/b6b5678a09e58e15.jpg

  • An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump | Telepolis
    https://www.heise.de/tp/features/An-einem-einsamen-Ort-Der-American-Dream-zwischen-Humphrey-Bogart-und-Donald-T

    03. Juni 2017 Hans Schmid

    Cineastische Reise in vier Etappen

    An einem einsamen Ort, Teil 1

    Statt auf die täglichen Tweets von Donald Trump zu starren wollen wir uns lieber in eine Zeit begeben, als die Vereinigten Staaten von Amerika noch so etwas wie eine Leitkultur zu bieten hatten und von dort mehr kam als Sequels, Prequels und durchnummerierte Superheldenepen. Widmen wir uns also einem Film, der mit mehr Qualität und Tiefgang aufwarten kann als die Washingtoner Bühne, die seit dem 20. Januar zum Schmierentheater geworden ist.

    Der Film heißt In a Lonely Place, entstand zu Beginn des Kalten Krieges und hat letztlich doch wieder mit Trump zu tun, weil er anhand einer ebenso romantischen wie traurigen Liebesgeschichte von einer tief gespaltenen Gesellschaft erzählt und von der männlichen Gewalt den Frauen gegenüber. Amerika den Schlägern und Raufbolden auszuliefern, sagt der Film, kann keine Lösung sein. Darum gibt es auch kein Happy Ending.

    Liebesszene mit Grapefruit

    Beginnen wir mit einer Frage für das Drehbuchseminar. Was macht eine gute Liebesszene aus? Das Paar, sagt Dixon Steele zu Laurel Gray, darf sich nicht andauernd versichern, wie sehr es sich liebt: „Eine gute Liebeszene sollte noch von etwas anderem handeln, außer von der Liebe. So wie bei uns zum Beispiel. Ich bereite die Grapefruit vor, du sitzt da drüben, benebelt und noch nicht ganz wach. Jeder, der uns zuschaut, würde sehen, dass wir verliebt sind.“ Dix Steele muss es wissen. Er ist Drehbuchautor in Hollywood und gilt als verkrachtes Genie.

    Die Szene, der wir da zuschauen, erfüllt genau die von Dix formulierten Anforderungen an eine gute Liebesszene. Die für Dix schlechte Nachricht ist: Wir sehen keine Schnulze, die bei Bedarf mit einer Lüge enden würde, um ihm sein privates Glück zu garantieren. Ein Mann macht Frühstück für die Frau, die er liebt. Doch schon bei den Vorbereitungen zeigt sich, wie ungeeignet er für die alltäglichen Verrichtungen ist, die den Rahmen für Leidenschaft und Romantik abgeben sollen. Das Grapefruitmesser in Laurels Küche biegt er gerade, weil er so ein Ding noch nie gesehen hat. Statt das Fruchtfleisch ohne die bittere Haut herauszulösen verstümmelt er die Grapefruit.

    In a Lonely Place

    Assoziationen an die berühmteste Grapefruit der Filmgeschichte sind durchaus erwünscht. In The Public Enemy sitzt ein schlecht gelaunter James Cagney mit Mae Clarke am Frühstückstisch und drückt ihr die Hälfte der Frucht ins Gesicht, die sie für ihn vorbereitet hat. Die Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ausüben, ist auch ein Thema von In a Lonely Place. Das Grapefruitmesser in der Hand von Dix hat etwas Bedrohliches, weil man sich als Zuschauer unwillkürlich fragt (wir sind in der 72. Filmminute), ob er gleich einen seiner Wutanfälle kriegen und auf Laurel einstechen wird.

    In a Lonely Place

    Laurel hat Dix soeben gesagt, wie sehr sie die Liebesszene in seinem neuen Drehbuch mag. Zugleich spürt sie, wie ihre eigene Liebe zu Dix dabei ist zu zerbrechen. Wenn Dix erklärt, was eine gute Liebesszene braucht, steht er am linken Bildrand. Laurel sitzt ganz rechts auf einem Stuhl an der Wand. Die räumliche Entfernung verdeutlicht die emotionale Distanz, die sie inzwischen von dem Mann trennt, den sie liebt. Für den Regisseur Nicholas Ray hatte die Organisation des Raumes immer einen besonderen Stellenwert. Auch durch sie lässt sich eine Geschichte erzählen. Bei Ray ist das oft beredter als ein langer Dialog.

    In a Lonely Place ist ein Film, der ständig auf seine eigene Erzählung reagiert und gefühlsmäßig die ganze Bandbreite der Romanze abdeckt, von Himmelhochjauchzend bis Zutodebetrübt. Eine Mordgeschichte gibt es auch. Jemand hat Mildred Atkinson erwürgt und aus einem fahrenden Auto geworfen. Kurz zuvor war Mildred in Dix’ Wohnung. Für die Polizei ist er der Hauptverdächtige. Laurel kann nur noch mit Tabletten schlafen, seit sie befürchtet, dass er tatsächlich der Mörder ist. Kein Wunder, dass sie so benommen wirkt.

    Als Zuschauer ist man gefordert, weil dieser Film so viele, miteinander korrespondierende Ebenen hat. Er handelt von der romantischen Liebe, von sinnloser Gewalt und von der Verbindung zwischen beiden, vom Zerfall alter Gewissheiten und von der Sehnsucht, den von Hollywood perfektionierten und dabei zu Tode gerittenen Boy-Meets-Girl-Geschichten eine neue Form zu geben. Zur Erneuerung gehört die Bereitschaft, sich - auch wenn es schmerzt - von der in der Traumfabrik produzierten Illusion zu verabschieden, dass Konflikte dadurch zu lösen sind, dass der Held am Schluss die Heldin küsst.

    Was muss gegeben sein, damit aus einem interessanten Film ein richtig guter wird, ein Film für die DVD-Sammlung, den man immer wieder sehen will? Wahrscheinlich muss er den Test der Zeit bestehen, wie man so sagt. Das soll nicht heißen, dass er der Fels in der Brandung sein muss, der Monolith, der dem Lauf der Zeit widersteht. So etwas bringt einen nur ins Museum für einschläfernde Meisterwerke, deren Titel in den Geschichtsbüchern nachzulesen sind. Gemeint ist, dass der Film, statt zeitlose Gewissheiten zu liefern, regelmäßig seine Aktualität auffrischt, zur jeweiligen Gegenwart in ein kritisches Verhältnis tritt, statt dieser Gegenwart enthoben zu sein und in ein Kunst-Elysium zu entschweben.

    Für mich ist In a Lonely Place solch ein Film. Durch ihn erfährt man viel über die Zeit, in der er entstanden ist, und auch über die Zeit, in der man selber lebt. Das oft leere Versprechen der Unterhaltungsindustrie, dass die Leinwand ein Fenster zur Welt sei, löst er ein, indem er es mit Bedeutung füllt. Das Fenster öffnet sich zur Gegenwart, zur Vergangenheit und vielleicht sogar zur Zukunft, weil man besser erahnen kann, was sich dort zusammenbraut, wenn man weiß, woher es kommt. Es gibt keine Politiker und keine populistischen Nationalisten, für das Zwitschern waren noch die Vögel zuständig und Donald Trump war drei Jahre alt, als In a Lonely Place gedreht wurde. Trotzdem ist das ein Film, der einem beim Verständnis des gegenwärtigen Schlamassels auf die Sprünge hilft.

    Trumps Aufstieg zum durch die Medien irrlichternden Promi-Unternehmer, zur Ikone des Trash-TV und von da zum US-Präsidenten begann 1973. Damit das gelingen konnte bedurfte es einer Vorgeschichte, die uns zurück in die Nachkriegszeit führt. Trump ist deren Kind. Zu erkennen ist das schon daran, dass er in einem der Protagonisten des diese Jahre prägenden McCarthyismus einen Ziehvater fand, der ihm zeigte, wie man zu einer für seine Berühmtheit berühmten Medienfigur wird und ihm so das nötige Rüstzeug für den Weg ins Weiße Haus mitgab. Aber der Reihe nach.

    Bogart, Bogey und Dixon Steele

    Für Bogart-Fans ist In a Lonely Place unverzichtbar, weil der Star in diesem Film eine seiner eindrucksvollsten Leistungen bietet und als Dixon Steele eine Rolle verkörpert, die seiner wahren Persönlichkeit näher kam als irgendeine andere. Jedenfalls fand das Louise Brooks, die ihm einen ihrer scharfsinnigen Texte über die Filmindustrie gewidmet hat ("Humphrey and Bogey", enthalten in dem schönen Buch Lulu in Hollywood). Brooks lernte Bogart 1924 kennen, als er noch ein eher konventioneller Theaterschauspieler war und nicht „Bogey“, die dem Unbehagen an der Welt mit cooler Abgeklärtheit begegnende Kunstfigur.

    Lulu in Hollywood / Louise Books

    Bogey ist eine Kreation, die Humphrey Bogart so gut gelang, weil er die Unterstützung von drei Regisseuren hatte, die ein feines Gespür dafür besaßen, nach welchem Heldentypus die Zeit verlangte: Raoul Walsh (High Sierra), John Huston (The Maltese Falcon) und Howard Hawks (To Have and Have Not, The Big Sleep). 1949, als In a Lonely Place entstand, war Bogart der Hollywoodstar mit den höchsten Gagen. Das verdankte er Bogey und dessen Image als rebellischer Einzelgänger, der seine eigenen Entscheidungen trifft und nach eigenen Regeln lebt wie Rick in Casablanca.

    Filmplakat: In A Lonely Place



    Auf den privaten Humphrey Bogart traf das nur bedingt zu, meint Brooks. Anstelle des glorifizierten Einzelgängertums der Star-Persona sieht sie die fundamentale Einsamkeit eines Menschen, dessen Situation mit dem Titel In a Lonely Place perfekt beschrieben sei. Die Rolle als Dixon Steele habe er mit faszinierender Komplexität spielen können, „weil der Stolz des Charakters auf seine Kunst, sein Egoismus, seine Trunkenheit, sein Mangel an Energie, durchstochen mit blitzschlagartigen Gewaltausbrüchen, vom echten Bogart geteilt wurden.“

    Filmplakat: In A Lonely Place Italienisch: Il diritto di uccidere / Paura senza perché

    Wir müssen demnach mit einem Film rechnen, in dem die Fiktion nicht immer klar von der Wirklichkeit zu trennen ist. Wäre es nach Bogart gegangen würde jetzt Betty Joan Perske mit ihm und dem Grapefruitmesser in dieser Küche sitzen, seine Partnerin im echten Leben. Betty hieß in ihrer Filmstarexistenz Lauren Bacall. In a Lonely Place ist der dritte Film der Santana Pictures, einer Firma, die Bogart 1948 mit Robert Lord gründete, früher Produzent bei den Warner Bros. Benannt war die Firma nach Bogarts Segelyacht, die er sehr liebte (mehr als Betty Bacall, sagen manche, die ihn gut kannten).

    Segelyacht Santana

    Das Erfolgsmodell des „klassischen Hollywood“, also der US-Filmindustrie vom Ende der 1910er bis in die späten 1950er Jahre, beruhte darauf, dass die fünf großen Studios Filme nicht nur produzierten, sondern auch über eigene Verleihfirmen und Kinoketten verfügten. 1948 urteilte der Supreme Court, dass die „vertikale Integration“ (Produktion, Verleih und Abspielstätten in einer Hand) ein Verstoß gegen die Regeln des freien Wettbewerbs und gesetzwidrig sei. Die Studios wurden gezwungen, sich von ihren Kinoketten zu trennen. Dadurch verschoben sich die Machtverhältnisse.

    Im alten System konnten die Studios auch unabhängige Kinobetreiber zwingen, Pakete mit bis zu drei Dutzend Filmen zu buchen, von denen oft nur der Titel bekannt war. Nach dem Verlust dieser Absatzgarantie änderten sie ihre Geschäftspraxis. Die bisher fließbandähnliche Massenproduktion wurde zurückgefahren, das Personal reduziert. Die nun nicht mehr ausgelasteten Ateliers wurden an Unabhängige vermietet. Bogart war einer von den Stars, die damals eine eigene Firma gründeten. Davon versprachen sie sich mehr künstlerische Freiheit - und die Möglichkeit, von Steuersparmodellen zu profitieren, die ihnen als Angestellte eines Studios verschlossen gewesen waren.

    Auch in einer Zeit des Personalabbaus hätten die Studios ihre Kassenmagneten sehr gern behalten. Über Bogarts Entschluss, sich mit der Santana selbständig zu machen, sollen sich die Chefs der Warner Bros. so geärgert haben, dass sie sich kategorisch weigerten, die vertraglich an sie gebundene Lauren Bacall freizugeben. Das war nicht nur ein Grund zum Traurigsein. Rays Art des Filmemachens war nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Für die Beteiligten konnte das auf ihr Privatleben übergreifende Konsequenzen haben. Sehr aufschlussreich sind die Bilder von den Dreharbeiten, auf denen Ray zu sehen ist.

    Bilder von den Dreharbeiten, auf denen Ray zu sehen ist

    Kontrollfetischisten wie Lang oder Hitchcock sitzen in solchen Pressephotos meistens bei der Kamera. Ray dagegen sucht die Intimität mit seinen Darstellern. Oft ist er nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt. Diese Nähe hatte ihren Preis. Ray besaß die mitunter unheimliche Fähigkeit, Schauspieler dazu zu bringen, vor der Kamera ihre Schwächen und wunden Stellen preiszugeben. Glück gehabt, Bogey und Betty, möchte man da sagen. Die Sturheit der Warner-Bosse bewahrte das Traumpaar Hollywoods davor, dass Ray die Haarrisse in ihrer scheinbar so perfekten Beziehung unter die Lupe nahm.

    Zwei Hochzeiten, mehrere Scheidungen und eine Schwangerschaft

    Ray behauptete später, dass ursprünglich Ginger Rogers für die weibliche Hauptrolle vorgesehen gewesen sei. Das habe er verhindert und dann, als Lauren Bacall nicht zur Verfügung stand, Gloria Grahame vorgeschlagen, die wie er selbst einen Vertrag mit der RKO hatte (die Santana lieh ihn für In a Lonely Place nur aus, wie zuvor schon für Knock on Any Door, ihre erste Produktion). Mehrheitseigner der RKO war seit 1948 Howard Hughes, der erratische, Exzentrik mit Paranoia kombinierende Multimillionär. Die Santana wiederum kooperierte mit dem Autokraten Harry Cohn, Boss der Columbia, deren Ateliers und Verleihorganisation sie nutzte.

    Überliefert sind mehrere Versionen der von Ray erzählten Anekdote, in der sich Cohn um Mitternacht konspirativ mit Hughes an einer Tankstelle treffen muss, dann von Überwachungsängsten überschattete Verhandlungen führt und schließlich Hughes’ Einverständnis erhält, Gloria Grahame zu besetzen. Belege für die Geschichte gibt es nicht. Vielleicht ist sie nur gut erfunden. Wie dem auch sei: Gloria Grahame machte die Rolle so sehr zu der ihren, dass man sich den Film ohne sie nicht mehr vorstellen kann. Die Idee, dass Ginger Rogers Laurel Gray hätte spielen können, wirkt absurd.

    Als In a Lonely Place gedreht wurde steckte Gloria Grahame in einer Ehekrise, von der die Öffentlichkeit nichts merken sollte. Ihr Gatte hieß Nicholas Ray. Die beiden waren sich bei der RKO-Produktion A Woman’s Secret begegnet, die Ray Anfang 1948 eher uninspiriert in Szene setzte und danach der Gruppe jener Filme zuordnete, die nur entstehen, weil irgendetwas hergestellt werden muss, um der Buchhaltung gegenüber die Ausgaben für das beim Studio unter Vertrag stehende Personal zu rechtfertigen. Jay C. Flippen ermittelt als Polizist, wie es dazu kam, dass Maureen O’Hara auf Gloria Grahame schoss. Weder die Kritiker noch das Publikum riss das vom Hocker.

    A Woman’s Secret

    Spannender gestaltete sich das Privatleben von Nick und Gloria, die nach den Dreharbeiten zu A Woman’s Secret schwanger war. Mitte April flog sie zur Überraschung der Klatschreporter plötzlich nach Las Vegas. Das ist auch das Ziel von Dix Steele, der Laurel Gray am Vormittag einen Antrag macht und schnellstens nach Nevada will, um sie möglichst noch in der Nacht zu heiraten. Gloria hatte das 1948 schon einmal durchgespielt, wobei sie Scheidung und Hochzeit kombinierte, in dieser Reihenfolge.

    Suicide Blonde / The Life Of Gloria Grahame, Vicent Curcio

    Im April 1948 war sie mit Stanley Clements verheiratet, mit dem sie eine „atavistische“ Beziehung verband, wie ihr Biograph Vincent Curcio in Suicide Blonde schreibt. In Las Vegas lässt sich so etwas ohne größere Formalitäten beenden, sofern sich die Partner einig sind, einer von ihnen seit mindestens sechs Wochen in Nevada seinen Wohnsitz hat und außerdem versichert, hinterher dort bleiben zu wollen. Nach Ablauf der sechs Wochen, am 1. Juni mittags um halb zwei, wurde Gloria von Stanley geschieden. Abends um halb acht heiratete sie Nick Ray.

    Damit das wie geplant über die Bühne gehen konnte musste Jay C. Flippen, der nun nicht mehr als Inspektor, sondern als Trauzeuge agierte, den Bräutigam aus dem Casino holen. Ray hatte den Nachmittag im „El Rancho“ verbracht, wo er sich betrank und sein Geld verspielte. Als Dummkopf aus dem Mittleren Westen, erklärte er Jahre danach, habe er sich verpflichtet gefühlt, ein gegebenes Eheversprechen einzulösen, vorher aber noch dafür gesorgt, dass er völlig abgebrannt war, weil das berechnende Frauenzimmer, das er nur heiratete, weil sie schwanger war, nichts von ihm kriegen sollte.

    Nicholas Ray wäre nicht Nicholas Ray gewesen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, diese Mischung aus Selbsthass und Rachsucht mit einem Schuss Romantik anzureichern. Mit Gloria, erzählte er, wollte er ein völlig neues Leben beginnen. In dieser Version von der Geschichte sorgt Rays Spielsucht für den (finanziellen) Nullpunkt, der dafür erforderlich war. In der weniger romantischen Variante zahlte Gloria regelmäßig Nicks Spielschulden ab, vor und nach der Eheschließung. Mit dem Nullpunkt war das ohnehin so eine Sache. Die Presseabteilung der RKO hatte nach der Hochzeit viel zu tun.

    Das Studio behauptete, dass Gloria Nick erst nach ihrer Trennung von Stanley Clements kennengelernt habe und dass es für Nick die erste Ehe sei, obwohl er bereits einmal geschieden war und von seiner ersten Frau einen 1937 geborenen Sohn hatte, Tony. Als Gloria im September 1948 in Mutterschaftsurlaub ging ließ sich das von ihrem Arbeitgeber leicht vertuschen. Schwieriger wurde es, als sie am 12. November ein Kind zur Welt brachte. Da es meistens nicht bei einer Lüge bleibt musste die RKO nun verbreiten, dass es sich bei Baby Timothy um eine Frühgeburt handele (geboren fast vier Monate vor einer angeblich zu erwartenden Entbindung im März 1949, neun Monate nach der Hochzeit).

    Prügel von Nick und Sex mit Tony

    Man muss nur wenig vom Leben des Nick Ray wissen um zu ahnen, dass sich in der Figur des Dix Steele der Regisseur und sein Hauptdarsteller begegneten. Beide, Ray und Bogart, hatten einen Hang zu Gewalt und Destruktivität, der sich entweder gegen sie selbst oder gegen andere richtete. Küchenpsychologen werden sagen, dass das Selbstzerstörerische und die andere Leute in Mitleidenschaft ziehenden Wutausbrüche der Ausdruck schwer zu unterdrückender Frustrationen war, und wahrscheinlich ist das nicht einmal so falsch. Bei der Hochzeit in Las Vegas schadete Ray sowohl sich selbst wie seiner Braut, die er nach dem Ja-Wort gleich wieder verließ, um im Casino noch mehr Geld zu verlieren und noch mehr Whisky zu trinken.

    Nicholas Ray und Gloria Grahame

    Romantiker dürfen die Frustration durch den Weltschmerz ersetzen, das Leiden an der eigenen Person und an der Gesellschaft. Es war wohl so, dass sich Gloria wegen seiner künstlerischen (Hyper-)Sensibilität genauso zu Nick hingezogen fühlte wie wegen seiner Neigung zu extremem Verhalten, im Guten wie im Bösen. Bei Laurel und Dix ist das nicht viel anders. Wie sich die Beziehung zwischen den Filmfiguren entwickelt werden wir noch sehen. Die von Gloria und Nick war von dauernden Zerwürfnissen und Versöhnungen geprägt und unwiderruflich vorbei, als Nick - Vincent Curcio zufolge - entdeckte, dass Gloria mit Tony schlief, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe.

    In a Lonely Place

    Am 15. August 1952 wurden Gloria Grahame und Nicholas Ray geschieden. Gloria brauchte zwei Sätze, um vor dem Richter zu begründen, warum sie nicht länger Nicks Frau sein konnte. „Mein Gatte hat mich zweimal geschlagen“, gab sie zu Protokoll. „Einmal bei einer Party ohne Provokation, einmal bei uns zu Hause, als ich meine Schlafzimmertür absperrte.“ Nick sagte später, das Ganze sei „eine sehr teure Erfahrung“ für ihn gewesen. Das wurde so interpretiert, dass er von Gloria ausgenommen wurde, weil es so schön ins Klischee passte. Tatsächlich wurden ihr monatlich 300 Dollar Unterhalt für den gemeinsamen Sohn zugesprochen. Für sich selbst hatte sie nichts verlangt.

    In a Lonely Place

    Nick und Gloria ließen vieles weg, was sie auch noch über das Scheitern ihrer Ehe hätten vortragen können. Andererseits hat niemand je behauptet, dass Gloria vor Gericht die Unwahrheit sagte. Varianten der von ihr erwähnten Szenen männlicher Gewalt, mit abgesperrter Schlafzimmertür und Würgen statt Prügeln, finden sich in In a Lonely Place. Gloria erzählte vor Gericht nicht etwa frei erfundene Filmszenen nach, weil ohne Angabe von Gründen keine Scheidung stattfinden konnte. Der Film In a Lonely Place rekapitulierte - dramatisch verdichtet - die Wirklichkeit.

    In a Lonely Place

    Durch ein Scheidungsverfahren wie das von Ray und Grahame, begleitet von auf Schadensminimierung bedachten PR-Beratern, erfährt man eine Menge über die amerikanische Gesellschaft der Nachkriegsjahre. Vertuscht werden musste nicht nur der Sex mit dem 13-jährigen Stiefsohn. Auch Untreue unter Erwachsenen, Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit und die außereheliche Zeugung eines Kindes hätten die weitere Karriere der Protagonisten massiv gefährdet. Ein Mann hingegen, der seine Frau schlägt, war zwar nicht das, was man sich wünschte, aber doch etwas, das für den Täter ohne größere Konsequenzen blieb.

    Wäre dem nicht so gewesen, hätten sich die hinter den Kulissen tätigen Vertreter des Paares auf einen anderen Scheidungsgrund verständigt. Häusliche Gewalt war offenbar okay, solange sie im gesellschaftlich akzeptierten Rahmen blieb und nicht außer Kontrolle geriet wie im Film. Die üblichen Rechtfertigungen sind bekannt und weit verbreitet - besonders dann, wenn es um vermeintlich außergewöhnliche Persönlichkeiten geht, um große Männer, die Großes leisten und denen man es deshalb nachsehen muss, wenn sie mal über die Stränge schlagen, weil das zu ihrem Charakter gehört und Teil des Gesamtpakets ist, wie man heute sagt.

    An der roten Ampel

    In der ersten Einstellung sehen wir Dix’ nervöse Augen im Rückspiegel seines Wagens, begleitet von der raffinierten, auf eine trügerische Weise schmalzigen Musik des Avantgarde-Komponisten George Antheil. Eine fragmentierte, in der Luft hängende Augenpartie, überblendet auf eine nächtliche Straße, dazu die Namen der beiden Hauptdarsteller, Humphrey Bogart und Gloria Grahame, dazwischen der Titel des Films, In a Lonely Place, und immer mitgedacht wir als Zuschauer, deren Blick durch die gespiegelten Augen zurückgeworfen wird. Man darf diesen Anfang wohl verstörend nennen.

    In a Lonely Place

    In Einstellung 2 scheinen wir auf der Rückbank des Autos von Dixon Steele/Humphrey Bogart zu sitzen, der durch das nächtliche Los Angeles fährt oder wenigstens so tut als ob, während er (oder sein body double), im Columbia-Atelier, in einem Cabrio-Imitat vor einer Rückprojektion sitzt und uns womöglich im Spiegel mustert, obwohl es die stillschweigende Übereinkunft gibt, dass wir das unsichtbare Publikum sind und die Stars auf der Leinwand die Objekte unserer Blicke. So erklären sich die unsteten Augen der ersten Einstellung. Man weiß nie, ob man gerade beobachtet wird, wenn ja von wem und mit welcher Absicht.

    Sehen und gesehen werden sind genauso wichtig in diesem Film wie die Kraft der Phantasie. Der hypersensible Dix fragt sich andauernd, welches Bild er in den Augen anderer Leute abgibt, beantwortet die Frage selbst und reagiert auf diese Antwort. Dadurch entsteht eine Atmosphäre der latenten Bedrohung, unterstützt durch Rays Inszenierung und die Montage. Der Film wurde gedreht, als die von den McCarthyisten betriebene Hexenjagd auf linke oder als links wahrgenommene Künstler Fahrt aufnahm. Obwohl nie direkt thematisiert, spielt das immer mit.

    In a Lonely Place

    Bei einer roten Ampel hält ein Auto mit einem etwas ungleichen Paar neben Dix. Die Frau auf dem Beifahrersitz spricht ihn an. Sie hat in einem seiner Filme mitgewirkt. Dix erklärt, die Frau nicht zu kennen und sich nie einen Film anzusehen, für den er das Drehbuch geschrieben hat. Der Fahrer des anderen Autos interpretiert die Situation ganz falsch und fordert Dix auf, seine Frau nicht zu belästigen. Dix wird beleidigend. „Das hättest du nicht tun sollen, Süße“, sagt er, „ganz egal, wie viel Geld das Schwein da hat.“ Der Mann scheint einem Wortgefecht nicht abgeneigt, fährt aber schnell weg, als er merkt, dass Dix sich mit ihm prügeln will.

    Mir fällt dazu Gloria Grahame ein, die vor dem Scheidungsrichter sagte, dass Nick sie ohne Provokation geschlagen habe. Auch bei Dix braucht es nicht viel, damit er auf andere Leute einprügelt. Bei der nächsten nächtlichen Autofahrt werden wir diese Aggressivität in ihrer ganzen Brutalität und Hässlichkeit erleben. Sollten wir geneigt sein, die Gewalttätigkeit zu romantisieren, wird das gründlich unterlaufen. Es ehrt den Regisseur, dass er nichts beschönigt. Ray hat auch einen Film über die eigene Angst davor gedreht, dass seine Ausraster nicht wieder gutzumachende Konsequenzen haben könnten.

    Just another movie

    Die ersten zehn Minuten sind Exposition, stellen uns Dixon Steele vor und den Ort, an dem er lebt. Skizziert wird eine Welt, in der die Oberflächlichkeit regiert, der schlechte Geschmack und das Geld. Dix ist auf dem Weg zum „Paul’s“, einem Szenelokal in Beverly Hills, wo er mit seinem Agenten Mel Lippman und dem Regisseur Lloyd Barnes verabredet ist. Vor der Tür des Lokals muss er an Kindern vorbei, die da als präpotente Autogrammjäger postiert sind und dann an zwei Filmfans in Gestalt feister Damen, die Souvenirs wollen und keine Filmkunst.

    In a Lonely Place

    An der Bar sitzt schon sein Freund Charlie Waterman, ein Leinwandidol der Stummfilmära, aus dem eine Shakespeare zitierende Witzfigur mit einem Alkoholproblem geworden ist. Das Vorbild für Charlie ist leicht auszumachen: John Barrymore, der einst als größter Hamlet-Darsteller seiner Generation galt, sein Talent vergeudete und am Ende seiner Laufbahn nur noch Parodien seiner selbst spielte. Wer sich in Hollywood zu lange aufhält hat entweder eine kaputte Leber oder kann nur noch Milch trinken wie Mel, der Agent mit dem multiplen Magengeschwür.

    Härter im Nehmen ist Lloyd Barnes. Als seine hervorstechende Eigenschaft wird angegeben, dass er vor Jahren ein Vermögen verdient hat und jetzt stinkreich ist, weil es damals noch keine Einkommenssteuer gab. Barnes soll für den Produzenten Bert Brodie den Bestseller Althea Bruce verfilmen, Dix das Drehbuch schreiben. Eine begeisterte Leserin des Romans ist Mildred Atkinson, Pauls Garderobiere. Für Mildred hat der Wälzer das Zeug zum Leinwandepos. „Sie wissen schon“, sagt sie zu Dix, „ein Film, der richtig lang ist und in dem eine Menge Sachen passieren.“

    In a Lonely Place

    Barnes ist es ganz egal, wo er Regie führt, wenn nur die Gage stimmt. Sein Motto lautet: „It’s just another movie!“. Dix bringt das auf die Palme. Er wirft Barnes vor, ein Popcornverkäufer zu sein, der seit 20 Jahren Remakes des immer gleichen Films dreht. Stimmt, sagt Barnes. Was uns beide unterscheidet ist nur, dass ich nicht dagegen ankämpfe. Mel versucht, die Wogen zu glätten und Dix zu überreden, den Auftrag anzunehmen, um nach mehreren Kassenflops in die Erfolgsspur zurückzukehren. Ohne Erfolg ist man in Hollywood ein Niemand.

    In a Lonely Place

    Ray zeigt uns dazu die Gäste an den Tischen im Lokal. Sie sind offenbar nur gekommen, um zu beobachten, was vor sich geht und auch, um selbst gesehen zu werden. Im „Paul’s“ sitzt man auf dem Präsentierteller. Ray führt uns dort in eine zynische Celebrity-Kultur ein, in der ein Mensch danach taxiert wird, was sein Autogramm auf der Sammlerbörse einbringt. Das lernen schon die Kinder. Die Klatschpresse lesen sie scheinbar nicht, weshalb sie Dixon Steele nicht kennen. Dix hat seit seiner Glanzzeit vor dem Krieg kein gutes Drehbuch mehr geschrieben, war aber bis vor kurzem mit einer Filmschauspielerin liiert und macht durch seine Ausraster auf sich aufmerksam. Sein Promi-Status ist dadurch gesichert.

    Bald werden wir erfahren, dass er in einem Apartmentkomplex wohnt, dessen Verwalterin stolz darauf ist, jemanden wie ihn als Mieter zu haben, weil er ein Prominenter ist. Das hilft dabei, die anderen Wohnungen zu vermieten, und vermutlich nimmt die Dame von den anderen im Haus mehr Geld, weil sie die Nachbarn des berühmten Dixon Steele sein dürfen. Donald Trump ist das Endprodukt (hofft man wenigstens) dieser Kultur der Oberfläche. Er hat demonstriert, wie man es als Held trashiger TV-Formate mit Sozialdarwinismus-Appeal, in denen Schwächere vorgeführt und erniedrigt werden, zum Twitter-Präsidenten bringt.

    Die Szenen im „Paul’s“ könnten der Anfang einer galligen Satire über eine von Geldzählern dominierte Unterhaltungsindustrie sein, mit Promikult und schönem Schein, der davon ablenkt, was für Schrott diese Industrie gebiert. In a Lonely Place ist aber viel mehr als das. Dem Zynismus steht die Hoffnung gegenüber, an diesem Ort Filme machen zu können, ohne dafür die eigene künstlerische Integrität verkaufen zu müssen. Nicholas Ray gab diese Hoffnung niemals auf, so wenig wie Dix Steele. In a Lonely Place selbst ist der beste Beweis dafür, dass sie sich erfüllen konnte.

    Werktreue in Hollywood

    Weniger die Kunst als den Kommerz und reibungslose Abläufe im Produktionsprozess hat Mel Lippman im Auge, wenn er Dix gut zuredet: „Alles, was du tun musst, ist dich an das Buch halten.“ Das verlange der Produzent. Dix, um das vorwegzunehmen, wird Althea Bruce nie lesen. Als Ausgangspunkt für sein Drehbuch genügt ihm eine ungefähre Vorstellung vom Plot des Romans. Mehr braucht er nicht. Brodie ist begeistert. Dana Polan, der für das BFI ein Büchlein über den Film geschrieben und den Audiokommentar zur bei Criterion erschienenen DVD gesprochen hat, ist deshalb perplex.

    Polan treibt in Wort wie Schrift die Frage um, wie es sein kann, dass der Produzent begeistert ist, wenn er doch eine originalgetreue Adaption in Auftrag gab? Die Antwort ist ganz einfach. Auch Brodie hat Althea Bruce nie gelesen (so wie wir diesen Produzenten nie sehen werden). Ihm reicht es völlig aus, wenn der Titel und ein paar Figurennamen erhalten bleiben, was die Käufer des Romans dazu bringen wird, eine Kinokarte zu erwerben. Das ist das übliche Kalkül in diesem Gewerbe und eine der selbstironischen Wendungen, mit denen der Film das eigene Verfahren kommentiert.

    Der Roman, aus dem schließlich die Santana-Produktion In a Lonely Place wurde, stammt von der famosen Dorothy B. Hughes, die sehr zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Der Grund dafür dürfte sein, dass sie als Frau, die in den 1940ern Hardboiled-Krimis schrieb, in eine damals noch den männlichen Autoren vorbehaltene Domäne eindrang, wofür sie durchaus Lob erhielt, aber auch als seltsames Unikum behandelt wurde. Wer in keine Schublade passt wird leicht übersehen, wenn der erste Erfolg vorbei ist.

    Buchcover: In A Lonely Place, Dorothy B. Hughes

    Zwei von Hughes’ Krimis, The Fallen Sparrow und Ride the Pink Horse, waren bereits verfilmt worden, als Bogart und sein Partner Robert Lord die Rechte an In a Lonely Place kauften. Der Dixon Steele des sehr beunruhigenden Romans ist ein Frauen mordender Soziopath, der nach Los Angeles übersiedelt und sich dort als Drehbuchautor ausgibt, obwohl er eigentlich nur eine Schreibmaschine besitzt (Serienkiller ist keine gesellschaftlich akzeptierte Berufsbezeichnung). Edmund H. North, dem jetzt im Vorspann die Adaption von Hughes’ „Story“ zugeschlagen wird, sollte daraus ein Drehbuch machen.

    Der Dix Steele des Romans ist deutlich jünger als der des Films. Ursprünglich war die Rolle John Derek zugedacht, den Lord als Star aufbauen wollte. In Knock on Any Door hatte Derek den jugendlichen Straftäter Nick Romano gespielt, an der Seite von Humphrey Bogart (er ist sein Verteidiger), und einen Dialogsatz gesprochen, der zum tausendfach wiederholten Motto der rebellischen Jugend wurde: „Live fast, die young, and have a good-looking corpse.“ Eines von Rays Meisterwerken ist das sozial engagierte und ziemlich dröge Drama aber eher nicht.

    North hatte soeben das Drehbuch für Raoul Walshs Colorado Territory geschrieben, ein Remake des Kriminalfilms High Sierra als Western (mit Joel McCrea in der Bogart-Rolle). Etwas in der Art hätte sich auch aus In a Lonely Place machen lassen, ohne allzu sehr von der Romanhandlung abweichen zu müssen. Dann entschloss sich Bogart, die Rolle des Dixon Steele selbst zu spielen. John Derek war damit außen vor, und der Plot des Romans ebenso. Den größten Star von Hollywood als Serienmörder auftreten zu lassen war undenkbar. Die Production Code Administration, die Selbstzensureinrichtung der Filmindustrie, hätte das niemals erlaubt.

    Andrew Solt erhielt nun den Auftrag, das Drehbuch für Humphrey Bogart umzuschreiben. Von der Romanvorlage und der North-Fassung war danach nicht mehr viel übrig, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Geblieben sind der Titel, der Schauplatz, die Namen einiger Charaktere und ein paar Handlungselemente. Dem Krimi von Dorothy B. Hughes scheint es ergangen zu sein wie Althea Bruce, dem fiktiven Bestseller im Film. Hellhörig wird man, wenn man Dread Journey gelesen hat, einen Hughes-Roman von 1945. Althea heißt da die tote Frau eines über Leichen gehenden Hollywoodmoguls.

    Buchcover: Dread Journey, Dorothy B. Hughes

    Das ist der Hinweis darauf, dass sich der Film zwar vom Plot des Romans entfernt, nicht aber von dessen Themen, die er auf eine subtile Weise mit dem Milieu von Dread Journey kombiniert. Die Produzenten, Schauspieler und Drehbuchautoren, die Hughes da in einen von Los Angeles nach New York fahrenden Zug setzt, holt der Film In a Lonely Place zurück nach Hollywood, während das Filmmilieu im gleichnamigen Roman keine Rolle spielt. Das Gefühl von Paranoia, das Ray auf die Leinwand bringt, die Gewalt, die Männer gegenüber Frauen ausüben, das Entwerfen einer sich über die Wirklichkeit legenden Scheinwelt findet man so auch bei Dorothy B. Hughes.

    Mörder und Produzenten

    Als Solt mit dem Drehbuch fertig war traf er sich mit Ray, Lord und Bogart in dessen Haus. Anwesend war auch Lauren Bacall. Mag sein, dass Bogart damals noch hoffte, sie bei den Warner Bros. loseisen zu können. Solt las sein Manuskript vor. „This is it“, sagte Bogart. Das Drehbuch gefiel ihm so gut, dass er Anweisung gab, nichts mehr daran zu ändern. Zumindest hat Solt es später so erzählt. Ray habe dann nur noch einige Vorschläge gemacht und das Manuskript genau so verfilmt, wie er, Solt, es sich vorgestellt hatte. Das war derselbe Nick Ray, der ständig in Streit mit Produzenten geriet, weil er gern improvisierte und Drehbücher so änderte, wie er es für richtig hielt.

    Andrew Solt

    Bogart wusste genau, wie Ray tickte, seit sie zusammen Knock on Any Door gemacht hatten. Weil er ihn schätzte lieh er ihn auch für In a Lonely Place von der RKO aus, statt einen pflegeleichteren Regisseur zu engagieren. Rays Biograph Bernard Eisenschitz hat das am 18. Oktober 1949 fertiggestellte Buch mit dem Film verglichen. Am 25. Oktober war Drehbeginn. Von 140 Seiten blieben vier unverändert. Die Revisionen, meint Eisenschitz, waren das Resultat der engen Zusammenarbeit Rays mit seinen Hauptdarstellern. Solt durfte das Atelier nicht mehr betreten, weil Bogart sich über ihn geärgert hatte.

    In a Lonely Place

    Was macht man als Drehbuchautor, wenn man erleben muss, wie das eigene Werk von Regisseuren, Produzenten und Schauspielern umgeschrieben wird? Solt flüchtete sich in „alternative Fakten“ und erzählte die Geschichte so, wie er sie gern gehabt hätte. Dix Steele zieht es vor, sich die Filme gar nicht erst anzuschauen, für die er das Drehbuch verfasst hat. Dem Frustabbau dient das erkennbar nicht. Dix ist angewidert von sich selbst und trägt das nach außen, wenn er in der ersten Szene der Schauspielerin vorwirft, sie habe sich an den Mann neben ihr verkauft - so wie er sich und seine Kunst an den Kommerz.

    Bert Brodie, der Produzent von Althea Bruce, bleibt uns erspart. Er scheint ein so übler Typ zu sein, dass die Filmemacher ein Leinwandverbot über ihn verhängt haben. Ihre Meinung über den Berufsstand tun sie dadurch kund, dass der Mörder denselben Namen trägt wie der Mann, der bei In a Lonely Place als ausführender Produzent tätig war. Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/In_a_Lonely_Place) geht einen Schritt weiter und gibt an, dass der Produzent den Mörder spielt. Die Schwarmintelligenz folgt der vom Film vorgegebenen Stoßrichtung, hat das Detail aber falsch abgeschrieben. Den Mörder und Namensvetter des Produzenten spielt der meistens als Regieassistent tätige Jack Reynolds, der Gatte von Marjorie (die Flüchtlingshelferin in Fritz Langs Ministry of Fear).

    Schwiegersohnunwesen

    Als Ersatz für Brodie stürmt Junior ins „Paul’s“, um lautstark den Erfolg „seines“ neuen Films zu verkünden. Charlie hat Juniors Schwiegervater einst Millionen eingebracht, als er noch ein Leinwandidol war. Junior will ihm nicht einmal die Hand geben, weil er ein Star von gestern ist. Wer keinen Erfolg mehr hat in Hollywood wird behandelt, als habe er eine ansteckende Krankheit. Junior trompetet seine Geringschätzung durch das Lokal, als müsse er sich öffentlich von den Erfolglosen distanzieren. Die Situation ist so demütigend, dass es schmerzt, das mitzuerleben.

    In a Lonely Place

    Charlie hat die richtige Antwort parat. „Du hast das Schwiegersohnwesen um 50 Jahre zurückgeworfen“, sagt er. Das hätte einen Applaus verdient, geht aber leider unter, weil sein Freund nicht so souverän ist wie der vom Alkohol umnebelte Charlie. Dix kriegt einen seiner Wutanfälle, schlägt Junior und löst einen Tumult aus. Dabei könnte man fast übersehen, dass der Produzent zuvor seine Zigarrenasche in Charlies Cognacglas getippt hat, als Zeichen der Verachtung. Dix’ Wutausbrüche sind schlimm, sagt Ray durch die Inszenierung. Doch es gibt auch andere Formen der Gewaltausübung. Sie fallen nur nicht so auf.

    In a Lonely Place

    Junior ist eine Karikatur von David O. Selznick, der sich 1948 von der Tochter des MGM-Moguls Louis B. Mayer hatte scheiden lassen (um Jennifer Jones zu heiraten). Selznick nervte sein Umfeld mit wie unter einer Zwangsstörung verfassten Memos und war der immer wieder gern genommene Kandidat für solche Fälle, seit er sich durch sein autokratisches Gehabe bei Gone With the Wind als Prototyp des „kreativen Produzenten“ etabliert hatte, der davon überzeugt ist, selbst alles am besten zu können, aber keine Zeit hat, sich um jede Einzelheit zu kümmern und deshalb Aufgaben an mindere Geister delegieren muss, die Regie zum Beispiel.

    Beide Auseinandersetzungen der ersten Viertelstunde, das Wortgefecht mit dem Mann der Schauspielerin im Auto an der Kreuzung und die Prügelei mit Junior, fügte Nicholas Ray in das Drehbuch ein. Die Gewalt wird dadurch mit Hollywood verbunden, und mit den Frustrationen, die Dix Steele dort erfährt. Andrew Solt hätte solche Szenen nie geschrieben, oder höchstens auf Anweisung der Produzenten. Seine Stärke war mehr das Affirmative als das kritisch Hinterfragende.

    Solt stammte aus Budapest und kam vor dem Krieg nach Hollywood, nachdem er die Rechte an einem Theaterstück an eines der Studios verkauft hatte. Dort erlag er dem Zauber der Traumfabrik. Ray stand Hollywood viel distanzierter gegenüber als der Autor des Drehbuchs, das er zu verfilmen hatte. Die Spannung, die sich daraus ergab, trug zur Qualität von In a Lonely Place bei. Solt hätte sich einen anderen, weniger untergründigen Film gewünscht. Andererseits wäre In a Lonely Place ohne sein Drehbuch, an dem sich der Regisseur reiben konnte, nicht so geworden, wie er jetzt ist.

    Mekka von Hollywood

    Das Autobiographische, das der Film in Fiktion übersetzt, lauert an jeder Ecke. Bogart ist als Dix Steele so überzeugend, weil dessen Wut die seine war. Er haderte jahrelang mit den oft stereotypen, alte Erfolge kopierenden Rollen, die er spielen musste. Zwischendurch verschaffte er sich durch Rüpeleien Luft, die selten in der Presse auftauchten, weil die Warner Bros. eine sehr professionelle Imagepflege betrieben. Ein paar Wochen vor Drehbeginn zu In a Lonely Place erklärte der New Yorker Nachtclub „El Morocco“ Bogart, der nun sein eigener Chef war, zur unerwünschten Person. Nach einem seiner Wutanfälle hatte das Management genug von ihm.

    Heute würde man vermuten, dass so etwas inszeniert ist, um den neuen Film des Stars zu bewerben. In den 1950ern war es noch schädlich. Eine kurze Notiz über den Vorfall erschien im Branchenblatt Variety (28.9.1949). Bogart hatte sich über ein aufdringliches Model geärgert, die junge Frau zu Boden gestoßen und offenbar verletzt. Er hatte auch schon Hausverbot im „Stork Club“ (beide Etablissements werden im Dialog des Films erwähnt). Paul, sein Personal und die anderen Gäste reagieren so routiniert auf die Rauferei mit Junior, weil sie darin bereits Übung haben. Steeles erster Ausraster ist das nicht, auch nicht sein letzter.

    Romanoff’s

    Vorbild für das „Paul’s“ war das „Romanoff’s“ am Rodeo Drive in Beverly Hills, damals das angesagteste Lokal der Stadt. Der Besitzer, als Hochstapler und Trickbetrüger aktenkundig, stammte aus Litauen und kam nach New York, als er noch Hershel Geguzin hieß. Als britischer Adeliger nannte er sich William Gladstone oder auch mal William Wellington. In Los Angeles verwandelte er sich in den Fürsten Michael Dimitri Alexandrovich Obolensky-Romanoff. Er war nun ein Neffe des letzten russischen Zaren. Als solcher wurde er von den Studios als technischer Berater engagiert, wenn ein Russlandfilm zu drehen war.

    Den falschen Oxford-Akzent, den er sich zugelegt hatte, als er noch der Sohn des britischen Premierministers oder ein Verwandter des Herzogs von Wellington war, behielt er bei. Als russischer Großfürst überzeugte er nicht wirklich, doch in Hollywood musste das kein Nachteil sein. Romanoff war nicht der einzige, der sich neu erfunden hatte. Den besten Kommentar dazu gibt Hellzapoppin’ (1941), das verrückteste aller Musicals. Mischa Auer spielt einen echten russischen Prinzen, der so tut, als wäre er ein Hochstapler, weil die reichen Amis, von denen er lebt, sonst das Interesse an ihm verlieren würden. Ein falscher Fürst ist origineller als ein echter.

    Das Restaurant, das Geguzin alias Romanoff 1941 eröffnete, wurde zum Treffpunkt der Stars. Dort ging man hin, um gesehen zu werden und zu dokumentieren, dass man dazugehörte. Bogart war Stammgast. Wenn er nicht gerade drehte kam er beinahe jeden Tag und bestellte sein Lieblingsgericht, Ham and Eggs (so wie Dix nach der Prügelei mit Junior). Sein Stammplatz war die zweite Nische links vom Eingang. Das hatte etwas von Hybris. Wenn Bogart sich belästigt fühlte fielen harte Worte und er wurde auch mal handgreiflich. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass man ihn nicht lange suchen musste.

    In a Lonely Place

    Andrew Solt war enttäuscht, als er sah, was im Film aus dem Szenelokal geworden war. Der Glamour, der ihn so faszinierte, war nicht mehr da: „Das ‚Romanoff’s’ war das Mekka von Hollywood, aber hier spürte man, dass alles billig war, die Kulissen waren billig, es gab nicht genug elegante Leute da drin.“ Nicht anders hätte Ray es haben wollen. Ins „Paul’s“ geht man, um in billigen Kulissen alte Liebschaften aufzuwärmen, andere mit Gift zu bespritzen, Geschäfte anzubahnen oder wenigstens ein Streichholzbriefchen mit dem Schriftzug des Besitzers zu ergattern, wenn man zu den Fans gehört, die ihre Stars nur ansehen und nicht berühren dürfen. Ein Hauch von Prostitution liegt in der Luft.

    Lesen oder Vorlesen?

    Der Abend im „Paul’s“ endet mit einem zweideutigen Angebot. Erst setzt sich Fran zu Dix an seinen Tisch. Der Autor und die Schauspielerin hatten früher ein Verhältnis, das Fran gern auffrischen würde. Dix lehnt mit der Begründung ab, dass er ein Buch lesen muss. „Weißt du noch, wie ich dir vorgelesen habe?“, fragt Fran. „Ja doch“, antwortet Dix. „Seit damals habe ich gelernt, wie man selber liest.“ Fran hat verstanden und geht weg. Das ist ein typischer Dialog aus dem Hollywood des von reaktionären Katholiken verfassten und vom noch reaktionäreren Joe Breen durchgesetzten Production Code.

    In a Lonely Place

    Der Moralkodex war mindestens so päpstlich wie der Papst. Sexuelle Betätigungen ohne Trauschein und Zeugungsabsicht waren verboten. Ein Verbot hat aber noch nie etwas aus der Welt geschafft. In Hollywood erfand man unermüdlich Dialoge, mit deren Hilfe die Charaktere über Dinge sprechen konnten, die nicht gesagt werden durften. Beim Vorlesen würde es nicht bleiben, wenn Dix Fran in ihre Wohnung begleiten würde, um von dem Tonic Water zu kosten, das sie anzubieten hat (bestimmt mit viel prickelnder Kohlensäure). Dix aber will selber lesen.

    „Siehst du auf alle Frauen herab“, fragt Fran beim Gehen, „oder nur auf diejenigen, die du kennst?“ Weil Ray solche Szenen gern ironisch umdreht steht sie dabei und blickt auf Dix herab, der an seinem Tisch sitzt und erwidert: „Ich war doch ziemlich nett zu dir.“ "Nein, nicht zu mir", antwortet Fran. „Aber du warst ziemlich nett. Ich ruf dich an.“ Sie ist erkennbar verletzt durch das, was Dix gesagt hat. Darum schlägt sie jetzt zurück. Solche vom Production Code erzwungenen Sex-Umgehungsdialoge können von einer schockierenden Brutalität sein.

    In a Lonely Place

    Der vom Jesuitenpater Daniel A. Lord erstellte Moralkodex ist längst Geschichte, hat aber von den frühen 1930ern bis zu den 1960ern alles verformt, was von der amerikanischen Filmindustrie produziert wurde. Als heutiger Zuschauer versteht man oft nur noch bedingt, was unter der katholisch aufpolierten Oberfläche vor sich geht. Warum ist Fran so verletzt? Warum ist es ein Ausdruck von Verachtung, wenn Dix sich nicht vorlesen lassen will? Antwort: Weil er Fran gesagt hat, dass er lieber masturbiert (selber liest), als mit ihr zu schlafen oder sich - pardon - einen blasen zu lassen. Nett ist das nicht, und „nett“ ist auch nicht gemeint, wenn Dix und Fran das Wort (nice im Original) benutzen.

    Genauso vitriolhaltig ist Frans Schlussbemerkung, die ich so übersetzen würde: Gefühle waren von deiner Seite aus nicht dabei, sagt sie, als wir unsere Affäre hatten. Für dich sind Frauen nur Objekte. Beim Sex allerdings bin ich auf meine Kosten gekommen, da warst du gar nicht schlecht. Ich melde mich, wenn ich so etwas wieder haben will. Damit lässt sie ihn sitzen. Das ist hohe Dialogkunst in einem in der Endfassung exzellenten Drehbuch und nicht mit dem pubertären Sexualhumor verklemmter Seelen zu verwechseln, die nur kichernd und hinter vorgehaltener Hand über etwas reden können, das tabuisiert und irgendwie peinlich ist.

    Mit einigen wenigen Sätzen wird nicht nur gesagt, was eigentlich nicht gesagt werden darf, weil Sex Sünde ist. Es wird auch ein Verhältnis zwischen Männern und Frauen skizziert, das so zerrüttet ist, dass die Parteien mit scharfen Waffen kämpfen, um möglichst viel Schaden anzurichten. Das ist mehr als nur privat. Der Schauplatz des Wortgefechts, an dem sich alles trifft, was in der fiktionalen Welt Rang und Namen hat (das „Paul’s“ als ein seiner glitzernden Fassade beraubtes „Romanoff’s“), steckt den gesellschaftlichen Rahmen ab, auf den die Ereignisse zu beziehen sind. Fürwahr ein einsamer Ort, dieses Hollywood des Geldes und der Prominenz als Selbstzweck.

    Nach der ernüchternden Exposition wird sich der Rest des Films, um bei der Lese-Metapher zu bleiben, der Frage widmen, ob das Masturbieren nicht wirklich die bessere Lösung wäre. Das klingt prosaisch und nach Fleischbeschau, hat jedoch nicht das Geringste mit Pornographie zu tun. Es geht um all die Dinge, denen Hollywood in seiner Glanzzeit immer wieder nachspürte, und dabei nicht zuletzt um die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, gepaart mit künstlerischer Erfüllung. Ray folgt da einer zutiefst romantischen Konzeption, die meilenweit von jener Gebrauchsromantik entfernt ist, mit der die Werbung ihr Produkt verkauft und die Schnulzensänger in der Samstagabendshow aus Liedern Plastik machen.

    In a Lonely Place

    Das Lesen/Sex-Thema wird wieder aufgenommen, wenn Dix Pauls Garderobiere bittet, ihn nach Hause zu begleiten. Mildred denkt zuerst das Offensichtliche und ist außerdem mit ihrem Freund verabredet, dann aber Feuer und Flamme, als sie hört, dass sie den Inhalt von Althea Bruce nacherzählen soll, weil Dix zum Lesen zu müde ist. Alle moralischen Bedenken sind sofort vergessen. Für Mildred ist es ihr Teil vom Ruhm, wenn sie später einmal sagen kann, dass sie dem Drehbuchautor von „Alethea Bruce“ den Inhalt des Romans erzählt hat. Ihr Freund ist da nicht mehr so wichtig.

    Begegnung im Patio

    Alles, was wirklich zählt, sagt man, fängt klein an. Bei einer großen Liebe ist das nicht anders. Ray hat Gloria Grahame, mit der er damals noch verheiratet und inzwischen heillos zerstritten war, einen famosen ersten Auftritt spendiert. Dix’ Zuhause sind die „Beverly Patio Apartments“, ein um einen Innenhof gruppierter Wohnkomplex in Beverly Hills. Der Hof, der dem Gebäude den Namen gegeben hat, ist der Schauplatz, an dem Gloria alias Laurel Gray den Film betritt. Ray führt sie als Frau mit Geheimnis ein, was sie sofort viel faszinierender macht als Mildred Atkinson, bei der alles an der Oberfläche liegt.

    In a Lonely Place

    „Was für ein hübscher Ort“, sagt Mildred und bleibt vor einer nackten Frauenskulptur stehen, um den Patio zu bewundern. Plötzlich taucht Gloria Grahame auf. Sie trägt einen eleganten hellen Mantel und schwarze Handschuhe, entworfen vom vielfach für den Oscar nominierten Designer Jean Louis, von dem auch die Kleider von Rita Hayworth in Gilda sind. Mit der Andeutung eines Lächelns und einem sinnlich hingehauchten „Excuse me“ bahnt sie sich einen Weg zwischen Dix und Mildred, sie und Dix schauen sich kurz in die Augen. Das ist Rays Version von der Liebe auf den ersten Blick. Dix und Mildred sehen Laurel hinterher, wie sie eine Treppe hochgeht und verschwindet.

    In a Lonely Place

    Das Ganze dauert 15 Sekunden. Von da an ist Laurel Gray das erotisch-romantische Zentrum des Films. Nick erarbeitete die Laurel-Szenen gemeinsam mit Gloria, verwandte besonders viel Mühe auf sie. Bei dieser notierte er in seinem Exemplar des Drehbuchs: „Eindeutiges Interesse - nicht das erste Mal, dass sie ihn gesehen hat - schaut interessant aus - mochte sein Gesicht.“ Dix sieht die mysteriöse Frau zum ersten Mal. Der Rest von Rays Notiz gilt umgekehrt auch für ihn. Er interessiert sich nun für Laurel und nicht für Mildred, die er eilig zu seiner Wohnung führt, als wäre das zur lästigen Pflicht geworden.

    In a Lonely Place

    An der Wohnungstür blickt Dix sich noch einmal um, dorthin, wo die Frau im hellen Mantel verschwunden ist. Sie beansprucht jetzt den Platz in seinen Gedanken. „Keiner“, notierte Ray an einer anderen Stelle des Drehbuchs, „sagt, was er denkt.“ Das ist auch nicht nötig. Der Film zeigt es uns. Und er bereitet uns subtil auf Dinge vor, die noch kommen werden. Bei der ersten Begegnung trägt Laurel einen dunklen Schal. Er harmoniert mit den schwarzen Handschuhen, verleiht dem Ensemble eine erotische Komponente und betont die Halspartie. Mildred wird bald tot im Straßengraben liegen. Erwürgt.

    Villa Primavera

    „Der Innenhof des von Humphrey Bogart in In a Lonely Place bewohnten Hollywood-Gebäudes ist eine der phantasieanregendsten Räumlichkeiten, die ich je in einem Film gesehen habe“, schreibt Roger Ebert in einer Kritik. „Der Reihe nach sind kleine Wohnungen angeordnet, rund um einen Hof im spanischen Stil und mit einem Springbrunnen. Jedes Apartment wird von einer einzelnen Person bewohnt. Wenn man durch sein Fenster über den Hof schaut kann man in das Leben seines Nachbarn sehen.“ Ob klein oder groß ist Ansichtssache. Die Atmosphäre hat Ebert sehr gut getroffen.

    Als „Beverly Patio Apartments“ ließ Ray im Columbia-Atelier die Villa Primavera nachbauen, in der er selbst seine erste Wohnung bezogen hatte, als er in den 1940ern nach Los Angeles gekommen war. Wir haben es da mit einem der vielen autobiographischen Elemente zu tun, aber nicht nur das. Die Villa Primavera (1300-1308 North Harper Avenue, West Hollywood) ist das erste einer Reihe von teilweise denkmalgeschützten Gebäuden, die das legendäre Architektenpaar Nina und Arthur Zwebell in den 1920ern im Spanish-Revival-Stil entwarf.

    Der Spanish-Revival-Style war von den spanischen Missionsstationen in Kalifornien inspiriert. Für eine Wohnanlage wie die Villa Primavera hieß das: dicke Adobe-Wände; ornamentale Steinfliesen; Balkone und Aufgänge mit schmiedeeisernen Gittern; zwei bis maximal drei Stockwerke; Fenster und Türen, die sich zum begrünten Innenhof hin öffnen; in der Mitte ein mit Mosaiken verzierter Brunnen. Viele dieser Apartmentkomplexe wurden in den 1920ern und 1930ern in der Nähe der Filmateliers gebaut und boten damals günstigen Wohnraum für die Studioangestellten.

    „So etwas ähnliches wie eine Hacienda, oder?“, fragt Mildred Atkinson bewundernd. Nicht nur für sie ist das ein Platz, der sie der Traumfabrik ein Stück näher bringt. Filme wie In a Lonely Place oder später David Lynchs Mulholland Drive haben dazu beigetragen, dass man heute den von den Zwebells populär gemachten Stil mehr als irgendeinen anderen mit Hollywood assoziiert. Die nachgebaute Villa Primavera ist weniger eine Kulisse als ein eigener Charakter, der die Handlung in entscheidenden Momenten prägt, sie vorantreibt und ihr eine Richtung gibt.

    Die meisten dieser nach außen gut abgeschirmten, einen Hof umrahmenden Apartmentgebäude sind inzwischen der Stadtentwicklung und der Spekulation zum Opfer gefallen. Sie wurden abgerissen oder in Eigentumswohnungen umgewandelt. Mit den „Courts“ ging ein identitätsstiftender Teil der Architektur- und Sozialgeschichte von Los Angeles verloren. Die Villa Primavera steht noch, ist jetzt aber mit einem Tor gesichert und nicht mehr frei zugänglich wie früher.

    Curtis Hanson in der Villa Primavera auf der DVD-Doku zu In a Lonely Place

    Notdürftig behelfen kann man sich mit der 20-minütigen Doku auf der alten Columbia-DVD (Region 1, auch im Bonusmaterial der Criterion-DVD enthalten). Der im letzten Jahr verstorbene Curtis Hanson nimmt uns mit in den Innenhof, um dort von In a Lonely Place zu erzählen, der für ihn eine wichtige Inspirationsquelle war, als er L.A. Confidential drehte. Leider gibt es viele Filmausschnitte und wenig Villa Primavera, weil die Macher der Doku offenbar kein Interesse daran hatten, die Atmosphäre einzufangen, ohne die In a Lonely Place ein ganz anderer Film geworden wäre.

    Leute, die in einem der noch erhaltenen Courts wohnen, preisen das familiäre Gefühl, das dort herrscht, ohne dass man zur regelmäßigen Interaktion mit den Nachbarn gezwungen wäre. Der Kontakt stellt sich ein wie von selbst. Bei sich zum Innenhof öffnenden Türen und Fenstern kriegt man mit, was passiert, wer kommt und wer geht, ohne viel reden zu müssen. Natürlich hat dieses beinahe spirituelle Gemeinschaftsgefühl seine Schattenseiten. Paranoia und Überwachung sind nicht weit. Der Schauplatz, den er aus eigener Erfahrung bestens kannte, war für Ray und seine Anliegen ideal. Der Zeithintergrund - der McCarthyismus und die Gesinnungsschnüffelei - ist immer mit dabei, ohne direkt angesprochen zu werden.

    Apolo schaut in die Mikroben

    Inhaltlich gehört In a Lonely Place zu einem kleinen Zyklus amerikanischer Nachkriegskrimis, in denen die Heldin nicht die vom Film noir gewohnte, für Männer brandgefährliche Femme fatale ist, sondern ihrerseits an einen Helden gerät, der ein irrer Killer sein könnte. Die Vermutung liegt nahe, dass da sehr reale, gesellschaftlich tabuisierte Ängste reflektiert wurden. Viele Frauen hatten in einem Überschwang romantischer Gefühle geheiratet, um dann festzustellen, dass ein Mann aus dem Krieg zurückkehrte, der ihnen fremd (oder fremd geworden) und nicht selten traumatisiert war.

    Der Prototyp für diese Art von Film entstand vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Hitchcocks Rebecca, nach dem Roman von Daphne du Maurier. Fritz Lang drehte 1947 mit dem unterschätzten Secret Beyond the Door eine eigenwillige, die Verbindung zu Blaubart herstellende Variation der Geschichte. In a Lonely Place erkennt das Vorbild an, indem er Mildred Atkinson die Handlung von Althea Bruce nacherzählen lässt. Die fiktive Autorin des ebenso fiktiven Romans hat Elemente aus Rebecca verquirlt und an den Hauptfiguren eine Geschlechtsumwandlung vorgenommen.

    Aus dem Witwer Maxim de Winter, der sich in eine deutlich jüngere Frau verliebt, ist eine Witwe geworden, die sich in einen deutlich jüngeren Mann verliebt. Bei beiden steht der Verdacht im Raum, dass sie Mörder sind. Die erste Mrs. de Winter ist mit ihrem Segelboot untergegangen. Altheas Gatte ist aus der Segelyacht gefallen und ertrunken (ob die Yacht wohl Santana heißt wie die von Humphrey Bogart und seine nach ihr benannte Produktionsfirma?). Die Polizei ermittelt, während sich die Witwe von wechselnden Galanen in Nobelclubs wie das „El Morocco“ ausführen lässt (wo Bogart seit einem seiner Wutanfälle als Gast nicht mehr erwünscht war).

    Manderley, das Herrenhaus in Rebecca, steht in Cornwall (jetzt okkupiert vom ZDF und seinen Rosamunde-Pilcher-Filmen). Althea Bruce verpflanzt es nach Long Island. Dort schaut die schöne Witwe eines Tages aus dem Fenster, sieht den Rettungsschwimmer Channing und verliebt sich. Althea will, dass Channing ihr Luxusleben teilt. Channing aber möchte Bakteriologe werden und sein Studium an der Columbia University beenden (wo sonst, in einem in den Columbia-Ateliers gedrehten Film?). Am Schluss schwimmt Althea hinaus aufs Meer und findet ein nasses Grab an der Seite ihres Gatten, weil Channing ihre Hilfeschreie zu spät hört, um sie noch retten zu können.

    In a Lonely Place

    Mildred erzählt das mit zunehmender Begeisterung und in der Sprache der Ungebildeten. Ein „bachelortorologist“ (Bakteriologe) ist für sie einer, der in die Mikroben ("into the microbes") schaut statt in sein Mikroskop. Channing sieht aus wie ein „bronze Apolo“ (ein bronzener Apollo). Althea wird bei Mildred zu „Alethea“. Vielleicht denkt sie dabei an Aleta, Queen of the Misty Isles in den sonntäglich erscheinenden Prinz-Eisenherz-Comics von Hal Foster. Als Drehbuchautor nimmt Dixon Steele sicher gern zur Kenntnis, was Mildred gelernt hat, seit sie im „Paul’s“ Garderobiere ist: Filmstars erfinden ihre Dialoge gar nicht selbst! Sie werden extra für sie geschrieben.

    Man muss schon eine unbedarfte und kulturferne Person wie diese Mildred sein, sagt der Film, um einen Schmachtfetzen wie Althea Bruce gut zu finden. Das klingt denunziatorischer als es ist. Ray mildert die Publikumsbeschimpfung ab, indem er Martha Stewart Gelegenheit gibt, ihr komisches Talent voll auszuspielen. Unterstützt wird sie durch Humphrey Bogart, der ihr die Bühne überlässt und die Rolle des halb amüsierten, halb entsetzten Zuhörers übernimmt. Diese angenehme, der Partnerin und dem Film zugute kommende Fähigkeit zur Zurückhaltung war nicht jedem Star gegeben.

    Grab her by the pussy

    Nach der Ankunft in der Wohnung verschwindet Steele im Schlafzimmer, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Er zieht Schuhe und Jackett aus und kommt im Bademantel wieder. Das mache er beim Arbeiten immer so, behauptet er, weil er dann besser denken könne. Eben. Was sollte er sonst im Sinn haben, wenn er sich so weit auszieht, wie vom Production Code erlaubt? Dix lässt die Schlafzimmertür offen, sein Bett werden wir noch mehrfach sehen. In a Lonely Place war der fünfte Film, bei dem Nicholas Ray Regie führte. Er hatte längst gelernt, wie der Moralkodex durch die Kraft der Assoziation zu überwinden war.

    Die Komik der Situation ergibt sich daraus, dass Dix die junge Frau mitgenommen hat, um sie in sein Bett zu kriegen (nackt wie die Statue im Innenhof, weil man hier so kultiviert ist wie im Roman mit dem bronzenen Apollo). Jetzt muss er sich aber ein Kitschepos anhören, das auf ihn wirkt wie ein Anti-Aphrodisiakum. Mildred identifiziert sich so sehr mit der schmalzigen Romanhandlung, dass der Film und sein Held nur noch auf Distanz gehen wollen.

    Ray lässt Martha Stewart direkt in die Kamera sprechen, was gegen die Konventionen des kommerziellen Erzählkinos verstößt und als „unrealistisch“ gilt, weil der Blick des als unsichtbarer Beobachter im Vorführsaal sitzenden Zuschauers reflektiert wird (wie bei der einleitenden Autofahrt durch Beverly Hills). Die Kamera weicht erschrocken zurück wie vor dem Monster im Horrorfilm. Mildred folgt ihr, kommt immer näher. Auch als Zuschauer ist man da unangenehm berührt.

    In a Lonely Place

    Ray hat eine an sich konventionelle und doch freche Schuss-Gegenschuss-Konstruktion gewählt, schneidet zwischen Mildred und Dix hin und her. Im Rahmen der von Hollywood vorgegebenen Montageregeln müsste Dix im Gegenschuss in die Kamera schauen wie Mildred, weil das die Illusion erzeugen würde, dass er sie ansieht wie sie (vermutlich) ihn. Dix blickt aber an der Kamera (und Mildred) vorbei. Das ist desorientierend, weil es unsere Sehgewohnheiten unterläuft. Cutter der alten Schule hätten gegen solche Schnittfolgen revoltiert. Für sie war so etwas schlechtes Handwerk und deshalb schädlich für ihren Ruf.

    Für den Schnitt von In a Lonely Place zeichnet Viola Lawrence verantwortlich, nach heutigem Wissensstand die zweite Frau überhaupt, die in Hollywood als Cutterin arbeitete. Für die Freunde von Orson Welles ist ihr Name ein rotes Tuch. Lawrence soll den Columbia-Boss Harry Cohn gewarnt haben, dass das von Welles gedrehte Material für The Lady from Shanghai ein fürchterliches Durcheinander sei, worauf Welles gezwungen wurde, neue Einstellungen zu drehen. Später kürzte sie auf Cohns Anweisung den Film und schnitt ihn um, um ihn hollywoodkompatibel zu machen. Damit, so die Version der Wellesianer, verstümmelte sie ein Meisterwerk.

    Mag sein, dass Viola Lawrence durch die Erfahrung mit Welles ihren Horizont erweiterte; sie wäre nicht die einzige gewesen, die durch ihn dazulernte. Vielleicht fand Ray beim Produzenten Humphrey Bogart die Unterstützung, die Welles gefehlt hatte. Eisenschitz meint, dass Ray wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit tun konnte, was er wollte. Am 25. Oktober wurde in den Columbia-Ateliers die erste Einstellung gedreht. Ende November gab es einen Tag für Außenaufnahmen. Dann war Ray schon wieder weg. Ändern konnte er nichts mehr, weil er bei der RKO Anfang Dezember den nächsten Film beginnen musste (On Dangerous Ground, eine weitere Studie über Männer und ihr Verhältnis zur Gewalt).

    In seinen unorthodoxen Momenten (davon gibt es einige) sieht In a Lonely Place jedenfalls nicht so aus, als sei er von einer Dogmatikerin der reinen Hollywood-Lehre geschnitten worden. Der doppelte Regelverstoß (Blick in die Kamera, „falscher“ Anschluss beim Gegenschuss) zeugt auch nicht von handwerklichem Unvermögen sondern ist eine bewusste ästhetische Entscheidung. Während Mildred mit viel Herzblut die Schmonzette nacherzählt, als wäre sie die Wirklichkeit, reißt uns die nicht regelkonforme Schuss-Gegenschuss-Konstruktion aus der Fiktion heraus, stellt also abrupt die Distanz wieder her, die Mildred abhanden gekommen ist. Der Film will ein kritisches, kein naives Publikum.

    Fenster zum Hof

    Wenn Steele auf ein sexuelles Abenteuer aus war, als er die junge Garderobiere mit nach Hause nahm, hat er sie nach der Schuss-Gegenschuss-Montage da, wo er sie haben wollte. Mildred sitzt vor dem Sofa (seiner privaten Besetzungscouch?), auf dem er es sich bequem gemacht hat. Nichts an ihrem bisherigen Verhalten lässt vermuten, dass sie ihm widerstehen könnte (man beachte im Hintergrund die Skulptur einer nackten Frau und die beiden Photos von Fran, Dix’ Ex-Geliebter, die ihm früher „vorgelesen“ hat). Jetzt noch die Andeutung, dass Mildred eine Rolle in der Verfilmung von Althea Bruce spielen könnte, und es wäre um sie geschehen.

    In a Lonely Place

    Ironischerweise führt aber das Nacherzählen der Romanhandlung nicht zum Geschlechtsverkehr, sondern wird zum Schutzschild für die in sexuelle Gefahr geratene Jungfrau. Althea Bruce schlägt den Ladykiller in die Flucht. Statt Mildred an sich zu ziehen steht Dix plötzlich auf und rettet sich ins Schlafzimmer. Dieses Buch, sagt er, werde er nicht lesen (in des Wortes doppelter Bedeutung). Das ist zunächst einmal sehr komisch. Mildred läuft Dix nicht hinterher, doch ihre lauter werdende Stimme folgt ihm und kommt nun zu der Stelle in der Handlung, wo „Alethea“ und ihr Rettungsschwimmer traumhafte Wochen des Glücks genießen.

    In a Lonely Place

    Dix ringt die Hände und fasst sich an die Stirn, während die Beziehung der Liebenden im Roman in die unvermeidliche Krise gerät. Channing will nicht das Luxusleben der Witwe teilen, sondern sein Studium fortsetzen und sich weiter mit Bakterien beschäftigen. Althea weiß, dass Channing sie durch ein Fenster mit seinem Fernglas beobachten kann. An diesem Fenster fällt sie einem Rechtsanwalt in die Arme, um den Rettungsschwimmer eifersüchtig zu machen. Dix hat inzwischen die Läden des Schlafzimmerfensters geöffnet und schaut hinüber zu Laurel Gray, die im Neglige auf den Balkon ihrer Wohnung tritt.

    Die Wirklichkeit (der Kinofiktion) korrespondiert hier mit der Romanhandlung. Channing kann durch ein Fenster in das Haus von Althea sehen wie Laurel in das Apartment von Dix Steele. Einen Moment lang treffen sich die Blicke der beiden Nachbarn, und zwei Arten von Geschichten: das Kitschepos mit schöner Witwe aus dem amerikanischen Geldadel, Rettungsschwimmer und Herrenhaus auf Long Island (aus dem Off hören wir weiter die Stimme von Mildred Atkinson, die von Althea Bruce berichtet) und die auf schmerzliche Weise dem echten Leben nachempfundene Liebesgeschichte zwischen Dix Steele und Laurel Gray, die der Film uns jetzt erzählen wird.

    In a Lonely Place

    Blicke etablieren in Rays Filmen Loyalitäten. Erst schaut Dix an Mildred vorbei, dann sehen er und Laurel sich über den Innenhof hinweg direkt an (interessant wäre ein Vergleich mit Rear Window, wo Hitchcock den Hof nach New York verlegt hat und ebenfalls der McCarthyismus reflektiert wird). Von da an will Dix Mildred, die prospektive Bettgefährtin, nur noch loswerden und auch von Schnulzen wie Althea Bruce nichts mehr wissen. Das Buch wirft er achtlos in die Ecke. Damit Mildred nicht genauso behandelt wird wie der Roman wendet Ray die Szene wieder ins Komische, indem er die traditionellen Rollen vertauscht.

    In a Lonely Place

    Dix setzt eine Leidensmiene auf und fasst sich an den Kopf. Wahrscheinlich hat er jetzt Migräne. Das bewahrt ihn nicht vor der Information, dass Mildred einen langweiligen, sehr durchschnittlichen Verlobten hat, den sie nicht liebt. Einer Beziehung mit einem berühmten Drehbuchautor, das zeigen Dialog und Körpersprache, wäre sie nicht abgeneigt. Was mit Dix als Verführer begann endet mit einem Mann in Bedrängnis. Schließlich fällt ihm ein, dass es schon spät ist und er am nächsten Morgen sehr früh raus muss. Statt Mildred nach Hause zu fahren gibt er ihr Geld fürs Taxi - so wie er einer Prostituierten Geld für geleistete Dienste geben würde.

    Am Ende des Mildred-Teils sind wir wieder auf der schäbigen Ebene angelangt, auf der er begonnen hat. Ein alternder, seit längerer Zeit erfolgloser Drehbuchautor hat sich von seiner Geliebten getrennt und lockt die junge und naive Garderobiere seines Stammlokals unter einem Vorwand zu sich nach Hause, weil er mit ihr schlafen will. Dann verliert er das Interesse, steckt ihr ein paar Dollarscheine zu und schickt sie weg. Wie man von da zu Donald Trump kommt klären wir im nächsten Teil:

    Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
    https://www.heise.de/tp/features/Freies-Unternehmertum-zwei-Frauenleichen-und-ein-Blumentraeger-3739005.html
    18. Juni 2017 Hans Schmid

    An einem einsamen Ort, Teil 2

    Teil 1: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump

    Heute auf dem Programm: Gloria Grahame wird ihre eigene Schwiegertochter - Mildred Atkinson und die „Schwarze Dahlie“ - Captain Lochner moralisiert - Dixon Steele schaut sich Leichenphotos an - Joseph McCarthy entlarvt 205 Subversive - Mr. Baker baut Laurel Gray einen Swimmingpool und Nicholas Ray hängt ihr einen Rivera an die Wand - Henry Fonda spielt Kontrabass - Donald Trump findet einen Mentor - Audrey Hepburn erkennt ihr New York nicht wieder.

    Böser Zauber

    In a Lonely Place macht ernst mit der alten Weisheit, dass die Komödie die Schwester der Tragödie ist. Der Drehbuchautor Dixon Steele lockt die Garderobiere Mildred Atkinson unter dem Vorwand, dass sie ihm den Inhalt des Romans Althea Bruce erzählen soll, in seine Wohnung, um sie in sein Bett zu kriegen. Die Situation nimmt eine komische Wendung, als der Verführer durch Mildreds Naivität selbst in Bedrängnis gerät und sie lieber wegschickt, als noch mehr Details aus dem Buch hören zu müssen.

    In a Lonely Place

    Beschwingt und begleitet von heiterer Musik durchquert Mildred den Innenhof der Wohnanlage und geht hinaus in die Nacht, wo der Tod auf sie wartet. Einmal werden wir sie noch sehen, als Leiche auf den Tatortphotos der Polizei. Ray hatte einen mitunter sardonischen Humor. Mit Mildred wird die einzige Figur im Film umgebracht, die Althea Bruce gelesen hat und davon begeistert war. Das ist eine radikale Absage an die Verlogenheit der Schmonzetten, mit denen die Unterhaltungsproduzenten das Eskapismusbedürfnis des Publikums bedienen.

    In a Lonely Place

    Für Nicholas Ray war die Kamera ein Instrument der Wahrheitsfindung, nicht der Verschleierung. Einer der großen Romantiker Hollywoods war er auch. Bei ihm war die Romantik Teil seiner Kunst und der Hoffnung geschuldet, nicht dem Zynismus der Herz-Schmerz-Industrie. Von den schlechten Geschichten, die diese Industrie bevorzugt, kann ein Fluch ausgehen, sagt sein Film. Mel Lippman, Dix’ Agent, gibt sein Exemplar von Althea Bruce an Mildred weiter. Ihr Schicksal ist damit besiegelt wie im Märchen oder im Horrorfilm, wo einen der Teufel holt, wenn man ein verhextes Stück Papier annimmt.

    Bevor wir etwas über den Inhalt des Romans erfahren erhalten wir die Information, dass Mildred den Schluss zuerst gelesen hat. Da stirbt Althea Bruce, als Folge eines Eifersuchtsdramas und einer Liebe, die den Partner ganz besitzen will. Für den weiteren Verlauf des Films ist das ein schlechtes Omen. Für Mildred bedeutet es den Tod. Ein paar Stunden, nachdem sie Steeles Wohnung verlassen hat, um fünf Uhr morgens, klingelt Brub Nicolai an der Tür. Dix wird aus dem Schlaf gerissen und gerät trotzdem in einen Albtraum. Er und Brub sind Kriegskameraden, aber ein Freundschaftsbesuch ist das nicht. Brub ist bei der Mordkommission und soll Dix aufs Revier bringen.

    In a Lonely Place

    Jemand hat Mildred Atkinson erwürgt. Sie ist so tot wie die Heldin des Romans, den Dix seinem alten Freund beim Anziehen zuwirft. „Kürzlich ein gutes Buch gelesen?“, fragt er spöttisch. Dabei wäre das gar nicht so dumm. Brub und sein Vorgesetzter, Captain Lochner, sollten Althea Bruce lesen, weil sie dann das Mordmotiv kennen würden (Eifersucht und die Liebe in ihrer besitzergreifenden Variante) und wüssten, wer der Täter ist. Dix ahnt gleich, dass Henry Kesler, Mildreds Verlobter, der Mörder ist und macht sich über die Polizisten lustig, die nicht genug Filme gesehen haben und darum den Fall nicht lösen können.

    Kubus der Umstände

    Wer sich jetzt ärgert, weil ich verraten habe, wer Mildred Atkinson getötet hat, darf sich beruhigen. Nicholas Ray interessiert sich so wenig für die Suche nach dem Mörder wie sein Held, der Drehbuchautor Dixon Steele, weil keiner von den beiden die übliche, sich auf ausgetretenen Pfaden bewegende Geschichte erzählen will. Das bedeutet nicht, dass die Charaktere des Films und die des darin nacherzählten Schundromans in gänzlich voneinander getrennten Welten agieren würden, wie schon das Ende von Mildred zeigt. Wer aber denkt, dass die Wirklichkeit eine Schmonzette ist, den bestraft das Leben.

    Ray hat einen Film gedreht, der den Bereich zwischen Fiktion und Realität erforscht. Dix scheint sich ironischerweise nicht bewusst zu sein, dass sich Handlungselemente des Romans, über den er verächtlich die Nase rümpft, in der Liebesgeschichte spiegeln, die er selbst mit Laurel Gray erlebt, so wie sich Autobiographisches aus dem Leben der Beteiligten in der Filmhandlung widerspiegelt, von Humphrey Bogarts alias Dix Steeles Neigung zu Wutanfällen in Prominentenlokalen bis zum Scheitern von Rays Ehe mit Gloria Grahame, die ihr Echo im Scheitern der Liebesbeziehung zwischen Dix und Laurel fand.

    So ist denn auch nicht immer klar, wo die Wirklichkeit aufhört und wo die Fiktion beginnt. Ray wollte einen Film über eine Beziehung machen, die unter äußeren und inneren Zwängen zerbricht. Parallel dazu erreichte die Ehe mit Gloria einen Tiefpunkt. Ray verließ das gemeinsame Haus in Malibu und übernachtete während der Dreharbeiten in einer Garderobe auf dem Columbia-Gelände. Weil niemand von der Ehekrise wissen sollte behauptete er, Probleme mit dem dritten Akt des Films zu haben und lieber im Studio an einer Lösung arbeiten zu wollen als jeden Abend nach Malibu zu fahren.

    Die Geschichte ist in verschiedenen Versionen überliefert. Mir persönlich gefällt die am besten, in der Ray in den Kulissen übernachtet, im Schlafzimmer von Dixon Steele. Leider ist das Unsinn (und das Zimmer eine Illusion aus Studiowänden und Montage). Viele Freunde hat die Variante, in der Nick Gloria mit Tony, seinem damals 13-jährigen Sohn aus erster Ehe, im Bett erwischt und daraufhin wieder in sein altes Apartment in der Villa Primavera zieht, das man offenbar in den vergangenen Jahren für ihn freigehalten hatte. Knapp vorbei ist auch daneben. Ray kehrte nicht zurück in die Villa Primavera, sondern ließ sie in den Columbia-Studios nachbauen, damit die Filmfigur Dixon Steele und die von seiner Noch-Ehefrau Gloria Grahame gespielte Laurel Gray dort wohnen konnten.

    Tony Ray in John Cassavetes’ Film Shadows (1959)

    1960 sorgte Gloria für einen Skandal, als sie einen erfolglosen Schauspieler namens Tony Ray heiratete, ihren ehemaligen Stiefsohn. Von Nick war sie seit 1952 geschieden. Er war jetzt ihr Ex-Gatte und außerdem ihr Schwiegervater, bis sie sich auch von Tony scheiden ließ. Zwischen den Ehen mit Vater und Sohn Ray war sie drei Jahre mit dem Drehbuchautor und Regisseur Cy Howard verheiratet. Howard hatte eine Tochter (Paulette) mit Gloria und verwickelte seine Ex-Frau 1964 in einen Sorgerechtsstreit, den die Presse genüsslich ausschlachtete, mit komplizierten Familienverhältnissen in all ihren Verästelungen.

    Gloria Grahame und Cy Howard

    Howards Anwalt trug vor, dass Paulette in der Schule schlechte Betragensnoten habe, von ihrer Mutter nicht religiös erzogen werde und unter einer „ungesunden häuslichen Atmosphäre“ leide, die ein Ergebnis der „ungewöhnlichen und höchst peinlichen ehelichen Beziehung der Beklagten“ sei: „Die Beklagte hat wieder geheiratet und lebt derzeit mit ihrem vierten Ehemann, der 15 Jahre jünger ist als sie. Ihr vierter Ehemann ist der Sohn ihres zweiten Ehemanns aus einer anderen Ehe. Ihr vierter Ehemann ist auch der Halbbruder und zudem der Stiefvater eines Jungen, der das Kind aus der Ehe der Beklagten mit ihrem zweiten Gatten ist.“

    „Wenn Gloria sich nicht von mir hätte scheiden lassen“, ergänzte Howard, „wäre sie vielleicht nie ihre eigene Schwiegertochter geworden.“ Tony verfasste später einen Schlüsselroman, in dem er sich offenbar mit Ödipus verglich, und Gloria mit Phädra und mit Hippolyte, der Königin der Amazonen. Glorias Biograph Vincent Curcio zitiert aus einem Brief, in dem Tony schreibt, die wahre Geschichte hinter dem von den Medien ausgeschlachteten Skandal sei die „von zwei jungen Leuten gewesen, die sich verliebten, während sie in einem ungewöhnlich konstruierten Kubus der Umstände gefangen waren“. Das klingt nach Althea Bruce. Vielleicht ganz gut, dass der Roman nie veröffentlicht wurde.

    Bilderschauen

    Die dominante geometrische Figur in In a Lonely Place ist das Rechteck (weil auch die Leinwand, auf der wir die Einfluss auf unser Leben nehmenden Fiktionen sehen, rechteckig ist). Am auffälligsten ist das im Büro von Captain Lochner. Der Chef der Mordkommission sitzt vor einer mit Tatortphotos dekorierten Wand, angeordnet in Rasterform. Das ist der Ausdruck seiner Art von Kreativität. Der Mann pflegt das Denken in Kästchen. Durch die Kästchen sieht er die Welt - in Ausschnitten, die in einen vorgegebenen Rahmen eingefügt werden.

    In a Lonely Place

    Neben dem Fenster hängt eine gerahmte Kriminalstatistik. Wenn ich die ansteigenden Kurven und die Kästchen richtig interpretiere wird alles immer schlimmer. Während der Vernehmung bringt Brub die frisch entwickelten Bilder von der toten Mildred Atkinson herein. In diesem Film gibt es Tatortphotos, aber keinen Tatort. Es gibt auch keine Szene mit Lochner außerhalb des Polizeireviers, wo der Ermittler gezwungen wäre, die Statistik und sein gerahmtes Bild von der Welt mit der Realität abzugleichen. Sein einziger Ausflug in die Wirklichkeit führt ihn in den fensterlosen Korridor eines Hospitals.

    In a Lonely Place

    „Wollen Sie ein paar Bilder sehen?“, fragt Lochner und gibt sie an Dix weiter. Ray positioniert die Kamera dabei so, dass wir von oben auf die Photos von der toten Frau blicken können. Der Mörder hat die Tote aus einem fahrenden Auto geworfen. So etwas hatte man bis dahin in einem amerikanischen Film so gut wie nicht gesehen, und schon gar nicht in dieser Länge. Ray lässt uns eine halbe Minute Zeit, um zusammen mit Dix die Bilder zu betrachten. Die tote Frau am Straßenrand erinnert an eine der berühmtesten Leichen der amerikanischen Kriminalgeschichte, an das Opfer im bis heute nicht aufgeklärten Black-Dahlia-Fall.

    Elizabeth Short

    Im Januar 1947 wurde auf einem unbebauten Grundstück in Los Angeles der nackte, an der Hüfte durchtrennte und verstümmelte Körper von Elizabeth Short entdeckt. Das löste ein enormes Medienspektakel aus, mit ständig neuen Verdächtigen, halbwahren oder frei erfundenen Enthüllungen über das Privatleben des 22-jährigen Opfers und Photos, deren Veröffentlichung kurz zuvor noch schwer vorstellbar gewesen wäre, obwohl zumeist retouchierte, von Polizisten an die Presse weitergegebene Tatortphotos keine Seltenheit mehr waren.

    Ein Pionier dieser ganz speziellen Form von Öffentlichkeitsarbeit war J. Edgar Hoover, der Chef des FBI, der William Randolph Hearst seit den frühen 1930ern mit Material für seine Revolverblätter versorgte und sich dadurch eine überaus positive Darstellung seiner Tätigkeit sicherte. Je wüster die Verbrechen, und umso alarmierter die Öffentlichkeit, desto leichter war es, mehr Geld und Kompetenzen für die Polizei- und Überwachungsbehörden zu erhalten. Die im harten Wettbewerb stehenden Zeitungen und Radiosender hatten ihre eigenen Interessen, die Steigerung der Auflage und der Hörerzahlen.

    Aus der dunkelhaarigen Elizabeth Short, die ein ziemlich armseliges, unglamouröses Leben geführt hatte, wurde die „Schwarze Dahlie“. Der von den Medien erfundene Name geht auf den Film The Blue Dahlia zurück, wo die ehebrecherische Gattin eines Kriegsveteranen ermordet wird und Alan Ladd auf die geheimnisvolle Veronica Lake trifft. Das Kostüm, das Elizabeth Short vor ihrem Verschwinden getragen hatte, verwandelte sich in einen hautengen Rock. Auf den Titelseiten mancher Zeitungen waren Photos von der Leiche abgedruckt, die nach der Bearbeitung durch die Bildredaktion unter einer Decke lag - mit dem Versprechen auf mehr im Inneren.

    Sehr hilfreich war eine uralte, bei der Black Dahlia besonders skrupellos eingesetzte Taktik: Man kleidete das Sensationelle in das Mäntelchen der Moral. Die tragische Geschichte der Elizabeth Short wurde zum warnenden Beispiel für alle jungen Frauen umfunktioniert, die, von einer Filmkarriere träumend, nach Los Angeles kamen und sich dort in Gefahr begaben. Das wiederum rechtfertigte eine drastische Berichterstattung, der abschreckenden Wirkung wegen. Für die PR-Abteilungen der Filmstudios war das ein noch größerer Albtraum als die Ermordung Mildred Atkinsons für Dixon Steele.

    Die bessere Geschichte

    Nachrichten hatten damals eine viel längere Halbwertzeit als heute. 1950, als In a Lonely Place in die Kinos kam, waren der Mord an Elizabeth Short und die sensationellen Begleitumstände noch immer für Schlagzeilen und Sondersendungen im Radio gut. Ray durfte also mit einem Publikum rechnen, bei dem die Bilder von der toten, wie Abfall an den Straßenrand geworfenen Mildred Assoziationen an die „Schwarze Dahlie“ wecken würden. Durch diesen Kriminalfall war ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden, dass Hollywood nicht nur ein einsamer Ort sein konnte (für die Erfolglosen), sondern auch einer der Gewalt gegen Frauen.

    Ray geht es nicht um die Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse, wenn er uns eine halbe Minute lang die tote Mildred Atkinson zeigt. Diese Bilder verknüpfen vielmehr mehrere Themenstränge des Films. Ray war darin ein Meister. Die Photos von der zerteilten Elizabeth Short wurden zum Gegenstand einer makabren Mutprobe. Man bewies die eigene Tapferkeit, indem man sich anschaute, was der Mörder mit dem Frauenkörper gemacht hatte, ohne den Blick abzuwenden. Ray holt das zurück auf das Feld der Kriminalgeschichte, wo der Verdächtige traditionell mit den Folgen der Tat konfrontiert wird.

    Üblicherweise dienen solche Konfrontationen dazu, dass der Polizist aus der Reaktion des Verdächtigen Rückschlüsse auf dessen Schuld oder Unschuld ziehen kann. Hier erfährt man über beide etwas, über Lochner wie über Dix Steele. Carl Benton Reid, der Darsteller des Polizisten, war auf Schurken, Patriarchen und Vertreter der Staatsmacht spezialisiert, weil er etwas Strenges und Unnachgiebiges ausstrahlte. Als Captain Lochner kombiniert er dieses Auftreten mit einer moralisierenden Haltung. Die provozierende Arroganz, hinter der Dix Steele seine Verletzlichkeit verbirgt, wirkt wie ein rotes Tuch auf diesen Polizisten.

    In a Lonely Place

    Lochner hält Steele eine Standpauke, weil dieser auf die Nachricht von Mildreds Ermordung nicht mit „Erschrecken, Entsetzen, Mitleid“ reagiere, sondern mit „Gereiztheit wegen der Vernehmung und ein paar blöden Witzen“. „Zugegeben, die Witze hätten besser sein können“, antwortet Dix und gießt damit Öl ins Feuer, „aber ich verstehe nicht, warum Ihnen der Rest Sorgen machen sollte.“ Dabei sollte er selbst es sein, der sich Sorgen macht. Das Gefühl der intellektuellen Überlegenheit hindert ihn daran zu verstehen, dass er und Lochner in verschiedenen Szenarien unterwegs sind, mit für ihn dramatischen Konsequenzen.

    Die Szene in Lochners Büro verbindet die polizeiliche Vernehmung mit dem Kerngeschäft von Hollywood, dem Erzählen von Geschichten in Bildern und Dialogen. Dix erklärt, er habe Mildred mit nach Hause genommen, um sich von ihr den Inhalt des Romans erzählen zu lassen, aus dem er ein Drehbuch machen soll. Lochner glaubt das nicht und hegt den - nicht ganz abwegigen - Verdacht, dass Steele nur mit Mildred schlafen wollte. Nachdem der Film (siehe Teil 1) das Vorlesen von Büchern als Umschreibung für sexuelle Aktivitäten eingeführt hat wendet der Polizist dasselbe Prinzip an und unterstellt, dass auch mit dem Nacherzählen von Buchinhalten der Geschlechtsverkehr gemeint ist.

    Ironischerweise reagiert Lochner damit wie ein Kinozuschauer, der sich daran gewöhnt hat, dass der Production Code den Sex verbietet und daher mit einer zweiten Bedeutungsebene zu rechnen ist, die Filmemacher einziehen, um den Moralkodex und seine Regeln zu umgehen. Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt wird die Frage wichtig, für welche man sich entscheidet und welche Version die Oberhand gewinnt. Seit dem Aufstieg der Populisten und ihrer extremen Vereinfachung komplexer Zusammenhänge ist das ein großes Thema.

    Die Talkshows des Fernsehens holen sich jetzt Expertendarsteller ins Studio, die von der Entdeckung des „Narrativs“ berichten, als handele es sich um eine Frucht, die gerade erst vom Baum der Erkenntnis gefallen ist. Für einen wie Dix Steele, der mit so etwas sein Geld verdient, ist das ein alter Hut. Er drückt es nur weniger geschwollen aus. Lochner, sagt er später zu seinem Agenten Mel Lippman, musste ihn gehen lassen, weil er die bessere Geschichte erzählen konnte (eine, in der er nicht der Mörder von Mildred Atkinson ist). Allerdings unterschätzt der Autor, der davon träumt, ein vielschichtiges, der Komplexität des Lebens und der Liebe gerecht werdendes Drehbuch zu schreiben, die Beharrungskräfte des Trivialen.

    Melodramatische Ermittlungen

    Lochners Wahrnehmung der Welt und des menschlichen Verhaltens ist oberflächlich und melodramatisch, als wäre er durch eine mit Stereotypen arbeitende Unterhaltungsindustrie konditioniert. Wie, fragt er Brub Nicolai, reagieren unschuldige Leute, die man um fünf Uhr morgens aus dem Bett holt, zum Revier bringt und denen man eröffnet, dass die Frau ermordet wurde, mit der sie den Abend verbracht haben? Antwort: Sie sind schockiert und außer sich. Lochner tippt auf Dix als Täter, weil er sich cool und abgeklärt gibt, statt sich als Nervenbündel die Haare zu raufen.

    Drehbuch und Regie erteilen Captain Lochner eine Lektion, wenn ausgerechnet der wahre Täter als Verdächtiger ausscheidet, weil er sich an die Hollywoodkonventionen hält und das Verhalten an den Tag legt, das für den Polizisten gleichbedeutend mit Unschuld ist. Harry Kesler, Mildreds Verlobter, hat im Gegensatz zu Dix geregelte Arbeitszeiten, nimmt keine Frauen für sexuelle Abenteuer mit nach Hause, weil er noch bei seinen Eltern wohnt und ist den Tränen nahe, wenn er aufs Revier kommt, um sich nach Mildred zu erkundigen, deren Verbleib ihm angeblich ein Rätsel ist (nachdem er sie getötet und aus dem Auto geworfen hat).

    Keslers Auftritt als trauernder Verlobter, den Lochner so überzeugend findet, weil der Mann vor Betroffenheit aus allen Nähten zu gehen scheint, kriegen wir so wenig zu sehen wie den Produzenten Burt Brodie, der Schmonzetten dieser Machart fordert. Ray will so etwas in seinem Film nicht haben. Die melodramatische Darbietung wird im Dialog kurz nacherzählt wie der Inhalt von Althea Bruce, dem Dix ein paar brauchbare Teile entnimmt, als Gerüst für ein Drehbuch, das mit der Vorlage, einem typischen Stoff für die Traumfabrik, nur noch bedingt zu tun hat.

    Lochners von Vorurteilen und melodramatischen Erwartungen gelenkte Ermittlungen kommentiert der Film mit Understatement, als Gegenentwurf zum ortsüblichen Pathos der falschen Gefühle, die nur eine Lüge sind. Wer sich nicht zu sehr durch die Photos von der Leiche und Lochners Polizeifragen ablenken lässt hört zwischen dem genretypischen Gerede über Zeugen und Alibis ein leises „Poor kid“, mit dem Dix auf den Anblick der Bilder reagiert. Das ist die Emotion, die Lochner bei seinem Verdächtigen vermisst. Allerdings ist sie privat und nicht für das Protokoll bestimmt.

    In a Lonely Place

    In a Lonely Place belohnt das genaue Hinschauen (und Hinhören). Man erfährt dann mehr über die Charaktere als das, wofür sich die Polizei interessiert. Nach der Vernehmung geht Dix zu Fuß nach Hause. Ein Blumenladen hat so früh schon geöffnet. Vor der Tür spritzt ein Angestellter den Gehsteig ab. Dix zeigt wieder Gefühl und lässt zwei Dutzend weiße Rosen an die Adresse von Mildred Atkinson schicken - ohne Karte und Absender, weil es die Geste eines sehr auf den Schutz seiner Privatsphäre bedachten Mannes ist, die keinen etwas angeht. Zu dem Bild vom emotionslosen Mörder, das sich Lochner von ihm macht, passt das gar nicht.

    Andererseits hat Dix eine Mitschuld an Mildreds Tod. Er hat sie mitten in der Nacht mit dem Geld fürs Taxi aus der Wohnung komplimentiert, statt sie wie versprochen nach Hause zu fahren oder wenigstens zum Taxistand zu begleiten. Auf dem Heimweg wurde sie ermordet. Das könnte jetzt der Versuch sein, sich mit zwei Dutzend Rosen von dieser Schuld freizukaufen. In a Lonely Place ist ein Film der Ambivalenz. Ständig werden Fragen aufgeworfen, die der Fortgang der Handlung beantwortet oder nicht. Wer sich von diesem Film die ordentlich gerahmte Schwarzweißwelt eines Captain Lochner erwartet, mit klarer Trennung zwischen Gut und Böse, Schuld und Unschuld, liegt ganz falsch.

    Luft und Liebe

    Der Angestellte des Blumenladens ist Afroamerikaner. Ray hat immer wieder schwarze Schauspieler beschäftigt. Aus heutiger Sicht kann man einwenden, dass das nur eine winzige Nebenrolle ist, in einer untergeordneten Position. Für das US-Kino der Nachkriegszeit waren solche Besetzungen ungewöhnlich, weil da eine möglichst weiße Gesellschaft gezeigt wurde. Ein schwarzer Darsteller als Blumenverkäufer auf einer Straße in Los Angeles und also als Teil des öffentlichen Lebens (nicht als Butler im Herrenhaus) war vor diesem Hintergrund sehr auffallend. Der Blumenverkäufer ist außerdem auf eine subtile Weise in den Film und seine Themen integriert, wie wir noch sehen werden.

    Lochner könnte durch das Beobachten dieser Szene eine Menge lernen, unterhält sich aber lieber mit Brub Nicolai über Schuld oder Unschuld des Verdächtigen (Schuld durch nicht normgerechtes Verhalten), während Dix die Rosen kauft. Freudianer seien auf die am Tatort gefundene Handtasche hingewiesen, die Brub während des Gesprächs mit allerlei Gegenständen füllt. In Freuds Traumdeutung ist die Tasche ein Vaginalsymbol. Am Schluss stopft Brub die beiden 10-Dollar-Scheine hinein, die Dix Mildred für das Taxi gegeben hat und von denen Lochner denkt, dass sie die Bezahlung für sexuelle Dienste waren. So wird das Mordopfer posthum vergewaltigt, durch das Versagen der Polizei.

    In a Lonely Place

    Bleiben wir noch einen Moment bei der halbminütigen Einstellung mit den Photos von der toten Mildred. In ihr treffen sich alle Themenstränge des Films. Sie ist die Schnittstelle zwischen Gewalt und Polizei, Männern und Frauen, Politik und Gesellschaft, Privatsphäre und Schnüffelei. Im Off sagt Lochner sattsam bekannte Polizistendialoge auf: Wann hat Mildred Steeles Wohnung verlassen? Kann jemand bezeugen, dass er nicht mit ihr weggegangen ist? Beim Betrachten der Bilder fällt Dix die neue Nachbarin ein. Ray überblendet von den Photos mit der Leiche auf eine Einstellung, in der einer von Lochners Männern, Ted Barton, Laurel Gray ins Revier bringt.

    In a Lonely Place

    Laurel ist Dix’ Alibizeugin und zugleich die Frau, in die er sich verliebt. Wenig später sind sie ein Paar, und Dix fasst die bisherigen Ereignisse so zusammen: „Ich habe seit langem nach jemandem gesucht. Ich wusste weder ihren Namen noch wo sie wohnt. Ich hatte sie nie zuvor gesehen. Dann wurde ein Mädchen getötet, und deshalb fand ich, was ich suchte.“ Das ist einer dieser hemmungslos romantischen Dialoge, die für die Filme von Nicholas Ray charakteristisch sind und die plötzlich, von einem Satz zum anderen, von der Licht- auf die Schattenseite kippen können, weil Ray eigentlich immer Liebesfilme gedreht hat, ganz egal in welchem Genre, aber nie eine Schnulze mit Gefühlskitsch und Realitätsverweigerung.

    In a Lonely Place

    Der Tod von Mildred Atkinson, das Ende ihres Lebens, ist der Anfang der Liebesgeschichte zwischen Dix und Laurel. Dix küsst Laurel beim zitierten Dialog das erste Mal. Dabei legt er ihr die Hand an den Hals. Wahrscheinlich würde das auch dann bedrohlich wirken, wenn wir es nicht in einem Film sehen würden, in dem der von der Polizei gesuchte Täter weniger als 24 Stunden davor eine junge Frau erwürgt hat. Dix wird Laurel nicht die Luft abwürgen, weil das kein Film über einen Mörder ist, aber dieser erst durch ein Ende möglich gewordene Anfang signalisiert bereits, was kommen wird. Wir werden miterleben, wie eine große Liebe unter äußeren und inneren Zwängen zerbricht.

    In a Lonely Place

    Blumenträger

    Im Hintergrund - wir sind in Laurels Apartment - hängt ein berühmtes Bild an der Wand: Der Blumenträger von Diego Rivera (dem Mann von Frida Kahlo). Der Bürgerschreck Rivera war ein enfant terrible der Kunstszene und ein unorthodoxer, von der KP seines Heimatlandes Mexiko schließlich von der Mitgliederliste gestrichener Kommunist. In den USA wurde er durch seine monumentalen Wandgemälde bekannt. 1933 löste er einen der größten Kunstskandale der US-Geschichte aus, weil er sein für die Lobby des Rockefeller Center geschaffenes (und 1934 von den Auftraggebern zerstörtes) Mural nicht nur für eine marxistische Kritik am Kapitalismus nutzte, sondern auch noch Lenin als den Repräsentanten einer neuen, besseren Gesellschaft in das Bild malte.

    In a Lonely Place

    Rivera war ein Held der Linken und auch der Gegner der Zensur (er weigerte sich, Lenin wie gefordert zu übertünchen und bezahlte dafür mit dem Wegfallen der Aufträge amerikanischer Konzerne, die sich bis dahin gern mit ihm geschmückt und so ihre - begrenzte - Toleranz zur Schau gestellt hatten). Für die Patrioten von Rechtsaußen war er der Antichrist. Sein Einfluss blieb beträchtlich. Man kann das an den Wandmalereien erkennen, die im Rahmen der von Roosevelts Works Progress Administration finanzierten Kunstprojekte entstanden. Ray hatte seine künstlerischen Wurzeln im Federal Theater, dem Theaterprojekt der WPA, zitiert mit dem Blumenträger also seine eigene Vergangenheit an.

    Frida Kahlo und Diego Rivera (1932)

    Eine gängige Interpretation zu Riveras Cargador de Flores ist die, dass in dem Bild ein Mann dargestellt ist, der unter der Last zusammenbricht, die ein Arbeiter im Kapitalismus zu tragen hat. Die Blumen in Korb sieht er aus seiner Stellung als Träger nicht. Sie symbolisieren das Schöne, das der ausgebeutete Landarbeiter zu den Reichen schleppt, die sich die farbigen Blüten leisten können, während er selbst kaum das Geld für sein Essen hat. Man könnte in Dixon Steele also einen Kulturarbeiter sehen, der uns das Schöne bringt, an seiner Aufgabe als Drehbuchautor im gewinnorientierten Hollywood aber schwer zu tragen hat.

    Im Rahmen dieser Deutung käme Laurel die Rolle der Frau zu, die dem Blumenträger hilft, sich aufzurichten. Tatsächlich ist sie nicht nur Dix’ Muse, sondern auch die Geliebte, die für ihn sein Manuskript abtippt, während er sich von den Mühen der Kreativität erholt. Die Vorstellung von der Frau als dem Manne untergeordnetes Hausmütterchen und als Sekretärin ist da nicht weit. Für einen so vielschichtigen Film wie diesen wäre das aber zu simpel. Auf die Beziehung von Dix und Laurel werden wir noch zurückkommen müssen.

    In a Lonely Place

    Hier sei einstweilen an den schwarzen Blumenverkäufer erinnert, der für Dix zwei Dutzend weiße Rosen an die Adresse der toten Mildred schickt. Ray hat einiges unternommen, um eine assoziative Verbindung zwischen Verkäufer und Träger zu schaffen. Das merkt man, wenn man den Weg nachzeichnet, den Dix einmal zurücklegen muss, um zu Laurel zu kommen. Als Bindeglieder sehen wir zuerst einen Mr. Swan (Schwan), der Laurels Kleider aus der Reinigung bringt und dann Effie, die Laurels Wohnung putzt. Dazu passend spritzt der Verkäufer mit einem Gartenschlauch den Dreck der vergangenen Nacht vom Gehsteig, wenn Dix ihm vor dem Laden begegnet.

    Der Blumenverkäufer, Mr. Swan und Effie die Putzfrau sind drei Glieder in einer Kette von Leuten, die dafür sorgen, dass die Privilegierten ein sauberes Trottoir benutzen, frisch gereinigte Klamotten tragen, ein geputztes Apartment bewohnen und am Schluss, wenn alles vorbei ist, in einem mit Blumen geschmückten Grab liegen können. Das gilt dann sogar für Mildred Atkinson, die den Gästen im Promilokal die Hüte reicht und dabei von einem besseren Leben träumt, wie es die Produkte der Unterhaltungsindustrie versprechen, als Kaufanreiz.

    Kommunistische Unterwanderung

    Ray hat da eine elegante Möglichkeit gefunden, eine beim bekennenden Kommunisten Diego Rivera andockende Gesellschaftskritik zu üben. Er war immer dann am besten, wenn er seine Botschaft nicht in klassenkämpferische Dialoge verpackte oder sie mit großen Gesten transportierte, sondern aus subtilen Hinweisen zusammensetzte. Man muss nur genau hinschauen, um sie zu erkennen. Viel mehr wäre 1949 kaum möglich gewesen.

    Wir reden hier von einem durch den Production Code reglementierten Film, der zwei Jahre nach der ersten großen Anhörungsrunde des Repräsentantenhauses zur kommunistischen Infiltration in Hollywood entstand. Nach Ansicht mancher Ausschussmitglieder war man als Filmkünstler bereits ein Subversiver, wenn man „verfrüht“ gegen Hitler und Franco gewesen war (ein ganz schlimmer „premature anti-Fascist“ war Orson Welles) oder ein Anhänger des New Deal, mit dem Roosevelt die Finanzmärkte reguliert, eine moderate Umverteilungspolitik von oben nach unten auf den Weg gebracht und das Fundament für einen (sehr bescheidenen) Sozialstaat gelegt hatte, an dessen Abwicklung der rechte bzw. marktradikale Flügel der Republikanischen Partei seither arbeitet.

    Durch das Mittel der Assoziation holt Ray Menschen und Ideen in das Apartment von Laurel Gray, die dort nach landläufiger Meinung nichts zu suchen hatten, weil so etwas in einer von Paranoia und rechtem Populismus geprägten Phase der amerikanischen Geschichte im Ruch der kommunistischen, von Moskau aus gesteuerten Unterwanderung stand. Die Assoziationskette beginnt mit dem schwarzen Blumenverkäufer auf einer Straße in Beverly Hills und endet mit dem mexikanischen Landarbeiter in den im Spanish-Revival-Stil gebauten „Beverly Patio Apartments“, im Gemälde von Rivera. Dieser Film hat nicht die Absicht, eine Mauer zu bauen.

    Wenn Ray Laurel Gray ein Bild von Diego Rivera in die Wohnung hängt ist das also ein politisches, je nach Zuschauer mehr oder weniger kodiertes Statement, das man im Hollywood der McCarthy-Ära nicht direkt abgeben konnte. Ray propagiert da nicht die kommunistische Weltrevolution, er zeigt sich solidarisch mit den Opfern des Rufmords und der Gesinnungsschnüffelei. Der Blumenträger ist auch in The Prowler zu sehen, einem Anti-McCarthy-Film von Joseph Losey. Sogar in I Married a Communist (1949) taucht er auf, einem berüchtigten antikommunistischen Propagandafilm der RKO.

    The Prowler

    Das Bild hängt in der Wohnung einer kommunistischen Agentin, aber die Umstände sind verdächtig. Die Historiker, rechten Blogger und republikanischen Politiker aus dem Umfeld der Tea- Party-Bewegung, die seit Jahren an der Rehabilitierung von Joseph McCarthy arbeiten, sollten sich diesen Film genauer anschauen. Wer hat den Blumenträger eingeschmuggelt? Was für ein Abgrund an Landesverrat sich da auftut kann man erst ermessen wenn man weiß, dass I Married a Communist (auch als The Woman on Pier 13 verliehen) der Lackmustest von RKO-Boss Howard Hughes für die rechte Gesinnung seiner Angestellten war.

    I Married a Communist

    Kampf gegen den New Deal

    Loseys Erinnerung nach war er der erste von 13 Regisseuren, denen Hughes den Film zur Inszenierung anbot, um ihren Patriotismus zu prüfen. Kandidat Nr. 14, Robert Stevenson, nahm das Angebot schließlich an. Ray war einer von den 13 Verweigerern. Er drehte lieber On Dangerous Ground. Robert Ryan, in I Married a Communist von den Roten zur Mitarbeit in einer subversiven kommunistischen Zelle erpresst, spielt da einen brutalen Polizisten, der seine Aggressivität nicht mehr kontrollieren kann und beinahe einen Mann totschlagen würde.

    High Sierra

    Das war hart an der Grenze zur kommunistischen Propaganda, fanden die McCarthyisten und deren Spitzel. Eine kritische Haltung gegenüber den Polizeiorganen war genauso ein Verdachtsmoment wie die Sympathie für Kriminelle. John Huston wurde als potentieller Staatsfeind denunziert, weil er das Drehbuch zu High Sierra geschrieben hatte (mit einem Gangster als tragischer Figur) und der Regisseur von The Maltese Falcon war (der Privatdetektiv Sam Spade liebt Brigid O’Shaughnessy, obwohl sie seinen Partner erschossen hat).

    The Maltese Falcon

    Beide Charaktere, den Gangster mit der komplexen Persönlichkeitsstruktur und den innerlich zerrissenen Privatdetektiv, spielte Humphrey Bogart. Das war 1941. Als bekannter Liberaler hatte er bereits 1940 vor dem Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten erscheinen und versichern müssen, weder selbst ein Kommunist noch mit Kommunisten befreundet zu sein. Das House Un-American Activities Committee (HUAC) leitete damals noch Martin Dies, ein erklärter Gegner der Politik seines Parteifreundes Franklin D. Roosevelt. Es war also ein Demokrat und kein Republikaner, der diesen Ausschuss als erster zum Kampfmittel gegen den New Deal machte (und zum Vehikel für die Förderung seiner persönlichen Karriere).

    HUAC 1940 und Martin Dies

    Nach dem Kriegseintritt der USA, mit der Sowjetunion als Bündnispartnerin im Kampf gegen Hitler-Deutschland, dümpelte der Ausschuss vor sich hin, bis 1947 der Republikaner J. Parnell Thomas den Vorsitz übernahm. Für Thomas, von Beruf Börsenmakler, war der New Deal (Börsenregulierung, höhere Steuern für Reiche, Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Abbau der Privilegien von Großunternehmen) nichts weiter als eine kommunistisch orientierte Sabotage am kapitalistischen System, die es mit aller Härte zu bekämpfen galt. Das bekam dann auch Hollywood zu spüren, weil man da Filmstars vorladen konnte. Das war viel medienwirksamer als das Aufdecken einer Verschwörung im Kaninchenzüchterverein.

    J. Parnell Thomas

    Wahrscheinlich landete Nicholas Ray nur deshalb nicht auf der Schwarzen Liste, weil er Vertragsregisseur der RKO war. Howard Hughes verstand sich als Feind des „Kommunismus“, was damals ein genauso dehnbarer Begriff war wie heute der gern mit dem Islam verwechselte „Islamismus“, als dessen Agent sogar Barack Obama von den rechten Verschwörungstheoretikern geführt wird. Noch weniger aber mochte er es, wenn sich Dritte in seine Angelegenheiten einmischten. Dadurch, dass er sich den Ruf eines Kommunistenfressers erworben hatte, konnte er jemanden wie Ray, als Künstler mit WPA-Vergangenheit ohnehin als Sicherheitsrisiko gehandelt, besser schützen. Die Wirklichkeit ist kompliziert und paradox.

    In a Lonely Place

    Paradox ist auch, dass die der Villa Primavera nachgebaute Wohnanlage einerseits ein Gefühl der Paranoia erzeugt und Dix andererseits davor bewahrt, von Captain Lochner, dem Vertreter des Überwachungsstaats, in Gewahrsam genommen zu werden. Einmal beklagt sich Dix darüber, dass Laurel von ihrem Apartment aus in seines blicken könne und er nicht in ihres (wer den Blick kontrolliert hat im Film die Macht). Weil das aber so ist, weil sich in den Beverly Patio Apartments alle Fenster und Türen zum gemeinsamen Innenhof öffnen, kann ihm Laurel das benötigte Alibi liefern und bezeugen, dass sie gesehen hat, wie Mildred Atkinson den Apartmentkomplex gesund und munter verließ, ohne Dix.

    Unamerikanische Aktivitäten

    Im Drehbuch von Andrew Solt sitzt eine Stenotypistin im Büro von Captain Lochner und schreibt alles mit. Ray strich die Rolle und ersetzte sie durch einen Dialog, in dem Dix Brub und Lochner fragt, wie sie das Gespräch aufzeichnen: „Tonband oder Kabel?“ "Tonband", antwortet Brub. Lochner zeigt das bisher nicht sichtbare Mikrophon vor wie ein Folterinstrument. Dix, der Lochner nur provozieren und den mit allen Wassern gewaschenen tough guy spielen wollte, wirkt perplex. Das ist ein gruseliger Moment. Oft wird das damit abgetan, dass Ray ein Paranoiker gewesen sei, der sich immer und überall überwacht fühlte.

    In a Lonely Place

    Paranoia schützt aber bekanntlich nicht davor, verfolgt zu werden. 1946 kursierten in Hollywood erste Listen mit den Namen von Filmkünstlern, die angeblich Mitglied der Kommunistischen Partei waren und den Umsturz des bestehenden Systems betrieben. Diese Listen beruhten auf Klatsch und unbewiesenen Gerüchten, auf Schnüffelei oder auch nur auf der Charakterlosigkeit der Informanten, die durch Denunziation alte Rechnungen begleichen wollten. Als das HUAC 1947 mit seinen Anhörungen begann, ging es mit strategischem Geschick zu Werke. Parnell Thomas hatte dabei stets die mediale Wirkung im Blick.

    Zuerst vorgeladen wurden Leute, die bestätigten, dass es die kommunistische Gefahr tatsächlich gab. Walt Disney fühlte sich von roten Agitatoren umzingelt, seit ein Streik sein autokratisch geführtes Studio lahmgelegt hatte. Ronald Reagan, damals Präsident der Schauspielergewerkschaft, berichtete von kommunismusähnlichen Methoden einer in der Screen Actors Guild tätigen Gruppe, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um Kommunisten handelte oder nicht. Dann folgten die Beschuldigten. In einer ersten Runde wurden 79 Personen vorgeladen, denen man subversive Aktivitäten vorwarf.

    Zehn der Vorgeladenen, bekannt geworden als die Hollywood Ten, beriefen sich auf den 1. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, der die Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert, verweigerten die Aussage und wurden wegen Missachtung des Kongresses strafrechtlich belangt. Als Gegenreaktion formierte sich in Hollywood das überwiegend von Liberalen und Roosevelt-Anhängern gegründete Committee for the First Amendment, dessen Mitglieder nach Washington flogen, um gegen den Kongressausschuss zu protestieren. Zum Komitee gehörten Humphrey Bogart und seine Ehefrau, Lauren Bacall.

    Mann des Volkes

    Aufmerksame Leser dürften sich inzwischen fragen, wo eigentlich Joseph McCarthy bleibt, nach dem dieses dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte benannt ist? Den McCarthyismus gab es schon, bevor der Namensgeber zum gefürchtetsten Politiker der USA wurde, und er ist auch nicht mit ihm gestorben. Obwohl oft das Gegenteil zu lesen ist war es nicht Joe McCarthy, der Hollywood ins Visier nahm. Das HUAC (H für House) war ein Ausschuss des Repräsentantenhauses. Als Senator von Wisconsin saß McCarthy in der zweiten Kammer des Kongresses, dem Senat.

    Joseph McCarthy

    Seine Kollegen im Repräsentantenhaus hatten längst die Arbeit aufgenommen, als er seinen Feldzug gegen den Kommunismus startete. In der Vorgehensweise unterschieden sich die Hexenjäger in beiden Kammern des Kongresses jedoch kaum. McCarthy war ein weitgehend unbekannter, um seine Wiederwahl fürchtender Hinterbänkler, als er nach Wheeling in West Virginia flog, um am 9. Februar 1950 beim alljährlichen Dinner des Republikanischen Frauenvereins zum Lincoln Day eine Rede zu halten. Die Damen erwarteten, dass er etwas Erbauliches über Abraham Lincoln sagen würde.

    Stattdessen hielt er ein paar Blätter Papier hoch, auf denen angeblich die Namen von 205 Mitgliedern der Kommunistischen Partei standen, die im State Department beschäftigt und dort subversiv tätig waren. Beweise blieb er schuldig, und sein Gedächtnis war scheinbar auch nicht das beste, weil er schon bei seinem nächsten Auftritt, in Salt Lake City, von 57 KP-Mitgliedern sprach. Die Behauptung schlug jedenfalls ein wie eine Bombe. Als McCarthy wieder in Washington landete war er berühmt. Am 20. Februar hielt er im Senat eine Rede, in der aus bisher 205 oder 57 Subversiven mit Mitgliedsausweis der KP 81 geworden waren.

    Die Zahlen variierten. Konstant blieb der Vorwurf, dass man im Außenministerium von den Kommunisten wusste, dass sie die dort betriebene Politik beeinflussten und dass der Außenminister nichts dagegen unternahm. McCarthy zeichnete ein Bild von Washington als einem Sumpf, der trockengelegt werden müsse, als einem Saustall, den es auszumisten gelte. Sich selbst inszenierte er als den Mann, der das erledigen werde. Auf den Stufen zum Kapitol ließ er sich mit einem großen Besen photographieren. Die Medien waren fasziniert von ihm, weil einer wie er im Politikbetrieb der Hauptstadt eine ungewöhnliche Erscheinung war.

    Das half ihm selbst dann, wenn ihn die Journalisten nicht leiden konnten. Auch durch negative Berichterstattung stieg sein Bekanntheitsgrad und wurden seine unbewiesenen Behauptungen verbreitet. Je krasser, desto besser. McCarthys Aufstieg wurde dadurch begünstigt, dass das Establishment in Washington nicht wusste, wie es mit ihm umgehen sollte. Der Senat war eine Ansammlung von würdigen älteren Herren, die sehr auf Etikette hielten. McCarthy spielte den unverdorbenen, den herumlavierenden Politsprech durch klare Ansagen ersetzenden Außenseiter, den Mann des Volkes. Sein rüpelhaftes Verhalten machte die Honoratioren sprachlos und wurde so zu einer großen Stärke, auch wenn die Wohlerzogenen die Nase rümpften.

    Das Wort eines Senators hatte Gewicht und konkrete Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen. Viele der Etablierten konnten schlicht nicht glauben, dass ein in ein hohes Amt gewählter Politiker alle Spielregeln ignorieren und unbeschwert drauflos lügen würde, obwohl die Lüge offensichtlich war. Solche Bedenken hatte Joe McCarthy nicht. Er war einer jener Populisten, die eigentlich Opportunisten sind, von sich glauben, für die Macht bestimmt zu sein und bereit sind, alles zu sagen, was ihnen beim Erreichen ihrer Ziele nützlich sein könnte. Der Zweck heiligt die Mittel.

    Amerikanische Helden

    McCarthy perfektionierte seine Methoden mit Hilfe von Roy Cohn, den er auf Empfehlung von FBI-Chef J. Edgar Hoover als Chefberater in den Senat holte. Cohn (nicht verwandt mit Harry Cohn, in dessen Columbia-Ateliers In a Lonely Place gedreht wurde) war eine Figur wie aus einem schlechten Film, ein antisemitischer Jude und ein homophober Schwuler, ein brillanter Anwalt frei von Skrupeln und moralischen Bedenken. Von Cohn konnte man lernen, wie man am effektivsten üble Nachrede betreibt und aus Halbwahrheiten und frei Erfundenem (heute nennt man das „alternative Fakten“) eine Diffamierungskeule macht.

    Roy Cohn mit Joseph McCarthy und einzeln

    Wenn sich die Angegriffenen zur Wehr setzen, lehrte Cohn, musste man sofort und mit mehr Wucht zurückschlagen. Durch Gepolter und das Ausstoßen von Drohungen ließen sich nicht nur andere Leute einschüchtern, man konnte das ungehobelte Auftreten zu seinem Markenzeichen machen. Wurde man bei einer Lüge ertappt gab man prinzipiell nichts zu, vielmehr schob man eine noch größere Lüge hinterher. Lautstärke war Trumpf. Falsche Behauptungen, laut und frech genug wiederholt, wurden irgendwann zur Wahrheit. Und, für Politiker ganz wichtig: Eine Gefahr für das Gemeinwesen, in grellen Farben an die Wand gemalt, ließ sich in einen persönlichen Vorteil verwandeln, wenn man unverfroren genug war.

    Falls das jemandem bekannt vorkommt: Kein Wunder. Statt gleich das Offensichtliche zu bemühen sei zunächst auf Ted Cruz verwiesen, der 2013, unterstützt von der Tea Party, für Texas in den Senat einzog. Die Art und Weise, wie er sein neues Amt wahrnahm, weckte bei Beobachtern ungute Erinnerungen an Joe McCarthy. Verteidigt wurde er von Steve Bannon, inzwischen Chefstratege im Weißen Haus. Interessant daran ist, wie Bannon das anstellte.

    Ted Cruz (Foto: U.S. Congress) und Steve Bannon (Foto: Gage Skidmore. Lizenz: CC BY-SA 3.0

    Statt Cruz gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen, der neue McCarthy zu sein, redete Bannon in einer Radiosendung von Breitbart News lieber darüber, dass das Original, der Senator aus Wisconsin, heute nur deshalb der Schurke sei, weil die „moderne Populärkultur“ aus Weiß Schwarz und aus Schwarz Weiß gemacht habe. Als Intellektueller und Vertreter der Hochkultur, schließe ich daraus, weiß man es besser. McCarthy ist ein amerikanischer Held.

    Buchcover: American Betrayal, Diana West

    Mit Widerspruch war nicht zu rechnen, weil sich Bannon mit Diana West über ihr Buch American Betrayal: The Secret Assault on Our Nation’s Character unterhielt. Da erfährt man, dass Roosevelt die USA in ein sozialistisches Land verwandeln wollte (mit einer bezahlbaren Krankenversicherung auch für die Armen und Sozialstaatsduselei zur Erstickung der Eigeninitiative) und die jungen Leute jetzt nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können, weil die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens infiltriert haben, die schönen Künste genauso wie die Universitäten und Hollywood, um den Glauben an die amerikanische Großartigkeit zu zersetzen.

    Kommunisten, Islamisten, Populisten

    Vom Standpunkt rechter Ideologen aus durfte Ted Cruz also mit vom Stolz geschwellter Brust in das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner gehen, nachdem ihn die Lügenpresse (https://www.forbes.com/sites/rickungar/2013/02/18/ted-cruz-the-reincarnation-of-joe-mccarthy/#25527d4c7edb) zur Reinkarnation von Joe McCarthy erklärt hatte. Cruz wurden gute Chancen eingeräumt, ehe er in den Vorwahlen seinen Meister fand, Donald Trump. Alles, was Cruz bisher aufgeführt hatte, um sich in Szene zu setzen - die Mitbewerber verächtlich machen, falsche Behauptungen in Andeutungen kleiden, durch Assoziation Schuld zuweisen, Verschwörungen aufdecken oder über sie raunen -, konnte Trump viel besser.

    Cruz machte auch dumme Fehler. Womöglich glaubte er, man könne den McCarthyismus des Kalten Krieges 1:1 auf die Gegenwart übertragen. Bei einer Veranstaltung zum amerikanischen Unabhängigkeitstag mit dem Titel „Defending the American Dream“ hielt er eine Rede, in der er sich über die Harvard Law School ausließ, die er ein paar Jahre vor Barack Obama besucht hatte. Obama, sagte er, sei der radikalste US-Präsident der Geschichte (auf rechten Websites kann man nachlesen, dass Obama mit seiner Gesundheitspolitik nicht nur eine ruinöse Steuerverschwendung betrieb, sondern einen totalitären Staat errichten wollte).

    Als Universitätspräsident hingegen, so Cruz, sei Obama bestens geeignet. Als er, Cruz, in Harvard studiert habe sei in der juristischen Fakultät nur ein einziger Republikaner zu finden gewesen, wohl aber zwölf Marxisten, die einen kommunistischen Umsturz befürworteten. Zwölf Marxisten! Aus dem Lehrbuch des Roy Cohn: Frei Erfundenes sollte man mit präzisen Angaben untermauern, weil das ein (nicht vorhandenes) Wissen suggeriert. McCarthy wirkte glaubwürdig, weil er nicht von „ungefähr 200“ Kommunisten im Außenministerium fabulierte, sondern von 205, wahlweise auch von 57 oder 81. Dass die Zahlen variierten war da nicht mehr so wichtig.

    Cruz sprach bei einer Veranstaltung der von den milliardenschweren Koch-Brüdern gegründeten Organisation Americans for Prosperity (https://americansforprosperity.org). Ein Obama-Bashing kommt da immer gut an. Der Redner hatte aber offenbar nicht bedacht, dass sich die Warnung vor der kommunistischen Gefahr doch etwas abgenutzt hatte und es die Sowjetunion, die der selige Ronald Reagan einst durch einen Rüstungswettlauf in die Pleite getrieben hatte, nicht mehr gab. Donald Trump war da viel klüger. Seine Kommunisten sind die Muslime. Obama ist ihr Agent.

    Le Club

    Ist Trump demnach ein Naturtalent, das mit der Muttermilch einsaugte, was Cruz erst mühsam lernen musste und nur halb verstanden hatte? Nicht wirklich. 1948, als Trump geboren wurde, gab es in Manhattan zwei besonders angesagte Clubs, in denen man Gast sein musste, um zur High Society zu gehören: das „El Morocco“ und den „Stork Club“. Das sind die beiden Etablissements, von denen Humphrey Bogart, seines unbeherrschten Verhaltens wegen, zur unerwünschten Person erklärt wurde, was dann als autobiographisches Element in den Film In a Lonely Place einging.

    The Wrong Man

    In den frühen 1970ern hatte der „Stork Club“ dicht gemacht, was einen nicht weiter wundert, wenn man Hitchcocks The Wrong Man gesehen hat. Henry Fonda als Manny Balestrero spielt in der Kapelle des „Stork Club“ den Kontrabass und ist in einer musikalischen Endlosschleife gefangen, was Hitchcock Gelegenheit gibt, die Hölle als die Wiederkehr des ewig Gleichen zu inszenieren. Einen öderen Arbeitsplatz als diesen hat man selten in einem Film gesehen. Man kann sich gut vorstellen, dass die Kapelle so lange dasselbe Lied spielt, bis alle tot vom Hocker fallen.

    In den frühen 1970ern war der Rivale des „El Morocco“ ein Laden mit dem todschicken Namen „Le Club“. Der junge Donald Trump entschied sich für den „Club“, der - verglichen mit dem „Morocco“ - etwas leicht Verruchtes hatte. „Zu den Mitgliedern gehörten einige der erfolgreichsten Männer und schönsten Frauen der Welt“, lässt er in The Art of the Deal schreiben. „Es war einer von diesen Orten, wo es nicht unwahrscheinlich war, einen reichen 75-jährigen Typen zu sehen, der mit drei Blondinen aus Schweden hereinkam.“ In dem Buch berichtet er von mehreren Anläufen, die erforderlich waren, um dort auch Mitglied zu werden.

    Trump wollte man im „Le Club“ nicht haben, weil er aus Queens stammte und damit aus einem Stadtteil, der damals das Gegenteil von hipp war und für den die Reichen und die Schönen von Manhattan nur Spott übrig hatten. Donald schaffte es schließlich, in die exklusive Mitgliedsliste aufgenommen zu werden. Das ist die Trump-Version der „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte. Darin liegt die Anziehungskraft begründet, die er auf die gesellschaftlich Benachteiligten ausübt, seine treuesten Fans. Trump fing als Millionärssohn an, aber eine Aufstiegsgeschichte ist es trotzdem. Darum lässt sich die Hoffnung damit verbinden, dass der amerikanische Traum doch nicht geplatzt ist.

    Wie angesagt „Le Club“ war ist daran zu erkennen, dass sich Jackie Kennedy entschied, ihn zum Schauplatz für eines der Society-Highlights der 1970er zu machen, die gemeinsame Geburtstagsparty für ihre Kinder John Jr. und Caroline. Am Eingang des Clubs kam es zu einer Prügelei zwischen Gästen und Paparazzi. Das sorgte für einen kleinen Skandal und für große Schlagzeilen, weil einer von den Photographen ein ehemaliger Marine war, der tapfer sein Land verteidigt hatte. Die prominenten Schläger waren dabei interessanter als der Geschlagene. Wie hieß nochmal der im Irakkrieg gefallene US-Soldat, dessen Eltern Trump beleidigte?

    Freies Unternehmertum

    Die Episode mit dem Kleberfabrikanten Heinrich Haffenloher in Helmut Dietls Kir Royal heißt „Wer reinkommt, ist drin“. Diese Erfahrung durfte auch Trump machen. Im „Le Club“ lernte er 1973 einen hervorragend vernetzten Anwalt kennen, der dort ebenso Stammgast war wie viele seiner illustren Mandanten: Roy Cohn, früher Einflüsterer von Joseph McCarthy und jetzt Helfer von Donald Trump. Donalds Vater hatte in Brooklyn und Queens ein Wohnungsimperium aufgebaut. Als Donald Roy traf hatte die Trump Management Corporation eine Klage des Justizministeriums am Hals.

    Kir Royal

    Die Abteilung für Bürgerrechte warf den Trumps vor, nicht an Angehörige von Minderheiten zu vermieten und Bewerber mit dunkler Hautfarbe zu belügen ("Leider nichts frei.") oder mit Ausreden abzuwimmeln. Das verstieß gegen das Gesetz, den Fair Housing Act von 1968. Die Firmenanwälte rieten zur außergerichtlichen Einigung. Roy empfahl Donald, dem Ministerium den Krieg zu erklären und dieses seinerseits vor Gericht zu zerren. Also wurde eine Gegenklage wegen Rufschädigung eingereicht. Streitsumme: 100 Millionen Dollar. Die Klage wurde bald abgewiesen, erzielte aber die gewünschte Wirkung.

    Am Ende stand eine Einigung, nun jedoch zu günstigeren Konditionen für das Unternehmen. Die Schlagzeilen über die 100-Millionen-Dollar-Klage gegen die Regierung überlagerten die Nachricht, dass sich die Trumps bereit erklärten, zukünftig auch an Angehörige von Minderheiten zu vermieten. Donald gab nie zu, etwas falsch gemacht zu haben. Einen Fehler zugeben war Schwäche. So hatte Trump es von seinem Mentor Roy Cohn gelernt. Roy brachte Donald zudem bei, dass jede Art von Publicity gute Publicity ist. Wenn Roys Name gerade nicht in der Zeitung stand versorgte er die Presse mit süffigen Geschichten, um Abhilfe zu schaffen. Donald tat es ihm nach.

    Die Klage des Ministeriums war übrigens das Resultat einer ganzen Reihe von Anti-Diskriminierungsgesetzen, die der in seiner Bedeutung sehr unterschätzte Lyndon B. Johnson, der Nachfolger von John F. Kennedy, mit viel Geschick und trotz enormer Widerstände durch den Kongress gebracht hatte. Johnsons Gesetze zur Stärkung der Bürgerrechte waren für konservative Weiße - und insbesondere für solche, die von den rassistischen Strukturen in der US-Gesellschaft profitierten - ein unzulässiger Eingriff des Staates in die Entscheidungsfreiheit eines Amerikaners.

    Johnsons Partei zahlte dafür einen hohen Preis. Die Bundesstaaten im Süden des Landes, bis dahin eine solide Machtbasis der Demokraten, wurden zu Hochburgen der Republikaner. Für einen Unternehmer wie Donald Trump eröffnete sich die Möglichkeit, sich in einer Verbindung von Geschäftsinteressen und Ideologie als Kämpfer für die amerikanischen Werte zu präsentieren. Wer Trumps Weg ins Weiße Haus nachzeichnen will sollte mit dem Jahr 1973 beginnen, in dem er in einem New Yorker Promilokal Roy Cohn kennenlernte und auf dessen Anraten den Pioniergeist der Gründungsväter und das freie Unternehmertum gegen eine diktatorische Regierung verteidigte.

    Kulturfrevel in der Fifth Avenue

    Die Schlacht gegen das Justizministerium war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Roy beriet Donald fortan bei größeren Geschäften und in rechtlichen Angelegenheiten, ließ seine Verbindungen in die höheren Ränge der Macht für ihn spielen. Auch diese Geschichte könnte man durch Filme erzählen, mit Breakfast at Tiffany’s von Blake Edwards beispielsweise. Der Anfang genügt. Audrey Hepburn fährt im Taxi beim Juweliergeschäft vor. Dabei kann man einen Blick auf das Bonwit-Teller-Kaufhaus erhaschen (erste Einstellung, linker Bildrand), ein architektonisches Juwel im Art-déco-Stil und seit seiner Errichtung im Jahre 1929 ein heimliches Wahrzeichen von New York.

    Breakfast at Tiffany’s

    Als Breakfast at Tiffany’s in den frühen 1960ern in den Kinos lief hielten viele Filmfreunde danach Ausschau, weil Audrey Hepburn während der Dreharbeiten dort eingekauft hatte. Dabei entstanden Pressephotos, die dann in der Werbekampagne Verwendung fanden. Das war nicht nur eine gute Reklame für Bonwit Teller, sondern förderte auch das Bewusstsein dafür, welches Juwel da neben Tiffany & Co. stand. 1979 kam Donald Trump, kaufte das Gebäude und ließ es abreißen. Heute ist nichts mehr davon übrig. An sein Versprechen, Teile der Fassade zu retten und dem Metropolitan Museum of Art zu übergeben fühlte sich der Investor nicht gebunden. Leider zu teuer.

    Jetzt steht da anstelle eines Art-déco-Juwels ein auf Dominanz ausgerichteter Protzbau, der Trump Tower. Größer wurde New York dadurch nicht. Nur höher. Statt kunstgeschichtlich bedeutsame Skulpturen zu erhalten und damit, wie es der damalige Bürgermeister Ed Koch ausdrückte, einer moralischen Verpflichtung gegenüber den Bürgern von New York nachzukommen, zog Trump vor Gericht, um - beraten von Roy Cohn - steuerliche Vergünstigungen einzuklagen. Der Investor fühlte sich diskriminiert. Attacke war die erste Unternehmerpflicht.

    Wenn man sich an gelungener Architektur erfreut und glaubt, dass Bauten etwas mit Kultur und Identität zu tun haben, ist der Anfang von Blake Edwards’ Film - von heute aus betrachtet - mit schmerzlicher Nostalgie erfüllt. Könnte man Audrey Hepburn per Zeitmaschine in die Gegenwart transportieren und noch einmal frühmorgens in der Fifth Avenue vorfahren lassen, sie würde gar nicht erst aus dem Taxi steigen oder, wenn doch, vor Schreck den Kaffeebecher fallen lassen und schreiend zu Mr. Yunioshi laufen.

    Einen Bauunternehmer gibt es auch in Rays In a Lonely Place. Er ist einer von zwei mächtigen Männern, die eine unheimliche Präsenz entfalten, indem sie Einfluss auf die Handlung nehmen, obwohl wir sie nie zu sehen kriegen. Der eine, der Produzent Bert Brodie, will einen Bestseller über die Luxusprobleme des Geldadels von Long Island verfilmen lassen, weil das ordentlich Kohle bringt. Der andere heißt Baker und verdient sein Geld mit Immobilien. Seinen Namen kennen alle. Menschen scheint er genauso als sein Eigentum zu betrachten wie seine Häuser.

    Laurel Gray war mit dem Mann liiert und kurz davor, ihn zu heiraten. Mr. Baker hat ihr sogar einen Swimmingpool gebaut - nicht so sehr, um ihr eine Freude zu machen als vielmehr, um den Wert der Immobilie zu steigern. Laurel hat Baker schließlich verlassen, weil sie sein besitzergreifendes Wesen nicht mehr ertragen konnte. Ray wird gern unterstellt, er habe mit den Beverly Patio Apartments aus Selbstverliebtheit die Villa Primavera nachbauen lassen, weil er früher dort gewohnt hatte. Falls dem so gewesen sein sollte ändert es nichts daran, dass die Wohnanlage im Film mehrere narrative Funktionen erfüllt, ohne dass ein einziger Dialogsatz dafür erforderlich wäre.

    Der Film vertraut so sehr auf Ausstattung, Kulissen, Inszenierung, das nuancierte Spiel der Darsteller (und auch auf George Antheils Musik), dass es fast schon exzessiv wirkt, wenn sich Dix Steele beklagt, dass Laurel - die Überwachungsthematik - von ihrem Balkon in sein Fenster sehen kann. Wenn Laurel vor dem durch Stadtentwicklung reich gewordenen Immobilientycoon in die Villa Primavera flieht, einem jener für Hollywood identitätsstiftenden Gebäude im Spanish-Revival-Stil, von denen bis heute ein seltsamer Zauber ausgeht, darf man das als Kommentar zu Bakers Bautätigkeit verstehen, als Abkehr von den Sachen, die der Baulöwe in die Landschaft stellt.

    Way of Life

    Es hat eine gewisse Konsequenz, wenn Roy Cohn erst einen in Washington groß auftrumpfenden Senator aus der Provinz beriet und dann einen Unternehmer, der - nachdem ihm Cohn den Weg von Queens nach Manhattan geebnet hatte - mit dem auf dem Immobilienmarkt eingeübten Methoden das Weiße Haus übernahm. Von Cohn lernen heißt: In Kategorien von Sieg und Niederlage denken, den Gegner niemals schonen, sich selbst als Kämpfer gegen die Verschwörungen finsterer Mächte stilisieren, vom Kommunismus in den McCarthy-Jahren über den Wohlfahrtsstaat und die National Football League (die Roy für Donald verklagte) bis zum Islam.

    Ein echter Roy Cohn war Trumps Reaktion auf sich häufende Berichte über Kontakte seines Wahlkampfteams zur russischen Regierung und über routinemäßige Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste gegen russische Funktionäre, bei denen deren Gespräche mit Leuten aus Trumps Umfeld abgehört worden sein könnten. Am Morgen des 4. März ging Trump zum Gegenangriff über und inszenierte zugleich ein Ablenkungsmanöver, als er die Welt per Twitter darüber informierte, dass der Trump Tower im Wahlkampf von Obama abgehört worden sei.

    Interessanterweise fühlte er sich in seinem ersten Tweet an den McCarthyismus erinnert. Dann verging eine Weile, bis ihm der eigentlich viel näher liegende Vergleich mit Nixon und der Watergate-Affäre einfiel. Sollte es eine direkte Verbindung zwischen Trumps Hirn (oder auch seinem Unbewussten) und seinem Twitter-Finger geben wäre das verräterisch. Könnte es sein, dass der Präsident zuerst an Cohn und dessen Methoden dachte und nicht an das ihm angeblich zugefügte Unrecht, als er seine Nebelkerzen zündete?

    McCarthy und Roy Cohn machten weniger durch einen Abhörskandal von sich reden als vielmehr durch das Diffamieren anderer Leute, durch Lügen und Krawall als Mittel der Politik, durch ihre aufwieglerische Dreistigkeit und durch das Erfinden von durch das Washingtoner Establishment gedeckten Verschwörungen - alles Dinge, die auch Donald Trump nicht ganz fremd sind. Das damals versprühte Gift wirkt bis heute nach.

    Die von Joseph McCarthy nicht ausgelöste, aber mit neuem Elan versehene Hexenjagd zerstörte das Leben von Tausenden amerikanischer Bürger. Vor einem der Untersuchungsausschüsse des Kongresses, die nach McCarthys Rede in West Virginia gebildet wurden, sagte FBI-Chef Hoover, dass der Kommunismus „a way of life“ sei, eine Lebens- und Daseinsform. Dadurch wurde der Verbindung von Normabweichung und Politik Tür und Tor geöffnet. Die Frage, mit wem man Sex hatte, half bei der Bestimmung der politischen Identität.

    Schwule und Lesben führten notwendigerweise ein Leben im Geheimen, weil ein Outing für viele von ihnen gravierende Folgen gehabt hätte. Das ließ sich gegen sie verwenden. Die infame Logik ging in etwa so: Weil Homosexuelle eine Neigung zur Heimlichtuerei hatten waren sie besonders anfällig für Anwerbungsversuche durch die - auch im Geheimen operierenden - Kommunisten. Erpressbar waren sie sowieso. Folglich wurden Schwule und Lesben als Sicherheitsrisiko eingestuft und aus den Washingtoner Ministerien entfernt. Auch wenn sich keiner fand, der sie als KP-Mitglieder denunziert hätte, waren sie doch irgendwie gefühlte Kommunisten.

    Spermaflecken und Fundamentalisten

    Die McCarthyisten verbanden ihnen verhasste politische Ausrichtungen mit Sex und Verbrechen und verrührten das Ganze zu einem Zerrbild vom „Unamerikanischen“. Dieses Verfahren zur Kriminalisierung des politischen Gegners verlor nie seine Anziehungskraft. Das zeigte sich in den beiden Amtszeiten von Bill Clinton, als der radikale Flügel der Republikanischen Partei versuchte, den Präsidenten nicht etwa durch Wahlen und das bessere Politikangebot aus dem Weißen Haus zu befördern, sondern durch eine Verschwörungstheorie, die eine Immobilienaffäre mit einem angeblichen Auftragsmord und Bills intimen Beziehungen zu Paula Jones und Monica Lewinsky kombinierte.

    Treibende Kraft hinter dem Bill Clintons Präsidentschaft überschattenden Rufmord an ihm und seiner Frau und an dem gegen ihn angestrengten Amtsenthebungsverfahren, in dem es vor allem um Falschaussagen und den Spermafleck auf dem Kleid von Monica Lewinsky ging, nachdem sich die restlichen Anschuldigungen als haltlos erwiesen hatten, war Newt Gingrich, der Sprecher des Repräsentantenhauses, der schließlich über eigene Verstöße gegen die Ethikregeln des Kongresses stürzte. Gingrich muss hier erwähnt werden, weil Donald Trump im Wahlkampf gegen Hillary Clinton die alten Mordvorwürfe wieder aufwärmte.

    Das war im Mai 2016. Im Juni, nach dem Massaker von Orlando, forderte Trump Obama zum Rücktritt auf, weil er entweder nicht wisse, was im Lande vor sich gehe oder aber viel zu genau darüber informiert sei. Auf diese Weise insinuierte er, dass Obama mit islamistischen Terroristen unter einer Decke stecke. Das harmonierte gut mit seiner jahrelang vorgetragenen Behauptung, dass Obama in Kenia geboren und daher kein legitimer Präsident sei.

    Eine vielsagende Andeutung, wusste schon Roy Cohn, ist erst dann richtig gut, wenn es mindestens eine zweite gibt, auf die man sich notfalls zurückziehen kann. Was also, wenn Obama doch in Hawaii geboren wäre und nicht in Kenia, wo seine Großmutter lebte? Dann war eben etwas anderes faul mit der Geburtsurkunde. Jemand habe ihm erzählt, so Trump in einer Talkshow, dass es mit Obamas Religionszugehörigkeit zu tun haben könnte. Stand womöglich in der Urkunde, dass er Muslim ist? „Und wenn man ein Muslim ist, dann ändert man nicht seine Religion, nebenbei bemerkt.“

    Das kennt man von McCarthy, der darüber fabulierte, dass das Außenministerium und sogar die Armee mit den Kommunisten gemeinsame Sache mache (und vom Retro-McCarthyisten Ted Cruz, in dessen Verschwörungstheorie Obama noch mit den zwölf Marxisten in der juristischen Fakultät von Harvard konspirierte, als Trump längst ein Zerrbild vom Islam für seine Zwecke nutzbar machte). Das Verächtlichmachen von den Staat tragenden Institutionen und Personen gehört zum Instrumentarium des McCarthyismus. So erzeugt man Verunsicherung und schafft ein Vakuum, das sich zum eigenen Vorteil verwenden lässt.

    Newt Gingrich wusste nach dem Massaker von Orlando gleich, woher der Wind wehte und sah eine Gelegenheit, sein politisches Comeback einzuleiten. Nach Trumps Geraune über Obamas Komplizenschaft mit dem Attentäter schlug er vor, den Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten wiederzubeleben, um einer weiteren Unterwanderung des Staates durch - dieses Mal - den Islam vorzubeugen. Das wurde allgemein als sein Versuch gewertet, sich als Trumps künftiger Vizepräsident ins Gespräch zu bringen. Der Posten ging dann an Mike Pence, weil Pence viel geeigneter war als Gingrich, Trump die Stimmen der Evangelikalen zuzuführen.

    Ohne Sex geht es scheinbar nach wie vor nicht. Hillary war Leidtragende von Bills Affären, und niemand hat je behauptet, dass sie Orgien im Weißen Haus organisierte. Also musste etwas erfunden werden, das sich mit ihrem Image als habgierige und geldgeile Person kombinieren ließ. Das Resultat war die Pizzagate-Verschwörung. Rechte Websites verbreiteten das Gerücht, dass Hillary Clinton und ihr Wahlkampfchef von der Pizzeria „Comet Ping Pong“ aus einen Kinderpornoring betrieben. Das hätte beinahe Menschenleben gekostet, als ein Mann mit Sturmgewehr dort auftauchte, um die Kinder zu befreien.

    Rotkäppchen und der böse Wolf

    In den Nachkriegsjahren gab es nicht die Echokammern des Internets, wohl aber die Skandalpresse, der sich James Ellroy in L.A. Confidential widmet (verfilmt von Curtis Hanson, einem großen Fan von In a Lonely Place). Wer sich seine Meinung durch die Lektüre der einschlägigen Blätter bildete (oder bestätigen ließ) musste den Eindruck gewinnen, dass zwischen einer liberalen Gesinnung, Sex und Mord ein Zusammenhang bestand. Die Szene, in der Dix Steele im Büro von Captain Lochner sitzt und sich die Tatortphotos mit der toten Mildred Atkinson ansieht, könnte aus den Klatschspalten oder von den Detektivmagazinen der Zeit übernommen sein.

    Hollywood war schon immer der perfekte Schauplatz für Geschichten gewesen, in denen das Rotkäppchen auf den bösen Wolf trifft. Besonders böse Wölfe waren mit Roosevelts New Deal sympathisierende Filmkünstler wie Orson Welles, dem eine sexuelle Beziehung zu Elisabeth Short und damit eine Verwicklung in den Black-Dahlia-Fall angedichtet wurde. Außer seiner politischen Überzeugung und seinem Ruf als Ladykiller wurde als belastendes Indiz gewertet, dass er bei Veranstaltungen zur Truppenbetreuung mit einer Zaubernummer aufgetreten war, in der er Marlene Dietrich in der Mitte durchgeschnitten hatte (so wie der Mörder den Körper von Elizabeth Short).

    Orson Welles mit Marlene Dietrich

    Welles setzte sich, verfolgt von allerlei Gerüchten, nach Europa ab. John Huston tat es ihm gleich. Als Vizepräsident der Gewerkschaft der Filmregisseure hatte er die Gründung des Committee for the First Amendment initiiert, jener Vereinigung liberaler Filmkünstler (mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall als prominenten Mitgliedern), die den vom Kongressausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten vorgeladenen Kollegen Beistand leisten wollte. Ob Zufall oder nicht: Bald danach spekulierten einige Revolverblätter darüber, was er mit Elizabeth Short zu tun haben könnte.

    Hustons Name geisterte Jahrzehnte später noch einmal in Verbindung mit der „Schwarzen Dahlie“ durch die Medien, als der Ex-Polizist Steve Hodel in Black Dahlia Avenger seinen eigenen Vater als den mutmaßlichen Mörder von Elizabeth Short identifizierte. Hodel senior, so der Sohn, verband bei seinen Taten die Kunst mit bizarren Sexualpraktiken und heiratete die frühere Frau von John Huston, der von seinen Aktivitäten wusste oder vielleicht auch nicht. Huston sagte, dass man als Regisseur ein Sadist sein müsse und hatte bei einem Autounfall einen Menschen getötet. Was will man mehr?

    Das liberale Hollywood drehte den Spieß um. Das bevorzugte Genre, mit dessen Hilfe man Kritik am McCarthyismus übte, war der Kriminalfilm. Dort konnte man Vertreter einer übergriffigen, das Recht beugenden oder brechenden Staatsmacht auftreten lassen wie den in fremde Wohnungen eindringenden Polizisten in Joseph Loseys The Prowler oder Captain Lochner, den Vorgesetzten von Brub Nicolai. Verglichen mit dem Duo McCarthy/Cohn ist Lochner ein Lehrling. Weniger bedrohlich macht ihn das nicht. Ray hatte ein feines Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. An Lochner zeigt sich, wo die Reise hingehen sollte.

    Der Polizist hat keine Skrupel, Dix Steele durch dessen Freund Brub ausspionieren zu lassen. Pikant ist die Besetzung. Als Brub Nicolai ist Frank Lovejoy zu sehen, der anschließend die Hauptrolle in Cy Endfields Try and Get Me! spielte, einem der besten Anti-McCarthy-Filme, und dann in I Was A Communist for the F.B.I. die KP infiltrierte, um die Kommunisten als Rassisten und willige Werkzeuge einer fremden Macht zu entlarven und vor dem HUAC gegen sie auszusagen.

    In a Lonely Place

    Lovejoys Rolle bei Ray wirkt wie der vorweggenommene Kommentar zu diesen beiden einander diametral entgegengesetzten Filmen, die er nach In a Lonely Place drehte. Brub Nicolai lehnt Lochners Methoden ab und ist von Dix’ Unschuld überzeugt. Mitmachen tut er trotzdem. Alles, was Lochner ihm aufträgt, führt er brav aus. Einmal ruft Brub bei Dix an, um ihn zum Abendessen einzuladen. Er sitzt dabei auf Lochners Stuhl. Dix sagt zu. Brub legt den Hörer auf und Ray schneidet auf seinen Vorgesetzten, den wir bisher nicht gesehen haben. „Gut“, sagt Lochner.

    Brub soll seinen Freund aushorchen und dann Bericht erstatten. Ray demonstriert da, wie man durch unspektakulär inszenierte, scheinbar alltägliche Szenen (ein Mann lädt seinen Freund zum Essen ein) ein unangenehmes Gruseln erzeugen kann. Zum Glück kennt er auch ein Gegenmittel. Was tut man also als Figur in einem Film von Nicholas Ray, um eine virtuelle Firewall gegen Rufmord und Schnüffelei zu errichten? Man lässt Blicke sprechen. Wie das funktioniert erfahren die werten Leser im dritten Teil:

    Unsittliche Verhältnisse, schwarze Nachbarn in der Pianobar und der lange Weg ins Schlafzimmer
    https://www.heise.de/tp/features/Unsittliche-Verhaeltnisse-schwarze-Nachbarn-in-der-Pianobar-und-der-lange-Weg-

    09. Juli 2017 Hans Schmid

    An einem einsamen Ort, Teil 3

    Sehen eines guten Films ist wie Huckleberry Finns Reise auf dem Mississippi im Roman von Mark Twain. Man lässt sich mit der Strömung treiben, bleibt unterwegs auch mal an einem Hindernis hängen oder legt an einer guten Stelle an und lässt sich davon überraschen, was es da zu entdecken gibt. Heute werden wir einem zum Vizepräsidenten aufgestiegenen Radiomoderator begegnen; einem Kinderpsychologen, zu dem Gott gesprochen hat; einem Senator, der Anton Tschechow für Stalins Agenten hält; und einer Hitchcock-Blondine, die keinen BH anhat.

    Weitere Highlights: Laurel Gray macht eine Aussage. Humphrey Bogart ist kein Kommunist und gibt als Dixon Steele Regieanweisungen beim Frauenwürgen. Gloria Grahame unterschreibt einen Knebelvertrag, weil sonst am Ende noch Hillary Clinton bestimmt, mit wem das eigene Kind aufs Klo geht und was es da zu sehen kriegt. Frank Sinatra singt ein zensuriertes Lied dazu und streicht Sammy Davis Jr. von der Gästeliste für John F. Kennedys Inaugurationsfeier, weil sein Freund schon wieder mit der falschen Frau verheiratet ist.

    Auf unserem Floß ist Sammy genauso willkommen wie Hucks Freund Jim und Hadda Brooks, die Königin des Boogie, denn ohne diese drei wäre die amerikanische Kultur- und Seelenlandschaft, durch die uns die Reise führt, viel ärmer.

    Kein Kaffee mehr

    Laurel Gray sitzt in Captain Lochners Büro, um eine Aussage zu machen. Solche Szenen gehören zum Standardrepertoire des Kriminalfilms und sind meistens ziemlich langweilig, weil man sie schon tausendmal gesehen hat. Bei Ray wird daraus ein spannendes Minidrama. Es geht damit los, dass Laurel auf Lochners Schreibtisch einen Kaffeebecher entdeckt, in die Hand nimmt und einen Blick hinein wirft (ein Inszenierungseinfall des Regisseurs). Der Becher ist fast leer. Andrew Solt, der dem Zauber Hollywoods verfallene Drehbuchautor von In a Lonely Place, fand das unmöglich, weil nicht damenhaft: „Das ist falsch. So etwas tut ein richtiges Flittchen, sie aber nicht.“

    In a Lonely Place

    Solt hat schon recht. Damenhafte Zurückhaltung geht anders. Ray war daran auch nicht gelegen. „Je einfacher, direkter, ehrlicher, desto besser für das Erschaffen von Laurel, aus Fleisch und Blut“, notierte er in seinem Drehbuchexemplar. Laurel ist eine Frau, die weiß, was sie will und daraus kein Geheimnis macht. Es ist früher Morgen, sie wurde von der Polizei aus dem Bett geholt, jetzt möchte sie eine Tasse Kaffee. Lochner, der gern moralisiert und bestimmt, was richtiges Benehmen ist, bringt das in die Defensive. Er hat ihr keinen Kaffee angeboten und muss sich nun entschuldigen, weil nichts mehr da ist.

    Das Undamenhafte rückt Laurel näher an Dix Steele heran, der so wenig ein Gentleman ist wie sie eine Lady (oder was man sich in den spießigen 1950ern darunter vorstellte). Zugleich entfernt es sie von Lochner, dem Hüter des Gesetzes und der bürgerlichen Sekundärtugenden. Für Lochner ist Dix der Hauptverdächtige, weil er seine Drehbücher in seiner Wohnung schreibt und nicht in einem Büro, keine geregelten Arbeitszeiten hat, Frauen spätnachts mit nach Hause nimmt und kühl und gefasst auf die Nachricht von Mildreds Ermordung reagiert, statt sich auf eine klischeehafte Weise betroffen zu zeigen.

    Der wahre Täter wirkt auf den Chef der Mordkommission unverdächtig, weil er einer geregelten Arbeit nachgeht, als unverheirateter Mann noch bei seinen Eltern wohnt und den trauernden Hinterbliebenen spielt, wenn seine Verlobte im Straßengraben gefunden wird, wo er sie selbst hingeworfen hat. Im Rahmen von Lochners Welterklärungsmodell ist Dix Steele aufgrund seines unbürgerlichen Lebensstils und seines nonkonformistischen Verhaltens der logische Verdächtige. Ray lässt kein gutes Haar an diesem Polizisten, der sich von Vorurteilen die Sicht verstellen lässt. Die Bösewichte sind nicht immer die Männer mit dem Schaum vorm Mund.

    In a Lonely Place

    „Tut mir leid“, sagt Lochner, „kein Kaffee mehr“. Er und Laurel blicken sich an. Dix sitzt hinter Laurel. Sie beginnt mit ihrer Aussage und erfährt, dass Mildred Atkinson zwischen ein und zwei Uhr nachts ermordet wurde. Dix hat sie als Alibizeugin angegeben und hofft, dass sie gesehen hat, wie Mildred froh und munter sein Apartment verließ. Lochner hofft, dass das Alibi des Verdächtigen seiner Befragung nicht standhalten wird. Er hat verloren, als Laurel sich zu Dix umdreht. Sie mustert Steeles Gesicht, nimmt Blickkontakt zu ihm auf. Das weitere Verhör über wird dieser Kontakt Bestand haben. Blicke etablieren bei Nicholas Ray Loyalitäten.

    In Rays Inszenierung ist Laurel eine Frau, die sich zwischen zwei Männern und ihren Geschichten entscheiden muss. Ist Dix unschuldig oder, wie Lochner denkt, der Mörder? Ray liebte solche Dialogsituationen mit drei oder mehr Personen (Brub sitzt als stummer Beobachter mit dabei). Sie eröffneten ihm die Möglichkeit, die Geschichte in Bildern zu erzählen, während geredet wird. Laurel entscheidet sich für Dix, weil ihr sein Gesicht gefällt. Wenn sie sich zu ihm umdreht befindet sich Lochner in ihrem Rücken. Den Polizisten zwingt das, seinen Platz zu verlassen, um den Schreibtisch herumzugehen und sich in Laurels Blickrichtung zu setzen.

    In a Lonely Place

    Von seinem neuen Platz aus versucht er, das durch Blicke geknüpfte Band der Loyalität zwischen Dix und Laurel zu zerreißen. Das misslingt schon deshalb, weil Ray den Stuhl für Lochner so hingestellt hat, dass der Polizist nun seitlich hinter Dix sitzt. Inszenieren heißt, Schauspieler und Requisiten so zueinander in Bezug zu setzen, dass sich eine sinnvoll in die Handlung integrierte Botschaft daraus ergibt. Ray hat sich für eine Schuss-Gegenschuss-Montage entschieden, in der Dix und Laurel durch das eyeline match (die durch den Schnitt erzeugte Illusion, dass sie sich anschauen) verbunden sind.

    In a Lonely Place

    Lochner sitzt mit dabei, hat die Kontrolle verloren, wird durch die Inszenierung in seinem eigenen Büro zum Außenseiter. Er stellt seine Fragen, ohne etwas ausrichten zu können. Der Blickkontakt zwischen Laurel und Dix hält. Sie gibt Dix das erforderliche Alibi. Laurel hat gesehen, wie Mildred sein Apartment verließ. Lochner muss den Verdächtigen gehen lassen. Für Dix und Laurel ist das der Beginn einer Liebesbeziehung, die hält, solange sich die beiden in die Augen schauen können. Sie zerbricht, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage sind. In a Lonely Place ist auch ein Film über die zersetzende Wirkung des Verdachts. Denn Lochner gibt nicht so einfach auf.

    I Hadn’t Anyone Till You

    Ob mit Joe McCarthy und Roy Cohn oder ohne sie: Eine Spezialität der McCarthyisten war es, Elemente aus den Lebenslauf einer Person herauszugreifen und diese so hinzudrehen, dass sie den Verdacht zu bestätigen schienen, sie gehörten zur Fünften Kolonne Moskaus. Im Falle von Dix Steele geht es (vordergründig) nicht um Politik, sondern um einen Hang zur Gewalt, weil ihm nicht kommunistische Subversion vorgeworfen wird, sondern ein Mord. Drei Wochen nach dem Tod von Mildred Atkinson lässt Lochner Laurel zu sich kommen, um ihr das belastende Material zu zeigen, das er gegen Dix gesammelt hat: „Prügeleien, Skandale, Zerstörung. Das alles läuft auf dasselbe hinaus - auf einen unberechenbaren, gewalttätigen Menschen.“

    In a Lonely Place

    Laurel glaubt nicht, dass die Informationen in einer Polizeiakte Dix zum Mörder machen, aber Zweifel an seiner Unschuld sind geweckt. Lochners Insistieren hinterlässt bei Laurel genauso Spuren wie bei Dix. Einmal sitzen die beiden mit anderen Gästen am Flügel einer Pianobar. Der Klavierdeckel dient zum Abstellen der Gläser. Die Jazzpianistin Hadda Brooks (https://www.theguardian.com/news/2003/feb/04/guardianobituaries.artsobituaries), die „Königin des Boogie“, singt einen Blues: I Hadn’t Anyone Till You (https://www.youtube.com/watch?v=xpPoBroNGdM

    ). Ray erlaubt sich eine schöne, für einen 1949 gedrehten Film geradezu revolutionäre Geste, die man erst richtig würdigen kann, wenn man weiß, dass die gewichtigste Währung des Hollywoodkinos die Einstellungsgröße war.

    In a Lonely Place

    Das Grundprinzip ist simpel. Umso größer der Star, desto näher kommt die Kamera und desto länger verweilt sie. Ray spendiert Hadda Brooks drei Nahaufnahmen. Eine davon dauert sehr lange 25 Sekunden. Damit begeht Ray einen doppelten Regelverstoß, weil er durch die Wahl der Einstellungsgröße nicht nur eine Nebendarstellerin in den Kreis der Privilegierten holt, sondern eine Afroamerikanerin. Schwarze wurden damals mit dienenden Rollen abgespeist und hatten keine Einstellung für sich allein zu beanspruchen, mit weißen Statisten im Hintergrund.

    Bei der Kinoauswertung im Jahre 1950 müsste das viel stärker gewirkt haben als heute. Inzwischen haben sich die mit Weltanschauung und Ideologie verbundenen Sehgewohnheiten geändert und die Nahaufnahmen fallen nicht mehr so auf. Wir wollen hoffen, dass es so bleibt. Für die „Let’s Make America White Again“-Anhänger sei angemerkt, dass Hadda Brooks’ Biographie als Beleg für die Legitimität der Präsidentschaft des 1961 in Honolulu geborenen Barack Obama dienen kann. Hadda sang 1959 bei der Feier zur Aufnahme von Hawaii in die Vereinigten Staaten von Amerika. Obama kam doch in den USA zur Welt, auch wenn sein Nachfolger jahrelang etwas anderes insinuierte.

    Paranoia

    An Hadda Brooks’ Klavier sehen wir das Glück eines frisch verliebten Paares. Dix zündet für sich und Laurel eine Zigarette an, die beiden strahlen sich an und flüstern sich ins Ohr. In einer Schuss-Gegenschuss-Montage singt die Pianistin die das Glück des Paares kommentierende Ballade dazu: „I used to lie awake/And wonder/If there could ever be/Someone in this wide, wide world/Just made for me/Now I see/I had to save my love/For you.“ Dann schlägt der Moment der gelassenen Heiterkeit urplötzlich in sein Gegenteil um. Ray hat dafür eine für Hollywood-Verhältnisse bizarre Großaufnahme gewählt.

    In a Lonely Place

    Die Einstellung löst Laurel und Dix aus ihrer Umgebung heraus als gäbe es nur noch diese beiden in der weiten, weiten Welt, die durch ihre Liebe von einem einsamen zu einem heimeligen Ort der Geborgenheit geworden ist. „Fehlt dir etwas zum Glücklichsein?“, fragt Dix. Laurel flüstert ihm ins Ohr: „Ich will keinen außer dir.“ Dann spannt sich ihr Körper an, sie hebt den Kopf und blickt ins Off. „Was macht er hier?“, fragt sie. Dix dreht sich um, sein Blick folgt dem Laurels und er sieht Barton, einen Detektiv aus der Abteilung von Captain Lochner. Der Moment des unbeschwerten Glücks ist vorbei.

    In a Lonely Place

    Bis zu diesem Augenblick gab es ein unsichtbares Band zwischen dem verliebten Paar, der Sängerin und ihrem Lied. Jetzt drückt Dix so heftig seine Zigarette aus, dass die Sängerin erschrickt. Dix und Laurel verlassen das Lokal. Am Eingang müssen sie an Barton vorbei, Dix macht eine sarkastische Bemerkung: „Wir haben Ihnen schon mal zwei Plätze angewärmt. Von hier aus gehen wir ins ‚Paul’s’. Ich tue gern alles, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern.“ Das ist wieder eine dieser vielschichtigen Szenen, die den Film so wirkungsvoll machen. „Greifbar gemachter Verdacht“, schrieb Ray in sein Drehbuchexemplar.

    In a Lonely Place

    Einerseits ist Dix paranoid. Barton spioniert ihm nicht nach, er und seine Frau wollten den Abend zufällig in derselben Pianobar verbringen. Andererseits war Laurel in der Szene davor im Büro von Captain Lochner, der versuchte, sie von Dix’ Schuld zu überzeugen. Dix ist noch immer der Hauptverdächtige, die Polizei ermittelt weiter gegen ihn, wovon Dix aber nichts weiß, weil Laurel ihm nichts davon gesagt hat, um ihn nicht aufzuregen. Man könnte sagen, dass sie Dix damit hintergeht, und genau so wird Dix es empfinden, wenn es herauskommt. Einstweilen verlässt er das Lokal als der unbeherrschte Mensch, den Lochner in seinem Szenario braucht.

    Aber ist er deshalb auch der Mörder von Mildred Atkinson? Und welche Rolle spielt die Polizei dabei? Wie verändert sich Dix’ Verhalten unter dem Druck, den Lochner auf ihn und Laurel ausübt? In Hollywood ging jedenfalls die Angst um, als Ray den Film drehte. Man wusste nicht mehr genau, wem man trauen konnte und wem nicht. In den zwei Jahren seit den ersten Anhörungen, schreibt Eisenschitz in seiner Ray-Biographie, „hatte kein anderer Film die Atmosphäre so präzise eingefangen. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass In a Lonely Place von Filmemachern wie Abraham Polonsky, Samuel Fuller oder Anthony Mann, für die der [kommerzielle] Erfolg nicht das einzige Kriterium war, so bewundert wurde.“

    Bewusstseinsmassage

    Von der Pianobar, in der Hadda Brooks weiter ihr Lied singt, bringt uns eine Überblendung in Laurels Wohnung. Laurel liegt auf einer Massagebank. Früher, als Starlet, hat sie in ein paar B-Filmen mitgespielt. Jetzt türmt sich der Körper von Martha hinter ihr auf, der massig ist und zugleich zu schweben scheint wie der Geist aus der Flasche. Die Masseuse, heißt es einmal, sei das einzige, was von Laurels Hollywoodkarriere übrig sei. Die aus Untersicht aufgenommene Szene könnte aus einem Horrorfilm sein, oder aus der Waschmittelreklame, wo das gute Lenor-Gewissen zur Hausfrau mit der kratzigen Wäsche spricht.

    In a Lonely Place

    In dieser außergewöhnlichen Szene wird Martha zur Verkörperung von Laurels Unbewusstem, oder zu einer von zwei Seelen in ihrer Brust, die miteinander im Wettstreit liegen. „Du musst an dich selber denken“, sagt Martha. „Ich bin noch nie im Leben glücklicher gewesen“, antwortet Laurel, die früher die Mätresse des Immobilientycoons Baker war. Martha ist anderer Meinung. Laurel hätte bei Mr. Baker bleiben sollen, sagt sie, in seinem Haus mit dem schönen Pool, den er extra für sie gebaut hat. Mr. Baker sei ein guter Geschäftsmann, der sie heiraten wolle und ihr Sicherheit bieten könne.

    In a Lonely Place

    „Und vergiss nicht, mein Engel, am Anfang war das Land [mit dem Mr. Baker seine Millionen macht]“, sagt Martha mit monotoner, das Hohelied auf den Materialismus ableihernder Stimme. „Der Film kam später.“ Am Anfang war das Wort, soviel ich weiß, aber in Marthas Welt, die nach Laurel die Hand ausstreckt, ist auch das zu unkonkret, weil es da weder um Kunst noch um Spiritualität geht, sondern um materielle Werte wie Bakers Grundstücke und Häuser. Im Rahmen dieser Werteordnung lässt sich auch die Tatsache gegen Dix verwenden, dass er zur Miete wohnt.

    Auslöser für das Streitgespräch zwischen Laurel und Martha (in Laurels Unbewusstem) ist der Verdacht, der um sich greift, weil Captain Lochner, als Polizist der natürliche Verbündete der Hausbesitzer, Zweifel an Dix’ Unschuld sät. „Sie wissen immer noch nicht, wer diese Garderobiere getötet hat“, sagt Martha. Inzwischen sehen wir sie und Laurel von der Seite. Die Masseuse wirkt konkreter als in der vorherigen Einstellung, und wie die weibliche Version eines Schlägers, der andere einschüchtert und ihnen droht. Marthas Sicht der Dinge ist dabei, die Oberhand zu gewinnen.

    Früher habe sie sich auch um die Schauspielerin Frances Randolph gekümmert, sagt Martha, die mit Mr. Steele liiert gewesen sei, bis dieser sie verprügelt und ihr die Nase gebrochen habe. Wo der Promiklatsch aufhört und die Wahrheit anfängt bleibt ebenso offen wie die Frage, was mit „kümmern“ genau gemeint ist. Hat Martha Frances’ Körper massiert oder ihr Bewusstsein, und wie ist das mit Laurel? „Eines Tages wirst du noch herausfinden“, sagt Martha, „was dein Freund für einer ist. Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist.“ Die Atmosphäre ist jetzt schon so bedrückend, dass es schlimmer kaum mehr sein kann.

    Wütendes Eichhörnchen

    Die nächste Eskalationsstufe folgt sofort. Nachdem Martha Laurel den Verdacht gegen Dix einmassiert hat treffen sich die beiden mit Brub Nicolai und seiner Frau Sylvia zu einem abendlichen Picknick am Strand. Dix und Laurel genießen wieder ihr - nun schon überschattetes - Glück (man beachte die dunklen Wolken im Hintergrund), bis Sylvia sich verplappert und ausplaudert, dass Brub Laurel noch einmal zu Lochner gebracht hat. Dix wusste davon nichts, fühlt sich von Laurel, die ihn schonen wollte, belogen und verraten. Brub hält er für einen Heuchler, der seinen Freund spielt, um ihm einen Mord anhängen zu können, den er nicht begangen hat.

    In a Lonely Place

    Das Picknick hat sich erledigt. Dix rast wie von Sinnen zurück in die Stadt, mit Laurel auf dem Beifahrersitz. An einer Kreuzung kommt ein Auto. Dix kann den Zusammenstoß gerade noch verhindern. Der andere Fahrer ist vor Wut ganz außer sich, weil der Lack seines Wagens ein paar Kratzer abbekommen hat. Er beschimpft Dix als „blind knuckle-headed squirrrel“, was man mit „blinder Armleuchter und Spinner“ übersetzen könnte (das Wort squirrel/Eichkätzchen kann auch einen Exzentriker bezeichnen).

    In a Lonely Place

    Das ist der Funke, der Dix explodieren lässt. Er prügelt auf den Mann ein, hat keine Kontrolle mehr über sich. Laurel erlebt zum ersten Mal einen seiner Wutausbrüche mit, statt nur davon zu hören. Dix hat schon einen Stein in der Hand, als sie laut schreit, dass er den Mann gleich töten wird. Das bringt ihn zur Besinnung. Die beiden setzen die Fahrt in langsamerem Tempo fort, während sich Dix’ Kontrahent den Kopf reibt. Laurel trägt dieselbe karierte Jacke wie in der Szene im Polizeirevier, in der sich durch Blickkontakt ein starkes Band zwischen ihr und Dix bildete.

    In a Lonely Place

    Solange sie sich in die Augen schauen können ist ihre Beziehung stabil, ihre Liebe intakt. Nach dem Streit am Strand und Dix’ Prügelei mit dem Autofahrer sitzen sie nebeneinander, die Blicke geradeaus gerichtet. Die Beziehung steuert auf eine Krise zu. Laurel hat begonnen, an Dix’ geistiger Gesundheit zu zweifeln und wird von nun an immer häufiger seinem Blick ausweichen. Dix versucht, mit der Situation umzugehen, indem er eine Verbindung zu seinem Metier herstellt, dem Filmemachen. Das tut er dauernd, weil er sich auf diesem Gebiet auskennt und hofft, eine Wirklichkeit, die in eine filmische Form gebracht ist, besser kontrollieren zu können.

    In a Lonely Place

    Dem Verdacht, ein Frauenmörder zu sein, begegnet er mit dem Hinweis, dass er Mildred Atkinson niemals aus einem fahrenden Auto geworfen hätte wie Zigarettenkippen, weil das seinem „künstlerischen Temperament“ widerspreche (eine tote Frau muss eine schöne Leiche abgeben, also ästhetisch ansprechend sein). Die erste Liebeserklärung, die er Laurel macht, ist wie ein Dialog aus einem seiner Drehbücher: „Als Sie auf dem Polizeirevier hereinkamen sagte ich zu mir: ‚Da ist sie. Die eine, die anders ist. Sie ist nicht kokett oder süß oder abgeschmackt. Sie ist ein guter Kumpel. Ich bin froh, dass sie auf meiner Seite ist. Sie sagt, was sie denkt und sie weiß, was sie will.’“

    Mit Ausnahme des guten Kumpels, der sagt, was er denkt, weiß, was er will und dazu noch die Erotik einer Gloria Grahame ausstrahlt, listet Dix die Frauentypen auf, die man aus Filmen zur Genüge kennt. Man könnte sich eine Szene in der Casting-Agentur vorstellen. Ich habe eine Rolle für den eher schüchternen und etwas koketten Typ, sagt der Regisseur. Der Agent schaut in der Kartei nach, wer dafür in Frage kommt. In der Übersetzung gehen die drei „cs“ verloren. „She’s not coy or cute or corny“, sagt Dix im Original und genießt die Alliteration. Ein Dialog soll auch gut klingen.

    Nach ihrem ersten Streit, im Auto, tauschen Laurel und Dix die Plätze. Laurel fährt und Dix zitiert einen Dialog für sein Drehbuch, der ihm durch den Kopf geht und ein Gedicht sein könnte: „I was born when she kissed me/I died when she left me/I lived a few weeks/While she loved me.“ "Ein Abschiedsgruß?", fragt Laurel. „Ich weiß nicht“, antwortet Dix. „Vielleicht. Wiederhol es für mich. Lass mich hören, wie es klingt.“ Ist das eine Art Screentest? Überlegt Dix, ob es im Drehbuch eine Rolle gibt, die ein Neustart für Laurels ins Stocken geratene Karriere sein könnte?

    In a Lonely Place

    Oder will er die Frau an seiner Seite, in die er sich verliebt hat, weil sie ihren eigenen Kopf hat, in eine Filmfigur verwandeln, über die er Macht ausübt, weil er der Autor ist? In dem Film, den Nicholas Ray gedreht hat, ist es immer beides und noch mehr. Dieser Film weiß längst, dass es sich bei dem Vierzeiler um einen Abschiedsgruß handelt. Das gewalttätige Verhalten, das Laurel zum ersten Mal selbst miterlebt hat, wird die Liebe der beiden zerstören. Darum wird jetzt auf die Zeitung des folgenden Tages überblendet. Aufmacher ist ein Vorfall im Straßenverkehr, bei dem ein unbekannter Angreifer John Mason, einem Footballstar der UCLA, ein blaues Auge verpasst hat.

    In a Lonely Place

    Wann schreit eine Frau um Hilfe?

    Man kann Dix nicht vorwerfen, dass er sich nur an Schwächeren abreagiert. Humor hat er auch. Als „Joe Squirrel“ schickt er Mason 300 Dollar (200 für den Kratzer im Lack, 100 für das Veilchen), weil er wieder einmal bereut, was er getan hat. Er macht es nicht unter falschem Namen, weil er Angst vor Strafverfolgung hat, sondern weil das ein Teil seines komplexen Charakters ist. Dix ist ein extrem sensibler Mensch, der in der Öffentlichkeit den tough guy spielt wie Bogart in seinen Gangster- und Detektivfilmen, statt Leute wie den moralisierenden und selbstgerechten Captain Lochner hinter seine Fassade blicken zu lassen.

    In a Lonely Place

    Statt aus Drehbüchern zitiert Lochner aus Polizeiakten: „Nächster Punkt. 22. Juni, 23 Uhr. Frances Randolph schreit um Hilfe. Gibt an, dass Steele sie verprügelt hat. Streitet dann ab, ihn beschuldigt zu haben. Behauptet, gegen eine Tür gelaufen und sich so die Nase gebrochen zu haben.“ Stimmt demnach das von der Masseuse verbreitete Gerücht? Hat Dix seine frühere Freundin verprügelt und ihr ins Gesicht geschlagen? Wahrscheinlich schon. Allerdings ist das nicht nur ein Auszug aus der Wirklichkeit, sondern auch ein melodramatisches Versatzstück, bekannt aus allzu vielen Filmen.

    In a Lonely Place

    Eine Frau ruft um Hilfe. Wenn die Polizei kommt streitet sie ab, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein - aus Angst vor dem Schläger, oder weil geprügelte Frauen oft in Abhängigkeit von ihren Peinigern geraten. Mag sein, dass Nick Ray seine Noch-Ehefrau Gloria Grahame nicht zuletzt deshalb als Laurel Gray besetzen wollte, weil sie auf die Rolle der auf eine beunruhigende Weise masochistischen, durch die Begegnung mit brutalen Männern angeschlagenen Sexbombe festgelegt war. Das half ihm dabei, eine ungleich subtilere Form der Anziehungskraft freizulegen und sich den Hauptfiguren so sehr zu nähern, dass es schmerzt.

    Andererseits kontrastiert Ray Lochners Polizeiakte mit der Szene, in der Mildred Atkinson, das zukünftige Mordopfer, für Dix den Inhalt von Althea Bruce nacherzählt und laut „Hilfe! Hilfe!“ schreit wie die Heldin im Roman. Dix erschrickt und bittet Mildred, leiser zu sein, der Nachbarn wegen. Denkt er dabei daran, was ihm mit Fran widerfahren ist, der Schauspielerin mit der gebrochenen Nase? Ist das der Versuch des Regisseurs, die männliche Gewalt gegen Frauen, die auch die seine war (in der Ehe mit Gloria), zu relativieren, wird sie so zum Missverständnis erklärt (alles nur gespielt)? Dem Film wird man damit nicht gerecht.

    In a Lonely Place

    Ray will nichts beschönigen. Er warnt vielmehr davor, uns zu sehr an der Oberfläche zu orientieren und an dem, was offensichtlich zu sein scheint, weil es so gut zu einer vorher gefassten Meinung passt. Am Grund für Mildreds „Hilfe! Hilfe!“ gibt es keinen Zweifel. Wir sind dabei, wenn sie sich mit der Romanheldin identifiziert und für sie das Schreien übernimmt. Man braucht aber nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was Lochner daraus machen würde, gestützt durch seine Akten. Die Hilferufe würden dann zum Beweis für einen Mord, den Dix nicht begangen hat, auch wenn er Fran (vermutlich) die Nase gebrochen hat.

    Schwarze und weiße Hüte

    Vor dem Hintergrund des McCarthyismus hat das eine eminent politische Dimension. In Hollywood erfuhr man damals, wie schnell aus einem Verdacht und ein paar Indizien die Zerstörung der bürgerlichen Existenz werden konnte. Auf der Schwarzen Liste der Hexenjäger landeten Mitglieder der Kommunistischen Partei, Filmkünstler, die es früher mal gewesen waren, Anhänger der Politik von Roosevelt, auch Menschen, deren Lebensstil jemandem nicht gefiel wie der von Dixon Steele dem Chef der Mordkommission. Sogar Opfer einer Namensverwechslung waren dabei. Wehren konnten sie sich meistens nicht, weil die Anschuldigungen im Nebulösen blieben.

    Selbstverständlich gab es in den USA des Kalten Krieges (so wie vorher und auch nachher) Kommunisten, kommunistische Spione und Subversive, die das Land gern in eine englischsprachige Sowjetunion verwandelt hätten. Etwas anderes anzunehmen wäre naiv und weltfremd. Aber das vereinfachende Schwarz-Weiß-Denken der Hexenjäger war seinem Wesen nach populistisch. Nach allem, was man heute weiß (und damals schon wissen konnte), wurde die Wirklichkeit von den Grautönen dominiert, in denen Rays Kameramann Burnett Guffey die Welt von In a Lonely Place einfängt.

    Der Film ist so irritierend, weil er sich nicht an die Regeln hält. In Hollywood mag man klare Verhältnisse. Das Publikum soll nicht überfordert werden und hinterher auch nicht schlecht schlafen, damit es wiederkommt. Wäre In a Lonely Place ein durchschnittliches Produkt der Unterhaltungsindustrie, würde der Film am Schluss eine scharfe Grenze zwischen Gut und Böse ziehen. Dixon Steele wäre schuldig oder unschuldig, ein brutaler Mörder oder nicht. Für einen Anti-McCarthy-Film könnte das nur bedeuten, dass sich am Ende die Unschuld des von der Polizei verfolgten Helden herausstellt.

    Ray war das zu einfach, weil die Wirklichkeit komplizierter war. Den Mord an Mildred begeht ihr spießiger Verlobter, und Dix ist trotzdem nicht die verfolgte Unschuld, weil er andere Leute schlägt. Der wahre Täter hat zwei Kurzauftritte, und dann erfährt man noch, dass er versucht hat, sich umzubringen. Der Film interessiert sich so wenig für die Frage nach dem Mörder, weil es schlicht nicht sein Thema ist. Das hat den - durchaus gewünschten - Nebeneffekt, dass der Ermittler und seine Methoden stärker in den Fokus geraten. Heiligt der Zweck die von Lochner angewendeten Methoden? Auf keinen Fall, sagt der Film.

    Die Resultate sind desaströs. Während die Polizei dem Falschen nachstellt muss der Mörder - ein Drehbucheinfall voll bitterböser Ironie - einen Suizidversuch unternehmen, um darauf hinzuweisen, dass er auch noch da ist. Dix’ Freundschaft mit Brub, der ihn für Lochner ausspioniert hat, ist kaputt. Dix’ Beziehung mit Laurel geht in die Brüche. Daran ist Lochner nicht allein schuld, weil man immer Leute braucht, die mitmachen, doch er trägt sein Teil dazu bei.

    Mich erinnert Lochner an Fred McCarty (der „Tarnung“ wegen ohne h), den falschen Sheriff in Allan Dwans Silver Lode (1954), der in die Stadt geritten kommt und einen von den Bürgern beschuldigt, dass er ein Mörder ist. Den besten Anti-McCarthy-Western drehte Ray 1954 selbst. In Johnny Guitar werden Joan Crawford und Sterling Hayden von einem Lynchmob gejagt, der die eigenen Interessen mit denen des Gemeinwesens verwechselt und ganz in Schwarz durch die Gegend reitet, weil die Jäger eine manichäische Weltsicht pflegen. Das ist Rays ironische Verbeugung vor den Western der Anfangszeit, als die Guten noch weiße und die Bösen schwarze Hüte trugen, damit das Publikum gleich wusste, woran es war.

    Johnny Guitar

    Wie kompliziert die Wirklichkeit mitunter ist erfuhr dagegen Humphrey Bogart. Im Oktober 1947 flogen er, Lauren Bacall, John Huston, Sterling Hayden und andere Mitglieder des Committee for the First Amendment nach Washington, um gegen die Anhörungen des Ausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten zu demonstrieren. Die Aktion erwies sich als Schlag ins Wasser, weil herauskam, dass sich unter den vorgeladenen „Hollywood Ten“ nicht nur liberale Roosevelt-Anhänger befanden, sondern auch KP-Mitglieder.

    Committee for the First Amendment

    Sterling Hayden musste zugeben, ebenfalls Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen zu sein, nannte schließlich die Namen ehemaliger Parteigenossen, um nicht weiter auf der Schwarzen Liste geführt zu werden und verarbeitete seine Schuldgefühle in einem sehr guten Buch, Wanderer, das nicht nur von seiner Leidenschaft für das Segeln und das Meer erzählt. Die Denunziation gehörte zum Ritual, mit dem ein reuiger Sünder seine Läuterung bewies. Wer keine Namen nennen konnte, dem wurden welche vorgeschlagen. Wichtig war das Bekenntnis, mal öffentlich und mal in geheimer Sitzung abgelegt.

    Diese entwürdigenden Rituale, und die Folgen für die Beteiligten, interessieren heutige Revisionisten sehr viel weniger als die Suche nach Beweisen dafür, dass es doch eine Verschwörung massiven Ausmaßes gab und dass Joseph McCarthy demnach richtig handelte und seinerseits das Opfer einer von Moskau initiierten Rufmordkampagne wurde. Nur die Frage, ob Stalin 205 kommunistische Unterwanderer ins Außenministerium geschleust hatte, 57, 81 oder vielleicht die Quersumme aus allen von McCarthy genannten Zahlen, bleibt trotz neuester Erkenntnisse der Historiker weiter unbeantwortet.

    Roosevelt und andere Subversive

    Bogart teilte nach der Demo in Washington mit, wie sehr er sich darüber ärgere, dass ihn die Kommunisten belogen und zum nützlichen Idioten gemacht hätten. In der Zeitschrift Photoplay erschien ein Artikel, „I’m no Communist“ , den er wohl schrieb, um seine Karriere zu retten, und auch auf Druck der Warner Bros., bei denen er noch unter Vertrag stand und die ihren größten Star nicht verlieren wollten. Man darf es als einen Akt des Widerstands werten, wenn er mit seiner eigenen Firma, der Santana Pictures, In a Lonely Place produzierte, mit Nicholas Ray als Regisseur und mit Art Smith als Darsteller von Mel Lippman, dem Agenten und treuen Freund von Dix Steele.

    In a Lonely Place

    Ray war per se verdächtig, weil er seine Laufbahn bei Kunstprojekten begonnen hatte, die im Rahmen des New Deal vom Staat finanziert wurden, um Arbeitslose in Lohn und Brot zu bringen und mit denen Roosevelt nach republikanischer Lesart den Kommunismus einführen wollte (mit ganz ähnlichen Argumenten bekämpfen die Republikaner jetzt Obamacare). Art Smith war eines der ersten Mitglieder des legendären Group Theatre in New York. Für diese experimentelle Bühne schrieb er in den 1930ern Agitprop-Stücke, einige davon mit Elia Kazan, dem er nach Hollywood folgte, als dieser an die Westküste übersiedelte, um A Tree Grows in Brooklyn (1945) zu drehen.

    Elia Kazan

    Nicht dank eines kommunistischen Netzwerks, sondern seiner schauspielerischen Qualitäten wegen wurde Art Smith einer der meistbeschäftigten Charakterdarsteller Hollywoods. Zusammen mit anderen ehemaligen Ensemblemitgliedern des im Ruch der kommunistischen Unterwanderung stehenden Group Theatre saß er im Führungsgremium des Actors’ Laboratory, einer Organisation, in der sich Schauspieler mit dem Ziel zusammengeschlossen hatten, ihr Wissen an junge Kollegen weiterzugeben und die Schauspielkunst zu fördern.

    Jack B. Tenney

    1947 geriet das Actor’s Lab ins Visier des republikanischen Politikers Jack B. Tenney, der im Senat des Bundesstaats Kalifornien dem dort gebildeten Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Aktivitäten leitete und eigene Vorladungen an mutmaßliche kommunistische Verschwörer verschickte, weil er nicht zurückstehen wollte, wenn seine Kollegen in Washington für die Rettung der freien westlichen Welt kämpften - und nebenbei auch für die Belange der traditionellen Verbündeten der Republikanischen Partei.

    Den McCarthyismus versteht man besser, wenn man weiß, dass die Republikaner nach dem Schwarzen Freitag von 1929 viele ihrer Wähler verloren, weil sich in der großen Wirtschaftskrise der 1930er nicht mehr verbergen ließ, dass ihre für Großbanken und Konzerne gemachte Wirtschaftspolitik gescheitert war. Davon profitierten die Demokraten und die nicht zu den Besserverdienern gehörenden Amerikaner, weil Roosevelt in Ansätzen einen Sozialstaat einführte. Seitdem polemisieren die Republikaner gegen den künstlich aufgeblähten Staat, der die Freiheit des Individuums (das freie Unternehmertum) bedroht.

    Im Nachhinein wundert man sich darüber, dass Orson Welles, John Huston, Humphrey Bogart, John Garfield und Edward G. Robinson in Verdacht geraten konnten, Mitglieder einer von Moskau gesteuerten Fünften Kolonne zu sein, nachdem sie Wahlkampf für FDR gemacht und sich für die Meinungsfreiheit ausgesprochen hatten (Robinson war mit Roosevelt befreundet, was gegen ihn verwendet wurde). Aus Sicht vieler McCarthyisten war das nur logisch, weil der New Deal für sie eine verkappte Form des Kommunismus war. Vom Roosevelt-Anhänger zum Staatsfeind war es da nicht mehr weit.

    Über die Schädlichkeit des Tabaks

    Von den revisionistischen Historikern und Wahrheitssuchern aus der rechten Ecke hätte ich gern eine Information darüber, wie viele der auf eine Schwarze Liste geratenen Menschen (die Filmkünstler in Hollywood sind ein kleiner Teil davon) jüdischer Abstammung waren. Ich weiß nur, dass es sehr viele sind. Analog zu den Homosexuellen (siehe Teil 2) waren in der Logik des McCarthyismus auch die Juden für den im Verborgenen operierenden Kommunismus prädisponiert, weil sie nicht im Kaftan unterwegs waren und Assimilation eine Form der Heimlichtuerei war. Edward G. Robinson hieß mit bürgerlichem Namen Emanuel Goldenberg, John Garfield Jacob Julius Garfinkle. Schon wieder ein Beweis.

    Wer das für zu blöd hält, um es ernst zu nehmen: Senator Tenney verfasste mehrere Pamphlete über die zionistisch-kommunistische Weltverschwörung. Nicht nur von Leuten wie David Duke, dem früheren Grand Wizard des Ku Klux Klan, erhält er dafür posthumes Lob. Durch seine patriotische Arbeit in den 1940ern, lässt Duke wissen, sei Tenney zu einem der besten Kenner des zionistisch-jüdischen Netzwerks geworden. Leicht hatte es der Experte für die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung freilich nicht.

    Tenneys Versuch, das Actors’ Lab als kommunistische Tarnorganisation zu entlarven, endete eher kläglich, weil sich viele Künstler öffentlich mit den Vorgeladenen solidarisierten und sich der Ausschussvorsitzende durch seine Beweisführung lächerlich machte. Ein wichtiges Glied in Tenneys Indizienkette war die Tatsache, dass die Schauspieler zwei Einakter eines russischen Dramatikers einstudiert hatten. Die Stücke hießen Der Bär und Über die Schädlichkeit des Tabaks. Der Autor war Anton Tschechow.

    Mehrere in Los Angeles erscheinende Zeitungen druckten eine Annonce ab, deren Unterzeichner - 65 Künstler aus der Film- und Theaterszene - daran nichts Verwerfliches finden konnten und dazu aufforderten, Tenneys Treibjagd ein Ende zu machen. Das hatte Konsequenzen. Viele der Unterzeichner wurden von diesem oder jenem Ausschuss vorgeladen und gedrängt, Aussagen gegen einige der anderen 64 zu machen, um sich selbst zu entlasten. Art Smith und seine Mitstreiter waren ohnehin vorgemerkt, seit sie ihre Kollegen in der Filmindustrie um Unterstützung gebeten und vor Zensur gewarnt hatten, statt sich von Tenney einschüchtern zu lassen.

    Clifford Odets

    In a Lonely Place versteht man besser, wenn man weiß, was später dem kleinen Mann mit Hut und Brille widerfuhr, der immer zur Stelle ist, wenn Dix Steele einen Freund braucht. Zweieinhalb Jahre nach den Dreharbeiten wurde Art Smith von zwei früheren Weggefährten als Mitglied einer kommunistischen Zelle innerhalb des Group Theatre genannt - zuerst von Elia Kazan, dann von Clifford Odets. Die Filmkarriere von Art Smith war damit vorbei. Offenbar war er nicht bereit, sich ebenfalls freizukaufen, indem er Namen nannte oder sich entsprechende Vorschläge unterbreiten ließ.

    Das Haus, in dem Sinatra wohnt

    Senator Tenney hatte nicht mit so viel Widerstand gerechnet, als er den gesamten Vorstand des Actors’ Lab vorladen ließ und suchte sich andere Opfer. Auf seiner berüchtigten „pink list“ mit Unterstützern des Kommunismus stand beispielsweise Thomas Mann. Einer von Tenneys Lieblingsfeinden war Frank Sinatra, der regelmäßig vor Jugendlichen auftrat, um für einen Abbau der religiösen und ethnischen Diskriminierung zu werben. 1947 intensivierte der Senator seine Untersuchungen, bei welchen Organisationen Sinatra aufgetreten war und ob es Verbindungen nach Moskau geben könnte.

    Sinatra war verdächtig, seit er - meistens an der Seite von Orson Welles - Wahlkampf für Franklin D. Roosevelt gemacht hatte, der sich 1944 um eine vierte Amtszeit bewarb. Im November 1945 zog sich Sinatra den Zorn rechtschaffener weißer Patrioten zu, als er auf Einladung einer Gruppe engagierter Bürger nach Gary, Indiana reiste. Das fand landesweite Beachtung, weil Sinatra der größte Popstar der USA war. Der Anlass der Reise: Weiße Schüler der Froebel High School weigerten sich, das Gebäude zu betreten, weil nun auch schwarze Kinder am Unterricht teilnehmen durften.

    Für „The Voice“, den Schwarm aller Teenager, machten sie eine Ausnahme. Sinatra erzählte von der Diskriminierung, die er als Kind italienischer Einwanderer erfahren hatte, forderte zu Toleranz auf und sagte den Schülern, dass sie stolz auf ihre Heimatstadt sein dürften, dies jedoch nur, wenn der Schulstreik beendet werde (der Streik ging weiter, wurde aber wenigstens nicht ausgeweitet). Presseberichten zufolge herrschte betretenes Schweigen, als Sinatra The House I Live In sang, das Lied aus dem Kurzfilm mit demselben Titel, der 1945 Furore machte.

    Sinatra spielt sich in dem Film selbst und redet einer Gruppe von Kindern ins Gewissen, die einen kleinen Jungen drangsalieren, weil er Jude ist. Er fragt sie, ob sie Nazis sein oder sich von Demagogen für dumm verkaufen lassen wollen, erklärt die religiöse und ethnische Vielfalt zur besonderen Stärke der USA und singt das Lied über das Haus (Amerika), in dem er leben möchte. Am Ende nehmen die Kinder den jüdischen Jungen in ihren Kreis auf. Das gefiel nicht allen. Die Akte, die Hoovers FBI über Sinatra führte, wurde immer dicker.

    Es gab Spekulationen, ob Sinatras Mutter eine „Halbjüdin“ sein könnte und die für den aufkommenden McCarthyismus typische Kriminalisierungsstrategie. Die Skandalpresse grub eine alte Geschichte von 1938 aus (und das zugehörige Verbrecherphoto), als Sinatra festgenommen worden war, weil ihn eine junge Frau beschuldigt hatte, ihr die Ehe versprochen und sie so verführt zu haben. Unabhängig davon, ob das so gewesen war oder nicht: Den Bewahrern eines weißen und protestantischen Amerika war Sinatra ein Dorn im Auge. Weil Feindbilder austauschbar sind warfen ihm die einen vor, ein Kommunist zu sein; andere warnten davor, wie leicht ein Star wie Sinatra, der Teenager scharenweise zum Kreischen brachte, ein neuer Hitler werden könnte.

    Frank Sinatra

    Der Knick, den Sinatras Karriere in der McCarthy-Ära erlitt, wird meistens mit dem Imageschaden durch seine Mafiakontakte und dem offen zur Schau gestellten Ehebruch mit Ava Gardner erklärt, oder auch damit, dass er die spießigen Popsongs nicht singen wollte, die in einem spießigen Amerika in Mode kamen. Es gab noch andere Gründe. The House I Live In spielte dabei eine gewichtige Rolle. Der 1946 mit einem Ehrenoscar prämierte Film wurde innerhalb weniger Jahre zum kommunistischen Propagandastreifen umgedeutet.

    Das Drehbuch hatte Albert Maltz verfasst, einer der Hollywood Ten. Das von Sinatra gesungene Lied verwandelte sich vom landesweiten Hit in einen „Beweis“ für die Ruchlosigkeit von Stalins Kohorten, die versuchten, Amerikas Jugend zu indoktrinieren. Die Musik hatte Earl Robinson komponiert. Der Folksänger war in den 1930ern wie viele andere Mitglied der KP, schrieb Wahlkampflieder für FDR und wurde 1940 Filmkomponist in Hollywood, wo ihn die McCarthyisten auf die Schwarze Liste setzten, ebenso wie Maltz und Albert Smith.

    Der Text zum Lied war von Abel Meeropol (Künstlername: Lewis Allan), zeitweise KP-Mitglied und ohnehin verdächtig, weil er den durch die Interpretation von Billie Holiday berühmt gewordenen Anti-Lynch-Song Strange Fruit geschrieben hatte. Im paranoiden Klima der McCarthy-Ära reichte das aus, um auch Frank Sinatra zum Kommunisten zu machen. Als ihn ein Reporter nach seiner angeblichen Nähe zu Moskau fragte verprügelte er den Mann, ganz in der Manier des von seinem Freund Humphrey Bogart gespielten Dixon Steele. Später sang Sinatra „The House I Live In“ für Ronald Reagan und für Richard M. Nixon, der als junger Abgeordneter Mitglied im HUAC war und seine Karriere in Schwung brachte, indem er kommunistisch-homosexuelle Umtriebe aufdeckte.

    Schwarze Nachbarn

    Einen Wutanfall hatte auch Abel Meeropol, als er den Film sah und feststellte, dass im Lied einige für ihn unverzichtbare Zeilen fehlten: „The house I live in/My neighbors white and black/The people who just came here/Or from generations back.“ Die erst kürzlich ins Land gekommenen Einwanderer und die schwarzen Nachbarn der weißen Amerikaner waren den Produzenten zu heikel gewesen. In der Version, die Paul Robeson (https://www.youtube.com/watch?v=U3syulBjkng

    ) 1947 aufnahm, sind sie wieder drin. 1961 sang Sinatra das nun erneut zur patriotischen Hymne gewordene Lied bei der von ihm organisierten Feier zur Amtseinführung von John F. Kennedy. Zuvor musste er auf Wunsch des Präsidenten seinen Freund Sammy Davis Jr. wieder ausladen.

    Sammy Davis Jr. beim March on Washington 1963

    Kennedy wollte Sammy Davis nicht dabeihaben, weil der Sänger seit 1960 mit May Britt verheiratet war. Ehen von Partnern mit verschiedener Hautfarbe waren in 31 von 50 Bundesstaaten verboten. Der Oberste Gerichtshof befand erst 1967, dass diese Gesetze verfassungswidrig seien. Es gibt Konservative in den USA, die das gerne rückgängig machen würden. Das Versprechen der Kandidaten, frei werdende Plätze im Supreme Court im Sinne bestimmter Gruppen zu besetzen, wird in amerikanischen Wahlkämpfen immer wichtiger. Es hat sich herumgesprochen, dass man die Gesellschaft von dort aus nachhaltig verändern kann.

    May Britt

    Sammy Davis zog sich schon vor seiner Skandalehe mit der blonden Schwedin den Hass der Rassisten zu. Der Grund war eine Affäre mit Kim Novak, die er 1957 im Haus von Tony Curtis kennenlernte. Novak stand in diesem Herbst für den Film vor der Kamera, den man heute am meisten mit ihr assoziiert: Vertigo, eine Produktion der Paramount. Hitchcock hatte sie von Harry Cohns Columbia ausgeliehen. Für Cohn ging es um viel Geld. Er befürchtete, dass sich die Affäre negativ auf die Zuschauerzahlen bei Filmen mit seinem neuen Star auswirken würde. Also schaltete er einen befreundeten Mafioso ein. Die Mafia überzeugte Sammy, dass es günstiger sei, sich von Kim zu trennen.

    Kim Novak in Vertigo

    Das war noch nicht alles. Die Affäre erregte die Skandalpresse genauso wie die Leitartikler seriöser Blätter. Auch der Pittsburgh Courier, die auflagenstärkste schwarze Wochenzeitung, war wenig angetan und richtete mahnende Worte an den Entertainer. Um die Wogen zu glätten wurde Sammy Davis gezwungen, eine Scheinehe mit Loray White einzugehen, die man vorher als nubische Sklavin in Cecil B. DeMilles The Ten Commandments hatte sehen können. Die Ordnung war damit wiederhergestellt. Evelyn Cunningham, eine Ikone des schwarzen Journalismus, war eine der ersten, die Sammy zu der Ehe mit der Tänzerin gratulierte.

    Sammy Davis Jr. mit Loray White

    Was klingt wie eine Räuberpistole hat sich nach allem, was man heute weiß, so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen. Man vergisst leicht, was das für eine Zeit war, in die uns die Rechtspopulisten unserer Tage zurückführen wollen, weil damals alles so viel besser war. Obamas alter Wahlkampfslogan „Yes, We Can“ ist übrigens eine Anleihe bei der 1965 erschienenen Autobiographie von Sammy Davis, die Yes, I Can heißt und ein Bestseller war. Scheitern kann man aber auch, am Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft beispielsweise.

    Buchcover: Yes I Can, Sammy Davies Junior

    Im Show Business war die Rassentrennung ein ehernes Gesetz. Auch davon hätte Frank Sinatra ein Lied singen können. Weiße Rassisten verdächtigten ihn der Subversion, weil er darauf bestand, mit Künstlern wie Duke Ellington, Ella Fitzgerald oder Sammy Davis aufzutreten, und mit „integrierten“ Orchestern, also solchen, in denen schwarze und weiße Musiker gemeinsam Musik machten. Das war die Zeit, als integrierte Orchester in den Südstaaten boykottiert wurden, nur durch Tricks eine Übernachtungsmöglichkeit in den örtlichen Hotels fanden und mit der Intervention des Sheriffs rechnen mussten, wenn sie nicht akzeptieren wollten, dass das schwarze und das weiße Publikum in getrennten Bereichen saß.

    Kein Produzent verliert gern einen Markt. Die Boykottgefahr in den südlichen Bundesstaaten hatte darum auch Auswirkungen auf die in Hollywood gedrehten Filme. Hadda Brooks’ Auftritt in In a Lonely Place sieht man anders, wenn man das weiß. Schauen wir uns die Szene also noch einmal an. Durch die Inszenierung wird das Klavier (die Musik) zum Instrument bei der Aufhebung der Rassentrennung. Am einen Ende sitzt die Sängerin, am anderen das verliebte Paar. Die Schuss-Gegenschuss-Montage betont die durch Blickkontakt hergestellte Verbindung zwischen Hadda Brooks auf der einen, Humphrey Bogart und Gloria Grahame auf der anderen Seite.

    In a Lonely Place

    Rund um das Klavier bilden die weißen Zuhörer einen Kreis, zu dem auch die schwarze Sängerin gehört und der ohne sie keinen Sinn ergibt. Wer setzt sich mit seinem Drink an ein verwaistes Piano, auf dem niemand spielt? Dann wird die Harmonie gestört, weil Barton und seine Frau den Raum betreten. Dix ist wütend, fühlt sich überwacht und verlässt mit Laurel das Lokal. Die Bartons nehmen die frei gewordenen Plätze ein, komplettieren den durch den Abgang von Dix und Laurel unterbrochenen Kreis. Dadurch ist der alte Zustand wiederhergestellt und doch eine neue Situation entstanden. Mit Barton sitzt jetzt ein Polizist im Kreis, der scheinbar auch ein Privatleben hat.

    In a Lonely Place

    Doch am Ende der vorherigen Szene haben wir ihn im Büro des reaktionären, mit Schnüffelmethoden arbeitenden Captain Lochner gesehen. Das ist Nicholas Ray, der Meister der Ambivalenz, in Bestform. Die Polizei von Los Angeles war eine jener Behörden, die sich als Frontkämpfer gegen all das stilisierten, was in den Nachkriegsjahren zur Obsession wurde und dem weißen Amerika am meisten Angst machte: Sex, Rasse, Kommunismus, Homosexualität, Mischehen (eine geeignetere Übersetzung als das Naziwort ist mir für miscegenation nicht eingefallen, die Vermischung der Rassen durch Heirat sowie sexuelle und andere, Schranken überwindende Beziehungen).

    Ich übernehme hier die Aufzählung von Sam Kashner, der für Vanity Fair einen lesenswerten Artikel über die Davis-Novak-Affäre geschrieben hat, „The Color of Love“. Die Grenzen zwischen diesen mit Ängsten und Phantasien ausgefüllten Obsessionen waren fließend. Bei der Lektüre von Websites wie Breitbart News vermittelt sich einem der Eindruck, dass das noch immer so ist, oder schon wieder.

    Männer schlagen …

    In seinem Artikel „I’m No Communist“ vergleicht sich Bogart mit einem Mann, der sich gegen den Verdacht wehren muss, dass er seine Frau verprügelt, obwohl er es nicht getan hat. Fast könnte man meinen, dass In a Lonely Place diese Idee aufnimmt, eine Filmhandlung daraus macht und die Gewalt in der Vielzahl ihrer Facetten verhandelt, weil es eine klare Trennung zwischen Gut und Böse so wenig gibt wie die zwischen amerikanischem Patriotismus und unamerikanischen Aktivitäten.

    Nach der Auseinandersetzung mit dem Footballstar behauptet Dix, dass er schon hundert solcher Prügeleien gehabt habe und immer im Recht gewesen sei. Die Zahl ist sicher übertrieben. Über den Rest lässt sich zumindest diskutieren. In alten Polizeiakten, denen des FBI über Sinatra oder Orson Welles beispielsweise, finden sich erstaunlich viele Klatschberichte aus der Zeitung. Wenn ein Artikel über das mutmaßliche Fehlverhalten eines Stars zu polizeilichen Ermittlungen führte wurde das als Bestätigung dafür gewertet, dass etwas dran war an dem Gerücht. Falls trotzdem stimmt, was in Lochners Dossier über Dix Steele steht, dass er nämlich einem Produzenten den Kiefer gebrochen hat, dürfte es sich dabei um künstlerische Differenzen gehandelt haben.

    Ohne der Gewalt das Wort reden zu wollen: Ich würde mildernde Umstände geltend machen. Durch nichts zu rechtfertigen ist hingegen, dass Dix seiner Ex-Freundin Fran (mutmaßlich) die Nase gebrochen hat. Und doch erleben wir Fran in einer Schlüsselszene in Dix’ Stammlokal als eine intrigante Person, die genau weiß, wie man die Giftspritze einsetzen muss, um maximalen Schaden anzurichten. Ihre Nase ist so intakt wie ihre Karriere (der Produzent hat ihr die Hauptrolle in der Verfilmung von Althea Bruce angeboten). Von Dix’ neuem Liebesglück ist nicht mehr viel übrig, wenn Fran abgeht.

    In a Lonely Place

    Es fällt doch auf, dass Ray keine Gelegenheit auslässt, die Frage nach Gewalt und Schuld komplizierter zu machen als sie sein müsste, wenn es nur darum ginge, eine Geschichte mit klarer Rollenverteilung zu erzählen. Natürlich ist es verwerflich, einem Footballstar das Auge blau zu schlagen. Aber das ist auch ein Typ, der sich nach einem Beinahe-Zusammenstoß mehr für den Lack seines Autos interessiert als dafür, ob Menschen zuschaden gekommen sind und der losbrüllt, weil seine Karre einen Kratzer abbekommen hat.

    In a Lonely Place

    Sogar einen präpotenten Produzenten sollte man nicht zu Boden schlagen wie Dix es zu Beginn mit Junior macht, dem arroganten Schwiegersohn. Aber er tut es, nachdem Junior seinen Freund Charlie öffentlich gedemütigt und seine Zigarrenasche in Charlies Glas getippt hat. Das kann man leicht übersehen, und wer achtet schon auf einen alten Säufer, der früher mal ein Star war? Dix registriert genau, wie Junior seine Verachtung einem Erfolglosen gegenüber zeigt, verliert die Beherrschung und schlägt den Angeber nieder. Das ist verwerflich und doch gut nachvollziehbar.

    … und Frauen würgen

    Einmal ist Dix bei Brub Nicolai zum Abendessen eingeladen. Brub und seine Frau Sylvia haben das, wovon Gloria Grahame und Nicholas Ray träumten, als sie heirateten und wofür sie gänzlich ungeeignet waren: ein Häuschen und eine gesicherte bürgerliche Existenz. Dix und Brub, die beiden Kriegskameraden, unterhalten sich über den Mord an Mildred Atkinson. Mit Brub als Täter und Sylvia als Opfer will Dix nachspielen, wie er sich den Mord vorstellt. Im Stile eines Regisseurs, der die Darsteller durch eine Szene führt, gibt er Brub Anweisungen: „Du steuerst das Auto und du würgst sie. Du siehst nicht ihre aus den Höhlen tretenden Augen oder ihre herausquellende Zunge.“

    In a Lonely Place

    Es ist einer der wenigen Momente, in denen Ray und sein Kameramann Burnett Guffey der expressiven, mit harten Kontrasten arbeitenden Bildgestaltung des Film noir den Vorzug gegenüber den sonst dominierenden Grautönen geben. Dix’ Gesicht ist im Halbschatten. Er könnte ein Schurke aus einem expressionistischen Stummfilm sein, oder ein Verwandter von David Corvo, dem Hypnotiseur in Otto Premingers Whirlpool (1949). Die Ausleuchtung hebt Dix’ Augen und den Mund hervor, aus dem seine Anweisungen kommen: „Weiter. Weiter, Brub. Drück stärker zu. … Du drückst stärker zu. Stärker.“

    In a Lonely Place

    „Es ist wunderbar zu spüren, wie ihre Kehle unter deinem Arm eingedrückt wird“, sagt er in unverkennbarer Erregung. Dann hören wir plötzlich ein „Hör auf, Brub!“ von Sylvia, die sich aus Brubs Arm befreit, weil sie keine Luft mehr kriegt. Brub ist erschrocken. Dix wirkt auf eine sinistre Art zufrieden mit sich und seinem Versuch, den Mord nachzustellen. Mit solchen Sachen kenne er sich aus, sagt er: „Ich habe Dutzende von Morden begangen - in Filmen.“ Sylvia dagegen hat im College einen Kurs in abnormer Psychologie belegt. „Er ist krank“, kommentiert sie, nachdem der unheimliche Gast gegangen ist. „Etwas stimmt nicht mit ihm.“

    In a Lonely Place

    Das kann schon sein. Aber was ist dann mit Brub? Hat Sylvia vergessen, dass es ihr Ehemann war, der ihr beinahe die Luftröhre eingedrückt hätte, weil er sich mindestens so sehr in die Szene hineinsteigerte wie der „Regisseur“? Den meisten Autoren der Kritiken zum Film, die ich gelesen habe, geht es so wie Sylvia. Dix kommt schlecht weg, Brub wird vergessen. Die Idee, dass jemand, der sich fiktive Morde ausdenkt (wir werden nie erfahren, ob Mildred tatsächlich so getötet wurde), unterdrückte Triebe auslebt, und dass Leute, die sich das anschauen, gefährlich sind, ist für die Filmzensur so unverzichtbar wie das Ehegattensplitting für die Unionsparteien (in den 1950ern zur Stärkung altbekannter Rollenmuster eingeführt).

    Durch permanente Wiederholung hat dieser Unsinn so an Überzeugungskraft gewonnen, dass man bei Frau Monssen-Engberding und ihrer famosen BPjM nicht einmal einen Grundkurs in abnormer Psychologie nachweisen muss, um den Kampf gegen die Gefährdung der Jugend aufnehmen zu dürfen, indem man Filme verbietet. Nicholas Ray ist anderer Meinung. Bei ihm lauert die Gefahr im trauten Heim oder im Auto des Verlobten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man von Ehepartnern, Freunden und Verwandten umgebracht, nicht von einem verrückten Drehbuchautor oder islamistischen Terroristen. Auch die Kriminalstatistiken in Lochners Büro müssten das belegen.

    Dix täuscht sich möglicherweise beim Tathergang, nicht beim Motiv des Mörders. Mildred wollte gern in der Welt der Promis leben, nicht in der Ehe mit einem Mann, dessen Bürojob so langweilig ist, dass nie erklärt wird, was Henry Kesler (der Verlobte mit dem Namen des ausführenden Produzenten von In a Lonely Place) beruflich macht. Kesler, den Captain Lochner für unschuldig hält, weil er so durchschnittlich ist, war eifersüchtig und hat Mildred deshalb erwürgt. Für Lochner ist verdächtig, wer von der Norm abweicht. Ray bringt den Mord dorthin zurück, wo er hingehört. In die Normalität.

    Mord und Etikette

    Es ist kein Zufall, wenn Dix das Mordmotiv dort schildert, wo der amerikanische Traum der Nachkriegszeit inszeniert wurde, oder das, was daraus geworden war: Im Haus in der Vorstadt, wo die Hausfrau, umgeben von Konsumgütern, darauf wartet, dass der Gatte von der Arbeit kommt. Der Requisiteur hat das Heim der Nicolais nach Kräften mit Nippes zugestellt. Besonders gelungen sind die beiden Hühnerlampen im karierten Partnerlook, zwischen die sich Sylvia zurückzieht - zwecks Wiedergewinnung der Harmonie, nachdem sie fast von Brub erwürgt wurde. Dix versteht den Impuls sofort und erklärt zu Sylvias Beruhigung, dass er nicht der Mörder sein könne, aus Gründen der Ästhetik.

    In a Lonely Place

    „Ich versichere Ihnen, dass ich niemals einen schönen Körper aus einem fahrenden Auto werfen könnte“, sagt er. „Mein künstlerisches Temperament würde das nicht erlauben. Wir, die sogenannten kreativen Künstler, haben großen Respekt vor Leichen. Wir behandeln sie mit größter Ehrerbietung, legen sie in weiche Betten, drapieren sie auf Bettvorlegern, lassen sie am unteren Ende einer langen Treppe liegen, aber bestimmt könnten wir sie niemals aus einem fahrenden Auto werfen als wären sie Zigarettenkippen.“ Geschmackvoll muss gemordet werden. (Dann ist auch die Filmzensur zufrieden, die keine unansehnlichen Leichen mag.)

    Selbstverständlich würde Dix eine tote Frau nicht wie eine Zigarettenkippe behandeln, sekundiert Brub und kichert: „Was würde Emily Post dazu sagen?“ Emily Post, die Königin der Etikette, gründete 1946 das nach ihr benannte Institut und wurde 1950 von der Zeitschrift Pageant als zweitmächtigste Frau Amerikas gelistet, nach Eleanor Roosevelt. Die USA der Nachkriegszeit erlebten eine Phase der wirtschaftlichen Prosperität, wie es sie noch nie gegeben hatte. Das brachte neue Herausforderungen mit sich, weil mit der Lohnerhöhung das Bedürfnis geweckt wurde, die Manieren dem Bankkonto anzupassen.

    Amerikaner aus einfachen Verhältnissen, die sich plötzlich das Zeug leisten konnten, mit dem der Esstisch der Nicolais vollgestellt ist, zahlten Geld dafür, sich von der mit einem goldenen Löffel im Mund geborenen Emily Post belehren zu lassen, wie sie sich zu benehmen hatten, wie man den Tisch deckt und warum man nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigt. Das Emily Post Institute geht mit der Zeit. Der 18. Auflage der Manners for a New World ist zu entnehmen, ob man jede blöde E-Mail beantworten muss und ob es in Ordnung ist, wenn das Brautpaar Tweets von der eigenen Hochzeit verschickt.

    Das Benimmbuch für Hollywood war der Production Code, den Pater Daniel A. Lord formulierte, als Emily Post begann, im Radio über guten Geschmack und Etikette zu referieren. Auch der Code regelte die Beziehung zwischen Mann und Frau. Seit dem Wahlsieg von Donald Trump ist es nicht mehr völlig ausgeschlossen, dass wir dem Moralkodex noch einmal begegnen werden, als unheimlichem Wiedergänger aus den 1950ern. Im Umfeld des Präsidenten tummeln sich Berater, die nichts lieber hätten als eine Gesellschaft, die sich an einer altväterischen, durch und durch ideologischen Auslegung der Heiligen Schrift orientiert.

    Der lange Weg zum Schlafzimmer

    Trumps Vize ist ein strenggläubiger Herr, bei dem die Diskriminierung von Homosexuellen unter „Wiederherstellung der Religionsfreiheit“ firmiert. Schwule sind im Schöpfungsplan des Gottes von Mike Pence nicht vorgesehen. In einer Zeit, in der sich die Republikanische Partei so sehr radikalisiert hat, dass einer wie Pence als gemäßigt gilt, erscheint es angebracht, sich ins Bewusstsein zu rufen, was dabei herauskam, als reaktionäre Christen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie einen Moralkodex verordneten, um das Publikum in ihrem Sinne zu erziehen.

    Betroffen waren auch die Heteros. Sex vor der Ehe war verboten oder wurde zum moralischen Erbauungsstück umfunktioniert, wenn die ohne Gottes Segen geschwängerte Frau im Kindbett starb oder der mit der Frau in Sünde verbundene Mann von der Polizei erschossen wurde, weil er ein Gangster war. Wenn man anfängt, nach Filmplots zu suchen, in denen die Sexualität mit Verbrechen und Strafe kombiniert wird, hat man gleich eine sehr lange Liste. Ein unverkrampfter und verantwortungsvoller Umgang mit der Sexualität wurde durch ihre Kriminalisierung eher nicht befördert.

    Manchmal ist es ratsam, sich zu überlegen, wie man eine Filmszene sonst noch hätte anlegen können. Man versteht dann besser, was wir tatsächlich zu sehen kriegen. Nehmen wir an, zwei Erwachsene, nennen wir sie Laurel Gray und Dixon Steele, verlieben sich und haben kein voreheliches Keuschheitsgelübde abgelegt. Keinesfalls wollen wir das sittliche Empfinden des Publikums durch den Anblick von Brüsten oder - noch schlimmer - männlichen Geschlechtsteilen verletzen. Es ist aber nun mal so, dass sich die beiden nicht nur platonisch näher kommen.

    Zeigen lässt sich das ganz ohne Nacktheit, durch gemeinsames Aufwachen im selben Bett beispielsweise, oder durch ein gemeinsames Frühstück. Im Hollywood des Production Code ging das gar nicht. Andererseits war der Kodex für soziale Kontakte gut, die man nicht hat, wenn man immer nur mit der Geliebten im Bett rumliegt. Dix’ Morgen beginnt nicht in Laurels Armen, sondern mit dem Verlassen seiner Wohnung. Frisch gekämmt überquert er den Innenhof, um zu Laurels Apartment zu gelangen, das dem seinen gegenüber liegt. Unterwegs begegnet er Mr. Swan.

    In a Lonely Place

    Herr Schwan (man denke an das strahlende Weiß der Waschmittelreklame) bringt Laurels Kleider aus der Reinigung. Sauberkeit ist wichtig. Dix bietet an, Laurel die frisch gereinigten Klamotten zu bringen. „Das liefert mir einen Vorwand, sie zu sehen“, sagt er. „Sie brauchen keinen Vorwand“, antwortet Mr. Swan, weil er in einer Welt der Erwachsenen lebt, wo alle wissen, dass Dix und Laurel ein Paar sind und nicht der Storch die Kinder bringt. Mr. Swan ist aber auch eine Figur in einem Film, der vor den strengen Augen des Zensors bestehen musste, ehe er ins Kino durfte.

    Nachthemdkontroverse

    Zur Kunst des Drehbuchschreibens gehört die Fähigkeit, die Handlung so zu konstruieren, dass die Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Das ist viel schwieriger als man denkt. Durch den Production Code war außerdem verlangt, die Charaktere so an den gewünschten Ort zu transportieren, dass es nicht gegen die Moral konservativer Christen verstieß. Ein Vorwand wurde sehr wohl gebraucht, damit der Held das Schlafzimmer der Heldin erreichen konnte. Dix Steeles kurzer Dialog mit Mr. Swan ist der Kommentar zu den narrativen Verrenkungen, zu denen Leute wie er, die Autoren, durch die Tugendwächter von der Zensurabteilung genötigt wurden.

    Ray macht daraus ein ironisches Kabinettstück und inszeniert mit einer Präzision im Detail, die ich sonst nur von Hitchcock und Fritz Lang kenne. Wenn Dix die Treppe zu Laurels Apartment hochgeht hört man ein unangenehmes Geräusch. Das ist nicht das Stöhnen beim verbotenen Orgasmus, sondern der Staubsauger der Putzfrau. Effie ist eine stämmige Person, in ihrem Mundwinkel hängt eine Zigarette. Diese Dame, die vor Laurels Schlafzimmertür ihrer Reinigungstätigkeit nachgeht, damit alles schön sauber ist, würde auch im Schlägertrupp eines Gangsterbosses eine gute Figur abgeben.

    In a Lonely Place

    Ob sie wohl Joe Breen geschickt hat, der erzkonservative Oberaufseher über den Production Code? Dix jedenfalls darf nicht einfach in Laurels Schlafzimmer gehen, weil sie nicht verheiratet sind. Er muss erst vor der Tür stehen, hinter der ein Wecker klingelt und Laurel aus dem Schlaf reißt. Laurel ist zu benommen, um aufzustehen und den Wecker abzustellen. Dix fragt durch die Tür, ob er hereinkommen und das für sie erledigen darf, während Effie in einer besonders unvorteilhaften Pose ihr Arbeitszeug einpackt. Wenn man sich die Putzfrau als Zensor denkt ist das eine sehr komische Vignette. Laurel gibt die Erlaubnis. Dix darf die Tür öffnen und das Zimmer betreten - selbstredend aber nur, um den Wecker abzustellen.

    In a Lonely Place

    Diesen absurden Eiertanz verdanken wir dem Production Code. In schwachen Momenten allerdings waren Joe Breen und seine Zensorentruppe der Heimtücke der Filmemacher schlicht nicht gewachsen. Dann führte ein nichtiger Anlass zum Skandal, weil Verklemmtheit und Verbieterei die besten Mittel sind, um die Sünde im Kopf der Gefährdeten zu verankern. Bei In a Lonely Place war es die nackte Schulter von Gloria Grahame, die man kurz sehen darf, wenn Laurel Gray im Bett liegt. In einer durch den Kodex infantilisierten Öffentlichkeit konnte das zum großen Aufreger werden.

    Eine Frage bewegte die Gemüter: Lag Gloria Grahame ohne Nachthemd unter der Bettdecke? Offenbar angespornt von der PR-Abteilung der Columbia, ließ der Herald Examiner seine Leser wissen, dass ein Verband der Negligee- und Unterwäschehersteller Gloria Grahame eine Rüge ausgesprochen habe, weil sie nicht nur nackt schlafe, sondern dies auch noch für glamourös halte. Für den glamourösen Auftritt eines Filmstars, so der Verband, sei das Nachthemd jedoch unverzichtbar. In der Nachthemdkontroverse meldeten sich dann alle möglichen Leute zu Wort.

    Die Designerin Esther Dorothy, kürzlich für eine ihrer Pelzkreationen von der Vereinigung der Modekritiker mit dem renommierten Coty Award ausgezeichnet, gab sich siegesgewiss: Gloria Grahames Vorstoß, im Schlafzimmer Erotik und Nacktheit zu kombinieren, sei zum Scheitern verurteilt, was jede Frau bestätigen werde, die je ein schwarzes Nachthemd besessen habe. Esther Dorothys Kollege John Norman ließ sich über den dekorativen Wert des Feigenblattes aus, den schon Eva im Paradies zu schätzen wusste, und Lauren Bacall erklärte sich mit Gloria Grahame solidarisch.

    Die Komödiantin Joan Davis gab an, dass sie persönlich im Bett ein Haarband trage, weil es so angenehm warm sei, und Bogart zeigte sich diplomatisch: seiner Überzeugung nach sei eine nackte Frau immer etwas Schönes, ob bedeckt oder unbedeckt. Gloria selbst betonte das Praktische: sie schlafe unbekleidet, weil es bequem sei und nicht, um Männer anzulocken. Drei Jahre nach der Nachthemdaffäre musste sie noch immer die Frage beantworten, ob sie nackt gewesen sei oder nicht. Ja, sagte sie der New York Post (26.7.1953): „Ich lege mich schlafen, wie ich bin. Wenn ich ins Bett gehe schauspielere ich nicht.“

    Blumenträgerin

    Nicholas Ray war mehr an der Gewalt zwischen Mann und Frau interessiert als daran, was für ein Nachtgewand die Dame tragen sollte, damit der Herr zufrieden ist. Darum hat Laurel einen Albtraum, bevor der Wecker klingelt und Dix in ihr Schlafzimmer kommt. In dem Traum quält sie der Gedanke, dass Dix tatsächlich der geisteskranke Killer mit der Lust an Gewalt und Destruktivität sein könnte, zu dem Lochner ihn machen will. Die Frage ist also nicht so sehr, ob sie nackt oder im Nachthemd schläft als vielmehr, ob der Mann, der neben ihr am Bett steht, wenn sie die Augen öffnet, ein Mörder ist.

    Am interessantesten wird es da, wo die physische und die strukturelle Gewalt miteinander in Bezug gesetzt werden wie in der Massageszene. Der Dialog zwischen Laurel (zwei nackte Schultern!) und Martha endet mit dem von der Masseuse verbreiteten Gerücht, dass Dix Fran die Nase gebrochen hat. Spannend ist der Anfang. „Sechs Stunden Schlaf, Tippen den ganzen Tag“, sagt Martha (oder Laurels Unbewusstes?). „Kein Wunder, dass deine Nerven ganz verknotet sind. Du kannst nicht Kindermädchen und Geliebte sein, Köchin und Sekretärin. Du musst an dich selber denken.“

    In a Lonely Place

    Beschrieben wird das Frauenbild der 1950er, nur unter negativen Vorzeichen. Nicht an sich selbst hatte die ideale Frau zu denken, sondern an das Wohl des Gatten, den sie zu bekochen und zu umsorgen hatte, dem sie eine treue Gefährtin war, nach Möglichkeit im Haus die Arbeit abnahm und mit dem sie auch mal Sex haben durfte, wenn dem Ernährer danach war. Fehlt nur noch die Mutterrolle. Sie wird von Mel nachgetragen, der von Dix’ bevorstehender Hochzeit mit Laurel erfährt und jubiliert: „Wir werden so eine glückliche Familie sein!“ Laurel wird nicht gefragt, ob sie das haben will.

    In a Lonely Place

    Auf keinen Fall, kommentiert ihr Unbewusstes ("Du musst an dich selber denken."), während sie nach außen das Gegenteil behauptet: „Ich bin so glücklich!“ sagt sie wenig überzeugend auf der Massagebank. Ihr Dialog mit Martha findet in zwei Teilen statt. Dazwischen betritt Dix die Wohnung. Er bringt Geschenke mit, bleibt wieder brav vor der Schlafzimmertür stehen und sagt, was er zum Frühstück will. Dann setzt er sich an Laurels Schreibmaschine, um zu kontrollieren, was sie für ihn getippt hat. Laurel ist nicht nur seine Muse, sie ist seine Sekretärin. Im Hintergrund hängt Riveras Blumenträger an der Wand. Man fragt sich nicht nur da, ob Laurel die Frau ist, die dem Mann beim Aufstehen hilft, oder ob sie den Korb schleppen muss.

    Der König muss ins Bett

    Eingeführt wird Laurel als moderne Traumfrau. Sie ist erotisch, elegant gekleidet, hat ihren eigenen Kopf, weiß was sie will, geht souverän damit um, wenn Dix ihr eindeutige Avancen macht, lässt sich nicht drängen und entscheidet selbst, wann sie bereit ist, eine Beziehung mit ihm einzugehen. Die misogyne Interpretation ihres Verhaltens ist in diversen Kritiken nachzulesen: Laurel lockt Dix erst an und lässt ihn dann ein wenig zappeln, um ihn desto sicherer am Haken zu haben. Nichts im Film bestätigt das. Laurel hat eine Beziehung hinter sich, die schlecht endete, ist vorsichtig geworden und sagt es auch ganz offen.

    Nach dem ersten Kuss vergehen ein paar Wochen, bevor wir wieder in die Handlung einsteigen. Mel kommt in den Innenhof der Patio Apartments und sieht durch ein Fenster, was es lange nicht mehr gab: Dix sitzt am Schreibtisch und arbeitet konzentriert an seinem Drehbuch. Laurel bewegt sich mit einer Selbstverständlichkeit durch das Apartment, als würde sie auch da wohnen (und da schlafen). Ray wird uns jetzt ein paar Alltagsszenen aus dem Leben eines frisch verliebten Paares zeigen und einen Mann, der durch die Liebe zu seiner verschüttet geglaubten Kreativität zurückgefunden hat.

    In a Lonely Place

    Und wir sehen das von Martha (negativ) beschriebene Ideal der amerikanischen Hausfrau. Laurel serviert die Getränke, wenn Dix Durst hat, stört ihn nicht bei der Arbeit, bringt ihn ins frisch gemachte Bett, wenn er müde ist und tippt die neuen Manuskriptseiten ab, wenn er eingeschlafen ist. Alles geschieht in wunderbarer Harmonie. Mel beobachtet das Liebes- und Autorenglück zunächst von außen, als Voyeur in der Rabatte, bis ihn Laurel entdeckt. Es ist eine der vordergründig komischen Szenen des Films, mit nicht so komischem Hintergrund. Die Komödie ist die Schwester der Tragödie.

    In a Lonely Place

    An keiner anderen Stelle des Films gibt es so viele Gitter wie hier. Die Fenster sind durch Eisenstangen, gedrechselte Holzstäbe und Jalousien gesichert; das abstrahierte Gittermuster auf den Vorhängen korrespondiert mit den von Porzellanhühnern getragenen Lampenschirmen im trauten Heim von Brub und Sylvia, auch wenn Dix oder die Hausverwaltung sich nicht für das kleine Karo entschieden haben (schließlich sind wir in Beverly Hills). Den Innenraum strukturieren Gitter aus Schmiedeeisen.

    In a Lonely Place

    Vom Schlafzimmer aus betrachtet sieht Mel aus wie ein Gefangener, der den Kopf durch die Gitterstäbe eines Käfigs streckt. Der Rest des Films wird aber zeigen, dass Laurel, die in rasantem Tempo zur Sekretärin und zum Kindermädchen gewordene Geliebte, in Gefahr ist, die Gefangene im Käfig zu werden, mit Dix als Herrn über die Burg und das Verließ. Fehlt eigentlich nur noch ein Rahmen mit dem Spruch „My Home Is My Castle“ an der Wand, aber das wäre sogar Brub und Sylvia zu spießig. Besser, man dekoriert den Rauchfang des Kamins mit einem Schild und Schwertern und lässt Charlie auftreten, den Star von früher.

    „Lasst die Zugbrücke herunter, öffnet die Tore!“, ruft Dix’ stets alkoholisierter Freund von draußen durch ein Fenster. „Charles Waterman I. ist da!“ Laurel macht ihm die Tür auf und füllt jetzt die Mutterrolle aus. Charlie komme zu einem ungünstigen Zeitpunkt, sagt sie, weil Dix ins Bett muss. Dann steckt sie dem abgebrannten Mimen Geld zu. Charlie dankt es ihr mit Poesie: „For thy sweet love remember’d such wealth brings/That then I scorn to change my state with kings.“ Das sind die letzen beiden Zeilen von When, in disgrace, dem 29. Sonnet von William Shakespeare. Dix liegt inzwischen im Bett. Laurel kniet an seiner Seite und wiederholt: „Then I scorn to change my state with kings.“

    In a Lonely Place

    Wenn das nicht wunderschön ist. Der Gedanke an deine Liebe macht mich so glücklich, und deine Liebe ist so wertvoll, dass ich nicht einmal mit Königen tauschen möchte. Leider ist es aber so, dass im Bett ein kleiner König liegt, der Burgherr oder der Familienvorstand im patriarchalischen Modell. Laurel wird feststellen, dass das Leben als Burgfräulein nicht das ist, was sie sich erhofft hat. Darum wird nur die Erinnerung an die Liebe bleiben. Beim Gutenachtkuss legt Dix die Hand auf Laurels Kopf als sichere er sein Eigentum. An einem Finger der rechten Hand glänzt ein Ring. An der linken wäre das ein Ehering.

    Feminine Beeinflussungen

    Zur Produktionsgeschichte von In a Lonely Place gehört ein kurioses Detail. Mit Billigung der Produzenten, so Eisenschitz, ließ Nick seine Frau Gloria eine Zusatzvereinbarung unterschreiben, in der sie sich verpflichtete, all seinen Anweisungen als Regisseur Folge zu leisten. Vincent Curcio zitiert aus einem Artikel des Herald Examiner. Demnach stimmte Gloria Grahame zu, „dass mein Ehemann berechtigt ist, mich als Regisseur zu führen, zu kontrollieren, mir Ratschläge und Anweisungen zu geben und sogar mir Befehle zu erteilen, und zwar in den Stunden zwischen 9 Uhr morgens und 6 Uhr abends, täglich außer Sonntag […].“

    Nicks Wille und Urteil, bestätigte Gloria durch ihre Unterschrift, waren den ihren für die Dauer der Dreharbeiten grundsätzlich übergeordnet. Eine der Klauseln verbot ihr, „zu meckern, zu betteln, [dem Regisseur] zu schmeicheln, ihn zu necken oder ihn auf irgendeine andere feminine Art und Weise abzulenken oder zu beeinflussen“. Beim Examiner ist es Robert Lord, Bogarts Geschäftspartner, der Gloria zwang, die Knebelvereinbarung zu unterzeichnen, obwohl sie sich über „Sklavenarbeit“ beklagt und sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt habe.

    Wenn eine Schauspielerin einen Regisseur erst einmal eingefangen und geheiratet habe, teilte Lord dem Examiner mit, werfe sie lieber mit den Kulissen nach ihm als sich Anweisungen geben zu lassen. Das habe er zu oft erlebt und darum auf Gloria Grahames Unterschrift bestanden. Eine zweite Quelle für die Geschichte ist ein Artikel, der im Dezember 1949 in der L. A. Times erschien. Man muss aber nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. Solange niemand die Vereinbarung gesehen hat sind Zweifel an ihrer Existenz erlaubt.

    Als flankierende Maßnahme zur Nachthemddebatte hatten die Berichte über die Unterwerfungsklauseln einen gewissen Reiz. Ein Regisseur dreht einen Film mit seiner Frau, die Frau liegt nackt im Bett und hat einen Vertrag unterschrieben, dass sie alles tun wird, was er von ihr verlangt. Wenn das kein Knaller war. Interessant ist, dass es Lord oder die PR-Leute der Columbia für eine gute Idee hielten, mit dieser Männerphantasie Reklame zu machen und dass die Vereinbarung, ob real oder ein Werbegag, keine Kontroverse auslöste wie das (fehlende) Nachthemd. Ein Mann, der seiner aufmüpfigen Frau zeigt, wer der Herr im Hause ist - das passte einfach zu gut in die Zeit.

    Rosie muss zurück an den Herd

    Durch den Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Rolle der Frau in der amerikanischen Gesellschaft. In Abwesenheit der zum Militär eingezogenen Männer wurden die Frauen in der Rüstungsindustrie gebraucht. Industriearbeit galt aber als unweiblich, was ebenso ökonomische wie ideologische Gründe hatte. Industriejobs waren besser bezahlt als traditionelle Frauenjobs im Dienstleistungsbereich wie Sekretärin, Friseuse oder Verkäuferin. Geld bedeutet Macht.

    Poster von Rosie the riveter



    Im Krieg war die Arbeit in der Fabrik nicht mehr unweiblich, sondern eine patriotische Pflicht. „Rosie the Riveter“, die Fließbandarbeiterin aus dem gleichnamigen Lied (https://www.youtube.com/watch?v=55NCElsbjeQ
    ), wurde zur Propagandaikone. Rosie die Nieterin stand in der Werft genauso ihren Mann wie im Flugzeughangar und in der Munitionsfabrik. Als die Veteranen nach und nach zurückkehrten wurde es Zeit für Rosie, ihren angestammten Platz wieder einzunehmen. Das Leitbild der 1950er war die Hausfrau und Mutter, die das Zentrum einer glücklichen Familie bildete.

    Dieses Modell verlangte klare Hierarchien und war seinem Wesen nach autoritär. Mutti stand in der Küche und zog die Kinder groß - viele Kinder, weil der Pfarrer noch Gehör fand, wenn er die Geburtenkontrolle als Erfindung des Teufels verdammte. Vati war der Chef. Er ging wieder in die Arbeit, brachte das Geld nach Hause und schickte Mutti zurück in die wirtschaftliche Abhängigkeit. Die weiße Durchschnittsfamilie lebte in einem Viertel mit den Nachkommen europäischer Einwanderer, hatte aber keine schwarzen Nachbarn.

    Die Studentenbewegung, die Proteste gegen Vietnam, die Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King, die staatlichen Maßnahmen zum Abbau der Rassendiskriminierung, der Feminismus brachten diese schöne (weiße) Welt in den 1960ern und 1970ern in Unordnung. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 22. Januar 1973 verankerte im allgemeinen Bewusstsein, wie wichtig die Zusammensetzung dieses Gremiums ist.

    Die liberale Mehrheit der Richter des Supreme Court befand im Fall Roe v. Wade, dass die Entscheidung einer Frau, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, in den Bereich des durch die Verfassung garantierten Rechts auf die Privatsphäre falle. Viele in den einzelnen Bundesstaaten und in Washington erlassene Gesetze gegen die Abtreibung wurden dadurch für verfassungswidrig erklärt und somit hinfällig. Die Katholiken, die schon immer gegen die Abtreibung gewesen waren, fanden dadurch neue Verbündete.

    Gott spricht zu Dr. Dobson

    Viele Evangelikale, also strenggläubige Protestanten, akzeptierten eine Unterbrechung der Schwangerschaft, wenn eine Frau vergewaltigt worden war, bei Inzest, gesundheitlichen Gefahren für die Mutter, vorgeschädigten Föten und so weiter. Durch den starken Anstieg der Abtreibungen nach Roe v. Wade radikalisierten sie sich. Sie schmiedeten nun eine Allianz mit den Katholiken, mit denen sie ein gemeinsames Ziel verband, bemühten sich um eine bessere Vernetzung und eine straffere Organisation und auch darum, ihren Einfluss in der Republikanischen Partei auszubauen.

    Ihr Ziel war es, die traditionellen Geschlechterrollen wiederherzustellen und zu verbieten, was durch ihre Lesart der Bibel nicht erlaubt war und zur Unsittlichkeit führte: Abtreibung, vorehelichen Geschlechtsverkehr und die Homosexualität, die im Ruch des Landesverrats stand, seit der McCarthyismus Schwule und Lesben in Verbindung mit dem Kommunismus gebracht hatte. Zu einem ihrer landesweit wahrgenommenen Sprecher wurde der Kinderpsychologe James Dobson, der in seinem 1970 erschienenen Werk Dare to Discipline ein Plädoyer für die Prügelstrafe gehalten und damit viel Geld verdient hatte.

    James Dobson. Foto: Focus on the Family. Lizenz: CC BY-SA 3.0

    Mitte der 1970er sprach Gott höchstpersönlich zu Dr. Dobson und teilte ihm mit, dass Amerika nur gedeihen und die Familie nur überleben werde, wenn der Ehemann und Vater bereit sei, seiner Verantwortung nachzukommen und die Führerschaft in der Familie zu übernehmen. Für die Frau hieß das, dass sie sich dem Manne unterzuordnen hatte. Das war Gottes Wille. Dobson gründete 1977 die gemeinnützige Organisation Focus on the Family, die heterosexuellen Paaren dabei helfen will, eine „gesunde“ Ehe zu führen, wie Gott sie aus christlich-fundamentalistischer Sicht haben wollte.

    1981 zog Ronald Reagan mit dem Wahlkampfversprechen ins Weiße Haus ein, einen Kreuzzug anzuführen, um Amerika wieder groß zu machen. Reagan wollte auf seinem Kreuzzug der freien Marktwirtschaft zum Sieg verhelfen, die Finanzmärkte deregulieren, Steuern für Reiche senken und die Gewerkschaften entmachten. Die Idee eines starken und sozialen Staates (vom republikanischen Standpunkt aus ein mit Steuermilliarden gemästetes, die Unterprivilegierten zur Faulheit erziehendes Monstrum) ersetzte er durch einen Appell an Tugend und Moral.

    Die Republikaner stellten nun einen Präsidenten, der zu einer Umkehr im Zeichen christlicher Werte aufrief, weil sonst immer mehr Kinder ohne die starke Hand eines Vaters aufwachsen und in einem Sumpf von Drogen, Sex und Hedonismus versinken würden. Unter Reagan wurde die Republikanische Partei in den 1980ern zum Sammelbecken der Evangelikalen, deren Organisationen einen beachtlichen Wachstumsschub erfuhren. Die Zentrale von Focus on the Family in Colorado Springs hat eine eigene Postleitzahl.

    Wer zahlt die Vagina der Transsexuellen?

    Die Republikanische Partei hat sich seitdem beständig radikalisiert bis hin zur Fundamentalopposition in den beiden Amtszeiten von Barack Obama, in denen die gemäßigten Republikaner im Kongress immer stärker unter Druck des rechten Flügels gerieten und teilweise durch dessen Exponenten verdrängt wurden. Marktradikalität und christlicher Fundamentalismus gehen Hand in Hand. Für Donald Trump war es ein wichtiger Etappenerfolg auf dem Weg ins Weiße Haus, als James Dobson beim Nominierungsparteitag der Republikaner erklärte, dass er ihn wählen werde.

    Ein Präsident Donald Trump ist kein Unfall der Geschichte, sondern das Produkt einer historisch nachvollziehbaren Entwicklung. Sein Wahlsieg erklärt sich auch daraus, dass er - angesichts seines Vorlebens - erstaunlich viele Stimmen konservativer Christen erhielt. Zu verdanken hat er das seinem Vize Mike Pence, dem unermüdlich für ihn werbenden Fundamentalisten aus Iowa. Selbstverständlich gehörte dazu ein Pence-Auftritt (mit Gattin) bei Family Talk with Dr. James Dobson (http://www.drjamesdobson.org/popupplayer?broadcastId=3a5c4909-4083-4633-9436-cd2ff97b3132), einer von mehr als 300 Radiostationen verbreiteten Sendung, die Dobson gründete, nachdem er 2009 seinen Posten als Vorstandschef von Focus on the Family aufgegeben hatte.

    Dr. Dobson ist der vielleicht mächtigste Dominionist in den USA. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich ein Flügel der Evangelikalen, der einen von christlichen Politikern regierten Staat will. Abgeleitet wird das aus der Genesis. Grundlage soll eine fundamentalistische Auslegung biblischer Gesetze sein. Sehr gern wiederholt Pence in der Sendung für Dr. Dobson, dass er sich immer als „Christ, Konservativer und Republikaner“ bezeichne, „in dieser Reihenfolge“, weil das die Prioritäten in seinem Leben am besten wiedergebe.

    Wer Englisch kann und mehr über die religiöse Rechte wissen will sollte sich das anhören. Nachdem das Wort family gefühlte hundertmal gefallen ist empört sich Dobson über die Obama-Regierung, die gläubige Christen diskriminiere, indem sie diesen vorschreiben wolle, dass sie Verhütungsmittel und Abtreibungen genauso finanzieren müssen wie das Entfernen von Brüsten sowie die Herstellung künstlicher Penisse und Vaginas bei Transsexuellen. Auch Hillary Clinton wolle darüber bestimmen, mit wem die Kinder aufs Klo gehen und mit wem sie beim Schulausflug im selben Zimmer übernachten.

    Mike Pence. Foto: Gage Skidmore. Lizenz: CC BY-SA 3.0

    Er und Donald Trump, verspricht Pence, werden die Religionsfreiheit sowie die anderen von Gott gegebenen und durch die Verfassung garantierten Freiheiten verteidigen. Das gibt ihm die Gelegenheit, die Wähler (nicht das erste Mal in diesem Gespräch) daran zu erinnern, wie wichtig die Zusammensetzung des Supreme Court sei, der in der Vergangenheit mit sehr knappen Mehrheiten entschieden habe. Das Urteil im Fall Roe v. Wade war mit 7 zu 2 Richterstimmen nicht ganz so knapp, aber seitdem arbeiten Dobson und seine Glaubensfreunde daran, das zu ändern, auf allen Ebenen des Justizsystems.

    Richter braucht man, damit sie einem den Weg zurück in die selige Nachkriegszeit ebnen, als man noch nicht wusste, was ein Transsexueller ist, Schwule und Lesben Verräter waren, die Frauen, als glückliche Mütter einer glücklichen Kinderschar, wieder lernten, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist (als Nieterinnen in der Rüstungsindustrie waren sie auf dumme Gedanken gekommen) und Papi auch mal eine Tracht Prügel verabreichte, weil bei der Erziehung eine starke Hand gefragt ist. Steht alles in der Bibel. Man muss sie nur zu lesen wissen.

    Am Anfang und am Ende des Gesprächs weist Dr. Dobson darauf hin, dass seine kleine Familiensendung nichts mit Wahlkampfhilfe für das Team Pence-Trump zu tun hat, weil sein Laden als gemeinnützig anerkannt ist und sonst Probleme mit dem Finanzamt kriegen könnte. Man spricht hier nur über religiöse Fragen. Das ist genauso privat wie die Meinung von Dr. Dobson, der kurz davor dazu aufgefordert hatte, Donald Trump zu wählen (https://www.youtube.com/watch?v=y_Sy4sdCOfs

    ), weil er versprochen habe, konservative Richter für den Supreme Court zu nominieren.

    Rund um den Nominierungsparteitag war außerdem das Gerücht gestreut worden, dass Trump seit kurzem ein wiedergeborener Christ sei. Quelle: Dr. James Dobson. Er habe gehört, teilte Dr. Dobson mit (http://www.charismanews.com/politics/elections/58042-dr-james-dobson-donald-trump-has-accepted-christ), dass Donald Trump Jesus Christus als seinen Herrn und Erlöser angenommen habe und er wisse auch, wer ihn zum Heiland geführt habe. Das glaubten wahrscheinlich nur die wenigsten der Evangelikalen, aber für Unentschlossene war es der Aufhänger, den sie brauchten, um trotz Bedenken für Trump zu stimmen. Der herausragende Beweggrund war das Supreme-Court-Argument.

    Inzwischen weiß man, dass Trump und Pence bemüht sind, ihre Wahlversprechen einzuhalten. Die Nominierung von Neil Gorsuch für den Obersten Gerichtshof wurde von Dobson ausdrücklich begrüßt (http://drjamesdobson.org/news/dr-james-dobson-commends-president-trumps-supreme-court-nomination?me). Bei Gorsuchs Bestätigung durch den Senat wurden die seit den 1970ern üblichen Verfahrensregeln abgeschafft, durch die eine Radikalisierung verhindert und die Suche nach einer überparteilichen Einigung gefördert werden sollte. Das wird den Republikanern dabei helfen, mit knapper Mehrheit noch konservativere Kandidaten durchzusetzen.

    Wie man von da zurück zu In a Lonely Place kommt? Ganz einfach. Über Sex & Crime natürlich. Mit einem kleinen Umweg über die Bildungspolitik. Da werden die Weichen für eine Zukunft gestellt, in der darüber befunden wird, ob man Vertigo weiter ungekürzt sehen darf oder ob der Film auf DVD, Blu-Ray und anderen Datenträgern nur noch verstümmelt zu haben ist. Kim Novak, die ein unsittliches Verhältnis mit Sammy Davis hatte, geht als Judy Barton ohne Büstenhalter durch San Francisco. Dem Gott von Mike Pence und Dr. Dobson kann das nicht gefallen haben.

    Demnächst also der vierte und letzte Teil:

    Zehn Sekunden zwischen Heiratsantrag und Vergewaltigung
    https://www.heise.de/tp/features/Zehn-Sekunden-zwischen-Heiratsantrag-und-Vergewaltigung-3769108.html

    30. Juli 2017 Hans Schmid

    An einem einsamen Ort, Teil 4

    Auf der letzten Station unserer Reise durch die amerikanische Kultur- und Seelenlandschaft treffen wir die neue Bildungsministerin, den Chefideologen von Donald Trump und den Mann, der für Barack Obama und Hillary Clinton den Leitfaden zum Ruinieren der Vereinigten Staaten von Amerika schrieb. Wir erfahren, dass die Brüste tanzender Frauen gefährlich sind und Pornographie zum Serienmord animiert. Nicholas Ray zeigt, wie man mit zwei Wohnungen und einem Innenhof eine Beziehungsgeschichte erzählt. Dixon Steele macht Laurel Gray einen Heiratsantrag. Laurel erkennt, dass sie mit Dix nicht leben kann.

    Gutscheine für den Fundamentalismus

    Das eigentliche Drama auf der politischen Bühne der USA spielt sich nicht in irgendwelchen Tweets ab. Diejenigen, die darauf hoffen, dass Trump über dubiose Russlandkontakte stolpern wird wie einst Richard Nixon über den Einbruch im Watergate-Komplex, oder dass ihm das Regieren zu mühsam wird und er deshalb zurücktritt, könnten noch feststellen, dass The Donald das kleinere Übel und die Republikanische Partei das eigentliche Problem ist. Mike Pence wird dann Präsident sein. Seine bisher vielleicht folgenreichste Tat vollbrachte er, als sich im Senat keine Mehrheit für Betsy deVos fand, weil sogar zwei Republikanerinnen gegen sie stimmten, nachdem sie bei der Anhörung durch eine beeindruckende Ahnungslosigkeit geglänzt hatte.

    Mike Pence spricht im Wahlkampf zu Unterstützern der Living Word Bible Church (2016). Bild: United States Department of Education. Bild: Gage Skidmore / CC-BY-SA-3.0

    Mit seiner Stimme als Senatspräsident durchbrach Mike Pence (https://www.theguardian.com/us-news/2017/feb/07/betsy-devos-confirmed-education-secretary-pence-trump-cabinet) das Patt zugunsten der „Milliardärin und Philantropin“, wie die Dame immer genannt wird. Es wäre unfair, Pence zu unterstellen, dass er die aus einem christlich-fundamentalistischen Milieu stammende Betsy deVos nur deshalb ins Amt der Bildungsministerin hievte, weil ihn deren Familie mit Spenden in Millionenhöhe unterstützt hatte, als er noch Gouverneur von Indiana war. Die beiden liegen ideologisch auf einer Linie. Ein beträchtlicher Teil der Spenden floss in ein Gutscheinprogramm, das eine wichtige Säule von Pences Regierungshandeln in Indiana war. Betsy deVos ist eine marktradikale Evangelikale, die seit Jahren daran arbeitet, das amerikanische Schulsystem zu privatisieren. Das funktioniert durch Gutscheinprogramme und Charter-Schulen, die ursprünglich die Antwort darauf sein sollten, dass die öffentlichen Bildungseinrichtungen marode sind. Charter-Schulen werden mit Steuergeld finanziert und von privaten Unternehmern betrieben, wodurch - so die Idee - alles besser und effizienter wird. Das gefällt besonders den Republikanern, die den Staat so weit wie irgend möglich zurückdrängen wollen. Das Resultat ist zumindest umstritten.

    Betsy deVos. Bild: United States Department of Education

    Manche Charter-Schulen sind bei den Eltern so gefragt, dass die Plätze durch Losentscheid vergeben werden müssen. Andere ködern Schüler mit Geschenken wie einem Smartphone oder einem Fahrrad. Befürworter wie Gegner finden Argumente für ihre Position, weil die schulischen Leistungen hier besser und dort schlechter sind als vorher. In manchen Bundesstaaten sind die Charter-Schulen Non-Profit-Organisationen. In anderen wie in Michigan, DeVos’ Heimatstaat und Experimentierfeld, sind sie gewinnorientiert. Eine staatliche Aufsicht ist unamerikanisch und also Teufelszeug.

    Das Prinzip ist einfach: Je mehr Schüler angemeldet sind und je weniger sie den Betreiber kosten, umso höher der Gewinn. Der Betrag, den der Staat pro Schüler bezahlt, wird vom Budget der öffentlichen Schulen abgezogen. Ein Allheilmittel ist der Kampf um Marktanteile erkennbar nicht. In landesweiten Rankings fallen die Schüler aus Michigan immer weiter zurück, seit die Charter-Schulen in großem Stil eingeführt wurden. Die Verfechter des neuen Systems ficht das nicht an. Sie streiten entweder ab, dass die Zahl der Analphabeten ständig zunimmt oder begreifen das als eine notwendige Durchgangsstation auf dem Weg zur Besserung.

    Ausweislich ihrer bisherigen Aktivitäten als Großspenderin und der dadurch möglich gewordenen Einflussnahme auf politische Entscheidungen ist davon auszugehen, dass Betsy deVos ihr Amt als Ministerin nutzen wird, um das staatliche Schulsystem weiter zu schwächen. Sie wird wohl versuchen, das von Mike Pence in Indiana und bisher auch in einem Dutzend weiterer Bundesstaaten eingeführte Gutscheinprogramm auf die gesamten USA auszudehnen. Eltern erhalten vom Staat einen Gutschein für ihr Kind und entscheiden selbst, bei welcher Schule sie ihn einlösen.

    Betsy DeVos und Donald Trump mit Schülern in Florida. Bild: Executive Office of the President of the United States

    Das ist ein eleganter Weg, die Wahlfreiheit und die freie Marktwirtschaft mit der Religionsfreiheit zu kombinieren, oder mit dem, was die Fundamentalisten darunter verstehen. Nicht alle, aber viele Evangelikale haben sich in der etwas wehleidigen Überzeugung eingerichtet, dass ihre in der Verfassung verbrieften Grundrechte eingeschränkt werden, wenn die Abtreibung erlaubt ist, Lesben heiraten dürfen, Transsexuelle die freie Toilettenwahl haben oder ein Restaurantbesitzer wegen Diskriminierung belangt werden kann, wenn er sich weigert, schwule Gäste zu bedienen (und wahrscheinlich auch, wenn ein Schwarzer Präsident ist, der ein in Kenia geborener Muslim sein soll).

    Andererseits haben sie ein Problem damit, dass die Verfassung eine Trennung von Religion und Staat verlangt. Die Finanzierung religiöser Bildungseinrichtungen aus Steuermitteln verstößt gegen das Gesetz. Mit den Gutscheinen lässt sich das unterlaufen. Eltern können sie einlösen, wo sie wollen. Damit ist noch längst keine - durch den ersten Zusatzartikel zur Verfassung verbotene - Staatsreligion etabliert, wie Dr. James Dobson sie wohl gern hätte. Aber das allmähliche Aufweichen der Trennung von Kirche und Staat ist ein Schritt auf dem Weg dorthin. Man muss weiter denken als bis zum nächsten Tweet von Donald Trump.

    Bild 1 von 21
    Trump: „Kabinett mit dem höchsten IQ“

    Innenminister Ryan Zinke ist der einzige Minister aus Trumps Team, der sich für sein offizielles Foto ohne Krawatte, aber mit Waffe ablichten ließ. Der deutschstämmige Klempnerssohn aus Montana war vorher Football-Stipendiat und Navy-Seal-Elitesoldat. Seine Kinder nannte er Wolfgang, Konrad und Jennifer. Bild: U.S. federal government
    Familienplanung

    Um einen Bibelspruch abzuwandeln: An ihrer Politik sollt ihr sie erkennen! Das Gutscheinprogramm, das für die neue Bildungsministerin ebenso ein Herzensprojekt ist wie für den Vizepräsidenten, dem sie ihr Amt verdankt, weckt üble Vorahnungen. Die Produzenten, die sich dafür entschieden, aus Margaret Atwoods A Handmaid’s Tale eine TV-Serie zu machen, hatten ein gutes Gespür. Der Report der Magd ist eine Antiutopie und erzählt von einer puritanischen Theokratie, die auf dem Staatsgebiet der USA entstanden ist.

    Das Buch erschien 1985. „Leute wie Mike Pence waren schon damals gegen die Rechte der Frauen oder der Minderheiten und für einen starken Polizeistaat“, sagt Margaret Atwood in einem Interview mit der Zeit (6.4.2017). Damals, also 1985, bereitete sich der vom Katholiken zum wiedergeborenen Christen gewandelte Pence (https://www.youtube.com/watch?v=oUkdvxqCKtg

    ) auf eine politische Karriere vor, die zunächst nicht recht in Gang kommen wollte. Nach zwei gescheiterten Kandidaturen für einen Sitz im Repräsentantenhaus wurde er Moderator einer patriotischen Radio-Talkshow (https://www.youtube.com/watch?v=5pqb0GDu2mw
    ), in der er forderte, Ehebruch unter Strafe zu stellen (https://www.youtube.com/watch?v=YNacuFLFSvc
    ), ehe er 2001 doch noch in den Kongress einzog.

    Mike Pence Radio Show

    Im Wahlkampf hatte er vorgeschlagen, das Geld für die Behandlung von Aidskranken zu streichen und stattdessen - im Geiste der christlichen Nächstenliebe - in Therapien zu stecken, mit denen Schwule von der „Krankheit“ der Homosexualität geheilt werden sollen. Als Abgeordneter stimmte er gegen eine Erhöhung des Mindestlohns und gegen Mietzuschüsse für Arme. Steuergeld für Arme, auch für eine bezahlbare Krankenversicherung, ist Verrat am freien Unternehmertum und außerdem schlecht für die Alimentierten, weil es zur Faulheit verführt. Der Gott der Fundamentalisten ist ein Marktradikaler.

    Pence brachte Gesetzesinitiativen zum Verbot von „Homo-Ehe“ und Abtreibung ein und startete einen Feldzug gegen Planned Parenthood (https://www.plannedparenthoodaction.org/blog/8-outrageous-facts-about-mike-pencerecord-reproductive-righ), eine gemeinnützige Organisation, die in den USA die meisten Abtreibungen vornimmt, was aber nur einen Teil des Angebots ausmacht. Planned Parenthood (zu deutsch: Familienplanung) betreibt mehr als 600 Kliniken, in denen Frauen, die sich das sonst oft nicht leisten könnten, Verhütungsmittel erhalten, sich beraten lassen können, Untersuchungen auf HIV oder zur Gesundheitsvorsorge angeboten bekommen. Für die Patientinnen ist das viel billiger als in anderen Bereichen des Gesundheitssektors, weil knapp die Hälfte des Budgets von Planned Parenthood aus der Staatskasse kommt.

    Pence versucht seit Jahren, Planned Parenthood und anderen Kliniken, die Abtreibungen anbieten, die staatliche Förderung zu entziehen. 2011 scheiterte er mit einem entsprechenden Gesetz, weil es von einem Bundesrichter gestoppt wurde. Auch vielen seiner Parteifreunde war Pence damals zu radikal. Nichts aus seiner Regierungszeit als Gouverneur von Indiana weist darauf hin, dass er seiner Positionen abgeschwächt hat. Es fällt nur nicht mehr so auf, wie radikal er ist, weil die Republikanische Partei insgesamt so weit nach rechts gerückt ist.

    Mike Pence mit Präsident Trump (2017). Bild: Executive Office of the President of the United States

    Donald Trump, früher ein Abtreibungsbefürworter, hat versprochen, das Werk seines Vizepräsidenten zu vollenden und Planned Parenthood die Steuergelder zu streichen, weil er verstanden hat, wie wichtig die evangelikalen Wähler für ihn sind. Den Fundamentalisten wird das nicht genügen. Wenn man sich mit ihren gesellschaftspolitischen Positionen vertraut macht dämmert es einem, dass der Kampf gegen die Abtreibung nur Teil eines größeren Projekts ist. Der Sex soll zurück in die Ehe, wo er in der göttlichen Ordnung hingehört, die Frau zurück in den Haushalt. Ob Gott Pence das persönlich gesagt hat wie einst Dr. James Dobson weiß ich nicht.

    Sex und Landesverrat

    Schade, dass Captain Lochner, der moralisierende Polizist in In a Lonely Place, nie beim Radiomoderator Pence zu Gast war. Das hätte ein interessantes Gespräch ergeben. Verstöße gegen puritanische Moralvorstellungen werden von Polizisten wie ihm mit strafbaren Handlungen verknüpft, weil die Charaktere im Amerika des zu der Zeit noch namenlosen McCarthyismus leben, der das Sexuelle kriminalisierte, wenn es sich außerhalb der bürgerlichen Ehe von Mann und Frau abspielte. Seit Trumps Wahlsieg hat das auf eine fast unheimliche Weise wieder an Aktualität gewonnen.

    Lochner legt sich instinktiv auf Dix Steele als Mörder fest, weil Steele für ihn die Verdorbenheit Hollywoods verkörpert und ohne Trauschein mit sittenlosen Frauen schläft. Ehebruch ist das nicht. Ob man es trotzdem verbieten sollte? Dann lässt Lochner Laurel Gray beschatten und erfährt, dass sie nun dauernd in Steeles Wohnung ist. Damit steht für ihn fest, dass sie gelogen hat, als sie Dix ein Alibi gab - nicht so sehr, weil verliebte Frauen das eben machen, sondern vielmehr, weil in Lochners Welt das eine kriminelle Verhalten (Sex vor der Ehe) zum anderen führt (Falschaussage bei der Polizei). Lochner ist sichtlich angewidert, als Laurel offen zugibt, dass sie ein Verhältnis mit Dix Steele hat.

    In a Lonely Place

    Mike Pence müsste das gut nachvollziehen können. Um der Sünde wirkungsvoll zu begegnen isst und trinkt er nur mit Frauen (https://www.youtube.com/watch?v=s9LaNAOgVr4

    ), wenn seine Gattin Karen mit dabei ist. Im Lichte dieser Information sieht man die erste Szene mit Laurel im Polizeirevier ganz anders. Ungeniert nimmt sie den Kaffeebecher in die Hand, aus dem einer der Männer im Raum zuvor getrunken hat. Andrew Solt, der von Nick Ray durch solche Regieeinfälle düpierte Drehbuchautor, lag völlig richtig. So etwas macht nur eine Schlampe. Bald danach teilt Laurel mit Dix das Bett.

    In a Lonely Place

    Falls Newt Gingrich doch noch Gehör mit seiner im Wahlkampf erhobenen Forderung findet, den Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten wiederzubeleben, sollte man sich das näher anschauen. Im Verstoß gegen die Moralvorschriften verbirgt sich der Landesverrat. Darum schnüffelten die McCarthyisten auf der Jagd nach Subversiven auch im Sexualleben der Verdächtigen herum. Gingrich kennt sich aus. Als er noch der Star des radikalen Flügels der Republikaner war versuchte er, Bill Clinton des Amtes zu entheben, weil der Präsident doch „sex with that woman“ (Monica Lewinsky) gehabt hatte.

    Pence, Dobson, DeVos, Gingrich - sie alle wollen nicht so sehr zurück ins 19. Jahrhundert oder gar ins Mittelalter (da gab es in Amerika nur Indianer), sondern in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wohin Trump will ist unklar, außer ins Weiße Haus natürlich. Das ist ihm gelungen. 81 Prozent der weißen Fundamentalisten haben für ihn gestimmt. In einigen umkämpften Bundesstaaten könnte das wahlentscheidend gewesen sein, und damit womöglich für das ganze Land. Sollte Trump für eine zweite Amtszeit kandidieren werden ihn Pence und seine evangelikalen Weggefährten daran erinnern.

    Generation Zero

    Auch Stephen Bannon, jetzt Trumps Chefstratege, ist ein Freund der 1950er. Bannon hängt der Vorstellung von einem zyklischen Geschichtsverlauf an, die er von William Strauss und Neil Howe übernommen hat (https://www.washingtonpost.com/entertainment/books/where-did-steve-bannon-get-his-worldview-from-my-book/2017/02/24/16937f38-f84a-11e6-9845-576c69081518_story.html), den Autoren von The Fourth Turning: An American Prophecy. What the Cycles of History Tell Us About America’s Next Rendezvous with Destiny (http://www.businessinsider.de/book-steve-bannon-is-obsessed-with-the-fourth-turning-2017-2?r=US&IR). The Fourth Turning ist der letzte Teil einer Trilogie, mit der Howe und Strauss zeigen wollen, dass die US-amerikanische Geschichte (und nicht nur diese, irgendwie geht das zurück bis zu König Artus und Homer) in Zyklen von jeweils 80 bis 100 Jahren abläuft, die wiederum in vier Drehungen ("Turnings") unterteilt sind wie das Jahr in vier Jahreszeiten, oder so ähnlich jedenfalls.

    Buchcover:The Fourth Turning: An American Prophecy, William Strauss, Neil Howe

    Es geht los mit einem Hoch und endet mit einer Krise, begleitet von Kriegen wie dem Unabhängigkeitskrieg, dem Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Absturz im Winter (Fourth Turning) fängt alles von vorne an und es geht wieder aufwärts. Das letzte Frühlingshoch erlebten die Amerikaner in den zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Demnach sind sie jetzt im Krisenwinter, oder der Frühling hat schon angefangen. Das Neue steht vor der Tür, oder es hat die Tür bereits eingetreten. Wie sich daraus ein Film machen lässt demonstriert Generation Zero (2010) (https://www.youtube.com/watch?v=eCxHwyj6Hw0

    ), erschaffen von Stephen Bannon.

    Das Epos erklärt uns die Finanzkrise. Einer der Experten, die ihren Senf dazugeben dürfen wie Prediger bei einer Erweckungsveranstaltung, ist Newt Gingrich. Er weiß, dass Bürokraten versucht haben, die freie Marktwirtschaft zu regulieren, und das war schlecht. Einem echten Konservativen fällt da gleich Roosevelt mit seinen Sozialstaatsambitionen ein. Der New Deal, sagt eine Expertin, hat selektiv bestimmte Gruppen gefördert (offenbar die falschen) und die Gewerbetreibenden vergessen - wahrscheinlich, weil Roosevelt den Kommunismus einführen wollte, was dann von den McCarthyisten verhindert wurde.

    Schuld an der Finanzkrise sind die Hippies. Das Unglück begann nach dem Krieg, als die Kinder zu gluckenhaft erzogen wurden und - siehe Flower Power etc. - nicht mehr lernten, was Zucht und Ordnung heißt. Die Logik der Beweisführung hat sich mir nicht erschlossen, aber es geht auch mehr darum, an rechte Verschwörungstheorien anzuknüpfen und Vorurteile zu aktivieren. Es hilft, wenn man schon vorher der Überzeugung war, dass die 1960er Jahre nur Unheil über die Welt gebracht haben, mit Frauenemanzipation, sexueller Revolution und Bürgerrechtsbewegung.

    Generation Zero

    Die ’68er lebten einen hemmungslosen Hedonismus aus. So wurden etwa bei Happenings die nackten Brüste junger Frauen bemalt, obwohl die zum Stillen von amerikanischen Babys da sind (positives Gegenbild ist ein glücklicher Vater, dessen Gattin soeben Zwillinge geboren hat). Die protestantische Arbeitsethik wurde durch das Lustprinzip ersetzt. In der Finanzkrise, sagt ein Experte, haben wir im echten Leben eine Dramatisierung jener Ideen erfahren, die in den 1960ern populär wurden. Kein Wunder, dass es dann gierige Banker gab, denen der eigene Profit wichtiger war als die Folgen ihrer Gier für die amerikanische Familie.

    Manchmal kommt man sich vor, als sei man bei der Amtseinführung von Donald Trump gelandet. Der neue Präsident überraschte mit einer Rede, in der er im Stile eines Höllenpredigers das apokalyptische Bild eines am Boden liegenden Landes an die Wand malte, das er zu neuer Größe führen werde. Bannons Film liefert dazu die Illustrationen. Hochhäuser stürzen ein, ein Hai verschlingt einen Klumpen Fleisch, Gemüse verschrumpelt, Fabriken rosten vor sich hin, und sogar im Zeitraffer in die Höhe wachsende Einfamilienhäuser bringen uns an den Rand des Abgrunds, weil Schwarze mit Immobilienkrediten versorgt wurden, obwohl sie sich ein Haus nicht leisten konnten.

    Saul Alinsky ruiniert Amerika

    Im „reinen Kapitalismus“ wäre das nicht passiert. Wir leiden jetzt aber unter dem Vermächtnis von Saul Alinsky. Was ist das für einer? Saul Alinsky war ein Bürgerrechtler und ein Organisationsgenie. Er zeigte benachteiligten Gruppen, wie man sich zusammentut und so organisiert, dass man seine Interessen wirkungsvoller vertreten kann. In den 1950ern half Alinsky dabei, den Bewohnern der schwarzen Ghettos von Chicago eine Stimme zu geben, die auch gehört wurde. Das war so erfolgreich, dass es bald in anderen Städten nachgeahmt wurde.

    Das Konzept des Community Organizing hatte großen Einfluss auf die Counter Culture der 1960er. Studenten lernten von Alinsky, wie man an der Universität eine Interessengruppe gründet und was man tun muss, um seine Ziele zu erreichen, statt frustriert in der Ecke zu sitzen und sich darüber zu ärgern, dass man mit schönen Worten abgespeist wurde und sich nichts ändert. Zu seinem Konzept gehörte es, den Ärger ins Establishment zu tragen und dieses zu Gegenreaktionen zu provozieren, die man dann für sich nutzen konnte. Das machte Alinsky zu einem Vordenker der Protestbewegung.

    Die dazu passende, in Generation Zero wieder einmal durchgekaute Verschwörungstheorie geht so: Die junge Hillary Rodham (später Clinton) hat eine Abschlussarbeit über Saul Alinsky geschrieben und diesen zu ihrem Mentor erkoren. Auch Barack Obama ist einer seiner Anhänger (der junge Obama leitete in Chicago eine gemeinnützige, von Alinskys Ideen beeinflusste Organisation, die Kurse zur Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeit anbot, arbeitslos gewordene Fabrikarbeiter auf die Rückkehr in den Arbeitsmarkt vorbereitete und Trainingsprogramme zur Vermittlung von Führungskompetenzen veranstaltete).

    Buchcover: Rules for Radicals, Saul Alinsky

    Alinskys 1971 erschienenes Buch Rules for Radicals (Untertitel: Ein pragmatischer Leitfaden für realistische Radikale) wurde in den Händen von Hillary Clinton und Barack Obama zur Gebrauchsanweisung für das Ruinieren von Amerika. Gingrich wird nicht müde zu erzählen, dass die Clintons und Obama die freie Marktwirtschaft zerstören und in God’s Own Country einen „europäischen Sozialismus“ einführen wollen. Ich bin dafür, dass die neue Bildungsministerin Generation Zero auf den Lehrplan setzt. Am besten, man zeigt Bannons Opus in einer Endlosschleife, nur unterbrochen durch das Schulgebet.

    Generation Zero verfolgt eine Überwältigungsstrategie. Man wird mit Untergangsszenarien, Expertengerede und unheilschwangerer Musik geflutet, bis man nicht mehr kann. Der kleine (weiße) Mann und die (weiße) Mittelschicht müssen leiden, während sich langhaarige Randalierer und Bürgerrechtler mit der Polizei anlegen (arme Polizei), Flugzeuge abstürzen, dunkle Wolken übers Land ziehen und hedonistische Casino-Kapitalisten (die Produkte der antiautoritären Erziehung) die Roulettekugel rollen lassen. Doch das Positive gibt es auch.

    Generation Zero

    Die US-Flagge flattert im Wind. Man darf sich an Bildern von glücklichen Eltern und ihren glücklichen Kindern laben. Nach dem Winter kommt der Frühling, so die Botschaft, und mit ihm die Wiedergeburt der autoritären Familie der 1950er (Info für Nostalgiker: In den Fifties wurden Kinder nicht als Kinder betrachtet, sondern als kleine Erwachsene; entsprechend diszipliniert hatten sie sich zu verhalten). Mutti kümmert sich um die lieben Kleinen (viele kleine Erwachsene) und gibt Vati einen Kuss, wenn er zur Arbeit geht. Wir erfahren, dass die Frauen das so wollten.

    Wer etwas anderes behauptet ist unamerikanisch und ein von Alinskys Ideen infizierter Radikaler. Die „Alinsky-Gruppe“, erläutert einer von den Experten, stellte die USA als eine böse, ungerechte, sexistische und rassistische Gesellschaft dar, um einen Vorwand für die Vernichtung des politischen Gegners zu haben und die Macht an sich zu reißen. Es war aber ganz anders. Nach den Entbehrungen in den von der Weltwirtschaftskrise geprägten 1930ern und dem harten Leben im Zweiten Weltkrieg wünschte sich die amerikanische Frau nichts sehnlicher, als am Herd zu stehen und die Kinder zu versorgen.

    Die amerikanische Frau war damals die weiße Mutter weißer Kinder in der Vorstadt, wo die Schwarzen höchstens den Müll abholten. Als die Welt noch in Ordnung war hielt die Frau das Haus sauber, während der Mann das Geld verdiente. Aus dem Zweiten Weltkrieg gingen zwei Visionen für die Zukunft hervor, sagt Gingrich. Die eine war erfolgreich und brachte die Amerikaner auf den Mond. Die andere, sagt der Film, führte nach Woodstock, wo hemmungslose junge Frauen im Sommer ’69 den BH auszogen und sich mit ebenso hemmungslosen jungen Männern im Schlamm wälzten.

    Heiratsantrag mit Staubsauger

    Eines muss man den rechten Ideologen in Trumps Umfeld lassen: Sie sind sehr gut darin, reaktionäre Rollenbilder und die autoritäre, streng hierarchisch strukturierte Familie als Teil des American Dream zu verkaufen. Das ist aber eine Erfindung der 1950er. Zur Entgiftung empfehle ich In a Lonely Place, die Melodramen von Douglas Sirk und, als Sofortmaßnahme, Herrn Korbinian Nasenlöchlers Liedvortrag „Die vier Jahreszeiten“. Bei YouTube fehlt leider der Schluss. Ihn muss man sich dazudenken: „Gerade der Winter wäre so interessant gewesen.“

    Die Melos, die Sirk in den 1950ern drehte, konterkarieren das eine bleierne Zeit kaschierende Idyll der Eisenhower-Ära mit dysfunktionalen Familien, die irgendwo zwischen Scheinmoral, Xenophobie, Vaterkult und Impotenz verortet sind. In All that Heaven Allows und Written on the Wind findet man die Wahrheit, die heutige und frühere Ideologen in der Lüge von einer heilen Welt verstecken, die es nie gab. Nostalgiker sollten sie sich ansehen und sich dann fragen, ob sie so etwas wirklich wiederhaben wollen.

    In a Lonely Place ist einer jener Filme, die belegen, wie gut sich das Medium als Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen eignet, wenn nicht die Marktforscher, die Franchise-Verwalter und die Merchandising-Verkäufer das Sagen haben. Das Medium wird dann zum Orakel. Bei Ray liegt das Geheimnis in der Reduktion auf den Kern des im folgenden Jahrzehnt verstärkt propagierten Gesellschaftsmodells, die Beziehung zwischen Mann und Frau - in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung und mit Polizisten wie Captain Lochner, die zeitgebundene, ideologisch grundierte Vorstellungen von Sitte und Moral mit Recht und Gesetz verwechseln.

    Der Mord an Mildred Atkinson interessiert den Film nur am Rande und führt uns doch zu seinem Mittelpunkt, weil das zentrale Thema das Sterben einer Liebe ist. Das wirft auch die Frage nach den Tätern auf, denen die Liebe zum Opfer fällt. Als Verdächtiger bietet sich der Alltag in der patriarchalisch organisierten Gesellschaft der Nachkriegszeit an. Ray erzählt uns diesen Teil der Geschichte mit Hilfe von Effies Staubsauger, den wir hören, wenn Dix - nach der Begegnung mit Mr. Swan - die Treppe zu Laurels Wohnung nach oben geht. Das ist bereits ein Schwanengesang. Man weiß es nur noch nicht.

    Der erste Auftritt von Effie und ihrem Arbeitsgerät ist ein gutes Beispiel für die Vielschichtigkeit dieses Films. Im Dialog beklagt sich Dix darüber, dass Effie schon wieder saugt, obwohl er ihr mehrfach gesagt hat, dass sie das nicht machen soll, wenn Laurel schläft. Dabei überprüft er die neuen Manuskriptseiten, die Laurel für ihn abgetippt hat. Wen schützt er also vor der Störung durch den Staubsauger? Die Frau, die er liebt oder die Sekretärin, die erst in den Morgenstunden ins Bett kommt, weil sie nachts Schreibarbeiten für ihn erledigt?

    In a Lonely Place

    Alles in diesem Film ist ambivalent. „Sie muss die ganze Nacht gearbeitet haben“, sagt Dix zu Effie, dem Zerberus vor Laurels Schlafzimmertür. Das könnte auch eine Entschuldigung dafür sein, dass Laurel noch im Bett liegt, während anständige Leute längst ihrem Tagewerk nachgehen. Eine anstrengende Liebesnacht war von der Zensur verboten, Nachtarbeit hingegen erlaubt. Schließlich hatte Thomas Alva Edison, der Held der protestantischen Arbeitsethik, einst die Glühbirne erfunden, weil sich mit elektrischem Licht produktiver schuften ließ als bei Kerzenschein.

    Zwischen Staubsauger und Schreibmaschine erfahren wir dann noch, dass Laurel seit einiger Zeit Schlaftabletten nimmt. Auch die Befürchtung, dass Dix ein Frauenmörder sein könnte, bringt sie um die Nachtruhe. Auf eine ganz unaufdringliche, weil aus der Handlung heraus entwickelte Weise werden Sauberkeit, Zensur und bürgerliche Moral, Privatleben und Arbeitswelt, traditionelle Geschlechterrollen und Gewalt so zueinander in Beziehung gesetzt, dass sie sich gegenseitig kommentieren. Ray sorgt für spannende Unterhaltung und hat zugleich einen Film mit doppeltem Boden gedreht, der immer mehrdeutiger wird, je genauer man hinschaut (und hinhört).

    Effie möchte, dass Laurel und Dix ihr Verhältnis bereinigen und auf Hochzeitsreise gehen, damit sie saubermachen kann. Dix gibt das so an Laurel weiter: „Effie will, dass wir heiraten. Sie sagt, dass sie dann eine Gelegenheit hat, das Apartment zu saugen, wenn wir weg sind.“ Bis hierhin könnte das ein Dialog aus einer der Screwball Comedies der 1940er sein, die so gar keinen Respekt vor der heiligen Institution der Ehe haben (The Awful Truth, His Girl Friday). Die Putzfrau meint, dass wir heiraten sollen, damit sie in Ruhe staubsaugen kann. Warum machen wir das nicht einfach?

    In a Lonely Place

    Dann kommt allerdings einer der schlimmsten Heiratsanträge der Filmgeschichte. „Ich liebe dich“, sagt Laurel. „Aber es gibt keinen Grund, etwas zu übereilen.“ "Wer hat etwas von Übereilen gesagt?", fragt Dix. „Ich dachte, dass du mir vielleicht eine Antwort gibst, sagen wir in den nächsten zehn Sekunden.“ Das ist jetzt nicht mehr komisch. Während Laurel noch darüber nachdenkt, ob Dix der von der Polizei gesuchte Mörder sein könnte drückt er ihr im übertragenen Sinne die Kehle zu. Dix hat Mildred Atkinson nicht erwürgt und ist doch ein Täter, weil er Laurel die Luft zum Atmen nimmt.

    Er will sofort einen Tisch für die Verlobungsfeier reservieren und noch in derselben Nacht nach Las Vegas fliegen, um dort zu heiraten. Laurel flüchtet vom Frühstückstisch in die Küche. Dix folgt ihr, packt sie an den Armen, bedrängt sie ("Die zehn Sekunden sind vorbei."), will keine Ausflüchte hören, nur ein Ja oder Nein. „Ja“, sagt Laurel, weil sie sich nicht traut, Dix abzuweisen. Ray geht mit der Kamera nah heran, weil wir sehen sollen, dass Laurel beim Kuss die Augen offen lässt. Statt sich dem Mann, von dem sie sagt, dass sie ihn liebt, ganz hinzugeben, schaut sich Laurel nach einer Fluchtmöglichkeit um. Die Bilder sprechen für sich. Dieser Heiratsantrag ist eine Vergewaltigung.

    Büchse der Pandora

    Laurel hat sich von Mr. Baker getrennt, weil der Immobilientycoon versuchte, sie zu besitzen wie eines seiner Grundstücke und sie weder als ausgehaltene Mätresse leben wollte noch als Ehefrau im goldenen Käfig. Sie muss sich fühlen, als wäre sie vom Regen in die Traufe gekommen. Dixon Steele wohnt zur Miete und wird ihr keinen Swimmingpool bauen, um den Wert des Hauses zu steigern, aber die Verhaltensmuster sind sehr ähnlich. Er kauft Laurel einen Ring und ein Kleid für die Verlobungsfeier, will ihr ein Auto schenken usw. Ray stellt mit der für den Film üblichen Direktheit die Verbindung her.

    Martha ist im Schlafzimmer gerade dabei, Laurel die Werte einer patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft einzumassieren (Laurel soll Mr. Baker heiraten, weil er Land besitzt und ein erfolgreicher Unternehmer ist), als Dix mit Geschenken in die Wohnung kommt und fragt, wie weit Laurel mit den zuletzt geschriebenen Drehbuchseiten ist. Das kleinste seiner Päckchen platziert er als Überraschung auf ihrer Schreibmaschine. Was da wohl drin sein mag? Ein neues Farbband vielleicht, damit Laurel weiter Schreibarbeiten für ihn erledigen kann?

    In a Lonely Place

    Nun ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Liebende etwas schenken oder bei der Arbeit helfen. Der Film zeigt aber, wie Abhängigkeiten entstehen, und dies entlang traditioneller Rollenmuster. Wenn Laurel dem Drehbuchautor als ehrenamtliche Sekretärin zuarbeitet wird aus dem Geschenk ganz schnell ein Almosen. Geld ist wichtig, weil es Macht bedeutet. Das wissen auch die rechten Ideologen, mit denen sich Donald Trump eingelassen hat, um Präsident zu werden. Die Begründungen wechseln, das Ziel bleibt dasselbe. Frauen sollen wieder auf die Rolle als Hausfrau und Mutter festgelegt werden, und auf die dienende Funktion.

    Propagiert wird ein Morgen, das ein imaginäres Gestern ist, die Rückkehr in eine verklärte Version der 1950er, die es so nie gegeben hat. Aus den Fehlern der Vergangenheit soll jedoch gelernt werden. Was das heißt erfährt man in Generation Zero. Woodstock, sagt eine Expertin, war ein Resultat der Jugendkultur der 1960er. Die Jugendkultur kam daher, dass die jungen Leute plötzlich viel mehr Geld hatten als je zuvor. Das Geld gaben sie für die falschen Sachen aus. In calvinistisch geprägten Gesellschaften wie der amerikanischen ist das ein schlimmes Vergehen.

    In Johannes Calvins Lehre von der Prädestination oder „Gnadenwahl“ hat Gott vorab festgelegt, wer als Erwählter in den Himmel und wer als Verdammter in die Hölle kommt. Natürlich möchte man als Gläubiger gern wissen, zu welcher Gruppe man gehört. Ein Indikator ist der berufliche Erfolg. Wer viel Geld verdient erhält damit auch einen Beleg dafür, dass er einer von den Auserwählten ist. Mehr Geld steigert diese „Gnadengewissheit“, wie Calvin sie nennt. Mit dem Geld, das eigentlich Gottes Eigentum ist, verbindet sich die Verpflichtung, es gut zu verwalten und zu vermehren. Das ist der Weg zum Seelenheil.

    Mr. Baker, der reiche Immobilienunternehmer, hat so gesehen alles richtig gemacht. Für das Haus, in dem früher Laurel Gray gewohnt hat, kann er jetzt mehr Miete verlangen, weil er sein Geld in einen Swimmingpool investiert hat. Sich auf dem Reichtum auszuruhen oder es zur Befriedigung seiner Lüste auszugeben ist hingegen sündhaft. Generation Zero liefert dazu die Bilder. Ein Paar führt einen wilden Tanz auf wie die Neger im Urwald. Eine junge Frau hat sich scheinbar einen Tiger gekauft, damit die Assoziationskette funktioniert, nachdem man den Verstand ausgeschaltet hat: Geld - wilde Tiere - Dschungel - Woodstock (auch Dschungel, nur dreckiger) - Haie - gierige Banker - Raubtierkapitalismus.

    Generation Zero

    Der Raubtierkapitalismus entsteht im Zusammenspiel von Wall Street und Big Government, also dem von Roosevelt eingeführten Monsterstaat, und ist nicht mit dem „reinen Kapitalismus“ zu verwechseln, also dem System des freien Wettbewerbs, dem das Amerika der Nachkriegszeit (neben Gott) seinen Reichtum verdankte. Wer gab nun aber den Jugendlichen das viele Geld? Das waren die Mütter. Als kleine Mädchen mussten sie in den 1930ern vor der Suppenküche anstehen. Dann wurden ihre Väter und Brüder in der Normandie abgeschlachtet. Davon traumatisiert, wollten sie, dass es ihren Kindern nie mehr an etwas fehlen sollte.

    Das war fatal, weil sie damit die Büchse der Pandora öffneten. Kinder wurden mit Süßigkeiten vollgestopft, durften beim Familienausflug ungestraft Sachen aus dem Auto werfen und hielten sich für den Mittelpunkt der Welt. So wurden aus properen kleinen Amerikanern nach und nach verzogene Fratzen und in den 1960ern Hippies, die glaubten, den Älteren sagen zu können, was richtig war und wie sie ihr Leben zu leben hatten. Die verblendete Jugend suhlte sich im Narzissmus und verbrannte die amerikanische Fahne, weil die Väter und Opas Vietnam bombardieren ließen. Früher hätte man die Weisheit des Alters respektiert.

    Verzagen muss man nicht. Auf den Winter der von den Hippies, Saul Alinsky und den Clintons verschuldeten Finanzkrise folgt der neue Frühling. Das bringt uns zurück in die Spießeridylle der Eisenhower-Jahre und zu den Frauen, für die das schmucke Häuschen in der Vorstadt, umgeben von einem weiß gestrichenen Gartenzaun, die Erfüllung ihres Lebenstraums war. Man muss nur diesmal die richtigen Weichen stellen, damit man später auf dem Mond landet und nicht mit barbusigen jungen Frauen in der Suhlegrube von Woodstock. Wie stellt man das an? Generation Zero weiß die Antwort.

    Mutti hat den Kindern das viele Geld gegeben. Also muss jetzt Vati ran, die Finanzen wieder selber kontrollieren, wenn notwendig ein Machtwort sprechen und mit dem Irrglauben der Bürgerrechtler und Emanzen aufräumen, man könne durch Gleichmacherei eine friedliche Welt schaffen, in der alle nett zueinander sind. Das Familienoberhaupt muss das Kommando übernehmen, damit es keine Bruchlandung gibt. Wer das anzweifelt sei an den Kinderpsychologen Dr. James Dobson erinnert, dem Gott höchstpersönlich gesagt hat, dass der Mann die Führerschaft in der Familie übernehmen muss, wenn aus Amerika noch etwas werden soll. Auch Dr. Dobson berät jetzt Donald Trump.

    Generation Zero kann man einzeln kaufen (https://secure.donationreport.com/productlist.html?key=RJCVYTQMKOTY) oder im „Tea Party Trilogy Box Set“, zusammen mit Battle for America (starring Newt Gingrich und Trumps Kurzzeit-Sicherheitsberater Mike Flynn) und Fire from the Heartland: The Awakening of the Conservative Woman. Die erwachte Frau ordnet sich dem Manne unter und gibt ihm die Rechte an ihrer Gebärmutter zurück, weil Gott es so gewollt hat. Präsident Trump hilft ihr jetzt dabei, indem er seine den Evangelikalen gegebenen Wahlversprechen einlöst. Er streicht Gesundheitsorganisationen die staatlichen Gelder (https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/jan/24/photo-trump-womens-rights-protest-reproductive-abortion-developing-cont), wenn sie bei der Schwangerschaftsberatung auch über Abtreibung sprechen und in Entwicklungsländern Verhütungsmittel verteilen.

    Liebe als Besitzanspruch

    In Rays In a Lonely Place steht die physische Gewalt stellvertretend für die strukturelle, und wir erleben sie als eine männliche, weil der Film von einer patriarchalischen Gesellschaft erzählt, in der die Frauen zu Objekten gemacht werden. Laurel verlässt den Immobilien-Baker, weil er sie heiraten will wie man ein Haus kauft. Henry Kesler ist ein Spießer, der Mildred Atkinson umbringt, weil sie sich vom Leben mehr erwartet als ein bescheidenes Hausfrauendasein an seiner Seite; dann wirft er sie wie Abfall aus dem Auto. Brub Nicolai steigert sich beim Nachstellen des Mordes so sehr in seine Täterrolle hinein, dass er immer fester zudrückt und beinahe seine Frau erwürgen würde.

    In a Lonely Place

    Die Identifikation mit dem Mörder fällt Brub genauso leicht wie Dix, der die Regieanweisungen gibt. So wie Dix sich den Mord an Mildred in seiner Phantasie ausmalt legt er mehrfach den Arm und Laurels Hals. Was als zärtliche Liebkosung gemeint ist sieht aus wie eine Geste des Besitzergreifens. Man kann Frauen auch die Luft zum Atmen nehmen, ohne sie gleich umzubringen. Captain Lochner, Brubs moralisierende Chef, macht das mit Mildred noch posthum, wenn er wie selbstverständlich davon ausgeht, dass sie vor ihrem Tod Sex mit Dix Steele hatte und dafür Geld nahm. Anständige Mädchen werden nicht ermordet.

    In a Lonely Place

    Am Anfang ihrer Liebe zeigen sich Dix und Laurel von ihrer besten Seite und genießen ein paar Wochen des Glücks. Lochner aber kann nicht von Dix als Verdächtigem lassen, weil der Drehbuchautor - anders als der echte Mörder - nicht seinen Vorstellungen von Anstand und Sitte entspricht. So einer muss schuldig sein. Lochner verkörpert den gesellschaftlichen Druck, unter dem die Liebe von Dix und Laurel zerbricht. Unter der Last der polizeilichen Ermittlungen und des um sich greifenden Verdachts fallen sie in alte Verhaltensmuster zurück und offenbaren ihre Schwächen.

    In a Lonely Place

    Laurel ist der „Hau-ab-bevor-du-verletzt-wirst“-Typ, wie Dix einmal von ihr sagt, ein Mensch, der durch die Hintertür verschwindet, wenn es brenzlig wird. Dix’ wachsendes Misstrauen beantwortet sie mit Ausflüchten und Lügen. Dix hingegen ist der eifersüchtige und jähzornige Typ, der Konflikten nicht aus dem Weg geht und stattdessen welche schafft, wo es sie nicht geben müsste. Auf tatsächliche oder eingebildete Verletzungen reagiert er mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen wie bei der traurigen Verlobungsfeier im „Paul’s“, seinem Stammlokal.

    In a Lonely Place

    Die Szene zeigt die zersetzende Wirkung des von Lochner gestreuten Verdachts. Laurel will Dix verlassen, traut sich aber nicht, es ihm zu sagen. Nur Mel weiß es. Hinter Dix’ Rücken haben die beiden das gerade fertig gewordene Drehbuch an den Produzenten Brodie weitergegeben, weil sie hoffen, dass ein beruflicher Erfolg Dix über die private Enttäuschung hinweghelfen wird. Dann kommt heraus, was sie getan haben. Dadurch wird alles nur noch schlimmer. Was Dix aus der Schmonzette Althea Bruce gemacht hat erfährt man nicht. An In a Lonely Place kann man die hohe Kunst des Drehbuchschreibens studieren.

    Ruinierte Existenzen

    Dix verliert die Kontrolle, weil an dem Tisch im „Paul’s“, an dem er Verlobung feiern will, mehrere Themenstränge des Films zusammenlaufen. Er ist wütend über den von Mel begangenen Vertrauensbruch (Freundschaft). Er fürchtet, dass Brodie sein Drehbuch nicht gefallen könnte, weil er zu stark von der Vorlage abgewichen ist (Kunst vs. Kommerz). Laurels Verhalten erklärt er sich damit, dass sie zurück zu Mr. Baker will (Eifersucht). Das Resultat ist einer dieser Momente, in denen die ohnmächtige Frustration in Form von Gewalt aus Dix herausbricht.

    Er schlägt Mel ins Gesicht, beschädigt ihm die Brille und folgt ihm auf die Toilette, wo er in quälender Hilflosigkeit versucht, sich zu entschuldigen und es wieder gutzumachen. Allein dabei zuschauen zu müssen ist schon ganz fürchterlich. Schließlich reichen sich die beiden die Hände, ohne dass man sich vorstellen könnte, dass das, was durch den Schlag zerbrochen ist, so bald wieder zu kitten wäre, wenn überhaupt. Dann bringt Barnes die Nachricht, dass der Produzent vom Drehbuch begeistert ist. Ein paar Minuten früher hätte das noch viel bedeutet. Inzwischen ist Laurel aus dem Lokal verschwunden, weil sie der Schlag in der Überzeugung bestärkt hat, Dix verlassen zu müssen.

    In a Lonely Place

    Am Anfang und am Ende der desaströsen Verlobungsfeier im „Paul’s“ kann man sehen, wie genau der Film gearbeitet ist. In der ersten Einstellung sitzt Fran, die nicht eingeladen ist, im Vordergrund an einem Tisch. Kaum haben die Gäste Platz genommen drängt sie sich dazu und plaudert aus, dass Mel das Drehbuch an Brodie weitergegeben hat. Das bringt den Stein ins Rollen. In Gestalt von Fran, mit der Dix früher ein Verhältnis hatte und der er, Lochners Akten zufolge, bei einem Streit die Nase gebrochen hat, meldet sich seine Vergangenheit zurück, die wie ein Schatten über der Gegenwart liegt.

    In a Lonely Place

    Im Hollywood, in dem der Film gedreht wurde, war das Gefühl nicht viel anders. Dort lag der Schatten einer Vergangenheit über den Filmemachern, in der die mit dubiosen Listen und Dossiers hantierenden Hexenjäger nach belastendem Material stöberten. Am Ende der Verlobungsfeier ruft Brub (auch nicht eingeladen) an. Der echte Mörder hat sich bei einem Suizidversuch in die Brust geschossen und ein Geständnis abgelegt. Weil Dix schon gegangen ist sehen wir Brub und seinen Chef, Captain Lochner, im Krankenhaus.

    In a Lonely Place

    Dix und Laurel, sagt Brub, seien durch die polizeilichen Untersuchungen (und durch Lochners Verdächtigungen) einem enormen Druck ausgesetzt gewesen: „Das hätte ihr Leben ruinieren können.“ Wohl wahr. Falsch ist nur der Konjunktiv. In Hollywood (und nicht nur da) hatte der McCarthyismus bereits erste Existenzen ruiniert, als In a Lonely Place in den Kinos anlief. Weil der Zweck die Mittel heiligte wie bei Lochners Ermittlungen blieben auch Unschuldige auf der Strecke. Der Film erzählt das in Form einer Liebesgeschichte und erinnert uns regelmäßig daran, dass die Liebe genauso an inneren wie an äußeren, gesellschaftlichen Zwängen scheitert.

    Liebe als räumliches Verhältnis

    Wie immer bei Nicholas Ray ist das Scheitern der mit so vielen Hoffnungen eingegangen Beziehung räumlich nachzuvollziehen. Man kann da sehen, dass er die Villa Primavera, in der er früher selbst gewohnt hatte, nicht aus Narzissmus nachbauen ließ, sondern weil ihm die Beverly Patio Apartmens, wie die Wohnanlage im Film heißt, dabei helfen, die Geschichte in Bildern und räumlichen Verhältnissen zu erzählen und nicht nur in Dialogen, wie es weniger begabte Regisseure machen.

    Die erste Begegnung zwischen Dix und Laurel findet auf neutralem Boden statt, im Innenhof der Patio Apartments und in der Nacht. Anschließend sind beide in ihren Wohnungen, über den Hof hinweg treffen sich ihre Blicke. Am frühen Morgen, wieder auf neutralem, jetzt aber bereits ideologisch aufgeladenem Boden (in Lochners Büro), intensiviert sich die Beziehung, erkennbar am Blickkontakt. Am Vormittag kommt Laurel unter einem Vorwand in Dix’ Wohnung und signalisiert ihm ihr Interesse. Von ihr geht die Initiative aus. Um das visuell zu betonen zeigt uns Ray, wie sie den Hof zwischen den beiden Apartments überquert, bevor sie bei Dix klingelt.

    In a Lonely Place

    In der folgenden Nacht geht Dix über den Hof, klopft bei Laurel und wird eingelassen. Laurel spricht aus, was vorher nur zu sehen war: „Ich bin interessiert.“ Am Vormittag hat sie Dix’ Versuch, sie zu küssen, abgewehrt. Jetzt erlaubt sie es. Danach verbringen sie die Nacht zusammen. Dix und Laurel sind zwei erwachsene, ungebundene Menschen, die einvernehmlichen Sex haben. 1950 durfte man so etwas in amerikanischen Kinos nicht sehen. Nicht einmal das Schlafzimmer oder wenigstens die Tür hätte Ray zeigen dürfen. Stattdessen führt er vor, wie man dem Publikum von Dingen berichtet, die laut Production Code verboten waren.

    In a Lonely Place

    Ein probates Mittel waren spiegelbildliche Szenen und suggestive Auslassungen. Nach Sonnenaufgang klingelt Laurel bei Dix, geht in die Wohnung. Die Schlafzimmertür steht offen. Das Bett sieht aus wie nach einer wilden Liebesnacht (oder, aus Lochners Perspektive: nach verbotenem Sex und Lustmord). Laurel und Dix küssen sich nicht. Nach Sonnenuntergang klopft Dix bei Laurel, geht in die Wohnung. Sie küssen sich, im Wohnzimmer. Was fehlt sind Bett und Schlafzimmer.

    In a Lonely Place

    Der Zuschauer ist aufgerufen, die Leerstelle mit eigenen Ideen zur Intimität von Frau und Mann zu füllen oder einfach Dix’ zerwühltes Bett gedanklich in das Schlafzimmer von Laurel zu transportieren. Hier ist wieder Rays feine Ironie am Werk. Da, wo wir das Bett sehen dürfen, zeugt es von der unruhig und allein verbrachten Nacht eines einsamen Mannes. Nur die schmutzige Phantasie des Betrachters macht es zu etwas anderem. Da, wo es nach dem Willen der Zensoren nicht einmal erahnt werden sollte, in der den Kuss beschließenden Abblende, kommt es zum Geschlechtsverkehr.

    In a Lonely Place

    Captain Lochner, der selbstgerechte Oberpolizist, ist ein Bruder im Geiste von Joe Breen, dem erzkonservativen Hüter des Production Code, der im Zusammenspiel mit Funktionären eines reaktionären Christentums darüber wachte, dass es im amerikanischen Film nicht zu sexuellen Handlungen außerhalb der Ehe kam (und bei Verheirateten nicht ohne Zeugungsabsicht). Rays Inszenierung ist ein Akt des Widerstands gegen einen der Infantilisierung des Publikums Vorschub leistenden Moralkodex.

    Man kann das Ganze auch sportlich nehmen. Nicht alle, die in der Production Code Administration ihr Geld verdienten, waren Dummköpfe. Manche Zensoren wussten genau, was vor sich ging und lieferten sich einen Wettkampf mit Regisseuren und Produzenten. Ins Kino kamen mitunter Filme, bei denen verbissen darüber gefeilscht worden war, wie lang die Abblende nach dem Kuss des Liebespaares sein durfte. In einer Kultur der Prüderie, in der das Verdrängte mit aller Macht wiederkehrte, konnte es vermutlich nicht ausbleiben, dass man begann, einen Zusammenhang zwischen der Länge der Abblende und dem in ihr verborgenen Geschlechtsverkehr (sowie der Qualität des von den Liebenden erlebten Orgasmus) zu sehen.

    Freiheit für christliche Fundamentalisten und Geisteskranke

    Die Liebesbeziehung zwischen Dix und Laurel endet, wo sie angefangen hat: in den Patio Apartments. Dix geht wieder durch den Innenhof und von da zu Laurels Wohnung. Jetzt klopft er nicht mehr, sondern prügelt wütend gegen die Tür. Laurel lässt ihn schließlich ein, dies aber nicht mehr freiwillig wie damals, als sie zum ersten Mal mit ihm schlief. Dix würde andernfalls die Tür eintreten. Jetzt dringt er in Laurels Schlafzimmer ein. Das sind Bilder von einer Vergewaltigung, dargestellt als Grenzverletzung. Über den Production Code und die Kultur, die ihn hervorgebracht hat, sagt das eine ganze Menge.

    In a Lonely Place

    Das Schlafzimmer verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Gewalt und unterdrückter Sexualität. Doch an der Oberfläche ist es eine mörderische Wut, die Dix in das Zimmer treibt. Das war erlaubt, solange es mit Strafe verbunden war. Verboten war hingegen das Betreten des Schlafzimmers zum Zweck der liebevollen Vereinigung zweier Körper. Das liegt ganz auf der Linie der aktuellen US-Administration. Die Fundamentalisten, mit denen sich Trump aus wahltaktischen Gründen eingelassen hat, würden gern einen neuen Code einführen, um den Amerikanern die moralische Orientierung zurückzugeben, die ihnen von den ’68ern weggenommen wurde.

    In a Lonely Place

    Entsprechende Bestrebungen gibt es seit den 1990ern, als Kardinal Roger M. Mahony, damals Erzbischof von Los Angeles, den Geschäftsmann Dennis Jarrard an die Spitze einer mit Priestern, Nonnen, Erziehern und Psychologen besetzten Kommission berief, die sich mit Obszönität und Pornographie in den Medien beschäftigen sollte und alsbald einen neuen Moralkodex forderte, um eine an christlichen Werten und den Zehn Geboten ausgerichtete Unterhaltung durchzusetzen. Einer von Jarrards Mitstreitern war Ted Baehr, Herausgeber von Movieguide.

    In a Lonely Place

    Movieguide untersucht Filme nicht nur auf Sex und Gewalt, sondern auch auf Satanismus, Homosexualität und Marxismus. Das erinnert doch sehr an die alte McCarthyisten-Methode, diese Kategorien in einen Topf zu werfen, zu kriminalisieren und zu Kristallisationspunkten für Ressentiments gegen andere Lebensentwürfe zu machen. Wenn ich es richtig verstanden habe sind Bettszenen genauso schädlich wie lange Küsse und Tänze, bei denen die Brüste der Damen in Bewegung geraten. Das muss aufhören, sagt Dr. Baehr, der selbstverständlich auch schon bei Dr. Dobson, einem der spirituellen Berater von Donald Trump, in dessen Sendung Family Talk zu Gast war.

    Trump mag ein unsicherer Kantonist sein. Der zielstrebige Mike Pence ist es weniger. Trumps Vize startete seine Politkarriere mit der Forderung, Ehebruch unter Strafe zu stellen und beherrscht wie Dobson und Baehr die Rhetorik der Fundamentalisten, die unermüdlich darüber lamentieren, dass eine falsch verstandene Meinungsfreiheit Menschen diskriminiere, die an lange erprobte und für gut befundene christliche Werte glauben. Die Zensur kleidet sich da in das Gewand der freien Religionsausübung für strenggläubige Christen.

    Seit Trump im Weißen Haus sitzt und Dekrete unterschreibt dürfen Amerikaner, die wegen einer physischen Erkrankung für nicht geschäftsfähig erklärt wurden, wieder eine Waffe haben. Der Präsident löste damit ein der National Rifle Association gegebenes Versprechen ein (die NRA unterstützte seinen Wahlkampf mit geschätzten 30 Millionen Dollar). Ganz gegen seine sonstige Art wollte Trump dies in der Öffentlichkeit nicht mit großer Geste als Erfolg präsentieren, weil er weiß, wie heikel die Entscheidung ist. Das überließ er seinem Vize, dem Verteidiger der amerikanischen Freiheitsrechte.

    Pornographie und Serienmord

    Mit der Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit nehmen Pence und seine Gesinnungsgenossen es nicht so genau. Evangelikale und ultrakonservative Katholiken fordern seit Jahren, Filmszenen zu verbieten, in denen jemand auf die Polizei schießt und dergleichen. Wenn demnächst ein geisteskranker Mensch mit seinem Gewehr einen Polizisten umbringt werden sie wissen, was zu tun ist. Nicht der Waffenbesitzer ist das Problem, es sind die Medien durch das schlechte Vorbild, das da geboten wird. Dasselbe gilt für die Homosexualität, die sich ausbreitet, seit sich Schwule und Lesben in Film und Fernsehen tummeln und zur Nachahmung animieren dürfen.

    Die interessante Frage ist, wann und wo die Verbote beginnen sollen. In den Netzwerken der religiösen Rechten wird in immer neuen Varianten die „Währet den Anfängen“-Geschichte aufgetischt, seit Dr. Dobson 1989, am Tag vor dessen Hinrichtung, Ted Bundy interviewte und das Video gegen eine Spende von 25 Dollar pro VHS-Kassette allgemein zugänglich machte. Bundy berichtet da, wie er zum Serienmörder wurde und hat eine Botschaft, die Dr. Dobson nur gefallen kann. Nicht in der gesunden amerikanischen Familie mit Vater, Mutter und vier Geschwistern ging es los, sondern im Lebensmittelladen um die Ecke.

    Ted Bundy’s Final Interview

    Dort kam der 12-jährige, 1946 geborene Ted erstmals mit „softer Pornographie“ in Berührung. Das müsste also 1958 gewesen sein. Was man da wohl für unzüchtige Bilder zu sehen kriegte, im Zeitungsstand des Lebensmittelhändlers? Egal. Derart angereizt stöberte der junge Ted im Müll der Nachbarn, wo er hin und wieder Bücher mit Gewaltpornographie fand. Er gewöhnte sich an diese Sachen, wurde süchtig nach ihnen und wollte schließlich selber tun, was er bisher nur gesehen oder gelesen hatte. Am Ende tötete er (mindestens) 28 junge Frauen und Mädchen.

    Dr. Dobson zufolge erfuhr Ted Bundy durch die Gewaltpornographie eine Desensibilisierung, die vergleichbar ist mit dem, was Deutsche im Dritten Reich dazu brachte, im Auftrag der Nazis Kinder, Frauen und Juden umzubringen, obwohl die Täter keine Psychopathen waren. Das ist noch abenteuerlicher als die kausale Verbindung zwischen Pornographie und Serienmord, hat aber aus Demagogensicht den Vorteil, dass es wie gehabt (in der McCarthy-Ära) die Sexualität mit Verbrechen und totalitären Ideologien vermengt. Wenn es nicht der Faschismus ist, dann eben der Kommunismus.

    Man kann von Dr. Baehr nicht erwarten, dass er ein Bewertungsportal für christlich wertvolle und nichtkommunistische Pornofilme eröffnet. Ausweislich der von den Gläubigen gefahrenen Kampagnen ist es auch nicht so sehr die Pornoindustrie, die sich Sorgen machen muss. Das ergibt sich schon aus Dr. Dobsons Gefahrenanalyse. Wenn nämlich die Gewaltpornographie (oder das, was sich Dobsons Hörer darunter vorstellen) die Pforte zum Serienmord ist, erfordert es dann nicht die Verantwortung des Christenmenschen, dort anzusetzen, wo alles anfing, beim Zeitungsstand im Lebensmittelladen des Jahres 1958?

    Ohne die nackten Frauen im Playboy, so die Logik (das erste Heft erschien 1953, mit Marilyn Monroe zum Aufklappen), hätte Bundy nicht den Müll der Nachbarn durchwühlt (ob die Besitzer der dort gefundenen Bücher auch Serienkiller waren?), er wäre nicht pornographiesüchtig geworden und hätte niemanden umgebracht, denn ein Verrückter war er nicht, mehr ein Verführter. Wenn man das weiterdenkt sind früher oder später die hüpfenden Brüste von Ginger Rogers Eleanor Powell und Rita Hayworth dran, und von der DVD mit In a Lonely Place muss die nackte Schulter von Gloria Grahame verschwinden, die unschuldige Amerikaner schon 1950 in einen unsittlichen Erregungszustand versetzte.

    Ehering als Brandzeichen

    In a Lonely Place beginnt als die Geschichte des Drehbuchautors Dixon Steele, um dann nach und nach Laurel Gray und ihr Dilemma in den Mittelpunkt zu rücken. Es ist das Dilemma einer Frau, die selbst über ihren Körper und ihr Leben bestimmen will (ohne die von Dr. Dobson propagierte Führerschaft des Mannes), dabei aber an einer Gesellschaft scheitert, in der die Männer gar nicht daran denken, ihr dieses Recht einzuräumen. Der Immobilien-Baker baut ihr als Statussymbol einen Swimmingpool, und Dix kündigt den Kauf eines Hauses an, um das sie nicht gebeten hat, weil man nach der Hochzeit mehr Platz brauche als bisher.

    Gemeint sind die Kinder, die Laurel ihm als Mrs. Dixon Steele gebären soll. Kinder waren fester Bestandteil eines von den rechten Ideologen unserer Tage für zeit- und alternativlos erklärten American Dream, der nach dem Zweiten Weltkrieg erfunden wurde, um die Frau zurück an den Herd zu bringen und raus aus dem Berufsleben (mit eigenem Einkommen), wo der amerikanische Mann nun wieder seinen angestammten Platz beanspruchte. Traditionelle Frauenberufe blieben davon unberührt. Die Kriegsveteranen wollten nicht auf Friseuse umschulen, sondern zurück in die Fabrik oder in das Büro mit Sekretärin.

    Ray integriert das in den Film, indem er nach der ersten Liebesnacht eine Schreibmaschine als häufig gezeigtes Requisit in Laurels Wohnung stellt. Für die Schreibarbeiten wird sie nicht bezahlt (Geld bedeutet Unabhängigkeit), sie erhält von Dix ausgesuchte Geschenke. Laurel tippt aus Liebe für ihn die Manuskriptseiten ab, stellt jedoch bald fest, dass damit ein Muster für ihre Beziehung etabliert wird. Nachdem er ihr das Ja zu seinem Heiratsantrag abgepresst hat schenkt er ihr einen Ring, den sie bis ans Ende ihres Lebens tragen soll. Der Film präsentiert uns das als eine Drohung, nicht als romantischen Gedanken. Man fragt sich, ob dieser Ring mehr Liebesgabe ist oder doch eher ein Zeichen, wem die Trägerin gehört.

    In a Lonely Place

    Dix gerät vor Wut fast außer sich, als er bemerkt, dass Laurel den Ring abgezogen hat. Seine Hände zittern, und der Kameramann Burnett Guffey betont durch die Ausleuchtung noch einmal Bogarts Augenpartie wie in der Szene, in der Dix sich vorstellt, wie der Mörder Mildred Atkinson getötet hat (und Brub beinahe seine Gattin erwürgen würde). Mit fortschreitender Handlung übersetzt Ray die strukturelle Gewalt, deren Opfer Laurel wird (als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft), zunehmend in eine körperliche. So wird sichtbar, was sonst verborgen bleibt, weil es in den Strukturen steckt und als normal gilt.

    Ich lebte ein paar Wochen

    Die private Liebesgeschichte von Dix und Laurel, die eine des Erstickens ist und uns mit Hilfe von zwei Wohnungen und einem Innenhof erzählt wird, ist durch das Telefon mit der Außenwelt verbunden. Am anderen Ende sitzt die Polizei (und zwischendurch auch Martha, die bei der Ideologiemassage dazu rät, den Immobilientycoon zu heiraten und nicht den Drehbuchautor, weil er Grundstücke besitzt und mehr Geld). Dix hat völlig die Kontrolle über sich verloren, ist in einer Mischung aus rasender Eifersucht und Verlustangst in Laurels Schlafzimmer eingedrungen und gerade dabei, Laurel zu erwürgen, als es wieder einmal klingelt.

    In a Lonely Place

    Dix erwacht aus der mörderischen Trance, verlässt das Schlafzimmer und geht an den Apparat. Brub ruft an, um zu sagen, dass der wahre Täter, der das in Lochners Augen gar nicht sein konnte, weil er ein braves gutbürgerliches Leben führte und vor dem Einschlafen ein Stück Kuchen von der Mutter aß, überraschend beschlossen hat, sich zu erschießen. Gründe unbekannt. Als schlechter Schütze hat er die Lunge getroffen und nicht das Herz. Deshalb konnte er ein Geständnis ablegen. Das ist voll bitterer Ironie.

    In a Lonely Place

    Die Polizei, die Dix mit ihren unsauber geführten Ermittlungen an den Rand des Wahnsinns (und darüber hinaus) getrieben hat, verhindert jetzt, dass er zum Mörder wird. Andernfalls hätte der Chef der Mordkommission ihn selbst dazu gemacht. Im Drehbuch ist das noch so. Dix entdeckt, dass Laurel vor ihm weglaufen und nach New York fliegen will, weil sie Angst hat, dass er ein verrückter Mörder ist wie von Lochner behauptet. Er erwürgt sie. Brub kommt, um ihn festzunehmen. Dix sitzt an der Schreibmaschine und schließt sein Manuskript mit dem Vierzeiler ab, von dem er bisher nicht wusste, wo er ihn unterbringen sollte: „I was born when she kissed me/I died when she left me/I lived a few weeks/While she loved me.“

    In a Lonely Place

    Ray hatte das bereits gedreht, als er zu der Überzeugung kam, dass der Film so nicht enden durfte. Romanzen, fand er, müssen nicht mit Mord und Totschlag aufhören. Sie enden so, wie er es gerade selbst erlebt hatte, in seiner Ehe mit Gloria Grahame. Also improvisierte er einen neuen Schluss. Es ist ein Schluss geworden, der sich aus der Logik des Films ergibt und nicht aus der Logik einer Kriminalgeschichte, die In a Lonely Place trotz Polizei und einer aus dem Auto geworfenen Frauenleiche nie sein will. Strukturelle Gewalt wird als physische Gewalt ausagiert, und am Schluss stirbt nicht die Frau sondern die Liebe, die in der dargestellten Welt nicht überleben konnte.

    Dix wirkt völlig leer (wie nach einem Orgasmus, über der Szene liegt eine düstere Vergewaltigungsmetaphorik), wenn er ans Telefon geht. Brub teilt ihm mit, dass seine Unschuld erwiesen ist und Lochner sich entschuldigen möchte. „Ein Mann will sich bei dir entschuldigen“, sagt Dix zu Laurel. Sie spürt noch Dix’ Hand an ihrem Hals, als sie den Hörer nimmt. „Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir tut, dass ich Sie dieser Tortur unterziehen musste. Der Verdacht gegen Mr. Steele ist komplett ausgeräumt“, sagt Lochner. Das ist der Hohn. Lochner musste niemanden einer Tortur unterziehen. Er musste nur korrekt ermitteln, statt seinen Vorurteilen nachzugeben, Laurel als Zeugin zu beeinflussen, Psychoterror auszuüben und Dix durch einen Freund ausspionieren zu lassen.

    „Gestern hätte das so viel für uns bedeutet“, sagt Laurel in den Hörer und schaut hinüber zu Dix, der an der Wohnungstür steht. „Jetzt spielt es keine Rolle mehr. Es spielt gar keine Rolle mehr.“ Dix verlässt die Wohnung, geht die Treppe hinunter und über den Hof. Laurel blickt ihm mit Tränen in den Augen hinterher und spricht den Dialog aus dem Drehbuch, ohne die vier Zeilen zu Ende zu bringen, weil die Poesie der Filmkunst im echten Leben angekommen und daran zerschellt ist: „Ich lebte ein paar Wochen/während du mich liebtest … Good-bye, Dix.“ Die Leinwand verdunkelt sich zur letzten Abblende, während Dix durch einen Torbogen verschwindet.

    In a Lonely Place

    „Das Publikum“, sagt Ray im Dokumentarfilm I’m a Stranger Here Myself, „soll sich selber überlegen, was mit Bogey als nächstes passieren wird, wenn er den Apartmentkomplex verlassen hat.“ Wird er zum Säufer werden, einen Oscar kriegen, sich umbringen, doch noch eine Frau ermorden oder zum Therapeuten gehen? Man weiß es nicht. Nur ein gemeinsames Leben mit Laurel, das steht fest, wird es für ihn nicht mehr geben. Ein so trauriges Ende wie dieses gab es selten. Es zerreißt einem das Herz, wenn man das sieht.

    Wenn das Publikum schon am Überlegen ist kann es gleich noch darüber nachdenken, woran die Liebe gestorben ist und ob wir das wiederhaben wollen. Soll das Gestern zum Morgen werden? Entsprechende Angebote gibt es, nicht nur im Amerika von Mike Pence und Donald Trump. Nicholas Ray ist ein gutes Gegenmittel. Wenige Regisseure nähern sich der Fragilität ihrer Charaktere so unerschrocken wie er. Manchmal ist das schwer auszuhalten. Erträglich wird es dadurch, dass Ray, einer der großen Romantiker Hollywoods, die Hoffnung nie aufgegeben hat, dass das mit der Liebe doch klappen könnte.

    In a Lonely Place wirbt für mehr Toleranz, für mehr Respekt gegenüber anderen Leuten und ihren Lebensentwürfen, indem er zeigt, was die Alternative ist. Ein grandioser Film. Bitte mehr davon. Let’s Make Hollywood Great Again!

    #film #USA #maccarthysme #sexualité #trump #viol #idéologie