Gefängnisbriefe ǀ Gruß in den Knast — der Freitag

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    Gefängnisbriefe Erich Honecker schrieb einer unbekannten Frau aus Westdeutschland aus dem Gefängnis. Es entwickelte sich eine persönliche Geschichte

    Liebe Eva. Erich Honeckers Gefängnisbriefe Erich Honecker, Eva Ruppert, Mit einem Vorwort von Frank Schumann, edition ost 2017, 160 S., 9,90 €

    Als die hessische Gymnasiallehrerin Eva Ruppert von einer Kuba-Reise kommend in Berlin landet, erfährt sie, dass Erich Honecker der Prozess gemacht wird. „Jetzt muss ich was unternehmen“, sagt sich die 57-Jährige – und beschließt, ihr Idol im Gefängnis zu besuchen.

    der Freitag: Frau Ruppert, Sie haben Erich Honecker 1992 im Gefängnis besucht – obwohl Sie ihn gar nicht kannten. Was hat Sie dazu bewogen?

    Eva Ruppert: Ich war von Kollegen aus dem „Solidaritätskomitee Erich Honecker“ in Essen dazu eingeladen worden. Aber ich hatte schon vorher in Moskau versucht, ihn zu sehen.

    Wie kam das?

    Ich war als Touristin in Moskau und las, dass er hier behandelt wird. Also habe ich mich, zusammen mit einem russischen Bekannten, auf den Weg gemacht, um ihn zu finden. Das war ein bisschen verrückt. Wir sind stundenlang von Klinik zu Klinik gefahren. Quer durch tiefe russische Wälder. Ich habe dann nach Honecker gefragt ...

    … aber Sie können doch gar kein Russisch.

    Ja, das machte aber nichts. Chonekker kannte jeder. Wir fanden ihn trotzdem nicht. Aussichtslos.

    Wie viele Krankenhäuser haben Sie abgeklappert?

    Ich weiß nicht, vier oder fünf.

    Frau Ruppert, noch mal, was hat Sie bewegt, ihn zu besuchen? Sie waren eine Gymnasiallehrerin aus Bad Homburg, die vorher nie Kontakt zu Erich Honecker hatte.

    Ich habe diesen Mann bewundert. Er hat den besseren deutschen Staat mit aufgebaut. Und dafür sollte er nun ins Gefängnis und von der gesamtdeutschen Siegerjustiz abgeurteilt werden? Man hat ihn aus seinem Land gejagt. Das fand ich ungerecht. Das wollte ich ihm zeigen.

    Wie war Honecker bei Ihren Begegnungen?

    Beeindruckend. Ein aufrechter Mann, im Wortsinne aufrecht. Honecker trat wie ein Staatsmann auf, nicht wie ein Gefangener. Er ließ sich nicht beugen, obwohl er enttäuscht war. Aber er klagte darüber nicht. Er war sehr freundlich und warmherzig mit mir. Er stellte nicht sich, sondern mich in den Mittelpunkt des Gesprächs. Ich habe von ihm etwas gelernt.

    Was war das?

    Positiv zu denken, auch im Moment der Verzweiflung. Er hat mir Mut gemacht.

    Wie oft waren Sie bei Honecker?

    Ich weiß es nicht mehr, fünf oder sechs Mal.

    So oft?

    Ja, beim ersten Besuch in Berlin ging es ja sehr schnell. Da war kaum Zeit. Wir waren insgesamt zu viert, plus ein Justizbeamter, der aufpasste. Wir gratulierten ihm zum 80. Geburtstag. Erst bei meinen späteren Besuchen konnten wir eine halbe Stunde allein sein – bis auf den Justizbeamten, der immer im Hintergrund saß.

    Über was haben Sie gesprochen?

    Über Politik, über Literatur, über die Musik und die Briefe, die wir gewechselt hatten. Viel mehr ist da schwer möglich, weil man sich immer beobachtet fühlt. Deswegen habe ich auch Briefe geschrieben. Einmal habe ich sogar einen Kassiber ins Gefängnis geschmuggelt.

    Einen Zettel mit einer Botschaft?

    Ja, ich war sehr nervös. Und dann ist mir der gefaltete Zettel auch noch auf den Boden gefallen, als ich ihn Honecker zustecken wollte.

    Hat der Beamte das gemerkt?

    Nein, ich habe den Zettel unauffällig aufgehoben. Und dann Erich gegeben.

    Verraten Sie mir, was da draufstand?

    Das weiß ich doch heute nicht mehr, das ist 25 Jahre her!

    Frau Ruppert, Sie bringen Honecker einen Kassiber in den Knast – und wissen nicht mehr, was draufstand?

    Habe ich vergessen.

    War es eine politische Botschaft? Oder haben Sie einfach geschrieben: Ich liebe Dich?

    Nein, solche blöden Sachen habe ich nicht geschrieben. Das stand nicht in meinen Briefen.

    Frau Ruppert – verzeihen Sie –, waren Sie vielleicht verliebt in Erich Honecker?

    Was soll ich dazu sagen? Das würde ich nicht so ausdrücken. Natürlich war da Sympathie.

    Was zog Sie sonst an? Ruhm? Macht? Teilnehmen an Geschichte?

    Nein, auch wenn ich es als einen großen Moment empfunden habe, diesem wichtigen Mann der deutschen Geschichte gegenüber zu sitzen. Vielleicht, um ein bisschen von dem Unrecht auszugleichen, das ihm widerfuhr?

    Honecker war allerdings kein Opfer. Sondern Staatsratsvorsitzender eines Landes mit Mauer, Schießbefehl und einem ausgeklügelten Unterdrückungsapparat. Haben Sie darüber mit Honecker gesprochen?

    Nein.

    Haben Sie ihm nicht auch eine kritische Frage gestellt?

    Nein, darum ging es nicht. Ich wollte ihm helfen. Ihm zeigen, dass es Menschen gibt, die zu ihm stehen.

    Wie standen Sie zur DDR?

    Positiv. Ich bin 1987 dorthin gereist, ich war in Weimar, Leipzig und Dresden. Ich fand die Menschen sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. Ich war angetan von der Menschenfreundlichkeit. Es hat mir viel Freude bereitet.

    Haben Sie einmal darüber nachgedacht, in die DDR überzusiedeln?

    Nein, dafür war es zu spät. Ich hatte einen Beruf, ich hatte einen Mann und drei Kinder. Ich konnte nicht alles stehen und liegen lassen.

    Wie ging es Ihrem Ehemann damit, dass Sie immer wieder zu einem anderen ins Gefängnis fuhren und ihm fast täglich Briefe schrieben?

    Das war dem egal.

    Wie geht das? Plötzlich beginnt eine Frau, deren Leben in ruhigen Bahnen verläuft, viele, auch tiefsinnige Briefe zu schreiben.

    Mein Leben verlief nie in ruhigen Bahnen. Das können Sie vergessen. Ich habe immer wieder verrückte Aktionen unternommen. Zum Beispiel, um 1980 im Erdbebengebiet im süditalienischen Potenza wochenlang zu helfen. Mein Mann hat das immer geduldet. Er hat mir in beruflichen Dingen immer viel Freiheit gelassen.

    Aber war das mit Erich Honecker denn beruflich? Sie bauten eine persönliche Beziehung zum Staatsratsvorsitzenden auf.

    Ja, ich habe mich sehr gefreut über die schönen persönlichen Briefe, die mir Erich Honecker schrieb. Ich glaube, dass auch ihm das Kraft gegeben hat.

    Waren Sie enttäuscht, als Genosse Erich aufhörte, Ihnen Briefe zu schreiben? Das war ja abrupt vorbei, als seine Knastzeit endete.

    Er war ja sehr krank. Es ging ihm nicht gut, als er nach Chile kam. Aber ich war natürlich traurig. Plötzlich war diese persönliche Beziehung zu Ende. Aber Margot hat mir weiter Briefe geschrieben, bis zu ihrem Tod.

    Margot Honecker hat den Briefwechsel übernommen, als der Haftbefehl aufgehoben und Honecker nach Chile entlassen wurde. Was ist eigentlich aus Ihren Briefen geworden, Frau Ruppert?

    Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er sie mit nach Chile genommen, vielleicht sind sie auch im Gefängnis geblieben. Ich hätte sie heute gern noch mal gelesen.

    –---

    Die Honecker-Odyssee 1989 – 1994

    Berlin
    Nach seinem Sturz am 18. Oktober 1989 muss Erich Honecker bald auch die Prominentensiedlung Wandlitz verlassen. Der Einzug in eine Wohnung in Berlin-Friedrichshain scheitert. Ende November wird Honecker wegen eines Nierentumors operiert und aus der Charité heraus unter dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs verhaftet, verhört und wegen Haftunfähigkeit wieder entlassen.

    Lobetal
    In Berlin quasi obdachlos, nehmen Margot und Erich Honecker auf Vermittlung des Rechtsanwalts Vogel Ende Januar 1990 eine Art Kirchenasyl in Anspruch. Sie wohnen drei Monate im Privathaus von Pastor Uwe Holmer von den Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal. Ein Besucher ist der damalige DDR-Premier Modrow, der die Übersiedlung in ein Gästehaus anbietet.

    Beelitz
    Proteste der Bewohner des Ortes Lindow verhindern einen Einzug der Honeckers in der Unterkunft der Regierung, so dass nur die Rückkehr nach Lobetal bleibt. Ende April 1990 ist ein sowjetisches Militärhospital in Beelitz bei Berlin die nächste Station. Inzwischen ist in der DDR nach den Wahlen vom 18. März 1990 eine von der CDU geführte Regierung im Amt. Deren Innenminister Diestel besucht Honecker am 14. Juli 1990, um Wohnungs- und Sicherheitsfragen zu klären.

    Moskau I
    Mit einer Militärmaschine und dem Wissen von Präsident Gorbatschow werden Margot und Erich Honecker im März 1991 nach Moskau ausgeflogen. Die Regierung Kohl protestiert nur verhalten, da der Oberste Sowjet den Zwei-plus-Vier-Vertrag noch nicht ratifiziert hat. In Moskau wird bei Erich Honecker Leberkrebs diagnostiziert. Die russische Regierung fordert die Honeckers Ende 1991 auf, das Land umgehend zu verlassen.

    Moskau II
    Die chilenische Botschaft in Moskau wird zum Asyl. Missionschef Clodomiro Almeyda wurde nach dem Pinochet-Putsch 1973 in der DDR als Emigrant aufgenommen und revanchiert sich, indem er die Honeckers nicht abweist. Dann aber erhöht die Bundesregierung den Druck auf Chiles Präsidenten Aylwin wie den Kreml, so dass Erich Honecker Ende Juli 1992 ausgewiesen, nach Berlin ausgeflogen und im Gefängnis Berlin-Moabit in Haft genommen wird.

    Berlin
    Vor dem Landgericht Berlin beginnt im November 1992 der Prozess gegen Honecker wegen des Schießbefehls an der Westgrenze der DDR. Seine schwere Erkrankung lässt damit rechnen, dass er das Ende des Verfahrens nicht mehr erlebt. Im Januar 1993 hebt das Berliner Verfassungsgericht den Haftbefehl auf. Honecker fliegt zu seiner Frau nach Chile, wo er am 29. Mai 1994 verstirbt.

    Lutz Herden

    #Allemagne #DDR #histoire