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  • Ein Zeitzeuge über Kriegstraumatisierung: „Zwischen zwei Mächte geraten“
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    Spiros Kounadis mit seiner Tochter Elena in einem Zehlendorfer Park Foto: Sophie Kirchner

    18.8.2024 von Jürgen Kiontke - Als Kind hat Spiros Kounadis ein Massaker der Wehrmacht an Italienern auf Kefalonia miterlebt. Seine Tochter Elena will mit einem Film daran erinnern.

    Spiros Kounadis mit seiner Tochter Elena in einem Zehlendorfer Park Foto: Sophie Kirchner

    taz: Frau Kounadis, Ihr Vater hat Ihnen einen silbernen Koffer überlassen. Was verbarg sich darin?

    Elena Kounadis: Briefe, Liebesbriefe, alte Fotos von Frauen, die ich nicht kannte. Aus seinem wilden Leben, das stattgefunden hat, bevor ich geboren wurde. Er hütete ihn wie einen Schatz. Als die Idee, einen Film über seine Kindheit in Griechenland zu machen, Gestalt annahm, öffnete er den Koffer, nahm alle Fotos und Briefe heraus und zeigte sie mir. Schließlich gab er mir den Koffer für mein Kameraequipment. Er war schon lange bereit, über die Vergangenheit zu reden. „Du bist viel zu spät“, sagte er zu mir.

    Spiros Kounadis: Das ist kein silberner, sondern ein Alukoffer.

    taz: Warum durfte Ihre Tochter vorher nicht reinschauen?

    Spiros: Weil da alles Mögliche drin war. Ich hatte mit meiner Vergangenheit gebrochen. Manche Sachen waren mir unangenehm.

    Elena: Zum Beispiel?

    Spiros: Briefe …

    Elena: Du bist mit deiner Heirat bürgerlich geworden. Vorher warst du so ein Abenteurer, der nach Deutschland gekommen ist, in das Land der Täter.
    Elena und Spiros Kounadis

    Die Menschen

    Spiros Kounadis, Jahrgang 1935, ist auf der griechischen Insel Kefalonia geboren und kam 1963 nach Berlin. Er arbeitete zunächst in der Industrie, dann als Verwaltungsangestellter eines Berliner Bezirks im Wohnungs- und Bauwesen. Er war für die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Zehlendorf aktiv. Daneben war er Anzeigenleiter des Magazins „Filmforum“. Seine Tochter Elena Kounadis arbeitet als Freelancerin im Bereich audiovisuelles Design. Als Publizistin gab sie 6 Jahre das „Filmforum“ heraus. Zusätzlich arbeitet sie in einem Transformationsnetzwerk der IG Metall im Social-Media-Bereich.

    Das Projekt

    Der Film, den Elena Kounadis mit und über ihren Vater drehen will, ist ein Erinnerungsprojekt: im September 1943 erlebte Spiros Kounadis als Kind mit, wie Angehörige der deutschen Wehrmacht Tausende ehemals verbündete italienische Soldaten der Division Aqui umbrachten – mit über 5.000 Toten war dies eines der größten Kriegsverbrechen an den Italienern. Die griechische Bevölkerung befand sich zwischen den Fronten und wurde durch die Besatzer in eine Hungersnot gestürzt.

    Spiros: Ich habe das nicht so gesehen. Als ich kam, war Deutschland anders, eine andere Republik. Dass ich hierher kam, daran ist ein deutscher Ingenieur schuld, der uns bei einer Havarie auf See half. Er sagte: „Komm nach Berlin, ich sorge dafür, dass du bei AEG arbeiten kannst.“ Vor allem in Westberlin fehlten damals Arbeitskräfte. Viele waren nach Westdeutschland gegangen und die aus dem Osten kamen nicht mehr, weil die Mauer gebaut worden war. Den Ingenieur habe ich zwar niemals wiedergetroffen. Aber am Bahnhof Zoo gab es eine Art Spalier. Dort standen Werber, die Arbeitskräfte für ihre Firmen suchten. Sie haben uns laut die Stundenlöhne entgegengerufen. Das war ein Empfang, als wäre man ein Promi.

    taz: Wie viel gab es denn?

    Spiros: So etwa 2 Mark 70 die Stunde. In der Spinnstofffabrik gab es Mittagessen, Weihnachtsgeld und einen Liter Milch pro Tag dazu. Der Werber sagte: „Du arbeitest drei Schichten, kriegst zwei Tage frei.“ In der Summe waren es 500 Mark monatlich. Das war verlockend viel, da habe ich gesagt, ich mache das. Wir wurden sogar in einem Hotel untergebracht.

    taz: Wie ging es dann weiter?

    Spiros: Ich habe später fast 20 Jahre als Verwaltungsangestellter gearbeitet. Zuletzt in der Abteilung Bauwesen.

    Elena: Du warst auch politisch aktiv. Du warst für die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Zehlendorf.

    Spiros: Irgendwann wurde mir klar: Okay, ich bin verheiratet, habe eine Tochter und was nun? Ich habe gedacht, alleine kommst du nicht durch, du brauchst Gleichgesinnte um dich herum. Gehörst du zu den Künstlern? Nee, ich habe keine Ahnung von Kunst. Gehörst du zu den Athleten? Da bist du zu schwach. Zur Kirche? Da gefällt’s mir nicht. Ich fragte einen Kollegen, wo man sich am besten engagieren könnte. Der meinte: Keine Ahnung, aber er wählt SPD, wegen seinem Vater. 1970 durften Ausländer noch nicht in die SPD. Ich hatte aber seit Ende der 1960er Jahre schon die deutsche Staatsangehörigkeit. Also habe ich mich dort eingebracht.

    taz: Frau Kounadis, Sie wollen einen Film über Ihren Vater drehen. Welche Rolle spielt der Koffer darin?

    Elena: Der wird in der zweiten Sequenz zu sehen sein, damit startet unsere Geschichte. Mein Vater sitzt neben dem Koffer auf dem Balkon und wir schauen uns die Schätze aus seiner Vergangenheit an. In dem Koffer war auch ein Foto. Darauf ist mein Vater mit seinem Bruder zu sehen, in einem Mantel eines italienischen Soldaten.

    taz: Herr Kounadis, was hatte ein italienischer Soldat damals auf Kefalonia, der griechischen Insel, auf der Sie mit Ihren sechs Geschwistern aufgewachsen sind, zu suchen?

    Spiros: Die Italiener sind im Jahr 1941 angekommen. 12.000 Mann. Die Achsenmächte hatten Griechenland besiegt, in der Folge wurde Kefalonia von italienischen Soldaten besetzt. Auf den Inseln waren mehr italienische, auf dem Festland mehr die deutschen Streitkräfte. Wir waren Kinder und sehr ängstlich. Wir wussten nicht, was da auf uns zukommt.

    taz: Was kam auf Sie zu?

    Spiros: Der große Hunger. Die Truppen beschlagnahmten ja alles. Wir waren gezwungen, Essen zu klauen. Wir sind in fremde Gärten eingestiegen, haben Obst und Gemüse geklaut. Das war schrecklich. Manchmal überkommt mich heute noch so ein Impuls …

    Elena: Am Büfett ist er immer der Erste.

    Der besagte Koffer Foto: Sophie Kirchner

    taz: Der Film ist nicht Ihr erstes gemeinsames Projekt. Sie haben zum Beispiel die Zeitschrift „Filmforum“ gemeinsam herausgebracht. Können Sie gut zusammenarbeiten?

    Elena: Mein Vater hat damals Vertrieb und Anzeigen übernommen. Bei der Akquise war er hemmungslos, das kam uns sehr zugute. Er hat Anzeigen von griechischen Restaurants bis zu Modemarken wie Bulgari und Jil Sander oder auch den Galeries Lafayette bekommen. So haben wir die Zeitschrift finanziert.

    taz: Herr Kounadis, sind Sie auch mit ins Kino gegangen?

    Spiros: Kaum.

    Elena: Aber er hat über die Filme mitgeredet.

    Spiros: Ich hatte Artikel über die Filme gelesen.

    taz: Nun sollen Sie selbst eine Hauptrolle in einem Film spielen. Wie fühlt sich das an?

    Spiros: Ich finde das Thema etwas fraglich. Sicher, es ist damals nicht gutgegangen mit den Deutschen in Griechenland. Aber hier sind wir heute, und wir sind gut integriert. Eigentlich will ich keine alten Wunden aufreißen. Aber Elena will den Film unbedingt, da müssen wir auch riskieren, dass wir komische Kritiken bekommen. Wenn der Film überhaupt fertig wird.

    Elena: Das steht außer Frage!

    Spiros: Ich habe da gewisse Ängste. In den Medien ist tagaus, tagein von Krieg die Rede, sei es in der Ukraine oder anderswo. Das weckt Erinnerungen in mir, Bilder, die lange still gespeichert waren. Ich wusste: Wenn ich von Grausamkeiten höre, werden sie wieder wach.

    taz: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?

    Spiros: Wir mussten umziehen. Beim Einmarsch hatten die Italiener die Insel bombardiert. Der erste Kanonenschuss schlug 100 Meter von meinem Elternhaus entfernt ein. Da war die Schule, die ich besuchen sollte. Also war erst mal Schluss mit Bildung. Wir Kinder fingen dann an, etwas Italienisch zu lernen, haben mit den Soldaten gesprochen. Dann wurde Mussolini abgesetzt, die Italiener schlossen Frieden mit den Amerikanern. Das hat den Deutschen natürlich überhaupt nicht gepasst, der Verbündete war ihnen abhandengekommen. 1943 kamen sie deshalb nach Kefalonia. Es gab Kämpfe zwischen den Streitkräften, bei denen die Deutschen die Oberhand gewannen. Dann wurde verhandelt, dass die Italiener ihre Waffen abgeben und abziehen können sollten. Dazu ist es aber nicht gekommen. Die Deutschen behandelten die italienischen Soldaten als Verräter und begannen mit Massenexekutionen. Sie erschossen die unbewaffneten Italiener. Du kannst dir vorstellen, welche Angst wir gehabt haben. Die Deutschen hatten zuvor auch die griechischen Partisanen bekämpft. Wenn ein Deutscher starb, wurden 10 Griechen erschossen. Das waren Barbaren für uns.

    Elena: Du hast gesagt, du hast gesehen, wie die Italiener in Lastwagen abtransportiert wurden.

    Spiros: Bei uns in der Nähe war ein großes Gefängnis, das hatten die Engländer gebaut, als sie ihrerseits die Insel viele Jahre zuvor besetzt hatten. Dort waren Italiener nun interniert. Die haben mit dem Besteck ans Gitter der Fenster geschlagen, haben um Hilfe geschrien. Wir sahen, wie die vollen Lastwagen abfuhren und leer wieder zurückkamen. Da haben wir gewusst: Da wurden wieder welche erschossen. Ein Kontingent Soldaten wurde Richtung Italien ausgeschifft, doch die Schiffe explodierten auf See.

    Elena: Es gibt Spekulationen über Minen im Mittelmeer, andere behaupten, es habe Sprengladungen auf den Schiffen gegeben. Und die Wehrmachtssoldaten, die am Ufer dabei waren, haben dann die Italiener, die von Bord sprangen, erschossen.

    Spiros: Die Bevölkerung wurde dann ausgehungert. Die Deutschen nutzten unser Haus als Lebensmitteldepot. Wir Kinder haben immer versucht, an die Sachen auf dem Hof zu kommen. Ein deutscher Soldat hat Tag und Nacht Wache gehalten. Wir hatten gesehen, die hatten große Gläser mit Marmelade. Wir haben versucht, den Soldaten abzulenken, dass man da mal rankommt. Einmal ist es mir gelungen, die Hand ins Marmeladenglas zu stecken, da bekam ich einen Tritt und bin drei Meter geflogen. Viele sind damals vor Hunger gestorben.

    Elena: Du hast erzählt, euer Vater musste für die Deutschen Brot backen. Das durfte nicht an die griechische Bevölkerung weitergegeben werden. Einmal wurde er dabei erwischt und wäre beinahe erschossen worden.

    taz: Welche Zeitzeugen werden in dem Film noch zu Wort kommen?

    Elena: Die Schwester meines Vaters, Eftyhia, mit ihm die letzte der sechs Geschwister, die noch lebt. Sie ist älter und erinnert sich an jedes Detail, jedes Datum, jede Begegnung. Eine Rechtsanwältin und Malerin, deren Eltern beide ermordet wurden und die mit ihren Geschwistern – eines war noch ein Säugling – auf der Flucht die ganze Insel durchquerte, und weitere Personen vor Ort. Wir haben festgestellt, dass es sehr leicht ist, Zugang zu Augenzeugen zu bekommen, weil die Menschen auf der Insel sehr alt werden – wahrscheinlich wegen der gesunden Ernährung, Olivenöl und so. Also hatten wir das Glück, dass wir viele Menschen fanden, die die Zeit noch erlebt hatten. Aktuell sind es zehn, die in dem Film zu Wort kommen werden, es können noch mehr werden.

    taz: Kommen auch Quellen der Wehrmacht vor?

    Elena: Ich war in Stuttgart im Archiv und habe den Nachlass des verantwortlichen Wehrmachtsgenerals Hubert Lanz von der Gebirgsjägerdivision Edelweiß gesichtet. Ich fand seinen Ausweis mit Foto und ein Schreiben von später, in dem er seine Zeit auf Kefalonia natürlich völlig anders dargestellt hat. Und dann gab es noch einen Brief von seinen Kameraden. Sie attestierten ihm, dass er ein ganz Lieber war in der Kriegszeit und auf Kefalonia insbesondere. Einer, der sich immer dafür eingesetzt hat, dass nichts Schlimmes passiert und so weiter. Lanz war im Zuge der Nürnberger Nachfolgeprozesse drei Jahre in Haft, wurde dann begnadigt, wenig später wurde er sicherheitspolitischer Sprecher der FDP und arbeitete danach zwei Jahre beim Bundesnachrichtendienst. Ich habe lange überlegt, ob ich das jetzt in den Film reinnehme, habe mich dann aber dagegen entschieden.

    taz: Warum?

    Elena: Dieser Film soll nur den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gehören. Es ist ihr Film, sie haben ihre Geschichten noch nie erzählt. In Italien gibt es eine starke Erinnerungskultur zu den Vorgängen auf Kefalonia, in Deutschland ist da relativ wenig passiert. De facto hat niemand in Deutschland jemals rechtlich für das, was passiert war, geradestehen müssen. Und es wurde auch in der Öffentlichkeit nicht wirklich bekannt.

    Spiros: Wir sind als Kinder zwischen zwei große Mächte geraten.

    Elena: Das ist meine Intention, diesen Film zu machen. Ich spüre einfach diese Verpflichtung als deutsch-griechische Weltbürgerin, diese Geschichten, die ich von meinem Vater und von meiner Tante gehört habe, zu sammeln und den Menschen ihren Raum zu geben. Und das in diesem Medium Film, wo sie von vielen rezipiert werden können. Sofern ich das Geld zusammenkriege, die Kosten sind hoch.

    taz: Da wären Ihre Kenntnisse in der Anzeigenakquise gefragt, Herr Kounadis.

    Spiros: Ich bin leider gesundheitlich angeschlagen, ich habe mir vor zwei Jahren eine Entzündung der inneren Organe, eine Vaskulitis, eingefangen. Ich war im Krankenhaus, man hat neun Monate versucht, rauszukriegen, was mit mir los ist. Bis Elena kam und sagte: „Geh mal zur Charité.“ Jetzt bin ich immer noch in Behandlung. Diese Sache raubt mir die Energie. Wenn ich sehe, was ich heute für ein Wrack bin …

    Elena: Du bist 88!

    Spiros: Na, immerhin! Aber vor zwei, drei Jahren war ich ganz anders.

    Elena: Als wir unsere Vorbereitungen für den Film getroffen haben, auf der Insel waren und auch Ausschau gehalten haben nach Zeitzeugen, da war er voller Energie trotz Vaskulitis oder sonst was. Du hast mich sogar angebrüllt. Das fing an auf dem Flughafen in Athen, da kam mein Koffer nicht an, was weiß ich, warum. Und du hast mich angebrüllt, nicht irgendwen am Schalter. Aber sobald wir die Gespräche mit den Zeitzeugen hatten, da warst du das sanfteste Schaf überhaupt …

    Spiros: Ja nun.

    Elena: So viel zum Thema Energie!

    taz: Streiten Sie sich oft?

    Elena: Hin und wieder …

    taz: Warum denn?

    Elena: Also, ich versuche geduldig zu sein.

    Spiros: Elena ist eine jüngere Generation. Wir Älteren sehen Geschichten oft ganz anders. Ich bewundere junge Leute, wie sie mitmachen in der Gesellschaft.

    Elena: Ja, aber es geht ja um unsere Beziehung. Also du bist sehr patriarchalisch.

    Spiros: Nein!

    Elena: Du bist ein griechischer Patriarch. Und es hat lange gedauert, bis ich das verstanden habe.

    Spiros: Ich habe stark abgebaut.

    taz: Das Alter, ein Extremsport.

    Elena: Das war auch für mich ein Auslöser zu sagen: Okay, wir machen den Film jetzt, wir wissen ja nicht, wie viel Zeit wir noch zusammen haben.

    taz: Sie haben gesagt, das Filmprojekt reißt alte Wunden auf. Lernen Sie bei der Rückschau auch etwas darüber, was diese Ereignisse vor 80 Jahren mit Ihnen gemacht haben?

    Spiros: Vor der Besatzungszeit waren wir frei. Gebadet den ganzen Tag, wir haben nachts draußen geschlafen, wir haben auf der Straße gespielt, Autos gab es kaum.

    Elena: Das muss vielleicht ich erzählen: Ihr habt mit Sprengstoff und den Waffen, die zurückgelassen wurden, hantiert. Da hattet ihr keine Angst. Zwei deiner Brüder haben dadurch jeder ein Auge verloren. Aber ich sehe, dass die Angst jetzt kommt. In Form von Albträumen, aber auch im Alltag. Du fällst jetzt manchmal um und verlierst kurz das Bewusstsein, sodass du gar nicht mehr rausgehen möchtest. Und diese Angst ist unverhältnismäßig stark, so als hätte sie das ganze Leben in dir geschlummert wie ein Dämon, und das hat natürlich mit den Kriegstraumatisierungen zu tun.

    Spiros: Wir hatten als kleine Kinder Freiheit, keinen Hunger und keinen Durst. Es ging uns gut. Und das war auf einmal weg.

    Elena: Hast du dich irgendwann in deinem Leben wieder so gut gefühlt?

    Spiros: Als du dein Abitur gemacht hast. Da war ich so erleichtert und froh, als wenn ich das Zeugnis bekommen hätte.

    taz: Frau Kounadis, das wussten Sie noch nicht.

    Elena: Ich hatte damals geahnt, dass Schule meinen Eltern viel bedeutet. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, mein Vater war sehr fürsorglich, die Tochter muss vor allem bewahrt werden.

    taz: Das hat er jetzt davon: Dass er vor die Kamera gezerrt wird. Was wünschen Sie beide sich für Ihren Film?

    Elena: Dass die Zeitzeugen von damals, die ja die Kinder von damals sind, gehört werden. Dass sie eine Stimme bekommen. Dass ihre Geschichten nicht verloren gehen.

    Spiros: Wir wollen auf die Premierenparty. (lacht) Und wir wollen, dass man diese Lebensereignisse wahrnimmt. Es sind menschliche Geschichten.

    #hidtoire #guerre #Allemagne #Grèce #Italie #masscre #ciméma

  • Krise in der Gefängnispsychiatrie Berlin: Er hat nicht gelebt
    https://taz.de/Krise-in-der-Gefaengnispsychiatrie-Berlin/!6027186

    16.8.2024 von JohannaTreblin - Ümit Vardar starb nach 27 Jahren im Maßregelvollzug. Die Zustände dort gelten schon lange als untragbar. Seine Familie verklagt nun das Land Berlin.

    Ümit Vardar starb nach 27 Jahren im Maßregelvollzug. Die Zustände dort gelten schon lange als untragbar. Seine Familie verklagt nun das Land Berlin.

    Er war ein schöner Mann. Damals, bevor er ins Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs kam. Alle sollen das sehen. Aysel Vardar hat ein Foto ihres Sohnes an ihre Bluse geheftet, als sie am 14. Mai dieses Jahres vor einem Gerichtssaal des Landgerichts Berlin in Charlottenburg wartet. Auf dem Foto hat Ümit verwuschelte Haare, einen Dreitagebart, dreht den Kopf zur Seite und blickt direkt in die Kamera.

    Ümit Vardar starb 2017 im Alter von 52 Jahren im Vivantes-Klinikum in Berlin-Neukölln. Davor war er im Maßregelvollzug untergebracht, der Gefängnispsychiatrie. Vardar hatte 1988 seinen Vater bedroht, 2.000 D-Mark von ihm verlangt und eine Ärztin geschlagen. Ein Gericht erklärte Ümit Vardar 1989 der versuchten räuberischen Erpressung, der Bedrohung und der Körperverletzung für schuldig. Weil ein Gerichtsgutachter ihm eine paranoide Schizophrenie attestierte und er wegen der wiederholten Gewalttaten für weiterhin gefährlich galt, kam er nicht ins reguläre Gefängnis, sondern in den Maßregelvollzug.

    Aysel Vardar, randlose Brille, die Haare streng zu einem Zopf gebunden, hat das Land Berlin verklagt. Vertreten wird sie von ihren verbliebenen Söhnen, Atilla und Mesut, Zwillinge, Rechtsanwälte. Ümit war im August 2017 aus dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs entlassen worden und kam in eine Krisenunterkunft. Nur wenig später hörte er auf zu essen, zu trinken, zog sich in eine Ecke zurück und klagte über Schmerzen. Am 18. Oktober wurde er in die Notaufnahme eingeliefert, wo man zwei Hirntumore bei ihm entdeckte. Er starb am 5. November 2017.

    Vor Gericht geht es um die Frage, seit wann Ümit die Tumore hatte und ob sie von den Medikamenten, die er im Maßregelvollzug bekommen hat, ausgelöst worden sein können.
    Die Probleme sind seit Jahren bekannt

    Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) in Berlin steht seit Jahren in der Kritik. Zu wenig Personal, zu wenige Angebote, überfüllte Zimmer. Mit Stand 8. August waren laut Berliner Senat 611 Pa­ti­en­t*in­nen im KMV untergebracht, obwohl es regulär nur 549 Betten gibt. Zusätzlich sind 15 Pa­ti­en­t*in­nen im Justizvollzugskrankenhaus und in Gefängnissen untergebracht. Wann diese ins KMV übersiedelt werden können, ist laut Senat nicht absehbar.

    Die taz hat gemeinsam mit Frag den Staat zu den Zuständen im Maßregelvollzug recherchiert: mit Pa­ti­en­t*in­nen und Angehörigen gesprochen, Kommissionsberichte gelesen, Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Der erhebliche Personalmangel führt zu Unterversorgung und mangelhafter Dokumentation. Nicht immer scheinen medizinische Problemlagen richtig erkannt zu werden. Die Menschen sind frustriert, werden teils aggressiv und gewalttätig. Auch gegen Pflegepersonal.

    Dabei kennt auch der Senat die Probleme seit Jahren. 2018 setzte die Senatsverwaltung für Gesundheit eine Kommission ein, die seitdem jährlich die 16 Berliner psychiatrischen Kliniken und das KMV besuchen und Missstände dokumentieren soll. Bereits in ihrem ersten Bericht von 2020 schreiben die Ex­per­t*in­nen von „mangelhaften räumlichen Bedingungen und einer „defizitären Personalsituation“ im KMV, teils verschärft durch die Pandemie. Gesetzliche Vorgaben könnten nicht eingehalten, therapeutische Maßnahmen nicht durchgeführt werden. Es gebe „sichere Hinweise auf teilweise erhebliche Einschränkungen von Persönlichkeitsrechten“.

    Der Bericht von 2021 bestätigt den Eindruck. Als „sehr problematisch“ wird darin zudem die Lage von zwei Pa­ti­en­t*in­nen eingeschätzt, „die seit mehreren Monaten in den Isolationszimmern untergebracht sind“. Nach den Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen gilt eine Einzelhaft an mehr als 15 aufeinander folgenden Tagen als Folter. Die Isolationsmaßnahmen im KMV würden regelmäßig geprüft. „Eine Regel- oder Höchstdauer, die als angemessen gilt, existiert nicht“, schreibt der Berliner Senat, „besondere Sicherungsmaßnahmen sind spätestens alle 14 Tage zu überprüfen.“

    Der geplante Doppelbericht der Kommission für 2022 und 2023 ist noch nicht veröffentlicht. Dass sich drei Jahre später nichts verbessert hat, zeigen allerdings mehrere Entwicklungen in den ersten Monaten dieses Jahres. Im Januar schrieb der Personalrat des KMV einen Brandbrief an die Senatsverwaltung für Gesundheit. Im Februar demonstrierten Angehörige „gegen die menschenunwürdigen Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin“. Im März folgten Proteste von Beschäftigten. Im April schließlich reichte der ärztliche Leiter des KMV, Sven Reiners, seine Kündigung ein.
    Mehr Medikamente als notwendig

    Personalmangel und Überbelegung, das sind die Kernprobleme, von denen auch zwei Angehörige von Pa­ti­en­t*in­nen der taz berichten. Laura Kaiser (Name geändert) klagt: „Die Pa­ti­en­t*in­nen haben keinerlei Privatsphäre. Das wirkt sich auch auf die Psyche aus.“ Gespräche mit Psy­cho­lo­g*in­nen sowie Ergo-, Sport- oder Arbeitstherapie gebe es zwar, aber nicht genug, und oft fielen die Angebote aus. Das führe erstens zu Langeweile und Frust. Zweitens sei es Voraussetzung für die Entlassung, Angebote wahrzunehmen. Gebe es diese aber de facto nicht, verzögere sich die Entlassung. „Das darf so nicht sein“, kritisiert Kaiser.

    Eine andere Angehörige bestätigt den Eindruck. Die Konsequenz sei, so habe sie das bei ihrer Tochter erlebt und von anderen Angehörigen erfahren, dass „die Leute mit Medikamenten vollgepumpt“ würden „in einem Ausmaß, das mit der Krankheit nicht gerechtfertigt werden kann“.

    Die taz hat darüber auch mit Sven Reiners gesprochen, bis Ende Juni Chefarzt im KMV. Er sagt: „Die Dosen an Antipsychotika im KMV wären wahrscheinlich sehr viel niedriger, wenn es ein besseres Therapieangebot gäbe und kleinere, helle, freundliche Stationen.“ Das Gleiche gelte für andere Medikamente wie Beruhigungsmittel. „Um es zugespitzt zu sagen: Die Patienten bekommen Medikation für ihre Krankheit, aber viel höhere Dosen als notwendig, damit sie die Umstände in der Klinik ertragen können.“

    Auch im Gerichtsverfahren um Ümit Vardar spielen Medikamente eine Rolle: Ob der Verstorbene mehr Mittel erhalten hat als notwendig, ob die Dosen zu hoch waren, der Zeitraum zu lang.

    Streit mit den Eltern

    Geboren wurde Ümit Vardar in der Türkei, zog als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland. Nach dem Hauptschulabschluss versuchte er sich als Gärtner. Die Eltern wünschten sich, dass er Koch wie der Vater würde. Nirgends blieb er lange. Ihn interessierte vor allem Musik. „Er liebte Elvis“, erzählt seine Mutter Aysel Vardar Ende Juli in ihrer Wohnung in Berlin-Reinickendorf. Er sang, spielte Gitarre, übersetzte Songtexte. Später, in der Klinik, schrieb er eigene Gedichte auf Türkisch, Deutsch und Englisch und unterschrieb sie mit „Mr. Hope“ – die englische Übersetzung seines türkischen Vornamens: Hoffnung.

    Mitte der 80er, Ümit war etwa 20 Jahre alt, lebte er weiterhin in der elterlichen Wohnung, blieb aber immer länger fort, so erinnert sich Aysel Vardar. Einmal fand sie in seiner Kleidung Drogen, er habe benommen gewirkt. Immer wieder sei er mit dem Vater aneinandergeraten, aggressiv geworden. Sein Bruder Atilla stellt pantomimisch dar, wie Ümit einmal den Tisch im Wohnzimmer angehoben und in Richtung seiner Mutter geworfen habe. Der Vater schmiss Ümit aus der Wohnung. Es folgten Aufenthalte in Psychiatrien wegen „Streitigkeiten und Tätlichkeiten“ gegen die Eltern, wie es im Urteil vom Januar 1989 heißt. Etwaige Diagnosen zu dem Zeitpunkt sind darin nicht festgehalten.

    Ende Januar 1988 fordert Ümit durch die geschlossene Wohnungstür 2.000 D-Mark von den Eltern. Er wolle nach Alaska auswandern. Der Vater öffnet nicht. Zwei Tage später kommt Ümit zurück, fordert wieder Geld, droht, den Vater umzubringen. Der weist ihn wieder ab. Ümit wartet im Hausflur, als der Vater die Wohnung verlässt, mit einem Pflasterstein und einer abgebrochenen Flasche in der Hand. Der Vater beruhigt ihn, ruft die Polizei. Ümit wird vorläufig festgenommen.

    Ein paar Tage später, wieder frei, geht Ümit ins Krankenhaus am Urban und bittet um Aufnahme. Die diensthabende Ärztin will zunächst mit ihm reden. Doch stattdessen schlägt Ümit sie mit der Faust.

    Die Mutter erklärt seine Reaktion Jahre später so: Ümit habe keine Bleibe gehabt, hätte auf der Straße schlafen müssen. Er ging ins Krankenhaus, wo er die Ärztin kannte, und bat um Hilfe. Die bekam er nicht, wie er es sich vorstellte, und er wusste nicht, was tun.

    Ein Jahr später wird er verurteilt. Ein Aufenthalt im Maßregelvollzug wird auf unbestimmte Zeit verhängt, muss aber regelmäßig gerichtlich überprüft werden. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im KMV liegt derzeit bei sechseinhalb Jahren. Ümit Vardar blieb 27 Jahre.

    In einer Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft von 2016 schreibt das KMV, Vardar nehme an Therapien teil, seine „kontinuierliche Einbindung“ sei jedoch nicht möglich, immer wieder lehne er seine Medikation ab. 2015 und 2016 habe es Schlägereien mit Mitpatienten gegeben, in beiden Fällen sei er isoliert worden. Versuche, ihn in ein „geeignetes psychiatrisches Pflegeheim“ zu vermitteln, in dem der „engmaschig betreut“ werden könne, seien an seiner Ablehnung gescheitert. Die Familie sagt: Erst ab 2012 – da war er bereits über 20 Jahre im KMV – seien ihm solche Angebote unterbreitet worden. Medikamente habe er wegen der Nebenwirkungen abgelehnt.

    1990 zieht Familie Vardar nach Reinickendorf, wo das KMV liegt, um näher bei Ümit zu sein. Der ruft täglich zu Hause an. Spielt am Telefon mit der Gitarre vor, fragt: „Mama, ist das gut?“. „Er hat immer nach Bestätigung gesucht“, erzählt Aysel Vardar. Als ihr Sohn Atilla Fotos von Ümit holt, wendet sie sich ab, mit Tränen in den Augen. Als sie sich wieder etwas gefasst hat, sagt sie: „Er hat nicht gelebt.“ Die ganzen Jahre in der Psychiatrie – ein richtiges Leben sei das nicht gewesen.

    Seitenweise Medikamentenlisten in den Akten

    Bei Schizophrenie werden vor allem Antipsychotika verschrieben. Sie lindern die Symptome einer Psychose und mildern Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Bei starker Unruhe und Schlafstörungen bekommen die Pa­ti­en­t*in­nen Schlaf- und Beruhigungsmittel.

    In den Gerichtsakten im Fall Vardar finden sich seitenweise Medikamentenblätter. Über die Jahre bekommt er mal Haloperidol, mal Melperon, mal Levomepromazin. Familie Vardar hat für die Gerichtsverhandlung einen Pharmakologen um ein Gutachten gebeten. Sie will erstens wissen, ob die in Ümits Akten beschriebenen Verhaltensweisen wie Aggressivität oder Lähmungserscheinungen schon 2015 oder 2016 auf die Hirntumore hätten hinweisen können. Zweitens, ob die Tumore von den Medikamenten ausgelöst worden sein können und drittens, ob die Medikamente, die Ümit erhielt, dazu geführt haben können, dass die Hirntumore nicht entdeckt wurden.

    Ein Beruhigungsmittel steht besonders häufig in den Akten: Tavor. Zuletzt bekam Ümit Vardar dieses Medikament von August 2013 bis 2016 durchgängig. Selbst bei chronischen Erkrankungen empfiehlt der Hersteller die Gabe nicht länger als zwei Wochen, zumindest müsse dann ein Arzt neu entscheiden. In seinem Gutachten schreibt der Pharmakologe, bei Pa­ti­en­t*in­nen mit Schizophrenie hätten Studien eine erhöhte Sterblichkeit ausgemacht. „Warum [bei Vardar] Tavor über Jahre hinweg als Dauertherapie erforderlich war“, gehe aus der Dokumentation des KMV nicht hervor.

    Tavor werde in Form von Injektionen auch eingesetzt, um Epilepsien zu behandeln. Daher, so der Pharmakologe, sei anzunehmen, dass die Dauertherapie mit Tavor in Tablettenform bei Ümit Vardar „geeignet gewesen wäre, mögliche Symptome eines Hirntumors, nämlich epileptische Anfälle, zu unterdrücken bzw. zu verschleiern“.

    Das Berliner Landgericht beanstandet die Tavor-Therapie nicht: Die Tagesdosen hätten die empfohlenen Mengen nicht überschritten. Außerdem habe die Familie nicht ausreichend dargelegt, ob Ümit tatsächlich gesundheitliche Nachteile entstanden seien.

    Dass im KMV nicht gerade wenig Tavor ver­geben wird, zeigen Daten der Senatsverwaltung für Gesundheit, die Frag den Staat und der taz exklusiv vorliegen. Demnach gab das KMV im Jahr 2015 etwa 1.300 Euro für 23.035 Milligramm Tavor aus. 2016 waren es etwa 1.700 Euro für 20.225 Milligramm. Im Jahr 2023 waren es etwa 2.200 Euro für 22.910 Milligramm.

    Von dieser Menge hätte je­de*r Pa­ti­en­t*in 13 bis 65 Tage damit behandelt werden können – je nach Dosierung. Wie viele Pa­ti­en­t*in­nen tatsächlich Tavor erhielten, ist natürlich nicht bekannt. Sollten beispielsweise nur 100 Pa­ti­en­t*in­nen das Medikament bekommen haben, dann hätten sie 80 Tage bis zu einem Jahr damit behandelt werden können.
    Fast ein Viertel der Stellen fehlt

    Sven Reiners war von 2021 bis Juni 2024 Chefarzt am KMV – nach der Entlassung von Ümit Vardar. Er kündigte, weil er die „menschenunwürdigen“ Zustände „nicht mehr verantworten“ konnte, wie er der taz Anfang August am Telefon sagt. Auch für den Fall Vardar findet er harte Worte: „27 Jahre in der forensischen Psychiatrie wegen ‚räuberischer Erpressung‘: Das ist ein Skandal.“

    Die Zustände des KMV in den vergangenen Jahren habe er mehrfach gegenüber der Senatsverwaltung für Gesundheit angeprangert und die Senatorin – erfolglos – um ein Gespräch gebeten. „Der Personalmangel ist so eklatant, da hilft auch eine Stellenaufstockung nicht“, sagt er der taz. Zwei Pflegekräfte müssten alleine eine Station, die eigentlich für 36 Patienten ausgelegt ist, mit bis zu 50 Personen betreuen. Bei solchen Bedingungen „werden die Patienten krank und die Mitarbeiter auch“ – weshalb viele neue Mitarbeitende gleich wieder kündigten.

    Was es brauche, sei ein Neubau. „Eine moderne Klinik, mit höchstens 20 Patienten pro Station.“ Klar gehe das nicht von heute auf morgen. „Aber man hätte schon vor drei Jahren anfangen können, den Maßregelvollzug in Berlin neu zu denken.“ Das sei nicht geschehen.

    Auch Berlins frühere Landesbeauftragte für Psychiatrie, Luciana Degano Kieser, hat ihr Amt im Juni 2023 niedergelegt, weil sie die Situation im Maßregelvollzug nicht verantworten wollte. Der taz und Frag den Staat sagt sie im August 2024: „Menschenwürde und Patientenrechte werden im Berliner Maßregelvollzug nur unzureichend eingehalten.“ Eine Besserung sei nicht absehbar gewesen. Es fehlten eine Strategie und zumindest mittelfristige Planung. „Die Situation war für mich ethisch nicht mehr tragbar und fachlich nicht mehr zu verantworten“, sagt Degano Kieser heute. Sie war lediglich ein halbes Jahr im Amt, seit ihrem Weggang ist die Position nicht besetzt. Aktuell läuft das Auswahlverfahren.

    Konkret fehlen im KMV derzeit fast ein Viertel aller Stellen, 144,8. Das Krankenhaus sei „hochgradig bemüht, hier Personal zu finden“, schreibt die Senatsverwaltung auf Anfrage von taz und Frag den Staat und verweist auf den bundesweiten Fachkräftemangel. Tatsächlich verfehlt einer aktuellen Studie zufolge mehr als die Hälfte aller psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland die Mindestvorgaben für das Fachpersonal. Die gesetzlichen Krankenkassen fordern, mehr Menschen ambulant statt stationär zu versorgen. Eine Lösung für den Maßregelvollzug wäre das nicht.

    Stattdessen soll das Berliner KMV mehr Betten bekommen. Bis 2025 will der Senat dafür dessen Budget um 20 Millionen Euro auf 89,2 Millionen Euro aufstocken. Während die Gesundheitssenatorin im Februar der taz noch sagte, die neuen Plätze würden „auf jeden Fall noch in diesem Jahr“ bezugsfähig, heißt es aus der Senatsverwaltung auf Nachfrage im August nur noch, das solle „so schnell wie möglich“ geschehen.

    Zur Aussage Sven Reiners, die Zustände seien „menschenunwürdig“, erklärt der Senat allgemein, die Situation sei für alle Beteiligten belastend, die Sorgen und Probleme würden „sehr ernst genommen“, seien außerdem „erkannt, benannt und werden konsequent in Angriff genommen“.

    Mit richtiger Diagnostik und Befund hätte der Tod vermutlich nicht verhindert, die Lebenserwartung aber verlängert werden können.

    Zum Fall Ümit Vardar äußert sich die Senatsverwaltung „aufgrund des Datenschutzes“ nicht. Das Landgericht verkündet sein Urteil am 4. Juni: Das Land Berlin muss den Angehörigen ein Schmerzensgeld von 35.000 Euro zahlen. Mit­ar­bei­te­r*in­nen des KMV hätten den Patienten „fehlerhaft behandelt“: Der Patient sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bereits im Juni 2017 am Tumor erkrankt gewesen. Mit richtiger Diagnostik und Befund hätte der Tod vermutlich nicht verhindert, die Lebenserwartung aber verlängert werden können. Ansonsten weist das Gericht die Klage überwiegend ab.

    Es ist nur kleiner Erfolg für die Familie. Die hatte ein Schmerzensgeld von 280.000 Euro gefordert. Aysel Vardar geht in Berufung.

    Für die Recherche stützen wir uns unter anderem auf exklusive Dokumente, die wir per Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten haben. Frag den Staat hat sie veröffentlicht. Die Recherche von Frag den Staat finden Sie hier.

    #Berlin #prison #iatrocratie

  • Was mein in Berlin-Neukölln sozialisiertes Kind in München schockierte
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/was-mein-in-berlin-neukoelln-sozialisiertes-kind-in-muenchen-schock

    Anderswo ist immer Kaffhausen. Meint, Berlin ist Vollstress fürs arbeitende Volk. In München haben Menschen Feierabend. Berlin arbeitet. 365 Tage à 24 Stunden. Nicht gut, denn so normal, sind heute Nacht- und Feiertagszuschlag ein Fremdwort.

    Stimmt nicht, sagen Sie? Dann sind Sie privilegiert mit Betriebsrat und Tarifvertrag in Verwaltung oder Großbetrieb. Wo gibts denn heute sowas noch !

    8.8.2024 vin Susanne Lenz - Die Bahn hatte nur eine halbe Stunde Verspätung, aber dann ging es los: Kannst du dir das vorstellen, Mama?

    Der Anruf aus München kam am nächsten Morgen, das Kind war außer sich. Dabei hatte es am Abend auf meine Frage „Gut angekommen?“ noch geheißen: „Ja, wir hatten nur eine halbe Stunde Verspätung“ – was ja bei einer Fahrt mit der Deutschen Bahn in diesen Zeiten schon etwas heißen will. Meine Tochter und ihr Freund hatten jedoch nach Ankunft Hunger, sie hätten sich nicht viel Verpflegung eingepackt, hätten ja noch essen gehen wollen. Das Hotel nicht weit vom Münchner Hauptbahnhof war bald erreicht. Dann seien sie losgegangen. Doch essen gehen? Fehlanzeige!

    In jedem der Restaurants, die sie nacheinander aufsuchten, hieß es: Die Küche hat seit 21 Uhr geschlossen. „Kannst du dir das vorstellen, Mama?“ Das in Nord-Neukölln sozialisierte Kind konnte es jedenfalls nicht.

    Sie suchten – in der Zwischenzeit noch hungriger geworden – nach einem Supermarkt und landeten überall vor verschlossenen Türen. Denn die, so berichtete das Kind, machten in München bereits um 20 Uhr zu, während der Neuköllner Markt bei uns um die Ecke um 22 Uhr schließt und es nicht weit weg einen gibt, in dem man bis Mitternacht einkaufen kann. „Und wir dachten, München sei eine Großstadt!“

    Sie landeten schließlich in einer Art Frittenbude, teilten sich einen Burger und Pommes. „Weißt du, was wir bezahlt haben?“, fragte sie mit Empörung in der Stimme. Es waren 24 Euro. Vielleicht war ja ein Nachtzuschlag obendrauf gekommen.
    Berliner Supermärkte sind schon lange eine Art Späti geworden

    Was sollte ich sagen? Ich dachte an die Zeit, in der Supermärkte um 18 Uhr zumachten und an Samstagen um eins. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, so lange, dass sich das Kind nicht mal daran erinnern konnte. Und auch ich habe mich daran gewöhnt, dass die Öffnungszeiten sich so ausgeweitet haben, dass man sich beim Einkaufen nicht mehr stressen muss, dass man noch schnell Abhilfe schaffen kann, wenn einem abends beim Kochen auffällt, dass eine Zitrone fehlt oder das Olivenöl leer ist. Zur Erheiterung der Kinder und des Supermarktpersonals lege ich manchmal nicht einmal die Kochschürze ab, wenn ich die fehlenden Zutaten hole.
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    Es ist selbstverständlich geworden. Berliner Supermärkte sind eine Art Späti. Das Kind kennt es nicht anders und musste sich nun an Verhältnisse in der drittgrößten Stadt Deutschlands gewöhnen, die ihr an dem Abend ihrer Ankunft ziemlich piefig erschien.

    #Arbeit

  • „Trostfrauen“-Mahnmal in Berlin: Kai Wegners langer Arm
    https://taz.de/Trostfrauen-Mahnmal-in-Berlin/!6025173

    Le maire de Berlin (droite chrétienne) sabote le souvenir des femmes de réconfort sur initiative de l’ambassade du Japon . Après son intervention la commission qui décide sur les subventions de programmes culturels refuse de soutenir une campagne scolaire sur les crimes systématiques contre les femnes en temps de guerre.

    5.8.2024 von Marina Mai - Die „Trostfrauen“ sind Japan ein Dorn im Auge. Und nun wird ein Bildungsprogramm zu Sexualisierter Gewalt eingestellt – auf Druck des Regierenden.
    Die Bronzestatue wurde von dem südkoreanischen Künstlerpaar Kim Eun-sung (* 1965) und Kim Seo-kyung entworfen.


    Soll weg: Die Trostfrauenstatue auf dem Unionsplatz im Stadtteil Moabit von Berlin Foto: Rolf Zöllner/imago

    BERLIN taz | Die japanische Regierung und der Senat von Kai Wegner (CDU) machen nicht nur gegen die Trostfrauenstatue in Berlin-Moabit mobil. Sie verhindern auch ein Bildungsprogramm, das damit verbunden ist.

    Wie die taz berichtet hatte, soll der Korea-Verband – eine Berliner NGO –, die Trostfrauenstatue an der Moabiter Birkenstraße abbauen. Die Forderung kam auf, nachdem der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Frühjahr in Berlins Partnerstadt Tokio zu Besuch war. Die Trostfrauenstatue erinnert an die Zwangsprostitution von koreanischen, chinesischen, taiwanesischen und anderen Frauen aus Ländern, die Japan im Zweiten Weltkrieg besetzt hatte, in japanischen Militärbordellen bis 1945. Das Denkmal ist der japanischen Regierung ein Dorn im Auge. Tokio hat mehrfach auf diplomatischem Weg zum Abbau der Statue gedrängt.

    Aber nicht nur das Denkmal selbst, auch ein damit verbundenes Bildungsprogramm soll es nach dem Willen Japans nicht geben. Und das wurde dann nach Recherchen der taz im Frühjahr auch so beschlossen. Zuerst hatte der rbb berichtet.
    Bildung nicht im Sinne der japanischen Botschaft

    Der Korea-Verband, der die Trostfrauenstatue aufgestellt hat, hat das Denkmal mit einem Bildungsprogramm in Schulen und Jugendeinrichtungen zum Thema Sexualisierte Gewalt kombiniert. In dem Programm „Setz dich neben mich“, werden Jugendliche an der Statue mit dem freien Stuhl animiert, sich künstlerisch mit dem Thema Sexualisierte Gewalt auseinanderzusetzen.

    Das Bildungsprojekt ist einmalig in Berlin. Die jungen Leute informieren sich über Wehrmachtsbordelle, sehen Filme über Frauen, die Opfer sexuellen Missbrauchs in unterschiedlichen Weltregionen wurden und gestalten eigene Figuren aus Knete und Ton. Das Projekt wird vom Projektfonds Kulturelle Bildung der Berliner Landesregierung finanziell gefördert. Doch seit diesem Sommer fließen die Gelder nicht mehr.

    Manuela Schmidt, die für die Linken im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses sitzt, hat bei der Landesregierung nachgefragt und die lapidare Antwort erhalten, dass die Förderung ausgelaufen sei.

    Doch ganz so lapidar ist das nach Recherchen der taz nicht gelaufen. Über die Förderung, die jährlich neu beantragt werden muss, befindet zunächst eine Fachjury aus Mitarbeitern kultureller Einrichtungen. Die befürwortete das Projekt, erfuhr die taz. Doch weil das Projekt eine bestimmte Fördersumme überschreitet, kann die Fachjury nur eine Empfehlung abgeben. Die Entscheidung liegt bei einem Beirat, in dem neben Fachleuten aus Kultur und Pädagogik auch mehrere Staatssekretäre sitzen – alle mit CDU-Parteibuch – sowie Leute aus der Verwaltung.


    Deutsch-japanische Freundschaft: Tokios Gouverneurin Yuriko Koike und Kai Wegner in Tokio; Mai 2024 Foto: Eugene Hoshiko/pikture alliance

    Kai Wegner beeinflusst

    Der Beirat tagt nicht öffentlich. Doch der taz ist es gelungen, mit zwei Beiratsmitgliedern zu sprechen. Sie bekunden übereinstimmend, dass der Staatssekretär für Jugend, Falko Liecke, zu Beginn der Beiratssitzung gesagt hätte, er hätte mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner telefoniert und der hätte gesagt, das Projekt dürfe nicht gefördert werden, weil das so im Sinn der japanischen Botschaft sei.

    Darauf hätten sich, so die beiden Beiratsmitglieder unabhängig voneinander, mehrere Teilnehmer zu Wort gemeldet. Sie hätten gefordert, hier müsse nach künstlerischen und pädagogischen Gesichtspunkten entschieden werden und nicht aufgrund einer politischen Einmischung von außen.

    Mehrere Beiratsmitglieder hätten zudem in der Diskussion berichtet, sie seien von dem japanischen Botschafter in ein hochklassiges Restaurant zum Essen eingeladen worden. Der hätte dort den Wunsch ausgedrückt, dass man gegen das Projekt votieren solle. Dennoch hätte das Projekt, so die beiden Beiratsmitglieder gegenüber der taz, eine einfache Mehrheit für die Weiterförderung erhalten. Erforderlich wäre aber eine Zweidrittelmehrheit gewesen, die die CDU-Vertreter verhindern konnten.

    Die taz hat versucht, dazu ein Statement der Senatsverwaltung für Bildung und Jugend zu bekommen, in der Falko Liecke Staatssekretär ist. Die Pressestelle reagierte jedoch nicht auf mehrmalige Anfragen der taz. Der Chef der Senatskanzlei, Florian Graf, ließ auf eine parlamentarische Anfrage des SPD-Abgeordneten Marcel Hopp die Frage nach der Einflussnahme auf die Staatssekretäre unbeantwortet.
    Dubiose Vorgänge beim Austausch

    Ein Sprecher der japanischen Botschaft bestätigt zwar Gespräche, nennt aber keine Namen. „Das von der südkoreanischen Organisation, die die Statue aufgestellt hat, durchgeführte Projekt findet in Form von Workshops statt, die sich an Jugendliche in Deutschland richten“, teilt der Sprecher mit. „Dabei wird die Statue genutzt, um ein einseitiges Narrativ zu verbreiten. Jungen Deutschen, die in Bezug auf Asien über kein großes Wissen verfügen, werden so antijapanische Gefühle eingepflanzt.“

    Anders als es der Sprecher behauptet, ist der Korea-Verband allerdings keine südkoreanische Organisation, sondern eine NGO nach deutschem Recht, in der südkoreanische Migrantinnen und Deutsche zusammen arbeiten.

    Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, hält den Vorgang für dubios. „Die CDU wird ihrer politischen Verantwortung nicht gerecht, wenn sie Projekte nicht nach Eignung und Qualität beurteilt, sondern nach politischem Gutdünken. Für mich klingt das, als mache die CDU sich zur Marionette Japans.“

    Auch die linke Abgeordnete Manuela Schmidt ist irritiert. „Das ist ein wichtiges Projekt für die kulturelle Bildungsarbeit. Hier sollte nach den Bedarfen in Berlin auf fachlicher Basis entschieden werden und nicht auf der Grundlage politischer Einmischung von außen.“

    30.5.2024 „Trostfrauenstatue“ soll verschwinden: Senat will Frauen vertrösten
    https://taz.de/Trostfrauenstatue-soll-verschwinden/!6013742

    Femmes de réconfort
    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Femmes_de_r%C3%A9confort

    Aufgepasst TAZ Lokalredaktion, der #Unionplatz in Moabit schreibt sich wie die #Unionstraße ohme Binnengenitiv-S. Ich bin ja auch ein Verbündeter des Genitiv beim Kampf gegen ihm sein Feind dem Dativ, aber hier gat er nichts zu suchen.

    OSM Unionplatz
    https://www.openstreetmap.org/way/4703529

    Kauperts - Unionplatz
    https://m.kauperts.de/Strassen/Unionplatz-10551-Berlin

    Details — Unionplatz
    PLZ 10551
    Ortsteil Moabit
    ÖPNV Zone A U‑Bahn 9 Birkenstraße — S‑Bahn 41, 42 Westhafen ♿
    Verlauf an Bremer Straße, Siemensstraße und Unionstraße
    Falk Planquadrat J 13
    ...
    Geschichte — Unionplatz Alter Bezirk Tiergarten
    Name seit 8.3.1894

    Info

    Union, kirchenlateinisch unio, Einheit, Vereinigung; im Sinne der Reformationsgeschichte Bezeichnung für Zusammenschlüsse, vor allen die Protestantische Union (Union von Auhausen), ein am 14.5.1608 in Auhausen geschlossenes militärisches, politisch-konfessionelles Bündnis lutherischer und reformierter Fürsten von Anhalt, Württemberg, Baden-Durlach, Ansbach, Bayreuth, Pfalz-Neuenburg unter Führung des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz als Bundesdirektor. Anlaß der Gründung war die gewaltsame Wiedereinführung des Katholizismus in der evangelischen Reichsstadt Donauwörth durch den streng katholischen Herzog Maximilian I. von Bayern. 1609 schlossen sich die Reichsstädte Straßburg und Ulm der Union an, 1610 Brandenburg, Hessen-Kassel und weitere Reichsstädte. Die Union verbündete sich 1612 mit England, 1613 mit den Generalstaaten. Das führende protestantische Land, Kursachsen, blieb der Union fern. Bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 zeigte sich die Union der 1609 unter Maximilian I. von Bayern gegründeten katholischen Liga nicht gewachsen. 1621 löste sie sich auf.

    Die Anlegung des Platzes A/I, Abt. VIII des Bebauungsplanes erfolgte bereits 1879. Eine Teilfläche des Platzes wurde am 20. Oktober 1969 eingezogen.

    #Allemagne #Japon #politique #femmes #Berlin #Moabit

  • Musiker John Mayall ist tot: Der Blues-Professor
    https://taz.de/Musiker-John-Mayall-ist-tot/!6025912
    https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_maPhyHjX7nO-gtqGaGCeGH6PgzKxGW3Pc&playnext=1&index=1

    27.7.2024 von Ulrich Gutmair - John Mayall ist tot. Der „Godfather of British Blues“ landete nie einen Hit, aber seine Band Bluesbreakers war Ausbildungsstätte für viele Rocker.

    Die britische Blues-Legende John Mayall ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Auf seiner offiziellen Internetseite wurde mitgeteilt, dass der Musiker in seinem Haus in Kalifornien am Montag im Kreis seiner Familie friedlich entschlafen sei. Dieses Ende passt zu einem Musiker, der sich zeitlebens einem entspannten Sound verschrieben hatte.

    Bis wenige Jahre vor seinem Tod trat der „Godfather of British Blues“ live auf. Diesen Ehrentitel bekam er erst später, in den Sechzigern nannte man ihn wegen seiner großen Plattensammlung und seines stupenden Wissens über den Blues auch den Professor.

    Mayall war fasziniert vom ursprünglichen, aus der afroamerikanischen Kultur kommenden Blues-Sound von Musikern wie Lead Belly, Albert Ammons, Pinetop Smith und Eddie Lang. In den Genuss, beim „Professor“ rare Bluesplatten zu hören, kamen Musiker wie Eric Clapton und Paul McCartney.

    Mayall wurde 1933 in Macclesfield geboren. Sein Vater hatte Gitarre gespielt und war in Pubs aufgetreten, der Sohn tat es ihm nach. Er lernte Klavier, Gitarre, Mundharmonika. Mayall musste seinen Militärdienst in Korea leisten, und bei einem Trip nach Japan kaufte er sich seine erste Gitarre. Wie viele britische Musiker ging er auf eine Kunstschule, das Manchester College of Art, und spielte nebenbei mit seiner ersten Band, Powerhouse Four. 1963 zog er nach London. Anders als andere britische Blues-Fans begann er bald damit, eigene Stücke im Stil des Blues zu schreiben.

    Anders als andere Musiker seiner Zeit verschrieb er sich zeitlebens diesem Sound. Britische Musiker dieser neuen Welle der frühen 1960er waren wie Mayall stark am Blues, an frühem Rock’n’Roll und Rhythm & Blues interessiert, begannen aber bald, daraus eigene Formen zu entwickeln, die dann zum Teil extrem erfolgreich in den USA wurden.

    Blues Breakers mit Eric Clapton

    Ironischerweise wurden viele weiße Hö­re­r*in­nen in den USA über diesen Umweg der „British Invasion“ zum ersten Mal mit Pop-Musik konfrontiert, die sich stark an afroamerikanischen Blaupausen orientierte. Das trug den Briten bereits damals den Vorwurf der Cultural Appropriation ein.

    Nationale und internationale Aufmerksamkeit wurde Mayall spätestens 1966 zuteil, als er mit seiner Band Bluesbreakers das Album „Blues Breakers with Eric Clapton“ aufnahm. Das Album gilt als eines der wichtigsten Werke des britischen Blues und zeigt schon im Titel, dass viele seiner Bandkollegen nachher berühmter wurden als er selbst. Bei den Bluesbreakers spielten unter anderem Mick Fleetwood, Eric Clapton, Jack Bruce, Peter Green und der spätere „Rolling Stones“-Gitarrist Mick Taylor.

    Ende der 1960er Jahre zog Mayall in den Laurel Canyon in Kalifornien und lebte dort in einem Baumhaus. Seine Nachbarn hießen Frank Zappa und Joni Mitchell. Zu dieser Zeit ging die große Zeit des britischen Blues zuende. Einige seiner Protagonisten verschrieben sich dem Blues Rock, aus dem sich peu a peu der Heavy Metal herausschälte. Mayall blieb seiner Liebe zum Blues jedoch immer treu.

    #musique #blues #nécrologue

    • Eric Clapton rend hommage à son « mentor » John Mayall - Rolling Stone
      https://www.rollingstone.fr/eric-clapton-rend-hommage-a-son-mentor-john-mayall

      « Il m’a appris tout ce que je sais vraiment, » a dit Eric Clapton du guitariste John Mayall.
      Eric Clapton a rendu hommage à son ami et « mentor » John Mayall sur les réseaux sociaux mercredi, après l’annonce du décès de la légende des Bluesbreakers à l’âge de 90 ans.

      Le dieu de la guitare surnommé « Slowhand » était notamment l’un des nombreux musiciens de renom qui ont bénéficié de l’enseignement de Mayall au sein des Bluesbreakers. Clapton a rejoint le groupe en tant que guitariste lead après avoir quitté les Yardbirds alors qu’il se trouvait à un tournant de sa vie.

      « Je tiens à te remercier principalement de m’avoir sauvé de l’oubli et de Dieu sait quoi. J’étais un jeune homme, âgé de 18 ou 19 ans, lorsque j’ai décidé d’arrêter la musique », raconte Clapton dans sa vidéo d’hommage à Mayall.

      « Il m’a trouvé, m’a emmené chez lui et m’a demandé de rejoindre son groupe. Je suis resté avec lui et j’ai appris tout ce sur quoi je peux m’appuyer aujourd’hui en termes de technique et de désir de jouer le genre de musique que j’aime. J’ai fait toutes mes recherches chez lui, dans sa collection de disques. »

      Clapton a sorti un seul album avec le groupe de Mayall – Blues Breakers With Eric Clapton (1966) – avant de partir former Cream ; Clapton a finalement été remplacé au sein des Bluesbreakers par Peter Green, qui allait plus tard fonder Fleetwood Mac avec McVie et Mick Fleetwood, deux vétérans du groupe de Mayall.

      Parmi les autres anciens Bluesbreakers du groupe influent de Mayall figuraient Jack Bruce, Andy Fraser de Free, Harvey Mandel de Canned Heat, Jesse Ed Davis et Mick Taylor, qui rejoindrait plus tard les Rolling Stones avec l’aval de Mayall ; Mick Jagger l’a reconnu dans son propre hommage à Mayall mercredi : « Je suis tellement triste d’apprendre le décès de John Mayall. Il était un grand pionnier du blues britannique et avait un œil merveilleux pour les jeunes musiciens talentueux, y compris Mick Taylor – qu’il m’a recommandé après la mort de Brian Jones – inaugurant une nouvelle ère pour les Stones. »

      Clapton, qui a qualifié Mayall de « mentor », a ajouté : « J’ai joué avec son groupe pendant quelques années, avec Hughie [Flint, batteur] et John [McVie, bassiste], et ce fut une expérience fantastique. Il m’a appris qu’il était possible de jouer la musique que l’on voulait jouer sans l’habiller ou la faire aimer à d’autres. Il m’a appris à m’écouter moi-même. Il m’a appris tout ce que je sais vraiment, et m’a donné le courage et l’enthousiasme de m’exprimer sans peur, sans limite. Et tout ce que je lui ai donné en retour, c’est le plaisir de boire et de fréquenter des femmes alors qu’il était déjà un père de famille. Je souhaite faire amende honorable pour cela. Il va me manquer, mais j’espère le revoir de l’autre côté. Merci John, je t’aime, je te reverrai bientôt, mais pas tout de suite. »

  • Israël et la hasbara des jolies filles

    Le « scandale » de la campagne de pub Adidas avec Bella Hadid, qui a provoqué une réaction hystérique des autorités israéliennes (et subséquemment l’annulation de cette campagne), je pense que ça renvoit, au-delà de l’épisode, à tout un aspect de la hasbara : la promotion de jolies filles israéliennes très sexualisées aux traits « occidentaux », par opposition à une image de femmes palestiniennes à la peau foncée, toujours voilées, et victimisées par leur propre communauté.

    Dans cette « guerre de civilisation », il est indispensable de promouvoir l’image de femmes israéliennes belles et fortes, au look occidental et, à l’opposé, des femmes palestiniennes victimes des hommes palestiniens, faibles, voilées et à la peau plus sombre.

    Depuis longtemps Israël se promeut comme un pays moderne, où les femmes sont libres, contrairement aux affreux palestiniens (d’ailleurs supposés tous musulmans) qui asservissent les femmes. Et cette « liberté » israélienne dérive assez systématiquement sur une sexualisation et la promotion d’un mode de vie « libéré ». L’actrice de Wonderwoman en est un récent exemple, c’était plus ou moins moqué (à mon avis pas vraiment, le film valide tous les poncifs de la hasbara) dans le You don’t mess with the Zohan d’Adam Sandler :
    https://www.youtube.com/watch?v=rQkDdFdGPOs


    OSS 117 Rio ne répond plus était à peine plus subtile :
    https://www.youtube.com/watch?v=zTKn_7Yh6Hw

    Et récemment Bar Refaeli a repris du service pour la hasbara :
    https://www.youtube.com/watch?v=thpP25RxM-E

    Régulièrement on avait droit aux images de jolies femmes de l’armée israélienne, patrouillant en bikini avec un fusil-mitrailleur en bandoulière :
    https://www.quora.com/Why-are-there-girls-with-bikinis-that-have-guns-in-Israel

    De fait, quand surgissent des images de jeunes femmes palestiniennes, fortes, émancipées, et jolies, ça doit devenir un scandale : Gigi et Bella Hadid évidemment, récemment Rima Hassan, et avant elles Ahed Tamimi par exemple. À chaque fois, c’est immanquable, on a une campagne sioniste de délégitimation, au motif qu’elles seraient « trop belles » pour la hasbara, et ne collent pas à l’image qu’il convient de donner aux femmes palestiniennes. À chaque fois, on a des commentaires délirants extrêmement misogynes, expliquant qu’elles ne doivent la popularité de leurs positions politiques qu’au fait qu’elles sont belles, et que leurs supporters ne sont que des incels qui bavent devant leur écran.
    https://www.ladepeche.fr/2024/05/15/son-cerveau-est-malade-mais-elle-est-jolie-philippe-lellouche-accuse-de-mi
    Sur Quora, on pourra même se demander si Ahed Tamimi est réellement palestinienne :
    https://www.quora.com/If-Palestinians-are-brown-why-is-Ahed-Tamimi-blond-and-pale-skinned-Is-she-re
    et si c’est parce qu’elle est blonde aux yeux bleus qu’elle « attire l’attention internationale » :
    https://www.quora.com/Is-the-fact-that-the-Palestinian-girl-Ahed-Tamimi-is-blue-eyed-and-blonde-the

    Sur la Syrie, Rihan et Faïa Younan avaient été moquées, de la même façon, sur leur physique.
    https://www.youtube.com/watch?v=Dh1f2mJpRjc


    Rania Khalek a eu le même genre de commentaire. Quoi qu’on pense de ce qu’elles disent, c’est systématique : l’attaque porte sur leur physique, en suggérant lourdement que les gens (qui seraient donc uniquement des hommes) les écoutent uniquement par intérêt lubrique.

    L’image de jeunes femmes arabes jolies, fortes, non voilées, la peau claire, parfois avec les yeux bleus ou vert, rien que ça est déjà un outrage suprême pour la hasbara : ce ne sont pas seulement les positions politiques qu’elles tiennent qui posent problème ; c’est fondamentalement le fait qu’elles contredisent visuellement l’idée d’un choc de civilisations et de conflit racialisé.

    Selon cette logique, Bella Hadid ne peut pas promouvoir Adidas. Rima Hassan ne peut pas travailler pour L’Oréal… Il n’est pas question d’accepter que le public occidental associe beauté, branchitude, image de la modernité, à des femmes palestiniennes. Ça c’est l’image qui devrait être réservée aux Israéliennes.

    • Sawsan Chebli über den Gaza-Krieg : „Ich war eine stolze Deutsche“
      https://taz.de/Sawsan-Chebli-ueber-den-Gaza-Krieg/!6017664

      Voilà la jeune femme palestinienne que tu cherches. Elle fait scandale simplement parce qu’elle existe. C’est une dure, forcément.

      29.6.2024/Daniel Bax - Die in Berlin aufgewachsene Autorin und SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist palästinensischer Herkunft. Der Gaza-Krieg hat etwas in ihr zerbrochen.
      Sawsan Chebli

      Sawsan Chebli in Berlin Foto: Miriam Klingl

      Wir treffen uns in einem Café in der Nähe des Kurfürstendamms im Westen Berlins. Sawsan Chebli ist schon früh da und hat einen Kaffee bestellt. Sie hat eine Tasche dabei, deren schwarz-weißes Muster an eine Kufiya erinnert, das Palästinensertuch. Bei ihren öffentlichen Auftritten wird Chebli seit ihrer Zeit als Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei von Sicherheitskräften des Berliner Landeskriminalamts begleitet. Die Deutsch-Palästinenserin wird viel von Rechten angefeindet.

      wochentaz: Frau Chebli, wie geht es Ihnen angesichts des Kriegs in Gaza?

      Sawsan Chebli: Es fühlt sich wie ein Albtraum an, da geht es mir wie Zehntausenden Palästinensern, Arabern und Muslimen. Wir wachen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und immer öfter puren Hass. Es tut auch weh zu sehen, dass so viele Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen.

      Wie verfolgen Sie die Entwicklungen in Gaza? Über soziale Medien?

      Vor allem über US-amerikanische und britische Medien. Ich schaue auch, was die arabische Presse berichtet. Die deutschen Medien verfolge ich hauptsächlich, um die Debatte hier mitzubekommen.

      Wie empfinden Sie die deutsche Debatte?

      Ich denke mir oft: In welcher Parallelwelt leben wir in Deutschland eigentlich? Viele Nachrichten kommen hier schlicht nicht vor, vieles ist einseitig und verzerrt. Und natürlich verfolge ich auch soziale Medien. Viele Palästinenser aus Gaza, aber auch internationale Akteure mit großer Reichweite nutzen soziale Medien, um über die Lage in Gaza und in der Westbank zu berichten.

      Haben Sie durch den Krieg Freunde verloren?

      Es gibt Menschen, bei denen ich dachte, dass wir uns in der Achtung von universellen Menschenrechten einig sind und darüber, dass kein Leben mehr wert ist als das andere. Ich fürchte, ich habe mich getäuscht. Für jüdische Freunde, die nicht in der Lage waren, Empathie für das Leid der Menschen in Gaza zu empfinden, hatte ich zu Beginn Verständnis. Trotz meines eigenen Schmerzes konnte ich immer auch ihren Schmerz sehen. Bei einigen Leuten offenbart sich aber ein antipalästinensischer Rassismus, der mich wirklich erschüttert.

      Liegen die unterschiedlichen Sichtweisen auf diesen Krieg auch daran, dass man in unterschiedlichen me­dialen Welten lebt?

      Man muss schon sehr bewusst die Augen vor der Realität verschließen, um nicht zu sehen, dass das, was in Gaza und in der Westbank passiert, Verbrechen sind. Wer sehen will, der sieht das. Wer nicht sehen will, sieht nichts.

      Auch die Hamas hat schlimme Verbrechen verübt.

      Die habe ich sofort klar verurteilt und deutlich gemacht, dass sie durch nichts zu rechtfertigen sind. Wer aber heute, nach über 35.000 Toten, die meisten davon Kinder und Frauen, und all dem, was wir über die Kriegsführung und die Politiker in der israelischen Regierung wissen, immer noch blind Israel verteidigt und lediglich „aber Hamas“ sagt, mit dem teile ich keine gemeinsamen Werte.

      Ihre Eltern kamen als Flüchtlinge aus dem Libanon. Welchen Bezug haben Sie zur Heimat Ihrer Eltern?

      Ich habe mich schon immer stark mit der Heimat meiner Eltern verbunden gefühlt, meine palästinensische Identität ist sehr ausgeprägt. Ich habe einst Politikwissenschaften studiert, weil ich hoffte, für eine internationale Organisation in einem unabhängigen Staat Palästina zu arbeiten. Auf der anderen Seite habe ich mich immer sehr deutsch gefühlt und war stolze Deutsche. Ich habe das nie als einen Widerspruch empfunden.
      Sawsan Chebli

      Berlinerin

      Cheblis palästinensische Eltern flohen 1970 aus dem Libanon nach Berlin. 1978 wurde sie dort geboren und wuchs in den Arbeiterbezirken Moabit und Wedding auf.

      Politikerin und Autorin

      Von 2010 bis 2013 war Sawsan Chebli Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner Innenverwaltung. Danach wurde sie stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts. Von 2016 bis 2021 war sie als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei tätig. 2021 wollte sie für den Bundestag kandidieren, unterlag aber in einer parteiinternen Vorwahl dem Berliner Bürgermeister Michael Müller. 2023 veröffentlichte sie mit Miriam Stein das Buch „Laut. Warum Hatespeech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können“.

      Woher stammen Ihre Eltern?

      Meine Eltern stammen aus Orten, die in Israel liegen und die es heute nicht mehr gibt. Sie sind als Kinder mit ihren Eltern geflüchtet, sie gehören der klassischen Nakba-Generation an. Wie sehr viele Palästinenser, die 1948 aus ihrem Land geflohen sind oder vertrieben wurden, sind sie nie wieder an den Orten gewesen, in denen sie geboren wurden.

      Wo war das?

      Meine Mutter ist in der Nähe von Haifa geboren, mein Vater stammt aus einem Dorf in der Nähe von Safed. Den Eltern meiner Mutter ging es relativ gut. Nach 1948 haben sie alles verloren. Sie hatten immer die Hoffnung, zurückzukehren. Doch dann wurden aus Tagen Wochen, aus Wochen Monate, aus Monaten zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre haben sie in Flüchtlingslagern im Libanon gelebt – bis mein Vater beschloss, den Libanon zu verlassen, weil es politisch zu gefährlich wurde und er uns Kindern ein Leben mit Zukunft ermöglichen wollte.

      Waren Sie schon mal in Israel?

      Ja, oft. Ich war auch an den Geburts­orten meiner Eltern. Das war intensiv, es fühlte sich wie Heimat an. Ich hatte immer den Wunsch, meinen Vater einmal dorthin mitzunehmen, aber er ist leider vorher gestorben. Auch meine Mutter würde gern an ihre Geburtsstätte zurückkehren, aber sie ist leider körperlich zu angeschlagen.

      Wie alt waren Ihre Eltern, als sie fliehen mussten?

      Das genaue Alter ist unbekannt, sie waren Kinder, aber alt genug, um sich an die Flucht beziehungsweise Vertreibung zu erinnern. Mein Vater redete nie darüber. Auch meine Mutter tut sich bis heute schwer, über ihre Flucht und ihre Kindheit zu sprechen.

      Sie sind als Kind von Flüchtlingen in Berlin aufgewachsen. Wie hat Sie das geprägt?

      Es hat mein ganzes Leben bestimmt. Meinen Gang in die Politik, mein Interesse für internationale Beziehungen, mein Engagement für Menschen, deren Stimme weniger hörbar ist, mein Lautsein, wenn ich Unrecht sehe. Ich bin als zwölftes von dreizehn Kindern aufgewachsen. Unsere Familie war fünfzehn Jahre staatenlos, wir wurden nicht als Flüchtlinge anerkannt. Mein Vater wurde zweimal abgeschoben. Ohne all das wäre ich nicht die Sawsan Chebli, die ich heute bin.

      Sie mussten sich durchbeißen.

      Es hat sich wie ein Dauerkampf angefühlt – ums Überleben, ums Dableiben, um Zugehörigkeit, um Anerkennung. Ohne ein gutes Elternhaus und vernünftige Freunde hätte ich es nicht geschafft. Ich hatte auch das Glück, gute Lehrer zu haben, die an mich glaubten, denn als ich in die erste Klasse gekommen bin, habe ich kaum Deutsch gesprochen. Aber ich weiß, wie wenig selbstverständlich Biografien wie meine in Deutschland sind. Zu viele Kinder haben überhaupt keine Chance, in diesem Land aufzusteigen, wenn ihre Eltern arm sind und über zu wenig akademische Bildung verfügen.

      Hat Ihr Ehrgeiz den Ausschlag gegeben?

      Hätte ich Lehrer gehabt, die der Meinung gewesen wären, dass Leute wie ich nichts auf dem Gymnasium zu suchen haben, oder Eltern, die mit Bildung nichts anfangen können, hätte ich weder Abitur gemacht noch studiert. Obwohl meine beiden Eltern der deutschen Sprache nicht mächtig waren und weder schreiben noch lesen konnten, hatten sie das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, sich zu bilden, um etwas zu erreichen.

      Die Schule allein war es nicht.

      Nein. Das politische System ist nicht dafür geschaffen, Menschen mit meiner Biografie den Aufstieg zu erleichtern. Deswegen sage ich immer, ich habe es trotz des Systems geschafft. Ich hatte eine liebevolle und bildungsbewusste Familie, tolle Lehrer, ein gutes soziales Umfeld und Ehrgeiz. Aber davon darf die Zukunft unserer Kinder in Deutschland nicht abhängen.

      Deswegen sind Sie Sozialdemokratin geworden?

      Ja. Es war das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen, das mich SPD-Mitglied werden ließ.

      Wie geht es Ihnen jetzt mit der Partei?

      Keine Wahl ist mir bisher so schwergefallen wie die letzte Europawahl, vor allem wegen der Haltung der SPD zu Gaza. Ich kenne so viele Menschen, die sonst immer die SPD gewählt haben, ihr dieses Mal aber die Stimme verweigert haben. Die SPD täte aus moralischen und realpolitischen Gründen gut daran, dies nicht einfach zu ignorieren.

      Sie kommentieren relativ viel auf Social Media. Hat der Hass im Netz seit dem 7. Oktober zugenommen?

      Mit Sexismus und antimuslimischem Rassismus war ich vorher schon jeden Tag konfrontiert. Seit dem 7. Oktober hat der Hass auf Palästinenser aber eine völlig neue Dimension angenommen. In den Hassmails wird explizit meine palästinensische Identität adressiert. Mir wird Gewalt angedroht – dass man mit mir das Gleiche machen wolle, was das israelische Militär mit den Menschen in Gaza macht, und vieles mehr. Das gab es in dieser Brutalität vorher nicht.

      Wie halten Sie diesen Hass aus?

      Ich habe gelernt, den Hass nicht allzu sehr an mich heranzulassen. Diese Leute haben ein ganz bestimmtes Ziel: Sie wollen mich zum Schweigen bringen. Heißt das, dass Hass und Drohmails immer an mir abprallen? Nein, es gibt Tage, da trifft es mich mehr als an anderen. Am meisten treffen mich der Hass und die Hetze gegen mich als Palästinenserin.

      Warum?

      Weil es das Gefühl verstärkt, dass palästinensisches Leben in diesem Land weniger wert zu sein scheint. Dieser Rassismus wird ja auch viel mehr hingenommen und ist akzeptierter.

      Sie selbst teilen in den sozialen Medien auch aus: Dieter Nuhr haben Sie mal „dumm und uninformiert“ genannt …

      Ich habe gesagt, dass das, was er sagt, dumm und uninformiert ist – das ist ein Unterschied. Und unabhängig davon, ob ich zugespitzt formuliere oder, wie Sie sagen, „austeile“: Für Hass und Hetze gibt es keine Rechtfertigung.

      Haben Sie Ihr Verhalten im Netz verändert?

      Ich twittere weniger, sondern nutze die sozialen Medien heute eher zur Informationsvermittlung und als Informationsquelle. Ich diskutiere nicht mehr so, wie ich das am Anfang gemacht habe.

      Viele greifen Sie aufgrund Ihrer Religion an.

      wochentaz

      Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

      Ich werde als Frau, als Migrantin, als Flüchtlingskind, als Palästinenserin und als Muslimin angegriffen. Muslimfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus sind in Deutschland weit verbreitet – nicht nur bei Rechten. Jede zweite Person in Deutschland stimmt antimuslimischen Aussagen zu. Antimuslimische Straftaten haben stark zugenommen, Muslime gehören mehreren Studien zufolge zu den am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland. In diesem Klima überrascht es nicht, dass ich als sichtbare Muslimin angefeindet und bedroht werde. Leider bleibt der Aufschrei meist aus, wenn Muslime angegriffen werden. Medien berichten kaum darüber, und die Politik bleibt oft sprach- und tatenlos.

      Sie haben sich als Staatssekretärin des Berliner Senats gegen Antisemitismus eingesetzt. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 haben Sie zu einer Mahnwache aufgerufen, zu der auch Angela Merkel erschien. Trotzdem wird Ihnen Misstrauen entgegengebracht.

      Dieses Misstrauen gab es auch schon vorher. Das ändert nichts daran, dass ich mich immer gegen Antisemitismus einsetzen werde, genauso wie gegen Rassismus. Das ist für mich eine Frage der Haltung. Aber ich finde es sehr problematisch, wenn einem das Eintreten gegen Antisemitismus nur dann abgenommen wird, wenn man sich von seiner palästinensischen Identität distanziert und sich mit Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza zurückhält.

      Ist das so?

      Wir erleben, dass der Antisemitismusbegriff zunehmend entgrenzt und instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu unterbinden. Das schadet dem Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen dringend zu einer sachlichen Verwendung des Begriffs zurück. Im Moment wird selbst Wissenschaftlern, die zu Antisemitismus forschen und für eine differenzierte Sichtweise plädieren, unterstellt, sie würden Antisemitismus nicht ernst nehmen – nur weil sie darauf dringen, Kritik an staatlichem Handeln nicht mit der Hetze gegen eine verletzliche Minderheit gleichzusetzen.

      Als Jugendliche haben Sie selbst Juden mit Israelis gleichgesetzt, Wut auf sie empfunden und sie für das Leid Ihrer Familie verantwortlich gemacht. So haben Sie es vor einem Jahr in einem Interview erzählt.

      Ich bin dankbar dafür, dass ich jüdische Menschen kennenlernen durfte, die mir einen anderen Blick auf das Thema gegeben haben. Abertausende Juden gehen gerade weltweit mit Palästinensern, Arabern und Muslimen auf die Straße, um gegen den Krieg und die Besatzung zu demonstrieren. Auch in Israel gehen Juden und Palästinenser gemeinsam auf die Straße. Wir müssen alles tun, um diese Allianzen zu schützen und stärken.

      Wären Sie noch stellvertretende Pressesprecherin des Auswärtigen Amts oder Staatssekretärin in Berlin, dann müssten Sie sich mit öffentlichen Äußerungen zu Gaza sicher stärker zurückhalten.

      Vor allem als Sprecherin wäre ich heute in einer sehr schwierigen Lage.

      War es nicht gut im Auswärtigen Amt?

      Die Zeit im Auswärtigen Amt war mit die intensivste Zeit meines Lebens. Ich habe viel gelernt und weltweite Krisen wie die Annexion der Krim, den Brexit, den Wahlsieg von Trump, die Flüchtlingskrise als stellvertretende Sprecherin hautnah miterlebt. Politik so nah zu erleben und mitprägen zu können, und das mit meinem Hintergrund – das war etwas Besonderes.

      Sie sind jetzt hauptsächlich als Autorin und Speakerin unterwegs. Wollen Sie in die Politik zurückkehren?

      Ich bin mit 21 Jahren in die SPD eingetreten, heute bin ich 45 Jahre. Politik ist Teil meines Lebens, das kann man nicht einfach so wegwischen. Wohin mich das die nächsten Jahre führen wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Politik ist meine Leidenschaft, und das wird immer so sein. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, Politik zu machen, als in einer politischen Partei aktiv zu sein.

      Wollen Sie in Deutschland bleiben?

      Es gibt in der Tat viele Menschen, die sich diese Frage stellen und mit dem Gedanken spielen, das Land zu verlassen. Auch ich stelle mir diese Frage. Zumindest habe ich noch nie so stark an meinem Deutschsein, an meiner Heimat und an der Frage, ob mich dieses Land will, gezweifelt wie jetzt. Mein Deutschsein hat schon durch Sarrazin, die NSU-Affäre, die Islam-Debatten und den Anschlag von Hanau immer wieder Schrammen bekommen. Inzwischen ist aus einer Schürfwunde eine tiefere Verletzung geworden.

      Was hat die deutsche Politik falsch gemacht­?

      Es fehlt an aufrichtigem Interesse, an Gesprächen auf Augenhöhe und auch an Achtung von religiöser Vielfalt jenseits von Sonntagsreden. Da ist das kollektive Wegsehen bei antimuslimischem Rassismus und die entmenschlichende Art, wie die Politik über Migration spricht. In der muslimischen und arabischen Community ist viel Vertrauen verloren gegangen. Ich habe mit jungen Leuten geredet, die politisch engagiert waren und die jetzt sagen: Ich will mit dieser Politik nichts mehr zu tun haben. Da wächst eine Generation heran, die sich abwendet, sich nicht gesehen fühlt und verletzt ist. Der Umgang der Politik mit Gaza, die Doppelmoral der deutschen Nahostpolitik und die fehlende Empathie mit dem Leid der Palästinenser haben das Gefühl des Nichtdazugehörens noch einmal um ein Vielfaches verstärkt. Viele sind zudem zutiefst verunsichert und haben Angst.

      Auf der Straße sieht man zugleich so viele Palästinensertücher wie nie.

      Da, wo Menschen das Gefühl haben, etwas unterdrücken zu müssen, entsteht das Gegenteil – da entsteht Widerstand gegen empfundenes Unrecht. Es hat eine starke Renationalisierung stattgefunden. Ein Vater hat mir gesagt, dass seine Kinder, deren Mutter Deutsche ist, vorher nichts mit Palästina am Hut hatten. Jetzt tragen die Kinder das palästinensische Tuch, hören palästinensische Musik, befassen sich mit palästinensischer Dichtung und wollen mehr über ihre palästinensischen Wurzeln und das Land ihrer Eltern und Großeltern wissen.

      Ist das bei Ihnen auch so?

      Nein, weil ich diese Verbindung schon immer hatte. Was leider aber auch stimmt, ist, dass ich mich noch nie so einsam, so verdächtigt und unerwünscht gefühlt habe. Es ist mir noch nie so schwergefallen, mich als Deutsche zu fühlen.

  • Veranstaltung zur RAF in Kreuzberg : Daniela Klette grüßt den Untergrund
    https://taz.de/Veranstaltung-zur-RAF-in-Kreuzberg/!6020913

    Le journal TAZ est l’un des rares journaux avec sa propre rédaction locale. Parfois on y lit des reportages sur la gauche historique à Berlin. Ce weekend son reporter a assisté à une rencontre avec des anciens militants de la lutte anticapitaliste armée clandestine.

    14.7.2024 von Erik Peter - Bei einer Podiumsdiskussion über den „bewaffneten Kampf“ wird ein Brief von Daniela Klette verlesen. Ihr Anwalt weist einen Anklagepunkt zurück.
    Auf einer Matratze an einem Kanal steht: „Viel Kraft Daniela und viel Glück Burkhard & Volker“

    Solidarität für das RAF-Trio Foto: dpa

    BERLIN taz | Es sind innige Umarmungen, mit denen sich viele Be­su­che­r:in­nen im Kreuzberger Biergarten Jockel begrüßen. Man hat sich wohl lange nicht gesehen. Zu den besonders Geherzten gehören die beiden Podiumsgäste Karl-Heinz Dellwo, einst Mitglied der RAF, und Ralf Reinders, ehemals aktiv in der Bewegung 2. Juni. Viele der etwa 150 Be­su­che­r:in­nen der Diskussion über die „Geschichte des bewaffneten Kampfes“ an diesem Freitagabend sind ebenso in die Jahre gekommen wie die beiden einstigen Terroristen oder, in diesen Kreisen, „Mitglieder der Stadtguerilla“.

    Es ist die Abschlussveranstaltung einer anarchistischen Reihe unter dem Titel „Gezeiten der Revolte“, die sich mit grundlegend antagonistischen Perspektiven auf Macht und Gesellschaft beschäftigt hat. Nach der Festnahme der einstigen RAF-Kämpferin Daniela Klette Ende Februar und durch die anhaltende Suche nach ihren früheren Mitstreitern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub hat das Thema eine ungeahnte Aktualität bekommen.

    Auf dem Podium in dem voll besetzten Saal sitzt dann mit Lukas Theune auch einer der drei Rechtsanwälte von Klette. Zunächst aber verliest Moderator Sebastian Lotzer, Autor und einstiger Autonomer, ein Grußwort von einigen der untergetauchten Antifaschist:innen, die aufgrund ihrer mutmaßlichen Beteiligung an Angriffen auf Neonazis in Budapest gesucht werden. Sie schreiben, anders als zu Zeiten der Stadtguerilla, in denen der Gang in die Illegalität „kein rein defensiver“ war, habe ihnen die „staatliche Repression aufgezwungen, Glück und Freiheit in der Illegalität zu suchen“.

    Verlesen wird von einer Genossin auch ein Brief der in der JVA Vechta inhaftierten Klette, in dem sie die „von deutschen Politikern propagierte Kriegsertüchtigung der Gesellschaft“ geißelt. Über sich selbst schreibt Klette, sie habe sich ihre Festnahme und die Bedingungen im Gefängnis anders vorgestellt, spricht von Fußfesseln, verbundenen Augen und Drohungen über Einsatz der Schusswaffe.

    Ihre Verhaftung sei von „tagelanger Hetze und aufgeputschter Stimmung“ begleitet gewesen. Berichte über Sprengstoff in ihrer Wohnung, der eine Gefahr für die anderen Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses dargestellt hätte, seien „eine Lüge“. Vergangene Woche hatten die Ermittler erstmals Bilder des Waffenarsenals gezeigt, das bei Klette gefunden wurde, darunter eine nicht funktionstüchtige Panzer-Abwehrrakete und ein Uralt-Maschinengewehr.
    Zweifel an der Anklage

    Rechtsanwalt Theune sprach von einer „Propagandashow“ um seine Mandantin, die die ersten zwei Monate in einer dauerhaft videoüberwachten Zelle, isoliert von den anderen Gefangenen, gehalten wurde. Inzwischen hätten sich die Bedingungen in der JVA verbessert.

    Gleichwohl kritisierte er die Vorwürfe gegen Klette, insbesondere in Bezug auf das Verfahren wegen acht Raubüberfällen, bei denen es in einem Fall zu einer Schussabgabe auf ein gepanzertes Fahrzeug gekommen war. „Die Grundlüge des Verfahrens ist versuchter Mord“, so Theune. Dagegen sei offensichtlich: „Da sollte niemand zu Schaden kommen.“

    Dellwo, der für seine Beteiligung an einer Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm mit zwei Toten 18 Jahre hinter Gittern saß, führte die Notwendigkeit für Linke aus, sich außerhalb des Systems zu stellen. Eine Antwort darauf, was heutige Linke nun lernen könnten aus den bewaffneten Kämpfen von einst, blieb aber aus. Einen Spontanapplaus des andächtig lauschenden Publikums erhielt Reinders für sein Lob für Klette, Garweg und Staub: „30 Jahre in der Illegalität durchzuhalten ist eine wahnsinnige Leistung.“

    #Allemagne #politique #RAF #guerilla #répression

  • Loophole geschlossen: Eines der letzten Schlupflöcher
    https://taz.de/Loophole-geschlossen/!6019256


    Ein Bild aus besseren Zeiten: das Team des Loophole Foto: Adrian Bang

    https://www.openstreetmap.org/node/5838965221

    8.7.2024 von Fabian Schroer - Der alternative Kulturraum Loophole in Neukölln ist geschlossen, zumindest vorerst. Vorausgegangen waren wiederholte Beschwerden von Anwohner*innen.
    Gruppenbild im Inneren des Loophole

    Noch sieht es in der Boddinstraße 60 aus wie immer. Die mit Graffiti bemalten Rollläden des kleinen Ladens hängen schief in den Schienen. Auf den bunten Wänden kleben mehrere Schichten politischer Plakate und Infos zu Kulturveranstaltungen. Im Eingang liegt etwas Papiermüll. In einer Ecke steht, fast unscheinbar, in schwarzer Heavy-Metal-Schrift das Wort „Loophole“ geschrieben.

    Das Loophole schließt, zumindest vorerst. Am vergangenen Donnerstag hatte das Team des alternativen Neuköllner Kreativraums auf seiner Instagram-Page verkündet, dass es nun vorbei sei – nach über 15 Jahren mit Konzerten, Performances und Partys. Das Loophole gehörte zu der Sorte von Orten, wie man sie in Berlin nur noch selten findet.

    In drei staubigen Räumen bekam alles eine Bühne geboten, was nicht in den Mainstream passte – von Punk-Konzerten über Free-Jazz, Veranstaltungen des Berlin Stripper Collectives bis hin zum Filmfestival Boddinale, dem Kontrastprogramm zur Berlinale. Besonders neue Be­su­che­r*in­nen staunten über die übergroße Pantomimen-Maske an der Tür zur Tanzfläche, die kunstvoll gestalteten Wände oder das glitzernde Relief aus Spielzeug über der Bar.

    Das Ende kam nun abrupt. Mitbegründer Jan Gryczan ist Teil des Kollektivs, welches das Loop­­hole betreibt. Er schildert, wie bei einem Konzert am Mittwoch unerwartet Polizei und Ordnungsamt erschienen seien und die Veranstaltung abbrachen. „Das Team hat das als sehr einschüchternd empfunden, wir wollen ja eigentlich ein Safespace sein“, sagt er.

    Alle kommenden Veranstaltungen abgesagt

    Die Beamten hätten Team- und Bandmitglieder festgesetzt, Personalien aufgenommen und schließlich die Räume versiegelt. Sie dürften erst wieder betreten werden, wenn alle kommenden Veranstaltungen abgesagt seien. Auf eine Anfrage der taz reagierte das Ordnungsamt Neukölln bisher nicht.

    Grund für die Probleme seien laut Gryczan vor allem immer wieder Lärmbeschwerden von Nachbar*innen. Wer regelmäßig im Loophole war, weiß, dass man gerne mal vom Balkon aus einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet bekam, wenn man rauchend auf dem Gehsteig stand. Auch Beleidigungen und Vandalismus habe es laut den Betreibenden gegeben. Das Kollektiv habe sich zwar immer um Dialog bemüht, doch der sei mit der Zeit unmöglich geworden.

    Gryzan weiß, wovon er spricht, wenn es um den Verlust von Kulturorten in Berlin geht – mit dem LA54 in Berlin-Friedrichshain und dem Eigenreich in Prenzlauer Berg war er bereits an mehreren beteiligt. „Im Loophole haben wir die Probleme bisher immer überwunden und konnten weiterkämpfen, aber dieses Mal sieht es wirklich arg aus.“

    Mit dem Loophole würde Neukölln nicht nur einen seiner beliebtesten Underground-Veranstaltungsorte verlieren, sondern gleichzeitig einen seiner solidarischsten. An den manchmal bis zum Bersten vollen Abenden kamen Menschen verschiedenster Couleur miteinander ins Gespräch, auch die queere Community fühlte sich hier zu Hause. Das ehrenamtliche Team legt großen Wert auf Inklusion, Entscheidungen werden hierarchiefrei getroffen, Eintritts- und Getränkepreise waren moderat.

    Erhebliche Kosten für die Betreibenden

    Gerade daher führt das Nutzungsverbot nun zu erheblichen Herausforderungen für die Betreibenden. Die mehr als 3.000 Euro Miete plus laufende Kosten fallen weiterhin an, der Mietvertrag ist auf fünf Jahre vereinbart, rund 75 Veranstaltungen bis zum Jahresende müssen abgesagt werden.

    Doch etwas Hoffnung gibt es noch. Das Loophole versucht einen Weg zu finden, die Räume an der Boddinstraße wieder öffnen zu können, diesmal dann ohne Konzerte. Auf seiner Website hat das Kollektiv eine Crowdfunding-Kampagne eingerichtet, um die entstehenden Kosten zu decken, und eine Petition gestartet, um Verantwortliche bei Stadt und Behörden aufmerksam zu machen. Langfristig wird ein neuer Ort gesucht, an dem es weniger Probleme gibt. Dafür hofft das Kollektiv auf Hinweise und vor allem auf öffentliche Unterstützung.

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    #,Berlin #Boddinstraße #Neukölln #nightclub

  • Petition der Omas gegen Rechts : AfD verliert Konto
    https://taz.de/Petition-der-Omas-gegen-Rechts/!6018131


    Oma Bettina Kern und Bank-Vorstand Carsten Jung

    Un groupe de citoyennes organise la fermeture du compte en banque du parti d’extrême droite AfD. On est tenté d’applaudir. Pour une fois ça se passe en public, la cible du debanking ne sont pas des militants de gauche et le groupe de pression n’est pas composé d’administrations sous influence de la droite politique. C’est une action symbolique contre un parti dont la présidente est une gestionnaire de fortunes suisse. Ses camarades ont sans doute déjà préparé une solution altenative. Quand même, bien joué les « mamies contre la droite ».

    Les banque populaires dont fait partie la Berliner Volksbank sont des banques associatives sous contrôle de leurs membres.

    3.7.2024 von Die Berliner Volksbank kündigt nach einer Kampagne das Konto der Bundes-AfD. Überweisungen an die Partei sind derzeit nicht möglich.

    Oma Bettina Kern beim Treffen mit Volksbank-Vorstand Carsten Jung Foto: Omas gegen Rechts

    BERLIN taz | Die Bundes-AfD hat ihr Konto bei der Berliner Volksbank verloren. Das teilten die Omas gegen Rechts am Mittwoch nach einem Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bank, Carsten Jung, mit. Die antifaschistischen Se­nio­r:in­nen hatten vor zwei Monaten eine Petition auf der Online-Plattform innn.it initiiert und nun mehr als 33.500 Unterschriften für die Beendigung der Geschäftsbeziehungen übergeben.

    Die Bank selbst wollte den Schritt mit Hinweis auf das Bankgeheimnis nicht bestätigen, so Gregor Hackmack, Vorstand von innn.it, der an dem Treffen zusammen mit der Petitionsinitiatorin Betina Kern teilgenommen hatte. Doch auf die Frage, ob das Spendenkonto gekündigt sei, hätten sie die Antwort bekommen: „Schauen Sie mal auf die AfD-Seite.“

    Tatsächlich ist die Möglichkeit einer Spende per Überweisung an das Konto bei der Berliner Volksbank von der Website der AfD verschwunden. Übrig sind nur noch die Möglichkeiten der Spende von Wahlplakaten, per Lastschrift und Paypal. Zudem sei, so Hackmack, das Statement der Omas gegen Rechts, das den „Erfolg“ feiert, mit der Öffentlichkeitsabteilung der Bank abgestimmt worden.

    Anfang Mai hatten die Omas ihre Kampagne mit einer Kundgebung vor der Berliner Volksbank in Wilmersdorf eingeleitet und darauf verwiesen, dass andere Volksbanken etwa im bayerischen Dachau oder in Mittelhessen Konten der Partei bereits gekündigt hätten.
    Haltung muss Handlung folgen

    Hackmack begründete die Initiative damit, dass die AfD „außerhalb der Verfassungsordnung“ stehe. Anlass der Aktion sei gewesen, dass sich die Berliner Volksbank im Zuge der Demokratieproteste im Frühjahr klar positioniert hatte. In einem Instagram-Post mit dem Hashtag „NieWiederIstJetzt“ hieß es: „Deutschland steht auf und auch wir beziehen klar Position: für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, für Grundrechte, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.“

    Es sei darum gegangen, die Bank an ihre „Werte“ zu erinnern, so Hackmack. Der Schritt der Volksbank könne nun „ein Beispiel für andere Banken sein“, etwa für die Berliner Sparkasse, die das Konto des Berliner Landesverbandes der Partei führt.

    #Allemagne #AfD #extrème_droite #debanking

  • Berliner Straßenumbenennung: Weg mit den kolonialen Spuren
    https://taz.de/Berliner-Strassenumbenennung/!5980172


    König Jean-Yves Eboumbou Douala Bell aus Kamerun und Ehefrau bei der feierlichen Umbenennung des „Nachtigalplatzes“ vor einem Jahr Foto: Stefan Boness

    Wo ein Wille Zeitgeist ist, ist auch ein Weg ohne Argument. Tja. Dem Nawi isses egal, und das Gummitier kann nichts dafür.

    19.12.2023 von Ulrike Wagener - taz-Serie „Was macht eigentlich …“: In Berlin sollen Straßen mit antisemitischen, rassistischen oder kolonialen Bezügen umbenannt werden.

    BERLIN taz | Die kalte Wintersonne scheint auf die roten Farb­reste auf dem Straßenschild, Überbleibsel einer symbolischen Umbenennung. Auf Googlemaps ist die Petersallee im Wedding schon umbenannt – zumindest teilweise: Jeweils ein Straßenabschnitt heißt hier Anna-Mugunda- und Maji-Maji-Allee. Über einen dritten Abschnitt muss noch gerichtlich entschieden werden, ein Antrag auf Zulassung der Berufung dagegen ist noch anhängig. Das ist auch der Grund, warum die Realität im Afrikanischen Viertel auch fünf Jahre, nachdem der Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung sich auf eine Umbenennung der Straße verständigt hat, noch anders aussieht: Noch immer steht Petersallee auf den Schildern.

    Tahir Della ist Vorstandsvorsitzender von Decolonize Berlin und schaut auf das Straßenschild, auf dem der Name des Mannes prangt, der als Begründer der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ gilt: Carl Peters. „Aus pragmatischen Gründen wartet das Bezirksamt mit der Umbenennung der gesamten Straße, bis das Gericht über die Klage entschieden hat“, erklärt er. Das Berliner Straßengesetz erlaubt Umbenennungen von Straßen, die nach Wegbereitern des NS-Regimes, der DDR oder von Kolonialismus und Sklaverei benannt sind oder nach in diesem Zusammenhang stehenden Orten, Symbolen oder Begriffen.

    Für Della ist diese Praxis Teil der Dekolonisierung. Decolonize Berlin entwickelt daher ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept zur Geschichte und zu den Folgen des Kolonialismus in Berlin. Ob sich in diesem Bereich mit der neuen Landesregierung etwas geändert hat? „Das wird sich noch zeigen, insbesondere daran, wie sich die finanzielle Unterfütterung gestaltet“, sagt Della. Er fordert die politischen Verantwortlichen auf, das Thema ernst zu nehmen, das sei nichts, was man schnell abhaken kann.

    Für Kultursenator Joe Chiallo (CDU) ist die Sache klar: „Wenn wir uns mit dem Thema der Kolonialgeschichte auseinandersetzen, muss dies immer im Dialog mit Nachfahren der Opfer der Kolonialherrschaft, der Zivilgesellschaft und den politischen Akteuren vor Ort geschehen“, sagt er zur taz. Umbenennungen von Straßen hält er aber nicht pauschal für das Mittel der Wahl. Zwar gebe es Fälle, „wo der Namensgeber dermaßen belastet ist“, dass es gar nicht anders gehe als mit einer Umbenennung, wie etwa bei der Petersallee. „In anderen Fällen mag eine Markierung im Stadtraum besser sein, die eine Kontextualisierung herstellt, aufklärt, vermittelt. Beispiel: Die Mohrenstraße – das ist für mich eine ‚Erinnerungsstraße‘“, sagt Chiallo. Damit vertritt er eine andere Meinung als das zuständige Bezirksamt.
    Das Afrikanische Viertel

    In Berlin wird über die Umbenennung von Straßen mit kolonial-rassistischen Bezügen schon seit langem hitzig gestritten. Dekoloniale und antirassistische Gruppen setzen sich seit rund 40 Jahren für eine Umbenennung von Straßen im Afrikanischen Viertel ein. 2018 dann wurden vier neue Straßennamen beschlossen. Doch seitens der An­woh­ne­r*in­nen gab es Proteste, 200 Gewerbetreibende legten Widerspruch dagegen ein.

    Vor rund einem Jahr dann wurden zwei Straßen feierlich umbenannt. Statt der Männer, die im 19. Jahrhundert mit Gewalt und Betrug deutsche Kolonien im heutigen Namibia (Adolf Lüderitz) sowie Kamerun und Togo (Gustav Nachtigal) „gründeten“, erinnern die Straßen heute an Cornelius Fredericks und Rudolf Duala Manga Bell. Fredericks war im militärischen Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft in „Deutsch-Südwestafrika“ aktiv und wurde während des Genozids in einem Konzentrationslager nahe der Stadt Lüderitz – die immer noch so heißt – ermordet. König Rudolf Duala Manga Bell aus dem heutigen Kamerun hatte Petitionen gegen die Vertreibung der Duala geschrieben und wurde 1914 von den Deutschen gehängt.

    Die Petersallee wurde 1986 zwar „umgewidmet“, trotzdem verbinden die wenigsten mit ihr den Berliner Stadtrat Hans Peters (CDU). Zumal die Umwidmung nie rechtskräftig geworden ist. Der ursprüngliche Namensgeber Carl Peters hatte die deutsche Kolonisierung von Ostafrika, heute Tansania (ohne Sansibar), Burundi und Ruanda, gewaltsam vorangetrieben und dabei zahlreiche Menschen ermorden lassen.

    Wann die Umbenennung in Anna Mugunda, die in Namibia gegen die Apartheid kämpfte und Maji-Maji (Swahili für Wasser), dem Schlachtruf, nach dem die Widerstandsbewegung gegen den Kolonialismus in Tansania benannt ist, umgesetzt werden kann, ist noch unklar. Laut dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sei derzeit nicht absehbar, wann über diesen Antrag entschieden wird.

    „Häufig werden diese Straßenumbenennungen als Maßnahme betrachtet, sich einer Geschichte zu entledigen. Doch das kann nur ein Startpunkt sein, um sich als Zivilgesellschaft mit den kolonialen Prägungen der Stadt zu beschäftigen“, sagt Tahir Della von Decolonize Berlin der taz. Die Umbenennungen sollten einen Perspektivwechsel einleiten, der nicht die kolonialen Verbrecher ehre, sondern jene, die sich schon damals gegen Unterdrückung und Rassismus stellten. „Seitens der Menschen, die die alten Straßennamen behalten wollen, wird immer versucht zu relativieren. Ein Gustav Nachtigal wird dann als harmloser Afrikaforscher bezeichnet, statt als Wegbereiter des Kolonialismus“, kritisiert Della.
    Der Nettelbeckplatz

    Dies lässt sich auch an anderer Stelle beobachten. Rund vier Kilometer entfernt vom Afrikanischen Viertel liegt der Nettelbeckplatz. Joachim Christian Nettelbeck war im 18. Jahrhundert als junger Seemann aktiv am Versklavungshandel beteiligt und betrieb Koloniallobbyismus. Nach dem Berliner Straßengesetz ein klarer Fall. Doch unter den Vorschlägen für Straßennamen findet sich online mehrfach der alte Name wieder. Die Begründung: Nettelbeck habe sich später vom Sklavenhandel distanziert. Dabei hatte er lediglich geschrieben, dass er selbst keine Grausamkeiten verübt hätte. Und: „Vor 50 Jahren war und galt dieser böse Menschenhandel als ein Gewerbe wie andere.“

    Auch hier verzögert sich zurzeit das Umbenennungsverfahren. Laut Bezirksamt Mitte liegt das an der aktuell verhängten Haushaltssperre. Eigentlich soll ein Gremium aus den eingegangenen Vorschlägen drei Namen auswählen und dem Ausschuss für Weiterbildung und Kultur der Bezirksverordnetenversammlung vorschlagen, der dann einen neuen Namen beschließen kann. „Voraussichtlich kann das Gremium zu Beginn des kommenden Jahres tagen“, so ein Sprecher zur taz. Dieses Gremium wähle dann aus den eingegangenen Vorschlägen drei Namen aus und schlage sie dem Ausschuss für Weiterbildung und Kultur der Bezirksverordnetenversammlung vor, dieser könne dann einen Beschluss vornehmen. Da der Platz keine Adresse ist, ist ein Widerspruch oder eine Klage in diesem Fall unzulässig. Dazu sind nur An­woh­ne­r*in­nen berechtigt.
    Die M*Stra­ße

    Auch die 2021 beschlossene Umbenennung der Mohrenstraße in Mitte konnte noch nicht umgesetzt werden. Zwar hatte das Verwaltungsgericht im Juli die Klagen von Anwohnern abgewiesen. Nun ist – wie bei der Petersallee – ein Antrag auf Zulassung der Berufung anhängig. Auch hier sei nicht absehbar, wann über den Antrag entschieden werde, heißt es vom Gericht. Die Ausgangslage ist hier eine etwas andere, weil es nicht um eine konkrete Person geht, sondern um den rassistischen Begriff Mohr, folgend mit M* abgekürzt.

    „Zahlreiche Untersuchungen, auch unseres Instituts, zeigen, dass die wahrscheinlich 1706 erfolgte Namensgebung ‚M*straße‘ in die Zeit der brandenburgisch-preußischen Kolonialunternehmungen sowie in die damit verflochtene, gewaltvolle Geschichte des Sklavenhandels zurückreicht“, heißt es in einem Offenen Brief der Nachbarschaftsinitiative Anton Wilhelm Amo-Straße. Die Initiative geht vom Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität aus, das in der Straße ansässig ist. Künftig soll die Straße nach dem Schwarzen deutschen Philosophen Anton Wilhelm Amo benannt werden, der als Kind aus dem heutigen Ghana verschleppt und 1707 von der holländischen Ostindien-Kompanie dem Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel „geschenkt“ wurde, wo er als Kammerm* dienen musste.

    Der Historiker Götz Aly bezeichnet die geplante Umbenennung als „Geschichtsfrevel“: „Straßen hat man nicht in herabsetzender Absicht benannt“, sagt er der taz. Aly hatte in der Berliner Zeitung zum Widerspruch gegen die Umbenennung aufgerufen, mehr als 1.000 gingen daraufhin beim Bezirksamt ein – davon allerdings nur 30 von Anwohner*innen. Sieben von ihnen zogen vor Gericht, der Einfachheit halber wird Alys Klage als Musterklage verwendet, die im Juli dieses Jahres abgewiesen wurde. Da die Berufung aufschiebende Wirkung hat, konnte die Straße noch nicht umbenannt werden.

    Für Tahir Della spielt die Intention der Benennung keine entscheidende Rolle. Für ihn ist vielmehr der Ist-Zustand relevant. „Und heute gilt der Begriff M* als rassistisch“, sagt er. Götz Aly hatte sich nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eigentlich nicht mehr an der Debatte beteiligen wollen. Doch angesichts der Lage in Nahost hat er seine Meinung geändert: „Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich sehr deutlich herausgestellt, wie stark einzelne Decolonize-Initiativen antisemitisch unterwandert sind“, sagt er. Deshalb wolle er nun erneut an das Gericht schreiben, und fragen, ob das Bezirksamt diese Gruppierungen zu Recht als allein anzuhörende „zivilgesellschaftliche Organisationen“ eingestuft habe.

    „Der Prozess der Dekolonisierung muss zu einer gerechten und diskriminierungsfreien Gesellschaft führen“, sagt Tahir Della. Dies beinhalte auch, antisemitischem Gedankengut entschieden entgegenzutreten. „Im Übrigen stellt sich die Frage, warum ausgerechnet die Kri­ti­ke­r*in­nen der Dekolonisierung mit diesem Argument auftreten – geht es ihnen wirklich darum, dass die kolonialen Kontinuitäten bearbeitet werden oder eher darum, dass die Verhältnisse so bleiben wie sie sind?“, fragt er. Er ist überzeugt, dass die beschlossenen Umbenennungen der Straßen in Wedding stattfinden werden. Wann es soweit ist, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

    #Berlin #Straßenumbenennung #Wedding #Antirassismus

  • Berliner Straßenumbenennung: Audre Who?
    https://taz.de/Berliner-Strassenumbenennung/!6016634


    Umbenennung Manga-Bell-Platz - Race- und Gendergap bei Straßennamen: In Friedrichshain-Kreuzberg sind nur 103 Straßennach Frauen benannt, nur eine ist BiPoC Foto: Britta Pedersen/dpa

    Es ist ein doppelter Schritt auf dem Weg zur Vernichtung des topographischen Gedächtnis Berlins. Um von Manteuffel braucht nucht getrauert werden, aber Verbrecher genug, um ihn aus den Plänen zu streichen war er nicht. Problematisch ist vor allem die mit der Teilumbenennung einhergehende Neunummerierung der Häuser und Grundstücke. Damit wird es so gut wie unmöglich, historische Orte aufzufinden. Dafür wird ganz neu imaginiertes sichtbar, handelt es sich doch bei Geschlechts- und Rassenzugehörigkeiten um reine Konstrukte, die per Gedankenkraft an-und ausgeschaltet werden können. Muss das sein?

    28.6.2024 von Lilly Schröder - Am Freitag wird offiziell die Audre-Lorde-Straße eingeweiht. Es ist ein Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven städtischen Erinnerungskultur.

    BERLIN taz | Wen gilt es zu würdigen: eine „Schwarze, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin und Kriegerin“ oder einen weißen Antiliberalisten und Demokratiegegner? Audre Lorde oder Otto von Manteuffel? Der wenig entscheidungsfreudige Beschluss des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg lautete: Halb-halb. Das Ergebnis: Ein Teil der Manteuffelstraße wird zur Audre-Lorde-Straße.

    Das soll nun gebührend gefeiert werden: Am Freitagnachmittag begeht der Bezirk die Umbenennung des nördlichen Teils der Manteuffelstraße zwischen Oranienstraße und Köpenicker Straße nach der afro-amerikanischen, 1934 geborenen Bürgerrechtlerin Audre Lorde mit einem Festakt.

    1984 war Lorde als Gastprofessorin für afroamerikanische Literatur zum ersten Mal nach Berlin gekommen, wo sie bis zu ihrem Tod 1992 einen Teil ihres Lebens verbrachte. Und wo sie die Afro-deutsche Bewegung entscheidend prägen sollte.

    „Das Thema Rassismus war in den 1980er und 90er Jahren in Deutschland noch ein starkes Tabu“, sagt Katharina Oguntoye. Sie war eine enge Wegbegleiterin und Mitstreiterin der Aktivistin. „Man hatte die Holocaust Diskussion und die Ausländerfeindlichkeit, aber jetzt auch noch eine Rassismus-Debatte, das wollte keiner.“ Audre Lorde habe in der Frauenbewegung die Diskussion darüber angestoßen. Sie regte Oguntoye und weitere Schwarze Frauen an, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Daraus ging 1986 das Buch „Farbe bekennen“ hervor, das heute als „Gründungsdokument“ der Bewegung gilt.
    „Farbe bekennen“ gilt als Gründungsdokument der Afro-Deutschen Bewegung

    Es ist das erste in Deutschland publizierte Buch, das Afro-Deutschen, vor allem Frauen, die Möglichkeit gab, sich als nationale Gruppe darzustellen. Oguntoye ist Mitherausgeberin, so wie auch ihre Mitstreiterin May Ayim. „Wir waren überwältigt in unserem jungen Alter für eine gesamte Bevölkerungsgruppe zu sprechen“, sagt Oguntoye heute. Lorde habe sie darin bestärkt, dass ihre Geschichten wichtig für die Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen in Deutschland seien. Die Straßenumbenennung zu ihren Ehren sei daher eine „tolle Sache“ für Berlin, die diese Aktivistin einer breiteren Öffentlichkeit bekannt macht.

    Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte bereits 2019 beschlossen, eine Straße nach ihr zu benennen. Nach einer An­woh­ne­r*in­nenbefragung, bei der unterschiedliche Straßen zur Disposition standen, wählte der Bezirk den Abschnitt der Manteuffelstraße. Sie ist benannt nach dem Preußischen Ministerpräsidenten und Außenminister Otto Theodor von Manteuffel (1805-1882). Neben seiner hochkonservativen Politik war dieser vor allem für seine Feindlichkeit gegenüber dem konstitutionellen Liberalismus sowie der Unterdrückung 1848er Bewegung bekannt.

    Mit der Ehrung des Demokratiefeinds soll jetzt Schluss sein. Naja, so halb: Nur der nördliche Teil wird umbenannt, der südliche Abschnitt zwischen Skalitzer Straße und Paul-Lincke-Ufer wird weiterhin seinen Namen tragen. Warum? „Es stand gar nicht zur Diskussion, die gesamte Manteuffelstraße umzubenennen“, erklärt eine Sprecherin des Bezirksamts unumstößlich.

    Bürokratische Hürden bei der Umbenennung

    Bei Oguntoye stößt das auf Unverständnis. Im Bezirksamt könne ihr „kein Mensch erklären“ warum nur die halbe Straße umbenannt wird. „Das ist bürokratischer Unsinn“, kritisiert sie. Und nicht nur da holpert es: Die Umbenennung war im Amtsblatt veröffentlicht worden, von den An­woh­ne­r*in­nen hatten das viele nicht mitbekommen. Seit September 2023 heißt der nördliche Teil bereits offiziell Audre-Lorde-Straße. Bis Mai hingen dort jedoch nur die alten Straßenschilder, bei Google Maps hingegen ist sie seitdem nur unter Audre-Lorde-Straße zu finden. „Das führt zu großen Verwirrungen“, sagt Oguntoye.

    Doch nicht nur das: Damit, dass der Bezirk nur einen Teil der Straße umbenennt, hat er sich weitere Probleme eingehandelt. Denn dadurch haben sich sowohl in der Audre-Lorde-Straße als auch in der verbliebenen Manteueffelstraße Nummerierungslücken bei den Hausnummern ergeben. Laut Berliner Vermessungsgesetz müssen alle Grundstücke mit einer eindeutigen Hausnummer versehen sein. Daher muss nun eine Neunummerierung durchgeführt werden, wie der Bezirk mitteilt. „Politik und Bürokratie sollen das Gemeinwesen organisieren, aber das ist eher Desorganisation“, kritisiert Oguntoye.

    „Der Prozess ist nicht ganz so gelaufen, wie er laufen sollte“, räumt auch die Sprecherin des Bezirksamts gegenüber der taz ein. Statt der üblichen 12 Monate von der Abstimmung bis zur Umbenennung, vergingen bei der Audre-Lorde-Straße fast 5 Jahre.

    Auch anderen Umbenennungen liefen schleppend. „Grund dafür sind in der Regel Anwohner*innen, die Einspruch gegen die Straßenumbenennungen erheben“, erklärt Christian Kopp vom Verein Postkolonial, der sich auch für Umbenennungen stark macht. In der ehemaligen M*Stra­ße in Mitte etwa liefen nach dem Beschluss der dortigen BVV Widerspruchsverfahren, An­woh­ne­r*in­nen klagten. Ähnlich war es bei Umbenennungen im sogenannten Afrikanischen Viertel, die die BVV Anfang 2018 beschlossen hatte.

    „Manche An­woh­ne­r*in­nen wollen nicht wahrhaben, dass es Schwarze Ber­li­ne­r*in­nen gibt, die lokalpolitisch mitreden und sich auch auf der Landkarte einschreiben wollen“, sagt Kopp. Einige argumentierten auch, dass der Kolonialismus nicht so schlimm gewesen sei, man „solle nicht übertreiben“.

    Große Race- und Gendergap bei Straßennamen in Berlin

    Doch der öffentliche Raum spiegelt sowohl die städtische Erinnerungskultur als auch das damit verbundene Gesellschaftsbild wider. „Es geht um die grundsätzliche Diskussion über Kolonialgeschichte, darum Opfer und widerständige Personen zu ehren und nicht die Verbrecher“, sagt Kopp. An der Ehrung deutscher Kolonialverbrecher hatte es in Berlin bislang nicht gemangelt: Der Lüderitz- und Nachtigalplatz, die Petersallee oder das Gröbenufer sind nur einige Beispiele – die inzwischen umbenannt sind, meist auf das Betreiben von Initiativen. Nun stehen Personen der Kolonial- oder Gegenwartsgeschichte, wie Manga Bell, Cornelius Fredericks, Anna Mugunda oder eben May Ayim auf den Schildern.

    Eine Auswertung des Vereins Decolonize Berlin ergab, dass gerade mal 10 Prozent der Straßen mit Personennamen nach Frauen benannt sind. Von den 103 Straßen, die in Friedrichshain-Kreuzberg Frauen ehren, ist nur eine BiPoC. Um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken hatte der grün-regierte Bezirk bereits 2005 beschlossen, Straßen nur noch nach Frauen zu benennen, bis eine Quote von 50 Prozent erreicht ist. Berlinweit lässt sich jedoch ein gegensätzlicher Trend beobachten: Zwischen 2012 und 2022 wurden laut European Data Journalism Network mehr Straßen nach Männern als nach Frauen benannt. Bei dem aktuellen Tempo dauere es noch mehrere Jahrhunderte, bis es zu einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis bei Straßennamen komme, so ihr Befund.

    Bei der virtuellen „Audre Lorde City Tour“, können Interessierte einen Einblick in Lordes politische und persönliche Welt in Berlin bekommen. Bis zum 30. Juni läuft auch noch die Ausstellung „Audre Lorde – The Berlin Years“ im Friedrichshain-Kreuzberg Museum.

    #Berlin #Kreuzberg #Manteuffelstraße #Audre-Lorde-Straße #Straßenumbenennung

  • Vereint im Herzen Europas ?
    https://taz.de/Politische-Konflikte-in-EM-Stadien/!6017724


    Ces jeunes albanaises aiment les footballeurs fascistes.

    26.6.2024 - Die Vorrunde hat auch gezeigt, wie viel Europa gerade trennt. Kroatische, serbische, albanische Fans trugen die politischen Spannungen ins Stadion.

    Einen Moment lang waren ganz große Geschütze aufgefahren: Serbien drohte, sich aus der EM zurückzuziehen. Auslöser waren kroatische und albanische Fans, die sich in gemeinsamen Mordfantasien ergingen: „Ubi, ubi, ubi Srbina“ – „Töte den Serben“.

    Auf diese Ekelhaftigkeit forderte der serbische Verband harte Uefa-Strafen und stellte in Aussicht, andernfalls abzureisen. An den meisten Schlandisten, die von der völkerverbindenden Kraft der Euro schwärmten, ging die Episode wohl vorbei. Kurz darauf hatten sich die Gemüter wieder etwas beruhigt. Der Generalsekretär des serbischen Verbandes antwortete auf die Frage, ob ein Ausstieg eine echte Option sei, mit dem etwas schrägen Dementi: „Genau genommen nein“.

    Es war der Höhepunkt in einem Karussell nationalistischer, rassistischer und kriegsverherrlichender Hassparolen, mit denen kroatische, serbische und albanische Fans – und nur gelegentlich die als Streber belächelten Slowenen – die wachsenden Spannungen in Südosteuropa auch ins Stadion trugen.

    „Vereint im Herzen Europas“, lautet ein Slogan dieser Euro. Doch neben herzigen Tänzen und der neu entdeckten deutschen Schottlandsehnsucht zeigte die Vorrunde vor allem, wie viel dieses Europa gerade erneut trennt. Hitlergrüße auf Fanfesten, martialischer Ostfront-Hass („Putin chuilo“, übersetzt etwa: „Putin ist ein Arschloch!“, und „Russland Hure“-Rufe etwa von polnischen und georgischen Fans sowie „Putin, Putin“- und „Fuck Nato“-Rufe der Serben), rechtsextreme Wolfsgrüße bei türkischen Fans und ein Plakat der Identitären Bewegung beim Österreich-Spiel.
    Postjugoslawien im Vordergrund

    Vielleicht nicht ganz überraschend angesichts des Teilnehmerfeldes – Russland ausgeschlossen, Israel nicht qualifiziert – blieb es um die beiden Invasionen, die Europa spalten, dennoch verhältnismäßig ruhig. In den Vordergrund spielte sich das fragile Postjugoslawien.

    Eine Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit, unter anderem dank einer Fleißarbeit des Publizisten Ruben Gerczikow: Serbische Fans hissten „Keine Kapitulation“ und zeigten Kosovo als Teil Serbiens (Uefa-Strafe: 10.000 Euro), posierten mit einer Fahne der Tschetnik-Miliz, die Massaker an Bosniaken und Kroaten beging, huldigten dem Kriegsverbrecher Ratko Mladić und sangen gemeinsam mit Slowenen: „Kosovo ist das Herz Serbiens.“

    Kroatische Fans huldigten Kriegsverbrecher Slobodan Praljak, trugen das Wappen der HOS-Miliz und sangen „Töte den Serben!“. Der kosovarische Journalist Arlind Saku provozierte serbische Fans mit einem Doppeladler (Akkreditierungsentzug). Albanische Fans zeigten die Fahne eines Großalbanien (Uefa-Strafe: 10.000 Euro) und Symbole der albanischen UÇK-Paramilitärs, denen viele Kriegsverbrechen vorgeworfen werden.

    Sie riefen in mehreren Partien „Töte den Serben!“ (Uefa-Strafe bisher: 10.000 Euro) und hissten „Kosova is Albania“ und „FCK SRB“. Der albanische Kicker Mirlind Daku animierte die Fans zum Gesang „Fick Mazedonien“ (zwei Spiele Sperre).
    Politiker und Verbände tragen auch Verantwortung

    Fast alle gegen alle also. Maßgebliche Mitverantwortung daran tragen sowohl die Po­li­ti­ke­r:in­nen der Region, die nationalistischen Hass immer wieder für Stimmenfang aufwärmen, als auch die südosteuropäischen Fußballverbände, deren Geschäft der Nationalrausch ist und die sich kaum von eigenen Fans distanzieren.

    Was das alles nun heißt? Mancher Experte fand die Zahl der Vorfälle nicht ungewöhnlich angesichts einer EM, die erstmals seit 2016 wieder an einem Ort stattfindet und an der mehrere jugoslawischen Nachfolgestaaten teilnehmen und es zudem große migrantische Communitys gibt. Andere sahen durchaus eine neue Qualität, einen Ausdruck der erneut aufflammenden Spannungen und des Rechtsrucks in Europa.

    Sportlich erfolgreich jedenfalls war der Hass nicht: Albanien, Serbien und Kroatien sind allesamt ausgeschieden.

    #Balkan #sport #football #UCK #fascistes #wtf

  • In Berliner Taxis gelten nun Festpreise: Jetzt geht’s Uber an den Kragen
    https://taz.de/In-Berliner-Taxis-gelten-nun-Festpreise/!6010326

    Freie Taxis, man müsste nur einsteigen. Demnächst passiert das vielleicht wieder öfter in Berlin. Nun gibt es dort auch Festpreise Foto: dpa/Andreas Arnold

    Ob die neuen Festpreise außer einer für Fahrer und Unternehmen deutlich verkomplizierten Abrechnung (Taxameter bleibt aus) mehr Einnahmen in die Taxifahrerkasse bringen, müssen wir abwarten. Skepsis ist angesagt, denn mit PR-Gags hat man noch nie einen darbende Branche gerettet. Dafür muss man das Grundsätzliche angehen:

    1. Hauptstadttaxen erheblich teurer als Uber-Fahrten
    Kollege Journalist erwähnt nicht, dass die billigen Preise auf Dumpinglöhnen, Steuerhinterziehung und Sozialbetrug (organisiert von den Uber-Unternehmen) beruhen.

    2. Staus oder Umwege während einer gebuchten Fahrt haben keinen Einfluss mehr auf den Preis. Bei den Berliner Taxis aber schon.
    Stimmt so auch nicht. Der Preis einer Berliner Taxifahrt ändert sich durch das Staugeschehen nicht. Dafür sorgt die Karenzzeit von einer Minute, bevor die Zeitschaltung des Taxameters beginnt. Gegen Umwege hilft die Taxiquittung. Die wird der Aufsichtsbehörde zugeschickt, dort geprüft und Fahrer und Unternehmen gemaßregelt. Bei Uneinigkeit über den Fahrpreis hilft die Polizei unter 110. Auch das wirkt, besonders bei fragwürdigen Kandidaten. Macht beides nur keiner. Im Übrigen sind Taxipreise Festpreise pro Kilometer. Das beiten die App-vermittelten Mietwagen nicht. Du weußt nie, as Dich die Fahrt morgen oder in zwie Wochen kosten wird. Neim Taxi steht das fest.

    3. Diese Form der Wirtschaftsförderung kommt einer kleinen Revolution gleich. Taxifahrten sollen fortan zu einem festgelegten Preis vergütet werden, der den Fahrgästen vor der Fahrt mitgeteilt wird.
    Das ist Quatsch. Revolutionär wäre die komplette Freiganbe der Taxitarife, so dass jede Fahrt einzeln verhandelt werden könnte. Wilden Westen will aber niemand. Die Berlinerinnen und Berliner kennen die Fahrpreise übrigens in der Regel, weil sie Stammkunden sind. Allen anderen sagt die Taxizentrale schon jetzt ziemlich genau, was eine Fahr kosten wird.

    4. „Die Festpreis- und Tarifkorridorregelung“, wie es auf Amtsdeutsch heißt, gilt noch nicht für Fahrten ab Flughafen BER nach Berlin.
    Am Ende wird es doch noch einmal interessant. Genau dort, wo Festpreise Sinn machen würde und zusätzliche Fahrgäste gewinnen könnten, werden sie nicht eingeführt. Das verhindert die Schönefelder Taxilobby.

    28. 5. 2024 von Andreas Hergeth - Der Berliner Senat hat Dienstag beschlossen, Festpreise für die Taxibranche einzuführen. Das soll für bessere Wettbewerbschancen sorgen.

    Seit Jahren liegt uns die Werbung in den Ohren: „Kauf regional!“ Und fast alle machen mit. Biowaren aus deutschen Landen sind beliebt und landen immer öfter im Einkaufswagen und auf dem Teller.

    Tja, und dann gehen die Ber­li­ne­r:in­nen aus oder wollen schnell von A nach B und haben keinen Bock auf Fahrrad oder Tram, vor allem abends oder nachts nicht, und steigen ins Taxi – äh, natürlich in ein Uber-Auto. Weil das viel billiger ist als ein herkömmliches Taxi aus Berlin, man kann es niemanden verdenken. Dabei sind die Berliner Taxiunternehmen als regionaler Anbieter eigentlich erste Wahl. Doch weil Mensch ein Sparfuchs ist, gerade in diesen inflationistischen Zeiten, wird das Gefährt von Uber, Bold & Co bevorzugt gebucht.

    Das Problem all die Jahre war, dass Hauptstadttaxen erheblich teurer sind als Uber-Fahrten. Das Taxometer tickt und tickt und tickt … Der Preis am Ende war zu Beginn einer Fahrt nie absehbar.

    Die Taxibranche hatte deshalb zuletzt immer wieder Festpreise gefordert. Weil sie sich dadurch eine bessere Wettbewerbssituation gegenüber den konkurrierenden (billigeren) Fahrdienstvermittlern erhoffen – nicht zu Unrecht. Denn bei den Plattformen Uber & Co lässt sich per App schon immer vorab sehen, wie viel für eine Fahrt zu zahlen ist – eben ein fester Preis. 25 Prozent davon steckt das Unternehmen ein. Staus oder Umwege während einer gebuchten Fahrt haben keinen Einfluss mehr auf den Preis. Bei den Berliner Taxis aber schon.
    Kein Alleinstellungsmerkmal mehr

    Damit ist nun Schluss. Die Preissicherheit bei Fahrtantritt ist nun kein Alleinstellungsmerkmal für Uber & Co: Der Senat hat am Dienstag beschlossen, Festpreise für die Branche einzuführen. Die Berliner Landesregierung versucht damit, dem heimisch ansässigen Taxigewerbe bessere Wettbewerbschancen zu ermöglichen.

    Diese Form der Wirtschaftsförderung kommt einer kleinen Revolution gleich. Taxifahrten sollen fortan zu einem festgelegten Preis vergütet werden, der den Fahrgästen vor der Fahrt mitgeteilt wird. Die Branche erhofft sich dadurch eine höhere Nachfrage und ein durchschnittlich steigendes Erlösniveau.

    „Die Festpreis- und Tarifkorridorregelung“, wie es auf Amtsdeutsch heißt, gilt noch nicht für Fahrten ab Flughafen BER nach Berlin. Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg und der Landkreis Dahme-Spreewald haben da mitzureden.

    Die Vorschrift wird noch vor Beginn der Fußball-EM in Kraft treten. Die beginnt am 14. Juni und dauert vier Wochen. Allein Berlin erwartet 2,5 Millionen Tourist:innen. Davon werden sicher nicht wenige Taxi fahren. Wie hoffentlich auch wieder Ber­li­ne­r:in­nen aus lokalpatriotischen Gründen.

    #Berlin #Taxi #Taxitarif #BER

  • Uffa Jensen als Beauftragter der TU : Neuer Berliner Antisemitismusstreit
    https://taz.de/Uffa-Jensen-als-Beauftragter-der-TU/!6010293


    Quand un responsable de la lutte contre l’antisemitisme allemand n’adhère pas à la définition de son sujet selon l’International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) le lobby sioniste l’agresse pour soutien du Hamas.

    Uffa Jensen préfère la Jerusalem Declaration
    On Antisemitism (JDA)
    à celle de IHRA.

    25.9.2024 von Stefan Reinecke - Der Zentralrat der Juden attackiert Uffa Jensen, den neuen Antisemitismusbeauftragten der TU Berlin. Der nennt die Vorwürfe „Quatsch“.

    Der Zentralrat der Juden attackiert Uffa Jensen, den neuen Antisemitismusbeauftragten der TU Berlin. Der nennt die Vorwürfe „Quatsch“.
    Der Historiker Uffa Jensen spricht in ein Mikrophon.

    Der Historiker Uffa Jensen ist der neue Antisemitismusbeauftragte der TU Berlin Foto: Vladimir Wegener/imago

    BERLIN taz | Die Presseerklärung des Zentralrates der Juden hat es in sich. Im Visier steht Uffa Jensen, Historiker und Antisemitismusforscher an der Technischen Universität Berlin (TU). Der 55-Jährige sei „ein Gegner der IHRA Definition für Antisemitismus“ und daher ungeeignet als Antisemitismusbeaufragter.

    Uffa Jensen, Historiker

    „Der Vorwurf, dass ich Hamas-Sympathisanten unterstütze, ist Quatsch“

    Die IHRA-Definition ist weit verbreitet, wird jedoch von vielen wegen ihrer diffusen Erweiterung des Antisemitismusbegriffs auf Israelkritik abgelehnt. Jensen wird zudem vom Zentralrat verdächtigt, BDS, die Bewegung, die zum Boykott gegen Israel aufruft, zu relativieren. Auch lasse Jensen es an Verurteilungen der „Hamas-Parole ‚From the River to the Sea‘“ fehlen. Die Conclusio der Presseerklärung: Mit dieser Personalie werde „Linksextremen und Hamas-Sympathisanten der rote Teppich ausgerollt“.

    Kurzum: Der Zentralrat der Juden wirft dem Historiker Jensen nicht nur vor, als Antisemitismusbeauftragter der Uni eine Fehlbesetzung zu sein, sondern auch eine Art Helfershelfer von Hamas und Linksextremisten.

    Die Präsidentin der TU Berlin, Geraldine Rauch, hatte am Montag Jensen berufen. „Gerade in Zeiten, in denen Antisemitismus in unserem Land wächst, ist es uns wichtig, uns dagegen zu engagieren“, so die TU-Präsidentin. Jensen verfüge über „große Expertise im Bereich Antisemitismusforschung und sei „ein herausragender Hochschullehrer“. Eine Besonderheit der TU Berlin ist das dort angesiedelte renommierte Zentrum für Antisemitismusforschung. Jensen ist dort Vizedirektor.
    Jensen weist die Vorwürfe zurück

    Der Zentralrat stützt seine heftigen Vorwürfe unter anderem auf ein SWF-Interview. Dort hatte Jensen erklärt „From the river to the sea, Palästina will be free“ sei nicht per se antisemitisch, weil auch ein gemeinsamer Staat gemeint sein könnte. Und klargestellt: „Ich glaube aber, dass dieser Schlachtruf nur selten so benutzt wird.“ Der Historiker hatte im SWF auch „Linke aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft“ kritisiert, die versuchen „Israel als Repräsentanten vieler Übel wie Ausbeutung und Kolonialismus hinzustellen“. Doch dem Zentralrat scheint diese Differenzierung nicht zu reichen. Oder vielmehr: Differenzierungen scheinen per se verdächtig zu sein.

    Jensen sagte der taz, er begreife den Angriff auf ihn „als Ausdruck eines politischen Konfliktes, um unterschiedliche Positionen zu Israel und auf Israel bezogenen Antisemitismus“. Die IHRA definiere „Antisemitismus als Wahrnehmung“. Das leuchte ihm als Antisemitismusforscher nicht ein. Als Forscher muss er sagen können, dass die IHRA-Definition „nicht hilfreich ist“.

    Jensen unterstützt die „Jerusalem Declaration On Antisemitism“, die Antisemitismus klarer gegen Kritik an Israel abzugrenzen versucht. Sein Institut, das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU, befasse sich „auch mit auf Israel bezogenen Antisemitismus“, sei aber „manchmal vorsichtiger mit bestimmten Einordnungen“.

    Und nun? Er werde das Amt antreten, so Jensen zur taz, der zuletzt ein Buch über antisemitische Morde und Rechtsterrorismus in der BRD veröffentlicht hatte. Auch das TU-Präsidium sieht keinen Grund, die Ernennung rückgängig zu machen. Grundsätzlich halte er das Konzept, so Jensen, dass Antisemitismusbeauftragte nicht immer jüdischer Herkunft sein müssen, für richtig. Bei möglichen Besetzungen durch Palästina-Solidaritätsgruppen könne dies ein Vorteil sein. Er baue zudem gerade ein Team auf, unter anderem mit jüdischen Studierenden, um eine vertrauensvolle Arbeit zu ermöglichen.

    Jensen vermied es direkte, offensive Kritik am Zentralrat zu üben. Bis auf einen Punkt: „Der Vorwurf, dass ich Hamas-Sympathisanten unterstütze oder gutheiße, ist Quatsch.“

    #Allemagne #antisemitisme #IHRA #JDS

  • Robert-Rössle-Straße in Pankow: Die unsichtbaren Frauen
    https://taz.de/Robert-Roessle-Strasse-in-Pankow/!6010065

    26.5.2024 von Carlotta Kuhlmann

    Die Robert-Rössle-Straße soll umbenannt werden. Und zwar in Cécile-Vogt-Straße. Angekündigt wurde dieses Vorhaben bereits vor zwei Jahren.

    Berlin ist eine von Männern dominierte Stadt. Den Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man beim Schlendern und Shoppen auf die Namen der Straßen und Plätze achtet. Blochplatz, Böttgerstraße, Charles-Corcelle-Ring, um nur ein paar Namen in Wedding zu nennen. Egal aber ob Mitte oder Marzahn, erinnert wird vor allem an historische männliche Persönlichkeiten, mal bekannter, mal weniger bedeutend. Wer war noch gleich Otto Franke, Namensgeber einer Straße in Treptow-Köpenick? Auch egal, Hauptsache männlich.

    Es ist logisch, dass viele alte Straßennamen männlich geprägt sind, einfach aufgrund der Zeit, aus der sie stammen. Wenn Bezirke dann aber doch mal Straßen umbenennen, bleiben diese häufig männlich, was eine Form der strukturellen Diskriminierung von Frauen darstellt. Ein Blick in die Tabellen von Straßen und Plätzen der verschiedenen Bezirke führt das Problem vor Augen. „w“ steht für historische weibliche Personen, „vw“ für weibliche Vornamen, „fw“ für fiktive weibliche Personen.

    Die Kürzel brauchen sich Be­trach­te­r*in­nen eigentlich nicht merken, denn sonderlich häufig tauchen sie in den Tabellen nicht auf. Den Frauenanteil bei Straßennamen von 50 Prozent, wie er zum Beispiel von Friedrichshain-Kreuzberg angestrebt wird, erreicht kein einziger Bezirk. Das Problem: Straßennamen sind eben nicht nur „Schall und Rauch“. Wir erinnern uns täglich an die Namensgeber, wenn wir durch die Straßen laufen.

    Sie finden sich auf Anschriften von Briefen, Paketen und Ausweisen wieder. Sie spiegeln die Gesellschaft wider, in der wir leben. Und die ist, wie auch die Straßennamen, geprägt von Männern. Nach Neubenennungen wie dem Rio-Reiser-Platz in Kreuzberg könnte es nun einen Hoffnungsschimmer für die Sichtbarkeit von Frauen geben: Die Robert-Rössle-Straße im Pankower Ortsteil Buch soll in Cécile-Vogt-Straße umbenannt werden.

    Keine Straßen für Nazis

    Robert Rössle ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Umbenennung von Straßen schneller vonstatten gehen sollte. Denn Rössle war ein Arzt der NS-Zeit, der sich, wenn auch offiziell kein NSDAP-Mitglied, für die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ – wie er es nannte – einsetzte. Hinzu kamen Forschungen über die Pathologie der Familie, wobei er von den jüdischen Familien profitierte, die das Regime in den Suizid trieb. Dies begrüßte er auch ausdrücklich in einem Schreiben, über das die taz berichtete.

    Kurzum: Robert Rössle war kein Mensch, dem man gedenken möchte. Dementsprechend sollte auch die Umbenennung eigentlich vom Bezirksamt vorangetrieben und erwünscht sein. Ein Gutachten über die Hirnforscherin Cécile Vogt sollte dem Bezirksamt Pankow bis Ende März vorliegen. Tatsächlich ist es auch gut zwei Monate später noch nicht fertig. Auf Nachfrage teilt die zuständige Stadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) jetzt mit, dass das Gutachten für Juni erwartet wird.

    Der Bezirk will vermutlich einen weiteren Fauxpas à la Rössle vermeiden und geht dementsprechend akribisch bei dem neuen Gutachten vor. Alles streng nach Plan. Was übersetzt auch bedeutet: Es hat sich ewig fast nichts getan. Und das schon seit zwei Jahren. Bereits im Juni 2022 wurde über den neuen Namen abgestimmt. Das Bezirksamt verweist auf die vielen bürokratischen Schritte, an denen es sich entlang hangeln muss, bevor die Straße umbenannt werden kann.

    In einem Schreiben aus dem vorangegangenen Jahr, das der taz vorliegt, ist die Rede von Abstimmungen mit dem Vermessungsamt Pankow, einer Widerspruchsfrist, die abgewartet werden muss, und so weiter und so fort. Selbst wenn Änderungen von Straßennamen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden sind – bei anderen Bezirken scheint die Hürde geringer zu sein.

    Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg teilt auf Anfrage der taz mit, der Prozess zur Umbenennung von Straßen würde erfahrungsgemäß in etwa 12 Monate dauern. Das Bezirksamt Pankow erklärt, dass sich der Prozess um eine „nicht einzuschätzende Zeit“ verlängern kann, wenn eine Straße nach historischen Persönlichkeiten benannt werden soll und Gutachten erstellt werden müssen. Cécile-Vogt-An­hän­ge­r*in­nen warten jedenfalls schon deutlich länger als 12 Monate auf ihre neuen Straßenschilder.

  • Sächsischer BSW-Chef über seine Partei :„Habe lange Grüne gewählt“
    https://taz.de/Saechsischer-BSW-Chef-ueber-seine-Partei/!6011252


    Dresden, 18. Mai 2024: Jörg Scheibe übergibt auf dem sächsischen Landesparteitag Sahra Wagenknecht einen Blumenstrauß
    Enfin un politicien intelligent ?
    Jörg Scheibe dans une interview :

    Aber Prognosen sind bekanntlich schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

    #Allemagne #Saxe #BSW #politique #wtf

  • Mann der Kultur
    https://taz.de/!866677

    21. 4. 2015 NACHRUF Qpferdach, tazler der ersten Stunde, ist tot

    Er war ein tazler der ersten Stunde. Einer, der wie die meisten den Job als Taxifahrer, am Zapfhahn einer Kneipe oder im Hörsaal einer Uni mit dem taz-Kollektiv tauschte, ohne genau zu wissen, wie das geht: Redaktion, Zeitung, Journalismus.

    Einer, der das „learning by doing“ ebenso praktizierte wie das Wollen und den Willen, eine andere, bessere Tageszeitung zu machen – und dem das Omen der Medienbranche, dass dieses Projekt eines Haufens von Spontis und ChaotInnen ohnehin zum Scheitern verurteilt sei, herzlich egal war.

    Aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gekommen, kannte ihn hier unter seinem Namen Hans-Joachim Wacker niemand, er war „Qpferdach“ – seine rote Mähne lieferte den Namen und passte bestens zum linken, radikalen Programm der frühen taz.

    „Qpfer“, wie wir ihn im Hause nannten, war eine Marke, er baute den Kulturteil der Berliner Lokalausgabe auf und war in der Berliner Szene bald bekannt wie ein bunter Hund. In den 1990ern ging er zum Berliner Stadtmagazin Tip, wo er als Chef vom Dienst und stellvertretender Chefredakteur zu einer Institution wurde – bis zu seinem Abschied vor einigen Jahren, der aber nicht in einen klassischen Ruhestand mündete. Vielmehr in noch mehr Zeit, seiner großen Leidenschaft – dem Radfahren – zu frönen, nicht nur in Berlin und Umgebung, sondern auch im Ausland.

    Vergangene Woche kam Qpferdach auf Mallorca ums Leben – durch einen Hirnschlag nach einem Sturz vom Rad. Ein schneller und „schöner“ Tod für einen passionierten Radler? Vielleicht, aber mit 66 Jahren war Qpfer doch eigentlich noch zu jung, um sich aus der Welt zu verabschieden. Was nicht nur seine Frau, Kinder und Enkel so empfinden, sondern auch seine alten Mitstreiter aus der taz. Möge er in Frieden ruhen. MATHIAS BRÖCKERS

    #Berlin #Zeitung #Kultur #Journalismus #Geschichte

  • “Une pollution sonore” : les vacances sans enfants gagnent du terrain
    https://www.bfmtv.com/economie/consommation/une-pollution-sonore-les-vacances-sans-enfants-gagnent-du-terrain_AD-20240426

    La quiétude et la tranquillité, ce sont les arguments de vente de l’Anglais Stuart Coe, qui gère un camping interdit aux enfants, bien loin de l’ambiance des resorts très populaires en Espagne, Italie ou Grèce. Propriétaire de cette installation quatre étoiles dans le Lot depuis 1993, le septuagénaire s’est lancé dans le « adults only » en 2009. « On en avait marre des enfants pas contrôlés par les parents », justifie-t-il.

    « Quand on avait des familles avec enfants, tout tournait autour d’eux. Ça perturbait le caractère calme que je voulais privilégier », confie de son côté Vincent Clerjoux-Rhodes, propriétaire du Domaine des Ormeaux en Dordogne, qui a décidé depuis six ans de limiter l’accès à ses gîtes aux plus de 16 ans.

    (Rappelle-moi un peu pourquoi il ne faudrait pas euthanasier les vieux ?)

  • Tödlicher Polizeieinsatz in Nienburg: Bei Notruf Todesschuss
    https://taz.de/Toedlicher-Polizeieinsatz-in-Nienburg/!5999138

    3. 4. 2024 von Michael Trammer - Am Karsamstag erschoss die Polizei einen 46-jährigen Gambier. Die Schilderungen mehrerer Au­gen­zeu­g*­in­nen und ein Video werfen Fragen auf.

    Eine Gruppe Po­li­zis­t*in­nen steht hinter einem Gartenzaun in der Friedrichstraße, nahe dem Nienburger Bahnhof. Ein Hund bellt. Auf einmal taumelt ein Mann nach vorn und wedelt mit einem Messer, das im Video nur als ein Haufen Pixel zu erkennen ist. Zwei Schüsse fallen. Der Mann kauert sich zusammen, steht und blickt sich um. Das Bild schwankt. Dann sind weitere fünf Schüsse zu hören und der Mann kollabiert. Nach einer kurzen Pause fällt ein weiterer, zeitlich abgesetzter Schuss.

    Diese Szene zeigt ein Handyvideo, das auf Social Media viral gegangen ist und der taz im Original vorliegt. Es sind die letzten Sekunden im Leben des 46-Jährigen Gambiers Lamin Touray, der vor Ort an den Schusswunden starb.

    Wie die „Tagesschau“ berichtet, trafen ihn laut Obduktionsbericht acht Schüsse, zwei davon tödlich. Eine Polizistin wird bei dem Einsatz durch eine Polizeikugel im Bein schwer verletzt. Drei Tage nach den Ereignissen sind viele Fragen offen. Wie kam es zu der Situation, warum lief diese so aus dem Ruder und waren die Schüsse Notwehr?

    Gegen die 14 eingesetzten Be­am­t*in­nen wird wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Zuständig sind das angrenzende Polizeirevier und die Staatsanwaltschaft Verden. Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Verden zeigt das Video in den sozialen Medien einen zeitlich und optisch stark verkürzten Ausschnitt des Polizeieinsatzes. Bodycam-Aufnahmen der Po­li­zis­t*in­nen würden ausgewertet.
    Zeugen erschüttert

    Einer, der etwas Licht ins Dunkel bringen kann, ist Omar T., ein Freund des Getöteten, der ebenfalls aus Gambia stammt. Omar T. wurde Augenzeuge des tödlichen Einsatzes. Mit ernster Miene blickt er über den Ort des Geschehens. An der Straße haben An­woh­ne­r*in­nen eine kleine Gedenkstätte eingerichtet. Im Zaun sind Einschusslöcher zu sehen.

    „Bis jetzt kann ich nicht glauben, was geschehen ist“, sagt Omar T. Er und die Freundin des Getöteten, die anonym bleiben will, deren Personalien der taz aber bekannt sind, hätten die Polizei eigentlich gerufen, weil sich Touray in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe, erinnert sich T. „Wir wollten ihm helfen“, sagt Tourays Freundin, die nicht in Nienburg lebt, am Telefon.

    Seit mehreren Tagen sei es Touray schlecht gegangen, erzählt sie. Erst vor Kurzem habe er eine Kündigung erhalten. Und am 28. März wurde er im Regionalzug Metronom ohne Ticket kontrolliert. Die Bundespolizei nahm ihn in Hamburg-Harburg wegen Fahrens ohne Fahrschein, Bedrohung, tätlichen Angriffs und Widerstands in Gewahrsam. Dabei soll er drei Polizisten verletzt haben. Das Amtsgericht Hamburg prüfte einen Haftbefehl und stellte fest, es liege keine Fluchtgefahr vor.
    Von Notrufnummer zu Notrufnummer
    Die Freundin des Getöteten

    „Statt ihm zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“

    Mit Schürfwunden und entstellt sei er danach bei ihr angekommen, erinnert sich seine Freundin. Er habe neben sich gestanden und wirre Dinge geredet, erzählt sie. Um zur Ruhe zu kommen, fuhr Touray am Freitag zu seiner Wohnung in Nien­burg. Nachdem er nicht auf Anrufe reagiert habe, sei sie am Freitagabend zu ihm gefahren. Er habe keine Hilfe gewollt, erzählt die Freundin. Aus Sorge, dass dessen psychischer Zustand eine Gefahr für ihn selbst sein könnte, wählte sie den Notruf.

    Mit vor Wut bebender Stimme erinnert sie sich, dass man sie nur von Notrufnummer zu Notrufnummer verwiesen habe. Schließlich sei ein Rettungswagen eingetroffen. Die Sa­ni­tä­te­r*in­nen hätten gesagt, unter den von ihr geschilderten Umständen müsse die Polizei den Einsatz unterstützen, die habe aber zu tun und so lange könnten sie nicht warten.

    Die Sa­ni­tä­te­r*in­nen seien wieder weggefahren. Eine ganze Weile später sei eine Streife eingetroffen. Touray habe auf mehrfaches Klingeln hin die Tür nicht geöffnet, daraufhin habe die Polizei gesagt, man werde am Morgen wiederkommen.

    Am nächsten Tag habe sie selbst nach ihm sehen wollen, erzählt Tourays Freundin. Gemeinsam mit Omar T. fuhr sie zur Wohnung. Touray habe erneut keine Hilfe gewollt und weiterhin wirre Dinge geredet. Sie habe vor der Tür eine Zigarette geraucht, als Touray herausgekommen sei und sie und Omar T. beleidigt habe. Anders als von der Polizei später dargestellt, habe er sie nicht mit einem Messer bedroht, sagen die Frau und auch Omar T. unabhängig voneinander.

    Zahlreiche Medien übernahmen die Darstellung der Polizei. Sie habe verzweifelt erneut den Notruf gewählt und um Hilfe gebeten, berichtet die Freundin. Statt eines Krankenwagens kamen mehrere Polizist*innen. Als die eintrafen, zückte der Gambier das Messer. Sie habe ihre Hilfe angeboten und gesagt, sie könne ihn zur Aufgabe bewegen, erinnert sich die Frau.

    Das habe die Polizei nicht zugelassen und angekündigt, einen Polizeihund einzusetzen. Danach habe sie die Schüsse gehört, sagt sie und bricht in Tränen aus. „Statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, so Tourays Freundin. Anschließend habe man sie wie eine Verbrecherin behandelt, sie mit auf das Polizeirevier genommen und nicht einmal allein auf die Toilette gelassen. Überprüfen lässt sich das nicht.

    Nackte Leiche ohne Sichtschutz

    Vor Ort sei die Spurensicherung tätig gewesen, erzählt eine Nachbarin, die sichtlich geschockt ist und anonym bleiben will. Stundenlang habe die nackte Leiche ohne Sichtschutz auf der Terrasse gelegen. Ihre Kinder hätten die Szenerie gesehen und seien zutiefst verstört. „Mit Menschenwürde oder auch nur Respekt vor Toten hatte das nichts zu tun“, sagt die Nachbarin.

    Die Mutter von Touray ist nun nach Deutschland gereist, um ihren Sohn abzuholen. „Ich wünsche mir nichts als Gerechtigkeit“, sagt Tourays Freundin. Das Geschehen habe sie geschockt, denn sie hätten eine harmonische Beziehung geführt. Sie will sich anwaltliche Unterstützung suchen, um den Fall aufzuklären.

    Auch Omar T. wünscht sich eine gründliche Untersuchung, denn die Polizei habe unprofessionell agiert. Gemeinsam mit Ak­ti­vis­t*in­nen aus der gambischen Community denken sie über eine Demonstration nach.

    Immer wieder erschießen Po­li­zis­t*in­nen Menschen in psychischen Ausnahmezuständen. Der „Tagesschau“ sagte der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, drei Viertel der durch Polizeikugeln Getöteten der vergangenen Jahre seien psychisch krank gewesen. Oft landen die Ermittlungen bei den Akten und es heißt, es habe keine andere Möglichkeit als zu schießen gegeben.

    Die Staatsanwaltschaft Verden erklärte, die Ermittlungen dauerten an. Ob Rechtfertigungsgründe für den Schusswaffeneinsatz vorlägen, könne erst nach Abschluss eingeschätzt werden.