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  • Berliner Schriftsteller Klaus Kordon: „Talent ist Interesse“
    https://taz.de/Berliner-Schriftsteller-Klaus-Kordon/!5957920

    20.9.2023 von Eva-Christina Meier - Ein Pionier des modernen Kinder- und Jugendbuchs wird 80. Klaus Kordon über Literatur, die Eckkneipe seiner Mutter und Verhöre im Stasi-Gefängnis.
    Porträt von Klaus Kordon, Brille kurzer heller Bart, in der Wohnung vor Wand mit Kinderbuchpostern und Stadtplan

    Autor Klaus Kordon in seiner Wohnung in Berlin Foto: Eva-Christina Meier

    taz: Herr Kordon, zu Ihrem 70. Geburtstag sagten Sie: „Jetzt ist Schluss mit Historie.“ Damals beendeten Sie gerade Ihren Roman „Joss oder der Preis der Freiheit“. Er handelt von einem 16-jährigen Bauernsohn zur Zeit der Leipziger Völkerschlacht. Doch 2021 veröffentlichten Sie das Jugendbuch „Und alles neu macht der Mai“ über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Wirklich Schluss war dann also doch nicht?

    Klaus Kordon: Na ja, manchmal sagt man, jetzt ist Schluss. Aber dann habe ich an die Familie meiner Frau gedacht und was sie erlebt hat. Die mussten damals als Flüchtlinge weg. Man hat ja manchmal von der Stunde null gesprochen, aber es gab keine Stunde null. Das waren dieselben Menschen, die haben zum Teil mitgemacht oder waren Mitläufer oder haben sich geduckt. Und wie war das gerade für junge Leute, die plötzlich feststellen müssen, wie alles Lüge, alles falsch war, und furchtbare Verbrechen geschehen sind? Da hab ich mich doch noch mal hingesetzt und wirklich den letzten Roman über die deutsche Geschichte geschrieben.

    Ein Jahr später, im Februar 2022, beginnt in Europa der Krieg gegen die Ukraine, der Ihren Romanen eine überraschende Aktualität beschert. In Büchern wie „Und alles neu macht der Mai“ erzählen Sie von den Menschen, die Kriege und krisenhafte Momente in der Geschichte erlebt haben. Was fasziniert Sie als Schriftsteller an dieser Thematik?

    Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich es einfach kapieren will. Mein Großvater ist im Ersten Weltkrieg gefallen und mein Vater ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Ich bin 1943 geboren. Als der Krieg vorbei war, war ich anderthalb Jahre alt. Berlin war eine Ruinenwüste. Und immer, wenn irgendetwas geschah oder erzählt wurde, dann hatte das mit dem Krieg zu tun. Mit Großvater und Vater in einer heilen Stadt Berlin, da hätte ich eine andere Kindheit gehabt. Ich wollte immer wissen, was da passiert ist. Brecht hat mal gesagt, Talent ist Interesse. Das kann man bei mir wirklich sagen, mein Interesse an dieser Zeit ist einfach da. Und wahrscheinlich habe ich deshalb auch das Talent, mich in diese Zeit hineinzubegeben.

    Wie haben Sie sich den historischen Stoffen angenähert?

    Heutzutage könnte ich natürlich anders recherchieren. Aber ich wusste, da gibt’s jede Menge Historiker, die darüber geschrieben haben, aus den verschiedensten politischen Richtungen. Das ist wichtig, dass man nicht nur in eine Richtung schaut. Doch 1980 gab es auch eine Menge Leute, die noch erzählen konnten. Für „Die roten Matrosen oder Ein vergessener Winter“, das erste Buch dieser Trilogie der Wendepunkte, habe ich Menschen getroffen, die den Ersten Weltkrieg und die Revolution bewusst erlebt hatten – die zum Teil dafür waren, zum Teil dagegen.

    Sie sind in Berlin-Prenzlauer Berg aufgewachsen, in der Raumerstraße Ecke Prenzlauer Allee. Ihre Mutter hatte dort eine Kneipe. Wie war das für Sie?

    Ja, die Kneipe war meine erste Universität. Man muss sich vorstellen, die Kneipen in der Nachkriegszeit waren voll. Es war nicht viel Geld da, aber die Menschen haben immer getrunken. Viele Frauen waren durch den Krieg allein geblieben. Die wollten auch nicht zu Hause rumsitzen. Fernsehen gab’s noch nicht. Es war fast immer gerammelt voll. Da mein Vater im Krieg gefallen war, hat meine Mutter die Kneipe allein betrieben, mit drei Söhnen. Ich war der jüngste. Manchmal hab ich Bier gezapft und dann beim Stammtisch gesessen. Da waren die unterschiedlichsten Leute. Bei uns im selben Haus, auf der anderen Seite des Hauseingangs, war eine Schneiderwerkstatt. Der Schneider war ein Jude, der sich drei Jahre im Keller versteckt hatte. Der hat auch am Stammtisch gesessen. Der brauchte gar nicht die Schuhe anzuziehen, wenn er zu uns kommen wollte. Und der Schuhladenbesitzer. Da wussten alle, das war ein SA-Mann gewesen. Die beiden haben am selben Tisch gesessen. Der eine hat sein Leid verdrängt und der andere sein schlechtes Gewissen, wenn er eins hatte.

    In der Erstausgabe von „Die roten Matrosen“ fiel mir auf, dass Ihr Leben in der DDR in den Autorenangaben gar nicht erwähnt wird. Warum?

    Als ich 1973 im Westen ankam, wusste ich, jetzt wirst du versuchen zu schreiben. Da habe ich gedacht, wenn du jetzt sagst, du kommst aus dem Osten, hast im Gefängnis gesessen, dann wird alles daran aufgezogen. Das wollte ich nicht. Später, als dann die Mauer gefallen war und weitere Bücher erschienen sind, da konnte ich es gar nicht mehr verbergen, wollte es auch nicht. Hinzu kam, dass ich wusste, irgendwann will ich über diese Zeit schreiben.

    2001 ist Ihr biografischer Roman „Krokodil im Nacken“ erschienen. Warum brauchte es so viele Jahre, um über die Erfahrungen in der DDR, Ihre gescheiterte Flucht und die anschließende Haft in Hohenschönhausen zu schreiben?

    Als ich Ende der 1980er Jahre dachte, ich könnte mich an das Thema wagen, fiel die Mauer. Alles war wieder ganz frisch. Ich konnte meine Zelle, in der ich damals gesessen habe, wieder betreten. Das musste ich sinken lassen. 1989, 90, 91 – das wäre zu früh gewesen. Aber Ende der 1990er Jahre habe ich das Thema aufgegriffen.

    Sind Sie mit „Krokodil im Nacken“ 2001 auf Lesereise gegangen?

    Ja, auch im Osten. Da gab es natürlich immer Leute, die mir applaudiert haben, weil sie Ähnliches erlebt haben oder weil ich ein bisschen das getroffen habe, was sie empfunden haben. Aber natürlich gab es auch andere Reaktionen. Ich habe mal irgendwo in Brandenburg in einer Abiturklasse aus dem „Krokodil“ gelesen. Dann sagte die Lehrerin hinterher: „Na ja, man kann die DDR auch ganz anders sehen.“ Da habe ich gesagt: „Man kann sie sehen, wie man will. Nur, was ich da geschrieben habe, war eben so, das kann man nicht anders sehen, das war so.“

    Das ehemalige Gefängnis Hohenschönhausen ist inzwischen eine Gedenkstätte. Die Archive der Stasi sind ebenfalls zugänglich. Warum fällt es einigen Menschen trotzdem so schwer, das Regime der DDR als Diktatur zu bezeichnen?

    Das steckt wohl leider in den Köpfen von vielen – dieses Beharren: Früher war aber nicht alles schlecht. Ich habe doch damals gelebt und habe da auch schöne Zeiten erlebt. Ich war jung und verliebt. Wir waren in den Ferien und haben im Meer gebadet … Es ist so, dass Menschen in allen Zeiten Ecken finden, in denen sie es sich gemütlich machen können. Aber was ist denn ein Rechtsstaat und was ist ein Unrechtsstaat? Als ich damals verhaftet wurde, war ich bereit, alles auszusagen, aber mit einem Rechtsanwalt. Das habe ich meinem Vernehmer gesagt. Der hat mich ausgelacht. „Sie haben wohl zu viel amerikanische Filme gesehen. Bei uns sehen Sie erst dann einen Rechtsanwalt, wenn wir mit Ihnen fertig sind.“ „Dann sage ich nicht aus.“ „Gut, dann kommen Sie jetzt in Ihre Zelle zurück, und wenn Sie vernünftig geworden sind und kooperieren wollen, können wir ja nochmal reden.“ Man sitzt dann in seiner Einzelzelle, 14 Tage, drei Wochen, und irgendwann sagt man sich, die sitzen am längeren Hebel.

    Nach Ihrer Ausreise aus der DDR haben Sie zunächst weiter als Exportkaufmann gearbeitet. Wann entschlossen Sie sich, ausschließlich Schriftsteller zu sein?

    Ich bin 1973 in den Westen gekommen, und 1977 lag mein erstes Buch vor. Damit hatte ich Blut geleckt und habe das nächste Buch und noch eins und noch eins geschrieben. Anfang der 80er Jahre gab es schon vier, fünf Bücher von mir, alle nicht sehr dick, nicht sehr umfangreich, aber eben doch vier, fünf Titel. Da habe ich mit meiner Frau überlegt, was machen wir jetzt? Sie wusste natürlich, dass ich gerne schreibe, und meine Frau arbeitete wegen der Kinder nur halbtags. Das hat ihr nicht so gepasst. Dann haben wir gedacht, wir probieren es aus. Und mein Verleger hat gesagt: „Du schaffst es.“

    Das war damals Hans-Joachim Gelberg?

    Ja, das war Jochen Gelberg. Meine Frau war auch froh, jetzt wieder voll zu arbeiten. Ich blieb ganztags zu Hause und habe nur noch geschrieben.

    Wenn man Ihre Kindheit betrachtet, dann überrascht der spätere Lebensweg.

    Ich glaube, dass ich eigentlich von Anfang an in eine künstlerische Richtung tendiert habe. Natürlich denkt man nicht daran, Schriftsteller zu werden, aber ich habe als Kind unwahrscheinlich viel gelesen, oftmals bis nachts um zwölf. Es war alles nicht so einfach damals, aber die Bücher und die Autoren, die sie geschrieben haben, die haben mich ein bisschen gerettet. Denn die Leute, die in der Kneipe verkehrt haben, das waren nicht alles Leute, die man so ins Herz schließen konnte. Ich bin auch viel ins Kino gegangen und weiß noch, wie ich als Kind „Fahrraddiebe“ von Vittorio De Sica gesehen habe, einen neorealistischen Film aus Italien. Da muss ich acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Warum hat mich gerade dieser Film, der das wahre Leben gezeigt hat, so sehr bewegt? Das ist eben das berühmte Interesse: Wie leben die Menschen?

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    Klaus Kordon

    geb. am 21. 9. 1943 in Berlin-Pankow, wächst nach dem Tod der Mutter 1956 im Heim auf. Studiert Volkswirtschaft in der DDR. 1972 misslingt der Fluchtversuch. Er kommt für ein Jahr ins Stasigefängnis Ho­hen­schönhausen. 1973 wird er von der BRD freigekauft und arbeitet zunächst als Exportkaufmann. Lebt heute in Berlin-Steglitz. Ab 1977 veröffentlicht der Kinder- und Jugendbuchautor u. a. „Brüder wie Freunde“, „Trilogie der Wendepunkte des 20. Jahrhunderts“ („Die roten Matrosen oder Ein vergessener Winter“, „Mit dem Rücken zur Wand“, „Der erste Frühling“), die „Jacobi-Saga“ („1848. Die Geschichte von Jette und Frieder“, „Fünf Finger hat die Hand“, „Im Spin­nen­netz. Die Geschichte von David und Anna“), „Krokodil im Nacken“, „Und alles neu macht der Mai“.

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  • Verein über italienische Mafia : „Wir sind ein Geldwäsche-Paradies“
    https://taz.de/Verein-ueber-italienische-Mafia/!5944231

    L’Allemagne est une plaque tournante pour les bande criminelles multinationales. Les mafias italiennes profitent des lois ultralibérales pour y blanchir leur argent. Une association informe sur ces pratiques.

    5.8.2023 von Jean Dumler - Jährlich werden in Deutschland 100 Milliarden Euro gewaschen. Die Mafia hat daran großen Anteil. Trotzdem gibt es kaum Institutionen zur Bekämpfung.
    Polizist steht nachts vor einem Auto, das in deiner Straße parkt

    wochentaz: Frau Raspe, Ihr Verein mafianeindanke engagiert sich gegen Organisierte Kriminalität, vor allem gegen die italienische Mafia. Warum ist das in Deutschland notwendig?

    Helena Raspe: In Deutschland wird massiv Geld gewaschen. Schätzungen zufolge sind es 100 Milliarden Euro im Jahr, dem Bundeshaushalt geht dadurch extrem viel Geld verloren. Kriminelle Organisationen wie die ’Ndrangheta verdienen dieses schmutzige Geld weltweit mit Unterdrückung und Gewalt, Waffen-, Menschen- und Drogenhandel. Jede einzelne Person in Deutschland ist von den Folgen direkt betroffen.

    Inwiefern?

    Durch Geldwäsche und Spekulation im Immobilienmarkt steigen etwa die Mietpreise, durch den Einfluss der ma­fiö­sen Organisationen auf den Lebensmittelmarkt haben wir gestreckte Lebensmittel im Supermarkt. Dazu kommen kriminelle Aktivitäten, die weltweit unsere Lebensgrundlagen zerstören, wie illegale Entwaldung oder die illegale Entsorgung von Giftmüll. Aber auch die legale Wirtschaft wird in Deutschland systematisch unterwandert.

    Wie viele Mafiamitglieder gibt es überhaupt in Deutschland?

    Die ’Ndrangheta aus Kalabrien ist die größte und einflussreichste kriminelle Organisation in Deutschland. Offiziellen Zahlen zufolge sind es 505, ita­lie­ni­sche Ex­per­t:in­nen wie Nicola Gratteri sprechen von mehr als 3.000 Mitgliedern in Deutschland. Recherchen haben belegt, dass die ’Ndrangheta Deutschland nicht nur als Rückzugsraum, sondern auch als geostrategisch wichtiges operatives Zentrum nutzt.

    Warum geschieht das ausgerechnet in Deutschland?

    Deutschland ist aufgrund der mangelhaften Gesetzeslage ein Paradies für Geldwäsche und damit auch für die Mafia. Es gibt kaum Gesetze oder Institutionen zur Bekämpfung der Mafia wie in Italien. Nach der Wende wurde viel in Ostdeutschland investiert, aber auch in Westdeutschland sind mafiöse Organisationen flächendeckend aktiv, etwa im Raum Stuttgart, Mannheim oder am Bodensee.

    Sie sind selbst Italienerin und in Rom aufgewachsen. Wie kam es zu Ihrem Engagement in der Antimafiabewegung?

    In Italien ist die Mafia ein gesellschaftlich genauso anerkanntes Problem wie der Faschismus. Dort wurde durch eine lebendige Antimafiabewegung einiges erreicht: Beispielsweise ist mafiöse Zugehörigkeit ein eigener Straftatbestand, es gibt Gesetze zur sozialen Wiederverwendung von konfiszierten Besitztümern der Mafia, jährliche Berichte der An­ti­ma­fia­be­hör­de, spezialisierte Polizeieinheiten. Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich sehr schockiert darüber, dass das Thema Organisierte Kriminalität und die Präsenz der italienischen Mafias kaum bekannt waren. Das ändert sich glücklicherweise gerade. Es ist erschreckend, wie wenig Forschung und Berichterstattung es gibt.

    Ihr Verein wurde 2007 von Gas­tro­nom:in­nen in Deutschland gegründet als Reaktion auf die Mafiamorde von Duisburg.

    Gas­tro­nom:in­nen hatten sich damals zusammengeschlossen und gesagt: Wir zahlen kein Schutzgeld, wir brechen das Schweigen, kooperieren mit der Polizei und leisten Widerstand. Doch nicht nur die italienische Community, die noch durch die grausame und gewalttätige Geschichte der 80er und 90er Jahre in Italien sensibilisiert ist, sollte sich dagegen einsetzen. Vor allem wir Deutsche müssen endlich aufwachen und das Problem selbst in die Hand nehmen. Aber nicht indem wir romantisierende oder rassistische Diskurse befeuern, sondern indem wir den Kampf gegen Mafias als ökologische und feministische Frage der sozialen Gerechtigkeit verstehen. Deshalb nehmen wir natürlich auch die deutsche Finanzkriminalität und Politikverflechtungen in Deutschland in den Blick.

    Regelmäßige Razzien gegen sogenannte Clankriminalität bekommen in Deutschland große mediale Aufmerksamkeit, währenddessen wissen wir über die Mafia und deren Bekämpfung kaum etwas.

    Es gibt von der italienischen Mafia hier in Deutschland Schutzgelderpressungen und gewalttätige Einschüchterungen. Nur weil man es nicht auf offener Straße wahrnimmt, heißt es nicht, dass sie nicht existiert. Boulevardmedien stürzen sich aber lieber auf aufsehenerregende Ak­tio­nen der sogenannte Clankriminalität. Straßenkämpfe mit verfeindeten kriminellen Organisationen und der Goldmünzenraub von Berlin sind sichtbarer als etwa die Unterwanderung der legalen Wirtschaft und Geldwäsche. Teile der Politik, die in den rassistisch geführten Diskurs einsteigen, können sich mit öffentlichkeitswirksamen Razzien mehr brüsten, als wenn man gegen Finanzkriminalität vorgeht.

    Was soll sich politisch ändern?

    Die politische Haltung muss sein: Wie erkennen wir die organisierten kriminellen Strukturen, wie operieren diese, wie unterwandern sie die Demokratie? Welche Angebote muss der Staat dort machen, wo er aktuell abwesend ist? Wie erreichen wir Personen, für die Geschäfte mit der Organisierten Kriminalität attraktiv scheinen? Wie schützen wir die Betroffenen? Stimmen, die sich immer nur auf die sogenannte Clankriminalität stürzen, interessieren sich dafür wenig. Wenn man aber die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität nicht als gemeinnützige Frage begreift, landet man in diesen Handlungsmustern, die dazu führen, dass einzelne Gruppen stigmatisiert werden.

    Sie meinen, Antimafiaarbeit ist gemeinnützig?

    Ja, man könnte so viel Geld generieren, wenn man Steuerhinterziehung, Korruption und Organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen und ­dieses Geld auch für Prävention und so­zia­le Zwecke verwenden würde. Allein die gemeinnützige Verwendung konfiszierter Immobilien würde uns als Gesellschaft sehr weiterhelfen, gerade in Berlin. Italien hat im weltweiten Vergleich eine vorbildliche Antimafiagesetzgebung. ­Deswegen orientieren sich viele Länder daran. Aber natürlich kann man in Deutschland nicht einfach das italienische Modell kopieren. Bei uns hat zum Beispiel das Thema Datenschutz zu Recht einen viel höheren Stellenwert. Deshalb machen wir Vorschläge für Reformen, die dem deutschen Kontext angepasst sind.

    Wie hat sich die Arbeit gegen Organisierte Kriminalität in Italien verändert, seit Meloni im Amt ist?

    Es war von Anfang an klar, dass Meloni eher mafiöse Strukturen befördern wird, als sie zu bekämpfen. Sie macht mit dem Thema höchstens Stimmung für ihre Agenda, vergleicht Steuern für Klein­un­ter­neh­mer:in­nen mit Schutzgeld der Mafia. Das alles ist jetzt nicht überraschend bei einer faschistisch orientierten Premierministerin. Es gibt zahlreiche historische Beispiele für Ko­op­e­ra­tio­nen zwischen mafiösen und neofaschistischen Gruppen.

    Was sind derzeit die ersten Auswirkungen?

    In den letzten Jahren arbeitete die Politik in Italien daran, die Obergrenze für Bargeld zu senken. Im völligen Widerspruch zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft hob die neue Regierung zum Januar 2023 die Bargeldobergrenze von 2.000 auf 5.000 Euro an. Das ist ein direktes Geschenk an mafiöse Organisationen. Noch einladender bleibt es für die Mafia in Deutschland, hier gibt es gar keine Obergrenze. Man muss ab 10.000 Euro nur seinen Ausweis vorlegen. Das ist absurd.
    36.000 – mit Ihnen noch eine:r mehr!

  • Hart reglementierte Kunst in Deutschland: Das Lied der Straße
    https://taz.de/Hart-reglementierte-Kunst-in-Deutschland/!5946760

    Potsdam, 27.7.2023 von Andreas Hartmann - Für Straßenmusik herrschen strenge Regeln. In Potsdam etwa müssen Musikanten nach einer halben Stunde umziehen und die nächste volle Stunde abwarten.

    Man braucht nicht lange, um auf der Brandenburger Straße, der beliebten Fußgängerzone in der Innenstadt Potsdams, auf die ersten Straßenmusiker zu treffen. Es ist zwar brüllend heiß an diesem Donnerstagnachmittag, aber da sitzt trotzdem einer in der Sonne und spielt sein Akkordeon.

    Niemand beachtet ihn groß. Die Brandenburger Straße ist eine hochfrequentierte Einkaufsstraße, in der sich Laden an Laden reiht. Die Passanten sind auf Shoppingtour, und wer hier öfter unterwegs ist, registriert irgendwelche Akkordeonspieler oder andere Instrumentalisten, die in Scharen unterwegs sind, schon gar nicht mehr. Denn die Fußgängerzone ist der Hotspot für Straßenmusiker schlechthin in Potsdam. Man kommt kaum drum herum, nach ein paar Metern vom ersten Ständchen beglückt zu werden.

    Als Konstantin Skripariu stellt sich der Mann mit dem Akkordeon vor, der ursprünglich aus Rumänien stammt und derzeit in Berlin lebt. Drei bis vier Mal in der Woche komme er nach Potsdam, berichtet er, um hier zu musizieren – immer in der Brandenburger Straße. 30 bis 40 Euro könne er danach im Durchschnitt aus seinem Hut fischen, manchmal auch 50. Sein Deutsch ist nicht besonders gut, aber was man so herausfindet im Gespräch, ist, dass er ganz zufrieden damit ist, wie es so läuft zwischen ihm und den Potsdamern.

    Und dass es so unkompliziert sei, hier zu spielen, im Vergleich zu Berlin. Sich umständlich eine Genehmigung besorgen muss er nicht. Einzige Auflage in Potsdam: Nach einer halben Stunde an einem Ort muss er verschwinden und darf sein Instrument erst an einer anderen, mindestens 300 Meter entfernten Stelle wieder auspacken.

    Man hört das oft von Straßenmusikern in Berlin, dass in der deutschen Hauptstadt, eigentlich ein äußerst beliebtes Pflaster bei diesen, alles überreguliert sei. Wer in der U-Bahn spielen will, braucht dafür eine Genehmigung von der BVG. Und wer auf bestimmten Plätzen auftreten möchte, muss sich das vom jeweils zuständigen Bezirk erlauben lassen. Aber jeder Bezirk hat andere Regeln, Dauer und Höhe der Gebühr für eine Genehmigung sind unterschiedlich. Vielen ist das zu kompliziert, und so stellen sich viele einfach ohne amtlichen Segen auf die Straße, in der Hoffnung, dass niemand vom Ordnungsamt auftaucht.

    Dagegen klingt das Verfahren in Potsdam tatsächlich vergleichsweise simpel. Allerdings wurde es erst vor ein paar Wochen auch hier verkompliziert. Musikdarbietungen mit Verstärker beispielsweise waren auch bislang schon verboten, nun aber wird zusätzlich die „Benutzung von lauten Rhythmus- und Blasinstrumenten“ untersagt.

    Und vor allem ist jetzt neu, dass nur noch in der ersten Hälfte jeder vollen Stunde gespielt werden darf. Um demnach auf seine halbe Stunde Spielzeit an einem Ort zu kommen als Straßenmusiker in Potsdam, muss man also eigentlich immer genau auf seine Uhr schauen und pünktlich zur vollen Stunde loslegen.

    Einer, der gerade seine Gitarre ausgepackt hat und schon bald damit beginnt, „Working Class Hero“ von John Lennon zu klampfen, sagt, dass er bisher noch nie Probleme hatte bei seinen Auftritten in der Brandenburger Straße. Er komme regelmäßig aus dem eine halbe Stunde Zugfahrt entfernten Bad Belzig hierher und hat sogar einen Künstlernamen: Eskinth. Er hoffe, irgendwann von seiner Musik ­leben zu können. Wenn sich erst einmal eine Menschentraube um ihn gebildet habe und alle begeistert zuhören würden, hätte ihm noch nie jemand gesagt, dass nun die halbe Stunde rum sei und er verschwinden solle.

    Schon seit Jahren beschweren sich neben Geschäftsleuten vor allem Anwohner darüber, dass es zu viel und zu laut mit der Musik vor ihren Haustüren geworden ist

    Einen Massenauflauf erregt er mit seinem Spiel aber in den nächsten Minuten an diesem Donnerstagnachmittag nicht. Eher achtlos laufen auch diejenigen vorbei, die ihm eine Münze zustecken. Gefragt, warum er etwas gebe, obwohl er gar nicht zuhöre, antwortet ein Passant, der gerade aus dem nahe gelegenen Luckenwalde zu Besuch sei: „Weil die Musik in einer Fußgängerzone einfach mit dazugehört.“
    Beschwerden gibt’s überall

    Dass nun in Potsdam versucht wird, die Straßenmusik stärker zu regulieren, kommt nicht von ungefähr. Schon seit Jahren beschweren sich neben ein paar Geschäftsleuten vor allem Anwohner der Brandenburger Straße darüber, dass es einfach zu viel und zu laut mit der Musik vor ihren Haustüren geworden sei. Auch andere Kommunen überall im Land haben mit ähnlichen Sorgen zu kämpfen.

    In diesem Spannungsfeld, einerseits die Menschen mit Musik zu unterhalten und Freude zu bereiten, dabei aber andererseits auf allerlei Widerstände zu stoßen, bewegt sich die Straßenmusik schon seit jeher. In dem Buch „Musikalische Volkskultur in der Stadt der Gegenwart“ beschreibt der Musikwissenschaftler Günther Noll, welchem Argwohn bereits die „Spielleute“ im frühen Mittelalter ausgesetzt waren. Diese zogen von Dorffest zu Dorffest und spielten dort zum Tanz auf.
    Eine Frau legt geld in den Instrumentenkasten eines Straßenmusikers

    Dabei wurden auch gerne zotige Trink- und Liebeslieder vorgetragen, was der Obrigkeit und vor allem dem Klerus nicht so gut gefiel, und man begann damit, die umherreisenden Musikanten durch allerlei Erlasse zu ächten. Ihre soziale Stellung war sowieso ziemlich niedrig, sie wurden als „wurzellos“ diffamiert und zu den „Unehrlichen“ gezählt. Und als „Unehrlicher“ hatte man damals nicht viel zu melden. In eine Handwerkszunft durfte man nicht eintreten, und es war üblich, dass man am Abend nach seiner Darbietung auf einer Festivität wieder vor die Tore der Stadt gejagt wurde.

    Bänkelsänger, Dudelsackpfeifer, Maultrommelspieler und Tanzgeiger spielten dennoch in großer Zahl bis zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Städten und Dörfern auf, auch wenn durch immer mehr Regularien und teils auch schlichtweg Verbote versucht wurde, das Musizieren auf öffentlichen Straßen und Plätzen einzuhegen oder ganz zu unterbinden.

    Karrieresprungbrett Straße

    Von der Straße direkt in die Charts – von solch einem Werdegang kann man ja wenigstens mal träumen als Straßen­musiker:in. Ein paar bekannte Beispiele für eine derartige Erfolgsgeschichte gibt es ja. Vorneweg das der Kelly Family, die Jahre lang mit Sack und Pack durch die Lande zog und von ihrer Straßenmusik mehr schlecht als recht lebte. Bis dann ein findiger Labelmanager auf die Idee kam, die ganze Truppe eine Platte aufnehmen zu lassen. Die Nummer mit der ungebundenen Hippie-Familie, die auf den Straßen dieser Welt ihre Freiheit fand, zog ungemein und machte die Kellys zu Superstars.

    Ebenfalls ursprünglich von der Straße kommt Ed Sheeran, der im Alter von 18 Jahren auf Plätzen in London auftrat und heute als König des Normcores global bekannt ist. Die Liste weiterer Musiker:innen, die zu Beginn ihrer Karriere für Einnahmen in den Hut spielten, ist lang und vielfältig. Sie reicht vom österreichischen Liedermacher Wolfgang Ambros bis zum Jazzer Steve Coleman aus den USA.

    Im 19. Jahrhundert soll es beispielsweise, davon weiß der Publizist Ernst Weber zu berichten, der sich viel mit der Volksmusikkultur Wiens beschäftigt hat, einen regelrechten Harfen-Boom auf den Straßen der österreichischen Hauptstadt gegeben haben. Überall griffen demnach die Leute in die Saiten ihrer Harfen, und wohl nicht jeder mit engelsgleichem Geschick. Man wollte weniger von diesen Harfenspielern, verlangte deswegen irgendwann eine Lizenz und stellte daraufhin immer noch striktere Regeln für das Harfenistentum auf.

    Während des Nationalsozialismus verstummte die Straßenmusik nicht bloß in Wien und nicht nur die der Harfenisten so gut wie vollständig. Zu hören gab es jetzt nur noch die Marschkapellen der Braunhemden. Straßenmusiker wurden Bettlern gleichgesetzt und als „Arbeitsscheue“ und „Asoziale“ verfolgt. Ihnen drohte die Haft und die Einlieferung in ein Konzentrationslager.

    Eine Wiederbelebung und bald auch eine neue Hochphase erlebte die Straßenmusik in der Bundesrepublik dann mit der Verbreitung der Fußgängerzonen in den Städten im Laufe der 1970er Jahre. Das war auch die Zeit, in der peruanische Volksmusikgruppen in Scharen durch die autofreien Bereiche deutscher Kleinstädte zogen und „El Condor Pasa“ trällerten. Nach der Wende und in der Folge eines Europas der offenen Grenzen machten sich vor allem osteuropäische Straßenmusiker auf, teilweise regelrecht den Kontinent zu bereisen. Darunter auch viele akademisch ausgebildete Instrumentalisten, die das Niveau der Straßenmusik auf ein neues Level brachten.

    Staatliche Repression mit Tradition

    Und die dann endlich auch überhaupt in einer Stadt wie Potsdam auftreten konnten, was ihnen vorher so nicht möglich war. Denn in der DDR lief es wie unter den Nazis: Man versuchte, die Musik – solange sie nicht irgendwie vom Staat etwa in Aufmärschen organisiert war – von der Straße fernzuhalten. Sich irgendwo auf einen öffentlichen Platz zu stellen und zu musizieren war offiziell nicht erlaubt. Bei Zuwiderhandlung drohten Strafen bis hin zur Inhaftierung.

    Mit Musik wurde sowieso extrem restriktiv umgegangen im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat. Es wurde darauf geachtet, dass in der Disco immer ein bestimmter Anteil von DDR-Musik aufgelegt wurde und nicht bloß die Beatles und die Rolling Stones – zu viel von diesem angloamerikanischen Kulturimperialismus hätte ja der geistigen Gesundheit der Jugend schaden können. Die Zensurbehörden arbeiteten auf Hochtouren und es wurde versucht, auf allen Ebenen ständig das Musiktreiben einzuhegen. Wer spielt was und wann, das musste man alles ganz genau wissen (war letztendlich aber gar nicht zu schaffen, gerade auf dem Lande, Stichwort Dorfdisco).
    Menschen gehen an einem Cellisten vorbei, der in einer Fußgängerzone musiziert

    Es durften sowieso nur staatlich genehmigte Musiker auftreten oder staatlich geprüfte „Schallplattenunterhalter“ – Funktionärssprache für Disk­jockey –, auflegen. Ohne die sogenannte Pappe, die amtlich beglaubigte Spielerlaubnis, ging nichts. Und wer aufmuckte, bekam Auftrittsverbot oder wurde gar ausgebürgert, wie das bei Bettina Wegner, Wolf Biermann und anderen der Fall war.

    Teilweise wurde versucht, das Verbot von Straßenmusik zu umgehen, indem man sich auf die Hinterhöfe von Mietshäusern stellte, hoffentlich unbeobachtet von der Stasi, und dann musizierte, in der Hoffnung, es würde ein paar Münzen aus den oberen Stockwerken regnen. Auf manchen Volksfesten wiederum nahm der Staat seine eigenen Regeln nicht so genau und gab die Erlaubnis, auf öffentlichen Plätzen aufzuspielen.

    Und die Folkszene in den 1970ern war auch in der DDR aufmüpfig genug, dass sich so mancher aus dieser einfach ohne Erlaubnis mit seiner Gitarre auf die Straße stellte. Die Konsequenzen waren mal empfindliche Strafen, manchmal wurde ein Folkie von ­einem Ordnungsbeamten aber auch einfach ignoriert und durfte weiterspielen.

    Aber prinzipiell hätte die Erlaubnis, dass Musiker und Musikerinnen einfach am Straßenrand drauflosspielen dürfen, einen ziemlichen Kontrollverlust zur Folge gehabt, und davor hatten die Staatsorgane der DDR eine riesige Angst. In einem Video aus dem Archiv der Deutschen Nationalbibliothek (www.dnb.de/stoerenfriede) beschreibt der Musikwissenschaftler Steffen Lieberwirth, der damals als Dramaturg im Gewandhaus in Leipzig arbeitete, was passierte, als sich die Bürger der DDR die Straßenmusik dann endlich im großen Stil nicht länger verbieten lassen wollten und im Sommer 1989 in Leipzig ein Straßenmusikfestival organisiert wurde. Die Namen der Veranstalter waren geheim, alles andere wäre lebensgefährlich gewesen, so Lieberwirth, und eine Genehmigung gab es nicht.

    Trotzdem versammelten sich in der Leipziger Innenstadt an einem schönen Tag im Juni Musiker und Musikerinnen von überallher und spielten auf verschiedenen Plätzen auf. Und die Staatsmacht schritt tatsächlich ein, zerschlug Instrumente, zog die Leute an den Haaren weg. Sogar ein Trabbi mit Lautsprechern auf dem Dach fuhr herum, aus denen Schlager plärrten, um das Treiben zu stören.

    „Die Partei hatte Angst vor Texten“, glaubt Lieberwirth, und natürlich wurde auch „We Shall Overcome“ auf diesem Straßenmusikfestival intoniert, der Klassiker aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der in den ­Ohren der DDR-Staatsobrigkeit wie eine Drohung wirken musste.

    In den deutschen Fußgänger­zonen wird Straßenmusik so eingehegt, dass sie eben nicht stört und im besten Fall den Konsum sogar durch Steigerung einer Wohlfühl­atmosphäre anregt

    Lieberwirth glaubt, die Menschen hätten damals begriffen, dass ein Staat, der so mit der Musik und denen, die sie machen, umgeht, keine Zukunft haben kann. Der Moment, in dem die unregulierte Musikdarbietung mit aller Macht auf die Straßen in der DDR drängte, sei für ihn die „Generalprobe der Revolution von 1989“ gewesen.
    Subversive Kräfte

    Diese subversive Kraft hat die Straßenmusik heute auch in Potsdam nicht mehr. Nicht mit Verboten, sondern mit den oben beschriebenen Regularien wird sie im Kapitalismus der BRD domestiziert. In den deutschen Fußgängerzonen wird sie so eingehegt, dass sie eben nicht stört und im besten Fall den Konsum sogar durch Steigerung einer Wohlfühlatmosphäre durch möglichst nicht weiter störende Klänge anregt und dazu beiträgt, das System noch besser am Laufen zu halten.

    In München geht man sogar so weit, dass man erst vor einem Gremium vorspielen muss, wenn man als Straßenmusiker eine Genehmigung bekommen möchte. Dahinter scheint wie schon im Mittelalter und später in der DDR ein weiterhin vorhandenes grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Straßenmusik zu stecken und der Wunsch, diese zu kontrollieren.
    Geld im Instrumentenkasten eines Straßenmusikers, der auf einem Horn bläst

    Nicht alle Geschäftsleute in der Brandenburger Straße in Potsdam sollen ja nur Freude empfinden, wenn bei ihnen ums Eck jemand sein Instrument auspackt. Aber in den Läden, in denen man sich selbst so umhört, ist man ziemlich gelassen. Im Blumenladen „Blume 2000“, gegenüber dem gerade ein Mann mit Gitarre, eine singende Frau und ein auf eine selbstgebastelte Trommel klopfender Junge nebeneinander stehen und musizieren, sagen die beiden Mitarbeiterinnen, dass die Darbietungen auch schon mal nerven können, wenn sie zu laut seien und man beim Gespräch mit Kunden sein eigenes Wort nicht mehr verstehen könne. Aber im Großen und Ganzen seien sie eher eine willkommene Abwechslung im Arbeitsalltag.

    In einem Shop, in dem allerlei Accessoires und alles von Geldbeuteln bis Socken­ verkauft wird, spricht die Frau hinter dem Ladentresen sogar mit großer Begeisterung von der Straßenmusik. „Das sind teilweise echte Künstler, die hier spielen“, sagt sie, „viele von ihnen wollen mehr, als bloß ein paar Cents zu verdienen.“ Tolle Cellisten, sogar Leute, die ihr Klavier mit zur Brandenburger Straße geschleppt haben, all das habe sie bereits erlebt. Und das findet sie großartig. Zu denjenigen, denen es manchmal zu viel wird mit der Musik im öffentlichen Raum, fällt ihr nur ein: „Wer eh schon nicht mit seinem Leben zurechtkommt, der fühlt sich auch von der Musik gestört.“

    #Berlin #Potsdam #Kultur #Musik

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    https://taz.de/Obdachloser-mit-Kartenleser/!5946349
    Le TAZ, ancien journal de gauche mué en organe du néolibéralisme vert nous présente le nouveau mendiant high-tech qui n’oublie jamais son lecteur de cartes. Pourtant la mendicité par carte bancaire est un leurre. Lors de la prochaîne demande d’aide sociale le Jobcenter soustraira chaque don de l’allocation. Les lois allemandes et commentaires de loi sont formels : chaque entrée d’argent est à soustraire du montant à verser à l’ayant-droit.

    26. 7. 2023 von Eva Müller-Foell - Ein Obdachloser taucht in einem Café auf und fragt nach Bargeld. Gäste entschuldigen sich, keins dabei zu haben – doch er kennt einen anderen Weg.

    Ich saß in einem Café in Kreuzberg, als ein Obdachloser auftauchte. Er war schon älter, das Leben auf der Straße hatte seine Spuren hinterlassen. Er lief zu einem Tisch, an dem zwei jüngere Leute saßen, und meinte: „Hallo, ich habe keine Zähne und keine Wohnung, dafür viel Hunger. Habt ihr vielleicht eine kleine Spende für mich?“ Die Frau schüttelte den Kopf, sagte freundlich: „Nein, tut mir leid.“ Und der Mann meinte: „Ich hab leider auch kein Bargeld dabei.“ Anstatt weiterzuziehen, holte der Obdachlose etwas aus seiner Umhängetasche heraus. Es war ein kleines Kartenlesegerät.

    „Kein Problem, du kannst auch mit Karte spenden. Wie viel möchtest du mir denn geben?“ Verwunderte Blicke. „Äh, zwei Euro“, sagte der Mann und holte zaghaft seine Kreditkarte aus dem Geldbeutel.

    Der Obdachlose tippte etwas in sein Smartphone und hielt dem Mann das kleine Gerät vors Gesicht. Dieser legte seine Karte darauf, ein leises Piepgeräusch ertönte und schon war das Spendengeschäft abgewickelt. „Vielen Dank“, sagte der Obdachlose und verstaute Handy und Kartenlesegerät wieder in seine Umhängetasche. Es dauerte vielleicht zwei Minuten, bis der Mann am Nebentisch aufsprang und losrannte. „Was ist passiert?“, fragte ich die Frau. Sie lächelte und meinte, dass er gar nicht darauf geachtet habe, welche Summe er mit seiner Karte gespendet hätte.

    Wenig später kam der Mann zurück und musste erst mal lachen. „Er hat mir tatsächlich eine Bestätigungsmail für die Spende in Höhe von zwei Euro geschickt.“ Er zeigte uns die Mail. „Vielleicht haben wir ja gerade die Zukunft gesehen“, meinte ich. „Ist ja eigentlich voll die gute Idee für Obdachlose, wenn immer weniger Leute Bargeld einstecken haben“, sagte der Mann, der auch ein wenig stolz wirkte, sich auf dieses Novum eingelassen zu haben.

    #Allemagne #Berlin #mendicité #pauvreté #aide_sociale #Bürgergeld

  • Alert: #Tunisia security forces abused & collectively expelled 20+ West/Central African nationals to a remote area at the Tunisia-#Libya border. (03.07.2023)

    Includes a girl 16 yrs old, 2 pregnant women (1 in very bad condition), 2 registered asylum seekers. They need urgent help.

    2/ Tunisian security forces beat the migrants, threw away their food, smashed their phones, & dropped them on the Libya side of the border, they said.

    They fled back to the Tunisia side after encountering armed men. Spent the night in the desert. Still at risk.
    https://pbs.twimg.com/media/F0Hf8uoX0AE1oQU?format=jpg&name=medium

    3/ Group includes people from Cameroon, Mali, Guinea, Côte d’Ivoire, Chad. 6 women, 1 girl, others men - in initial group.

    Based on my last convo with them, more people may have been expelled overnight. They said 1 man has died - impossible to confirm for now but very worrisome

    4/ These migrants & asylum seekers, including at least 1 child & 2 pregnant women (one ill & bleeding), are stranded in a closed, militarized Tunisia-Libya border zone.⚠️

    We informed UN agencies but #Tunisia authorities have not yet granted access for them to help these people

    5/ Update: just heard from the group of 20 expelled people at #Tunisia-#Libya border. Still stranded. They don’t know if other migrants have been expelled separately. They have no food, only eating when ppl passing by (those trying to cross border) give them bits of bread/water

    6/ #Tunisia expulsions - another update: more migrants reportedly have now been expelled to #Libya border, in addition to the first group of 20. Seeking to verify info/details

    7/ 🚨 Alert: over 100 more African migrants & asylum seekers expelled today by #Tunisia to #Libya border zone (Ben Gardane area). Includes at least 12 children ages 6 months to 5 yrs. This is in addition to the 20 expelled Sun, July 2. They gave permission for me to share videos

    8/ #Tunisia expulsion of 100+ migrants to #Libya border: Since they gave permission to share, here is another video. This one taken by the 1st group - 20 ppl - expelled July 2 (they note the date in the vid). Shows they were forced to sleep overnight on the ground in the desert.

    https://twitter.com/LozSeibert/status/1675865936853696512

    #migrations #asile #réfugiés #Tunisie #Libye #frontières #désert #abandon #refoulements #désert

    –—

    En 2015:
    Refugees left behind in Tunisia’s desert
    https://seenthis.net/messages/351913

    –—

    ajouté à la métaliste “Les ’#left-to-die' dans le désert du Sahara”:
    https://seenthis.net/messages/796051#message1013185

    ping @_kg_

    • En Tunisie, des Subsahariens expulsés de #Sfax, sur le rivage de la Méditerranée, vers le désert

      Selon les témoignages recueillis par « Le Monde », des dizaines de migrants présents dans la ville portuaire ont été emmenés par les forces de sécurité à la frontière libyenne.

      « Nous sommes sur une plage au milieu du désert. » Mercredi 5 juillet vers 10 heures du matin, Ismaël, un jeune Ivoirien installé en Tunisie depuis 2019, vient d’envoyer au Monde sa localisation exacte, grâce à l’application de messagerie instantanée WhatsApp. Le repère placé sur la carte fait la jonction entre la Tunisie, à gauche, la Libye, à droite, et en face, la mer Méditerranée. La nuit précédente, Ismaël et des dizaines d’autres ressortissants d’Afrique subsaharienne ont été transférés de force de la ville portuaire de Sfax (centre-est) vers ce no man’s land, une zone tampon située à proximité du poste-frontière de Ras Jdir, à quelque 350 kilomètres de la deuxième ville du pays.

      Dans une vidéo transmise au Monde vers 17 h 30 par Isaac, un ressortissant guinéen également déplacé dans la nuit de mardi à mercredi, plusieurs dizaines de personnes – voire quelques centaines selon trois témoins sur place – sont toujours amassées sur cette plage, dont des femmes, des enfants et des nourrissons. « On boit l’eau de la mer, on n’a rien mangé depuis hier », alerte une des femmes, son bébé dans les bras, sous le soleil.

      Militaires et agents de la garde nationale nient ces transferts forcés. « Si les migrants sont là-bas, c’est qu’ils doivent venir de Libye », assure l’un d’eux, présent dans la zone frontalière. Les autorités, elles non plus, ne reconnaissent pas ces rafles de migrants. Seul un député, Moez Barkallah, a évoqué ces opérations. Dans une déclaration à l’agence tunisienne de presse, la TAP, il s’est félicité que plus d’un millier de migrants subsahariens aient été expulsés, depuis l’Aïd-el-Kébir, vers les régions frontalières de la Libye et de l’Algérie. Des pays qui, selon lui, parrainent ces opérations.
      Violents affrontements à Sfax

      Les témoignages de ces migrants sont de plus en plus nombreux. D’après Ismaël et ses compagnons, des policiers sont venus les chercher dans leur quartier de Sfax et les ont fait monter à bord de leurs véhicules, sous les acclamations de certains habitants, en leur promettant de les mettre « en sécurité » dans la capitale, Tunis. Mais, au lieu d’aller vers le nord, ils ont roulé vers le sud et le désert.

      Cette opération fait suite à des journées d’extrême tension consécutives à la mort d’un Tunisien, lundi 3 juillet, tué dans une rixe avec des migrants subsahariens, selon le porte-parole du parquet de Sfax. Trois hommes, de nationalité camerounaise, selon les autorités, ont été arrêtés. Dans la foulée, certains quartiers de Sfax ont été le théâtre de violents affrontements. Des habitants tunisiens se sont regroupés pour s’attaquer aux migrants et les déloger. « On ne les veut plus chez nous, on va s’en occuper nous-mêmes, assure l’un d’eux, torse nu, son tee-shirt sur la tête pour masquer son visage, dans une vidéo partagée sur Facebook. Sortez tous, nous allons reprendre nos maisons. »

      Mardi, dans un communiqué, le président tunisien, Kaïs Saïed, a affirmé que son pays refuse d’être « une zone de transit ou d’accueil pour les arrivants de plusieurs pays africains ». A l’intention de l’Union européenne, qui veut obtenir de la Tunisie qu’elle empêche les départs en Méditerranée, il a ajouté que son pays « ne protège que ses propres frontières ».

      Cela fait des mois que la défiance s’installe dans la ville portuaire, où les migrants sont de plus en plus nombreux, y attendant de pouvoir embarquer à bord d’un bateau pour l’Europe. Fin février 2023, alors qu’une campagne contre les migrants subsahariens lancée par le Parti nationaliste tunisien était largement diffusée sur les réseaux sociaux et dans les médias, la haine s’est exacerbée après le discours de Kaïs Saïed accusant des « hordes de migrants clandestins » d’être source de « violence, de crimes et d’actes inacceptables ».
      Partir vers l’Europe

      Dans les semaines qui ont suivi, des organisations de défense des droits humains ont recensé des dizaines d’agressions, d’expulsions et de licenciements de migrants. Le gouvernement tunisien s’est défendu de tout « racisme », évoquant « une campagne orchestrée et de source bien connue ».

      Déjà difficiles, les conditions de vie d’Ismaël, le jeune Ivoirien, se sont encore détériorées. Les manifestations contre les migrants à Sfax se sont multipliées, de même que les accusations de crimes et de violences, reprises une nouvelle fois par le chef de l’Etat. A à peine 30 ans, Ismaël n’a alors plus eu qu’une idée en tête : partir vers l’Europe. Il a tenté de le faire une première fois à la fin de l’hiver, mais son aventure a échoué après l’interception de son bateau par la garde maritime. Il a alors été relâché à Sfax, où il pensait faire profil bas, en attendant des jours meilleurs.

      Depuis que les informations sur les expulsions de migrants ont circulé, mercredi, des dizaines d’autres Subsahariens se sont regroupés dans les gares ferroviaires et les stations de bus pour fuir Sfax. Le soir même, la tension est redescendue d’un cran dans les rues de la ville. Dans un petit parc du centre-ville, près d’une mosquée, des dizaines de migrants sont regroupés, des femmes dorment, quelques-uns discutent, deux sont blessés à la tête.

      Leurs discussions sont rythmées par les sirènes de la police ou le bruit de motards tunisiens qui semblent faire des rondes. « Les policiers sont là pour nous protéger », se rassure Abdallah, même s’il craint d’être attaqué à tout moment. Expulsés de chez eux, empêchés de traverser la mer vers l’Europe, ils attendent de pouvoir fuir la ville ou retrouver des conditions de vie « acceptables ».

      Depuis le sud du pays, alors que le soleil s’apprête à se coucher, Ismaël rappelle, apeuré. « Beaucoup de militaires sont arrivés près de l’endroit où nous sommes, on ne sait pas ce qu’ils vont nous faire », précise-t-il.

      https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/06/en-tunisie-des-subsahariens-expulses-de-sfax-vers-le-desert_6180768_3212.htm

    • „Wenn euch euer Leben lieb ist, geht“

      In Tunesien zwingen Privatleute Mi­gran­t:in­nen und Geflüchtete aus ihren Wohnungen, der Staat setzt sie dann in der Wüste ab – bei 40 Grad im Schatten.

      TUNIS/SFAX taz | Viele Menschen in der langen Schlange vor dem Bahnhof von Sfax sind stumm. In den Gesichtern der meist aus Westafrika kommenden Mi­gran­t:in­nen sind noch ihre Erlebnisse der letzten Stunden geschrieben. In der Nacht auf Mittwoch hatten mit Knüppeln und Messern bewaffnete Jugendliche in der zweitgrößten Stadt Tunesiens Hunderte Mi­gran­t:in­nen aus ihren angemieteten Wohnungen gezwungen und in Gruppen auf die Hauptstraßen getrieben.

      Die von den Angreifern in den sozialen Medien geteilten Videos zeigen verschreckte Menschen mit erhobenen Händen, die von Passanten bedroht und unter üblen Beschimpfungen in Richtung Bahnhof und den Taxistationen getrieben werden. „Ihr müsst Sfax verlassen, eure Answesenheit hier wird nicht mehr akzeptiert. Wenn euch euer Leben lieb ist, dann geht“, erklärt ein bärtiger Mann einer auf dem Boden kauernden Gruppe aus der Elfenbeinküste auf Französisch.

      Anlass der Kampagne ist wohl der Tod eines Tunesiers, der bei einer Auseinandersetzung mit drei Kamerunern am Montag ums Leben kam.

      Dass Mi­gran­t:in­nen mit Gewalt vertrieben werden, passiert in Tunesien nicht zum ersten Mal. Kais Saied hatte bei einem Treffen mit Generälen und Ministern des Nationalen Sicherheitsrats im Februar die aus Libyen Geflohenen oder ohne Visum aus Westafrika Eingereisten als Verschwörung gegen die arabische und islamische Kultur des Landes bezeichnet. Die illegale Migration müsse beendet werden, sagte der 2019 mit überwältigender Mehrheit gewählte Präsident damals. Daraufhin gab es eine erste Welle der gewalttätigen Vertreibung von Mi­gran­t:in­nen, viele von ihnen landeten in Sfax, das bis jetzt als Zufluchtsort galt.
      Die Frustration vieler Tunesier schlägt in Hass um

      Viele Mi­gran­t:in­nen arbeiten als Service- oder Reinigungskraft in Cafés oder in Büros. Mit der Bezahlung unter dem Mindestlohn geben sie sich zufrieden und ermöglichen damit vielen Firmen das Überleben in der seit der Coronapandemie anhaltenden Wirtschaftskrise.

      Doch die Frustration der Tu­ne­sie­r:in­nen über den politischen und wirtschaftlichen Stillstand im Land nutzt die Splitterbewegung Nationale Partei Tunesiens geschickt dafür, Hass gegen Fremde zu befeuern. Zwar ist die Kriminalitätsrate kaum gestiegen – obwohl die Zahl der in Sfax lebenden libyschen Familien und westafrikanischen Mi­gran­t:in­nen stark gewachsen ist. Doch viele in Sfax stimmen der gewaltsamen Verteibung zu.

      „In einigen Stadtteilen sind sie nun in der Mehrheit“, beschwert sich der Gemüsehändler Mohamed Baklouti. Der 48-jährige Familienvater verkauft am Beb-Jebli-Platz im Zentrum von Sfax Obst und Gemüse. Wenige Meter weiter hatten sich – nach den ersten Vertreibungen im Februar – endlich wieder Händler aus der Elfenbeinküste und Ghana getraut, ihre Waren anzubieten. „Wir akzeptieren sie, weil sie das verdiente Geld dazu nutzen, weiter nach Europa zu reisen“, sagte Baklouti noch letzte Woche, vor den Vertreibungen.

      Nun sind die Westafrikaner weg. In Bussen werden sie offenbar von der Staatsmacht an die libysche Grenze gefahren und im Niemandsland abgesetzt. Augenzeugen aus dem Grenzort Ben Guarden berichten von Müttern und Kindern, die bei 40 Grad im Schatten auf eine Weiterreisemöglichkeit warten.
      „Ich weiß nicht, wohin es geht“

      Im Zug von Sfax nach Tunis saßen am Donnerstag zahlreiche Menschen mit Schürfwunden. Tu­ne­sie­r:in­nen reichen den meist ohne ihre Habseligkeiten oder Geld fliehenden Menschen Wasserflaschen. Doch auf der Strecke, in der Stadt Mahdia, stoppte die Polizei den Zug und lud Mi­gran­t:in­nen in Busse. „Ich weiß nicht, wohin es geht“, so ein Ghanaer beim Einsteigen.

      Ein gemeinsamer Besuch von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, dem niederländischen Premier Frank Rutte und seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni Mitte Juni zeigte, was Europa von Tunesien erwartet: Die Küstenwache und Sicherheitskräfte sollen die in diesem Jahr stark gestiegene Zahl von Booten mit Migranten aus Tunesien eingrenzen, im Gegenzug könnte bald eine Milliarde Euro von Brüssel nach Tunis fließen.

      Meloni hoffte zudem darauf, westafrikanische Mi­gran­t:in­nen mit abgelehntem Asylantrag nach Tunesien zurückschicken zu können. Die blutige Vertreibung der Menschen aus Sfax dürfte Melonis Plan durchkreuzen – denn ein sicheres Drittland ist Tunesien damit nicht mehr.

      https://taz.de/Gewalt-gegen-Migrantinnen-in-Tunesien/!5942175

    • Tunisie : la chasse aux migrants irréguliers reprend son cours

      Un tribunal de la deuxième ville tunisienne de Sfax a indiqué mercredi que quatre Tunisiens ont été arrêtés et inculpés pour avoir hébergé des migrants illégaux, rapporte le média local « Tunisie Numérique ».

      Le porte-parole du tribunal de première instance de Sfax aurait indiqué que 33 migrants illégaux ont été arrêtés et quatre autres Tunisiens également détenus pour les avoir hébergés.

      Les migrants illégaux, a ajouté le tribunal, ont loué un bâtiment entier pour leur séjour avant de prendre la mer en direction des côtes sud de l’Europe. Les arrestations font suite aux instructions du président Kais Saied de renforcer l’ordre et de renforcer la loi dans la ville de Sfax qui a été un théâtre de tensions entre les migrants subsahariens et certains résidents tunisiens de la ville.

      La mêlée a éclaté en début de semaine et a entraîné la mort d’un Tunisien de 38 ans qui aurait été tué à l’arme blanche par trois Subsahariens. La police a arrêté des dizaines de personnes. 34 Subsahariens ont également été arrêtés pour entrer et séjour irrégulier en Tunisie. Le pays est utilisé comme transit par des milliers de migrants désireux d’atteindre les côtes méridionales de l’Europe.

      « 1.200 migrants subsahariens expulsés depuis le 28 juin »

      Depuis le 28 juin, la Tunisie a renvoyé vers les frontières avec la Libye et l’Algérie environ 1.200 migrants sans papiers venus d’Afrique subsaharienne. C’est ce qu’a révélé Moez Barkallah, député de Sfax, à l’agence “Tap”. Il a expliqué que les migrants étaient renvoyés par groupes de 200 et que quatre bus partaient chaque jour de Sfax pour les transporter. Il a aussi espéré “que trois à quatre mille migrants soient expulsés d’ici à la fin de la semaine”. Selon lui, “il y a environ 7.000 ressortissants d’Afrique subsaharienne qui vivent légalement en Tunisie, dont six mille sont des demandeurs d’asile et sept mille autres sont des migrants irréguliers”. Il a ajouté que plus de cent députés avaient signé une pétition pour demander au Premier ministre, Najla Bouden, de tenir une séance plénière pour expliquer la stratégie et la législation du gouvernement sur la question des migrants et la situation à Sfax.

      https://maroc-diplomatique.net/tunisie-la-chasse-aux-migrants-irreguliers-reprend-son-cours

    • #Interview with Ahlam Chemlali

      Sfax a veritable ’pressure cooker’ sparked by migration policy and political, socio-economic crises

      Racial tensions in the Tunisian coastal city of Sfax flared into violence targeting migrants from sub-Saharan Africa, dozens of whom were forcibly evicted from the city or fled, witnesses said Wednesday. Amid the disturbances late Tuesday, police detained some migrants and deported them as far as the Libyan border more than 300 kilometres (over 200 miles) away, according to a local rights group. The latest unrest started after the funeral of a 41-year-old Tunisian man who was stabbed to death Monday in an altercation between locals and migrants, which led to the arrests of three suspects from Cameroon. As tensions escalate considerably between exasperated Tunisians and African migrants seeking a better life, FRANCE 24 is joined by Ahlam Chemlali, Visiting Scholar at Yale University and PhD Fellow at the Danish Institute for International Studies (DIIS).

      https://www.france24.com/en/video/20230705-sfax-a-veritable-pressure-cooker-sparked-by-migration-policy-and-

    • #Achille_Mbembe on racism in #Tunisia.

      LA TUNISIE : LA HONTE

      Le traitement infligé aux Africains du sud du Sahara en Tunisie est criminel, et les autorités de ce pays doivent être tenus pour responsables de chacune des morts qui en découlera.

      Qu’il ne fasse l’objet d’aucune sanction ni de la part des gouvernements africains, ni des grandes institutions continentales est scandaleux.

      Maillon en haillons d’une machine dévorante et infernale mise en place par l’Europe, l’Etat tunisien participe cyniquement au projet, piloté par l’Europe, de transformation du continent africain en une colonie de damnés fermée à double tour sur elle-même.
      L’on prétend ainsi régler les deux épouvantails que sont l’immigration illégale et la bombe démographique que serait devenu le continent.

      Dans cette funeste course, elle rejoint la Libye et d’autres États maghrébins déterminés à se démarquer du reste du continent et à jouer le rôle de cordons sanitaires de l’Europe. Contre des miettes (un milliard d’euros pour la Tunisie), ils contribuent ainsi, à travers ces chasses punitives, à la cristallisation du nouveau régime global de gouvernement des migrations concocté par l’Europe. Mais elle se rapproche aussi, a maints égards, de l’Afrique du Sud. Championne de l’encampement et de la déportation des Africains, l’Afrique du sud n’est en effet pas en reste, elle qui est désormais gangrenée jusqu’aux plus hauts niveaux de l’Etat par l’esprit de xénophobie .

      L’urgence d’un consensus sur la régulation des mobilités intra-continentales n’a donc jamais été aussi criante. L’Afrique doit moderniser et mutualiser ses frontières internes. Au lieu de multiplier des camps, elle doit se transformer en un vaste espace de circulation pour ses gens. Plusieurs propositions concrètes existent. Il faut les mettre à l’œuvre si l’on veut qu’avant la fin de ce siècle émerge un nouveau régime spatial africain - celui-là qui garantit à tous un droit inconditionnel à la mobilité et empêche que des Africains soient traités comme des étrangers en Afrique.

      https://twitter.com/MedDhiaH/status/1677383506325020673

    • Human Rights Watch appelle la Tunisie à mettre fin aux « expulsions collectives » de migrants vers le désert

      Des centaines de Subsahariens se trouvent en situation très précaire dans une zone désertique dans le sud du pays, près de la frontière libyenne.

      L’ONG de défense des droits humains Human Rights Watch (HRW) a exhorté vendredi 7 juin la Tunisie à mettre fin aux « expulsions collectives » de migrants africains vers une zone désertique près de la frontière libyenne.

      Des centaines de migrants d’originaire d’Afrique subsaharienne se trouvent en situation très précaire dans une zone désertique dans le sud de la Tunisie, après avoir été chassés ces derniers jours de la ville de Sfax (centre-est) sur fond de vives tensions avec la population locale qui réclamait leur départ, selon des témoignages recueillis par l’AFP.

      Un déferlement de violence s’est abattu mardi et mercredi sur ces migrants après que l’un d’eux a tué un habitant de la ville lors d’une rixe. « Les forces de sécurité tunisiennes ont expulsé collectivement plusieurs centaines de migrants et demandeurs d’asile africains noirs, dont des enfants et des femmes enceintes, depuis le 2 juillet 2023 vers une zone tampon éloignée et militarisée à la frontière entre la Tunisie et la Libye », a déclaré HRW dans un communiqué.
      Un discours de plus en plus xénophobe

      « De nombreuses personnes ont rapporté des violences de la part des autorités lors de leur arrestation ou de leur expulsion », a ajouté l’ONG. Elle a appelé le gouvernement tunisien à « mettre fin aux expulsions collectives et permettre d’urgence l’accès humanitaire » à ces migrants qui ne disposent que « de peu de nourriture et d’aucune assistance médicale », a déclaré dans le communiqué Lauren Seibert, chercheuse sur les droits des réfugiés à HRW.

      Des migrants interrogés par l’ONG ont affirmé que « plusieurs personnes étaient mortes ou avaient été tuées dans la zone frontalière entre le 2 et le 5 juillet, dont certaines auraient été abattues ou battues par l’armée tunisienne ou la garde nationale », selon le communiqué de HRW, qui précise toutefois ne pas être en mesure de confirmer ces allégations faute d’accès à la zone.

      HRW a appelé la Tunisie à « enquêter sur les forces de sécurité impliquées dans les abus et à les traduire en justice ». « Les migrants africains et les demandeurs d’asile, y compris des enfants, sont désespérés de sortir de la zone frontalière dangereuse et de trouver de la nourriture, des soins médicaux et la sécurité », a ajouté Mme Seibert : « Il n’y a pas de temps à perdre ».

      Un discours de plus en plus ouvertement xénophobe à l’égard de ces migrants s’est répandu depuis que le président tunisien, Kaïs Saïed, a pourfendu en février l’immigration clandestine, la présentant comme une menace démographique pour son pays.

      https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/07/human-rights-watch-appelle-la-tunisie-a-mettre-fin-aux-expulsions-collective

    • Tunisia expulsions: Refugees and migrants stuck on Libyan border

      Twelve hundred migrants including pregnant women and 29 children are stranded there with little food, water or shelter.
      All were rounded up in Tunisia and bussed to the border, but Libyan border guards are refusing to let them in.
      The foreign ministers of both countries have discussed what they call the ‘irregular migration’.
      Human Rights Watch accuses Tunisia of violating international law by ‘collective expulsions’ of black migrants mostly from sub-Saharan Africa.
      And says they need immediate humanitarian aid.

      Al Jazeera’s Malik Traina joins us live from the city of Zuwara, about 30 kilometres from the Libyan border with Tunisia for the latest updates.
      And Amine Snoussi is a journalist and political analyst and joins us from Tunis for his analysis.

      https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=whUfQV2Yt90&feature=youtu.be

    • Support Sub-Saharan African in Tunisia

      We are raising a fund to support sub-Saharan migrant and refugees in Tunisia after the violent attacks and the discrimination they faced in Sfax( south of Tunisia).

      They have been chased from their houses, they lost their jobs and had to move to another city. Also, some of them are injured and need medical care (More details in the video).

      We are collecting funds to ensure that the most vulnerable persons can have a roof, food and the bare minimum of a safety and dignity.

      Thank you !

      https://www.gofundme.com/f/support-subsaharan-african-in-tunisia

      #donation

    • Growing tensions in Sfax sparked by Tunisian govt’s inflammatory rhetoric targeting African migrants

      Racial tensions in the Tunisian coastal city of Sfax flared into violence targeting migrants from sub-Saharan Africa, dozens of whom were forcibly evicted from the city or fled. Amid the disturbances late Tuesday, police detained some migrants and deported them as far as the Libyan border more than 300 kilometres (over 200 miles) away, according to a local rights group. For in-depth analysis and a deeper perspective on the unfolding unrest gripping Tunisia’s financial hub and port city, FRANCE 24’s Genie Godula is joined by Katleen Maes. Director Human Mobility Hub Norwegian Refugee Council.

      https://www.youtube.com/watch?v=xJzrYeqb-tA

    • jeudi, 06 juillet 2023

      Stop à la chasse aux migrant.e.s en Tunisie et aux expulsions vers les frontières ! Aide et évacuation pour les personnes expulsées vers le no man’s land à la frontière tuniso-libyenne !

      Alarme Phone Sahara dénonce fortement les attaques racistes, la chasse aux migrant.e.s et les expulsions massives aux frontières de la Libye et d’Algérie qui se sont intensifiés en Tunisie depuis fin juin 2023.

      Dans la ville portuaire de Sfax, la violence raciste contre les migrant.e.s subsaharien.ne.s s’est intensifiée après l’arrestation de plusieurs personnes accusées d’avoir tué un homme tunisien lors d’une altercation. Selon de nombreux rapports, cet acte a été l’occasion pour des groupes de la population et la police de s’en prendre à grande échelle aux personnes Noires. Les personnes concernées racontent qu’elles ont été brutalement battues et attaquées à coups de pierres et que des groupes d’agresseurs ont pénétré violemment jusque dans les logements de migrant.e.s et ont même violé des femmes et des jeunes filles. Plusieurs centaines de personnes ont fui la ville en train en direction de Tunis et des centaines d’autres ont été arrêtées pour être expulsées.

      Cependant, les arrestations massives et les expulsions massives de Sfax, ainsi que de petites localités jusqu’aux environs de Tunis, ont commencé déjà avant la mort violente de l’homme tunisien :

      Selon la déclaration d’un député de Sfax, la Tunisie a renvoyé l’Algérie environ 1.200 migrants sans papiers vers les frontières avec la Libye et l’Algérie entre le 28 Juin et le 6 Juillet 2023. Il a expliqué que les migrant.e.s étaient expulsé.e.s par groupes de 200 personnes et que quatre bus partaient chaque jour de Sfax pour les transporter. Il avait aussi espéré “que trois à quatre mille migrants soient expulsés d’ici à la fin de la semaine”.

      Des centaines de personnes piégé.e.s dans le no man’s land à la frontière tuniso-libyenne

      ©APNEWS - photo prise par un migrant ivoirien agé 29 ans

      Les rapports d’un groupe d’environ 600 personnes qui se sont adressées par téléphone portable aux médias et institutions internationaux pour demander de l’aide après avoir été expulsées vers une plage située dans le no man’s land entre les frontières tunisienne et libyenne sont particulièrement alarmants. Ils sont coincés sans accès à l’eau et à la nourriture parce que les forces de sécurité tunisiennes ne les laissent pas partir et que les forces libyennes, de leur côté, ne laissent pas passer les gens. Même des personnes humanitaires extérieurs qui tentent d’apporter de l’eau et de la nourriture n’ont pas été autorisés à passer auprès des personnes. Selon les témoignages des personnes concernées, certaines ont commencé à boire de l’eau de mer par désespoir. Par ailleurs, des témoignages non confirmés à ce jour indiquent que deux personnes soient déjà décédées sur la plage du no man’s land.

      ©Les Observateurs, France 24 - Vidéo transmise par Adama (pseudonyme).

      La politique raciste en Tunisie et l’externalisation des frontières Européennes

      Les chasses aux migrant.e.s et les expulsions massives en Tunisie sont la conséquence directe d’une politique et d’une ambiance racistes, alimentées entre autres par le président tunisien Kais Saied depuis février 2023. Mais ils sont également la conséquence directe de l’externalisation du régime frontalier des Etats de l’UE, qui exigent de l’Etat tunisien qu’il joue le rôle de gardien des portes de l’Europe et empêche à tout prix les migrant.e.s de passage ainsi que les citoyen.ne.s tunisien.ne.s d’entrer en Europe.

      Ainsi, les accords entre l’UE et la Tunisie sur le contrôle migratoire contribuent directement à l’escalade du racisme, présent également dans la société tunisienne, et signalent à l’État tunisien qu’il est souhaitable de renvoyer des milliers de personnes vers les frontières et le no man’s land.

      Enfin, nous tenons à rappeler que la chasse aux migrant.e.s et aux réfugié.e.s, encouragée par le régime frontalier européen, et les expulsions massives de personnes vers les frontières et le désert ne sont pas des problèmes exclusivement tunisiens, mais concernent également, sous des formes spécifiques, le Maroc, l’Algérie et la Libye.

      Alarme Phone Sahara demande :

      Arrêt immédiat de la chasse aux migrant.e.s, de la violence raciste et des expulsions massives en Tunisie !

      Aide et évacuation immédiate pour les personnes expulsées aux frontières tuniso-algérienne et tuniso-libyenne, surtout pour les centaines de personnes piégées dans le no man’s land à la frontière tuniso-libyenne !

      Diffusez les appels, les rapports et les témoignages des personnes concernées de la chasse aux migrant.e.s et des expulsions massives en Tunisie largement dans le publique internationale !

      Rapports d’actualité sur les événements en Tunisie :

      https://maroc-diplomatique.net/tunisie-la-chasse-aux-migrants-irreguliers-reprend-son-cours

      https://apnews.com/article/migrants-tunisia-africa-europe-7186b742643a77e5b17376c7db7dac60

      Rapport de la situation alarmante des centaines de personnes piégées dans le no man’s land à la frontière tuniso-libyenne :

      https://observers.france24.com/fr/afrique/20230706-tunisie-libye-expulsion-video-sfax

      Rapports sur les personnes qui fuirent la ville de Sfax suite aux attaques racistes :

      https://youtu.be/RSAzYaqkSbs

      https://youtu.be/jeEZ7-Zrj1A

      Vidéo d’arrestation violente de migrant.e.s à Sfax :

      https://twitter.com/nissssim/status/1676328508098768897

      Rapports par refugees in Tunisia sur twitter :

      https://twitter.com/refugeestunisia/status/1676563378196692992?s=12&t=7ooqNDUWXAo1yw4XzaJbkQ

      https://twitter.com/RefugeesTunisia/status/1676213810640609280?t=RnEDkXhIwRBk_R_AGNelyw&s=09

      https://alarmephonesahara.info/fr/blog/posts/stop-a-la-chasse-aux-migrant-e-s-en-tunisie-et-aux-expulsions-ve

      #APS #Sfax

    • Flüchtende an der Grenze zu Libyen: Tunesien deportiert Migranten

      1.200 Menschen harren in einer militärischen Sperrzone aus. Tunesiens Präsident Saied weist Kritik zurück. Hilfsorganisationen sind alarmiert.

      SFAX taz | In einer militärischen Sperrzone zwischen der tunesischen und libyschen Grenze warten mehr als 1.200 Migranten seit Tagen verzweifelt auf Hilfe. Sie waren während der aktuellen Welle von Übergriffen in der tunesischen Hafenstadt Sfax aus ihren Wohnungen vertrieben worden. In Gruppen von bis zu 50 Angreifern waren tunesische Jugendliche durch die Straßen der Stadt gezogen. Sie nahmen den aus West- und Zentralafrika kommenden Menschen Telefone, Geld und Dokumente ab.

      Seit letztem Mittwoch werden die Mi­gran­ten in Bussen an die libysche sowie an die algerische Grenze gefahren. Nach Angaben des aus Sfax stammenden Parlamentsabgeordneten Moez Barkallah schicken die Behörden täglich mehrere Gruppen in das Niemandsland an der libyschen Grenze beim Grenzübergang Ras Jadir.

      Viele der nach Sfax gekommenen Menschen waren zuvor aus Libyen geflohen oder von Schleppern aus Algerien in den tunesischen Grenzort Kasserine gebracht worden. Mit dem Transport der Mi­gran­ten imitiert Tunesien nun die von den EU-Innenministern aktuell angestrebte europäische Asylpolitik: Zukünftig soll es demnach möglich sein, abgelehnte Asylbewerber aus einem EU-Mitgliedsstaat in das Land zu schicken, aus dem sie eingereist waren, auch wenn sie nicht von dort stammen.

      Das Vorgehen Tunesiens, die Menschen in der Wüste auszusetzen, hat offenbar schon zum Tod mehrerer Menschen geführt. Mi­gran­ten in Tunesien stehen mit der täglich größer werdenden Gruppe an der Grenze zu Libyen in Kontakt. Sie berichteten von mindestens acht Todesfällen aufgrund von Dehydrierung und Schwäche. Einem Reporter von Al Jazeera gelang es, in das Sperrgebiet zu gelangen und mit den Gestrandeten zu sprechen. Bis auf die libyschen Grenzbeamten hätte ihnen niemand Wasser oder Lebensmittel gebracht, berichtet der Reporter Malik Traina.

      Temperaturen über 40 Grad

      Die Gruppe harrt am Strand aus und wird von tunesischen und libyschen Beamten an der Weiterreise in die libysche Hauptstadt Tripolis oder der Rückkehr nach Sfax gehindert. Libysche Grenzbeamte berichteten der taz von heftigem Streit mit den tunesischen Kollegen. Man beherberge mehrere Hunderttausend Mi­gran­ten und sei bisher nie auf die Idee gekommen, diese ohne Vorankündigung nach Tunesien zu schicken.

      Der Reporter Traina und Mi­gran­ten, die mit der Gruppe in Kontakt stehen, appellieren an Hilfsorganisationen, der Gruppe so schnell wie möglich Hilfe zukommen zu lassen. Derzeit herrschen in dem Gebiet Temperaturen von über 40 Grad Celsius. Human Rights Watch forderte Tunesien auf, „dringend humanitären Zugang“ zu den Betroffenen zu ermöglichen, die „wenig Nahrung und keine medizinische Hilfe“ hätten.

      Tunesiens Präsident Kais Saied wies Kritik am Samstagabend zurück. „Diese Migranten werden menschlich behandelt, ausgehend von unseren Werten und Charakterzügen“, sagte Saied. Dieses Verhalten stünde im Gegensatz „zu dem, was koloniale Kreise und ihre Agenten verbreiten“. Mit Blick auf die Migranten sagte er: „Tunesien ist keine möblierte Wohnung zum Verkauf oder zur Miete.“

      Bislang völlig unklar ist, warum die tunesischen Behörden die Menschen ohne Absprache mit Hilfsorganisationen deportieren. In Sfax trauen sich nach dem Abflauen der jüngsten Welle der Gewalt gegen Migranten einige nun wieder auf die Straße. Am Freitag forderten mehrere Hundert Menschen mit selbst gemalten Plakaten, ein Ende der Übergriffe und in ihre Heimat ausgeflogen zu werden.

      Hassan Gierdo aus Guinea zeigt auf eine offene Wunde an seinem Unterschenkel. „Jemand hat mit einem Knüppel auf mich eingeschlagen, als ich bereits zusammen mit einem Dutzend anderer zusammengetriebener Menschen auf dem Boden lag. Ich habe kein Geld für einen Arzt und öffentliche Krankenhäuser behandeln uns nicht“, sagt der 24-Jährige. „Man will es uns unmöglich machen, in Tunesien zu bleiben, auch wenn das unser Leben in Gefahr bringt“, glaubt Gierdo.

      https://taz.de/Fluechtende-an-der-Grenze-zu-Libyen/!5943278

    • Tunisia moves hundreds of migrants from desolate border area

      https://www.reuters.com/resizer/RR32b6PLI-TKquPsj8UVRVpNL4k=/960x0/filters:quality(80)/cloudfront-us-east-2.images.arcpublishing.com/reuters/QW3G66MGQRJSLMOK7OGLAOYGHE.jpg

      TUNIS, July 11 (Reuters) - Tunisia has moved hundreds of migrants to shelters in two towns, a local rights group said on Tuesday, after criticism of conditions in a desolate Sahara military area on the border with Libya, where the government transferred them last week.

      Struggling with high numbers of mainly sub-Saharan African migrants seeking to leave the north African country for Europe, President Kais Saied has responded with measures local and international rights groups say are endangering lives.

      “Hundreds of people who were on the Libyan border were transferred finally to shelter centres in Medenine and Tataouine towns after difficult times they spent there in the intense heat”, Ramadan Ben Omar, an official at the non-governmental Tunisian Forum for Economic and Social Rights, told Reuters.

      The interior ministry did not respond to a request for comment.

      The government moved the migrants to the site at the Libyan border following an outbreak of violence in the coastal city of Sfax earlier in July, rights groups said, where travellers and residents clashed.

      The disturbances between migrants and residents in Sfax lasted a week and one Tunisian was killed. Residents complained of disorderly behaviour by migrants and migrants complained of racist harassment.

      Thousands of undocumented migrants have flocked to Sfax in recent months with the goal of setting off for Europe in boats run by human traffickers, leading to an unprecedented migration crisis for Tunisia.

      While overall irregular migration to Europe is up about 12% this year, it more than doubled in the central Mediterranean region, according to data from Europe’s border agency in May.

      The sharp rise in attempted crossings from Tunisia is partly attributable to a crackdown ordered by Saied on migrants from sub-Saharan Africa living in the country illegally.

      Earlier this year, Saied claimed a conspiracy to change Tunisia’s racial makeup. His statement was followed by reports of racist attacks, and by rising numbers of Black Africans resident in Tunisia seeking to leave for Europe.

      Tunisia is now under pressure from Europe to stop migrants departing from its coasts. European countries are considering a package of financial support to help the economy and to deal with migration.

      https://www.reuters.com/world/africa/tunisia-moves-hundreds-migrants-desolate-border-area-2023-07-11

    • A Ellouza, port de pêche tunisien, la mort, l’errance et les retours contraints des migrants qui rêvent d’Europe

      Ce village situé au nord de Sfax n ?est qu ?à 150 km de Lampedusa. Un point de départ à haut risque pour les migrants subsahariens qui tentent de rallier l ?Europe. Dimanche, une nouvelle embarcation a fait naufrage au large des côtes tunisiennes ; une personne a été tuée et une dizaine d ?autres sont portées disparues.

      Monia Ben Hamadi (Ellouza (Tunisie), envoyée spéciale) | Publié le 10/07/2023

      Après cinq heures de mer, Yannick pose finalement pied sur la terre ferme. Mais du mauvais côté de la Méditerranée. Ce Camerounais de 30 ans, avec des dizaines d ?autres migrants subsahariens, vient, jeudi 6 juillet, d ?être intercepté par les garde-côtes tunisiens au large d ?Ellouza, petit village de pêcheurs à 40 km au nord de Sfax. Envolés les 2 500 dinars (800 euros) que lui a coûtés la traversée vers Lampedusa (Italie).

      Sur la plage, une unité de la garde nationale est déjà en poste pour les accueillir. Les agents tentent de contenir les quelques villageois, curieux, venus assister au débarquement. Hommes, femmes, enfants et nourrissons sont ainsi contraints de quitter leur bateau de fortune, devant des spectateurs amusés ? ou au moins habitués ? et face à une police sur les nerfs. Un gendarme, tendu, prend son téléphone pour demander des renforts. « Vous nous laissez seuls, personne n ?est arrivé », reproche-t-il à son interlocuteur. « C ?est tous les jours comme ça, plusieurs fois par jour », maugrée-t-il en raccrochant.

      Les uns après les autres, les migrants quittent le bateau. « Venez ici. Asseyez-vous. Ne bougez pas », crient les agents des forces de l ?ordre qui retirent le moteur de l ?embarcation de métal et éloignent les bidons de kérosène prévus pour assurer la traversée d ?environ 150 km qui séparent Ellouza de Lampedusa. Migrants subsahariens, villageois tunisiens et agents de la garde nationale se regardent en chien de faïence. Dans l ?eau, le petit bateau des garde-côtes qui a escorté les migrants surveille l ?opération. La présence inattendue de journalistes sur place ne fait qu ?augmenter la tension. Yannick, accompagné de son frère cadet, s ?inquiète. « Est-ce qu ?ils vont nous emmener dans le désert, ne les laissez pas nous emmener », supplie-t-il.

      Violents affrontements

      Depuis une semaine, des centaines de migrants subsahariens ont été chassés de Sfax vers une zone tampon désertique bordant la mer, près du poste frontière avec la Libye de Ras Jdir. D ?autres ont été expulsés à la frontière algérienne. Ces opérations font suite aux journées d ?extrême tension qui ont suivi la mort d ?un Tunisien, lundi 3 juillet, tué dans une rixe avec des migrants subsahariens, selon le porte-parole du parquet de Sfax.

      Trois hommes, de nationalité camerounaise, d ?après les autorités, ont été arrêtés. Dans la foulée, des quartiers de Sfax ont été le théâtre de violents affrontements. Des Tunisiens se sont regroupés pour s ?attaquer aux migrants et les déloger de leur habitation. Yannick et son petit frère faisaient partie des expulsés. Les deux hommes ont fui la ville au milieu de la nuit, parcourant des dizaines de kilomètres à pied pour se réfugier dans la « brousse », près d ?Ellouza.

      La région de Sfax est depuis devenue le théâtre d ?un étrange ballet. Toute la journée et toute la nuit, dans l ?obscurité totale, des groupes de migrants subsahariens errent sur les routes communales entourées de champs d ?oliviers et de buissons. « A chaque fois, quelques personnes étaient chargées des courses, de l ?eau et un peu de nourriture. Il fallait transporter le tout à pied sur plusieurs kilomètres », raconte Yannick. Lui et son petit frère de 19 ans ont dormi deux nuits dehors, avant que leur grande s ?ur, qui a réussi à rejoindre la France des années auparavant, ne leur paie leur traversée, prévue le 6 juillet à midi.

      « Commerçants de la mort »

      Ce jour-là, près du port d ?Ellouza, Hamza, 60 ans, repeignait son petit bateau en bois bleu et blanc. Ce pêcheur expérimenté ne cache pas son émotion face au drame dont son village est le théâtre. Lui-même a dû s ?improviser pêcheur de cadavres depuis quelque temps. Des corps sans vie se coincent parfois dans ses filets. « Une fois, j ?ai trouvé la moitié du corps d ?une femme mais elle était dans un état de décomposition tel que je n ?ai pas trouvé par où la tenir. Je l ?ai laissée là. Je n ?ai pas pu dormir pendant des jours », dit-il, la voix tremblante.

      Dimanche 9 juillet, une nouvelle embarcation a fait naufrage au large de cette région : une personne est morte et une dizaine d ?autres sont portées disparues. En plus des cadavres, les épaves des bateaux métalliques qui servent à la traversée des migrants déchirent souvent les filets des pêcheurs. « Je n ?ai pas les moyens de racheter des filets tous les mois », regrette Hamza.

      Le long de la côte autour d ?Ellouza, les bateaux métalliques échoués et rongés par la rouille sont innombrables. Ces bateaux, de « très mauvaise qualité » selon le pêcheur, sont construits en quantités importantes et coûtent moins cher que ceux en bois, les pneumatiques ou les barques en plastique qui servaient auparavant à la traversée. « Ce sont des commerçants de la mort », accuse Hamza en pointant aussi bien les passeurs que les politiques migratoires européennes et les autorités tunisiennes.

      « Je retenterai ma chance »

      La Commission européenne a annoncé en juin le déblocage de 105 millions d ?euros « pour lutter contre les passeurs [et] investir dans le contrôle maritime des frontières par les Tunisiens », sans compter la coopération bilatérale venant de Paris ou Rome. Selon le Haut Commissariat des Nations unies pour les réfugiés, durant le premier semestre, près de 30 000 migrants sont arrivés à Lampedusa en provenance de Tunisie.

      Sur les rochers recouverts d ?algues, des centaines de pneus de voiture, servant à amarrer les navires, jonchent la côte. Depuis la falaise, on aperçoit le corps en début de décomposition d ?un migrant. Un autre à quelques mètres. Et puis un autre encore, en contrebas, devenu squelette. Personne n ?a cherché à les enterrer, ni à savoir qui ils étaient. Ils font partie des « disparus » en mer. Des chiens rôdent. Le paysage est aussi paradisiaque qu ?infernal.

      Débarqué vers 17 heures, Yannick sera finalement relâché sur la plage avec son groupe. « C ?est grâce à vous, si vous n ?étiez pas restés, ils nous auraient embarqués et emmenés à la frontière », assure-t-il. Le soir même, avec son frère, ils ont parcouru à pied les dizaines de kilomètres qui séparent Ellouza de Sfax. Cette fois dans l ?autre sens. Après être arrivé à la gare ferroviaire à 3 heures du matin, Yannick a convaincu un vieil homme de leur acheter des tickets pour Tunis.

      Ils sont finalement arrivés sains et saufs dans la capitale. « Il faut que je trouve du travail mais la situation est plus acceptable ici », dit-il. Malgré cette expérience, Yannick est toujours convaincu qu ?un avenir meilleur l ?attend de l ?autre côté de la Méditerranée. « Quand j ?aurai l ?argent, je retenterai ma chance, promet-il. Retourner au pays n ?est pas une option. »

      https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/10/a-ellouza-port-de-peche-tunisien-la-mort-l-errance-et-les-retours-contraints

    • Sfax, triste reflet d’une impasse politique entre Tunis et l’Europe – Jeune Afrique

      Par Frida Dahmani
      8–10 Minuten

      En l’absence de réponse gouvernementale satisfaisante et de révision des politiques publiques, la pression migratoire à Sfax (Centre Est) déclenche une crise qui s’étend à tout le pays, ce que nul n’avait anticipé malgré l’arrivée, ces derniers mois, d’un nombre important de migrants irréguliers dans la région.

      L’assassinat d’un Tunisien par des Subsahariens, le 4 juillet, a ravivé les braises du ressentiment des habitants de la ville, d’ordinaire laborieuse et calme, qui est aussi le second pôle économique du pays vers lequel convergent toutes les routes du sud. Ici, on se trouve à seulement 200 kilomètres de Lampedusa (Italie). Près de 25 000 migrants y auraient trouvé emploi et logement, le plus souvent dans des conditions précaires, en attendant de tenter le voyage vers l’eldorado européen.

      Les propos tenus en février 2021 par le président Kaïs Saïed ont stigmatisé la communauté subsaharienne et déclenché un déferlement de haine raciale. Depuis, malgré quelques tentatives de rapatriement vers leur pays d’origine, le nombre de candidats à la migration n’a cessé d’augmenter, mettant l’agglomération de Sfax en difficulté. La société civile a bien tenté d’alerté sur les risques liés au phénomène, mais il semble que personne n’avait évalué les dangers ni compris les risques de débordements ou d’implosion.
      À LireEn Tunisie, des ONG dénoncent un « discours haineux » contre les migrants africains

      Comme souvent, c’est sur les réseaux sociaux que le déchaînement est le plus violent, certains appelant sans équivoque les citoyens à « partir à la reconquête de leur territoire », tout en fustigeant l’inaction supposée de l’État. L’escalade de violence de ces derniers jours n’a fait qu’ajouter à la confusion, en l’absence d’une réelle communication des autorités à même de désamorcer la désinformation qui prévaut. Entre esquive, non-dits et omerta, quelle est la réalité de la crise migratoire ?
      Une position intenable

      Prise en tenailles entre une Europe qui souhaite qu’elle devienne son garde-frontières, une partie de sa propre population qui aspire à migrer et un flux de ressortissants subsahariens difficile à contenir, la Tunisie peine à trouver un cap sur la question migratoire. La levée des visas avec certains pays africains depuis 2015 a facilité l’accès au territoire tunisien, avec des dépassements de séjour incontrôlables.

      Le conflit libyen a aussi contribué à faire du pays l’une des voies migratoires africaines les plus logiques pour gagner le nord, ce qui, historiquement, correspond au parcours de la traite négrière du XVIIIe siècle. Les esclavagistes d’hier ont cédé la place à un réseau de complicités mafieuses entre passeurs et relais qui tiennent les rênes de la migration irrégulière en plus d’autres trafics.

      L’accord avec l’Union européenne

      Les visites de hauts responsables européens se sont multipliées ces dernières semaines à Tunis, tant Bruxelles semble vouloir faire du pays un allié privilégié. Ou, comme le résume avec agacement le président Kaïs Saïed, l’un de ses « garde-frontières ». Mais au-delà de l’aide financière et des appuis budgétaires annoncés par l’UE, le contenu de l’accord que les Européens tentent de négocier reste un secret bien gardé.

      Qui discute, de quoi et avec qui ? Nul ne le sait : Olivier Várhelyi, Commissaire européen à la Politique de Voisinage et à l’Élargissement, a reporté par deux fois un déplacement prévu à Tunis depuis le 12 juin. La présidente de la Commission européenne, Ursula Von Der Leyen, a, elle, annulé une visite prévue le 6 juillet. Il semble que Tunis renâcle à accepter les conditions de l’UE et souhaite percevoir des dédommagements plus conséquents que ceux qui lui sont proposés en contrepartie du renvoi vers son sol de migrants irréguliers, supposés être arrivés en Italie depuis la Tunisie.

      La réalité de la migration

      Pour une partie des responsables européens, Italiens en tête, la Tunisie est un sujet de préoccupation prioritaire car elle est considérée comme l’un des points de départ privilégiés des migrants africains (Tunisiens compris) souhaitant passer clandestinement en Europe. Pourtant, les chiffres fournis par le département italien de la sécurité publique racontent une histoire légèrement différente : du 1er janvier au 7 avril 2023, 28 886 migrants ont atteint les côtes italiennes. Parmi eux, 16 637 arrivaient de Libye, 12 000 de Tunisie. Pour ce qui est des nationalités d’origine, on dénombrait 5 084 Ivoiriens, 3 921 Guinéens, 2 778 Pakistanais, 2 085 Bengalais, 2 051 Égyptiens, 1 462 Camerounais, 1 164 Syriens, 990 Maliens, 884 Burkinabé. Et 2 110 Tunisiens.

      La composition de ce contingent interroge dans la mesure où, contrairement à ce que les autorités italiennes laissent entendre, le flux des Maghrébins est loin d’être le plus important. L’Italie et l’UE persistent pourtant à mettre la pression sur la Tunisie alors que la Libye, d’où les départs sont bien plus nombreux, ne fait pas l’objet des mêmes avertissements. Il faut dire qu’à la différence de la Tunisie, la Libye est un important fournisseur d’hydrocarbures pour l’Italie. Par ailleurs, l’UE et Rome n’interpellent pas non plus les pays d’origine des migrants. Dans les relations diplomatiques entre Abidjan ou Conakry et Rome, la migration est loin de figurer en tête de l’ordre du jour.

      Une avalanche de fausses informations

      En l’absence de réelles précisions sur la crise qui frappe Sfax, les fausses informations comblent les vides. On peut ainsi lire que, pour diminuer de la pression sur la ville, les autorités auraient décidé de répartir les migrants dans différents gouvernorats du pays. Une rumeur que rien ne confirme. Au contraire, certains migrants qui ont tenté de quitter Sfax pour Tunis, et d’autres qui ont été arrêtés par les forces de l’ordre, ont été conduits par bus aux frontières libyenne et algérienne.

      Des internautes accusent l’Algérie de vouloir déstabiliser la Tunisie en favorisant le passage en masse de migrants depuis son territoire, photos de Subsahariens regroupés dans des bus à l’appui. Vérification faite, il s’agit d’images bien plus anciennes prises dans une zone proche du Mali.

      Les manquements de la Tunisie

      En 2011 déjà, le conflit libyen avait entrainé un flux migratoire sans précédent vers la Tunisie. Avec près d’un million de personnes, les capacités d’accueil avaient été mises à rude épreuve. Pourtant le pays avait su, avec l’appui d’organismes internationaux, s’organiser pour gérer cette situation sans précédent. Hélas, il n’a pas mis à profit les enseignements de cette expérience pour mettre à jour un corpus juridique obsolète, dans lequel ni le statut de réfugiés ni celui de demandeur d’asile n’est clairement défini et encadré.

      À ce flou juridique vient s’ajouter le fait que la Tunisie de 2023, frappée par une crise économique sévère et des difficultés à lever des financements sur la scène internationale, peine à gérer les migrants irréguliers et n’a aucune opportunité d’insertion à leur offrir. Suite à la crise provoquée, au printemps, par ses propos sur les migrants subsahariens, le président Saïed avait appelé à l’application de la loi. Mais depuis, aucune communication officielle n’a été faite pour expliquer aux personnes concernées les conditions dans lesquelles elles peuvent demander leur régularisation, ou les délais à respecter.

      Sans aide internationale, la situation paraît aujourd’hui inextricable. Et laisse la place à un discours populiste et souverainiste dans lequel il ne saurait être question de solutions.

      https://www.jeuneafrique.com/1461227/politique/sfax-triste-reflet-dune-impasse-politique-entre-tunis-et-leurope

    • En Algérie, l’errance des migrants subsahariens menacés d’expulsion

      Ni le rejet violent dont ils sont victimes en Tunisie ni le racisme qu’ils subissent de la part des Algériens ne les dissuadent de transiter par le pays pour rallier l’Europe.

      Assis au milieu d’un amas de tissus, le visage d’Osman Issa brille de sueur. Un ventilateur rafraîchit à peine son atelier de 8 mètres carrés en cette journée d’été étouffante du mois de juillet. De sa table de couture, un karakou (tenue algéroise traditionnelle) au-dessus de la tête, Osman se remémore sa traversée du désert pour venir en Algérie voilà vingt-six ans. « J’ai décidé de quitter le Niger sous les encouragements de mon frère qui avait fait la traversée avant moi », raconte-t-il dans un dialecte algérien presque parfait. A son arrivée en 1997, Osman, brodeur de qualité, s’était lancé avec un certain succès dans le commerce de tenues traditionnelles. Désormais, il possède cet atelier de couture dans un quartier populaire d’Alger.

      Alors que le débat sur la place des migrants subsahariens dans les pays nord-africains a été relancé par les événements en Tunisie et les opérations de refoulement à la frontière des autorités algériennes, lui affirme avoir trouvé sa place. « En trois décennies, je n’ai pas été victime d’un acte raciste qui m’a fait regretter d’être venu », promet-il. Comme la plupart des migrants subsahariens, Osman ne considérait pas l’Algérie comme un point d’ancrage, mais un lieu de transit vers l’Europe. « J’ai tenté de traverser à trois reprises, mais j’ai échoué. » Désormais marié à une Algérienne et père de trois enfants, il bénéficie d’une carte de résidence et n’envisage plus de partir vers l’Europe ou de rentrer au Niger, sauf pour les visites familiales.

      « J’avoue qu’il m’a été très difficile de régulariser ma situation, même après mon mariage. Je me compare souvent à mon frère qui est parti en Belgique bien après moi. Il a déjà sa nationalité. Moi, je sais que je ne l’aurai pas. La nationalité algérienne ? Il ne faut pas demander l’impossible », reconnaît-il, sans nier le racisme ambiant. Quand il n’en est pas témoin lui-même, des récits lui arrivent des migrants qu’il emploie : « Ils ont pour but de partir en Europe. Les passeurs demandent jusqu’à 3 000 euros. Ce qui représente trois ans de travail acharné pour un migrant. D’autres préfèrent rentrer dans leur pays avec cette somme et tenter le visa pour l’Europe. Dans les deux cas, cet argent ne peut être amassé qu’en Algérie. C’est ici qu’il y a du travail. »
      « Pour l’amour de Dieu ! »

      A la sortie de l’atelier d’Osman, le wagon climatisé du tramway offre une échappatoire à la canicule. « Une aumône pour l’amour de Dieu ! », supplie une jeune migrante subsaharienne depuis le fond du train. Alors que l’enfant fraie son chemin, certains passagers piochent dans leurs poches pour lui tendre quelques sous, d’autres ne masquent pas leur exaspération. La scène fait désormais partie du quotidien algérois. Les migrants sont d’ailleurs désormais qualifiés par les locaux de sadaka (aumône).

      A Alger, la vie des migrants subsahariens n’a pas été perturbée par les événements récents en Tunisie. Depuis le 3 juillet, après la mort à Sfax d’un Tunisien dans une bagarre avec des migrants, des autochtones ont fait la chasse aux Subsahariens et les autorités en ont expulsé par centaines de la ville où le drame a eu lieu. Même ceux en situation régulière ne sont pas épargnés. Depuis plusieurs semaines, de nombreux Sfaxiens manifestaient contre l’augmentation du nombre de candidats à l’exil vers l’Europe arrivés d’Algérie.

      Ceux-ci franchissaient majoritairement la frontière au niveau de la région montagneuse de Kasserine, dans le centre ouest de la Tunisie. Un trajet périlleux : neuf migrants y ont perdu la vie à la mi-mai, « morts de soif et de froid », selon la justice tunisienne.

      C’est dans cette même zone que 150 à 200 personnes ont été refoulées par les autorités tunisiennes, selon les estimations de Human Rights Watch (HRW), en plus des 500 à 700 migrants abandonnés dans la zone frontalière avec la Libye. « Ce sont des estimations que nous avons établies après être entrés en contact avec les migrants et après avoir identifié leur localisation, explique Salsabil Chellali, la directrice de HRW pour la Tunisie. Les migrants expulsés du côté algérien se sont dispersés après avoir été contraints à marcher pendant plusieurs kilomètres. »
      « Propos racistes »

      Ces groupes de migrants comptent des enfants et des femmes enceintes. L’une d’elles a accouché aux portes de l’Algérie, comme en atteste une vidéo reçue par Le Monde. D’après HRW, un groupe de migrants, refoulés à la frontière libyenne, a été secouru et pris en charge dans des villes du sud tunisien. D’autres, aux frontières libyennes et algériennes, errent encore dans le désert, attendant aide et assistance.

      Les propos du président tunisien Kaïs Saïed en février, dénonçant des « hordes de migrants clandestins », source de « violence, de crimes et d’actes inacceptables », ont eu un effet désinhibant, notamment sur des influenceurs et des artistes populaires en Algérie. La
      chanteuse de raï Cheba Warda a ainsi dit soutenir le plan d’expulsion du président Tebboune alors qu’aucun discours n’avait été tenu par ce dernier.

      En juin, l’influenceuse algérienne Baraka Meraia, suivie par plus de 275 000 personnes, a dénoncé le racisme anti-Noirs dont elle a aussi été victime. Originaire d’In Salah, à plus de mille kilomètres au sud d’Alger, la jeune femme a dit avoir été prise à plusieurs reprises pour une migrante subsaharienne. Dans une vidéo, elle est apparue en larmes pour raconter le comportement d’un contrôleur de tramway algérois. « Ce n’est pas la première fois que j’entends des propos racistes, relatait-elle. Parmi toutes les personnes qui ont assisté à la scène, aucune n’a réagi. »
      « Ils errent dans le désert »

      En plus des actes et des propos racistes auxquels ils sont exposés, les migrants vivent sous la menace des opérations d’expulsion. Selon l’ONG Alarm Phone Sahara, qui leur vient en aide, l’Algérie a renvoyé plus de 11 000 personnes vers le Niger entre janvier et avril 2023. Les opérations sont toujours en cours, d’après la même source, et s’opèrent au rythme minimum d’un convoi par semaine depuis 2018. « Ces expulsions s’opèrent sur la base d’un accord avec le Niger. Toutefois, l’Algérie ne prend pas en considération la nationalité des migrants qu’elle refoule », raconte Moctar Dan Yayé, le responsable de communication d’Alarm Phone Sahara.

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      Selon lui, les migrants sont acheminés jusqu’à Tamanrasset, à l’extrême sud algérien, puis à la frontière avec le Niger. De ce no man’s land, les refoulés doivent marcher environ 15 km pour atteindre le village d’Assamaka, où l’opération de tri commence. « Nous sommes tombés sur des Yéménites et même sur un migrant du Costa Rica. Ceux-là, comme les autres Africains, ne sont pas pris en charge par le Niger. Parfois, l’Organisation mondiale des migrations (OIM) se charge de les renvoyer chez eux. Dans le cas contraire, ils errent dans le désert en essayant de rentrer en Algérie », rapporte Moctar Dan Yayé. Selon Alarm Phone Sahara, plus de 7 500 migrants expulsés restent bloqués à Assamaka.

      Malgré cette menace de reconduite et les discours incendiaires du président tunisien, ceux-ci gardent les yeux rivés sur la Méditerranée, comme ces deux jeunes Sénégalais, Aliou et Demba*, rencontrés en avril à Tamanrasset. Après avoir traversé le Mali et le Niger, leur errance les a amenés dans cet îlot urbain, planté en plein désert, où ils n’ont trouvé que quelques labeurs sur des chantiers, payés tout juste 1 000 dinars la journée, à peine 7 euros. Demba espérait alors rejoindre la Tunisie, sans crainte que les propos de son dirigeant n’affecte son ambition. Il y a seulement trois mois, il était persuadé que les migrants ne risquaient pas l’expulsion de la Tunisie, contrairement à l’Algérie. Le seul problème qui se posait alors à ses yeux et à ceux de son ami était de trouver l’argent pour payer les passeurs.

      *Les prénoms ont été changés à la demande des interviewés.

      Ténéré Majhoul(Alger, correspondance) et Nour Bahri(Tamanrasset, Algérie, envoyée spéciale)

      https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/12/en-algerie-l-errance-des-migrants-subsahariens-menaces-d-expulsion_6181703_3

    • Deportierte Migranten in Tunesien: Wo sind die aus Sfax Vertriebenen?

      Mirco Keilberth
      6–7 Minuten

      Von vielen aus der tunesischen Stadt deportierten Migranten aus Subsahara-Afrika fehlt jede Spur. Einige wurden offenbar in der Wüste ausgesetzt.

      Gestrandete afrikanische Migranten aus Tunesien an einem Strand in der Nähe der libyschen Grenze Foto: ap

      TUNIS taz | Das Schicksal von über tausend aus der Hafenstadt Sfax deportierten Mi­gran­ten ist eine Woche nach den gewaltvollen Vertreibungen noch immer unklar. Am Montag letzter Woche kam ein 41-jähriger Tunesier bei Auseinandersetzungen zwischen Migranten aus Subsahara-Afrika und Jugendlichen aus Sfax ums Leben. In der darauffolgenden Nacht begannen die Ausschreitungen gegen die Migranten: Sie wurden aus ihren Wohnungen getrieben, geschlagen, bedroht. Täglich transportieren die Behörden Migranten in Bussen aus der 330.000 Einwohner zählenden Stadt.

      An einem Strandabschnitt direkt neben dem libysch-tunesischen Grenzübergang Ras Jadir stieß am letzten Donnerstag Malik Traina, ein Reporter des katarischen TV-Senders Aljazeera, auf 700 aus Sfax deportierte Migranten, die ohne Wasser und Nahrungsmittel dort ausgesetzt worden waren.

      Libysche Grenzbeamte belieferten die Gruppe mit dem Nötigsten, ließen sie aber nicht – wie von den Behörden in Sfax wohl erhofft – über die Grenze. Man habe selber über 700.000 Migranten im Land aufgenommen, erklärt ein Grenzbeamter gegenüber der taz. „Tunesien will seine sozialen Probleme auf dem Rücken der Migranten und Nachbarländer lösen. Das ist ein gefährlicher Präzedenzfall“, so der Beamte aus der nordwestlibyschen Hafenstadt Zuwara weiter.

      Die Videos der bei über 40 Grad in der sengenden Sonne Gestrandeten sorgten weltweit für Empörung. Die Unnachgiebigkeit der von der Aktion völlig überraschten libyschen Beamten führte zunächst zu einem Nachgeben der tunesischen Behörden. Nachdem am Wochenende Helfer des Roten Halbmondes die lebensbedrohliche Entkräftung der Vertriebenen bestätigten, wurde die Mehrheit mit Bussen in verschiedene Orte Südtunesiens gefahren.
      Unter den im Freien Ausgesetzten sind auch Kinder

      In Ben Guerdane, nahe der Grenze, stehen seitdem 70 Migranten unter Polizeischutz. In Tataouine und Medenine, weiter im Landesinneren gelegen, wurden weitere Gruppen untergebracht.

      Libyscher Grenzbeamter

      „Tunesien will seine sozialen Probleme auf dem Rücken der Migranten lösen“

      Viele der Betroffenen würden in ihre Heimat zurückreisen wollen, so Vertreter des Roten Halbmonds. Deren Rückflug würde man zusammen mit der internationalen Organisation für Migration (IOM) organisieren.

      Doch die humanitäre Krise ist damit nicht zu Ende. Die in der Seenotrettung aktive Zivilorganisation Alarm Phone berichtet von weiteren Bussen aus Sfax, die am Dienstag Migranten bei Ras Jadir im Freien absetzten. Unter den dort Verblieben sind mindestens 30 Kinder.

      Völlig unklar ist zur Zeit der Verbleib von bis zu 250 Migranten, die in zwei Gruppen aus Sfax an die algerisch-tunesische Grenze im westtunesischen Tozeur gefahren wurden. Offenbar wurden auch sie nach der Zerstörung ihrer Telefone ohne Wasser und Nahrungsmittel ausgesetzt. In Tozeur herrschten am letzten Wochenende auch nachts noch Temperaturen von 38 Grad, am Tag klettern sie auf knapp 50 – das macht das Grenzgebiet zu einer der derzeit heißesten Regionen der Erde.
      Kontakt zu einer Gruppe Migranten ist abgebrochen

      Tunesische Aktivisten sowie Alarm Phone haben offenbar zu den auf die algerische Seite geflohenen Migranten jeglichen Kontakt verloren. Wahrscheinlich sind die Batterien der bei den Migranten verbliebenen Telefone mittlerweile leer. Menschenrechtsaktivisten aus Djerba wurden bei dem Versuch, die beiden Gruppen zu orten, von der tunesischen Polizei festgesetzt.

      In Sfax übernachten viele der aus ihren Wohnungen Vertriebenen weiter auf den Straßen. Und in den Verstecken an einem Strandabschnitt nördlich der Stadt warten weiterhin mehrere tausend Menschen auf die Überfahrt nach Europa.
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      https://taz.de/Deportierte-Migranten-in-Tunesien/!5943662

    • 13 juillet 2023
      Traitements inhumains et dégradants envers les africain·e·s noir·e·s en Tunisie, fruits du racisme institutionnel et de l’externalisation des politiques migratoires européennes

      Les organisations soussignées expriment leurs vives inquiétudes et leur indignation quant à la situation délétère en Tunisie, tout particulièrement ces derniers jours dans la ville de Sfax. Depuis la mort d’un ressortissant Tunisien, présumément aux mains de ressortissants d’origine subsaharienne, survenue le 3 juillet 2023 lors d’une échauffourée [1], cette ville est le théâtre d’affrontements entre une partie de la population chauffée à blanc par des campagnes de haine sur les réseaux sociaux, et des exilé·e·s en provenance d’Afrique subsaharienne installé·e·s dans cette ville, pris·es pour cibles. Cela s’ajoute aux graves événements racistes et xénophobes qu’a déjà connus le pays en mars 2023 [2], ayant notamment entraîné la mort de trois personnes d’origine Subsaharienne.

      Le discours raciste et haineux, véritable « pousse-au-crime », prononcé par le Président tunisien en février 2023 [3] n’a fait qu’encourager ces exactions, et accorder un blanc-seing aux graves violences exercées à l’encontre des personnes exilées. Et c’est bien l’attitude des autorités locales et nationales qui est en cause, laissant libre court aux fausses informations qui pullulent sur les réseaux sociaux, mais également aux violences de certains groupes – policiers, militaires ou issus de la population –, à l’égard des personnes exilées noires, férocement attaquées et violentées en toute impunité [4] .

      Nombre de témoignages, notamment des premier.e.s concerné·e·s, d’associations de la société civile en Tunisie mais aussi de médias étrangers, font ainsi état de graves violations des droits humains à leur encontre : interpellations violentes et arbitraires, défenestrations, agressions à l’arme blanche… Ces acteurs dénoncent une véritable « chasse aux migrant·e·s » et des rafles, suivies du renvoi forcé d’un millier de personnes aux frontières avec la Libye ou l’Algérie, l’objectif des autorités tunisiennes semblant être de regrouper à ces frontières les exilé·e·s originaires d’Afrique subsaharienne pour les y abandonner sans assistance aucune ni moyens de subsistance, y compris s’agissant de demandeur·euse d’asile. Des rafles précédées ou s’accompagnant d’expulsions arbitraires de leurs domiciles, de destructions ou de vols de leurs biens, de traitements inhumains et dégradants, ainsi que de violences physiques [5]. Des violations des droits commises par des forces publiques et/ou des milices privées largement documentées, mais qui restent à ce jour sans condamnation pour leurs auteurs de la part des tribunaux ou des autorités étatiques.

      Tout cela intervient dans un contexte de crise sans précédent en Tunisie, touchant tous les domaines : économique, social, politique, institutionnel, financier… Une crise accentuée par les pressions et le marchandage de l’Union européenne (UE), qui entend via un partenariat « renforcé », mais inégal en matière migratoire, imposer à la Tunisie l’externalisation des contrôles frontaliers et de la gestion migratoire [6]. Cette politique répressive passe par le renvoi depuis les pays européens de tou·te·s les exilé.e.s dépourvu.e.s de droit au séjour ayant transité par la Tunisie, ainsi désignée comme « pays sûr », contrairement à la Libye. Ceci, au motif de faire de la Tunisie le garde-frontière de l’UE, en charge de contenir les migrations « indésirables » et de les éloigner le plus possible du territoire européen, en échange d’une aide financière conséquente venant à point nommé (au moins 900 000 €). Le tout malgré les inquiétudes suscitées par la dérive autoritaire observée en Tunisie [7] et au mépris de l’État de droit et des droits fondamentaux des personnes exilées en Tunisie.
      Une crise également aggravée par l’ambiguïté des autorités algériennes, qui instrumentalisent la question migratoire pour des motifs politiques en déroutant les personnes d’origine subsaharienne de l’Algérie – qui compte des frontières terrestres avec les pays d’Afrique subsaharienne – vers la Tunisie, qui n’en a pas.

      Nous exprimons notre entière solidarité avec toutes les victimes des violences, quelle que soit leur nationalité, condamnons cette violence raciste d’où qu’elle vienne, et exprimons notre indignation face au silence assourdissant et complice des autorités tunisiennes.
      Nous enjoignons la Tunisie à assumer les responsabilités qui lui incombent en protégeant de toute exaction les exilé·e·s sur son territoire, en mettant un terme à ces violences racistes et aux refoulements opérés en toute illégalité aux frontières tunisiennes, et à se conformer au droit international.

      Enfin, nous dénonçons avec la plus grande vigueur les pressions exercées par l’UE sur la Tunisie dans le cadre d’une coopération inégale et marchandée en vue d’imposer à ce pays méditerranéen sa politique ultrasécuritaire en matière d’immigration et d’asile, au mépris du droit international et des droits des personnes exilées.

      Voir la liste des signataires en pièce jointe

      Notes

      [1] « À Sfax, la mort d’un Tunisien lors de heurts avec des migrants fait craindre des violences », 5 juillet 2023, France24, https://www.france24.com/fr/afrique/20230705-%C3%A0-sfax-la-mort-d-un-tunisien-lors-de-heurts-avec-des-migrant

      [2] « Tunisie : La violence raciste cible les migrants et réfugiés noirs », 10 mars 2023, Human Rights Watch, https://www.hrw.org/fr/news/2023/03/10/tunisie-la-violence-raciste-cible-les-migrants-et-refugies-noirs

      [3] « Tunisie. Le discours raciste du président déclenche une vague de violence contre les Africain·e·s Noirs », 10 mars 2023, Amnesty International, https://www.amnesty.org/fr/latest/news/2023/03/tunisia-presidents-racist-speech-incites-a-wave-of-violence-against-black-a

      [4] « Tunisie : à Sfax, les exilés subsahariens subissent la violence de la population », France Info 7 juillet 2023, https://www.francetvinfo.fr/monde/afrique/tunisie/tunisie-a-sfax-les-exiles-subsahariens-subissent-la-violence-de-la-popu

      [5] « Human Rights Watch dénonce des expulsions de migrants vers le désert en Tunisie : "C’est une question de vie ou de mort" », 8 juillet 2023, Human Rights Watch, https://information.tv5monde.com/afrique/human-rights-watch-denonce-des-expulsions-de-migrants-vers-le-

      [6] « Pourquoi l’UE veut renforcer son partenariat avec la Tunisie », 11 juin 2023, L’Express & AFP : https://www.lexpress.fr/monde/pourquoi-lue-veut-renforcer-son-partenariat-avec-la-tunisie-5KUG3YXCSNCWFF2

      [7] « En Tunisie, Kaïs Saïed est seul contre tous », 18 juin 2022, Courrier international : https://www.courrierinternational.com/article/analyse-en-tunisie-kais-saied-est-seul-contre-tous

      https://migreurop.org/article3192.html?lang_article=fr

    • Traitements inhumains et dégradants envers les africain⋅es noir⋅es en Tunisie, fruits du racisme institutionnel et de l’externalisation des politiques migratoires européennes

      Les organisations soussignées expriment leurs vives inquiétudes et leur indignation quant à la situation délétère en Tunisie, tout particulièrement ces derniers jours dans la ville de Sfax. Depuis la mort d’un ressortissant tunisien, présumément aux mains de ressortissants d’origine subsaharienne, survenue le 3 juillet 2023 lors d’une échauffourée [1], cette ville est le théâtre d’affrontements entre une partie de la population chauffée à blanc par des campagnes de haine sur les réseaux sociaux, et des exilé⋅es en provenance d’Afrique subsaharienne installé⋅es dans cette ville, pris⋅es pour cibles. Cela s’ajoute aux graves événements racistes et xénophobes qu’a déjà connus le pays en mars 2023 [2], ayant notamment entraîné la mort de trois personnes d’origine Subsaharienne.

      Le discours raciste et haineux, véritable « pousse-au-crime », prononcé par le Président tunisien en février 2023 [3] n’a fait qu’encourager ces exactions, et accorder un blanc-seing aux graves violences exercées à l’encontre des personnes exilées. Et c’est bien l’attitude des autorités locales et nationales qui est en cause, laissant libre court aux fausses informations qui pullulent sur les réseaux sociaux, mais également aux violences de certains groupes – policiers, militaires ou issus de la population –, à l’égard des personnes exilées noires, férocement attaquées et violentées en toute impunité [4].

      Nombre de témoignages, notamment des premier⋅es concerné⋅es, d’associations de la société civile en Tunisie mais aussi de médias étrangers, font ainsi état de graves violations des droits humains à leur encontre : interpellations violentes et arbitraires, défenestrations, agressions à l’arme blanche… Ces acteurs dénoncent une véritable « chasse aux migrant⋅es » et des rafles, suivies du renvoi forcé d’un millier de personnes aux frontières avec la Libye ou l’Algérie, l’objectif des autorités tunisiennes semblant être de regrouper à ces frontières les exilé⋅es originaires d’Afrique subsaharienne pour les y abandonner sans assistance aucune ni moyens de subsistance, y compris s’agissant de demandeur⋅euse d’asile. Des rafles précédées ou s’accompagnant d’expulsions arbitraires de leurs domiciles, de destructions ou de vols de leurs biens, de traitements inhumains et dégradants, ainsi que de violences physiques [5]. Des violations des droits commises par des forces publiques et/ou des milices privées largement documentées, mais qui restent à ce jour sans condamnation pour leurs auteurs de la part des tribunaux ou des autorités étatiques.

      Tout cela intervient dans un contexte de crise sans précédent en Tunisie, touchant tous les domaines : économique, social, politique, institutionnel, financier… Une crise accentuée par les pressions et le marchandage de l’Union européenne (UE), qui entend via un partenariat « renforcé », mais inégal en matière migratoire, imposer à la Tunisie l’externalisation des contrôles frontaliers et de la gestion migratoire [6]. Cette politique répressive passe par le renvoi depuis les pays européens de tou⋅tes les exilé⋅es dépourvu⋅es de droit au séjour ayant transité par la Tunisie, ainsi désignée comme « pays sûr », contrairement à la Libye. Ceci, au motif de faire de la Tunisie le garde-frontière de l’UE, en charge de contenir les migrations « indésirables » et de les éloigner le plus possible du territoire européen, en échange d’une aide financière conséquente venant à point nommé (au moins 900 000 €). Le tout malgré les inquiétudes suscitées par la dérive autoritaire observée en Tunisie [7] et au mépris de l’État de droit et des droits fondamentaux des personnes exilées en Tunisie.
      Une crise également aggravée par l’ambiguïté des autorités algériennes, qui instrumentalisent la question migratoire pour des motifs politiques en déroutant les personnes d’origine subsaharienne de l’Algérie – qui compte des frontières terrestres avec les pays d’Afrique subsaharienne – vers la Tunisie, qui n’en a pas.

      Nous exprimons notre entière solidarité avec toutes les victimes des violences, quelle que soit leur nationalité, condamnons cette violence raciste d’où qu’elle vienne, et exprimons notre indignation face au silence assourdissant et complice des autorités tunisiennes. Nous enjoignons la Tunisie à assumer les responsabilités qui lui incombent en protégeant de toute exaction les exilé⋅es sur son territoire, en mettant un terme à ces violences racistes et aux refoulements opérés en toute illégalité aux frontières tunisiennes, et à se conformer au droit international.

      Enfin, nous dénonçons avec la plus grande vigueur les pressions exercées par l’UE sur la Tunisie dans le cadre d’une coopération inégale et marchandée en vue d’imposer à ce pays méditerranéen sa politique ultrasécuritaire en matière d’immigration et d’asile, au mépris du droit international et des droits des personnes exilées.

      http://www.gisti.org/article7056

    • La Tunisie et la Libye s’accordent sur une répartition des migrants bloqués à la frontière

      Les deux pays ont indiqué jeudi avoir trouvé un accord pour se répartir les exilés bloqués depuis plus d’un mois dans une zone désertique près du poste frontière de Ras Jdir. InfoMigrants a pu contacter Kelvin. Bloqué à la frontière, ce jeune Nigérian a été envoyé à Tataouine dans un centre de l’Organisation mondiale pour les migrations.

      Après plus d’un mois de souffrance, les exilés bloqués à la frontière entre la Tunisie et la Libye vont enfin pouvoir quitter cet espace inhospitalier. La Tunisie et la Libye ont annoncé jeudi 10 août s’être entendus pour se répartir l’accueil des 300 migrants africains bloqués près du poste frontière de Ras Jdir.

      C’est le ministère de l’Intérieur libyen qui a le premier annoncé la conclusion de cet accord bilatéral « pour une solution consensuelle, afin de mettre fin à la crise des migrants irréguliers, bloqués dans la zone frontalière ». « On s’est mis d’accord pour se partager les groupes de migrants présents sur la frontière », a indiqué de son côté un porte-parole du ministère tunisien.

      Un communiqué officiel tunisien a souligné le besoin d’une « coordination des efforts pour trouver des solutions qui tiennent compte des intérêts des deux pays ».

      « La Tunisie va prendre en charge un groupe de 76 hommes, 42 femmes et 8 enfants », a précisé à l’AFP le porte-parole du ministère de l’Intérieur, Faker Bouzghaya. Les Libyens prendront en charge le reste des migrants bloqués, environ 150, selon le porte-parole officiel tunisien.

      Les autorités libyennes ont annoncé dans un communiqué jeudi qu’"il n’y avait plus aucun migrant irrégulier dans la zone frontalière" après l’accord. « Des patrouilles sont organisées en coordination » entre les deux pays pour « sécuriser la frontière ».

      Côté tunisien, « le transfert du groupe a eu lieu [mercredi] dans des centres d’accueil à Tataouine et Médénine avec la participation du Croissant rouge » tunisien, a ajouté Faker Bouzghaya.
      « Nous avons reçu de l’eau et de la nourriture »

      Un transfert confirmé par Kelvin, un migrant nigérian, en contact avec InfoMigrants. « Nous avons tous été rapatriés hier soir [mercredi 9 août] en Tunisie. Nous sommes à Tataouine, dans un centre de l’OIM, a déclaré le jeune homme. Nous avons reçu de l’eau et de la nourriture. Nous allons bien, les enfants vont déjà mieux. Les malades n’ont pas encore été à l’hôpital, ils sont avec nous... ». Selon lui, l’OIM aurait indiqué aux personnes qu’elles pouvaient rester dans ce centre pendant deux mois. « Je ne sais pas si c’est vrai », met en garde le jeune Nigérian.

      Début juillet, InfoMigrants avait pu entrer en contact avec Kelvin. Ce dernier affirmait avoir été raflé à Sfax, dans le centre-est de la Tunisie, forcé de monter dans un « grand bus » affrété par les autorités tunisiennes, et lâché dans le désert avec « au moins 150 personnes ».

      https://gw.infomigrants.net/media/resize/my_image_big/aa5d3637f53be1bfa628f8ef2a3f30d643418373.png

      Trois semaines plus tard, le jeune homme a participé à une manifestation avec d’autres exilés bloqués à la frontière. « Nous avons manifesté pour interpeller les autorités car on nous traite comme des animaux, mais le président tunisien ne veut pas répondre à nos appels », dénonçait-il alors.
      Au moins 27 personnes mortes à la frontière

      Jusqu’à 350 personnes ont été bloquées à Ras Jedir, parmi lesquelles 12 femmes enceintes et 65 enfants et mineurs, selon des sources humanitaires qui ont indiqué à l’AFP que l’essentiel des aides (nourriture, eau, soins médicaux) leur avait été apportée depuis le 20 juillet par le Croissant rouge libyen, soutenu par les agences onusiennes.

      Les arrestations et les envois de migrants vers cette zone frontalière ont débuté après la mort le 3 juillet à Sfax (centre-est) d’un Tunisien lors d’une rixe avec des migrants. Selon des sources humanitaires interrogées par l’AFP, « au moins 2 000 ressortissants subsahariens » ont été « expulsés » par les forces de sécurité tunisiennes et déposés dans des zones désertiques aux frontières libyenne et algérienne.

      https://gw.infomigrants.net/media/resize/my_image_big/000a92152fe618f550d684457fcb5ce34435884d.jpg

      Depuis début juillet, « au moins 27 migrants » sont morts dans le désert tuniso-libyen et « 73 sont portés disparus », a indiqué jeudi à l’AFP une source humanitaire. Et jusqu’à « hier [mercredi], tous les deux jours une centaine de migrants continuaient d’arriver de Tunisie et à être secourus par les Libyens dans la zone d’Al Assah ».

      Les personnes ont été abandonnées sans eau, ni nourriture, en plein soleil dans cette zone aride, sans que ni l’Union européenne, ni l’Union africaine ne conteste cette situation.

      Le 12 juillet, le Croissant rouge tunisien (CRT) a mis à l’abri environ 630 personnes récupérées à Ras Jdir et en a pris en charge environ 200 autres, refoulées initialement vers l’Algérie, selon des ONG.

      Parmi les personnes retrouvées mortes se trouvent des femmes et des enfants. Sur une vidéo des garde-frontières libyens relayée par le compte Twitter Refugees in Libya, on peut voir un homme mort allongé par terre, contre un enfant. Tous les deux gisent l’un contre l’autre, sur le sable, le désert tout autour d’eux. Deux autres personnes, décédées, figurent aussi dans la vidéo. « Aujourd’hui c’est encore un père sans visage, son fils et deux autres compagnons dont la vie a été injustement volée », commente le compte.

      La photo d’une femme et de sa petite fille a, elle, fait le tour des réseaux sociaux. Identifiées par Refugees in Libya, Fati, 30 ans, et Marie, 6 ans, sont mortes de soif après leur abandon à cet endroit par les autorités tunisiennes. Ce « crime » est « commis contre des gens qui cherchent une meilleure vie, une deuxième chance ». « Comment pouvons-nous détourner le regard ? », s’est insurgé le porte-parole du compte, David Yambio.

      https://www.infomigrants.net/fr/post/50985/la-tunisie-et-la-libye-saccordent-sur-une-repartition-des-migrants-blo

    • Une délégation de l’UE refusée en Tunisie

      https://www.youtube.com/watch?v=dybtce0H4cI

      La Tunisie a interdit d’entrée sur son territoire une délégation du Parlement européen, provoquant de vives réactions des eurodéputés qui ont pour certains réclamé la suspension de l’accord migratoire conclu entre l’UE et Tunis. Les précisions de Lilia Blaise, correspondante de France 24 en Tunisie.

    • Septembre 2023 :
      Tunisie : plusieurs centaines de migrants chassés du centre de Sfax

      Les forces de sécurité tunisiennes ont expulsé dimanche quelque 500 migrants subsahariens d’une place dans le centre de Sfax, deuxième ville du pays, après les avoir chassés de leurs logements début juillet. Cette expulsion fait partie d’une vaste campagne sécuritaire menée par les autorités contre les migrants irréguliers.

      La tension persiste dans la deuxième ville de Tunisie. Quelque 500 migrants originaires d’Afrique subsaharienne ont été expulsés dimanche 17 septembre par les forces de sécurité tunisiennes d’une place dans le centre de Sfax après avoir été chassés de leurs logements début juillet, a indiqué une ONG.

      « Les forces de sécurité ont évacué dimanche matin une place sur laquelle environ 500 migrants étaient rassemblés dans le centre de Sfax », a indiqué à l’AFP Romdane Ben Amor, porte-parole du Forum tunisien des droits économiques et sociaux (FTDES), une ONG qui suit de près le dossier de la migration en Tunisie. Selon lui, les migrants « ont été dispersés par petits groupes en direction de zones rurales et vers d’autres villes ».

      Les autorités mènent depuis samedi une vaste campagne sécuritaire contre les migrants clandestins, originaires pour la plupart de pays d’Afrique subsaharienne. Elles ont annoncé l’arrestation de près de 200 migrants subsahariens « qui s’apprêtaient à effectuer une traversée clandestine » vers les côtes européennes.

      À la suite d’un discours incendiaire en février du président Kaïs Saïed sur l’immigration clandestine, des centaines de migrants subsahariens ont perdu leur travail et leur logement en Tunisie. Des agressions ont été recensées et plusieurs milliers ont dû être rapatriés par leurs ambassades.

      Début juillet, des centaines d’autres ont été chassés de la ville de Sfax et expulsés par les forces de sécurité tunisiennes, notamment vers une zone frontalière désertique avec la Libye où au moins 27 sont morts et 73 portés disparus.

      https://www.infomigrants.net/fr/post/51869/tunisie--plusieurs-centaines-de-migrants-chasses-du-centre-de-sfax

    • Tunisia expels hundreds of sub-Saharan African migrants from Sfax amid crackdown

      Tunisian authorities expelled hundreds of sub-Saharan African migrants from the port of Sfax Sunday after they were thrown out of their homes during unrest in July, a rights group said.

      “The security forces on Sunday evacuated a square where some 500 migrants were assembled in the centre of Sfax,” Romdane Ben Amor, spokesman for the FTDES non-government organisation, told AFP.

      He said the migrants were “dispersed in small groups towards rural areas and other towns”.

      Since Saturday, authorities in Tunisia have been cracking down on illegal migrants, most of whom are from sub-Saharan African countries.

      According to authorities, around 200 migrants “who were preparing to make the clandestine boat trip” towards Europe were arrested.

      Tunisia is a major gateway for migrants and asylum-seekers attempting perilous sea voyages in hopes of a better life in the European Union.

      Racial tensions flared in Tunisia’s second city of Sfax after the July 3 killing of a Tunisian man following an altercation with migrants.

      Humanitarian sources say that at least 2,000 sub-Saharan Africans were expelled or forcibly transferred by Tunisian security forces to desert regions bordering Libya and Algeria.

      Xenophobic attacks targeting black African migrants and students increased after an incendiary speech in February by President Kais Saied.

      He alleged that “hordes” of illegal migrants were causing crime and posing a demographic threat to the mainly Arab North African country.

      Hundreds of migrants lost their jobs and housing after his remarks.

      At least 27 people died and 73 others were listed as missing after being expelled into desert areas bordering Libya in July.

      https://www.france24.com/en/africa/20230917-tunisia-expels-hundreds-of-sub-saharan-african-migrants-amid-crac

  • Nationalsozialismus und Naturschutz : Braune Wurzeln
    https://taz.de/Nationalsozialismus-und-Naturschutz/!5203719


    Die Reste eines Krematoriums von Auschwitz. Wer pflanzte die Bäume, die in der Nähe stehen ?

    Le premier gouvernement vert du monde fut celui d’Adolf Hitler. Les camps d’extermination d’Auschwitz étaient aussi des projets écologiques. Méfiez-vous des écolos ? Bof, tout ce qui est vert n’est pas forcément brun, n’est-ce pas ?

    NS-Naturschützer begrünten die Autobahn, tarnten den Westwall, pflanzten Bäume in Auschwitz. Sie schrieben auch an der „Grünen Charta“ mit.

    Wie Grün soll Auschwitz sein? Welche Bäume eignen sich für die „Grüne Grenze“ zwischen Lager und Stadt? Und wie könnte die Bepflanzung rund um die Krematorien aussehen? Fragen, auf die 1942 Werner Bauch Antworten suchte. Für die Abteilung Landwirtschaft plante der Gartengestalter die Begrünung des größten deutschen Vernichtungslagers. Bauchs Pläne gefielen der Lagerleitung. Heinrich Himmler leitete nach einem Besuch von Auschwitz bereits im März 1941 die grüne Gestaltung des Lagers ein. Im Oktober 1942 verlangte Lagerkommandant Rudolf Höß: „Es sollte ein natürlicher Abschluss zum Lager hin erreicht werden.“

    Werner Bauch ist nicht der einzige sogenannte „Landschaftsanwalt“, der sich im Nationalsozialismus verdient machte. „Aus dem Berufsfeld der Landschaftsplanung und des Naturschutzes wirkten viele Männer im Nationalsozialismus mit“, sagt Nils Franke. Der Historiker hat im Auftrag des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums eine Studie zur Rolle des Naturschutzes im Nationalsozialismus erstellt und im Mai dieses Jahres vorgelegt.

    Er kommt zu einem klaren Urteil: „Die personellen Verstrickungen und ideologischen Verbindungen sind eine Erblast für den heutigen Naturschutz“, sagt Franke. Viele Naturschützer hätten ihre Karriere im Nationalsozialismus begonnen und dann nach dem Krieg fortgesetzt. Doch bis heute werde dieses Erbe kaum angenommen, sagt der Historiker, der seit Jahren zu der Thematik forscht und gerade an der Universität Leipzig seine Habilitation abschließt.

    Kritik kommt nicht nur von außerhalb: Auch innerhalb der Organisationen des Naturschutzes werde bis heute gestritten, wie mit der Verantwortung umgegangen werden müsse, sagt Eva-Maria Altena vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Rheinland-Pfalz. Bei Veranstaltungen würden Teilnehmer auch mal den Raum verlassen, wenn sie den Komplex Nationalsozialismus und Naturschutz aufgreife, sagt Altena, die auch das Projektbüro „Grüner Wall im Westen“ leitet.

    DER WESTWALL
    Größe: Der Westwall war ein über 600 Kilometer langes militärisches Verteidigungssystem aus über 20.000 Bunkern, Stollen und Panzersperren. Es war eines der größten Bauprojekte der Nationalsozialisten.

    Verlauf: Der Westwall verlief an der Westgrenze des deutschen Reichs von Kleve an der niederländischen Grenze bis zur Schweizer Grenze.

    Naturschutz: Bei der Umsetzung des Baus waren auch Naturschützer involviert. Ihre Aufgabe war es, die militärischen Anlagen zur Tarnung in die Landschaft einzufügen.

    Grünen Träume für Auschwitz
    Das Gedankengut der Naturschützer und die nationalsozialistische Ideologie waren leicht vereinbar. Bauch, der Landschaftsplaner von Auschwitz, schrieb 1942 in der Zeitschrift Gartenkunst: „Jede echte Kultur wurzelt in der Kraft und dem geistigen Gefüge ihrer Landschaft.“ Völker aus der Steppe und der Wüste könnten keine tiefen Gedanken entwickeln, so Braun. Ihnen fehle die Verwurzelung im „Urgrund“. In der Ideologie von „Blut und Boden“ wird der Naturschutz so zum Heimat- und Volksschutz gemacht.

    Der Blick auf den Naturschutz zeigt, dass Auschwitz von Beginn an nicht nur Ort der Vernichtung sein sollte, sondern Experimentierfeld für die nationalsozialistische Ideologie. Auschwitz, träumte Lagerleiter Höß, sollte die „landwirtschaftliche Versuchsstation für den Osten“ werden. Dort habe man Möglichkeiten, wie man sie in Deutschland bisher nicht gehabt habe. Das große Gebiet rund um das Lager Auschwitz-Birkenau und der Zugriff auf ein nicht endendes Reservoir an Arbeitskräften ließen Höß träumen.

    Zwei Männer sollten diese grünen Träume für Auschwitz umsetzen. Neben Werner Bauch half auch Heinrich Wiepking-Jürgensmann, als „Sonderbeauftragter des Reichsführers SS für Fragen der Landschaftsgestaltung in den eingegliederten Ostgebieten“.

    Wiepking-Jürgensmann prägte damals die universitäre Ausbildung der Landschaftsplaner, er vergab sogar eine Diplomarbeit mit dem Titel „Grünplanung und die Gestaltung der Stadt und des Raumes Auschwitz“. Beide Männer stehen für die Kontinuität des braunen Naturschutzes nach dem Krieg, und zwar in beiden deutschen Staaten. So wurde Heinrich Wiepking-Jürgensmann Professor für Gartenbau und Landeskultur der Technischen Hochschule Hannover. Werner Bauch prägte in der DDR den Naturschutz mit.

    Die Tarnung des Westwalls

    Mit ihrem Anteil am Projekt „Auschwitz“, in dem die SS über eine Million Menschen industriell ermordete, waren die Landschaftsplaner offensichtlich zufrieden. In einem Brief von 31. August 1942 schrieb Bauch: „In Auschwitz, wo nach der bevorstehenden Genehmigung unserer endgültigen Landschaftsplanung diese Dinge erst voll anlaufen werden, wird sich vieles in der gewünschten Richtung verwirklichen lassen.“

    Der Brief von Bauch aus Auschwitz ging an Alwin Seifert, den „Reichslandschaftsanwalt“ des NS-Regimes – also eine der führenden Personen des nationalsozialistischen Naturschutzes. Seifert gilt als einer der ersten Vertreter der Ökologiebewegung in Deutschland und als Vorreiter des biologischen Landbaus. In den fünfziger Jahren wurde er Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, 1961 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Auch Seifert steht für die Kontinuität des NS-Naturschutzes in der Bundesrepublik. Und seine Biografie zeigt, dass die Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Naturschutz nicht erst in Auschwitz begann, sondern bereits Anfang der 30er Jahre, bei einem Projekt der Nazis, das vom Umweltschutz zunächst weit entfernt zu sein scheint: die Autobahnen.

    Hitlers Landschaftsplaner begrünten das Vernichtungslager in Auschwitz und den Westwall, die gigantische Verteidigungsanlage gen Westen. Und einige von ihnen machten als Naturschützer später auch in der Bundesrepublik Karriere. In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 erzählen wir, warum sich der deutsche Naturschutz mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigen sollte. Außerdem: Sind kleine Höfe wirklich besser? Ein Blick auf einen Agrarriesen und einen Biohof, als Reportage und Grafik. Und: Eine Foto-Reportage aus einer kleinen Bar in Tokio, in der die Menschen nichts auf Traditionen geben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

    Alwin Seifert meinte, nur die „deutsche Landschaft“ bringe den „deutschen Menschen“ hervor. Schon früh hatte er von den Plänen für den Autobahnbau gehört und gefordert, dass sich diese in die Landschaft einpassen müssten. Seifert überzeugte und wurde 1933 von Fritz Todt zum Beauftragen für Naturschutz beim Bau der Autobahnen berufen. 1940 folgte die Ernennung zum „Reichslandschaftsanwalt“. Da die Arbeit für Seifert allein schon bald zu viel wurde, durfte er eine Reihe weiterer Landschaftsanwälte einstellen. Einer von ihnen, Gert Kragh, wird 1952 Leiter der Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege, einer Vorgängerbehörde des Bundesamts für Naturschutz.

    Neben der Begrünung der Autobahnen kümmerten sich die Naturschützer um ein weiteres riesiges Bauprojekt: die Tarnung des Westwalls. Dieser verlief auf rund 630 Kilometer im heutigen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Saarland. Rund 23.000 Bunker, Laufgräben und Flugabwehrstellungen wurden gebaut. „Der Westwall war das Rückgrat für die Angriffskriege des NS-Regimes“, sagt Historiker Franke. Sein Gutachten beschäftigt sich vor allem mit diesem Projekt der Naturschützer. Diese erhielten ab 1938 den Auftrag, den Westwall zu einer „grünen Wehrlandschaft“ zu gestalten – und zu tarnen. Aus der Luft sollten die Anlagen für die alliierten Flugzeuge nicht zu erkennen sein.

    Einsatz von Zwangsarbeitern

    Die Naturschützer wurden kreativ, sie schütteten Hügel auf und transportierten Mutterboden zur Baustelle, sie pflanzten Bäume, Büsche und Feldgehölz. Selbst Kübelpflanzen kamen bei der Tarnung zum Einsatz.

    Die Arbeiten gingen schnell voran, Reichslandschaftsanwalt Seifert lobte die Leistungen. Ende 1940 berichtete Wilhelm Hirsch, der Verantwortliche für das Projekt, an Seifert: „Ich habe nun den größten Teil des Westwalls bereist und will Ihnen heute mitteilen, wie glücklich sich die Tätigkeit der Landschaftsanwälte am Westwall ausgewirkt hat.“

    Bis etwa 1942 liefen die Arbeiten der Landschaftsanwälte am Wall. Sie taten ihre Arbeit nicht allein: Bei der Tarnung des Westwalls seien auch Zwangsarbeiter zum Einsatz gekommen, nimmt Historiker Franke an. Ein Indiz ist für ihn ein Schreiben der Großgärtnerei und Samenhandlung J. Lambert & Söhne aus Trier an den Lagerkommandanten Hermann Pister des SS-Sonderlagers Hinzert. In dem Schreiben heißt es, dass die Arbeit nicht vorankomme, da die Zahl der „Zöglinge“ aus dem SS-Lager deutlich abgenommen habe.

    Die Naturschützer fügten ihre Arbeit am Westwall in ihr nationalsozialistisches Weltbild ein. Wilhelm Hirsch, der für den Westwall verantwortliche Naturschützer, träumte schon von der Zeit nach dem Endsieg. Im November 1940 schreibt er begeistert: „Der Westwall ist und bleibt für alle Zeiten geschichtlicher Boden. Er wird zur geschichtlichen Größe deutschen Schaffens, wenn nach der technisch-militärischen Großtat in gleicher Größe die kulturelle Tat des Wiederaufbaus der wund gewordenen Landschaft folgt“. 1951 bis 1953 wird Hirsch Leiter des Bundes Deutscher Gartenarchitekten, 1954 erfolgt die Ernennung zum Ehrenpräsidenten.

    Bei der Bepflanzung des Westwalls orientierten sich Hirsch und Seifert an den „pflanzensoziologischen Arbeiten“ von Reinhold Tüxen, der ebenso schon bei den Planungen der Reichsautobahnen mitwirkte. Mit seiner Methode sollte erkannt werden, welche Pflanzen „ursprünglich“ und „bodenständig“ seien. Tüxens Theorien waren wichtig für die scheinbare Verwissenschaftlichung der Blut-und-Boden-Ideologie. „Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus ist bisher ungenügend untersucht“, sagt Historiker Franke.

    Erinnerung vs. Naturschutz

    Heute ist der Westwall ein großes Biotop, Fledermäuse und Wildkatzen haben sich in den verfallenden Bunkern angesiedelt. In Führungen am Westwall weist der BUND auf die geschichtliche Bedeutung des Ortes zwar hin. Doch die Diskussionen um Nationalsozialismus und Naturschutz sind nicht immer einfach. Ein Teil der Naturschützer möchte lieber Flora und Fauna schützen, als Erinnerungspolitik zu betreiben.

    Doch was ist der richtige Umgang mit der Geschichte eines solchen Ortes? Für diese Frage ist zentral, ob man im Westwall einen Ort für den Naturschutz sieht – oder in erster Linie einen historischen Ort, der gerade nicht natürlich gewachsen ist. Ist es problematisch, nun jene Natur schützen zu wollen, die von Nazis erst angelegt wurde?

    „Die Studie über den Westwall skizziert eine neue Dimension“, sagt Eva-Maria Altena vom BUND Rheinland-Pfalz. Bei den Bemühungen, den grünen Wehrwall als neuen Biotopverbund zu entwickeln, müssten Naturschutz und Denkmalpflege ineinander greifen, sagt sie. Altena glaubt, dass die Abneigung mancher Naturschützer auch darin begründet ist, dass eigene kulturelle Identitäten zu hinterfragen wären. Bis heute seien vor allem ältere Männer im Naturschutz engagiert. Eine „Stigmatisierung“ von früheren Akteuren sei da wenig hilfreich.

    Die Brisanz der Debatte offenbart auch die „Grüne Charta von der Mainau“. Bis heute gilt die 1961 formulierte Charta als Gründungsdokument des bundesdeutschen Natur- und Umweltschutzes. An der Erstellung waren auch Kragh und Wiepking-Jürgensmann beteiligt, zwei der Landschaftsplaner aus Auschwitz und vom Westwall. Eine Untersuchung der Universität Mainz zeigte, dass rund 68 Prozent der an der Charta beteiligten Personen in unterschiedlicher Weise im NS-Regime organisiert waren. Bis heute würden diese Verstrickungen nicht klar benannt, sondern „kollektiv beschwiegen“. Diese Aussagen verstimmten den Deutschen Rat für Landespflege. Aus den Mitgliedschaften ließen sich keinen Überzeugungen des besagten Personenkreises ableiten, erklärte der Rat. Von einem „gemeinsamen Überzeugungsvorrat“ könne nicht ausgegangen werden.

    Historiker Franke fordert eine neue Auseinandersetzung. Er sieht die Arbeit der Landschaftsanwälte am Westwall als Sprungbrett für die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, der SS und der NSDAP. „Das Know-how, das die Landschaftsanwälte bei dem Bau der Reichsautobahn und des Westwalls sammelten, wurde angewendet – bis zum Zentrum des Holocaust: Auschwitz.“

    Wie grün waren die Nazis ?
    Jens Ivo Engels
    https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/211921/wie-gruen-waren-die-nazis

  • Geplante Lauterbach-Entführung : Wirrer Auftritt der Angeklagten
    https://taz.de/Geplante-Lauterbach-Entfuehrung/!5935362

    Vous n’avez jamais ressenti le désir urgent de kidnapper un ministre de la santé ? Dans ce cas vous n’avez pas de coeur.

    Vous avez déjà acheté les armes pour le faire ? Vous êtes trop bons pour ce monde (suivant le sniper qui vous éliminera) !

    Vous vous êtes fait prendre par les forces de l’ordre pendant que vous essayiez d’acheter les armes ? Bienvenue dans la société du spectacle !

    17.5.2023 von Christoph Schmidt-Lunau - In Koblenz stehen Coronaleugner wegen eines gescheiterten Staatsstreichs vor Gericht. Die Angeklagten zählen zum sogenannten Reichsbürgermilieu.
    Ein verpixelter Reichsbürger und ein Polizist im Gerichtssaal

    Die sogenannten Vereinten Patrioten sind für die nächsten Jahre wohl erstmal getrennt Foto: Boris Roessler/dpa

    KOBLENZ taz | Vor dem Oberlandesgericht Koblenz müssen sich seit Mittwoch fünf Angeklagte aus der Szene der Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker verantworten, die als „nationale Patrioten“ eine terroristische Vereinigung gebildet und ein Umsturz in Deutschland vorbereitet haben sollen. Laut Anklage wollten sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit einem militärischen Kommando vor laufenden Kameras aus einem Fernsehstudio entführen.

    Mit einer Bombenserie sollte zudem die Energieversorgung in Deutschland lahmgelegt werden. Die „silent night“ ohne Strom sollte den Staatsstreich vorbereiten, bei dem die Gruppe die Macht in Deutschland übernehmen wollte. Mit einem gecharterten Schiff sollte eine fünfköpfige Delegation ins russische Kaliningrad reisen, um die Anerkennung der Putschisten durch den russischen Präsidenten Vladimir Putin zu erwirken.

    Es sind verstörend unrealistische und skurrile Positionen und Aktionen, mit denen die Angeklagten aus dem „Reichsbürger“-Milieu den Putsch gegen die von ihnen abgelehnte Staatsordnung in Deutschland vorbereitet haben sollen. Doch abgehörte Telefongespräche, ausgewertete Chats und schließlich ein versuchter Waffenkauf führten zwischen April und Oktober 2022 zu Festnahmen. Januar 2023 folgte die Anklage der Bundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

    Zum Prozessauftakt hat zunächst die 75-jährige promovierte Theologin Elisabeth R. ihren Auftritt, nach Überzeugung der Anklage der ideologische Kopf der Gruppe. Zwei Justizangehörige müssen die hagere Frau mit den langen weißen Haaren stützen. Mehrfach ringt sie demonstrativ um Atem. Von ihr stammt das Programm der Gruppe, sie wollte die Ordnung der Bundesrepublik als Ergebnis einer „jüdisch jesuitischen Verschwörung“ abschaffen und das Kaiserreich von 1871 wiederherstellen, freilich ohne Kaiser.
    Auf verdeckte Aktion des LKA hereingefallen

    Elisabeth R. widerspricht der Vorsitzenden Richterin, als die ihre Personalien feststellt. „Ich bin nicht anwesend als Person, sondern nur als Treuhänder der juristischen Person“, ruft sie in den Saal und bittet um ein Glas Wasser. Bei der Verlesung der Anklageschrift legt sie ihren Kopf auf die Bank. „Ich habe Angst, dass ich mich übergeben muss“, erklärt sie später ihr auffälliges Verhalten.

    Von ihr sind in diesem Verfahren weitere verwirrende Auftritte zu erwarten. Wie sie sitzen auch ihre vier Mitangeklagte in Haft. Im April 2021 hatte die Polizei den 55jährigen Sven B. in Neustadt an der Weinstraße bei dem Versuch festgenommen, automatische Waffen und Pistolen zu kaufen. Der ehemalige NVA-Offizier war auf einen verdeckten Ermittler des LKA hereingefallen. B. sollte als Chef der Operation „Klabautermann“ die Entführung des Bundesgesundheitsministers leiten. Auch deshalb muss er sich vor Gericht verantworten.

    Doch seine Verteidiger und die des Mitangeklagten Michael H. fordern die Einstellung des Verfahrens. Mit dem Angebot, Waffen zu besorgen habe der verdeckte Ermittler „Mark“ vom LKA die Straftat erst provoziert, deshalb seien die so erlangten Beweise nicht verwertbar, argumentiert Anwalt Philipp Grassl. Zum Zeitpunkt des polizeilichen Zugriffs sei zudem noch gar keine terroristische Vereinigung gebildet gewesen; zudem seien sämtliche Aktivitäten der Gruppe unter der Beobachtung der Strafverfolgungsbehörden abgelaufen, so Grassl.

    Über diesen Antrag auf Einstellung des Verfahrens muss der Senat nun ebenso entscheiden, wie über eine ganze Reihe von weiteren Anträgen. Zum einen fordern mehrere Rechtsanwälte eine Ton- oder Videoaufzeichnung, wegen der zeitgeschichtliches Bedeutung des Verfahrens. Ein Verteidiger beschwert sich über die drangvolle Enge auf der Verteidigerbank, ein anderer rügt die begrenzte Zahl an Plätzen für PressevertreterInnen und Publikum.

    Ex-Militär Sven B., der gescheiterte Waffenaufkäufer, der mit einem MP-Kommandeo den Bundesgesundheitsminister aus einem Fernsehstudio entführen wollte, wird jedenfalls die Bühne nutzen, die ihm dieser Prozess bietet. B. verstehe sich weder als Neonazi, noch als Reichsbürger, sondern er habe sich gegen die Zumutungen des Staates in der Corona-Pandemie gewehrt, sagt sein Anwalt.

    B. gibt noch im Gerichtssaal zu Protoikoll, er werde JournalistInnen gerne „in Wort und Bild“ zur Verfügung stehen. Doch die Vorsitzende Richterin stoppt den redseligen Angeklagten. Interviews werde sie nicht zulassen, stellt sie fest, bevor die fünf Angeklagten in Handschellen abgeführt werden.

  • Holger Friedrich : „Berlin ist Schicksals- und Zukunftsort zugleich“. Der Verleger der Berliner Zeitung besuchte am 9. Mai russische, amerikanische und israelische Veranstaltungen. Hier sein Bericht.
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/holger-friedrich-verleger-der-berliner-zeitung-bei-empfang-der-bots

    Un article haineux dans Die Tageszeitung a éveillé mon intérêt pour cet article. Il se trouve qu’il est très intéressant au contraire du gribouillage du TAZ.

    11.05.2023 von Holger Friedrich - In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Streitkräfte in Berlin-Karlshorst erneut. Die sowjetische Führung bestand darauf. Eine anderthalb Tage vorher in Reims gegenüber den westlichen Alliierten erklärte bedingungslose Einstellung der Kampfhandlungen wurde nicht akzeptiert. Berlin war zu diesem Zeitpunkt seit einer Woche in der Hand der sowjetischen Streitkräfte. Die in Berlin verbliebene Nazi-Führung hatte sich eine Woche zuvor durch Selbstmord oder durch Flucht ihrer Verantwortung entzogen.

    Dieser Krieg kostete mehr als 50 Millionen Menschen das Leben, 23 bis 25 Millionen der Opfer stammten aus der Sowjetunion. Den prozentual höchsten Anteil an überwiegend zivilen Opfern hatte Polen mit circa fünf Millionen Toten zu beklagen, acht Millionen die damalige ukrainische Sowjetrepublik. Bestandteil dieses Krieges war der Holocaust, ein bis dahin nie gekanntes Zivilisationsverbrechen an sechs Millionen Juden. Die meisten Opfer entstammten osteuropäischen Ländern, den sogenannten „Bloodlands“. Heute tobt dort erneut ein Krieg, ein anderer: Russland hat die Ukraine angegriffen.

    Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wurde Deutschland Interessensphäre der jeweiligen Bündnisse und dadurch geteilt. Durch Deutschland und Berlin verlief die Grenze zweier Systeme, der Eiserne Vorhang.

    Diese Grenze öffnete sich im Herbst 1989, als die ostdeutsche Zivilgesellschaft Veränderungen einforderte, als die Machtstrukturen des Ostblocks, der DDR und insbesondere der Sowjetunion erodierten und ein vertraulicher politischer Dialog zwischen den Systemen einen gesichtswahrenden Rückbau der massiv hochgerüsteten Armeen ermöglichte. Orte wie Helsinki oder Reykjavik spielten in der Deeskalation eine große Rolle, aber auch Berlin als Ort innerdeutscher Verständigung. In Häusern auf Rügen, in der Schorfheide oder eben Ost-Berlins, beispielsweise im heutigen Soho House, wurde der Eiserne Vorhang schrittweise geöffnet.

    Engagierte Außenpolitiker
    Die Treiber dieser Entwicklung waren engagierte, pragmatische Außenpolitiker der westlichen Allianz unter Führung der USA. Erinnert sei an Henry Kissinger oder James Baker, aber auch an Georg H. W. Bush, der nach dem Mauerfall die westdeutsche Position einer Wiedervereinigung unterstützte und jede hochmütige Geste gegenüber der sowjetischen Führung unter Gorbatschow vermied.

    Das Ergebnis kurze Zeit später war die Wiedervereinigung Deutschlands und die Demokratisierung der meisten osteuropäischen Staaten, die noch kurze Zeit zuvor unter sowjetischem Einfluss gestanden hatten.

    Demnach ist Berlin Schicksals- und Zukunftsort zugleich. Diese und andere historische Linien wurden am 9. Mai 2023 fortgeschrieben: Wie jedes Jahr lud die russische Botschaft zum Empfang. Die westlichen Gesandten boykottierten, um gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu protestieren. Dafür tauchten Vertreter des chinesischen Militärs auf. Man war unter sich, bis auf alternde Kommunisten und mittlerweile parlamentarisch etablierte Rechte fand sich kein deutsches Publikum. Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder nahm die Einladung der Botschaft an und war nach dem offiziellen Teil schnell gegangen. Dafür warf sich die AfD in Pose.

    Ein Freund, der in der Administration arbeitet, hatte mir angeboten mitzukommen. Ich sagte zu, aus Interesse, aber auch, weil ablehnende Vereinfachungen häufig genug das Gegenteil von dem bewirken, was gewollt ist. Zudem, weil der Tag eine aktuelle, aber auch diese historische Dimension hat.

    Die Schuld Russlands war kein Thema

    Wohl konnte sich niemand fühlen. Die russische Hymne war ergreifend. Dieser Moment der Besinnung wurde der Ehrung Überlebender gewidmet. Mit diesem Blick in die weite Vergangenheit verlief sich die Veranstaltung. Es wäre vielleicht die Möglichkeit gewesen, an so einem Tag in Berlin der Ukraine die Hand zu reichen, einen Prozess der Verständigung einzuleiten, auch über die sich immer weiter auftürmende Schuld Russlands. Aber das war leider kein Thema.

    Der zweite wichtige Termin: Die George W. Bush Foundation lud ein, und es wurde im Beisein der aus den USA angereisten Familie eine Statue des ehemaligen Präsidenten Bush sen. am Konsulat in der Clayallee eingeweiht. Vorher gab es einen Empfang in der ESMT (European School of Management and Technology), die im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR residiert. Der Westwing, der ehemalige Sitzungssaal, wird als Lernort für die Management-Elite ausgebaut. Die Berliner Verwaltung hat eine Baugenehmigung erteilt, die denkmal-konservatorischen Aspekten Rechnung trägt.

    Es gab viele persönliche Reden. Die beste Rede – nicht nur dieser Veranstaltung, sondern des gesamten Tages – hielt der Enkel von George H. W. Bush, Pierce Bush. Er sprach überzeugend von der demütigen Haltung seines Großvaters gegenüber Erreichtem und berichtete, wie sehr der Kampf für die freiheitlichen Werte des transatlantischen Bündnisses die Familie geprägt habe. Doch auch, dass er gleichzeitig im Moment des größten Triumphes 1989 und 1990 leise blieb und sich den Impuls des Tanzens auf der Mauer verbat.

    Es war verblüffend zu sehen, dass ein Mitglied der Bush-Familie vor atemberaubend schöner Kunst aus dem Jahr 1964 verharrt und nicht versteht, dass dieses Werk drei Jahre nach dem Bau der Mauer, und nicht nach dem Mauerfall entstanden war. Und man fragte sich, ob sich die Familie eines ehemaligen amerikanischen Präsidenten jemals vorstellen könnte, dass das Weiße Haus in Washington D.C. eine Ausbildungsstätte wird, in der die Wirtschaftselite eines vormals gegnerischen Systems ausgebildet wird. Die Anwesenden, so schien es, waren sich einig, dass es gut ist, wie es ist.

    Der dritte Termin dieses Tages in den großen Linien der Geschichte war der Empfang der israelischen Botschaft zum 75. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Der Empfang fand gegenüber dem Bendlerblock statt, dem ehemaligen Hauptquartier der Wehrmacht und Ort der Exekution der Attentäter auf Hitler vom 20. Juli 1944. Die gelassene und zugleich professionelle Strenge des Sicherheitspersonals stand in überraschendem Kontrast zur Fröhlichkeit der Anwesenden und diese wiederum im Gegensatz zur Stimmung auf dem Empfang der russischen Botschaft.

    Die beste Rede kam aus den USA
    In der russischen Botschaft auf chinesisches Militär zu treffen, war nicht überraschend, dass türkisches Militär auf einem offiziellen israelischen Empfang auftrat, schon eher. Vor Jahren undenkbar. Ähnlich überraschend war, dass Ron Prosor, der israelische Botschafter, gemeinsam mit dem deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius nach Abschluss aller Reden vor versammelter diplomatischer und politischer Exzellenz ein deutsches Lied sang.

    Im Gegensatz zum ersten Termin in der russischen Botschaft war hier viel Presse anwesend, es gab Redebedarf. Grundtenor im Raum war die Freude an der historischen Gerechtigkeit, an so einem historischen Ort den 75. Jahrestag der Gründung des Staates Israel zu feiern. In Berlin!

    Zusammenfassend hatten die Russen die schönste Hymne und die traurigste Stimmung. Die beste Rede kam aus den USA, ebenso, mit der Unterstützung exzellenter Bildung, die beste Intention. Und die größte Party gab es bei den Israelis.

    Was fehlte an diesem Tag? Es waren die Ukrainer. Sie gedachten einen Tag zuvor, am 8. Mai, schweigend in Prenzlauer Berg des Leids in ihrer Heimat. Ihr Botschafter trauerte in der Neuen Wache Unter den Linden, dem Mahnmal für die Opfer jeder Gewaltherrschaft, um die Toten des Krieges.

    Ein Ende dieses Leids scheint heute weiter entfernt denn je. Doch Europa hat mehr als einmal bewiesen, dass Tod- und Erzfeinde nach mörderischen Kriegen zueinanderfinden können. Schauen wir also auf den 9. Mai 2024. Bis dahin gibt es viel zu bereden und noch mehr zu tun.

    Holger Friedrich in russischer Botschaft :Enteignet die Putin-Versteher !
    https://taz.de/Holger-Friedrich-in-russischer-Botschaft/!5933975

    STEFFEN GRIMBERG
    https://taz.de/Steffen-Grimberg/!a44773

    2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei „ZAPP“ (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, seit 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Schreibt jede Woche die Medienkolumne „Flimmern und rauschen“

    #presse #Allemagne #guerre

    • Ancien organe central des squatteurs de Berlin (1979 ff.) devenu figure de proue du néolibéralisme belliciste vert (2000 ad infinitum).

      Die Grünen und der Krieg | Overton Magazin
      https://overton-magazin.de/buchempfehlungen/die-gruenen-und-der-krieg


      Die TAZ n’est pas le journal du parti vert mais les positions du parti dominent sa ligne éditoriale.

      »Die Grünen entsandten 19 Jahre nach ihrer Gründung die deutsche Luftwaffe in einen Kriegseinsatz.«

      Die pazifistisch orientierten Mitglieder verloren in einem mehrjährigen innerparteilichen Prozess zusehends an Einfluss. »Ein Teil des pazifistischen Flügels sah in dieser Entscheidung einen Verrat an grünen Prinzipien und verließ die Partei.« Joschka Fischer und seine Unterstützer setzten sich auf breiter Front durch. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen stimmte unmittelbar vor der Regierungsbeteiligung 1998 mehrheitlich einem Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO im Kosovo zu – ohne Mandat der Vereinten Nationen: »(D)ie Grünen entsandten 19 Jahre nach ihrer Gründung die deutsche Luftwaffe in einen Kriegseinsatz.«

      Formal war die Zustimmung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen nicht zwingend, politisch hingegen von großer Bedeutung. »Die Beteiligung einer Partei, die maßgeblich aus der deutschen Friedensbewegung hervorgegangen war, war mit großer Wahrscheinlichkeit geradezu entscheidend dafür, dass Deutschland zum ersten Mal nach 1945 bereit war, sich wieder aktiv an einem Krieg zu beteiligen.«

      Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay - Vom Doppeldecker zu Tode geschleift
      https://www.spiegel.de/geschichte/hausbesetzer-klaus-juergen-rattay-in-west-berlin-1981-tod-unter-dem-bus-a-7c
      En 1980 Die Tageszeitung publiait les meilleures information sur le mouvement des squats berlinois. Les autres médias suivaient ou déformaient les infos. Aux yeux des reporters du TAZ la violence de l’état le situait du côté de l’ennemi. Aujourd’hui le journal a changé de camp et fait de la propagande pour la militarisation de l’Allemagne.

      #irrécupérable #presse #Allemagne #Berlin #Hausbesetzung #squat

  • Die Politik der Rackets - Zur Praxis der herrschenden Klassen
    https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/die-politik-der-rackets

    Kai Lindemann, ISBN : 978-3-89691-067-7, 155 Seiten, Preis : 16,00 € Erschienen : 2021

    Daniel Bratanovic, Wir sind hier nicht in Chicago, Max
    https://www.ca-ira.net/verlag/rezensionen/daniel-bratanovic-wir-sind-hier-nicht-in-chicago-max

    Bandenherrschaft. Über Brauchbarkeit und Grenzen der Fragment gebliebenen Racket-Theorie Horkheimers

    Die Rackets und die Souveränität
    https://antideutsch.org/2018/10/19/die-rackets-und-die-souveraenitaet/?amp=1

    2018, Vortrag und Diskussion mit Thorsten Fuchshuber und Gerhard Scheit an der Universität Göttingen

    Verwaltete Welt
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Verwaltete_Welt

    von Theodor W. Adorno 1950 geprägter Begriff der Kritischen Theorie, das die Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt

    Der Begriff verwaltete Welt wird auf Theodor W. Adorno zurückgeführt. Er benutzte ihn unter anderem im Untertitel Musik in der verwalteten Welt seines Werks Dissonanzen (Erstausgabe 1956).[1][2] Adorno gebrauchte den Begriff als eine synonyme Bezeichnung für die spätkapitalistische, genauer: nachliberale und nachfaschistische Gesellschaft, in der die „Allherrschaft des Tauschprinzips“ von der „Allherrschaft des Organisationsprinzips“ überlagert werde.[3] Karl Korn hat ihn dann wenige Jahre später für den Buchtitel seiner kritischen Sprachanalysen – Sprache in der verwalteten Welt (Erstausgabe 1959) – aufgegriffen.

    Grundform der Herrschaft
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169915.kritische-theorie-der-rackets-grundform-der-herrschaft.html

    In kriselnden Staaten tritt die Gewalt hervor, aus der diese entstanden sind. »Rackets« machen daraus ein Geschäftsmodell, erklärt Thorsten Fuchshuber

    Interview: Peter Nowak 06.01.2023

    Überall Rackets
    https://taz.de/Ueberall-Rackets/!5628167

    5.10.2019 - Max Horkheimer wollte mit dem Racket-Begriff einst Herrschaft analysieren. Thorsten Fuchshuber versucht den Ansatz zu systematisieren

    Thorsten Fuchshuber: „Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft“, Ca Ira Verlag, Freiburg 2019, 674 Seiten, 29 Euro

    Von Jakob Hayner

    Racket (Herrschaftskritik), Begriff der Kritischen Theorie
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Racket_(Herrschaftskritik)

    Geld regiert die Welt
    https://www.ipg-journal.de/rubriken/demokratie-und-gesellschaft/artikel/geld-regiert-die-welt-5664

    20.01.2022 | Kai Lindemann
    Skandale wie der Cum-Ex-Betrug sind keine Einzelfälle. Hinter ihnen verbirgt sich eine strukturelle Bedrohung durch privilegierte Beutegemeinschaften.

    #impérialisme #criminalité #racket #Horkheimer #Adorno #Uber #internet #Taxi #mondialisation

  • Das Haus Oldenburg und die Nazis: Eine schrecklich braune Familie
    https://taz.de/Das-Haus-Oldenburg-und-die-Nazis/!5359430

    5.12.2016 von Andreas Wyputta - Nikolaus von Oldenburg wollte im Vernichtungskrieg von Wehrmacht und SS seinen Clan bereichern. Seine Enkelin ist Beatrix von Storch.
    Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

    HANNOVER taz | Zumindest 1941 muss Nikolaus von Oldenburg noch an den Endsieg geglaubt haben: „Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich kurz wissen lassen würden, ob grundsätzlich die Möglichkeit des Ankaufs größerer Güter im Osten nach Kriegsende für mich gegeben sein wird“, schrieb der letzte Erbgroßherzog Oldenburgs an den „Reichsführer SS“, Heinrich Himmler. Schließlich habe er sechs Söhne, jammerte der einstige Thronfolger, dessen Anspruch auf Oldenburg 1918 die Novemberrevolution hinweggefegt hatte – und er erhielt prompt eine positive Antwort.

    Der Bettelbrief an den millionenfachen Mörder Himmler, geschrieben am 2. Juni 1941 – also 20 Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion – macht deutlich, dass das NSDAP-Mitglied Nikolaus von Oldenburg den Vernichtungskrieg seiner Parteigenossen zur massiven Bereicherung seines Clans nutzen wollte. Der Ex-Großherzog, dessen Titel nach der Weimarer Verfassung nichts mehr galt, schien offenbar zu wissen, dass die Nazis weite Teile Osteuropas entvölkern wollten – und dass der „Reichsführer“ der Mann war, der den Mordplan umsetzen würde.

    Ebenfalls im Juni 1941 kündigte Himmler vor SS-Gruppenführern an, 30 Millionen als „slawisch“ identifizierte Menschen töten lassen zu wollen. Schon in den ersten Monaten des Krieges gegen die Sowjetunion ermordeten Einsatzgruppen seiner „Sicherheitspolizei“ und seines „Sicherheitsdienstes“ SD fast eine Million Menschen. Die Vernichtung der europäischen Juden folgte.
    Typische Anbiederung an die Nazis

    Die Anbiederung des Chefs des Hauses Oldenburg an die Nationalsozialisten war durchaus typisch für den nord- und ostdeutschen Adel. Der Berliner Historiker Stephan Malinowski hat bereits 2003 herausgearbeitet, dass die meisten Adligen die nationalsozialistische „Bewegung“ als nützlich empfanden – schließlich lehnten beide Gruppen die Republik mit ihrer Demokratie und ihren Parteien ebenso ab wie Parlamentarismus und Sozialdemokratie. Außerdem brachten Wiederaufrüstung, Krieg und die Verfolgung von Juden sowie Sozialdemokraten viele Adelige, die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg quasi arbeitslos waren, erneut in als standesgemäß erachtete Positionen – ob in Offizierslaufbahnen oder in den höheren Verwaltungsdienst.

    Das galt auch für Nikolaus von Oldenburg. Im Heer nur Major der Reserve, brachte er es in der SA immerhin zum Standartenführer, was dem militärischen Rang eines Obristen entspricht. Er scheint aber nicht versucht zu haben, unmittelbar aus der „Arisierung“ des Vermögens von Deutschen jüdischen Glaubens zu profitieren. Im zum Freistaat erklärten ehemaligen Großherzogtum, wo die NSDAP 1932, schon ein Jahr vor der „Machtergreifung“ Hitlers, über die absolute Mehrheit im Landtag verfügte, wurden die Juden genauso entrechtet, verfolgt und vernichtet wie im Rest des Deutschen Reiches: Lebten 1925 noch 320 Juden in der Oldenburger Kernstadt, waren es 1939 noch 99 – Ende 1943 gab es hier kein jüdisches Leben mehr.

    Die Enteignung Hunderter Mitbürger war aber auch nach 1945 jahrzehntelang kein Thema im niedersächsischen Oldenburg. Durchbrochen wurde das Schweigen erst durch die Ausstellung „Ein offenes Geheimnis“. Diese Ausstellung zeigte das Ausmaß der „‚Arisierung‘ in Alltag und Wirtschaft in Oldenburg im Zeitraum von 1933 bis 1945“. „Da bleibt nur Verhungern oder Flucht“, wird Gustav Thal zitiert, der damals in Oldenburg drei Fotogeschäfte besaß. Bis 1940 wurden nicht nur jüdische Geschäftsleute gezwungen, weit unter Wert zu verkaufen. Unter dem Begriff „Ausländische Möbel“ oder „Hollandmöbel“ stand die Einrichtung von zur Emigration gezwungenen oder deportierten Juden billig zum Verkauf.

    Immerhin: Seit 2013 erinnert eine Gedenkwand an die 175 ermordeten jüdischen BürgerInnen Oldenburgs. Und bereits seit 1981 wird mit dem „Erinnerungsgang“ an das Schicksal der jüdischen Männer erinnert, die nach den Novemberpogromen 1938 an der noch brennenden Synagoge vorbei zur Polizeikaserne am Pferdemarkt, der heutigen Landesbibliothek, getrieben wurden. Erst nach Wochen und Monaten kehrten sie, gezeichnet von der Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin, vorerst zurück.
    Enkelin Beatrix von Storch hetzt gegen Europa

    Ihrer historischen Verantwortung nicht stellen will sich die derzeit wohl bekannteste Vertreterin der einstigen Adelsfamilie Oldenburg, Beatrix von Storch. Die AfD-Hardlinerin, die nach Aussage ihres Vaters Huno von Oldenburg im Ostholsteiner Anzeiger „nach alter deutscher Weise den Namen ihres Mannes“ Sven von Storch angenommen hat, phantasiert lieber vom Schusswaffengebrauch gegen Geflüchtete.

    Für die selbsternannte „Alternative“, deren Vorsitzende Frauke Petry das „Völkische“ positiv besetzen will, sitzt die Enkelin von Nikolaus von Oldenburg im Europaparlament und hetzt dort gegen die europäische Idee – was sie nicht daran hindert, jährlich Diäten und Aufwandsentschädigungen in sechsstelliger Höhe abzugreifen.

    Über so viel Geschäftssinn gefreut hätte sich sicherlich von Storchs Großvater mütterlicherseits: Hitlers Finanzminister, der in Nürnberg wegen der „Arisierung“ des Eigentums deportierter Juden durch die Finanzämter zu zehn Jahren Haft verurteilte Kriegsverbrecher Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk.

    Das Haus Oldenburg und die Nazis: Eine schrecklich braune Familie

    Nikolaus von Oldenburg wollte im Vernichtungskrieg von Wehrmacht und SS seinen Clan bereichern. Seine Enkelin ist Beatrix von Storch.
    Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

    HANNOVER taz | Zumindest 1941 muss Nikolaus von Oldenburg noch an den Endsieg geglaubt haben: „Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich kurz wissen lassen würden, ob grundsätzlich die Möglichkeit des Ankaufs größerer Güter im Osten nach Kriegsende für mich gegeben sein wird“, schrieb der letzte Erbgroßherzog Oldenburgs an den „Reichsführer SS“, Heinrich Himmler. Schließlich habe er sechs Söhne, jammerte der einstige Thronfolger, dessen Anspruch auf Oldenburg 1918 die Novemberrevolution hinweggefegt hatte – und er erhielt prompt eine positive Antwort.

    Der Bettelbrief an den millionenfachen Mörder Himmler, geschrieben am 2. Juni 1941 – also 20 Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion – macht deutlich, dass das NSDAP-Mitglied Nikolaus von Oldenburg den Vernichtungskrieg seiner Parteigenossen zur massiven Bereicherung seines Clans nutzen wollte. Der Ex-Großherzog, dessen Titel nach der Weimarer Verfassung nichts mehr galt, schien offenbar zu wissen, dass die Nazis weite Teile Osteuropas entvölkern wollten – und dass der „Reichsführer“ der Mann war, der den Mordplan umsetzen würde.

    Ebenfalls im Juni 1941 kündigte Himmler vor SS-Gruppenführern an, 30 Millionen als „slawisch“ identifizierte Menschen töten lassen zu wollen. Schon in den ersten Monaten des Krieges gegen die Sowjetunion ermordeten Einsatzgruppen seiner „Sicherheitspolizei“ und seines „Sicherheitsdienstes“ SD fast eine Million Menschen. Die Vernichtung der europäischen Juden folgte.
    Typische Anbiederung an die Nazis

    Die Anbiederung des Chefs des Hauses Oldenburg an die Nationalsozialisten war durchaus typisch für den nord- und ostdeutschen Adel. Der Berliner Historiker Stephan Malinowski hat bereits 2003 herausgearbeitet, dass die meisten Adligen die nationalsozialistische „Bewegung“ als nützlich empfanden – schließlich lehnten beide Gruppen die Republik mit ihrer Demokratie und ihren Parteien ebenso ab wie Parlamentarismus und Sozialdemokratie. Außerdem brachten Wiederaufrüstung, Krieg und die Verfolgung von Juden sowie Sozialdemokraten viele Adelige, die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg quasi arbeitslos waren, erneut in als standesgemäß erachtete Positionen – ob in Offizierslaufbahnen oder in den höheren Verwaltungsdienst.

    Das galt auch für Nikolaus von Oldenburg. Im Heer nur Major der Reserve, brachte er es in der SA immerhin zum Standartenführer, was dem militärischen Rang eines Obristen entspricht. Er scheint aber nicht versucht zu haben, unmittelbar aus der „Arisierung“ des Vermögens von Deutschen jüdischen Glaubens zu profitieren. Im zum Freistaat erklärten ehemaligen Großherzogtum, wo die NSDAP 1932, schon ein Jahr vor der „Machtergreifung“ Hitlers, über die absolute Mehrheit im Landtag verfügte, wurden die Juden genauso entrechtet, verfolgt und vernichtet wie im Rest des Deutschen Reiches: Lebten 1925 noch 320 Juden in der Oldenburger Kernstadt, waren es 1939 noch 99 – Ende 1943 gab es hier kein jüdisches Leben mehr.

    Die Enteignung Hunderter Mitbürger war aber auch nach 1945 jahrzehntelang kein Thema im niedersächsischen Oldenburg. Durchbrochen wurde das Schweigen erst durch die Ausstellung „Ein offenes Geheimnis“. Diese Ausstellung zeigte das Ausmaß der „‚Arisierung‘ in Alltag und Wirtschaft in Oldenburg im Zeitraum von 1933 bis 1945“. „Da bleibt nur Verhungern oder Flucht“, wird Gustav Thal zitiert, der damals in Oldenburg drei Fotogeschäfte besaß. Bis 1940 wurden nicht nur jüdische Geschäftsleute gezwungen, weit unter Wert zu verkaufen. Unter dem Begriff „Ausländische Möbel“ oder „Hollandmöbel“ stand die Einrichtung von zur Emigration gezwungenen oder deportierten Juden billig zum Verkauf.

    Immerhin: Seit 2013 erinnert eine Gedenkwand an die 175 ermordeten jüdischen BürgerInnen Oldenburgs. Und bereits seit 1981 wird mit dem „Erinnerungsgang“ an das Schicksal der jüdischen Männer erinnert, die nach den Novemberpogromen 1938 an der noch brennenden Synagoge vorbei zur Polizeikaserne am Pferdemarkt, der heutigen Landesbibliothek, getrieben wurden. Erst nach Wochen und Monaten kehrten sie, gezeichnet von der Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin, vorerst zurück.

    Enkelin Beatrix von Storch hetzt gegen Europa

    Ihrer historischen Verantwortung nicht stellen will sich die derzeit wohl bekannteste Vertreterin der einstigen Adelsfamilie Oldenburg, Beatrix von Storch. Die AfD-Hardlinerin, die nach Aussage ihres Vaters Huno von Oldenburg im Ostholsteiner Anzeiger „nach alter deutscher Weise den Namen ihres Mannes“ Sven von Storch angenommen hat, phantasiert lieber vom Schusswaffengebrauch gegen Geflüchtete.

    Für die selbsternannte „Alternative“, deren Vorsitzende Frauke Petry das „Völkische“ positiv besetzen will, sitzt die Enkelin von Nikolaus von Oldenburg im Europaparlament und hetzt dort gegen die europäische Idee – was sie nicht daran hindert, jährlich Diäten und Aufwandsentschädigungen in sechsstelliger Höhe abzugreifen.

    Über so viel Geschäftssinn gefreut hätte sich sicherlich von Storchs Großvater mütterlicherseits: Hitlers Finanzminister, der in Nürnberg wegen der „Arisierung“ des Eigentums deportierter Juden durch die Finanzämter zu zehn Jahren Haft verurteilte Kriegsverbrecher Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk.

    #Deutschland #Oldenburg #Geschichte #Nationalsozialismus #Beatrix_von_Storch #AfD #Adel

    #Allemagne #histoire #nazis #Oldenbourg #shoa #antisemitisme

  • Provenienzforschung an Bibliotheken: „Ein Teil der Familiengeschichte“
    https://taz.de/Provenienzforschung-an-Bibliotheken/!5924788

    11.4.2023 von Claudius Prößer - Sebastian Finsterwalder erforscht die Herkunft von Büchern der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, die in der NS-Zeit zu Unrecht erworben wurden. Sebastian Finsterwalder, 40, ist ausgebildeter Fachangestellter für Medien- und Informationsdienste und an der ZLB als Provenienzforscher tätig.

    taz: Herr Finsterwalder, seit wann erforscht die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) die Provenienz, also die Herkunft von Büchern?

    Sebastian Finsterwalder: Vor rund 20 Jahren hat ein Mitarbeiter an unseren historischen Sammlungen gearbeitet und dabei einige interessante Funde gemacht. Er brachte das Thema NS-Raubgut in der Berliner Stadtbibliothek zum ersten Mal aufs Tapet – es gab dazu dann auch eine Ausstellung und eine Publikation. 2009 wurden dann Stellen für die Durchsicht des Bestands nach Raubgut geschaffen.

    Wie groß ist heute Ihr Arbeitsbereich?

    Unsere personelle Ausstattung schwankt etwas. Wir haben das Äquivalent von 1,7 Stellen, zurzeit unterstützt uns noch ein wissenschaftlicher Mitarbeiter – dessen Stelle nach dem Auslaufen aber hoffentlich wieder besetzt wird.

    Und wie gehen Sie konkret vor?

    Wie sehen uns jedes einzelne Buch an, bei dem es einen Verdacht gibt. Bücher als Raubgut zu identifizieren, funktioniert nur, wenn die Vorbesitzer Spuren hinterlassen haben. Stempel oder Exlibris, also eingeklebte, kunstvoll gestaltete Zettel. So versuchen wir, den konkreten Weg eines Bandes in unserem Bestand zu erforschen und ihn dann nach Möglichkeit zurückzugeben. Wenn diese Bücher Institutionen gestohlen wurden, etwa der SPD oder einer Freimauerloge, ist das relativ einfach, da gibt es meistens Nachfolgeinstitutionen. Deutlich wichtiger ist uns aber die Restitution an Privatpersonen. Bei denen kommt es darauf an, überlebende Familienmitglieder zu finden, die oft auf der ganzen Welt verstreut sind.

    Es geht dabei immer um die Zeit des Nationalsozialismus?

    Unser Fokus liegt klar auf der NS-Zeit, denn damals kamen viele unrechtmäßig erworbene Exemplare in den Bestand der Stadtbibliothek. Entdeckt haben wir allerdings auch andere sogenannte Entzugskontexte: Es gibt Beutegut, das im Zusammenhang mit Kriegshandlungen in die Bibliothek kam, zum Teil sogar schon im Ersten Weltkrieg, auch Raubgut aus der Zeit der SBZ und der DDR oder im Zusammenhang mit der „Aktion K“ der tschechischen Kommunisten gegen katholische Klöster im Jahr 1950. Auf Bücher aus kolonialen Kontexten sind wir noch nicht gestoßen – was nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt.

    Reden wir hier nur von der Berliner Stadtbibliothek in der Breiten Straße?

    Heute ist der 5. Internationale Tag der Provenienzforschung, bei der es um die rechtmäßige Herkunft von Kulturgütern geht. Aus diesem Anlass laden diesmal fünf Berliner Institutionen, die sich mit der Sammlung von Büchern und anderen schriftlichen Dokumenten befassen – die Staatsbibliothek, die Bibliothek der Akademie der Künste, die Bibliothek des Deutschen Historischen Museums, das Zentralarchiv der Staatlichen Museen sowie die Zentral- und Landesbibliothek – zu „Provenienzspaziergängen“ ein. Diese führen unter dem Motto „#spurensuche“ an historische Orte in Mitte, die mit der Geschichte ihrer Sammlungen verknüpft sind. Professionelle Guides führen die TeilnehmerInnen über vier Routen, die Gruppen werden an den Stationen von den Forschenden der jeweiligen Einrichtung in Empfang genommen und erfahren mehr über deren Arbeit.

    Fast ausschließlich, ja. Die Stadtbibliothek hat den größten Altbestand, und dieser ist gleichzeitig am besten dokumentiert. In der Amerika Gedenkbibliothek fehlen uns leider die historischen Zugangsbücher. Unsere Aufgabe ist ein Wettlauf mit der Zeit, die Rückgabe wird immer schwieriger und wir müssen mehr als eine Million Bücher durchsehen. Da sind die Chancen, schnell fündig zu werden, bei der Stadtbibliothek einfach am größten.

    Eine Million?

    Das war der Berg, vor dem wir standen: die Bestände, die vor 1945 erworben wurden und damit generell verdächtig sind. Laut Richtlinie werden vor 1945 erworbene Bücher nicht entsorgt, bevor wir sie durchgesehen haben. Nicht alle sind unrechtmäßig erworben, aber das müssen wir eben prüfen.

    Und wie viele haben Sie bis heute geprüft?

    Etwa 150.000. Als NS-Raubgut konnten wir bislang etwa 3.000 identifizieren, die von 195 Personen oder Institutionen stammten. Gut 1.000 davon konnten wir bislang zurückgeben. Einen großen Teil werden wir im Übrigen wohl nie erkennen, weil entsprechende Hinweise fehlen.

    Wie viele geraubte Bücher kamen denn nach Ihrer Schätzung ins Haus?

    Mit Sicherheit mehrere zehntausend. Allein im Jahr 1943 hat die Stadtbibliothek rund 40.000 Bände von der städtischen Pfandleihanstalt gekauft, die aus den Wohnungen deportierter BerlinerInnen stammten. Allerdings haben wir herausgefunden, dass die Bibliothek einen Teil gleich an Privatpersonen weiterverkauft hat. Wie viel sich davon noch im Magazin befindet, ist also unklar. Andererseits kam auch noch lange nach dem Krieg viel Raubgut ins Haus, etwa über Ankäufe aus Antiquariaten, einfach weil das Thema Provenienz bis in die 90er Jahre hinein keine Rolle spielte.

    An wen haben Sie Bücher zurückgegeben?

    Zu den institutionellen Nachfolgern gehören etwa die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Bei ungefähr der Hälfte der Fälle handelte es sich um Bücher von Privatpersonen, oft geht es da um eine kleine Zahl von Exemplaren. Ein etwas größerer Umfang waren rund 40 Bücher aus dem Besitz des Biochemikers Carl Neuberg. Die ersten davon haben wir an die Erben restituiert – als es mehr wurden, haben wir sie auf deren Bitte an das New Yorker Leo Baeck Institute weitergegeben. Komplette Bibliotheken wurden nach unserem Kenntnisstand übrigens nicht übernommen, die waren schon vorher zerpflückt worden.

    Kommt es häufig vor, dass Privatpersonen Bücher nicht annehmen?

    Sehr selten. Mit dem Buch können wir ihnen ja meist einen Teil der Familiengeschichte zurückgeben.

    Und mit der Rückgabe endet Ihre Arbeit im konkreten Fall?

    Nicht ganz: Wir dokumentieren und publizieren unsere Funde in der kooperativen Datenbank Looted Cultural Assets. Die wurde bei uns im Haus entwickelt, mittlerweile betreiben wir sie in einer Kooperation mit der Freien Universität. Beteiligt ist daran inzwischen ein gutes Dutzend Bibliotheken, seit Kurzem auch das Berliner Landesarchiv.

    #Berlin #Bibliotheken #Geschichte

  • Bundesverfassungsgericht zu AfD-Stiftung: Kein Geld ohne Gesetz - taz.de
    https://taz.de/Bundesverfassungsgericht-zu-AfD-Stiftung/!5914331

    22. 2. 2023 von Christian Rath - Bisher hat die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung kein Geld bekommen. Zu Unrecht, sagt Karlsruhe. Der Grund: Die Finanzierung ist unklar geregelt.

    KARLSRUHE taz | Der Bundestag hat die Rechte der AfD auf Chancengleichheit der Parteien verletzt, weil er der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung ohne gesetzliche Grundlage im Jahr 2019 Zuschüsse verweigerte. Dies entschied an diesem Mittwoch das Bundesverfassungsgericht und gab damit einer Organklage der AfD statt. Eine Nachzahlung von Geldern ordnete das Gericht nicht an.

    Derzeit bekommen sechs parteinahe Stiftungen Geld aus dem Bundeshaushalt. Im Jahr 2019 waren es insgesamt 660 Millionen Euro. Empfänger sind die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU-nah), die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD-nah), die Heinrich Böll-Stiftung (grün-nah), die Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP-nah), die Rosa-Luxemburg-Stiftung (links-nah) und die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU-nah).

    Zwei Drittel des Geldes fließt in Auslandsprojekte, insbesondere in die weltweite Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft. Knapp ein Viertel der Stiftungsgelder erhalten mehr oder weniger parteinahe Stipendiat:innen. Den Rest, rund 130 Millionen Euro, erhielten die Stiftungen als „Globalzuschüsse“ für politische Bildung, Forschung und Politikberatung.

    Im Karlsruher Verfahren ging es nur um die Globalzuschüsse. Die AfD beantragte ab 2019, dass auch die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) staatliche Zuschüsse erhalten solle. Die AfD hatte die DES als parteinah anerkannt. Vorsitzende ist Erika Steinbach, die zuvor fast 30 Jahre lang für die CDU im Bundestag saß und seit 2022 AfD-Mitglied ist. Der Bundestag verweigerte der AfD-nahen Stiftung jedoch Jahr für Jahr die Zuschüsse.

    „Eingriff in die Rechte der Partei“

    Anfangs hieß es zur Begründung, dass die AfD erst noch zeigen müsse, dass sie eine dauerhafte Kraft ist. Nach dem zweiten Einzug in den Bundestag 2021 beschlossen die anderen Fraktionen erstmals einen Vermerk zum Bundeshaushalt 2022, wonach parteinahe Stiftungen nur dann finanziert werden, wenn keine Zweifel an ihrer Verfassungstreue bestehen. Wieder ging die DES leer aus.

    Im aktuellen Urteil ging es nur um das Jahr 2019. Für die Jahre 2020 und 2021 hatte die AfD zu spät geklagt. Und für das Jahr 2022 wurde das Verfahren abgetrennt, weil die AfD hier ihren Antrag erst zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung Ende Oktober gestellt hatte. Der Bundestag und die Bundesregierung hätten sich darauf nicht ausreichend vorbereiten können. Um die 2022 erstmals geforderte Verfassungstreue ging es daher im Urteil nur am Rande.

    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Vizepräsidentin Doris König stellte fest, dass die Verweigerung der Finanzierung einer parteinahen Stiftung ein Eingriff in die Rechte der Partei selbst darstellt. Denn die Arbeit der Stiftung nütze ihr im Parteienwettbewerb, auch wenn die Stiftungen personell mit den jeweiligen Parteien nicht identisch sein dürfen und auch keinen Wahlkampf betreiben dürfen. Doch in der politischen Bildung verbreiten die Stiftungen allgemeines Gedankengut der jeweiligen Parteien. Bei der politischen Forschung liefern sie nützliche Erkenntnisse und die Begabtenförderung helfe bei der Gewinnung und Förderung qualifizierten Nachwuchses. Der Nutzen für die jeweilige Partei sei zwar nicht messbar, aber es wäre realitätsfremd, einen Nutzen zu bestreiten, so die Richter:innen.

    Dieser Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien ist nur auf gesetzlicher Grundlage möglich – das ist die zentrale Aussage des aktuellen Urteils. Ein Vermerk im Haushaltsgesetz (wie 2022) genüge nicht, da das Haushaltsgesetz keine Außenwirkung habe. Nur weil ein solches Gesetz fehlt, nahmen die Rich­te­r:in­nen eine Verletzung der Rechte der AfD an.

    Falls der Bundestag der AfD-nahen Stiftung weiter Gelder verweigern will, muss er also ein Gesetz beschließen. Hierfür habe das Parlament einen gewissen „Gestaltungsspielraum“, so die Richter:innen. Unbedenklich sei jedenfalls eine Norm, die parteinahen Stiftungen nur dann Anspruch auf Finanzierung gibt, wenn es sich um eine „dauerhafte, ins Gewicht fallende Grundströmung“ handelt. Möglich sei auch, so Karlsruhe, eine parteinahe Stiftung von der Finanzierung auszuschließen, wenn dies „zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, also zum Schutz von menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat „erforderlich“ ist. Details hierzu nannten die Rich­te­r:in­nen nicht.

    Ulrich Vosgerau, der Rechtsvertreter der AfD, forderte eine Nachzahlung von Zuschüssen für das Jahr 2019. Dies hat das Gericht jedoch nicht angeordnet. Es hat nur festgestellt, dass die Verweigerung der Zuschüsse für die DES 2019 verfassungswidrig war. Inzwischen kündigten alle Ampelparteien an, dass sie kurzfristig ein entsprechendes Gesetz erarbeiten wollen. „Kein Geld für Verfassungsfeinde – nach diesem Grundsatz werden wir nun schnell ein Stiftungsgesetz im Deutschen Bundestag erarbeiten und verabschieden“, sagte etwa Johannes Fechner, Justiziar der SPD-Fraktion.

    „Es ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, dass der freiheitliche Staat nicht die Feinde der Freiheit alimentieren muss“, betonte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle, „jeder Euro Steuergeld für die AfD-Stiftung wäre ein Euro zu viel“, Für die Grünen wies Konstantin von Notz darauf hin, dass die Fraktion schon in der letzten Wahlperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hatte.

    Mit der Verabschiedung eines Stiftungsgesetzes dürfte die Auseinandersetzung um die AfD-nahe Stiftung aber nicht zu Ende sein. Wenn der Bundestag zu hohe Anforderungen an die Verfassungstreue von Stiftungen stellt, dürfte die AfD gegen­ das Gesetz klagen. Das Bundesverfassungsgericht müsste dann prüfen, ob die Anforderungen unverhältnismäßig sind. Außerdem könnte die Stiftung selbst gegen eine Verweigerung von Geldern klagen, mit dem Argument, sie sei gar nicht so extremistisch wie angenommen. Hierüber würde dann ein Verwaltungsgericht entscheiden.

    Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, sieht solchen Klagen gelassen entgegen: „In Vorstand und Kuratorium der AfD-nahen Stiftung finden sich neben der Vorsitzenden Erika Steinbach Personen, die in der rechtsextremen Szene aktiv sind und direkte Verbindungen in das rechtsextreme Umfeld der Identitären Bewegung haben.“ Davor warne die Bildungsstätte schon seit Jahren, so Mendel.

    #Allemagne #politique #justice #extrême_droite #AfD

  • Eine linke Karriere
    https://taz.de/!504356

    10.12.2005 von CHRISTOPH VILLINGER - taz Serie „1980, 1990 – besetzte Zeiten“ (Teil 5): In den 80er-Jahren startete Rainer Klee .als Taxikollektivist in einem besetzten Haus. Daraus entwickelte sich eher beiläufig die Titanic-Reisebüro-Kette und der heute größte Flugtickethändler Europas.

    „Ich möchte nichts missen!“ Stolz schwingt in der Stimme von Rainer Klee, wenn er von den Ursprüngen seiner Firma erzählt. Heute ist der 47-jährige gelernte Speditionskaufmann Vorstandsvorsitzender der Aerticket AG, Europas größtem Flugticket-Großhändler. Insgesamt 300 Menschen arbeiten dort, allein 180 in der Zentrale in der Kreuzberg Zossener Straße. Etwa eine Million Tickets liefern sie pro Jahr an rund 6.000 Reisebüros.

    Angefangen hatte alles Mitte der 80er-Jahre. Rainer Klee war gerade aus einem besetzten Haus in Charlottenburg ins Kerngehäuse an der Kreuzberger Cuvrystraße gezogen. „Zusammen wohnen und arbeiten“ war in dem schon legalisierten Hausprojekt angesagt, oben gab es große Wohngemeinschaften, unten die Autowerkstatt für fünf Taxikollektive. Klee arbeitete bei den „Schwarz-Roten Reifen“. Die Farben standen für den in einer anarchosyndikalistischen Tradition stehenden Flügel der Hausbesetzer, aber auch für die damaligen Befreiungsbewegungen in Nicaragua und El Salvador.

    „Selber machen“ meinte damals nicht nur das Instandsetzen von Häusern oder das Reparieren der Taxis. Auch mit Kaffeeimporten aus Nicaragua wurden die Strukturen des Weltmarkts umschifft. Einige Taxigenossen gründeten die Berliner Kaffeegenossenschaft, die Marke „Sandino Dröhung“ war schnell etabliert und Rainer Klee als Geschäftsführer der Importfirma mehrmals in Nicaragua.

    Dorthin zog es hunderte Menschen aus der Lateinamerika-Solidaritätsszene. Allein durch ihre Anwesenheit vor Ort bildeten sie bei der Kaffeeernte einen menschlichen Schutz vor den von den USA finanzierten Konterrevolutionären. Auch die Flugtickets für die europäischen Freunde der Sandinisten wurden selbst organisiert. Das Lateinamerika-Zentrum in der Crellestraße vermittelte in diesen Jahren über 1.000 Flugscheine.

    Neben der politischen Arbeit stellten sich persönliche Fragen. „Will man seinen Lebensunterhalt perspektivisch weiter mit Taxifahren verdienen?“, überlegte sich nicht nur Rainer Klee. Manche stießen an ihre gesundheitlichen Grenzen. „Wir orientierten uns in Richtung Reisebüro“, erinnert sich Klee. Das war damals eine Marktlücke im Wrangelkiez. Zu sechst gründete man 1988 das „Titanic-Reisebüro“ in der Oppelner Straße. Arbeit und Politik blieben verknüpft. Das Büro diente etwa als Info-Laden für die Kampagne gegen die Berliner Tagung des Internationalen Währungsfonds im Herbst des gleichen Jahres.

    Allein von dem Laden konnte in den ersten beiden Jahren jedoch niemand leben. „Wir arbeiteten alle noch nebenher, ich zum Beispiel machte Nachtdienste im Krankenhaus“, erzählt Gründungsmitglied Ilona Paschke. „Dafür war das Reisegeschäft noch sehr ruhig. Es gab die drei alliierten Fluggesellschaften ab Tegel und die Interflug ab Schönefeld“, sagt die heute 41-Jährige Geschäftsführerin. In der Aufbauzeit arbeiteten alle gut „60 bis 70 Stunden die Woche“. Für Klee ging dies nicht mehr mit seiner großen WG zusammen. Er zog aus.

    Der Mauerfall brachte dem Titanic-Reisebüro den ersten Großkunden, den Deutschen Rundfunk der DDR. Und fast folgerichtig aus der umfangreichen Solidaritätsarbeit gewann man eine Ausschreibung des Deutschen Entwicklungsdienst (DED), der laut Paschke „größten Organisation, die Menschen in die Dritte Welt schickt“. Mit der Übernahme weiterer Reisebüros endete 1991 die „Aufbau- und Kollektivphase“. Dann bekam die erste Frau ein Kind. Andere wollten „etwas vorantreiben“ und damit „auch ein höheres Maß an Verantwortung tragen“, erinnert sich Paschek. Das brachte auch Enttäuschungen mit sich. Schon zuvor war ein Kollektiv mit 10 bis 15 Leuten schwierig genug, nun war es bei vielen nicht mehr angesagt. Die Beziehung, die Kinder, monatelanger Urlaub und anderes hatte Vorrang. „Es gelang uns nicht mehr, jemanden vom Kollektiveintritt zu überzeugen“, sagt Klee. Titanic wurde ein normales Unternehmen im gemeinschaftlichen Besitz der Betreiber, zwar noch bis 1996 mit Einheitslohn, aber mit Angestellten.

    Konflikte und Streit gab es eher, als man merkte, dass ein Reisebüro „eine noch blödere Dienstleistung als Taxifahren sein kann“. Kunden meckern rum. „Ökotourismus in die Toskana verkaufte sich überhaupt nicht, zu viele wollten einfach nur billig nach Mallorca, egal wie. Wieder andere schimpften wegen Flugreisen in die Dominikanische Republik. „Wegen des dortigen Sextourismus“, sinniert Paschke über die damaligen Auseinandersetzungen.

    Doch man expandierte weiter, ein Reisebüro am Ku’damm brachte sich ein, die Menschen aus den Reisebüros von Artu am Heinrichplatz und in der Zossener Straße wurden Mitgesellschafter. Leute aus einem anderen Taxikollektiv stiegen ins Geschäft mit Bahntickets ein. Daraus entstand das vor allem auf Eisenbahnfahrten spezialisierte Reisebüro „Kopfbahnhof“ in der Yorckstraße. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich aus dem kleinen Reisebüro Titanic eine Kette mit heute 45 Angestellten und sieben Eigentümern. Als der DED nach Bonn umsiedelte, zog eine der zehn Filialen mit. „Gemessen daran, dass alle anderen aus dem studentischen oder alternativen Milieu kommenden Reisebüros inzwischen von großen Konzernen aufgekauft oder pleite sind, geht’s uns ganz gut“, kommentiert Klee.

    Aber die Devise, „das können wir doch selber machen“, galt weiterhin. Eher beiläufig bot sich an, Flugtickets auch für andere Reisebüros auszustellen, bald waren allein damit drei Leute beschäftigt. Etwa 50 alternative Reisebüros und Mitfahrzentralen gründeten einen Verein, aus dem sich bald „eine Art Einkaufsgenossenschaft“ entwickelte. Spätestens „ab diesem Moment wurden wir von den Fluggesellschaften ernst genommen“, schaut Klee zurück. Heute hat der Verein 600 Mitglieder. Das Ausstellen der Tickets gliederte man in eine Tochtergesellschaft aus, die heutige Aerticket AG, deren Vorstandsvorsitzender Klee nun ist.

    Zwar gebe es kollektive Entscheidungen im Vorstand, sagt Klee. „Aber wir sind kein Kollektiv mehr.“ Mitarbeiter würden inzwischen bei jedem gut geführten Unternehmen in die Entscheidungen miteinbezogen. „Unser Problem ist, in einer Firma zu arbeiten, hinter der man steht. Um die am Leben zu halten, kann man nicht immer das Beste für alle machen“, meint auch Petra Wybieralski. Mitte der 80er-Jahre war auch sie beim „schwarz-roten“ Taxikollektiv und Buchhalterin im Kerngehäuse. „Sich in alles Mögliche reinfummeln zu können“, das sei die größte Stärke des Betriebs, meint die gelernte Germanistin. Ohne je Betriebswirtschaft studiert zu haben, leitet die 51-Jährige die Personalverwaltung und ist Mitarbeitervertreterin. Als solche verteilt sie gerade die hereinkommenden Weihnachtsgeschenke der Fluggesellschaften.

    Politisch greife man nur noch per Spenden ein, erzählt Klee. „So sind wir zum Beispiel der größte Einzelspender von Christian Ströbele“, dem Kreuzberger und Friedrichshainer Vertreter im Bundestag. Drei Stunden lang diskutierte vor kurzem die Betriebsversammlung mit ihm.

    Als verpasste Jahre empfindet Rainer Klee die Zeiten im besetzten Kerngehäuse nicht. Vielmehr „bin ich ein wenig darüber frustriert, wie sie jetzt alle unterm Tannenbaum sitzen“. Früher sei er gerne an Heiligabend Taxi gefahren. Da widerspricht Paschke ihrem langjährigen Kompagnon vehement. „Unsere Weihnachtsfeiern im Betrieb sind für die Mitarbeiter Ausdruck des familiären Betriebsklimas und ganz wichtig“. Rainer Klee erlebt den Unterschied in der Firmenkultur an anderer Stelle: „Bei den großen Treffen mit den Vertretern der Fluggesellschaften werde ich immer ein wenig belächelt“, sagt Klee. „Aber ich bin weiter der Meinung, zusammen wohnen und kollektive Strukturen aufzubauen ist richtig. Mir fehlen dazu eher die Leute.“

    #Berlin #Taxikollektiv

  • An der falschen Halte
    https://taz.de/Archiv-Suche/!456999

    23.3.2006 - In den 80er-Jahren konnte man mit Taxifahren mehr verdienen als bei einem guten Bürojob. Heute ist es oft nur versteckte Arbeitslosigkeit. Dennoch hat das kurze Kutschieren fremder Menschen seinen Reiz: Für Sigrid Sokoll ist es „pures Abenteuer“

    Statt alle vier Jahre ein neues Taxi zu kaufen, müssen die Wagen heute bis zum Zusammenbruch halten

    von CHRISTOPH VILLINGER

    Warten. Taxifahren heißt warten. Mindestens drei Viertel ihrer Zeit stehen die Berliner TaxifahrerInnen im Schnitt an der „Halte“ – so die allgemeine Erfahrung – und langweilen sich. Lesen Zeitung, lösen Sudoku-Rätsel. Frieren manchmal. Und warten. „Steigt dann nach einer Stunde endlich jemand in die Taxe, geht’s auch nur für 5,40 Euro ins nahe Urban-Krankenhaus“, erzählt Sigrid Sokoll, die an der Halte „Zossen“, Ecke Gneisenaustraße, mitten in Kreuzberg, wartet. „Davon kannst du nicht leben“, sagt die 57-Jährige.

    Einen Stundenlohn von 10 Euro brutto hält sie für ihre Arbeit für angemessen. Ihr Taxikollektiv, die Kreuzberger Taxigenossenschaft (KTG), für die sie seit 1998 fährt, kann ihr gerade noch 6 Euro brutto ausbezahlen – und das mit Mühe. Das entspricht bei den angestellten FahrerInnen etwa 40 Prozent der Tageseinnahmen.

    „Sicher gibt es Ausnahmen“, erzählt ihre Kollegin Christel Janke, die seit 20 Jahren Taxi fährt. An diesem Morgen hatte die 58-Jährige zum Beispiel Glück. „Eine Tour von Kreuzberg nach Hennigsdorf macht 38 Euro.“ Aber am Nachmittag waren es nach acht Stunden Arbeit auch nur 68 Euro Umsatz auf dem Taxameter. „Hast dich eben an die falsche Halte gestellt“, scherzt ihre Freundin.

    An der falschen Halte stehen die über 6.500 Taxen in Berlin viel zu häufig. Wenige Ausnahmetage, wie zurzeit der Berlinale oder der Grünen Woche, lösen das strukturelle Problem des Berliner Taxigewerbes nicht. Die Mehrheit der Bevölkerung hat schlicht und einfach nicht das Geld für „diesen Luxus“. Zudem gebe es rund 1.000 Taxen zu viel in der Stadt, sagt der Taxiverband Deutschland.

    Im alten Westberlin war es kein Problem, in wenigen Stunden 200 Mark Umsatz zu machen und davon als von der Sozialversicherung befreite Studentin sogar über 50 Prozent behalten zu dürfen. Der Stundenlohn der KTG betrug bereits Anfang der 80er-Jahre um die 15 Mark, und trotzdem erwirtschaftete der Betrieb Gewinne.

    Damals hatten die Menschen einfach mehr Geld zum Ausgeben – auch für Taxis. Heute muss jede Fahrerin einen vollen Tag oder eine Nacht arbeiten, um mühsam und mit Glück über 100 Euro Umsatz zusammenzufahren. Die schwierige finanzielle Lage der Branche zeigt sich inzwischen auch an den Autos: Statt alle vier Jahre einen neuen Wagen zu kaufen, müssen sie heute halten bis zum Zusammenbruch. Über 650.000 Kilometer hat das liebevoll nach seiner Funknummer „1432“ genannte Mercedes-Taxi der KTG inzwischen auf dem Buckel.

    „Trotzdem macht mir der Job eigentlich Spaß – damals wie heute“, sagt Christel Janke. 1986 hat sie nach drei Monaten Lernen ihren P-Schein, den Personenbeförderungsschein, gemacht. Janke studierte damals Landschaftsplanung, später stieg sie auf Politikwissenschaft um, aber das Taxifahren wurde immer mehr zum Mittelpunkt des Erwerbslebens. „Nachdem ich eine Weile bei diversen Kleinbetrieben und einem Frauen-Taxi-Kollektiv gefahren bin, hab ich mich 1991 exmatrikuliert und dann selbstständig gemacht“, erzählt Janke. Ihr Wunsch damals: ohne allzu große Aufregung und Stress als Alleinfahrerin den Lebensunterhalt sichern.

    Das ist inzwischen eine Illusion. Auch sie kann von der Fahrerei nicht leben: „Ohne einen finanziellen Zuschuss der Familie würde es nicht gehen.“ Und wegen ihrer Gesundheit darf sie auch nicht endlos in der Taxe sitzen „wie andere Kollegen, die täglich zehn bis zwölf Stunden auf dem Bock hocken und trotzdem ihre Familie nicht ernähren können“. „Eigentlich hätten viele TaxifahrerInnen Anrecht auf ergänzendes Arbeitslosengeld II“, meint sie. Sigrid Sokoll, die vor zwölf Jahren ihren P-Schein gemacht hat, gehört zu dieser Gruppe. Sie fährt noch 15 Stunden die Woche, den fehlenden Rest deckt sie mit „ergänzendem Arbeitslosengeld II“ ab.

    Mit wildfremden Menschen für kurze Zeit in ein intensives Gespräch kommen zu können, das macht für Sokoll den Reiz am Taxifahren aus. Reihenweise Anekdoten kann sie darüber erzählen. Etwa die von dem über 90-jährigen Rentnerpaar, das Sokoll vor einigen Jahren an der Love Parade vorbeifuhr. „Ach, wir haben schon den Rock ’n’ Roll nicht verstanden, was sollen wir uns darüber aufregen“, kommentierten die zwei das Techno-Event. Diese Erlebnisse und die gewisse Anerkennung, die sie immer wieder für ihre Arbeit erfährt, sind Sokoll wichtig.

    Da widerspricht Christel Janke. Sie hat oft das Gefühl, in die „unterste Kaste gesteckt zu werden“. Die scheinbare Bewunderung, wie mutig es sei, als Frau Taxi zu fahren, verletze sie eher. Sie fühlt sich weniger gesellschaftlich anerkannt, „eher verkannt“. Besonders seit die Bundesregierung nach Berlin gezogen sei, spüre sie einen Drang zur Elitenbildung, die am Beruf gemessen werde. „Wie oft werde ich gefragt, was ich vorher gemacht habe – als wäre Taxifahren ein Hilfsarbeiterjob.“ Dabei ist sie heilfroh, nicht in einem Büro sitzen zu müssen – und Pause machen zu können, wann sie will.

    Sigrid Sokoll würde am liebsten viermal pro Monat am Wochenende fahren, „so wäre es das pure Abenteuer“. Doch inzwischen schränkt auch sie ihre Gesundheit ein: Der körperlich sehr belastende Job fordert seinen Tribut. „Ich bin um 6 Uhr morgens bei minus 8 Grad am Innsbrucker Platz gestanden und schwitzte im Hochsommer bei Plus 35 Grad am Ostbahnhof in der Sonne.“

    Die Hoffnung auf einen anderen Job hat Sokoll aufgegeben. „Und ich kann jedem Taxifahrer, der einen anderen Job findet, nur empfehlen, diesen anzunehmen“, sagt Sokoll. Melancholisch erzählt sie von einer anderen Kollegin, die in den 80er-Jahren ihren normalen Beruf hinschmiss, weil sie mit Taxifahren genauso viel verdiente, ja sogar noch etwas für die Rente sparen konnte. „Heute zahlt sie von dem Gesparten ihre Miete. Nichts wird’s mit der Rente.“

    An eine arbeitsfreie Altersruhe glauben beide nicht mehr. „So oder so werde ich arm sein“, meint Sokoll, „und deshalb weiterfahren müssen. Ich habe dann aber wenigstens zwei, drei Tage bezahlte Unterhaltung im Alter.“

    #Taxi #Berlin #2006 #Arbeit #Taxikollektiv

  • Les assassins végans
    https://taz.de/Bundeswehroffiziere-ueber-Verpflegung/!5920029

    Hitler était végétarien, soit, mais nous pouvons faire mieux. L’Allemagne se dote alors de commandeurs d’assassins végans.

    Ce n’est étonnant qu’au premier regard car la raison d’être des armées teutones n’a jamais été d’abattres les pauvres animaux et plantes. Bien au contraire, depuis Hermann le Chérusque nous éliminenons (avec l’avènement du véganisme le terme "tuer’"est réservé pour les actes d’agression létale contre les plantes) avec grâce les ennemis humains. Notre Frédéric II de Prusse, dit le Grand et ami temporaire de Voltaire fit le choix d’être enterré à côté de ses chiens plutôt qu’avec une épouse ou un ami humain.

    Nous sommes les amis des fleurs et de la nature que nous protégeons avec nos boucliers. Enfin la guerre moderne nous a libéré du fardeau du sacrifice des pauvres chevaux. Nous n’exposons à l’artillerie ennemie plus que les véhicules motorisés et leurs équipages. Nos guerres modernes ne sont plus les boucheries animalières d’avant et leurs victimes civils sont élevés au rang de dommages collatéraux. Il est établi que nous nous battons du côté du progrès.

    Dans l’interview du journal à peine belliciste TAZ deux compères végans expliquent leurs choix étique avec toute la sincérité d’assassins de bonne fois. Qu’ils soient loués ! Ils donnent raison à notre devise éternelle.

    Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.

    Bundeswehroffiziere über Verpflegung : „Es gibt kein veganes Menü“

    22.3.2023 von Friederike Gräff - Die vegan lebenden Bundeswehroffiziere Martin A. und Patrick A. fordern vegane Verpflegung für die Truppe. Doch die Bundeswehr ist zögerlich.
    Zwei Männer in Militäruniform

    Fordern bessere vegane Verpflegung in der Truppe: die Bundeswehroffiziere Martin A. und Patrick A Foto: Privat

    taz: Martin A., Patrick A., Veganismus ist nicht das Erste, was man mit der Truppe verbinden würde. Tut man ihr da unrecht?

    Martin A.: Das Thema ist in der Bundeswehr noch nicht weit verbreitet. Doch auch vegetarische Ernährung war vor Jahrzehnten ein Fremdwort für die Truppe und für uns ist die Weiterentwicklung des vegetarischen Gedankens der nächste logische Schritt.

    Empfinden Sie sich als Avantgarde oder als Exoten innerhalb der Bundeswehr?

    Patrick A.: Weder noch. Ich empfinde eine gewisse Verantwortung, anzusprechen, wenn Sachverhalte überarbeitungswürdig sind. Das sind die Regelungen zur Truppenverpflegung.

    Martin A.: Wir sind beide nicht als Veganer in die Streitkräfte eingetreten, sondern haben eine persönliche Entwicklung durchlaufen, die wir auch in unserer Gesellschaft seit einiger Zeit verstärkt erkennen.

    Wie ist die Reaktion der Bundeswehr?

    Patrick A.: Die Bundeswehr begründet zunächst, wie Truppenverpflegung aussehen soll: bedarfsgerecht, vollwertig, ernährungsphysiologisch ausgewogen und an den Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft orientiert. Die Bundeswehr ist der Meinung, dass vegane Ernährung diesen Vorgaben nicht entspricht.

    Inwiefern nicht?

    Patrick A.: Die Bundeswehr orientiert sich eng an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Diese weist zwar auf kritische Nährstoffe hin, macht jedoch auch deutlich, dass eine gut geplante vegane Ernährung bedarfsdeckend und gesundheitsförderlich sein kann. Zudem ergäben sich Chancen, die Klimabilanz der Bundeswehr zu verbessern und als zeitgemäßer Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
    Martin A. und Patrick A.

    Oberstleutnant Martin A. und Korvettenkapitän Patrick A. sind Offiziere der Bundeswehr. Während Martin A. (36) aus dem Bereich Operative Kommunikation kommt und in seiner letzten Verwendung Kompaniechef war, fuhr Patrick A. (35) bisher unter anderem als Wachoffizier und Verantwortlicher für den Gefechtsdienst auf Marineschiffen zur See. Beide leben aus ethischen Gründen vegan und teilen hier ausschließlich ihre persönlichen Einblicke und Einschätzungen.

    Die Bundeswehr lehnt nicht den Mehraufwand ab, sondern argumentiert mit dem Nährstoffbedarf der Soldat:innen?

    Patrick A.: Sie geht von einem Mangel kritischer Nährstoffe aus und davon, dass vegane Ernährung qualifiziert begleitet werden müsste. Das könne nicht geleistet werden.

    Welches Angebot gibt es derzeit für Ve­ga­ne­r:in­nen in der Kantine oder bei einem Manöver?

    Patrick A.: Es gibt kein reguläres veganes Angebot. Das Essen ist mischköstlich, stets mit einer vegetarischen Variante. Wir plädieren für eine ernstzunehmende vegane Alternative. Wobei es bei der bedarfsdeckenden veganen Verpflegung eine große Rolle spielt, dass industriell verarbeitete Lebensmittel gemieden und möglichst vollwertige pflanzliche Kost zum Einsatz kommt. Wenn das in der Bundeswehr fest auf dem Verpflegungsplan stehen soll, müssten diese Komponenten zu einem Menü arrangiert und durch die Truppenküchen ausgegeben werden.

    Das passiert nicht?

    Patrick A.: Einen veganen Menüvorschlag schließt die aktuelle Vorschriftenlage kategorisch aus. Dabei entspräche ein solches Angebot einfach der gesellschaftlichen Realität. Einen Hinweis liefern da flexitarische Ernährungsgewohnheiten. Ich sehe viele fleischessende Kameradinnen und Kameraden das vegetarische Angebot bestellen. Wenn das Angebot da ist, wird es genutzt. Bei veganer Kost wird das ähnlich sein.

    Warum sind Sie Veganer geworden?

    Martin A.: Ich habe mich schon vor Jahren mit tierrechtlichen Aspekten befasst. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, kommt man um schockierende Bilder aus der Tierhaltungsindustrie, die auch im Rahmen des rechtlich Zulässigen entstehen, kaum herum. Irgendwann war mir das Verdrängen schlicht nicht mehr möglich.

    Patrick A.: Das kann ich unterstreichen, gerade die Bilder von häufig geradezu missbräuchlichen Methoden in der Haltung sogenannter Nutztiere müssen einen zum Umdenken bringen.

    Martin A., Sie sind wegen Ihrer Forderung nach veganer Verpflegung sogar vor Gericht gegangen. Mit Erfolg?

    Martin A.: In dem Verfahren ging es um Verpflegungspauschalen. Ich habe gegen Abrechnungen geklagt, die mir unterstellten, am Verpflegungssystem der Bundeswehr teilnehmen zu können – was mir praktisch jedoch nicht möglich war. Das Gericht hat den Kern meines Anliegens mit einer sehr ausführlichen Urteilsbegründung gestützt. Mir ging es hier vorrangig darum, zu verdeutlichen, dass die vegane Lebensweise grundrechtlichen Schutz genießt.

    Was stand in der Begründung?

    Martin A.: Das Gericht war überzeugt, dass meine ethisch begründete Entscheidung vegan zu leben in den Schutzbereich der Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit fällt. Gleichzeitig hat es festgestellt, dass mir eine Teilnahme am derzeitigen Verpflegungsangebot der Bundeswehr nicht möglich ist.

    In der Praxis hat das Gerichtsurteil aber nichts verändert.

    Martin A.: Auf den ersten Blick nicht. Aus dem Urteil leitet sich kein unmittelbarer Anspruch auf vegane Verpflegung ab. Doch das gerichtlich umfassend mitgetragene Argument, dass der Veganismus eine verfassungsrechtlich schützenswerte Lebensweise ist, kann nun anderen vegan lebenden Soldatinnen und Soldaten helfen.

    Gibt es denn Schritte der Bundeswehr auf Sie zu?

    Martin A.: Wir erkennen durchaus etwas Aufmerksamkeit für das Thema. Vergleichsweise prominent erwähnt der jüngste Bericht der Wehrbeauftragten nun das zweite Jahr in Folge die Anliegen von Veganerinnen und Veganern in der Bundeswehr.

    Aber in der Kantine sehen Sie davon noch nichts.

    Martin A.: Konkrete Vorhaben sind uns nicht bekannt, nein. Allerdings ist uns auch bewusst, dass eine Organisation mit den Personalzahlen und den logistischen Anforderungen, wie sie die Bundeswehr hat, nicht von heute auf morgen Entscheidungen solcher Tragweite treffen wird.

    Wie wollen Sie die Bundeswehr überzeugen?

    Martin A.: Eines der größten Hindernisse scheint die Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung darzustellen. Im internationalen Vergleich ist die DGE noch relativ vorsichtig, sich für eine gänzlich vegane Verpflegung auszusprechen. Jedoch nicht, weil es nicht möglich wäre, sondern weil sie der Bevölkerung mehrheitlich eher nicht zutraut, sich umfassend genug mit der eigenen Ernährung auseinanderzusetzen.

    Ist damit überhaupt Bewegung in der Sache denkbar?

    Martin A.: Die Frage ist doch, sind die Streitkräfte gut beraten, die unumgänglich zunehmende Zahl an Veganerinnen und Veganern in der Bundeswehr zu ignorieren, während die DGE zwar Sorge äußert, aber dennoch bestätigt, dass eine gut geplante pflanzliche Ernährung bedarfsdeckend und gesundheitlich vorteilhaft sein kann? Wir können uns diesem Wandel noch lange entgegenstemmen. Doch verzichten wir damit auf die bereits genannten Chancen.

    Wie glauben Sie, verändern Sie als Veganer den Blick auf die Bundeswehr?

    Patrick A.: Ich denke, die Bundeswehr ist heute diverser als viele Außenstehende es glauben mögen. Wir sind Menschen mit unterschiedlichen Religionen, Interessen, Neigungen und eben Ernährungsgewohnheiten.

    Wenn Sie sagen, die Bundeswehr ist diverser, als man es von außen annimmt, ist sie auch linker?

    Patrick A.: Die vegane Ernährung ist ein buchstäblich junges Thema, nachweislich insbesondere bei den 14- bis 29-Jährigen. Und all jenen würde ich pauschal keine politische Orientierung unterstellen. Der Veganismus ist im Mainstream angekommen.

    Martin A.: Wenn wir für junge Menschen, die wir dringend brauchen, auch künftig eine Option darstellen wollen, müssen wir uns einer Vielzahl an Themen stellen – dazu zählt zeitgemäße Verpflegung. Ich sehe auch keinen Widerspruch zwischen Militärdienst und Veganismus. Ich verstehe meinen Dienst im Kern als das Eintreten für Schutzlose, wenn nötig mit zwingender Gewalt. Die Entscheidung für eine möglichst tierleidfreie Lebensweise führt in meinem Fall, auch ganz ohne politische Verortung, zu einer noch deutlicheren Übereinstimmung meiner persönlichen und dienstlichen Wertvorstellungen.

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Am_deutschen_Wesen_mag_die_Welt_genesen

    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Geibel

    #militaire #alimentation #éthique #véganisme #wtf

  • Amok-Attentäter von Hamburg : Ein misogyner Blender
    https://taz.de/Amok-Attentaeter-von-Hamburg/!5921159

    Les témoins de jehova ont une réputation paisible. Un ancien membre de la secte a commis une tuerie qui montre le degré de violence psychique dont sont victimes les membres de cette secte. L’auteur du journal TAZ a lu le livre que l’assassin a publié chez Amazon et le décrit comme manifeste mysogyne.

    12.3.2023 von Jan Kahlcke - Der mutmaßliche Todesschütze lebte in einer beruflichen Scheinwelt – und in einem Gedankengebäude, in dem Frauen sich unterordnen sollten.

    HAMBURG taz | Wer war der Mann, der in Hamburg am vergangenen Donnerstag bei einer Zusammenkunft von Zeugen Jehovas sieben Menschen erschossen haben soll und anschließend auch sich selbst? Die digitalen Spuren von Philipp F. geben darüber einigen Aufschluss. F. präsentierte sich als erfolgreichen Geschäftsmann. Er hatte eine professionell gestaltete und komplett auf Englisch getextete Website, die ihn als Inhaber einer Beratungsfirma darstellte. Laut seinem Lebenslauf auf dem Businessnetzwerk Linkedin war er „Gründer und CEO“ der Firma, die seinen Namen trug – und offenbar nur aus ihm selbst bestand.

    Die Firma bezeichnete er als „spezialisiertes internationales Beratungs- und Denkfabrik-Unternehmen“, auf seiner Website nannte er einen Honorarsatz von 250.000 Euro – pro Tag. Kundenreferenzen benennt die inzwischen gesperrte Website nicht. Die wenigen genannten Projekte korrespondieren in auffälliger Weise mit früheren Arbeitgebern, die F. in seinem Lebenslauf nennt. Als letzten Arbeitgeber gibt F. den Energieversorger Vattenfall an. Dort will F. für den „Gas Desk für Kontinentaleuropa“ zuständig gewesen sein, doch sein Engagement endete 2022 nach drei Monaten wieder. Vattenfall teilte am Freitag mit, man prüfe noch, ob F. dort beschäftigt gewesen sei.

    Es verdichtet sich das Bild von F. als einem Gernegroß, der sein berufliches Scheitern zu kaschieren versuchte. Seine in hanseatisch-marineblau gehaltene Website gibt eine Firmenadresse im Herzen der Hamburger City an, am Ballindamm, direkt an der Binnenalster. Hier haben die Firmen polierte Messingschilder. Manche von ihnen bewegen Milliarden.

    Und Philipp F.? Kein Schild, nicht mal ein Briefkasten. Nur ein gehobener Coworking-Space, in dem F. zwar Kunde war, aber kein eigenes Büro gemietet hatte und auch die temporär verfügbaren Arbeitsplätze nicht genutzt hat, wie das Hamburger Abendblatt berichtet.

    Die Vita von F. ist unruhig. Nur einmal seit seiner Banklehre führt der bei seinem Tod 35-Jährige eine mehrjährige Beschäftigung auf, beim Hamburger Energieversorger Varo. Sonst dauern seine Arbeitsverhältnisse meist nur einige Monate. 2021/22 klafft eine Lücke von fast anderthalb Jahren. Laut F. ein „Sabbatical“, in dem er sich „persönlichen Projekten“ widmete.
    Lobende Worte für Putin

    Dabei handelte sich wohl vor allem um sein Buch: Eine englischsprachige Schrift, deren Titel sich übersetzen lässt mit „Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan: Ein neuer, reflektierter Ausblick von epochalen Dimensionen“. F. hat das 300-Seiten-Buch im Selbstverlag publiziert und für 62 Euro bei Amazon angeboten. Das E-Book war bis zum Freitag für 9,99 Euro zu haben.

    Nach seiner Amoktat liest es sich wie sein Manifest, wie sein Vermächtnis. Es habe nach einem „Vorfall“, den er nicht näher beschreibt, eine dreijährige persönliche Reise in die Hölle durchgemacht, prophetische Träume gehabt, schreibt F. im Vorwort. Es scheine sogar, als sei Gott ihm persönlich erschienen, um „die Wahrheit ans Licht zu bringen“. F. will nicht weniger als den „Sinn der Schöpfung“ und die wichtigsten Themen der Heiligen Schriften erklären und in Kontext mit den „epochalen Ereignissen der Menschheitsgeschichte“ bringen. F. will damit die Uneinigkeit im Christentum und im Islam überwinden – offenbar nicht zwischen beiden Religionen – und Frieden zwischen „individuellen Gruppen“ schaffen.

    Frieden in Europa, so Philipp F., sei nur möglich, wenn West- und Osteuropa vereint würden. Das sei ursprünglich ein Projekt von Jesus Christus, das tausendjährige Reich Christi, das dieser zunächst durch Adolf Hitler verfolgt habe. Nun nehme Jesus gleichsam einen neuen Anlauf mit dem Versuch, die Ukraine in den Westen zu integrieren. Lobende Worte findet F. für Wladimir Putin: Er sei einer der wenigen Staatsmänner, die öffentlich Gottes Werte verteidigten: Familie, ein starkes Militär, und den konservativen Lebensentwurf. Der Angriff Russlands auf die Ukraine sei eine Art Strafe Gottes dafür, dass sich ukrainische Frauen in Israel prostituiert hätten.
    Besessen von der Frage nach der Rolle der Frau

    Es ist ein wirrer Mix aus historischen Plattitüden, simplistischer Bibelexegese und naiver Frömmelei auf kümmerlichem sprachlichem Niveau. Hätten die Kontrolleure der Hamburger Waffenbehörde nach dem anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung auch nur einen Blick auf das bei Amazon offen einsehbare Vorwort geworfen – sie hätten ernste Zweifel am Geisteszustand des Autors bekommen müssen.

    Regelrecht besessen muss Philipp F. von der Frage nach der Rolle der Frau in Religion und Gesellschaft gewesen sein. Seitenweise lässt er sich darüber aus, wie Gott an Frauen ihre Schönheit schätze, bevor er unter der Kapitelüberschrift „Wichtige Bekanntmachung“ zu Frauen im Hier und Jetzt kommt: Das Verhalten von Frauen habe sich in der Vergangenheit „drastisch zum Schlechten verändert“ und könne heute überwiegend als „blasphemisch“ bezeichnet werden. Für Gott und Jesus sei der Mann immer noch die „Krone der menschlichen Schöpfung“, verantwortlich für das Einkommen – und „immer“ das Familienoberhaupt und der Entscheider. Frauen hätten eine „dekorative“ Rolle, seien dazu da, ihre Männer zu unterstützen und könnten ihren Mann um Rat bitten, um sich eine Meinung zu bilden. Frauen sollten ihren Ehemännern „klar untergeordnet“ sein.

    Philipp F. ist ganz offenbar mit den heute üblichen Geschlechterrollen nicht zurandegekommen. Er hat sich einen misogynen vermeintlichen Naturzustand des Geschlechterverhältnisses herbeiimaginiert und ihn pseudoreligiös gerechtfertigt. Es ist kaum vorstellbar, dass er mit diesen Vorstellungen in der Lage gewesen ist, dauerhafte Beziehungen mit Frauen einzugehen. Einiges spricht dafür, dass er ein „Incel“ gewesen sein könnte, ein unfreiwillig zölibatär lebender Mann, wie viele Amokläufer. Auch, dass er in den Danksagungen zu seinem Buch, nach den Engeln aber noch vor seiner Familie, den „ladies“ dankt, die ihn sehr gut kennen würden. Es liest sich, als wollte er der Welt sagen: Doch, ich habe doch was mit Frauen gehabt! Eine muss für ihn besonders wichtig gewesen sein: Gewidmet hat er seine Schrift „einer faszinierenden, schönen, besonderen Lady“.

    #religion #secte #amok #Allemagne #Hambourg #témoins_de_jehova
    @reka

  • 2 Himmels-Bilder - DaybyDay ISSN 1860-2967
    https://www.daybyday.press/article8213.html

    An Stelle der Imbißbude wo sich 1986 der Mensch gewordene Engel Peter Falk und Solveig Dommartin in ihrer Rolle als Marion unterhalten, hat uns die Stadtverwaltung einen Fahrradständer beschert.

    Zu guter Letzt noch dieser Screenshot aus dem laufenden Film mit einem weiteren Bezug zur aktuellen Lebenswirklichkeit:

    Denn der Standort der Redaktion liegt seit 2022 in unmittelbarer Nachbarschaft zum U-Bahnof "Güntzelstraße, am Prager Platz.

    Wim Wenders: Muffensausen beim „Himmel über Berlin“
    https://www.welt.de/kultur/kino/article846526/Muffensausen-beim-Himmel-ueber-Berlin.html

    Wim Wenders: Ich denke vor allem: „Mensch, wie haben wir das bloß gemacht?“ Das ist ein Film, für den es keine Formel, kein Rezept und kein Vorbild gab. „Das würde ich nie wieder so hinkriegen!“ Das bringt wohl am meisten auf den Punkt, was mir beim heutigen Sehen in den Sinn kommt.

    WELT ONLINE: Woran erinnern Sie sich am liebsten?

    Wenders: An die Arbeit mit dem alten Curt Bois. Wie wir da eines Sonntags morgens auf dem Potsdamer Platz gedreht haben, an der Mauer, unter der Magnetbahn, die damals da noch entlang fuhr. Kein Mensch weit und breit. Das war ja eine Stadtwüste, eine Steppe, ein Niemandsland. Die Sonne schien, es war aber trotzdem kalt. Curt war ein Witzbold. Der brachte uns alle ständig zum Lachen. Und was er alles zu erzählen hatte zu dem alten Platz, den er tatsächlich als junger Mann mit seinem Auto oft überquert hatte. Den armen Otto Sander brachte Curt an dem Tag zur Verzweiflung. Wenn Otto hinter ihm stand, was er ja in seiner Rolle als sein Schutzengel oft genug mußte, ließ Curt sich immer unvermittelt nach hinten fallen, sobald ich „cut“ gesagt hatte. Dann mußte Otto ihn auffangen. „Du bist doch mein Schutzengel!“ begründete Curt das. Auch beim Proben ließ er sich plötzlich nach hinten fallen. Nicht nur angetäuscht. Wenn Otto ihn nicht immer festgehalten hätte, hätte der alte Mann sich Gott weiß was brechen können.

    Pommesbude aus legendärem Film: Jetzt kommt sie in den Frittenhimmel - taz.de
    https://taz.de/Pommesbude-aus-legendaerem-Film/!5288827

    1.4.2016 von Claudius Prösse - In „Himmel über Berlin“ trank Peter Falk hier Kaffee; jetzt wird die im Film zu sehende Pommesbude am U-Bahnhof Güntzelstraße abgerissen. Warum nur?


    Einst stand hier Peter Falk; nun steht hier bald nichts mehr.Foto: dpa

    Nichts weiß die junge Frau über den Mann, den sie sucht, nicht, wie er aussieht, und auch keinen Namen. „Nothing, huh? Now, this is a tough case“, gluckst Peter Falk, der gerade einen Kaffee am Imbiss trinkt. Bundesallee Ecke Trautenaustraße, neben dem Eingang zum U-Bahnhof Güntzelstraße und der Shell-Tankstelle. Was hat Lieutenant Columbo dorthin verschlagen? Ganz einfach: das Drehbuch von Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“, 1987, Koautor Peter Handke.

    Peter Falk spielt darin einen US-Seriendarsteller namens Peter Falk, der in Wirklichkeit früher Engel war und deshalb gerne mal auf Verdacht mit seinen Exkollegen plaudert, etwa beim Kaffee. In diesem Fall ist die junge Frau aber ein Mensch und auf der Suche nach Bruno Ganz alias Damiel, noch so einem frisch geerdeten Geistwesen.

    Peter Falk ist tot, Solveig Dommartin, die Frau, ebenso. Bruno Ganz spielt nur noch eine einzige Rolle, den grantelnden Alten mit den buschigen Augenbrauen und dem weichen Kern. Überhaupt ist Berlin nicht mehr, was es 1987 mal war. Aber die Bude, die steht noch. Noch!

    Vergilbte Filmszenen

    Denn schon seit Jahren brutzeln hier keine Pommes mehr in Palmin, der Rollladen bleibt unten, und die Screenshots aus dem Film, der die kleine Bräterei ein bisschen berühmt gemacht hat, vergilben hinter verschmiertem Kunststoff. Und in ein paar Wochen soll das Abräumkommando anrücken, sagt der Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Marc Schulte (SPD), auf Anfrage der Grünen im Bezirk. Es gelinge dem Amt nämlich einfach nicht, Kontakt zum heutigen Eigentümer herzustellen. – Mal im Ernst: Wer macht denn so was? Ohne Not die ganz reale Kulisse eines Kultfilms be­seitigen? Um womöglich an derselben Stelle einen Kotbeutelspender oder eine Stromzapfsäule aufzustellen? Das darf nicht passieren.

    An dieser Stelle deshalb die herzliche Bitte an Wim Wenders, der immerhin noch lebt und sich guter Solvenz erfreut: Kaufen Sie die Bude! Lassen Sie dort wieder Fritten im Fettbad schwimmen, oder stellen Sie halt einen Bildschirm rein, auf dem Ihre Filme rauf und runter laufen. Oder besser nur den „Himmel“, das reicht.

    Damit sich die größten Melancholiker unter uns auch künftig davorstellen können, um bedeutungsschwanger ins Leere zu sprechen: „I can’t see you, but I know you’re here. I feel it. Compañero.“

    #Berlin #Wilmersdorf #Taxihalte #Trautenau #Bundesallee #U-Bahnhof_Gützelstraße #Trautenaustraße #Prager_Platz #Film #Himmel_über_Berlin

  • Einwohnerzahl in Berlin: Die Stadt wächst wieder
    https://taz.de/Einwohnerzahl-in-Berlin/!5912645

    14.2.2023 von Bert Schulz - Laut dem Amt für Statistik lebten 3,85 Millionen Menschen in Berlin, gut 75.000 mehr als 2021. Der Zuwachs geht allein auf Zuzug aus dem Ausland zurück.

    BERLIN taz | Berlin geht mit großen Schritten auf vier Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen zu. Ende Dezember lebten knapp 3,85 Millionen Menschen in der Stadt, rund 75.000 oder 2 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Dienstag mitteilte. Das ist die höchste Zahl seit der Wiedervereinigung. Tatsächlich dürfte die Zahl der Menschen in Berlin noch etwas höher liegen.

    Denn das Statistikamt greift für seine Berechnung auf die Meldedaten zurück. Gezählt werden also jene Menschen, die offiziell ihren Hauptwohnsitz in Berlin haben. „Daher liegen die Daten auch relativ schnell vor“, erklärte Frank Gödicke vom Amt für Statistik auf taz-Nachfrage. Der Zuwachs im vergangenen Jahr ergibt sich vor allem durch die Zuwanderung aus dem Ausland: Mehr als die Hälfte der neu gemeldeten Ein­woh­ne­r*in­nen hatte die ukrainische Staatsangehörigkeit; der größte Teil dieser 42.916 Menschen dürften also Kriegsflüchtlinge sein.

    Diese Zahl wiederum liegt allerdings deutlich unter jener, mit der die Landespolitik agiert, wenn sie von Geflüchteten aus der Ukraine spricht: In der Regel geht man von 100.000 Menschen oder sogar mehr aus, die seit Kriegsausbruch in Berlin untergekommen sind. „Diese 100.000 sind auch deutlich realistischer“, sagte Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF).

    Wo diese Menschen untergekommen sind, etwa bei Freunden, Verwandten und Bekannten oder durch Initiativen der Bezirke, sei dem LAF nicht bekannt; entsprechend gebe es auch keine genauen Zahlen. In den Unterkünften des LAF lebten lediglich rund 4.000 Menschen aus der Ukraine, so Langenbach weiter.

    Seit 2022 sind Personen aus der Ukraine die zweitgrößte Gruppe von Aus­län­de­r*in­nen in Berlin: Insgesamt sind 57.500 Ukrai­ne­r*in­nen hier gemeldet. Die größte Gruppe sind Staatsangehörige aus der Türkei mit 101.300 Personen.

    Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund stieg um 2 Prozentpunkte auf 38,6 Prozent

    Und noch aus einem weiteren Grund dürfte Berlin noch etwas mehr Ein­woh­ne­r*in­nen haben als die registrierten 3,85 Millionen. Schätzungen zufolge leben mindestens mehrere tausend Menschen obdachlos auf der Straße. Zudem leben, ebenfalls laut Schätzungen, mehrere zehntausend Menschen ohne Papiere, sprich Geflüchtete ohne Aufenthaltserlaubnis, in der Stadt.

    Während der Pandemie stoppte der Zuzug

    Berlin wächst seit Mitte der Nullerjahre wieder, nachdem zum Jahrtausendwechsel die Einwohnerzahl sogar dezent sank. Bis 2009 lag dieses Wachstum meist im mittleren vierstelligen Bereich, nahm dann aber bald an Dynamik zu, sodass in den Zehnerjahren grob überschlagen pro Jahr gut 40.000 Menschen mehr nach Berlin als weg zogen. 2019 ging der Zuwachs deutlich zurück – in den Pandemiejahren 2020 und 2021 lag er mit nur 467 und 5.500 sehr niedrig.

    Der Sprung 2022 ist vor allem, aber nicht nur durch den Ukrainekrieg zu erklären. Auch ohne Menschen aus jenem Land hätte es ein Plus von 32.400 Menschen gegeben, so das Amt für Statistik. Notwendig für das Wachstum ist aber Zuwanderung aus dem Ausland, denn die Zahl der Menschen mit deutschem Pass in Berlin ging 2022 um rund 13.500 Menschen zurück.

    Die zweitgrößte Gruppe von Zuwanderern aus dem Ausland stellen Menschen aus Indien dar. 2022 ließen sich fast 7.800 von dort in Berlin nieder, nahezu doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Drittgrößte Gruppe sind Personen aus der Russischen Föderation mit einem Plus von 5.700 Menschen.

    Besonders attraktiv für die Neu­ber­li­ne­r*in­nen war der Bezirk Mitte, wo mehr als 14.100 hinzogen; es folgen Pankow und Lichtenberg mit knapp über beziehungsweise knapp unter 10.000 Neuanmeldungen. Ausgerechnet das als Einwandererbezirk bekannte Neukölln verzeichnet mit nur knapp 4.100 Anmeldungen den niedrigsten Zuwachs. Alle Bezirke verloren Ein­woh­ne­r*in­nen mit deutschem Pass, besonders groß war der Wegzug aus Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Minus von 3.100.

    Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, also mit einer ausländischen Nationalität oder Herkunft, stieg in Berlin entsprechend um 2 Prozentpunkte auf 38,6 Prozent. In Mitte hatte mehr als die Hälfte der Einwohner einen Migrationshintergrund, in Treptow-Köpenick lag ihr Anteil bei 22,3 Prozent.

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