sein, selten trifft man auf Fahrer, die sagen: „Ich wollte schon immer Taxifahrer werden“. Im Pressetext zum Buch schrieb der Verlag, dass Taxifahrer dem unteren gesellschaftlichen Milieu angehörten. Bei einer Lesung beschwerte sich einer prompt: Das würde nicht stimmen, sie seien ein alteingesessener Familienbetrieb mit 20 Wagen.

    SPIEGEL ONLINE: Anders als in New York, London oder Paris halten viele hier Taxifahren immer noch für relativ dekadent.

    Rausch: Es ist ja auch nicht ganz billig. Und wir haben eine andere Taxi-Tradition. Auch weil wir die Kultur des Heranwinkens kaum kennen, außer in Berlin vielleicht. In Städten wie Bielefeld, Wuppertal oder Dortmund können Sie sehr lange stehen und winken, da kommt nie ein Taxi vorbei. Aber auch für mich war Taxifahren immer etwas Besonderes.

    SPIEGEL ONLINE: Erinnern Sie ich noch an Ihr erstes Mal?

    Rausch: Als ich Kind war, waren alle Taxen schwarz, vor allem aber war der Standardwagen ein Mercedes. Um mit solch einem Luxuswagen mitzufahren, blieb mir nur eine Möglichkeit: als Messdiener mit dem Pfarrer im Taxi zum Friedhof.

    #Taxi #Arbeitsbedingungen #Literatur

  • NS-Prozess: „Ich hörte die Schreie aus der Gaskammer“ - WELT
    https://www.welt.de/regionales/hamburg/article202510698/NS-Prozess-Ich-hoerte-die-Schreie-aus-der-Gaskammer.html

    Im letzten Kriegsjahr war Bruno D. Wachmann in einem KZ bei Danzig. Im Hamburger NS-Prozess räumt er ein, dass er die Morde in der Gaskammer beobachtet hat. Doch zu einem Detail schweigt er.
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    Es geht doch. Er kann sich erinnern, auch an diesen schrecklichsten Teil seiner Erlebnisse im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, in dem Bruno D. von August 1944 bis April 1945 eingesetzt war. „Vom Wachturm habe ich die Gaskammer gesehen“, berichtet er. „Und Schreie und Poltern habe ich gehört, das war nach ein paar Minuten vorbei.“

    Der junge SS-Mann, der im letzten Kriegsjahr mit einem Gewehr bewaffnet auf dem Wachturm seinen Dienst versah, war also gerade Zeuge der Ermordung von Gefangenen mittels Gas geworden. Er hat ihre Todesschreie gehört und den verzweifelten wie aussichtslosen Kampf der Sterbenden wahrgenommen. Doch das will Bruno D. damals nicht verstanden haben.

    „Ich wusste nicht, was mit den Leuten geschah. Ich habe gedacht: Was machen sie da mit denen, aber hatte keine Vorstellung gehabt.“

    „Ich konnte nicht hundertprozentig sagen, die werden jetzt vergast, weil ich es nicht gesehen habe“, entgegnet der Greis. „Ich habe häufig gedacht: Hoffentlich passiert da heute nichts. Hoffentlich werden heute keine in die Gaskammer hineingeführt.“

    Bruno D. berichtet, wie jeweils 20 bis 30 Männer und Frauen in den Raum hineingeführt worden sind, ohne Gegenwehr, ein Mann in einem weißen Kittel habe sie begleitet. „Ihnen wurde gesagt, die sollen zur Untersuchung, weil sie zu einem Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers eingeteilt werden sollten.“ Die Legende, mit denen die Gefangenen in Sicherheit gewiegt werden sollten, hätten seine Kameraden ihm erzählt.

    Und Bruno D. erinnert sich auch daran, wie Wachmänner von Eisenbahnwaggons berichtet hätten, die abgedichtet und als Gaskammer benutzt worden seien. „Da wurde mal gesagt, dass das gemacht wurde.“ Gesehen habe er es nicht.

    Dass den dort Eingesperrten ein grausiges Schicksal bevorstand, wusste er also. „Die Menschen, die dort eingesperrt waren, hatten nichts verbrochen“, sagt er. „Aber was konnte ich dagegen machen?“

    Mit zwei Sätzen verteidigt sich Bruno D. immer wieder: Er habe sich nicht freiwillig zum Lagerdienst gemeldet, sondern sei zur Wehrmacht eingezogen worden, die ihn dann in den Wachdienst der SS überstellt habe. Und er habe nichts ausrichten können, obwohl er mit den „Taten nicht einverstanden war“.

    Letztlich nimmt er, der ein Rädchen in der Menschenvernichtungsmaschine gewesen war, für sich in Anspruch, Pech gehabt zu haben. Und daher, folgert er, sei er berechtigt gewesen, all das Erlebte nach dem Krieg zu vergraben und zu vergessen.

    Doch mit dieser Haltung nimmt er den Blick der Opfer aus dem Blick, die er zu bewachen hatte, die er beim Gang in die Gaskammer beobachtete und die unter seinen Kameraden zu leiden hatten. Richterin Meier-Göring nimmt sich seine Gewissensbisse vor. „Mit wem haben Sie das besprochen, wenn Sie nicht einverstanden waren?“ „Ich habe alles in mich hineingefressen. Das hat mich damals sehr belastet, und das belastet mich heute noch.“
    Soll er konkret werden, bleibt er vage

    Aber was genau belastet ihn denn heute noch? Dass die Menschen ermordet worden sind? Dass er dabei zusehen musste? Oder dass er mitgeholfen hat? Immer, wenn er konkrete Situationen oder Wahrnehmungen schildern soll, die seine angebliche Belastungen erklären und unterfüttern könnten, bleibt er vage. Selbst bei Fragen nach seinem Wachdienst, den er ja gute achte Monate jeden Tag ausführte, kommt nur Schemenhaftes zutage.

    „Wie sollten Sie ihren Wachdienst ausführen, was wurde Ihnen gesagt“, will Meier-Göring wissen.

    „Den Zaun beobachten und aufpassen, dass sich keiner dem Zaun nähert.“

    „Haben Sie keine Broschüre bekommen?“

    „Nein.“

    Meier-Göring will wissen, ob er sich an seinen Ausbilder, den Kompanieführer Reddig erinnert; der Angeklagte verneint. Dabei war er der oberste und bekannteste Ausbilder im Lager. Als sie nach der Broschüre fragt, meint sie ein Ausbildungsheftchen namens „Richtig – falsch“, das Wachmannschaften in den Konzentrationslagern als bebilderte Dienstvorschrift überreicht wurde. Dort sollten die Wachleute lernen, wie sie Gefangene zu beaufsichtigen hatten und was bei Fluchtversuchen zu tun ist – nämlich Erschießen des Flüchtenden.

    „Was sollten Sie machen, wenn sich jemand dem Zaun nähert?“

    „Ich weiß nicht mehr, wie die Befehle da lauteten. Wir sollten auf auf dem Turm Wache stehen und aufpassen, dass nichts passiert.“

    „Hat sich mal jemand dem Zaun genähert?“

    „Nein“, sagt Bruno D. Sonst hätte er „Alarm“ gegeben; was das bedeutet hätte, wisse er aber angeblich nicht mehr.

    Zur Gaskammer hatte Meier-Göring noch eine Frage. „Gab es da nur eine Tür? Oder einen Ausgang?“

    Da muss Bruno D., nicht lange überlegen. „Ich habe nie gesehen, dass da jemand herausgekommen wäre.“

    #justice #nazis #Allemagne #Stutthof #camps

  • Oranienburg – Anwohnerinitiative gegründet – MAZ - Märkische Allgemeine
    http://www.maz-online.de/Lokales/Oberhavel/Anwohnerinitiative-gegruendet


    photo : https://www.flickr.com/photos/spyker3292
    Flickr

    Les riverains se plaignent du tourisme vers le camp de concentration nazi le plus proche de Berlin.

    Oranienburg. „Wir müssen wieder in Einklang kommen, bei einem Dialog Lösungen finden. Und in dem möchten wir gehört werden“, fasst Christian Wollank das Ziel der neu gegründeten Anwohnerinitiative (AWI) „Gedenkstätte Sachsenhausen – Gedenken im Einklang mit dem Leben“ zusammen. Er wohnt im Schäferweg und bildet zusammen mit Waltraut Krienke aus dem Sandhausener Weg das Sprecherteam der AWI.

    Anwohnerversammlungen auf Initiative von Axel Heidkamp von der Piratenpartei hatten im Frühjahr nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Hier lag der Tenor auf der Frage: Wie kann der Bustakt zur Gedenkstätte verdichtet werden. „Da wurde uns klar, dass unsere Probleme ganz andere sind und wie viele Anwohner diese Sorgen haben“, so Wollank. Aktuell unterstützen 56 Anwohner aus vier Straßenzügen die Initiative. Sie haben unterschiedlich Nöte. Alle sind aber in der stark gestiegenen Besucherzahl – jährlich 700 000 – zur Gedenkstätte und den Bussen begründet.

    Da sind die Anwohner der Hans-von-Dohnanyi-Straße. Sie beklagen nicht nur, dass jede Menge Müll von Touristen in ihren Vorgärten landet, weil es keine Papierkörbe gebe, sie finden nicht angemessen, dass vor allem Berliner Reisegruppen mit Guides vor den geschichtsträchtigen Häusern Halt machen und dort fotografieren. „Sie wollen sich nicht auf Fotos im Netz wiederfinden“, so Waltraut Krienke.

    Anwohner der Straße der Nationen sind vor allem von den Erschütterungen genervt, für die die Busse auf dem Kopfsteinpflaster sorgen. Die Erschütterungen sorgten für Risse in den Häusern, teilweise gingen die Alarmanlangen der geparkten Autos los und an Tempo 30 halte sich eh niemand. Da sind die Anwohner rund um den Parkplatz, dort laufen die Motoren der Busse stundenlang, „ich gehe täglich raus und weise darauf hin, wie schädlich das für Mensch und Umwelt das ist“, so Anwohnerin Krienke. Die meisten Fahrer hätten ein Einsehen, andere nur barsche Worte. Durchschnittlich 20 Busse stehen dort am Tag. Nicht zuletzt leiden die Anwohner des Schäferweges. Es gibt keinen Bürgersteig, die Busse quetschen sich durch, bringen die Kitakinder in Gefahr.

    Mit Ordnungsamt und OVG steht die AWI bereits in Kontakt, hat auf die Probleme aufmerksam gemacht. Ein Protestbrief ist am Dienstag an den Bürgermeister rausgegangen, weitere gehen an Kreis, Gedenkstätte und Kultusministerium. „Aber wir wollen nicht nur kritisieren, sondern bieten Lösungen an. Die kosten Geld und sind sicher nicht von heute auf morgen realisierbar. Aber wir brauchen sie langfristig“, ist Christian Wollank wichtig. Der Vorschlag der AWI geht dahin, Zufahrt und Parkplatz der Gedenkstätte angesichts steigender Besucherzahlen zu verlegen: Die Brache neben dem Sportplatz der Polizeischule könnte als zukunftsfähiger Parkplatz dienen. Das Areal gehört dem Bund. Auch sei die Gedenkstätte über die Bernauer Straße neben dem Eingang Polizeischule, alternativ neben dem An- und Verkauf weiter hinten oder über die Gustav-Hempel-Straße erreichbar.

    „Der Baustadtrat fand die Idee gut und prüfenswert“, so Wollank. Empört sei man über die Aussage der Gedenkstätte, „dass man nicht bereit ist, das 25 Jahre alte Besucherleitkonzept zu überdenken. Unsere Probleme dürfen nicht weggeschoben werden. Deshalb wollen wird unseren Protest jetzt bündeln.“

    Sachsenhausen-Komitee warnt vor Tabubruch (neues-deutschland.de)
    https://www.neues-deutschland.de/artikel/1059500.sachsenhausen-komitee-warnt-vor-tabubruch.html

    Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen muss sich wegen der wachsenden Besucherzahlen mit Anwohnerprotesten auseinandersetzen. Die Forderungen der kürzlich in Oranienburg (Oberhavel) gegründeten »Anwohnerinitiative Gedenkstätte Sachsenhausen - Gedenken im Einklang mit dem Leben« würden mit Beunruhigung zur Kenntnis genommen, erklärte dazu das Internationale Sachsenhausen-Komitee am Donnerstag in Amsterdam. Die von der Initiative vorgeschlagene Verlegung des Zugangs zur Gedenkstätte sei inakzeptabel, hieß es: »Geschichte kann nicht umgeschrieben werden.«

    Das Konzept der Gedenkstätte, dem die internationalen Häftlingsverbände zugestimmt haben, folge dem historischen Weg der Häftlinge, betonte das Sachsenhausen-Komitee. Der Zugang zum Konzentrationslager Sachsenhausen sei durch die Gefangenen des Naziregimes »über diese Straßen oftmals unter schweren Misshandlungen und unter den Augen der damaligen Anwohner begangen worden«. Eine Verhandlung darüber sei für das Internationale Sachsenhausen-Komitee tabu.

    In Sachsenhausen, heute ein Stadtteil von Oranienburg, waren von 1936 bis zur Befreiung durch die Rote Armee im 1945 insgesamt mehr als 200 000 Menschen inhaftiert, Zehntausende starben in dem von den Nazis zum Muster-KZ ausgebaut worden. Dort saß auch die Verwaltungszentrale für alle Konzentrationslager im deutschen Machtbereich.

    »Wir verstehen, dass eine Besucheranzahl von mehr als 700 000 vorwiegend internationalen Gästen als eine zusätzliche Belastung für die Wohngegend empfunden wird und dass nach Lösungen gesucht wird, die damit verbundenen Begleiterscheinungen zu ändern«, heißt es in der Erklärung des Sachsenhausen-Komitees weiter. Solche Lösungen fänden sich jedoch bereits in den Vorschlägen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten für einen Einbahnstraßen-Ringbusverkehr, die seit langem überfällige Asphaltierung der Straße und die Erweiterung des Parkplatzes.

    Sachsenhausen-Komitee: Verlegung von Zugang ist tabu | Berliner Zeitung
    http://www.berliner-zeitung.de/berlin/sachsenhausen-komitee--verlegung-von-zugang-ist-tabu-28112598

    Sachsenhausen-Komitee: Verlegung von Zugang ist tabu - WELT
    https://www.welt.de/regionales/berlin/article167349017/Verlegung-von-Zugang-ist-tabu.html

    Sachsenhausen-Komitee: Verlegung von Gedenkstätten-Zugang ist tabu - MOZ.de
    http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1593810

    #Allemagne #Oranienburg #histoire #nazis #tourisme

  • Erster Ausreisegewahrsam hat sogar ein Raucherzimmer

    In Hamburg öffnet der deutschlandweit erste, umstrittene Ausreisegewahrsam: Bis zu 20 Menschen sollen am Flughafen in Containern auf ihre Abschiebung warten. Ist das ein Knast „light“?


    https://www.welt.de/regionales/hamburg/article158961500/Erster-Ausreisegewahrsam-hat-sogar-ein-Raucherzimmer.html

    #aéroport #renvois #expulsions #Hambourg #Allemagne #asile #migrations #réfugiés #centre_de_départ