»Wir wollen keine ›Uberisierung‹ der Mobilität« (Tageszeitung junge Welt)

/308695.wir-wollen-keine-uberisierung-de

  • 08.04.2017: »Wir wollen keine ›Uberisierung‹ der Mobilität« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/308695.wir-wollen-keine-uberisierung-der-mobilit%C3%A4t.html

    Post und Bahn der Schweiz wollen mit dem Fahrdienstanbieter kooperieren. Die Gewerkschaften protestieren. Gespräch mit Giorgio Tuti
    Interview: Johannes Supe

    Die Schweizer Gewerkschaften SEV, Syndicom und Unia protestierten am vergangenen Montag vor dem Berner Sitz der Schweizerischen Bundesbahnen

    Gleich drei Schweizer Gewerkschaften – die Verkehrsgewerkschaft SEV, die Postgewerkschaft Syndicom und die Unia, die Taxifahrer organisiert – protestierten am vergangenen Montag gegen ein Vorhaben von Post und Bahn. Beide Unternehmen wollen mit dem Fahrdienstanbieter Uber kooperieren. Genauer geht es dabei um die Einbindung in eine »Mobilitätsapp«. Bitte erklären Sie das einmal.

    Die Schweizerischen Bundesbahnen, SBB, und die Post – sie betreibt auch Postautodienste – wollen eine Anwendung anbieten, die Verbindungen von Tür zu Tür sucht. Will ich etwa von Olten zu einem Kollegen in einem Außenbezirk Zürichs fahren, schlägt mir die App vielleicht vor, zunächst den Zug zu nehmen, in Zürich dann ein Taxi. Oder sie empfiehlt, mich eben von einem Uber-Fahrer dorthin bringen zu lassen. Die Post hat Uber bereits in ihre Anwendung aufgenommen, bei der SBB ist das erst in Planung.

    Das klingt zunächst harmlos. Was genau kritisieren Sie daran, den Onlinefahrdienst ebenfalls als Möglichkeit anzubieten?

    Uber aufzunehmen, bedeutet erst einmal mehr Konkurrenz für das Taxigewerbe. Doch dort bestehen Gesamtarbeitsarbeitsverträge (Tarifverträge, jW), die Unternehmen zahlen Sozialversicherungsbeiträge und Mehrwertsteuer. Für Uber gilt das so nicht: Das Unternehmen weigert sich, die Fahrerinnen und Fahrer als Arbeitnehmende zu betrachten. Den Beschäftigten werden keine Arbeitszeitabrechnungen ausgestellt, auf die Ruhezeiten wird nicht geachtet. Bezahlten Urlaub gibt es nicht.

    Gleichzeitig müssen die Fahrer sämtliche Risiken tragen. Mehrfach schon hat die Polizei Anzeigen gegen sie erstattet, denn das gewerbliche Transportieren von Menschen ist nur mit Bewilligung erlaubt. Doch Uber sagt, dass sei Sache der Fahrer. Für all das werden dann Löhne gezahlt, die weit unter jenen liegen, die es im Taxigewerbe gibt. Diese »Uberisierung« der Mobilität wollen wir nicht.

    Schreiten die staatlichen Stellen nicht ein?

    Uber benutzt hier ein – wie ich finde – perverses Modell. In der Schweiz betreibt der Konzern nur ein kleines Büro, dessen einziger Zweck es ist, Auskünfte zu erteilen. Die vertraglichen Beziehungen zu den Fahrern laufen über die Niederlande; die Verträge werden dann auf Englisch ausgestellt. Das ganze Konstrukt ist endlos verschachtelt.

    Aber vor kurzem hat die SUVA, die nationale Unfallversicherungsanstalt der Schweiz, eine Verfügung erlassen. Darin heißt es eindeutig, dass Uber-Fahrer nicht selbständig sind, der Konzern habe arbeitsrechtliche Beziehungen zu den Personen. Damit ist die Sache eigentlich klar: Es handelt sich um Arbeitnehmer, Uber müsste zahlen. Doch Uber weigert sich.

    Wenn die rechtliche Lage derart prekär ist, weshalb will die Führung der SBB dann mit dem Onlinedienst zusammenarbeiten?

    Wir haben mit den SBB schon vor Wochen Kontakt zu dem Thema aufgenommen. Anfangs haben sie die Kooperation noch offensiv verteidigt. Da hieß es, es handele sich eben um die Mobilität der Zukunft. Nach unserem Protest hat sich zumindest die Tonalität schon mal etwas geändert. Man prüfe ja nur. Sollte sich herausstellen, dass die Praxis von Uber illegal ist, werde man die Kooperation selbstverständlich auflösen. Aber: Sie prüfen eben immer noch weiter.

    Dabei wäre der Imageschaden bei einer Zusammenarbeit riesig. Die SBB gehören zu 100 Prozent dem Staat, sie sind praktisch ein Stück Schweiz. Bei der Bevölkerung genießen sie ein hohes Ansehen. Das bedeutet aber auch: Nehmen sie Uber in ihre App auf, wird der Konzern damit reingewaschen.

    Könnte nicht auch die Schweizer Regierung, also der Bundesrat, intervenieren?

    Natürlich. Eine Parlamentarierin, die uns sehr nahesteht, hat den Bundesrat dazu befragt. Sie bekam zur Antwort, dass solche Kooperationen zum operativen Geschäft der SBB gehörten – und dass »in der heutigen Zeit« auf diese Weise zusammengearbeitet werden sollte. Doch der Bundesrat sagte ebenfalls, er erwarte, dass sich bundesnahe Unternehmen und deren Partner an die gesetzlichen Vorgaben halten. Damit müsste eigentlich das ganze Projekt aufgelöst werden. Unsere drei Gewerkschaftsverbände werden auch nicht lockerlassen.

    Giorgio Tuti ist Präsident der schweizerischen Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV

    #Taxi #Uber #Schweiz