Mit 18 Jahren Unternehmer : Hans Falladas « Ein Mann will nach oben » in der Berlin-Bibliothek : Ich träume glühend von Gepäck

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    Hans Fallada, einer der sonderbarsten, unglücklichsten, aber auch beliebtesten Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte, war ein Fachmann für Gespenster. Sein literarisches Interesse galt dem Gespenst des „kleinen Mannes auf der Straße“, einer politisch meist lautlosen, indifferenten Figur, auf die sich die Politik rechts wie links gleichermaßen gern berief und beruft. Der „kleine Mann auf der Straße“ ist die große Unbekannte der Demokratie; vor und nach den Wahlen gibt er sich gern als zur Passivität verdammt. „Wolf unter Wölfen“, „Kleiner Mann - was nun“, „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ - die Titel von Falladas Romanen versprechen dem Leser die Ohnmachtsgefühle, mit denen der kleine Mann sich gern schuldlos hält. Hans Falladas 1942 geschriebener Roman „Ein Mann will nach oben“ ist anders: Er beschreibt eine Berliner Variante des amerikanischen Traums. Es ist die Geschichte eines Mannes, der von einem unbändigen Aufstiegswillen geleitet wird. Einen weiten Weg hat er vor sich, denn er beginnt ganz unten.Das sechzehnjährige Waisenkind Karl Siebrecht kommt im Jahr 1909 völlig auf sich gestellt mit dem Zug in Berlin an. Karl beginnt in der boomenden Stadt als Maurergehilfe - für einen Tag. Dann wird er wegen widersetzlichen Mitleids mit ein paar Trockenmietern, die zum Entfeuchten die Neubauten einwohnen, wieder entlassen. Als Kofferträger arbeitet der Junge ohne Lizenz an Berlins weit auseinander liegenden Kopfbahnhöfen. Er erkennt die neuralgischste Stelle des Berliner Verkehrs: Wenn die Reisenden umsteigen müssen, wird ihr Gepäck von den amtlich zugelassenen Gepäckträgern mittels Handkarren in rasendem Tempo von einem Bahnhof zum anderen kutschiert.Von seinen organisierten Kollegen verfolgt, hat Karl Siebrecht eine Idee: Der inzwischen Achtzehnjährige leiht sich Geld für ein Pferd und ein Fuhrwerk und umgeht so die städtischen Vorschriften für das Dienstgewerbe. Der Grundstein für das Unternehmen Siebrecht ist gelegt. In der Firma spiegelt sich fortan Weltgeschichte: Aufschwung und erster Weltkrieg, die Depression der Nachkriegsjahre, die Inflationszeit und die Turbulenzen der späten Weimarer Republik werden im Focus der Berliner Gepäckbeförderung erzählt: Die Firma wächst; von der Pferdekraft wechselt Siebrecht zu Lastkraftwagen, vom Einmann- zum Filialbetrieb. Er sucht Geldgeber, wird betrogen, bedroht, verwundet und rappelt sich wieder auf - meist mit Hilfe von Frauen. Sein Traum, von Beginn an formuliert, heißt: Ich will Berlin erobern. Aber immer wieder muss er erkennen, dass es anders herum läuft, dass die Stadt es ist, die ihn erobert.Allein schon wegen der detaillierten Einblicke in den urbanen Alltag Berlins vor neun Jahrzehnten ist Falladas Roman eine faszinierend Lektüre. Der hindernisreiche Aufstieg des tollkühnen Jungunternehmers führt durch ein weit gespanntes, typensicheres Panorama der Berliner Gesellschaft - erzählt in der pointierten Form des ursprünglich in Fortsetzungen erschienen Romans, wo alles darauf ankommt, den Leser bei der Stange zu halten.Berliner Stadtgeschichte schreibt Fallada auch als Geschichte von Frauenfiguren. Zunächst erobert Karl nicht Berlin, sondern das Herz der vierzehnjährigen Rieke, die ganz allein den Haushalt für ihre kleine Schwester und ihren lebensuntüchtigen Vater schmeißt. Rieke ist eine Weddinger Rotzgöre, wie sie kein Dialektforscher besser erträumen könnte. Sie hat „jenügend Vastehste im Koppe“, um die komplexesten Sachverhalte kontern zu können. In Berlin muss man schimpfen können, weiß sie, und behauptet mit dem Blick der Näherin, dass vornehm von fein und fein von dünn käme: "Und dünn toogt nischt, dünn reißt imma!"Diese Einsicht nützt nichts in Liebesdingen; Karls nächste Frau ist Kind reicher Eltern. Sturzbetrunken fällt sie vor dem Nachtclub „Weiße Maus“ in sein Taxi. Auch später macht sie nicht viel Worte. Hertha Eich trägt Bubikopf. Sie entscheidet, sie investiert, sie macht den ersten Schritt. Und sie entzieht sich stets mit einer Entschiedenheit, die kein Widerwort erlaubt. Karl Siebrecht wäre nun angekommen im modernen, mondänen Berlin, wenn nur Hertha ihn nicht immer mit seiner Kleinstädtischkeit aufziehen würde. Geschämt wird sich nur in Schrimm und Schroda, sagt sie, (ihr Ausdruck für Posemuckel) als Karl sich nichts von ihr schenken lassen will.Und Fallada selbst? Sein Leben ist noch dramatischer als das seiner Figuren. Mit achtzehn überlebt er 1911 schwer verletzt einen als Duell getarnten Doppelselbstmord und wird des Mordes an seinem besten Schulfreund angeklagt. Zwei Jahre wird er in eine Heilanstalt eingewiesen, in die ihn seine Alkoholsucht noch des öfteren führen wird. Er kommt wegen Unterschlagung ins Gefängnis, jobbt als Lokalreporter und Anzeigenwerber. 1932 veröffentlicht er nach mehreren Romanen das Buch „Kleiner Mann - was nun?“, ein Welterfolg auf Anhieb. Im März 1933 wird Fallada für kurze Zeit verhaftet, fortan bleibt sein Verhältnis zum NS-Regime von Angst, Anpassung und stiller Verachtung geprägt. Er zieht sich bis Kriegsende nach Carwitz in Mecklenburg zurück, nahezu unaufhörlich schreibend und ebenso viel trinkend. Er wird erneut verhaftet, als er 1944 alkoholumnebelt auf seine Frau schießt, zum Glück daneben. Das Kriegsende erlebt er an der Seite der reichen Witwe Ursula Losch, die aus Berlin aufs Land geflohen ist und ihr Erbe mit ihrer Morphiumsucht durchbringt. Der russische Militärkommandant stellt ihr nach und macht Fallada zum Bürgermeister, um ihn mit Arbeit abzulenken. Wiederholt lässt sich das wieder nach Berlin zurückgekehrte Paar in die Heilanstalt einweisen, wo Fallada am 5. Februar 1947 stirbt, von seiner Frau mit Morphium wohl versorgt.Fallada verstand viel von Lebensträumen, so viel, dass er scheinbar triviale Berufswege glühen lassen konnte. „Ich träume einen sehr seltsamen Traum“, lässt er seinen Karl Siebrecht sagen, im Bett zu seiner Geliebten: „Ich träume davon, dass ich die Koffer der Reisenden in der Stadt Berlin auf die schnellste, sicherste und billigste Weise befördern will. Das ist mein großartiger Traum.“------------------------------Berlin-BibliothekDer Roman „Ein Mann will nach oben“ erscheint als Band 2 der 25-bändigen „Berlin-Bibliothek“.Abonnenten können die Bibliothek zum Preis von 147 Euro kaufen. Den ersten Band - „Paul und Paula“ - gibt es gratis. Pro Monat werden vier Bände zugeschickt. Abonnenten zahlen so 4,90 Euro pro Band plus Porto.Leser der Berliner Zeitung erhalten die Bibliothek für 171 Euro. Mit dem ersten Band gratis zahlen sie 5,90 Euro pro Band plus Porto.Im Buchhandel sind die Bücher einzeln für 6,90 erhältlich.Bestellen kann man unter der Telefonnummer: (030) 61 10 55 55, Fax: (030) 61 10 55 56 oder im Internet unter: www.berlin-bibliothek.de------------------------------Foto: Ankunft in Berlin am Stettiner Bahnhof 1910. Man reiste mit Koffern und Kisten in heute unvorstellbaren Mengen.

    Ein Mann will nach oben – Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Mann_will_nach_oben

    Berlin-Wedding: Spekulanten greifen nach der „Wiesenburg“ - SPIEGEL ONLINE
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/berlin-wedding-spekulanten-greifen-nach-der-wiesenburg-a-1026035.html

    Dienstag, 31.03.2015

    Mit den Männern, die neulich unangemeldet im Morgengrauen erschienen und Markierungen aufsprühten, begann die Übernahme. Zutritt verboten, weite Teile des Geländes und der Gebäude gesperrt ab dem 2. April.

    Jahrzehntelang schlief das Soziotop „Wiesenburg“ im Verborgenen. 7000 Quadratmeter im Herzen von Berlin-Wedding: ein verträumter Ort, den Menschen frei überlassen, eine bewohnbare Ruine, ein Geheimtipp. Bröckelnde Wände, wilder Wein fällt über leere Fensteröffnungen, eine Birke wurzelt in Treppenstufen, geheimnisvolle Türen.

    Weil in manchen Räumen das Dach fehlt, scheint die Frühlingssonne durch knospende Bäumchen auf den Mauerkronen. Ein schwedischer Maler aus Stockholm hat hier sein Atelier, Tänzerinnen üben für ihre Auftritte, ein Künstler baut seine Holzskulpturen. Es gibt ein Musikstudio, einen Konzertraum und einen riesigen wilden Garten. Die Hauptstadt hat nur noch wenige Orte, die auf diese Art verzaubern.

    Immobilienverwalter hatten das Gelände schon länger im Visier. Jetzt wurde es vom Berliner Trend erwischt, alles aufzuhübschen, zu ökonomisieren und von oben zu bespielen. Beängstigend für die Noch-Bewohner und Nutzer ist dabei das Tempo, das die Verantwortlichen in der Verwaltung einschlagen.

    Umstrittene Eigentumsentwicklung

    Erst vor wenigen Tagen schickten sie an den Bewohner Joachim Dumkow ein unmissverständliches Schreiben. Kernsatz: „Der Zutritt auf die markierten Flächen ist künftig nicht mehr möglich.“ Persönliche Gegenstände in diesen Gebäudeteilen seien nach dem 2. April nicht mehr zugänglich. „Mit freundlichen Grüßen degewo.“ Das kommunale Unternehmen ist die führende Wohnungsgesellschaft der Hauptstadt und mag seine genauen Pläne mit der Wiesenburg noch nicht verraten, jetzt ging es erst einmal um Verkehrssicherungspflichten und Vermeidung von Unfällen. Die Telefonnummer im Brief führt zu einer Hotline, wo man erst mal ein Band mit fröhlicher Musik hören muss.

    Die Frage nach einem legitimen Eigentumsnachfolger für den Berliner Asyl-Verein ist formal geklärt, wenngleich bis heute umstritten. Nun gibt es Immobilienspekulanten, die ein Auge auf das Gelände geworfen haben. Anfang der Achtzigerjahre hat Dumkows Familie bereits erfolgreich Versuche abgewehrt, Hochhäuser auf dem Gelände zu errichten. Jetzt droht den Erben und Hütern dieses bedeutsamen Stücks der Berliner Geschichte die Vertreibung.

    Joachim Dumkow, oder „Joe“, wie ihn die Leute hier nennen, steht mit seinen struppigen Haaren, dem verschmitzten Grinsen und der Harry-Potter-Brille auf der Nase hinter dem Tresen seiner privaten Hausbar. „Besonders zynisch“, sagt Dumkow, „finde ich das Motto der degewo im Briefkopf: Mehr Stadt. Mehr Leben.“

    Genau dafür hätten er und seine Freunde doch gesorgt, dass es auf dem Ruinengelände jede Menge Leben gibt. Dumkow dreht Videos, schreibt Texte und organisiert Kulturevents. Er lädt Freunde in sein Haus ein, führt Besucher über das historische Gelände. „Denn die Wiesenburg ist ein bedeutendes Kapitel Berliner Sozialgeschichte.“

    Wegweisend bei der Betreuung von Obdachlosen

    Ihre Historie beginnt 1868. Damals herrschte in Berlin Wohnungsnot und Armut. Unterkünfte für die Gestrandeten der Industrialisierung, Obdachlosenasyle gab es nicht. Deshalb gründeten wohlhabende Bürger den Berliner Asyl-Verein. Der Plan war der Neubau eines Wohnheims für Arme.

    Prominenteste Gründungsmitglieder: der Mediziner Rudolf Virchow, der Fabrikant August Borsig sowie der jüdische Damenmantelfabrikant und Sozialist Paul Singer, Mitbegründer der SPD. Der Verein eröffnete zunächst im Berliner Scheunenviertel, dort, wo heute die Volksbühne steht, ein erstes Asyl. Im Vorstand saßen viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde mit Nachnamen wie Hirschfeld, Aron oder Cohn.

    Der Asyl-Neubau an der Weddinger Wiesenstraße wurde ab 1870 als „Wiesenburg“ in ganz Berlin bekannt. Es lag im Herzen des „Roten Wedding“ und war das größte und fortschrittlichste Asyl in ganz Deutschland. Es gab weder Verpflichtung zur Arbeit noch zur Teilnahme an Gebeten. Anders als in der Berliner Schrippenkirche wurde ein Betsaal bewusst ausgespart. Niemand musste sich ausweisen, bis 1910 hatte die Polizei kein Zutrittsrecht. Für Asylanten galt das Prinzip Anonymität.

    Die „Wiesenburg“ war nicht nur bei Obdachlosen beliebt, sondern auch bei Wanderarbeitern, Erntehelfern und Dienstmädchen. Rudolf Virchow setzte Hygiene als Gesundheitsvorsorge durch, noch heute stehen die Schornsteine, die einst das Badewasser für bis zu 1100 Bewohner erhitzten. Die Speisen stammten oft aus Spenden.

    Das Gelände war wegweisend in der Betreuung von Obdachlosen. Bis 1914 bot man hier den Menschen kostenlose Unterkunft und täglich eine warme Mahlzeit. Neu war, dass die Asylsuchenden in der „Wiesenburg“ nicht als öffentliches Ärgernis begriffen wurden, dem man durch Härte und Ausgrenzung abhelfen wollte. Hier galten die Ärmsten der Stadt als Menschen, die vor allem eines brauchten: Hilfe. Alljährlich übernachteten mehr als 300.000 Personen auf dem Gelände. Jeder durfte baden, duschen oder Kleider waschen. Es gab auch eine Bibliothek.

    Eingesperrte Zwangsarbeiter im Kellersystem

    Während der Weimarer Republik besuchten viele Literaten und Politiker die „Wiesenburg“ für Milieustudien: Rosa Luxemburg, Hans Fallada, Carl von Ossietzky, Erich Kästner, Heinrich Zille. In manchen ihrer Texte und Geschichten spielt die „Wiesenburg“ eine Rolle, etwa in Tucholskys „Im Asyl“. 1930 drehte Fritz Lang den Film „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ auf dem Gelände. Einer der benutzten Filmscheinwerfer ist dort zurückgeblieben.

    Bis 1933 diente es der jüdischen Gemeinde als Heim. Dann schlossen die Nazis das Asyl. Von nun an wurden hier rote Fahnen mit schwarzen Hakenkreuzen im weißen Kreis gedruckt. Die Reste der Färbebehälter kann man noch besichtigen. Insgesamt nächtigten über 2,4 Millionen Menschen in der „Wiesenburg“. 1944/45 wurde sie durch Bombenangriffe weitgehend zerstört. Ein Hausmeister, der während der NS-Zeit auf dem Gelände lebte, berichtete von Zwangsarbeitern, die im umfangreichen Kellersystem des Asyls „wie die Tiere eingesperrt“ gewesen seien - und dort offenbar ermordet wurden.

    Joachim Dumkow ist auf dem Gelände aufgewachsen. Hier hat er jahrelang gespielt, kennt jeden einsturzgefährdeten Winkel, jeden losen Backstein, die meisten Geheimnisse des 6000-Quadratmeter-Kellers. Im villenartigen einstigen Verwaltungsgebäude wohnt er mit Freunden, seinem Bruder und seinen Eltern. Seine fast 80-jährige Mutter ist die Nachfahrin eines der jüdischen Stifter.

    Kulisse für die „Blechtrommel“

    Die Geschichte der „Wiesenburg“ ist seit mehr als 60 Jahren eng mit seiner eigenen Familiengeschichte verbunden: Sein Großvater hat hier als „Asylhausknecht“ gearbeitet, zuständig für Kohlen, Warmwasser und Einlass. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zogen seine Mutter und andere ausgebombte Familien in das einzige erhalten gebliebene Gebäude. Der Rest des Geländes blieb Kriegsruine.

    Diese Atmosphäre nutzten in den Siebzigerjahren die Regisseure Volker Schlöndorff und Rainer Werner Fassbinder. Schlöndorff drehte hier Szenen der „Blechtrommel“, Fassbinder Teile seines Films „Lili Marleen“. 1978 wurde hier auch für Hans Falladas Buchverfilmung von „Ein Mann will nach oben“ gedreht.

    Dumkow hat die Ruine mit ihren verwunschenen Ecken Jahr für Jahr vom Schutt befreit und, wo es ging, befestigt. Er organisierte Ausstellungen, die sich mit der Geschichte des Ortes künstlerisch auseinandersetzten. Fotografen kommen mit ihren Models und machen im alten Gemäuer stundenlange Fotosessions.

    An diesem Mittwoch empfängt die Wiesenburg noch einmal Gäste - auf eigene Gefahr.

    Quartier 14 / Pankstraße / Ausgabe 2-1203
    http://www.pankstrasse-quartier.de/fileadmin/content-media/media/zeitung/3_2013/Quartier14_www.pdf

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