• DGB-Demo am 1. Mai in Berlin: Links ist jetzt ganz vorne - taz.de
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    Rot-Rot an der Demo-Spitze: Elke Breitenbach (Linke, 2.v.r.) mit DGB-Landeschefin Doro Zinke, Innensenator Andreas Geisel (SPD, 2.v.l.) und Michael Müller (SPD) Foto: Stefan Boness

    1.5.2017 Susanne Memarnia, Redakteurin taz.Berlin

    Bei der Gewerkschaftsdemo läuft die neue Arbeitssenatorin Elke Breitenbach jetzt an der Spitze. Sie beackert ein schweres Feld: Vieles ist Bundespolitik.

    Elke Breitenbach verteilt Begrüßungsküsschen. Keine Frage, die frühere Gewerkschaftssekretärin hat ein Heimspiel bei der DGB-Demo, sie kennt jeden, jeder kennt sie. „Immer schon“ komme sie hierher, seit sie 1981 nach Berlin gezogen ist, erzählt die gebürtige Hessin. „Aber sonst war ich immer brav hinten bei meiner Partei.“ Heute steht die Arbeitssenatorin von der Linkspartei in der ersten Reihe.

    Kurz bevor sich der Zug um zehn Uhr an der Spandauer Straße Ecke Karl Liebknecht in Bewegung setzt, kommen auch Breitenbachs Senatskollegen und klemmen sich hinter das Fronttransparent: Innensenator Andreas Geisel (SPD), der Regierende Bürgermeister Michael Müller (dito), Kultursenator Klaus Lederer (Linke) – zumindest der rote Teil von Rot-Rot-Grün lässt es sich nicht nehmen, bei der traditionellsten Veranstaltung des Tages vorneweg und gut sichtbar für die Fotografen dabei zu sein.

    Seit knapp fünf Monaten ist Breitenbach im Amt. Aufgefallen ist die Arbeits-, Sozial- und Integrationssenatorin bislang vor allem in den letzten beiden Feldern. Zumindest galt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vor allem dem Freizug der mit Flüchtlingen belegten Turnhallen. Was hat sich die Politikwissenschaftlerin als Arbeitssenatorin für die nächsten fünf Jahren vorgenommen? „Es gibt ja wenig Spielraum“, schränkt sie gleich mal die Erwartungen ein. Arbeitsmarktpolitik sei vor allem Bundespolitik, darum hoffe sie sehr auf die Bundestagswahlen im Herbst.

    Von deren Ausgang hängt unter anderem eines von Breitenbachs Lieblingsprojekten ab, ein neuer öffentlich finanzierter Gemeinwohlarbeitssektor. Unter Rot-Rot hieß das mal ÖBS, Öffentlicher Beschäftigungssektor: Langzeitarbeitslose bekamen am Gemeinwohl orientierte Aufgaben, etwa in Stadtteilzentren, und wurden dafür mit Tariflohn bezahlt. „Ich bin ein großer Fan“, gesteht Breitenbach, aber derzeit gebe es für solche Programme keine Bundesmittel. Immerhin, sagt die 56-Jährige: Auch SPD und Grüne seien heute dafür.
    Wie Geflüchtete in Arbeit bringen?

    Hinter dem Roten Rathaus biegt die Demo in die Leipziger Straße, auf Höhe der Fischerinsel verabschieden sich Müller und Lederer. „Wir gehen mal in unsere Formationen“, witzelt der Regierende. Kurze Zeit später ist auch Geisel verschwunden. Was die Politprominenz angeht, hält Breitenbach jetzt allein mit Doro Zinke, DGB-Regionalchefin, und den Linken-Abgeordneten Udo Wolf und Carola Blum die Stellung als Demo-Spitze.
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    1. Mai in Berlin-Kreuzberg
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    Der Zug kommt schnell voran, nach knapp einer Stunde ist das Ziel Pariser Platz in Sicht. Breitenbach mahnt nach links: „Was rast ihr schon wieder? Die GEW muss mal einen Schritt langsamer machen.“ Was nur demotechnisch gemeint ist.

    Auf Landesebene sieht Breitenbach vor allem die Herausforderung, Langzeitarbeitslose und Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein wichtiger Hebel, „mit dem wir hier richtig steuern können“, sei die Vergabepolitik, erklärt sie. So prüfe der Senat derzeit, die Vergabe von Investitionsmitteln des Landes an die Schaffung von Arbeitsplätzen für diese beiden Gruppen zu koppeln und den Unternehmen dafür Lohnkostenzuschüsse zu gewähren. „Wir müssen mal sehen, ob das umsetzbar ist.“ Es gebe ja bereits verschiedene Möglichkeiten für Unternehmen, Lohnkostenzuschüsse zu bekommen, doch solche Mittel würden zu selten abgerufen.
    Öffentlicher Dienst als Vorbild
    Die DGB-Demo

    Rund 14.000 Menschen folgten am Montag dem Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Demonstration und Kundgebung am Tag der Arbeit. Unter dem Motto „Wir sind viele, wir sind eins!“ demonstrierten sie für eine solidarische Gesellschaft. In mehreren Demonstrationszügen – auch mit Motorrädern, Fahrrädern und Skatern – ging es zum Brandenburger Tor. (dpa)

    Ein wichtiges Schlagwort für Breitenbach wie für den ganzen Senat ist zudem der Kampf für „gute“ und gegen prekäre Arbeit. „Hier müssen die landeseigenen Betriebe und der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt die Senatorin. Auch auf der Demo fordern verschiedene Gruppen vom Senat eine bessere Bezahlung von Volkshochschul- und Uni-Dozenten, aber auch, dass landeseigene Unternehmen wie Charité und Vivantes ihre Tarifflucht durch die Ausgründung von Tochterunternehmen beenden.

    Der Regierende Müller geht in seinem Grußwort bei der Abschlusskundgebung ebenfalls auf das Thema ein: „Die Zeit des Outsourcing ist vorbei“, sagt er, und dass die Charité-Tochter CTM wieder eingegliedert wird, „wie versprochen“. Davon abgesehen, schränkt Breitenbach im Zwiegespräch mit entwaffnender Ehrlichkeit ein, könne die Politik hier allerdings wenig machen. „Prekäre Arbeit ist ja leider nicht verboten.“

    So viele Forderungen! Michael Müller bei seiner Rede am 1. Mai Foto: dpa

    Ehrlich und ein wenig melancholisch klingt es auch, wenn die Frau, die selbst Ende der 90er Jahre ein Jahr arbeitslos war und von 2003 bis vorigen Dezember im Abgeordnetenhaus saß, über ihre eigene neue Arbeit räsoniert. Was ihr nicht gefällt, ist, dass sie als Senatorin „wenig Selbstbestimmung“ über ihre Termine habe. „Ich muss viel repräsentieren.“
    Überblick behalten

    Gleichzeitig erfahre sie manches erst sehr spät. „Als Abgeordnete habe ich viele Bürgerbriefe bekommen und alle selber beantwortet.“ So habe sie viel mitbekommen über Probleme, etwa in den Jobcentern. Ob sie fürchte, sich von den Sorgen der Leute zu entfernen? „Keine Ahnung, ob ich es schaffe, so den Überblick zu behalten, wie ich das möchte.“

    Als die Demo-Spitze um 11.20 Uhr am Pariser Platz ankommt, bleibt Breitenbach an der Absperrung stehen, wartet auf den Beginn der Kundgebung. Ab und zu kommt jemand vorbei, grüßt und klopft ihr auf die Schulter, doch die meiste Zeit steht die Senatorin allein. Früher, im Block bei den Linken, war es vermutlich lustiger.

    #Berlin #Arbeit #Politik