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  • Ein Glücksfall: Die wiederentdeckten Filme der Staatlichen Filmdokumentation der DDR
    https://www.berliner-zeitung.de/open-source/die-wiederentdeckten-filme-der-staatlichen-filmdokumentation-der-dd

    11.7.2025 von Frank Schirrmeister - Im Staatsauftrag wurden Dokumentationen des Alltags in der DDR hergestellt, verschwanden aber ungesehen im Archiv. Nun können sie kostenlos besichtigt werden.

    Sämtliche Filme, die in der DDR gedreht wurden, unterlagen der behördlichen Zensur und verbreiteten demzufolge höchst selten ein reelles Abbild des sozialistischen Alltags. Alle Filme? Nein! Es gab eine Nische, in der Filmemacher weitgehend frei von staatlicher Bevormundung arbeiten und (Dokumentar-)Filme drehen konnten, die keiner Abnahmepflicht durch die Hauptverwaltung Film im Kulturministerium unterlagen. Einzige, aber wesentliche Voraussetzung war, dass kein gewöhnlicher Zeitgenosse diese Filme jemals zu Gesicht bekommen sollte, sie zeitlebens der DDR also weder im Kino noch im Fernsehen oder auf Festivals liefen. Klingt seltsam? Durchaus, aber genau das war der Auftrag der Staatlichen Filmdokumentation, einer Abteilung des Filmarchivs der DDR.

    Aus heutiger Sicht mutet es wie die Ausgeburt einer kafkaesken Bürokratie an, dass eine kleine Schar von Filmemachern im Staatsauftrag zwischen 1971 und 1986 filmische Dokumentationen des Alltags in der DDR herstellte, die dann jedoch nie öffentlich gezeigt werden durften und im Archiv verschwanden. Dort lagerten sie und gerieten in Vergessenheit. Erst seit etwa zehn Jahren wird der Bestand systematisch erschlossen und im Bundesarchiv digital aufbereitet.

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    Auch die Arbeit wurde vom SFD dokumentiert.fossiphoto/imago

    Das Berliner Zeughauskino präsentierte gerade erstmals in einer Filmreihe eine Auswahl dieses hochinteressanten Materials einer staunenden Öffentlichkeit. Tatsächlich hat man solcherart ungeschminkte, authentische filmische Einblicke in verschiedenste Aspekte des Alltags- und Arbeitslebens der DDR nie bisher gesehen. Eine Fundgrube für Historiker, Ethnologen, Interessierte, Nostalgiker, Soziologen ...!

    Faszinierende Reportage über die Berliner Stadtreinigung

    Gemäß dem Selbstverständnis als Arbeitsgesellschaft spielte die Dokumentation der Arbeitswelt eine zentrale Rolle. In den zahlreichen Filmen, in denen Arbeiter beobachtet und befragt, Arbeitsprozesse sowie Fort- und Rückschritte untersucht werden, wird deutlich, welch hohen Stellenwert die Arbeit für den Alltag der Menschen hatte, zugleich aber auch, unter welch widrigen Umständen die Arbeit oft verrichtet wurde.

    In einem Bericht über den VEB Elektrokohle Berlin, dem einzigen Hersteller für Graphitprodukte in der DDR, spricht der Werksleiter freimütig über den völlig überalterten Maschinenpark; die Bilder aus den Werkshallen dazu unterstreichen das eindrücklich, unterstützt durch das körnige Schwarzweiß des 16mm-Filmmaterials.

    Ebenso faszinierend ist eine Reportage über die Berliner Stadtreinigung. Einen Tag lang werden die Männer eines Müllautos auf ihrer Tour durch den Prenzlauer Berg begleitet. Fast hat man vergessen, in welchem Ausmaß die Gebäudesubstanz des Altbaubezirks von Baufälligkeit und Verfall gezeichnet war. An verwitterten Fassaden vorbei geht die Fahrt durch die Gegend um den Kollwitzplatz; wo sich heute die bourgeoise Bohème in den unbezahlbaren Eigentumswohnungen räkelt, schleppen die Müllmänner die schweren Tonnen durch finstere Treppenhäuser und verwahrloste Hinterhöfe. Am Ende der Schicht sortieren sie den Müll notdürftig beim Ausladen auf der Deponie. Auffällig viel Brot befindet sich darunter, was vom Irrsinn einer fehlgeleiteten Subventionspolitik erzählt, die zu solcherart Missachtung von Lebensmitteln führte, die letztlich oftmals an die Schweine verfüttert wurden.

    Andere Themenfelder beschäftigen sich mit Familiensituationen und Formen des Zusammenlebens, sei es eine Straßenumfrage zum Thema „Was halten Sie von Partnerschaft ohne Trauschein?“ (die meisten finden das tolerabel) oder eine Untersuchung von Lebens- und Wohnverhältnissen im Gebiet des Berliner Scheunenviertels.

    Überhaupt das Wohnen: Kaum etwas beschäftigte die Menschen mehr und griff in ihr Leben ein, wie der Mangel an Wohnraum bzw. dessen schlechter Zustand. Zwar versuchte die Parteiführung, mit massenhaftem, standardisiertem Wohnungsbau diesen Mangel zu mildern, gleichzeitig verfielen jedoch die Innenstädte, mussten Familien in eigentlich unzumutbaren Verhältnissen wohnen, entstand das Phänomen illegal besetzter Wohnungen.

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    Wohnraum war eines der kontinuierlichen Problemfelder der DDR-Gesellschaft und wurde auch von der SFD dokumentiert.Sächsische Zeitung/imago

    Jeder Anflug von Nostalgie vergeht beim Anblick der Schlange vor der „Wohnraumlenkung“ genannten Behörde und den dort geführten Bittgesprächen im Kampf um eine bewohnbare Wohnung. Zitat: „Nun bitte ich den Herrn Stadtbezirksrat für Wohnungswesen, für meinen Sohn doch nun die Möglichkeit zu suchen, eine Wohnung zu bekommen.“

    Vollends die Fassung verliert der Betrachter beim Report über zwei Familien mit jeweils einem Kind, die sich eine kleine Hinterhof-Zweiraumwohnung teilen müssen und deren Fazit auf die entsprechende Frage hin tatsächlich lautet: „Als Notfall würde ich uns nicht unbedingt bezeichnen.“ Immerhin kostet die Wohnung lediglich 37,50 Mark, auch das eine unsinnige Subventionierung, erwachsen aus der Erfahrung der Wohnungsnot in den 1920er Jahren, in der die führenden Genossen des Landes politisiert wurden.

    Auch Bühnenstücke und Musik wurden gemaßregelt

    Die ideellen Anfänge der Staatlichen Filmdokumentation (SFD) liegen im Dunkel der Eiszeit nach dem 11. Plenum des Zentralkomitee der SED 1965, auf dem fast eine ganze Jahresproduktion der Deutschen Film AG (Defa) dem Verbot anheim fiel und auch Bücher, Bühnenstücke und Musik gemaßregelt wurden. In den Jahren danach reifte unter den Funktionären die Idee, den widersprüchlichen Weg hin zum wahren Sozialismus filmisch zu dokumentieren, ihn aber fürs Erste ins Archiv zu verbannen, um „unsere Menschen“ nicht zu verwirren.

    Das hat wohl mit dem paternalistischen Grundverständnis der führenden Genossen zu tun, die am besten wussten, was man dem Volk, dem „großen Lümmel“ (H. Heine) zumuten durfte und was lieber nicht. Wenn schon die offizielle Kunstproduktion einen propagandistischen Auftrag zu erfüllen hatte, sollte wenigstens inoffiziell ein unverstellter Einblick in realsozialistische Lebensverhältnisse festgehalten und für die Nachwelt archiviert werden.

    Das entsprach dem marxistischen Sendungsgedanken von der „historischen Mission“, demzufolge der Weg hin zum Kommunismus ein gesetzmäßiger war. Wenn dann sozusagen das Ende der Geschichte erreicht wäre, sollten die Filme vor zukünftigen Generationen Zeugnis ablegen vom schwierigen Anfang und den mühevollen Schritten, die gegangen werden mussten.

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    Der Prenzlauer Berg in der DDR-ZeitJürgen Ritter/imago

    Für Recherchen außerhalb der Hauptstadt fehlte oft das Geld

    Unter diesen Vorzeichen entstanden ungefähr 300 sehr unterschiedliche Filme, die einen ungeschminkten und vor allem unzensierten und propagandafreien Einblick in den realen DDR-Alltag zeigten. Man kann gar nicht genug betonen, welchen Schatz dieser Bestand für Historiker darstellt, weil er die Quellenlage zur DDR-Geschichte erheblich erweitert.

    Bemerkenswert ist die erratische Vielfalt der Themen und Herangehensweisen, mit denen die Filmemacher dem Volk sozusagen auf´s Maul schauten. Mit dem Auftrag, möglichst die gesamte Gesellschaft zu dokumentieren, drangen sie in sonst ungesehene Nischen vor und fingen Stimmungen und Momente ein, in denen sie einen ungewöhnlich offenen Blick auf die DDR und ihre Menschen warfen. Unter filmischen Gesichtspunkten ist das Material durchaus spröde und manchmal unbeholfen; da die Filme ja nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren, verzichtete man weitgehend auf filmische Stilmittel wie eine narrative Montage oder einen Spannungsbogen; häufig wirken sie wie ungeschnittenes Rohmaterial, was es ja auch war.

    Die Spannung ergibt sich nicht aus einer geschickten Dramaturgie, sondern aus der Authentizität des Gezeigten. Manch Unzulänglichkeit war den begrenzten finanziellen Mitteln geschuldet. Das ist auch der Grund, weshalb die meisten Filme in Berlin gedreht wurden; für Recherchen außerhalb der Hauptstadt fehlte oft das Geld oder das einzige Fahrzeug der Abteilung war kaputt.

    Eine Zensur war gar nicht notwendig

    Eine Aufgabe der SFD war es auch, wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus Kunst und Kultur zu ihren Lebzeiten filmisch festzuhalten. Etwa die Hälfte der Produktion besteht aus „Personendokumentationen“, darunter Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, aber auch Handwerker aussterbender Gewerke, Puppenspieler. Sogar ein Keramiker, überzeugter Christ und Wehrdienstverweigerer, bereichert die illustre Runde, womit die Kollegen bei der SFD bis an die Grenze des Mach- bzw. Zeigbaren gingen.

    Eine staatliche Abnahme, also Zensur, musste es für diese Filme gar nicht geben, auch ohne wusste jedermann, wie weit er gehen durfte. Die berühmte Schere im Kopf hatten die meisten auch ohne behördliche Überwachung verinnerlicht. Deutlich wird das in einem gefilmten Gespräch zwischen dem Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ Wilhelm Girnus sowie dem Schriftsteller Günther Rücker und Autor Wolfgang Kohlhaase. Die drei reden über die Freiheit der Kunst, zu früh abgebrochene Diskussionen und die Notwendigkeit, abweichende Meinungen zuzulassen.

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    Gegen Ende der DDR war die Vision aufgebraucht und die Staatliche Filmdokumentation wurde eingestellt. Im Bild: Honecker im Palast der RepublikStana/imago

    Einerseits ist es berührend zu sehen, mit welch nachdenklicher Ernsthaftigkeit abgewogen und gesprochen wird, mit einem (naiven) Glauben daran, dass Gespräch nützlich und Veränderung möglich ist. Andererseits wirkt die Runde zugleich wie ein groteskes Schauspiel, denn alle drei reden gekonnt um den großen Elefanten im Raum herum – das Wort Zensur fällt kein einziges Mal. Noch größer wird der Elefant, wenn man erfährt, dass dieser Film 1978 entstand, keine zwei Jahre nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und den sich anschließenden Repressalien gegen missliebige Künstler.

    1986 wurde die Abteilung schließlich aufgelöst. Folgt man der Historikerin Anne Barnert, die ein Buch über diesen Komplex herausgegeben hat, wurde das Privileg der SFD, unzensierte Einblicke in den DDR-Alltag zu geben, für die Funktionäre zunehmend zum Problem. Die Visionen waren aufgebraucht, der Zukunftsoptimismus verblasst. Und wann sollte diese Zukunft überhaupt sein? In dreißig, fünfzig oder hundert Jahren?

    Das Bundesarchiv hat diese Antwort vorweggenommen, in dem sie die filmischen Dokumente eines gesellschaftlichen Experiments (und dessen Scheitern) dem Vergessen entzogen und damit sozusagen festgelegt hat, dass jetzt die Zukunft ist – die freilich kaum etwas mit der einst imaginierten zu tun hat.

    Nun werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, vermutlich bedauern, die (durchgehend ausverkaufte) Filmreihe im Zeughauskino verpasst zu haben, aber dem kann abgeholfen werden: Mittlerweile kann der gesamte Bestand der Staatlichen Filmdokumentation online im digitalen Lesesaal des Bundesarchivs besichtigt werden, kostenlos und ohne Anmeldung. Über die letzten Jahre sind die erhaltenen Filmkopien komplett digitalisiert worden. Angesichts knapper Kassen eine bemerkenswerte Leistung, die auch für die Bedeutung dieses Konvoluts für Zeithistoriker spricht.

    Frank Schirrmeister ist studierter Historiker, Fotograf und Bildredakteur aus Berlin. Außerdem schreibt er. Mehr Infos unter www.bildstelle.net

    #DDR #film_documentaire

  • Auch in Berlin: Durchsuchungen wegen Sozialbetrugs mit Millionenschaden
    https://www.berliner-zeitung.de/news/auch-in-berlin-durchsuchungen-wegen-sozialbetrugs-mit-millionenscha

    Nicht nur Uber ...

    15.7.2025 - In sechs Bundesländern werden Durchsuchungen durchgeführt: Mehrere Verdächtige sollen einen Kettenbetrug mit Arbeitsentgelten ermöglicht haben.

    Ermittler haben in sechs Bundesländern – darunter Berlin – Durchsuchungen gegen Sozialversicherungsbetrug mit einem Millionenschaden durchgeführt. Insgesamt geht es um mindestens anderthalb Millionen Euro, wie das Hauptzollamt im bayerischen Landshut mitteilte. Im Fokus der Ermittlungen stehen mehrere Menschen aus der Securitybranche. Ihnen wird vorgeworfen, Arbeitsentgelt vorenthalten zu haben, beziehungsweise Beihilfe dazu geleistet zu haben.

    Sie sollen Unternehmen genutzt haben, um mit einem Kettenbetrug Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen. Beim Kettenbetrug werden falsche Belege angekauft und verkauft. Dazu gehören beispielsweise Rechnungen für Leistungen, die nie erbracht wurden. Dadurch wird ein Schwarzgeldkreislauf geschaffen, um Sozialabgaben und Steuern einzusparen.

    Durchsuchungen gab es in 34 Objekten in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Betroffen waren neben Wohnungen und Unternehmen der Beschuldigten auch Firmen, die in das Betrugsmodell möglicherweise involviert waren. Rund 200 Polizisten waren im Einsatz.

  • Warum zahlen gesetzliche Krankenkassen für Bürgergeldempfänger ? Debatte flammt wieder auf
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/warum-zahlen-gesetzliche-krankenkassen-fuer-buergergeldempfaenger-d

    L’état allemand fait payer uniquement les travailleurs pour l’assurance maladie des bénéficiaire d’aide sociale. Le chef d’une grande assurance note que ce serait à l’état d’élargir l’acte de solidarité à tout ceux qui profitent de leur travail.

    Dann kam TK-Chef Baas auf versicherungsfremde Leistungen zu sprechen. Er kritisierte, „dass unsere Versicherten und ihre Arbeitgeber jedes Jahr alleine schon zehn Milliarden Euro für die Versicherung von Bürgergeld-Empfängern aufbringen müssen! Eine Aufgabe, die unzweifelhaft in Ihr Ressort und von Steuern finanziert gehört.“
    So viel zahlt die GKV für Bürgergeldempfänger

    Derzeit überweist der Bund knapp 140 Euro pro Bürgergeldempfänger an die Jobcenter. Das deckt aber nur 39 Prozent der tatsächlichen Kassenkosten. Die restlichen 61 Prozent zahlen die Versicherungen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat diesen Systemfehler erkannt. Ihre Initiative, ihn zu beheben, führt aber offenbar nicht zum Erfolg. So müssen gesetzlich Krankenversicherte weiter für Ausgaben geradestehen, die eigentlich ein gesamtgesellschaftlicher Posten und komplett aus Steuermitteln zu finanzieren wären.

    #Allemagne #assurance_maladie #solidarité

  • Prozess gegen Palliativarzt wegen 15-fachen Mordes: Einblick in die Verhandlung am Moabiter Gericht
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/palliativarzt-in-berlin-wegen-15-fachen-mordes-vor-gerichts-er-geri

    A Berlin commence le procès contre un médecin accusé d’au moins 15 meurtres de patients. La police est en train d’enquêter plus de 70 d’autres morts suspectes de patients du médecin.

    14.7.2025 von Katrin Bischoff - Der 40-jährige Johannes M. soll schwerstkranken Patienten einen tödlichen Medikamentenmix gespritzt haben. Am ersten Verhandlungstag schweigt er.

    Der Saal 700 des Moabiter Kriminalgerichts atmet Geschichte. Hier wurde der Hauptmann von Köpenick ebenso verurteilt wie Erich Honecker, Erich Mielke oder der Tiergartenmörder. Und auch dieser Mann, der seit Montag auf der Anklagebank des holzgetäfelten Saals sitzt, könnte in die Annalen eingehen: Johannes M., 1984 in Frankfurt am Main geboren, promovierter Mediziner, Palliativarzt, verheiratet, Vater eines Kindes und, glaubt man dem Staatsanwalt, ein 15-facher Mörder.

    Das Interesse an diesem Prozess ist riesig – wohl auch, weil es sich dabei um den „größten Fall der bundesrepublikanischen Justizgeschichte“ handeln würde, wie es ein Anwalt der Nebenklage vor Prozessbeginn ausdrückt. Wohl noch nie stand ein Arzt in der Nachkriegszeit unter dem Verdacht, so viele Menschen umgebracht zu haben.

    Sieben Kamerateams sind vor Ort, Dutzende Medienvertreter, die Zuschauersitze sind bis zum letzten Platz gefüllt. Johannes M. ist ein mittelgroßer Mann mit blonden Locken, hellen Augen und vollen Lippen. Er trägt an diesem ersten Verhandlungstag ein weißes Hemd zum schwarzen Anzug.

    Berliner Palliativarzt unter Mordverdacht: Wollte Johannes M. überführt werden?

    Von Katrin Bischoff, Christian Schwager

    06.12.2024

    Laut und deutlich spricht er, als er von der Vorsitzenden Richterin Sylvia Busch nach seinen Personalien gefragt wird. Selbstbewusst, könnte man meinen. Der 40-Jährige sitzt hinter Panzerglas und drei Verteidigern. Ihm gegenüber haben acht Anwälte Platz genommen, die 13 Familienangehörige der mutmaßlichen Opfer vertreten. Drei der Nebenkläger sind an diesem Tag persönlich erschienen. Für die Hinterbliebenen sei es immens wichtig, aufzuklären, wie es zu der Serie habe kommen können, sagt einer der Anwälte.

    Johannes M. sitzt seit dem 5. August vorigen Jahres in Untersuchungshaft. Zwischen dem 22. September 2021 und dem 24. Juli 2024 soll er in 15 Fällen schwerstkranke Menschen, denen er als Palliativarzt eines Pflegedienstes auf dem letzten Abschnitt ihres Lebens die Angst vor dem Tod und die Schmerzen nehmen sollte, aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch getötet haben.

    Die zwölf Frauen und drei Männer im Alter von 25 bis 87 Jahren starben laut Anklage bei Hausbesuchen, ein Patient in einem Hospiz in Köpenick. Unter dem Vorwand der ärztlichen Fürsorge habe er seine Patientinnen und Patienten zu Hause aufgesucht und dabei die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende Tötungsabsicht verheimlicht, sagt Staatsanwalt Philipp Meyhöfer in seiner Anklage.
    Sein erstes mutmaßliches Opfer war erst 25 Jahre alt

    Arglos sollen die alleinlebenden Patienten Johannes M. die Tür geöffnet haben. In allen Fällen soll der Arzt ohne Wissen der Schwerstkranken und ohne deren Einwilligung zunächst ein Narkoseeinleitungsmittel und dann ein Muskelrelaxans gespritzt haben, das jeweils in wenigen Minuten zur Lähmung der Atemmuskulatur, dann zum Atemstillstand und schließlich Tod geführt hat. Mit den Taten habe sich Johannes M. „aus eigensüchtigen Motiven als Herr über Leben und Tod“ geriert, sagt Meyhöfer.

    Das erste Opfer des Mediziners war laut Anklage die 25-jährige Kadiatou D., die Johannes M. am 22. September 2021 umgebracht haben soll. Sie und ihre Mutter waren vor Jahren aus Guinea nach Deutschland gekommen, um die Krebserkrankung von Kadiatou D. behandeln zu lassen. Ihre Mutter sitzt an diesem ersten Verhandlungstag weinend auf der Seite der Nebenkläger. Die Leiche der jungen Frau soll, wie viele andere Opfer auch, exhumiert worden sein. Bei der Untersuchung wurde ein tödlicher Medikamentencocktail im Gewebe gefunden.

    Das Interesse der Medien an dem Prozess ist riesig.

    Das Interesse der Medien an dem Prozess ist riesig.Pressefoto Wagner

    Die letzte Patientin, die 72-jährige Gisela B., starb am 24. Juli 2024. Zudem soll Johannes M. in einigen Fällen Feuer in den Wohnungen der getöteten Patienten gelegt haben, um seine Spuren zu verwischen. Mit ihrer Anklage strebt die Staatsanwaltschaft nicht nur eine lebenslange Freiheitsstrafe, sondern auch die Anerkennung der besonderen Schwere der Schuld und ein Berufsverbot als Mediziner an.

    Die mutmaßliche Mordserie blieb lange Zeit unentdeckt. Auf die Spur des Angeklagten kamen die Ermittler erst, nachdem der Pflegedienst in Tempelhof, für den der Angeklagte gearbeitet hatte, Ende Juli vorigen Jahres misstrauisch geworden war: Innerhalb von zwei Wochen waren vier Patienten gestorben, und es hatte in ihren Wohnungen gebrannt.

    Berliner Palliativarzt soll aus Mordlust Patienten getötet haben: Haftbefehl auf zehn Morde erweitert

    Von Katrin Bischoff

    11.02.2025

    Johannes M. hat während der Ermittlungen zu den Vorwürfen geschwiegen. Und auch im Gerichtssaal sagt er kein Wort dazu. „Unser Mandant wird zunächst keine Erklärung abgeben“, sagt Verteidiger Christoph Stoll kurz. Dann wird bekannt, dass die Schwester des Angeklagten im Saal sitzt. Sie hatte beantragt, als Zuhörerin an einem Verhandlungstag anwesend sein zu können, und erklärt, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

    Der Angeklagte ließ sich für Fotos und Filmaufnahmen nicht vorführen. Er wird von Klaudia Dawidowicz, Ria Halbritter und Christoph Stoll (v.l.n.r.) verteidigt.

    Der Angeklagte ließ sich für Fotos und Filmaufnahmen nicht vorführen. Er wird von Klaudia Dawidowicz, Ria Halbritter und Christoph Stoll (v.l.n.r.) verteidigt.Pressefoto Wagner

    Erste Zeugen werden erst am nächsten Verhandlungstag gehört. Vermutlich wird es weitere Anklagen gegen den Palliativarzt geben. Die Ermittler der Sonderkommission „Pfanne“, so genannt wegen der angestellten Herdplatten in den Brandwohnungen, gehen derzeit weitere Patientenakten durch. Noch immer gebe es in 72 Fällen einen Anfangsverdacht, heißt es.

    Darunter soll auch die in Polen lebende Schwiegermutter des Mediziners sein, die an Krebs erkrankt war. Sie starb nach Informationen des Magazins Stern und des Fernsehsenders RTL während eines Besuchs von Johannes M. und seiner Frau Anfang vorigen Jahres. Später soll der Arzt in seinem Team erzählt haben, dass sie totgespritzt worden sei.

    Können dem Angeklagten die Vorwürfe in den bisher geplanten 35 Verhandlungstagen nachgewiesen werden, dann mutet die 117-Seiten-Dissertation von Johannes M. unter dem Titel „Tötungsdelikte in Frankfurt am Main – ein Überblick von 1945 bis 2008“ wie eine Vorlage an. Sie beginnt mit der Frage: „Warum töten Menschen?“ Auf Seite 58 verweist der Autor auf ein „Dunkelfeld bei Tötungen an älteren Menschen, da Tötungen bei pflegebedürftigen Menschen nicht leicht nachzuweisen sind“.

    Tötungsdelikte in Frankfurt am Main : ein Überblick von 1945 bis 2008
    https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/CZNA5ZTWPTTSJTROREF5KNCVINQC44IA

    Standort
    Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main

    Maße
    21 cm

    Umfang
    117 S.

    Sprache
    Deutsch

    Anmerkungen
    Ill., graph. Darst.
    Frankfurt (Main), Univ., Diss., 2013

    Klassifikation
    Medizin, Gesundheit
    Soziale Probleme, Sozialdienste, Versicherungen

    Urheber
    Moore, Johannes

    Inhaltsverzeichnis
    https://d-nb.info/1032360852/04

    Rechteinformation
    Bei diesem Objekt liegt nur das Inhaltsverzeichnis digital vor. Der Zugriff darauf ist unbeschränkt möglich.

    Letzte Aktualisierung
    11.06.2025, 14:20 MESZ

    DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
    https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&query=idn%3D1032360852

    Link zu diesem Datensatz https://d-nb.info/1032360852
    Art des Inhalts Hochschulschrift
    Titel Tötungsdelikte in Frankfurt am Main : ein Überblick von 1945 bis 2008 / vorgelegt von Johannes Moore
    Person(en) Moore, Johannes (Verfasser)
    Zeitliche Einordnung Erscheinungsdatum: 2012
    Umfang/Format 117 S. : Ill., graph. Darst. ; 21 cm + 1 CD-R
    Hochschulschrift Frankfurt (Main), Univ., Diss., 2013
    Sprache(n) Deutsch (ger)
    Sachgruppe(n) 610 Medizin, Gesundheit ; 360 Soziale Probleme, Sozialdienste, Versicherungen
    Weiterführende Informationen Inhaltsverzeichnis

    Frankfurt Signatur: 2013 CRA 4544
    entliehen
    Vormerken in Frankfurt
    Leipzig Signatur: 2013 A 24407 u. CD
    Bereitstellung in Leipzig

    ##Berlin #meurtre #iatrocratie #euthanasie

  • „El Hotzo“ muss in Berlin vor Gericht : Wegen X-Post zu Attentat auf Donald Trump
    https://www.berliner-zeitung.de/news/el-hotzo-muss-in-berlin-vor-gericht-wegen-x-post-zu-attentat-auf-do

    L’internet n’a pas d’humour. Voici ce qu’il trouve si peu amusant que son crésteur a été licencié et poursuivi pour incitation à des actes violents :

    Qu’est-ce que Donald Trump et le dernier autobus ont en commun ? On l’a raté de justesse .

    Si tu ajoutes que le décès de fascistes est une chose fantastiqie, tu es cuit. On verra ce qu’en pensent les juges.

    12.7.2025 von Eva Maria Braungart - Der X-Beitrag von Sebastian Hotz im vergangenen Sommer sorgte für Furore. Nun gibt es auch rechtliche Konsequenzen.

    Der Comedian Sebastian Hotz, der in den sozialen Medien als „El Hotzo“ bekannt ist, muss sich vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin verantworten. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, ist der Grund ein Beitrag von Hotz auf der Plattform X von vergangenem Sommer, bei dem er sich über das versuchte Attentat auf Donald Trump lustig machte.

    Hotz fragte in dem Beitrag auf X, was der letzte Bus und Donald Trump gemeinsam hätten und antwortete selbst mit „leider knapp verpasst“. Außerdem schrieb er dort: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.“

    Das Amtsgericht Tiergarten hatte eine „Zulassung der Anklage zunächst aus Rechtsgründen abgelehnt“, heißt es von einer Gerichtssprecherin. Strafbares Handeln lag also aus erster Sicht des Gerichts nicht vor. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen eine sofortige Beschwerde eingelegt - und war damit erfolgreich. Hotz ist nun wegen der „Anklage wegen Belohnung und Billigung von Straftaten“ angeklagt.

    Der Beitrag auf X hatte weitreichende Folgen. Tech-Milliardär Elon Musk, dem die Plattform gehört, äußerte sich sogar. Musk schrieb (aus dem Englischen übersetzt): „Jemand, der dem führenden US-Präsidentschaftskandidaten und mir den Tod wünscht, wird von der deutschen Regierung dafür bezahlt?“ Darunter markierte er Bundeskanzler Olaf Scholz und forderte von ihm auf Deutsch eine Aufklärung des Ganzen – „Bundeskanzler, was ist das?“

    Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) beendete die Zusammenarbeit mit dem 28-jährigen Hotz. Dieser werde die Sendung „Theoretisch cool“ auf der RBB-Hörfunkwelle Fritz nicht mehr moderieren, teilte der Sender am Dienstag in Berlin mit.

    #Allemagne #humour

  • Deutschland liefert Langstreckenraketen an Ukraine – Wagenknecht : „Gefährlicher Wahnsinn“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/deutschland-liefert-langstreckenraketen-ukraine-wagenknecht-gefaehr

    ... pendant ce temps le gouvernement allemand poursuit son deuxième hobby préféré et chante à tue-tête Les russes sont les méchant, il faut les bombarder et ce faisant nous enfonce de plus en plus dans le bourbier ukrainien.

    12.7.2025 von Franz Becchi - Deutschland unterstützt die Ukraine mit Langstreckenraketen – doch Sahra Wagenknecht warnt vor einer gefährlichen Eskalation. Was bedeutet dieser Schritt für den Krieg aus Sicht der BSW-Chefin?

    Deutschland wird die Ukraine mit der Finanzierung weitreichender Raketen in hoher dreistelliger Stückzahl unterstützen, kündigte Generalmajor Christian Freunding am Freitag im ZDF heute journal an. Die militärische Lage in der Ukraine sei derzeit „sicherlich angespannt“, so Freunding.

    Der Generalmajor leitet den Sonderstab der Ukraine im Bundesverteidigungsministerium und ist für die Koordinierung der Waffenunterstützung für das Osteuropäische Land verantwortlich. Laut Freunding befinden sich die russischen Streitkräfte „seit mehreren Wochen, wenn nicht Monaten, in der Initiative“. Insbesondere in den Großstädten habe sich die Lage für die Ukraine in der Luftabwehr zuletzt verschlechtert.

    Freunding plädierte außerdem für Waffensysteme, die „weit in die Tiefe des russischen Raumes reichen und in der Lage sind, Depots, Führungseinrichtungen, Flugplätze und Flugzeuge anzugreifen“. Deutschland sei bereit, solche Waffensysteme zur Verfügung zu stellen.
    Ukraine soll Ende Juli deutsche Langstreckenraketen erhalten

    Er gab zudem bekannt, dass Ende Juli die ersten dieser weitreichenden Waffensysteme in die Ukraine geliefert werden sollen. Dabei handele es sich um ein Abkommen zwischen dem ukrainischen Verteidigungsministerium und der dortigen Industrie, das von Deutschland seit Ende Mai finanziert werde, so Freunding. Diese Entscheidung sorgt jedoch auch für Kritik.

    Sahra Wagenknecht, Parteivorsitzende des Bundes Sahra Wagenknecht (BSW), sagte gegenüber der Berliner Zeitung: „Die Ankündigungen sind hochgefährlich. Dass die Ukraine nun mit aus Deutschland finanzierten Waffen das Landesinnere Russlands angreifen kann, ist eine neue Eskalationsstufe, die uns einem heißen Krieg mit Russland noch näher bringt. Was für ein gefährlicher Wahnsinn! Der nächste Schritt Richtung großer europäischer Krieg.“

    Am Dienstag berichtete Axios, dass US-Präsident Donald Trump in Erwägung ziehe, Deutschland dazu zu bringen, ihre eigenen Patriot-Abwehrsysteme an die Ukraine weiterzugeben, anstelle der USA. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat Deutschland laut dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) bereits drei seiner zwölf Patriot-Flugabwehrsysteme an die Ukraine geliefert. Derzeit verbleiben der Bundeswehr noch neun solcher Systeme.

    Patriot-Systeme sind moderne Abwehrsysteme, die feindliche Flugkörper in einer Reichweite von bis zu 100 Kilometern und in Höhen von bis zu 30 Kilometern abfangen können. Ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung teilte der Berliner Zeitung mit, dass Bundesminister Boris Pistorius Mitte Juli für eine direkte Abstimmung mit seinem US-Kollegen Pete Hegseth nach Washington reisen werde. Deutschland scheint also weiterhin auf Waffenlieferungen setzen zu wollen.

    #Allemagne #Ukraine #guerre

  • Platzvergabe an weiterführenden Schulen : Das sind die begehrtesten Schulen Berlins
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/schulkrise-das-sind-die-begehrtesten-schulen-berlins-li.2339530

    Les écoles berlinoises les plus recherchées par les parents d’élèves - comme d’habitude les véritales lycées d’élite ne figurent pas sur la liste, à savoir Gymnasium zum grauen Kloster (protestants), Canisius Kolleg (jésuite), Lycée français (projet franco-allemand de la ville et de l’ètat français), John F. Kennedy School (USA), lycée juif, le lycèe international privé et quelques lycées privés plutôt obscures comme le lycée saouidien. Un lycée d’élite très républicain est l’internat mixte sur l’ile de Scharfenberg.

    10.7.2025 von Jannik Läkamp - Erst-, Zweit- und Drittwunsch, abenteuerlich lange Schulwege: Für viele künftige Siebtklässler birgt der Schulwechsel einige Herausforderungen.

    Zum kommenden Schuljahr erreichen in Berlin 31.000 Schüler die siebte Klasse – und wechseln auf eine staatliche weiterführende Schule. Doch in vielen Bezirken und Schulen gibt es mehr Schüler als Platz ist. Der Effekt: Nicht mal Bestnoten garantieren Schülern einen Schulplatz in ihrer Wunschschule, einigen droht künftig sogar ein bis zu einer Stunde langer Schulweg.

    Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie verkündet am Donnerstag in einer Pressemitteilung, dass „alle künftigen Siebtklässlerinnen und Siebtklässler einen Schulplatz erhalten“. Zudem haben mehr als 90 Prozent der künftigen Siebtklässlerinnen und Siebtklässler an ihrer ersten, zweiten oder dritten Wunschschule einen Platz zugeteilt bekommen. „Trotz des Defizits von rund 26.000 Schulplätzen und der weiter wachsenden Schülerzahlen“, so Dr. Torsten Kühne, Staatssekretär für Schulbau und Schuldigitalisierung. Das sei ein klares Signal für Verlässlichkeit.

    Auch in diesem Jahr war der Andrang an Bewerbungen nicht an jeder Schule gleich. In derselben Pressemitteilung veröffentlichte die Senatsverwaltung auch eine Liste der begehrtesten Schulen Berlins, aufgelistet nach Erstwünschen pro verfügbaren Plätzen.

    Diese Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen sind besonders beliebt:

    1. Heinz-Brandt-Schule (Pankow)
    2. Max-Beckmann-Schule (Reinickendorf)
    3. Martin-Buber-Oberschule (Spandau)
    4. Schule an der Dahme (Treptow-Köpenick)
    5. Ellen-Key-Schule (Friedrichshain)
    6. Friedensburg-Schule (Charlottenburg-Wilmersdorf)
    7. Carl-Zeiss-Schule (Tempelhof-Schöneberg)
    8. Clay-Schule (Neukölln)
    9. Fritz-Reuter-Schule (Lichtenberg)
    10. Gutenberg-Schule (Lichtenberg)

    Bei den Gymnasien ergibt sich folgende Nachfrage, wieder gemessen an der Zahl der Erstwünsche bezogen auf die Anzahl der verfügbaren Plätze:

    1. Hildegard-Wegscheider-Gymnasium (Grunewald) – hier wurde allerdings nur eine reguläre siebte Klasse eingerichtet
    2. Heinrich-Schliemann-Gymnasium (Prenzlauer Berg)
    3. Fichtenberg-Oberschule (Steglitz)
    4. Rosa-Luxemburg-Gymnasium (Pankow)
    5. Heinz-Berggruen-Gymnasium (Charlottenburg-Wilmersdorf)
    6. Hermann-Hesse-Gymnasium (Kreuzberg)
    7. Dathe-Gymnasium (Friedrichshain)
    8. Käthe-Kollwitz-Gymnasium (Prenzlauer Berg)
    9. Otto-Nagel-Gymnasium (Marzahn-Hellersdorf)
    10. Primo-Levi-Gymnasium (Pankow)

    Für alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler haben die bezirklichen Schulämter die Bescheide am 26. Juni verschickt.

    #Berlin #école #éducation

  • Nazi-Vergleich durch Flagge : Deutsche Botschaft löst Empörung in Moskau aus
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/skandal-in-der-deutschen-botschaft-in-moskau-nazi-flagge-sorgt-fuer


    Cette histoire de cartographie rappelle les vols d’avions militaires qui testent les systèmes de défense d’un pays adversaire potentiel. En tous les cas on y apprend quelque chose sur l’état mental de diplomates allemands.

    9.7.2025 von Nicolas Butylin - Die deutsche Botschaft in Russland zeigt eine historische Karte mit der Sowjet-Flagge im NS-Stil. Russische Medien reagieren empört. Eine Panne mit politischer Sprengkraft?

    Ein peinlicher Fehler in den sozialen Medien der deutschen Botschaft in Moskau hat für politischen Wirbel gesorgt. Wie russische Medien berichten, postete das Botschaftsteam am Dienstag eine historische Karte der Nachkriegsordnung in Deutschland – mit einem folgenschweren Detail: Die Flagge der Sowjetunion war so gestaltet, dass sie frappierend an das Hakenkreuz-Emblem des NS-Regimes erinnerte. Der Post wurde nach heftigen Reaktionen im russischen Netz binnen weniger Stunden gelöscht.

    Die Karte, ursprünglich im Telegram-Kanal der Botschaft veröffentlicht, zeigte die Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland. Während die Flaggen der USA, Großbritanniens und Frankreichs korrekt dargestellt waren, wich jedoch die sowjetische Flagge stark vom Original ab: Statt des Hammer-und-Sichel-Symbols auf rotem Hintergrund zeigte die Karte eine Fahne mit demselben Symbol – bloß in einem weißen Kreis.

    Russen reagieren empört – Botschaft entschuldigt sich

    Die Botschaft löschte den Post nach drei Stunden und ersetzte ihn durch eine neutrale Museumsaufnahme des Kapitulationsorts in Berlin-Karlshorst. In einer Stellungnahme entschuldigte man sich für den „unbeabsichtigten Fehler“ und betonte, es habe keine „verletzende Absicht“ bestanden. „Wir wollten auf keinen Fall die Gefühle unserer Follower verletzen und haben daher das Bild ersetzt, nachdem wir von dem Fehler erfahren haben“, wurde auf Telegram mitgeteilt. „Wir entschuldigen uns dafür.“ Für viele User in russischen sozialen Medien war da das Kind jedoch schon in den Brunnen gefallen.

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    Die inzwischen gelöschte Karte auf dem Telegram-Kanal der deutschen Botschaft in Moskau zeigt eine falsche Sowjet-Flagge.Deutsche Botschaft in Moskau/Telegram

    Russische Medien wie RBK und Kommersant griffen den Vorfall umgehend auf. Kreml-nahe Kommentatoren deuteten ihn als bewusste Provokation: „Das ist kein Zufall, sondern Teil einer gezielten Geschichtsfälschung“, wurde ein Duma-Abgeordneter zitiert. Auch russische Telegram-Kanäle schlachteten die Panne aus und warfen Deutschland vor, die Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg zu verunglimpfen.

    Auf höchster diplomatischer Ebene blieb es zwar bisher ruhig, doch es wird vermutet, dass der Vorfall die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Berlin und Moskau weiter belasten könnte. Die Karte war anlässlich des 80. Jahrestags der Potsdamer Konferenz gepostet worden, die 1945 die Besatzungszonen festlegte. In Russland wird der Sieg über Nazi-Deutschland als zentraler nationaler Mythos gepflegt; jede vermeintliche Relativierung löst dort scharfe Reaktionen aus. Dass ausgerechnet die deutsche Botschaft hier einen Fauxpas beging, passt in Anbetracht der aktuell schlechten deutsch-russischen Beziehungen zusätzlich ins Bild.

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    #Allemagne #Russie #diplomatie #histoire #nazis #cartographie

  • Wütende Radfahrer, Polygamie und das dauerhafte Gefühl, unsichtbar zu sein: Mein erstes halbes Jahr Berlin
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wuetende-radfahrer-polygamie-und-das-dauerhafte-gefuehl-unsichtbar-

    Willkommen im Biotop.

    8.7.2025 von Ronja Ackermann - Unsere Autorin wollte nie nach Berlin ziehen. Doch dann ist da plötzlich dieser Umzug, dazu diese nackte Frau auf dem Balkon gegenüber – und ein neuer Alltag, der sie irritiert.

    Die Frau auf dem Balkon gegenüber ist tatsächlich nackt. Es ist Februar, höchstens drei Grad. Ich stehe am Fenster und rauche, halte meine Kaffeetasse in der Hand, starre rüber und frage mich, ob ich gerade einer Performance beiwohne. Die nackte Frau steht da, trägt ein Handtuch auf dem Kopf, raucht ebenfalls und schaut in den Himmel. Typisch Berlin, denke ich: Alle machen, was sie wollen.

    Ich bin erst seit einem Monat in der Stadt. Die Koffer stehen halb ausgepackt im Flur. Mein Freund ist längst bei der Arbeit. Ich beobachte diese bizarre Szene und weiß nicht, was mich mehr irritiert: Die offensichtliche Kälte-Resistenz der Frau oder die Tatsache, dass ich mich langsam daran gewöhnen muss, dass man sich in dieser Stadt ständig wundert.

    Ich wollte nie in Berlin leben. Ich fand die Stadt zu anstrengend, zu kühl, zu groß. Aber meinem Freund ging es anders, er war schon vor mir hier, und deshalb sitze ich nun mit meinem Zeug irgendwo zwischen Samariterstraße und Frankfurter Allee. U-Bahn-Gedröhne, Altbauklang, Sirenen. Mein Berlin beginnt mit zu dünnen Fenstern und dem ständigen Gefühl, nicht zu wissen, wo ich genau bin.

    Beobachten statt dazugehören

    Diese Stadt zwingt mich von Anfang an dazu, mich zu fragen, wer ich war und wer ich nun werde. In den ersten Wochen fühle ich mich unsichtbar. Ich werde angerempelt, überholt, von wütenden Fahrradfahrern angeschrien, weil ich hin und wieder vergesse, dass ich den Radweg frei halten muss. Alles hier ist mir zu schnell.

    Mein Freund hat seinen Alltag, seine Arbeit, seine Leute. Ich habe eine nie endende Google-Maps-Schleife und zu viel Zeit. Ich verbringe die Vormittage damit, mich zu orientieren – und die Nachmittage damit, erschöpft auf dem Sofa zu liegen, weil ich ständig überlege, wo ich bin. Bin ich hier richtig? Will ich hier bleiben?

    Ich gehe viel spazieren. Immer dieselben Routen, immer dieselben Versuche, Straßennamen zu lernen, ohne nachzuschauen. Rigaer, Pettenkofer, Voigtstraße. Ich taste mich durch den Kiez, laufe über den Boxhagener Platz, beobachte Leute beim Reden, beim Schweigen, beim In-der-Sonne-sitzen-mit-geschlossenen-Augen.

    Manchmal gehe ich in Cafés, trinke Cappuccino und tue so, als würde ich schreiben. In Wirklichkeit höre ich den Gesprächen zu: über queere Filmfestivals, gescheiterte Start-ups oder ob man mit zwei Partnern gleichzeitig in den Urlaub fliegen kann. Polygamie ist in Berlin einfach Zeitgeist. Niemand nimmt mich wahr und zum ersten Mal finde ich das gar nicht schlimm.

    Ich verbringe viel Zeit mit mir selbst – und wenn ich keine Lust mehr darauf habe, allein zu sein, spreche ich die Menschen um mich herum einfach an: im Café, im Park, in der Bar. Und jedes Mal fällt es mir leichter, denn Berlin ist gar nicht so anonym.

    Berlin und das ewige Thema Miete

    Und egal, worüber wir reden, eine Frage kommt früher oder später immer: „Wo wohnst du – und was zahlst du?“ Diese Frage hat etwas Forschendes und etwas Unausgesprochenes schwingt mit. In meiner Heimat – einer Kleinstadt in Niedersachsen – redet niemand über die Miete. Da wird der Hof geerbt oder eine Straße weiter ein Einfamilienhaus gekauft. Da gibt es so viel Platz, dass Lieselotte und Hans zu zweit ein Haus bewohnen und die ausgebaute Dachgeschosswohnung als Fitnessraum nutzen. Was für ein Privileg, denke ich nun oft bei Besuchen.

    In meiner Heimat ist Miete kein Thema, in Berlin ist sie inzwischen der Maßstab überhaupt. Für Glück. Für Status. Für das, was man „noch abbekommen hat“. Ich antworte immer etwas zögerlich. Weil ich nicht weiß, was die Antwort auslöst. Neid? Mitleid? Solidarität?

    Alle um mich herum scheinen zu wissen, wie Berlin funktioniert. Sie laufen schnell, hören Podcasts mit riesigen Kopfhörern, haben immer ein Ziel. Ich dagegen bleibe stehen, um in Fenster zu starren, in Innenhöfe und Gesichter. Ich suche nach Halt, finde aber meist nur: Dreck, Verkehrslärm, Baustellen und Ampeln, die nie grün werden.

    Was suche ich hier?

    Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich allein über die Karl-Marx-Allee laufe. Es ist April, die Sirenen der Krankenwagen übertönen die Stimmen der Jugendlichen auf den Bänken. Einer von ihnen ruft mir hinterher: „Hey, was suchst du hier?“ Ich antworte nicht. Ich weiß es ja selbst nicht genau. Ich habe mich im vergangenen halben Jahr oft gefragt, ob ich jemals in diese Stadt reinpasse. Vielleicht. Irgendwann.

    Mein Freund arbeitet sehr viel, ich jobbe in der Gastro, und einsame Nachmittage verbringe ich in der Markthalle Neun, wo alles viel zu teuer ist, wo es aber einfach so schön ist, hindurch zu schlendern. Oder in einem libanesischen Restaurant in der Wrangelstraße, wo ich jedes Mal dasselbe bestelle – Schawarma-Teller für acht und nicht für zehn Euro – bis der Mann hinter dem Tresen anfängt, mit mir nach dem Essen eine Zigarette zu rauchen.

    Langsam formt sich der Alltag. Ich gehe meistens zum gleichen Späti, weil der Typ hinter der Theke gelächelt hat, als ich mich beim Bezahlen verheddert habe. Das reicht, ich brauche solche Ankerpunkte. Ich schließe Freundschaften. Ich sitze nicht mehr allein in Cafés, Parks und Bars. Ich werde gesehen. Es sind diese Momente, in denen Berlin für mich einen kurzen Augenblick weich wird. Nicht gleich freundlich, aber durchlässig.

    Ich kaufe mir richtig große Kopfhörer, nicht, weil ich Musik hören will, sondern weil ich dazugehören will. Mein heimlicher Moment der Integration. Natürlich höre ich dann auch Musik – und beginne sogar, im Takt zu laufen.
    Nicht Berlinerin, nicht Besucherin

    Ich laufe schneller. Ich nehme die neuen Kopfhörer auch nicht ab, wenn ich im Laden bin. Ich ignoriere rote Ampeln. Ich werde unhöflicher, effizienter, berlinischer. Und ich will nicht mehr alles verstehen. Ich wunder mich nicht mehr, wenn jemand barfuß über den Gehweg läuft. Ich akzeptiere, dass ich nicht weiß, warum die Barista im Café Englisch mit mir spricht und sich dann zu ihrer Kollegin wendet und auf Deutsch redet.

    Ich beginne, bestimmte Geräusche zu unterscheiden: die klappernde Mülltonne morgens um sechs, das Klacken der Eingangstür im Haus. Ich erkenne Gesichter wieder. Ich weiß, an welcher Stelle am Bahnsteig ich am besten einsteigen kann und wo ich ein günstiges und gutes Mittagessen bekomme. Ich bin keine Besucherin mehr, aber auch noch keine Berlinerin. Irgendwas dazwischen. Und das reicht erst mal.

    Es verändert sich leise. Da ist nicht dieser eine Moment, an dem alles klickt. Es ist keine große Erzählung, sondern viele kleine: Wie ich nachts auf dem Heimweg ein Gespräch aufschnappe über ein Theaterstück, das ich nicht kenne. Wie ich mich plötzlich anlehne, an eine Hauswand, als hätte ich das immer schon so gemacht. Wie ich nicht mehr überrascht bin, wenn mich jemand anrempelt.

    Ein halbes Jahr reicht manchmal

    Und dann dieser Moment im Juli. Ich wache auf, weil draußen jemand laut telefoniert. Ich sehe aus dem Fenster – und da ist wieder diese Frau gegenüber auf dem Balkon, dieses Mal im Bademantel. Sie raucht wieder, Handtuch auf dem Kopf, Blick ins Leere. Ich habe sie vermisst. Nicht sie als Person, sondern diese Szene, dieses Symbol der Vertrautheit.

    Berlin hat mich nicht radikal verändert. Es hat mich auch nicht cooler gemacht, politischer oder kreativer. Es hat mich gelehrt, nichts zurückzuverlangen von einer Stadt, die keine Rücksicht nimmt. Nun weiß ich: Manchmal reicht es, einfach nur das erste halbe Jahr durchzuhalten.

    Am Abend gehe ich die Gürtelstraße entlang. Meine riesigen Kopfhörer auf den Ohren. Ich habe keinen Plan. Aber ich weiß längst, wie ich nach Hause komme, ich weiß, wann die Ampeln umspringen, und ich weiß: Niemand nimmt mich wahr – und zum ersten Mal freue ich mich darüber.

  • Sabine Bode : „Meine Mutter war eine Massenmörderin und mein Vater ein Verbrecher“
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/sabine-bode-meine-mutter-war-eine-massenmoerderin-und-mein-vater-ei

    La journaliste Sabine Bode a passé la plus grande partie de sa vie á décortiquer les traumatismes des familles nazies. A 78 ans elle arrête ce travail.

    6.7.2025 von Anja Reich - Die Bestsellerautorin sagt im Interview, warum sie nicht länger zu Kriegskindern und Kriegsangst forschen will. Und warum ihre Eltern ihr einen Namen mit den Initialen SS gaben.

    Sabine Bode ist Bestsellerautorin, Journalistin, Tabu-Brecherin. Eine Frau, die mit ihrer Neugier und Unerschrockenheit erst die Geschichte ihrer eigenen Familie ausgrub und dann andere dazu brachte, sich den Folgen von Krieg, Nationalsozialismus oder Vertreibung zu stellen.

    Ihre Bücher über Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel haben das Leben vieler Menschen verändert. Auf Lesungen oder in Mails erzählen ihr Unbekannte ihre Familiengeschichten und wie sie unter dem Schweigen ihrer Eltern gelitten hätten. Dennoch mache sie jetzt Schluss, sagt Sabine Bode im Interview im Berliner Verlag, Schluss mit den Veranstaltungen, Schluss mit den Büchern. Das hat mit ihrem Alter zu tun, sie ist 78, aber paradoxerweise auch mit der Zeit, in der die Angst vor Krieg wieder allgegenwärtig ist.
    Sabine Bode: „Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen“

    Frau Bode, Sie haben mit Ihren Büchern das Schweigen von Menschen gebrochen, die in ihrer Kindheit Krieg, Flucht oder Vertreibung erlebt haben. Wie kamen Sie dazu?

    Meine Eltern betraf dieses Schicksal nicht. Sie waren Nazis. Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen, was mich unglaublich inspiriert hat, Fragen zu stellen, Journalistin zu werden. Bis heute finde ich Geheimnisse enorm anziehend.

    Sie wollen immer rauskriegen, was verschwiegen wird?

    Ja, und als der Bosnienkrieg war, habe ich mich gefragt: Wie geht es eigentlich den deutschen Kriegskindern heute? Wie wirken sich die frühen Katastrophen im späteren Erwachsenenleben aus? Warum weiß ich darüber nichts? Warum finde ich nichts im riesigen WDR-Archiv? Darüber sprach ich mit einem Redakteur, und zu meiner eigenen Überraschung gab er mir den Auftrag für ein einstündiges Hörfunk-Feature.

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    Sabine Bode: Die Kriegskinder konnten durch unermüdliches Arbeiten ihre schlimmsten Erinnerungen auf Abstand halten.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

    Und dann?

    Habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, Menschen in der Altersgruppe der Kriegskinder anzusprechen und zu fragen, auf Zugfahrten zum Beispiel. Das waren ja noch Zeiten ohne Handy. Viele freuten sich, wenn sie nett angesprochen wurden, aber von hundert konnten nur drei meine Fragen beantworten. Nach einem Jahr gab ich den Auftrag zurück. Der Redakteur überredete mich weiterzumachen. Mit dem Ergebnis, dass von 300 Kriegskindern neun bereit waren, für die Radiosendung das Schweigen zu brechen. Als ich drei Wochen nach der Ausstrahlung wieder in die Redaktion kam, stand dort eine Plastikwanne mit 600 Zuschriften.

    Was waren so die typischen Reaktionen der Leute aus dem Zug?

    Sie haben gesagt: „Unsere Eltern, ja, die haben Schreckliches erlebt, aber wir doch nicht. Wir waren Kinder im Krieg. Das war für uns normal.“ Sie konnten das Leid nicht empfinden, das sie geprägt hatte. Sie nannten sich nicht Kriegskinder, sondern Nachkriegskinder. Jetzt sterben mit ihnen die letzten Zeitzeugen. Doch nicht sie alle sind von den Spätfolgen des Krieges belastet, sondern ein Drittel dieser Generation. Fünf Millionen Menschen, die nicht wussten, dass sie traumatisiert waren. Was sich darin gezeigt hat, dass sie von den grausamsten Erlebnissen völlig gefühlsfrei berichten konnten. Psychiater haben mir erklärt, dass dies eine Art von Betäubung war, eine Strategie des seelischen Überlebens. Wenn Kinder etwas erleben, das eigentlich einen Herzstillstand herbeiführen könnte, dann betäuben sie sich, und diese Art von Betäubung kann ein Leben lang anhalten.

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    Kinder in Trümmern, ca. 1945Image Broker/imago

    Wie äußert sich das?

    Statt sich zu freuen, lächeln sie schüchtern, sie hören nicht richtig zu, interessieren sich für nichts Neues. Weihnachten gibt es das immer gleiche Ritual, ihre Liebe drücken sie mit gutem Essen und Geschenken aus, leider oft den falschen, denn sie kennen ihre Kinder nicht, weil sie sich nicht für deren Welt interessieren.

    Die Kriegskinder – das ist die Generation, für die es nach dem Krieg bergauf ging, das Leben immer besser wurde. Im Osten wie im Westen. War dieses neue, bessere Leben auch eine Art von Betäubung?

    Ja, sicher. Die Kriegskinder konnten durch unermüdliches Arbeiten ihre schlimmsten Erinnerungen auf Abstand halten. Ich habe mich vor allem mit dem Westen beschäftigt, und da lernte man: Die Demokratie lohnt sich. Deshalb kann man auch nicht so genau sagen, ob alle aus Überzeugung gute Demokraten geworden sind oder weil das Leben ihnen so viel Gutes bescherte.
    Sabine Bode: „Über Ostdeutsche schreibe ich nicht“

    Warum haben Sie sich nicht auch mit dem Osten beschäftigt? Sind die Traumata aus dem Krieg nicht die gleichen?

    Für die Aufarbeitung einer tabuisierten Kindheit im Krieg braucht man einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit. Im Westen waren das die Merkel-Jahre, es war friedlich und ein bisschen langweilig, es bewegte sich nicht viel. Ich habe bei meinen Recherchen zu dem Thema immer wieder versucht, mit Ostdeutschen in Kontakt zu treten. Aber die waren oft noch mit der Bewältigung des neuen Alltags im neuen Deutschland beschäftigt und konnten sich nicht auch noch mit den Traumata des Krieges befassen. Gelegentlich werde ich in E-Mails aufgefordert: Schreiben Sie auch über uns, über die ostdeutschen Kinder von Kriegskindern. Aber das mache ich nicht, das müsste jemand mit mehr Abstand tun, vielleicht aus Frankreich oder England.

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    Sabine Bode: Ich bin in einem Haus voller Geheimnisse aufgewachsen.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

    Oder aus dem Osten.

    Ja, oder aus dem Osten. In den letzten Jahren kommen interessante Bücher zur DDR und zur Wendezeit auf den Markt, in denen es auch um diese Generation der Kriegskinder geht. Christoph Heins „Das Narrenschiff“ zum Beispiel. Ich lese alles, was ich bekommen kann. Von meinen etwa 400 Lesungen in 20 Jahren fanden keine zehn Prozent im Osten statt, und es waren eher die Kriegsenkel, also die Kinder der Kriegskinder, die sich für das Thema interessiert und plötzlich verstanden haben, warum ihre Eltern sonderbar ticken. Da hieß es: Worüber die Eltern sich alles aufregen, und gegen alles sind sie versichert, und extrem misstrauisch sind sie. In meinen Lesungen vor Kriegskindern ging beim Stichwort „Rente“ eine Erschütterung durch den Saal, das können Sie sich nicht vorstellen.

    Weil die Menschen Verarmungsängste haben?

    Ja, das ist ein Thema, das zu wenig beleuchtet wird. Sie fühlen sich zu kurz gekommen. Und immer sind die anderen schuld. Das sind so typische Ängste von Kriegskindern, die ihre Traumata nicht verarbeiten konnten. Im Osten wie im Westen.

    Als Sie Ihr Buch „Die vergessene Generation“ schrieben, waren Sie selbst in Ihren Fünfzigern. Wie weit waren Sie damals mit der Aufarbeitung Ihrer eigenen Familiengeschichte?

    Dass meine Eltern Nazis waren, fast bis zu ihrem Lebensende, wusste ich schon lange. Die haben das ja nicht verschwiegen, fanden nur alle anderen feige, die nicht dazu gestanden haben. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater sagte, er habe einen Zug gesehen, wo Leute zusammengepfercht standen, und die hätten gerufen: Die bringen uns nach Theresienstadt. Ich hab ihn gefragt: Und du hast trotzdem weiter mit den Nazis paktiert? Er hat gesagt, was hätte ich denn machen sollen und sich dabei theatralisch ans Herz gefasst. Das Schlimmste aber war, dass ich, das jüngste Kind, absichtlich einen Namen mit einem S als Anfangsbuchstaben bekommen habe. Mein Nachname fing auch mit S an. SS waren meine Initialen.

    Um Himmels Willen!

    Meine Mutter hat das locker als unterhaltsame Familiengeschichte erzählt, als neue Nachbarn uns eingeladen hatten. Danach ging das in der Kleinstadt rum. Ich war das SS-Kind und musste die Schule wechseln, denn die war ein Gymnasium mit überwiegend Verfolgten des NS-Regimes im Lehrerkollegium. Mein Vater hat immerhin an seinem Lebensende benannt, was die Nazis verbrochen haben. Solche Gedanken konnte er meistens betäuben. Er war Alkoholiker, was sein Leben verkürzte. Während seiner letzten Monate aber äußerte er frei heraus, dass er kein guter Mensch gewesen sei.

    Wie hat er das gesagt?

    In einem Halbsatz: „Wenn mich jetzt der Teufel holt …“ Kurz vor seinem Tod sind wir zusammen spazieren gegangen, und er sagte völlig unvermittelt: „Das Schlimmste, was man sich an Grausamkeiten vorstellen kann, die Menschen anderen Menschen antun, das existiert in der Realität“. Und er fügte mit lauterer Stimme hinzu: „Und noch darüber hinaus!“ Er hat von Auschwitz gesprochen, das weiß ich heute.
    Sabine Bode: „Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitet“

    Was haben Ihre Eltern in der NS-Zeit gemacht?

    Sie sind als junge Menschen der Karriere wegen in das überfallene Polen gegangen. Mein Vater war in Oberschlesien in der Leitung eines Rüstungsbetriebs, wo auch KZ-Häftlinge eingesetzt wurden. Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitet. Die Nazis haben in Polen die Behinderten umgebracht und aus den Heimen deutsche Lazarette gemacht.

    Wurden sie nach dem Krieg vor Gericht gestellt?

    Nein. Wer am Euthanasie-Programm beteiligt war, wurde äußerst selten bestraft, und wenn, dann waren es Ärzte, keine NS-Schwestern. Als ich und mein Bruder einmal schwer erkrankten, versuchte meine Mutter zu verhindern, dass wir überleben. Sie meinte, wir sollten nicht länger von Ärzten gequält werden, da wir ja sowieso sterben würden. Wir sollten den Gnadentod erhalten, wie es die Nazis ausdrückten. Und jedes Mal, wenn am Weihnachtsbaum die Lichter brannten, sagte meine Mutter zu mir den Halbsatz: „Weihnachten 1947, als du sterben wolltest …“

    Auch mit diesen Nazi-Geheimnissen und deren Folgen haben Sie sich in Ihren Büchern beschäftigt.

    Ja, in vielen Familien wird bis heute geschwiegen, da haben Nachkommen der zweiten und dritten Generation psychische Probleme und wissen nicht warum. Die Mutter einer Freundin wollte verhindern, dass herauskommt, dass der Vater ihres Mannes an den Sittengesetzen beteiligt war. Ein amerikanischer Wissenschaftler hatte das ausgegraben. Die drei Kinder hatten sich darüber zerstritten. Die alte, schwer kranke Mutter konnte jahrelang nicht sterben, weil sie Angst hatte, dass nach ihrem Tod die Familie zerbricht. Doch der Bruch zwischen den Geschwistern war längst geschehen.

    Sind Ihre Eltern gestorben, bevor Sie Ihre Bücher geschrieben haben?

    Mein Vater ja, in den Siebzigern. Als ich das zweite schrieb, ist meine Mutter gestorben.

    Sie haben Ihre Bücher nicht mehr gelesen?

    Nein, haben sie nicht.

    Konnten Sie auch deswegen diese Bücher überhaupt schreiben?

    Damit hat das nichts zu tun. Die Bücher hätte ich auf jeden Fall geschrieben. Auf Menschen, die dem Kind einen Namen mit den Initialen SS geben, braucht man keine Rücksicht zu nehmen. Mich hat meine eigene Familienforschung befreit. Den letzten Mosaikstein habe ich in einem Archiv gefunden, als ich 60 war. Es ging um meinen Großvater und meinen Vater. Der SA –Mann und der SS-Mann verstanden sich auf Anhieb gut. Mein Großvater besaß in einem kleinen Ort eine Ölmühle. In der Nachkriegszeit, als die Menschen hungerten, war er da der König. Mein Vater und mein Großvater haben riesige Summen damit verdient, das ÖL in Eisenbahnwaggons in den Westen zu schmuggeln.

    Wo war dieser Ort?

    In der Magdeburger Börde, da bin ich auch geboren. Aber was auch in den Akten stand, war, dass mein Großvater eine angeheiratete Familienangehörige an die Gestapo verraten hat. Es war seine jüdische Schwägerin, die er abgrundtief hasste. Sie wurde in Auschwitz umgebracht. Bei diesem Verrat hatte mein Vater kräftig mitgeholfen.

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    Sabine Bode: Meine Mutter hat im Euthanasieprogramm gearbeitetPaulus Ponizak/Berliner Zeitung

    Gibt es noch Verwandte der Frau, die verraten wurde?

    Ja, eine Tochter lebt noch. Ich habe ihr sofort die Unterlagen geschickt, obwohl ich sie gar nicht kannte. Sie wusste davon nichts.

    Wie hat sie reagiert?

    Sie hat mir erzählt, dass ihr Vater nie über die Mutter gesprochen hat. Dass sie selber drei Jahre alt war, als sie starb. Aber es gebe, sagte die Tochter, den großen Trost einer Erinnerung, wie sie im Arm ihrer Mutter lag und sich geborgen fühlte. Sie war mir dankbar, wir haben ein sehr herzliches Verhältnis. Kurz vor Weihnachten wird sie einen runden Geburtstag feiern. Ich werde hinfahren.

    Gehen Sie zu Ihren Eltern ans Grab?

    Nein. Das Grab vom Vater existiert auch nicht mehr. Mit ihm bin ich im Reinen. Ihn kann ich lieben. Er war ein Verbrecher, aber immerhin hat er sich am Lebensende mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und war alles andere als stolz auf seine Nazivergangenheit.

    Und Ihre Mutter, hat sie jemals Ihre Taten bereut?

    Meine Mutter war eine Massenmörderin, und sie hat nicht bereut. Wenn wir in einem Restaurant waren, und da saß ein behindertes Kind, was ein bisschen lauter war, machte sie so eine Miene und sagte: „Sowas ist doch heute nicht mehr nötig.“ In meiner Generation sind wir mit der Angst aufgewachsen: Hoffentlich ist der Vater kein Massenmörder gewesen. Und dann stellt sich heraus, dass es die Mutter war.
    KZ-Gedenkstätten-Besuche als Pflicht: „Davon halte ich nichts“

    Gerade gibt es in den Medien und im Buchhandel eine neue Welle von NS-Familiengeschichten. Enkel finden heraus, dass der Opa ein hochrangiger Nazi und an schlimmsten Verbrechen beteiligt war. Jetzt, mehr als 80 Jahre später! Wie erklären Sie sich das?

    Das ist die dritte Welle. Die erste kam mit der Ausstrahlung der Holocaust-Serie Ende der 70er-Jahre. Die zweite mit den Büchern um die Jahrtausendwende. Ich bin ja nicht die Einzige, die über Kriegskinder- und -enkel geschrieben hat.

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    Eine Parade des Wehrmachtsverbandes im Jahr 1936teutopress/imago

    Was halten Sie von dem Vorschlag der neuen Bildungsministerin Karin Prien, KZ-Gedenkstättenbesuche in Schulen als Pflicht einzuführen?

    Nichts. Man kann Lehrer nicht dazu zwingen. Und wenn man es tut, besteht die Gefahr, dass sie zu angespannt sind. Man kann so etwas nur machen, wenn man selbst das eigene Kinderzimmer mit all seinen Traumata aufgearbeitet hat. Ich hätte kein Problem, mit einer Schülergruppe nach Auschwitz zu fahren, ich würde sie auch ausbremsen können, wenn sie „Ausländer raus“ singen. Aber das kann man von Lehrern nicht verlangen.

    „Das Kinderzimmer aufarbeiten“, wie kann man damit anfangen, wenn man es nicht schon getan hat?

    Der erste Schritt ist, an Archive zu schreiben und parallel dazu historisches Wissen erwerben. Cicero hat vor 2000 Jahren geschrieben: „Nicht zu wissen, was vor der eigenen Geburt geschehen ist, heißt, immer ein Kind zu bleiben.“ Es gibt diese Abwehr, die sich als Naivität äußert: Wird schon alles nicht schlimm so gewesen sein. Ist ja schon so lange her. Anderes ist wichtiger.

    Ist diese Abwehr, dieses Schweigen in den Familien, eigentlich etwas typisch Deutsches oder gibt es das auch in anderen Regionen der Welt, wo Kriege oder Massaker stattgefunden haben?

    Natürlich gibt es das auch woanders. Wenn eine Katastrophenzeit zu Ende geht und eine neue Zeit beginnt, boomen die Familiengeheimnisse. Der spanische Bürgerkrieg ist quer durch die Familien gegangen und wir wissen wenig drüber. In den USA entwickeln sich zur Zeit Familien-Tabus. Gemeinsame Mahlzeiten gelingen nur noch, wenn darüber geschwiegen wird, wer pro und wer gegen Trump ist. Das ist etwas ganz Normales. Man schämt sich auch und erzählt es nicht weiter.

    Ist die Angst vor einem neuen Krieg in Deutschland größer als in anderen Ländern?

    Ja. Schon in den 80ern, als der Golfkrieg begann, wurde in Köln der Rosenmontagszug abgesagt, aus Angst, der Krieg könnte zu uns kommen. Das muss man sich mal vorstellen. Und aus den Fenstern wehten weiße Bettlaken, die mit der Zeit immer grauer wurden. So verstört waren die Leute.

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    Sabine Bode: 20 Jahre bin ich mit den Kriegskindern und -enkeln durchs Land getourt. Das reicht.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

    Sabine Bode: „Gewalt durch Gegengewalt in Schach halten“

    Und heute, da wieder überall von einem neuen Krieg in Europa und Aufrüstung geredet wird?

    Viele haben Angst vor Aufrüstung, statt erleichtert zu sein, dass wir nicht ausgeliefert sind für den Fall, dass Russland mit einem Angriff auf ein Nato-Land einen großen Krieg anzettelt. Offenbar ist durch 80 Jahre Frieden – für die ich unglaublich dankbar bin – bei vielen das Wissen abhanden gekommen, dass Gewalt nur durch Gegengewalt in Schach zu halten ist. Ich habe 2006 ein Buch über die deutsche Angst als nationale Gefühlslage und über Verdrängung geschrieben und wollte eigentlich noch eins schreiben: Deutsche Angst 2.

    Was ist daraus geworden?

    Nicht mehr als ein Arbeitstitel und sehr viel Unausgegorenes. Das ist vorbei. Ich denke, das sind jetzt auch die letzten Veranstaltungen, die ich zu meinen Themen mache. Dann ist Schluss.

    Dann ist Schluss?

    Ja. Man braucht für diese Art von Aufarbeitung eine Zeit, die friedlich ist, in der nicht so viel Vertrautes aus den Fugen gerät. Eine Zeit, in der nicht jeden Abend die Fernsehnachrichten den Blutdruck in die Höhe jagen. Ich gehe davon aus, dass die Menschen nicht mehr die Kraft haben, sich am Feierabend mit einem weiteren schweren Thema zu befassen. 20 Jahre bin ich mit den Kriegskindern und -enkeln durchs Land getourt. Das reicht. In zwei Jahren bin ich 80 Jahre alt. Wenn ich mich zurückziehe, kommen vielleicht andere, die diese Themen aufgreifen.

    Sabine Bode

    wurde 1947 in Eilsleben in der Nähe von Magdeburg geboren. 1948 zogen ihre Eltern mit ihr ins Rheinland. Als Journalistin arbeitete sie beim Kölner Stadtanzeiger und beim WDR und NDR. In ihren Büchern über Kriegskinder und Kriegsenkel deckte sie auf, dass kindliche Kriegstraumata oft jahrzehntelang unentdeckt bleiben, sich erst im höheren Lebensalter zeigen und sich auf spätere Generationen übertragen können. Sabine Bode lebt in Köln.

    #Allemagne #nazis #euthanasie #psychologie

  • Allerletztes Pankow-Konzert: „Wie wäre es, wenn die Stones uns mal covern würden?“
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/allerletztes-pankow-konzert-wie-waere-es-wenn-die-stones-uns-mal-co
    https://www.youtube.com/watch?v=4Uly7baW_qs

    5.7.2025 von Jens Blankennagel - Die Abschiedstour der legendären Berliner Band steht vor dem Höhepunkt: dem Open Air in Weißensee. Sänger André Herzberg spricht über die Tour – und es gibt Freikarten.

    Mit dem Handy lassen sich Gespräche ganz wunderbar aufnehmen. Automatisch gibt das Handy der Datei einen Namen und nimmt dafür die Adresse, an der das Gespräch stattfindet, also Straße und Hausnummer. Nicht so beim Interview mit André Herzberg, dem Sänger der Berliner Band Pankow, die 1981 gegründet wurde, oft als „Stones des Ostens“ bezeichnet wurde und derzeit auf großer Abschiedstour ist. Zum Finale der Tour stehen nun noch drei Sommer-Open-Airs an, unter anderem am 12. Juli auf der Freilichtbühne Weißensee.

    Vor diesen letzten Konzerten treffen wir André Herzberg zu einem allerletzten Interview in einem hübschen Café gleich am Bahnhof Pankow – und was wählt das Handy als Namen für die Sprachdatei? Pankow. Wie passend. Herzberg erzählt, wie er den Schimpfbegriff Ostrock findet, ob ein Sänger es heimlich hasst, immer die ewiggleichen Hits singen zu müssen und ob es Parallelen zwischen der Spätphase der DDR und dem aktuellen Zustand der Bundesrepublik gibt.

    Herr Herzberg, ärgert es Sie, wenn Pankow heute immer noch als DDR-Rockband oder als Ostrockband bezeichnet wird?

    Das hat mich mal geärgert, aber lange her. Später kam bei mir so etwas wie Stolz auf. Nee, Stolz war es nicht, das war eher Trotz.

    Die Berliner Rockband Pankow und die Geschichte der wahren Mauerfall-Hymne

    Die Toten Hosen werden nicht als Westrockband tituliert und Tocotronic nicht als Nordrock. Ist es da nicht eigentümlich, dass der Begriff Ostrock gern mit diesem abwertenden Unterton benutzt wird?

    Ja, das stimmt. Aber ick glaube, die DDR war eben auch eigentümlich: ein relativ kleines Land, 17 Millionen mit einer Mauer drumrum. Die Mehrheit der Deutschen hat so eben nicht gelebt und sich dafür auch nicht interessiert. Deshalb muss man mit der Mehrheit nachsichtig sein und ihr geduldig erklären, wie die Menschlein hinter der Mauer gelebt haben.

    Gitarre und Piano wurden auch schon vor der DDR gespielt, aber es wurde so getan, als würde eine Band wie Pankow ihre E-Gitarre nicht richtig halten können.Genauso haben wir uns oft gefühlt, wenn wir zu Mauerzeiten im Westen gespielt haben. Dieser zweifelnde Blick. Und dann waren sie überrascht, was da so bei uns abgeht. Jedenfalls wurden wir immer wieder angefragt, ob wir dort spielen.

    Vor dem Finale der Abschiedstour

    Die Hallentour von Pankow namens „Bis zuletzt“ ist vorbei. Nun kommt das Finale der Abschiedstour mit drei Open-Air-Auftritten: Am 12. Juli spielt die Band ihr allerletztes Konzert in Berlin auf der Freilichtbühne Weißensee.
    Das Management vergibt fünfmal zwei Freikarten und ein Treffen mit der Band nach dem Konzert für die besten Fangeschichten. Schreiben Sie Ihre Geschichte über eine Begegnung mit Pankow oder ihrer Musik auf und senden Sie die Story bis 9. Juli per Mail ans Management: fans@pankow.band oder über Facebook: https://www.facebook.com/pankow.rockband

    90 Prozent der Songs bei Pankow-Konzerten sind älter als 30 Jahre. Ist es grundsätzlich so, dass langlebige Bands wie die Rolling Stones oder AC/DC bei ihren Konzerten vom Ruhm der frühen Tage leben?

    Das ist ganz bestimmt so. Natürlich. Das ist immer so. Wenn eine Band nicht frühzeitig gewisse Erfolge hat, lebt sie meist auch nicht ewig. Aber als Band hast du es sowieso nicht in der Hand, ob ein Song besonders groß und populär wird. Da sind wir als Musiker quasi in Gottes Hand. Wenn ein Lied raus ist, können wir nur noch zuschauen, was mit ihm passiert.

    Wenn Sie Ihre ganz alten Songs oben auf der Bühne singen, ist das für Sie wie Nach-Hause-Kommen oder sind Sie auch genervt, dass die meisten Fans immer nur die alten Hits hören wollen?

    Wenn ein Lied ein gutes Lied ist, dann hat das ganz allein mit meinem eigenen Gefühl zu tun. Wenn ein Lied für mich emotional stimmt, dann ist es vollkommen egal, wie alt es ist – und genau so sollte es sein. Natürlich ändert sich im Laufe des Lebens einiges bei den eigenen Einstellungen, etwa zum One-Night-Stand. Und natürlich geht mir dann auch durch den Kopf, ob es sich merkwürdig anhört, wenn ich mit fast 70 Jahren von einem Jungen singe, der mit Schultasche zu einer Frau geht. Aber auch bei unserem Song „Langeweile“ …

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    … einer Ihrer wichtigsten Songs, in dem Sie 1988 die ganze Stagnation der späten DDR sehr lapidar und umso anschaulicher zusammengefasst haben und über die „alten Männer“ der Staatsführung singen.

    Und obwohl es bei dem Song also explizit um die Spätphase der DDR geht, stimmt für mich noch immer das Gefühl bei diesem Song. Denn das Gefühl der Langeweile kenne ich bis heute.

    Heute ziehen nicht wenige im Osten gewisse Parallelen zwischen der aktuellen Lage in der Bundesrepublik und der Stagnation in der späten DDR. Teilen Sie diese Sicht?Nein. Überhaupt nicht. Ick finde: Das ist totaler Quatsch. Manchmal habe ich das Gefühl, die Leute können sich nicht zurückerinnern, was die DDR war. So eng, so borniert, so unfrei, so langweilig.

    Gab es aus Ihrer Sicht auch Gutes in der DDR?

    Nicht so viel. Aber es gab viel Lustiges. Das Leben war auf eine gewisse Art komischer. Es war gar nicht so viel nötig, um sich als großer Held zu fühlen, weil es so viele Verbote gab, weil vieles so absurd war. Da war es viel leichter, vermeintlich drüberzustehen und sich über alles lustig zu machen. Auch wenn das aus heutiger Sicht manchmal vielleicht etwas arrogant wirkt.

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    Aber eine gewisse Art von Arroganz ist doch das klassische Vorrecht der Jugend. Könnten Sie heute wie beim Song „Langeweile“ immer noch die ganze Stimmung eines Landes in zwei Strophen gießen, oder geht so etwas nur mit einer gewissen Grundnaivität und der Frechheit der jungen Jahre?

    Heute würde ich den Grundzustand der ganzen Welt nicht mit Langeweile zusammenfassen, sondern mit dem Wort Chaos. Das Schreiben eines Songs funktioniert noch genauso wie damals, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich unter der Überschrift „Chaos“ einen guten Song zusammenkriegen würde.

    Warum kommen die Leute zu Ihnen zur Abschiedstour? Ostalgie, im Sinne einer Sehnsucht nach der DDR, kann es nicht sein, dafür war Pankow viel zu kritisch.

    Am häufigsten hören wir, dass wir die Leute so wahnsinnig berührt haben. Vielleicht bei einer Suche nach einem anderen Leben in der DDR, aber das wäre meine Interpretation. Viele erzählen von ganz bestimmten Momenten, an die ich mich entweder nicht erinnern kann oder die ich anders wahrgenommen habe. Schwer zu sagen, warum die Leute kommen. Aber ich bin sehr froh, dass sie kommen. Es gibt Fans, die reisen uns hinterher. Die bilden eine Reihe ganz vorn vor der Bühne und halten zum Beispiel beim „Lied von der See’nsucht“ immer passend zum Text bestimmte Utensilien hoch in die Luft: Plastikdelfine etwa oder kleine und große Fische aus Pappe. Die reisen uns hinterher, und manchmal haben wir das Gefühl, wenn die nicht da sind, können wir das Lied gar nicht spielen. Da ist dieses wunderbare Zusammenspiel zwischen Publikum und uns. Wahnsinn.
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    Waren Sie überrascht, wie stark die Nachwirkungen von Pankow bis heute sind?

    Ja, bei dieser Tour habe ich es als extrem wahrgenommen, wie emotional die Fans reagieren. Vielleicht, weil es die Abschiedstour ist und die Sache noch mal einen ganz anderen Hype hat als früher.

    Nun ein paar kurze Fragen, mit der Bitte um kurze Antworten: Ihr Lieblingslied von Pankow?

    Gibt es nicht. Geht auch gar nicht. Sie können mich doch auch nicht als Vater fragen, welches mein Lieblingskind ist.

    Infobox image

    Christian Ruff

    Der Sänger von Pankow

    André Herzberg wurde 1955 in Berlin geboren, seine Mutter war Staatsanwältin, der Vater arbeitete als Journalist beim DDR-Rundfunk. Sein Bruder ist der Autor Wolfgang Herzberg. Er war Mitbegründer der Gaukler Rock Band, 1981 holte ihn die neugegründete Band Pankow als Sänger. Er veröffentlicht seit Jahrzehnten auch Solo-Alben.

    Ihr Lieblingssong international?

    Vor ein paar Wochen ist Brian Wilson von den Beach Boys gestorben. Und alle möglichen Lieblingssänger von mir covern nun ihm zu Ehren seinen Song „God only knows“. Das berührt mich, das schaue ich mir im Netz an. Das ist eine schöne Geste, einen großen Kollegen zu ehren.

    Ihre aktuelle deutsche Lieblingsband?

    Soll ich ehrlich sein? Ich interessiere mich nicht so sehr für aktuelle Trends. Ich stecke immer recht tief in meiner eigenen Welt – jedenfalls sagt das meine Frau immer mal wieder mit leicht tadelndem Unterton.

    Lieblingsmusiker international?

    Auf alle Fälle eine Frau. Frauenstimmen haben mich immer fasziniert. Es gibt aber einfach zu viele gute davon.

    Mit wem würden Sie gern noch auf der Bühne singen?Vielleicht Stefan Stoppok. Vielleicht Toni Krahl, der Sänger von City. Wir sind ja schon über viele Jahre miteinander verbunden. Und beide Bands sind ja jetzt in Rente.

    Welchen deutschen Songtext hätten Sie gern geschrieben?Vielleicht irgendwas von Rio Reiser, dem großen deutschen Rocksongschreiber. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist schon stark.

    Welche Band sollte welchen Pankow-Song covern?

    Es müsste schon eine berühmte Band sein. Wie wäre es, wenn die Stones uns mal covern würden?

    Flüstern und Schreien: Die legendäre Berliner Band Pankow veröffentlicht Abschiedssong

    Bei welchem Konzert sind Sie zuletzt begeistert gewesen, ausgerastet?

    Ich gehe nie auf Konzerte, außer auf die eigenen. Ich fühl mich einfach nicht sehr wohl in größeren Ansammlungen von Menschen. Und bei den eigenen Konzerten ist der große Vorteil, dass man auf der Bühne relativ allein ist.

    Kann ein guter Rocksong den Lauf der Zeit ändern?

    Das wird überschätzt. (Er spitzt die Lippen und stimmt die Pfeifmelodie von „Wind of Change“ von den Scorpions an.) Aber auf alle Fälle merken wir in den Gesprächen mit Fans, dass so mancher Song eine viel stärkere Wirkung hat, als wir je gedacht haben.

    Beneiden Sie junge Musiker um ihre heutigen Möglichkeiten?

    Unbedingt. Meine Tochter – sie ist zwölf – hat gerade ihren ersten Song aufgenommen. Ganz allein. Erst das Klavier und danach gesungen. Sie hat auch angefangen, ein Video dazu zu drehen; und als ich ihr über die Schulter geschaut habe, hab ich gemerkt, dass sie ganz genau wusste, was sie will und wie die Bildsprache zu den Textzeilen sein soll, die sie gesungen hat. Das fand ich atemberaubend.

    Bekommen sie eigentlich Rente?Ja, schon eine Weile.

    Und: Ist die Rockerrente ein schönes Gefühl?

    Ja, es ist herrlich. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen regelmäßigen Geldeingang auf meinem Konto. Das hatte ich nie. Mal war es gar nichts, dann mal wieder recht viel auf einmal. Nun kommt das Gefühl von Beruhigung jeden Monat. Davon kann ich zwar noch nicht mein Leben bezahlen, aber immerhin weiß ich: Ich kann mir ein ganz klein wenig was leisten. Das ist schön.

    Worauf freuen Sie sich, nun, da es mit Pankow vorbei ist?

    Es freut mich ja nicht, dass es vorbei ist, aber die Sache mit der gemeinsamen Kreativität hat halt nicht mehr geklappt. Deshalb schmerzt es mich auch, dass es mit Pankow nun vorbei ist. Aber es geht ja solo weiter. Ich bereite ein neues Album vor und versuche, ein neues Buch zu schreiben.

  • Wichtige Entscheidung zur S-Bahn in Berlin steht bevor : Warum das Drama trotzdem weitergehen könnte
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wichtige-entscheidung-zur-s-bahn-in-berlin-steht-bevor-warum-das-dr

    A Berlin la privatisation du système des trains régionaux S-Bahn coute des milliards suppliémentaires et les rend inopérables. Les néolibéraux verts, rouges et noirs ont tout fait pour remplir les poches des actionnaires des heureux gangnants de l’appel d’offre.Seulement le parti de gauche et les associations d’usagers se sont prononcé pour un système ferroviaire géré par une institution publique. Ils ont été obligés d’accepter que dans le contexte capitaliste après 1989 l’intérêt privé (des nantis) gagne toujours.

    3.7.2025 vin Peter Neumann - Der Hauptausschuss gibt 15 Milliarden Euro frei. Jetzt kann der Senat bekannt geben, wer die große Ausschreibung für die S-Bahn gewinnt. Doch ein Rechtsstreit droht.

    Es geht um die Zukunft der Berliner S-Bahn. Im Vergabeverfahren für zwei Drittel des Netzes steht nach fünf Jahren endlich eine Entscheidung bevor. Beobachter erwarten, dass die Länder Berlin und Brandenburg demnächst bekannt geben, wer die neue Fahrzeuggeneration bauen und auf elf S-Bahn-Linien betreiben wird. Eine wichtige Etappe hat die Verwaltung von Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) jetzt genommen. Doch es könnte noch Jahre dauern, bis die neuen S-Bahnen tatsächlich kommen.

    Die Fragen lauten: Wer baut die neuen S-Bahn-Züge für die Hauptstadt-Region? Wer hält sie über 30 Jahre in Schuss? Und wer betreibt sie 15 Jahre lang? Mindestens 1400 S-Bahn-Wagen werden benötigt. Hinzu kommen Optionen für bis zu 936 weitere Wagen. Es geht um eine gewaltige Flotte, mit der das nach der U-Bahn zweitwichtigste Nahverkehrsmittel von Berlin und Brandenburg erneuert werden soll. Sie soll in den Teilnetzen Stadtbahn und Nord-Süd fahren – etwa auf der S1, S2, S3, S5, S7 und S9.

    So stellten sich Planer bei Bombardier (heute Alstom) 2020 die neue S-Bahn-Generation für Berlin vor. Die Simulation eines Zuges der Linie S5 im Bahnhof Hackescher Markt zeigt, wie die Lackierung aussehen könnte.

    So stellten sich Planer bei Bombardier (heute Alstom) 2020 die neue S-Bahn-Generation für Berlin vor. Die Simulation eines Zuges der Linie S5 im Bahnhof Hackescher Markt zeigt, wie die Lackierung aussehen könnte.Bombardier/Alstom

    Das Vergabeverfahren für die S-Bahn gilt als die größte Ausschreibung, die es jemals im Nahverkehr in Deutschland gegeben hat. Unter Senatorin Regine Günther (Grüne), die 2016 antrat, begannen die Vorbereitungen. 2019 legte der Senat die Eckpunkte fest, 2020 fiel der Startschuss. Mit der Zeit wurde es immer komplizierter, 25-mal wurden Termine verschoben. Interessenten mussten Kosten in zweistelliger Millionenhöhe schultern.

    Anfangs hieß es, dass die ersten S-Bahnen für Berlin und Brandenburg 2027 kommen könnten. Inzwischen ist von einem schrittweisen Betriebsstart ab 2031 die Rede. Aber selbst dieser Termin könnte nun ins Wanken geraten, wie jetzt immer deutlicher wird.

    Zwar haben die Verantwortlichen offenbar entschieden, wer die Milliardenverträge bekommt. Dem Vernehmen nach liegen zwei Angebote vor. Ein Konsortium, dem die Bahnhersteller Siemens und Stadler sowie die Deutsche Bahn (DB) angehören, bewirbt sich um alle Lose. Der französische Konzern Alstom tritt allein ohne Zugbetreiber an, seine Offerte bezieht sich ausschließlich auf den Bau und die Wartung der S-Bahnen.

    Hauptausschuss entsperrt 15 Milliarden Euro für die Berliner S-Bahn

    Um die Vergabeentscheidung offiziell aussprechen und haushaltsmäßig absichern zu können, muss der Hauptausschuss dem Antrag auf Entsperrung der Mittel zustimmen – was am Mittwoch geschah. Von 15 Milliarden Euro ist die Rede. Jetzt muss Brandenburg folgen, und auch der Senat sowie die Gremien der Landesanstalt für Schienenfahrzeuge Berlin (LSFB) müssen ihr Go geben, wie der Haushälter Sven Heinemann (SPD) erklärt.

    Doch die nun absehbare Vergabeentscheidung wird voraussichtlich noch nicht der Schlusspunkt sein. Denn wenn die Firmengruppe Siemens/Stadler/DB wie erwartet den Zuschlag bekommt, weil es einen Zugbetreiber in seinen Reihen hat, gilt es als wahrscheinlich, dass das dann unterlegene Unternehmen Alstom dagegen vorgehen wird. Zunächst mit einem Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer, dann mit einem Verfahren der sofortigen Beschwerde vor dem Kammergericht. Kenner der Materie gehen davon aus, dass erst nach zwei Jahren rechtskräftig feststehen wird, wer den Milliardenauftrag für die S-Bahn erhält. Damit wäre der bereits mehrfach geänderte Zeitplan, dass 2031 die ersten neuen S-Bahn-Züge den Betrieb aufnehmen, Makulatur.

    Beobachter rechnen mit hohen Zusatzkosten für die Steuerzahler

    Erwartet wird, dass Alstom auf jeden Fall die juristische Karte zieht. Im Zusammenhang mit der großen S-Bahn-Ausschreibung war der französische Konzern schon einmal vor das Kammergericht gezogen, das ihm während der mündlichen Verhandlung im Februar 2024 in bestimmten Punkten recht gab. Das Verfahren verstoße zum Teil gegen das Vergaberecht, stellte die Vorsitzende Richterin fest. Würde es in der bisherigen Form weitergeführt, drohe die Gefahr, dass ein unwirtschaftliches Angebot gewinnt.

    Das Design bevorzuge Bietergruppen, denen sowohl Hersteller als auch Zugbetreiber angehören. Wer sich wie Alstom solo bewirbt (Transdev sprang ab, Netinera wollte dann doch nicht), könne sich kaum Chancen ausrechnen, hieß es. Damit stimmte das Gericht dem Hauptvorwurf von Alstom zu. Trotzdem wies es in seiner Entscheidung vom 1. März 2024 die Beschwerde von Alstom in den meisten Punkten ab – unter anderem wegen Verfristung, weil das Unternehmen bestimmte Rügen zu spät erhoben habe.

    Dass Alstom erneut durch die Instanzen gehen wird, gilt auch aus weiteren Gründen als wahrscheinlich. Das Verfahrensdesign benachteilige Bahnhersteller, die solo Angebote einreichen, bestätigen Beobachter. Selbst wenn diese Firmen signifikant günstiger anbieten, hätten sie keine Aussicht auf einen Vertrag. Damit bestünde die reale Gefahr, dass die Steuerzahler allein schon für die Herstellung und Instandhaltung der neuen S-Bahnen über die gesamte Laufzeit mehr zahlen müssten als notwendig. Aktuelle Berechnungen gehen von rund einer Milliarde Euro zusätzlich aus, bei einem erwarteten Volumen von jeweils 3,5 bis vier Milliarden Euro für die Fahrzeuge und die Wartung.

    Die nun offenbar absehbare Vergabeentscheidung würde auch den Wettbewerb verzerren, so eine weitere Einschätzung. Denn dank des hohen Preises könnten die Sieger ihre Kassen füllen, um bei künftigen Vergabeverfahren preiswerte Angebote einreichen zu können. Alstom würden damit auch bei weiteren Verfahren Niederlagen drohen. Das Unternehmen teilte mit, dass es sich in dieser Phase nicht äußern wird.

    Zunächst galt eine Loslimitierung, die es verbot, dass sich Unternehmen für alle vier Lose bewarben. Sie sollte die Zutrittsschwelle nicht nur für Zugbetreiber senken. Einzelne Bieter aus der Bahnindustrie hätten Chancen gehabt, den Zuschlag zumindest für einen Teil der neuen S-Bahn-Flotte zu erhalten. Doch die Limitierung wurde getilgt, wofür sich Sozialdemokraten und Gewerkschafter der EVG eingesetzt hatten.

    Was die Vorsitzende Richterin der Vergabekammer des Kammergerichts 2024 vorhergesagt hat, sei nun eingetreten, lautet eine Einschätzung. Dass das vergaberechtswidrige Verfahren in der Tat unwirtschaftliche Preise zur Folge habe, sehe man auch daran, dass das Gesamtvolumen der erwarteten Ausgaben deutlich gestiegen sei. War bisher von elf bis zwölf Milliarden Euro die Rede, gehe es nun bereits um 15 Milliarden Euro – jeweils zur Hälfte für Fahrzeuge/Wartung und den Betrieb.

    Dabei ist der zulässige Rahmen sogar noch größer, wie am Donnerstag bekannt wurde. Im Doppelhaushalt 2024/25 ist die Ermächtigung für die Senatsverkehrsverwaltung enthalten, eine verbindliche Zuschlagsentscheidung zu treffen, hieß es in der Behörde.

    „Diese sogenannte Verpflichtungsermächtigung hat einen Umfang von maximal 20 Milliarden Euro“, sagt die Sprecherin von Senatorin Ute Bonde, Petra Nelken. Es geht um die Fahrzeugbereitstellung und Instandhaltung über 30 Jahre sowie um die Verkehrsleistungen über 15 Jahre, bestätigte sie. „Diese Verpflichtungsermächtigung wurde vom Haushaltsgesetzgeber unter dem Vorbehalt bewilligt, dass sie erst genutzt werden darf, wenn der Hauptausschuss diese qualifizierte Sperre auf Antrag unserer Verwaltung aufhebt.“ Das sei nun geschehen.

    Berlin und Brandenburg müssen ihre Entscheidung, wer den Milliardenpoker um die S-Bahn gewinnt, in diesem Sommer bekanntgeben. Zunächst ist das oder sind die Unternehmen zu informieren, die bei dem Vergabeverfahren unterlagen. Danach bekommen die Sieger Nachricht. Bis zum 11. September 2025 ist Zeit. Dann endet die sogenannte Bindefrist.

    #Allemagne #Berlin #transport_public #privatisation #S-Bahn

  • „Man fühlt sich abgezockt“: Diese Berliner Biergärten fallen bei Besuchern durch
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/man-fuehlt-sich-abgezockt-diese-berliner-biergaerten-fallen-bei-bes

    Abgesehen vom Golgatha ist keiner der hier besprochenen Läden zu empehlen, umd das auch nur in der Woche am Nachmittag und auch mur, weil wir da himgehen, seiit die aufgemacht haben. Ein Freund hat sogarveine Zeitlang im.Golgatha gewohnt.

    Meine Geheimtippsverrate ich nur meinen Fahrgästen. Es gibt nâmlich überall in Berlin richtig tolle Biergärten. Leider werden die immer weniger.

    3.7.2025 von Anne Vorbringer - Prater, Loretta und Golgatha sind bekannte Berliner Biergärten. Doch nicht alle großen Namen können gleichermaßen überzeugen – einige kleinere Perlen dafür umso mehr.

    Als Biergartenhauptstadt kann sich Berlin nicht gerade bezeichnen. Das offizielle Stadtportal listet 32 Adressen auf, in Branchenlisten rangiert Berlin mit 64 Biergärten deutlich hinter Baden-Württemberg (529) oder Bayern (1172).

    Allein München kommt auf ungefähr 200 Biergärten, darunter einige sehr große mit 7000 Sitzplätzen und mehr, wie der Hirschgarten und der Biergarten am Chinesischen Turm. Doch Masse ist nicht gleich Qualität, das gilt auch für Berlin, wo Adressen wie der Prater, Schleusenkrug, Loretta am Wannsee oder Golgatha besonders bekannt sind.

    Aber sind sie auch beliebt? Wie schneidet ein Abend mit Bierkrug, Brezel und Bratwurst, bestenfalls unter altem Baumbestand, bei den Besucherinnen und Besuchern ab? Darüber geben Internetbewertungen und Erfahrungsberichte Aufschluss, von denen Berliner Biergärten so einige angesammelt haben.

    Service mies, megalange Schlangen: Nicht alle Gäste sind glücklich

    Allein der Prater Biergarten in Prenzlauer Berg, gegründet im Jahr 1837 und damit Berlins älteste Adresse dieser Art, kommt auf mehr als 6000 Google-Rezensionen und 4,3 von fünf Sternen – eine gute Bewertung im oberen Spektrum.

    Besonders hervorgehoben werden das Ambiente an der Kastanienallee mit den hohen, Schatten spendenden Bäumen, dem internationalen Publikum und den großzügigen Anlagen. Doch zuletzt mehren sich auch negative Bewertungen. Immer wieder werden die hohen Preise bemängelt. Der halbe Liter Prater Hell vom Fass kostet aktuell 4,90 Euro, das Hefeweizen 5,50 Euro.

    Wer ein halbes Grillhähnchen zum Bier möchte, zahlt 11,90 Euro, die Rostbratwurst auf Sauerkraut schlägt mit 8,90 Euro zu Buche. „Essen teuer und wenig Auswahl, schade, nicht zu empfehlen“, schreibt ein Local Guide vor zwei Wochen. Ein anderer hat das Bild seines Flammkuchens gepostet: „Für diesen Witz nehmen die 12 Euro. Nicht zu empfehlen. Das Hausmarke-Bier ist auch unterirdisch. Service mies, megalange Schlangen. Der ganze Laden ist nicht zu empfehlen.“

    Ein anderer gibt trotz einzelner Kritikpunkte volle fünf Sterne und kommentiert: „Berlins Biergarten-Perle ist mit neuem Konzept durchgestartet. Den galoppierenden Bierpreisen im Kiez zum Trotz bleibt die Halbe hier konsequent bei 4,90! Süffiges bayerisches Bier, und jetzt gibt es auch einfache warme Büfett-Küche zu günstigen Preisen. Proppenvoll an Sommerabenden und einfach stimmungsvoll unter den hohen Bäumen. Nur das Schlangestehen ist nicht besser geworden, eher noch komplizierter, mit Pfandbon und zweimal Anstellen.“

    In Kreuzberg ist das Golgatha mitten im schönen Viktoriapark eine bekannte Adresse. Es kommt ebenfalls auf 4,3 Sterne. Besonders die unschlagbare Lage gibt für viele den Ausschlag für Schwärmereien: „Schöner Biergarten mit entspannter Atmosphäre mitten im Park – ideal für einen sonnigen Nachmittag oder lauen Sommerabend.“

    Aber auch im Golgatha bemängeln Local Guides die Preispolitik. „Dieses Jahr ist alles noch ein bis zwei Euro teurer“, schreibt einer. „Wenn Erfolg heißt, dass man willkürlich die Preise erhöht, dann muss man damit rechnen, dass man Stammgäste vergrault. Für ein Bier komme ich noch hin, aber auf Essen werde ich verzichten.“

    Etwas besser als Prater und Golgatha schneidet das Loretta am Wannsee ab. Die neuen Betreiber scheinen einiges richtig zu machen. Gäste schwärmen vom guten Essen und freundlichen Service. „Toll, dass es das Loretta noch gibt. Der Biergarten ist bei sonnigem Wetter herrlich“, schreibt ein Local Guide. Ein anderer Besucher lobt die Lage direkt am Wasser. „Der Blick auf den Wannsee, die weite Terrasse, der gemütliche Biergarten unter alten Bäumen, all das sorgt für echtes Urlaubsgefühl mitten in Berlin.“

    Auf der Biergartenkarte stehen Currywurst mit Pommes für 10 Euro, halbes Hähnchen mit Pommes für 15 oder Käsespätzle für 13 Euro. Der halbe Liter Fassbier kostet 5,50 Euro, die Berliner Weisse 4,50 Euro. Gefallen hat es vielen, aber nicht allen: „Insgesamt war das kulinarische Erlebnis enttäuschend und dem schönen Ambiente leider nicht angemessen“, schreibt eine Besucherin und berichtet von trockenem Hähnchen und lauwarmem Leberkäse.

    Schlechter als Prater, Loretta, Golgatha oder auch der Schleusenkrug am Rande des Tiergartens schneidet der noch recht neue Biergarten Augustiner auf Bötzow ab. Mit 4,0 ist die Bewertung immer noch gut, aber eben nicht sehr gut. Mehrere Gäste bemängeln den Service und die Preise: „Für das Geld kann man woanders deutlich besser essen.“

    Und ein Local Guide – das sind Nutzer, die bei Google Maps besonders aktiv sind, ihre Erfahrungen teilen und Rezensionen schreiben, um anderen Usern bei der Entscheidungsfindung zu helfen – befindet über das Areal hoch über der Prenzlauer Allee: „Ein langweiliger Biergarten ohne Seele, ohne Musik und viel Beton.“ Die Preise seien überzogen, „man fühlt sich abgezockt“.

    Ganz anders liest sich die Rezension einer Besucherin, die vor einem Monat da war: „Heute zum ersten Mal im Augustiner gewesen. Toller großer Biergarten mit Selbstbedienung und Restaurant direkt nebenan. Schönes Ambiente, gutes Essen zu fairen Preisen. Daneben die wunderbaren Häuser der ehemaligen Bötzow-Brauerei. In jedem Fall auch einen Besuch wert. Wir kommen wieder.“

    Zu den am besten bewerteten Biergärten der Stadt mit 4,5 Sternen und mehr zählen das Schoenbrunn im Volkspark Friedrichshain und das Birgit am Schleusenufer in Kreuzberg. Das Ambiente zwischen ausgemusterten Jahrmarkt-Figuren mit Pizza aus dem Holzofen und frischem Bier, die Clubatmosphäre mit DJs, all das gefällt den Gästen.

    Auch der Sommergarten des Cassiopeia, das Zosse in Rixdorf, das Eschenbräu in Wedding und der BRLO-Biergarten am Gleisdreieck kommen bei Besuchern sehr gut an. Letzterem attestieren viele User eine angenehme Atmosphäre, ein freundliches Team und einen schönen Außenbereich. „Ein außergewöhnlicher Biergarten mit richtig leckerem Essen“, schreibt ein Local Guide.

    Gar nicht gut weg kommt der Biergarten zum Anleger in Plänterwald mit nur 3,8 Google-Sternen. „Weder besonders schlecht noch besonders schön. Außenambiente ist eher kühl. Gemütlich ist es auf jeden Fall nicht. Ob die Bratwurst 6 Euro wert ist, bezweifle ich“, urteilte ein Local Guide erst kürzlich. Eine andere Besucherin schreibt von „Touriabzocke, Null-Bock-Stimmung und furchtbarem Kundenservice“. Den Eiskaffee würde sie für den Preis (ohne Waffel und Schokopulver) nie wieder bestellen.

    Die Betreiber haben auf diese Bewertung geantwortet: „Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass wir großen Wert auf Qualität legen und mit hochwertigen, frischen Produkten arbeiten. Industriell hergestellte Waffeln oder billiges Schokopulver entsprechen nicht unserem Anspruch an zeitgemäße Gastronomie – deshalb finden sich solche Produkte bei uns nicht auf unserer Speisekarte. Unser Eiskaffee besteht aus echter Espresso-Qualität und handwerklich hergestelltem Eis.“

    #Berlin #Gastrnomie #Sommer

  • Alte Weltbühnen
    http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1920/Alte+Weltb%C3%BChnen?2%7Dh%25ah%25rdth%25

    Ce texte de Tucholsky a prèsque 105 ans, mais il donne l’impression de n’en avoir que 105 jours.

    Manchmal, nachts, blättere ich in alten ›Weltbühnen‹. Ich habe so ziemlich alle: einzeln, in roten Heften, deren Farbnuance des Umschlags schwankt, und ernst gebunden, in dicken roten Leinenüberzügen. Und ich blättere . . .

    Zuerst suche ich mir alle Polgars zusammen. Fast von Anfang an ist er da – und ich schmunzle im Geist noch einmal alle wiener Theaterpremieren durch, die er mit seiner bitterheitern Gegenwart beehrt hat. Und ich lese seine himmlische Literaturgeschichte: ›Wie der Goethe entstand‹, die noch lustiger ist als das entzückende kleine Spiel der beiden Dioskuren Polgar und Friedell. Und ich lese seine heiterste und bunteste Skizze ›Scharlach‹ (nur für Kenner!) – und ich muß lachen, ganz wie beim erstenmal . . . Und ich lese S. J., wie der unter der berliner Lämmerherde der Schohspieler herumwütete und sie schlachtete und fraß und wonnesam brummte, wenn er den Bauch voll hatte – und lese seine leisen Locktöne zu Reinhardt herüber, als er den noch uneingeschränkt liebhaben konnte . . . Und ich lese – entschuldigen Sie – mich selbst.

    Das heißt: ich lese mich eigentlich gar nicht. Ich erinnere mich nur. Ich erinnere mich, wie das gewesen ist, als ich dies Gedicht da schrieb[400] und jenes – was für Zeiten das waren (und was für Honorare es damals gab), und welche Damen ich in mein Herz geschlossen hatte. Es ist wie eine kleine Biographie, diese ›Weltbühne‹ – ich kann mir an den Fingern abzählen, wie es alles gelaufen ist mit mir. Gibt es wohl eine Liebe – und wäre es auch nur eine von den ganz kurzen, brennendsten gewesen –, die ich nicht abkonterfeit hätte? Keine. S. J. ließ mir den Spaß (sucht euch Redakteure, die keine Unteroffiziere sind!), und nur, wenn Gussy Holl öfter als viermal im Monat in den Artikeln verkleidet, persönlich oder zitiert auftauchte, weinte er leise. Ich konnts doch aber nicht lassen, und ich kanns heute noch nicht. Und alles, was so in den letzten Jahren für mich gut und teuer gewesen ist, steht da in den roten Heften: die hübschen Bücher und die hübschen Mädchen, die märkische Luise und die einzige Blonde und der Strubbs und die und die . . . Von Claire zu schweigen, die ich schon besungen habe, als ich meine Manuskripte noch zweiseitig beschrieb . . . Es war eine schöne Zeit.

    Guten Tag, kleine Hefte! Dies ist keine Reklame für euch – denn der Herausgeber weiß kaum, wie er euch noch liefern soll, und viele von euch gibts gar nicht mehr in den Verlagsregalen. Kleine Hefte, guten Tag –!

    Und ich bemerke, daß sie nicht nur das Leben eines Panters aus den letzten Jahren widerspiegeln, sondern, wenn man genauer hinsieht, unser ganzes Leben und unsere ganze Zeit.

    · Peter Panter
    Die Weltbühne, 12.08.1920, Nr. 33, S. 197, wieder in: Mit 5 PS.

    Nous sommes tous des admirateurs de cette bande de créateurs de textes profonds et réfléchis. Les éditions de l’époque de la RDA n’ont jamais atteint la qualité qu’avait la petite revue sous Jacobsohn, Tucholsky et Ossietzky, mais il faudrait les relire pour chasser les souvenirs imprécis.

    Puis, on ne peut que souhaiter un avenir brillant aux nouvesux rédacteurs de la nouvelle Weltbühne que publie le Berliner Verlag.

    Die Weltbühne : Wie sich Holger Friedrich die Rechte sicherte
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/die-weltbuehne-wie-sich-holger-friedrich-die-rechte-sicherte-li.233

    3.7.2025 von Immo von Fallois - Der Weltbühne-Erbe Nicholas Jacobsohn behauptet, er wurde vom Verleger der Berliner Zeitung seiner Rechte beraubt. Doch das stimmt nicht. Eine Rekonstruktion.

    Nicht nur die Wärme draußen steigt derzeit heftig. Auch die öffentliche Erregung um Aussagen des Verlegers der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. „Es bleibt nichts, wie es ist“ – unter diesem Titel lud Friedrich im Rahmen der „Ettersburger Gespräche“ nahe Weimar vor über zwei Wochen zur Diskussion ein. Die Absicht war, über „gesellschaftlichen Wandel, Medien, Verantwortung und seine ostdeutsche Biografie“ zu reden.

    Bei der Veranstaltung wurde der Verleger dann auf Vorwürfe von Nicholas Jacobsohn, in den USA lebender Enkel von Siegfried Jacobsohn, dem jüdischen Journalisten und Gründer der berühmten „Weltbühne“, angesprochen. Friedrich habe die Zeitschrift ohne seine Einwilligung in diesem Jahr wieder aufgelegt. „Schädlich“ nennt Jacobsohn einen Text in der Weltbühne und bezeichnet Friedrichs Vorgehen als „Enteignung“, sein Handeln sei „unethisch“.

    Bei diesem „Ettersburger Gespräch“ fiel ein Satz, um den aktuell gestritten wird: Jacobsohn zeige sich „enttäuscht“ und „vielleicht auch ein bisschen erschrocken“, dass beim Kauf der Weltbühne der „amerikanische Ostküsten-Geldadel von einem Ossi dann so an die Wand gespielt“ worden sei. Im Klartext: Friedrich konnte sich bei der Auseinandersetzung um die Weltbühne-Rechte gegen Nicholas Jacobsohn erfolgreich durchsetzen.
    Definition Ostküstenaristokratie

    Der Begriff „Ostküsten-Geldadel“ sorgt nun für aufgeregte Diskussionen. Die Tageszeitung taz urteilte: „Die bewusste Rhetorik des gebürtigen Ostberliners könnte antisemitische Ressentiments andeuten.“ Die Jüdische Allgemeine zitierte den Antisemitismus-Forscher Remko Leemhuis; der nannte den Begriff einer der „ältesten antisemitischen Stereotype“. In der Jüdischen Allgemeinen äußerte sich Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus, ähnlich. „Der Berliner Verleger Holger Friedrichs hat den Enkel des jüdischen Gründers der traditionsreichen Weltbühne öffentlich als ,Ostküsten-Geldadel‘ betitelt.“ Und dann weiter: „Gerade im Zusammenhang mit der angedeuteten Machtlosigkeit Jacobsohns ihm gegenüber liegt leider die Vermutung nahe, dass Friedrich, dessen Metier nun einmal Sprache und Kommunikation ist, diese Codes bekannt sind und er die Formulierung daher bewusst verwendet hat.“

    Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Empörung als absurd, die Vorwürfe als unredlich – als ein Sturm im Wasserglas. Schaut man sich die Entstehungsgeschichte der neu aufgelegten Weltbühne an, wird offensichtlich: Friedrich ging es darum, mit Jacobsohn gemeinsam ein deutsch-jüdisches Projekt wiederaufleben zu lassen. Entsprechend setzt der Verleger sich zur Wehr. Die Jüdische Allgemeine lässt er wissen, dass der Begriff „Ostküsten-Geldadel“ nicht auf den jüdischen Hintergrund Jacobsohns Bezug nimmt: „Bezugspunkte sind beispielhaft der U.S.-amerikanische Historiker George Dyson in ,Turings Cathedral‘ oder die britische Historikerin Frances Stonor Saunders.“ Diese beschreibe „die ,so genannte Ostküstenaristokratie‘ im Zusammenwirken mit der ,Ivy League‘ als ,eine Art Bruderbund anglophiler Bildungsbürger, die die Rechtfertigung für ihr Handeln in den Traditionen der Aufklärung und der Unabhängigkeitserklärung verankert sahen‘.“

    Die Weltbühne sollte als deutsch-jüdisches Kulturgut neu belebt werden

    Felix Klein ist, so muss man mit Blick auf den sogenannten Weltbühne-Skandal feststellen, einer absurden Fehlinterpretation zum Opfer gefallen. Wer die Kommunikation zwischen Holger Friedrich und Nicholas Jacobsohn kennt, muss zu dem Schluss kommen, dass nicht der Weltbühne-Erbe der Machtlose bei der Auseinandersetzung um die Rechte war. Im Gegenteil: Jacobsohn hätte jede Gelegenheit gehabt, die Auseinandersetzung um die Rechte zu seinen Gunsten zu entscheiden.

    Jacobsohn wird später das Gegenteil behaupten. Der Welt sagte er: „Ohne meine Zustimmung oder überhaupt eine Reaktion von mir abzuwarten, wurden die Markenrechte der Ossietzky-Gesellschaft an Holger Friedrich übertragen, der daraufhin am 17. April die Löschung meiner älteren Rechte beantragte. Das ist ungeheuerlich und meines Erachtens rechtswidrig.“

    Die Wahrheit sieht anders aus. Vor der Übernahme der Rechte im Jahr 2025 hatte ein jüdischer Freund Friedrich geraten, Die Weltbühne als deutsch-jüdisches Kulturgut aus der Vergangenheit zurückzuholen und als deutsch-jüdisches Projekt wieder ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit Jacobsohn.

    Holger Friedrich ging es um eine Kooperation

    Im Januar 2025 nahm Friedrich Kontakt auf, um die Rechte an der Weltbühne zu regeln. Einerseits zu dem deutschen Verein Weltbühne e.V., der parallel zu Jacobsohn eingetragene Markenrechte an dem Begriff Die Weltbühne hält und sich auf eine vormalige Rechteüberlassung durch den Herausgeber der DDR-Weltbühne beruft. Und andererseits zu dem Gründerenkel Nicholas Jacobsohn, den Friedrich dreimal zum Gespräch einlädt, um das Projekt in gemeinsamer Kooperation neu ins Leben zu rufen.

    Mit dem Weltbühne e.V. konnte sich Friedrich einigen und die Rechte übernehmen. Mit Jacobsohn stellte sich die Kommunikation als schwierig heraus. Doch Friedrich wusste: Würde Jacobsohn nicht reagieren, könnte er nach Übernahme der Weltbühne-Rechte des Vereins die Rechte von Jacobsohn löschen lassen. Dennoch ging es Friedrich um Kooperation, er wollte sich mit Jacobsohn einigen.

    Der Schriftverkehr zwischen Friedrich und Jacobsohns Anwälten bezeugt, anders als von Jacobsohn behauptet, die vielen Kontaktversuche. Am 21. Januar 2025 wandte sich der Anwalt des Berliner Verlags in einer E-Mail erstmals an Jacobsohns ebenfalls in Berlin ansässigen Rechtsvertreter. Schon in dieser ersten Mail war die publizistische Linie des geplanten Weltbühne-Projekts unmissverständlich skizziert. Ziel sei es, „gegenwärtige Entwicklungen um eine humanistisch-pazifistische Perspektive zu ergänzen. Das steht in direkter Tradition des Journalismus von Tucholsky und Ossietzky.“ Im Namen des Berliner Verlags bat der Anwalt um Kontakt zu den amerikanischen Jacobsohn-Erben, mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung der Rechtefrage. In derselben Mail war auch die Rede von einer geplanten Kooperation mit dem Weltbühne e.V., gipfelnd in der Aussage, der Berliner Verlag wäre begeistert, eine ähnliche Perspektive mit der amerikanischen Seite zu entwickeln.

    Einmal DDR, immer DDR?

    Zwei Tage später, am 23. Januar, bittet der Jacobsohn-Anwalt – „bevor ich meinen Mandanten anspreche“ – um Auskunft zu Projektverantwortlichen, Statuten, Unabhängigkeitsgarantie und Finanzierung. Der Berliner Verlag sieht allerdings in dem frühen Stadium keine Veranlassung, sensible Informationen einem anderen als dem Rechteinhaber selbst, also Nicholas Jacobsohn, zur Verfügung zu stellen. In den kommenden Wochen wird versucht, auf anderem Wege Kontakt zu Jacobsohn aufzunehmen, leider vergeblich.

    Monate später, am 5. März, meldet sich der Berliner Jacobsohn-Anwalt erneut. Nach dem, schreibt er, „was ich durch meine Recherchen über die Absichten Ihres Mandanten erfahren habe, strebt Ihr Mandant eine Art Wiederbelebung der ‚DDR-Weltbühne‘ an. Nur um das klarzustellen: Ein neues Medienprodukt in der Tradition der ‚DDR-Weltbühne‘ ist für unseren Mandanten inakzeptabel.“

    Schon die Lektüre der 15-zeiligen, durchaus überschaubaren ersten E-Mail des Rechtsanwalts des Berliner Verlags hätte den Jacobsohn-Anwalt eines Besseren belehren können. Die „direkte Tradition des Journalismus von Tucholsky und Ossietzky“ ist gerade nicht die Tradition der DDR-Weltbühne. Den Westberliner Jacobsohn-Anwalt scheint es nicht interessiert zu haben. War er bei seinen Recherchen auf die ostdeutsche Biografie des Verlegers Holger Friedrich gestoßen? Hat er mit der Weisheit des kalten Kriegers geschlussfolgert: einmal DDR, immer DDR?

    Berliner Verlag hat Weltbühne-Markenrechte wasserdicht gesichert

    Knapp zwei Wochen nach der ablehnenden Antwort meldet sich Friedrichs Anwalt erneut bei der Gegenseite. Sein Mandant sei in New York und eigentlich schon bereit, die Löschung von Jacobsohns Weltbühnen-Rechten zu beantragen, „da die Gründe für die Nichtbenutzung nach dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr bestehen und wir uns nun im vierten Jahrzehnt der Nichtbenutzung befinden“. Andererseits sei immer noch ein kooperativer Ansatz zwischen Friedrich mit Jacobsohn denkbar.

    Das Angebot bleibt unerhört. Am 17. April informiert der Anwalt des Berliner Verlags den Jacobsohn-Anwalt dann über den nächsten Schritt. Erreicht das Schreiben jemals seinen Empfänger? Am 7. Mai folgt dann eine neue Avance. Friedrich ist vier Wochen später bei einem Termin mit dem israelischen Staatspräsidenten Yitzhak Herzog eingeladen. Er erwägt die Möglichkeit, das Projekt Weltbühne dort öffentlich vorzustellen und lädt Nicholas Jacobsohn ein, dabei zu sein. Auch diese Mail landet bei Jacobsohns Anwalt. Neun Tage später trifft die Antwort ein: „Nicholas Jacobsohn schätzt die freundliche Einladung nach Israel.“ Ein solcher Termin würde aber „Fakten schaffen, die noch erarbeitet sind“. Gemeint ist wohl: die noch zu erarbeiten sind. Jacobsohns Anwalt schlägt ein späteres Treffen in Berlin vor und erinnert an seine Fragen aus dem Januar, die zum Ziel haben, aufzuklären, welche neuen publizistischen Ziele die Weltbühne verfolgen soll.

    Am 20. Mai, dem Erscheinungstag der ersten Weltbühne seit 32 Jahren, liefert der Anwalt des Berliner Verlags die Antworten: Die Herausgeber der Weltbühne sind Dr. Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani; der herausgebende Verlag ist der Berliner Verlag; der Berliner Verlag gehört zu 100 Prozent der Familie Friedrich. Nichts davon war so unabdingbar, dass man nicht Wochen oder Monate zuvor in einen Dialog hätte einsteigen können.

    An diesem Tag, dem 20. Mai, hat der Berliner Verlag seine Weltbühne-Markenrechte bereits wasserdicht gesichert; die Verfallsanträge für abgelaufene Rechte wurden wirksam eingereicht. Die Erben des legendären Siegfried Jacobsohn haben ihr Recht an der Marke Die Weltbühne weder nach 1945 noch nach 1990 realisiert, sie haben es auch 2025 versäumt. Wurden sie schlecht beraten? Hat Nicholas Jacobsohn von den Einladungen und Gesprächsangeboten des Berliner Verlags überhaupt Kenntnis gehabt? Hat er sich über die „Rechercheergebnisse“ seiner Berliner Anwälte hinaus je ein eigenes Bild von den Menschen gemacht, die das Lebenswerk seines Großvaters im 21. Jahrhundert zu neuer Blüte erwecken wollen? Die Dokumentenlage stimmt skeptisch.

    #Allemagne #presse

  • „Die Wohnungsnot belastet viele Berliner“ : Warum die Stadt gerade krank macht
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/psychische-gesundheit-warum-berlin-gerade-krank-macht-li.2337717

    La ville nous rend malade par la contradiction entre la nécessité d’y vivre et l’impossibilité de le faire sans s’éxposer à ses contraintes extrêmes. Alors au lieu de s’attaquer aux raisons du malaise on nous envoie chez les médecins et psychologies avec leurs thérapies individuelles censées nous guérir du mal incurable connu sous les notions d’exploitation, de peinurie de logements et de pollution.

    Dans cette interview une jeune psychologue nous explique notre part de responsabilité pour nos dépressions au lieu de parler des actions qui nous libèrent des raisons pour les maladies citadines. Ce n’est pas tous les jours qu’on rencontre un Frantz Fanon.

    2.7.2025 von Cedric Rehman - Laut Barmer betrafen 2023 knapp 42 Prozent der Diagnosen in der Hauptstadt psychische Erkrankungen. Die Psychotherapeutin Lea Gutz erklärt, was Stadtstress ist. Und sagt, was hilft.

    Es klingt nach einem Tsunami. Niedergelassene Ärzte in Berlin diagnostizierten laut Zahlen der Krankenkasse Barmer 2023 bei knapp 42 Prozent ihrer Patienten Erkrankungen aus dem psychischen Spektrum. Laut Gesundheitsatlas der Krankenkasse AOK aus dem vergangenen Jahr leidet fast jeder siebte Berliner an einer Depression. Die Tendenz bei psychischen Erkrankungen steigt bundesweit. Laut Krankenkassen sollen rund zehn Millionen Deutsche allein an einer Depression leiden. Berlin liegt in Statistiken zu psychischen Erkrankungen im Vergleich der Bundesländer weit vorne. Lea Gutz, Psychotherapeutin und Vizepräsidenten der Berliner Psychotherapeutenkammer, erklärt, was die Berliner zunehmend belastet und was die Politik damit zu tun hat. Jeder könne aber etwas für die eigene psychische Gesundheit tun.

    Frau Gutz, knapp 42 Prozent der Diagnosen niedergelassener Ärzte in Berlin betrafen laut der Krankenkasse Barmer 2023 psychische Erkrankungen. Wie interpretieren Sie diese Zahl?

    Wir müssen zunächst sehen, dass nicht jede Person, die Kriterien für eine psychische Störung erfüllt, behandlungsbedürftig ist, weil die Symptome zum Beispiel nur leicht und vorübergehend sind. Wir erleben aber bundesweit eine Zunahme psychischer Störungen. Die anderen Bundesländer holen seit einigen Jahren im Vergleich zu Berlin in den Statistiken auf. Neben zunehmenden Belastungsfaktoren, spielt auch die Entstigmatisierung eine Rolle. Das könnte auch die steigenden Zahlen bei Männern erklären. Für Männer sind psychische Beschwerden heute nicht mehr so ein Tabu wie früher.

    Berlin nimmt eine Spitzenposition unter den Bundesländern ein. Woran liegt das?

    Da gibt es nicht die eine Ursache. Es gibt einen Stadtstress, der uns wie ein Grundrauschen begleitet, eine konstante Flut an Reizen. Ich denke an den Lärm oder auch die Lichtverschmutzung und weniger beruhigend wirkende Grünflächen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Da war es nachts einfach still und dunkel. In Berlin herrscht 24 Stunden Dauerbetrieb. Berlin ist außerdem keine reiche Stadt und es gibt einen Zusammenhang zwischen Armut und psychischen Erkrankungen.

    Woran machen Sie den fest?

    Kinder aus einkommensschwachen Familien haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken. Das belegen Studien. Die Häufigkeit der psychischen Störungen ist nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei älteren Menschen besonders gestiegen. Neben der Armut stellt Einsamkeit einen bedeutsamen Risikofaktor dar. Seit der Pandemie gibt es in diesen Gruppen besonders starke Gefühle von Isolation. Einsamkeit ist in Berlin ein großes Problem.

    Das klingt paradox. Warum fühlen sich Menschen einsamer, die in einer Großstadt leben?

    Die Chance, sich wieder zu begegnen und Kontakte zu knüpfen, ist einfach geringer. In einem Dorf gibt es vielleicht nur eine Bäckerei. Da treffen sich die Nachbarn täglich, ob sie das wollen oder nicht. In Berlin verlaufen sich Kontakte. Besonders schwierig wird es, wenn Begegnungsstätten in der Wohnumgebung fehlen oder ich sie mir nicht leisten kann. Andere aber schon.

    Sie sprechen die Gentrifizierung an?

    Soziale Ungleichheit verstärkt Stress. Wenn ich mir bestimmte Aktivitäten nicht mehr leisten kann, von denen andere freudig erzählen, dann fühle ich mich ausgeschlossen und das macht unglücklich. Stadtplanung kann aktiv etwas tun gegen Einsamkeit und für die psychische Gesundheit. Es braucht Orte, die uns zusammenführen, zugängliche kulturelle Angebote. Im Moment erlebe ich bei Patientinnen und Patienten aber noch eine ganz andere Sorge. Die Wohnungsnot in Berlin belastet viele.

    Wie wirkt sich das aus?

    Es ist existenziell, wenn jeder Cent für eine Wohnung ausgegeben werden muss, die dann in der Regel für wenige Monate nur zu Zwischenmiete ist. Ich erlebe das häufig bei Studierenden oder auch bei ausländischen Fachkräften. Viele kommen ohne soziale Kontakte nach Berlin und arbeiten den ganzen Tag im Homeoffice. Das sind keine guten Voraussetzungen für das psychische Wohlbefinden.

    Mit welchen Beschwerden kommen Berliner besonders häufig in Ihre Praxis?

    Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen sind nicht nur in Berlin am weitesten verbreitet. In Berlin spielt der Missbrauch von Substanzen eine große Rolle. Illegale Drogen sind leicht verfügbar. Sie können nicht nur psychische Erkrankungen auslösen, sondern werden auch eingesetzt, um belastende Zustände nicht spüren zu müssen.

    Liegt Substanzgebrauch nicht in der DNA einer Partymetropole? Viele Menschen suchen in Berlin doch Exzess. Manche sprechen davon, die Stadt ziehe psychisch auffällige Menschen etwa mit Suchttendenzen an. Wie sehen Sie das?

    Ich wehre mich dagegen, Menschen in Schubladen zu stecken. Psychische Störungen kommen in allen Milieus vor und Stigmatisierung hilft nicht weiter. Manche kommen hierher in der Hoffnung, eine sie akzeptierende Community zu finden. Doch auch Berlin ist keineswegs ein Ort ohne Diskriminierung, gerade Minderheiten sind auch hier Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Diskriminierung verschlechtert direkt und unmittelbar die psychische Gesundheit.

    Was können Berliner für ihre psychische Gesundheit tun? Der Stadtstress lässt sich kaum vermeiden und der Einzelne kann soziale Schieflagen nicht auflösen.

    Manches ist tatsächlich Aufgabe der Politik. Für uns Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten stehen etwa die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz für Kassenpatientinnen und Kassenpatienten in Berlin in einem Widerspruch zu der aktuellen Bedarfsplanung. Ihr zufolge gibt es in Berlin eine Überversorgung. Wir brauchen eine neue, vorausschauende Bedarfsplanung. Die Auswirkungen von psychischen Störungen werden oft unterschätzt. In Berlin sind sie der häufigste Grund für eine Behinderung, also eine eingeschränkte Teilhabe.

    Was hilft uns konkret im Alltag?

    Ich markiere mir zum Beispiel in meinem Kalender nicht nur berufliche Termine, sondern auch die Zeiten, die ich für Sport und soziale Kontakte zur Verfügung habe. Um herauszufinden, wie Ausgleich geschaffen werden kann, lohnt es sich zu überlegen, was mir bisher im Leben Ruhe und Kraft gegeben hat und das regelmäßig in den Alltag zu integrieren. Für manche sind es Dinge wie Ausflüge in die Natur, Yoga, Malen oder sich beim Sport auszupowern.

    Und was raten Sie den vielen Einsamen in Berlin? Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt in einem jüngsten Bericht davor, dass Einsamkeit nicht nur Depressionen, sondern auch Herzinfarkte und Diabetes begünstige und weltweit zu knapp 900.000 Toten im Jahr beitrage.

    Mir wird oft geschildert, dass eine bestimmte Aktivität Spaß mache. Aber es heißt dann, dass es niemanden gebe, mit dem sich das machen ließe. Ich rate dazu, es einfach mal auszuprobieren und so Gleichgesinnte kennenzulernen. Es kommt bei sozialen Kontakten nicht auf die Menge an. Eine gute Freundschaft genügt erst mal, um sich nicht allein zu fühlen.

    Zur Person: Lea Gutz ist Vize-Präsidentin der Berliner Psychotherapeutenkammer und im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf niedergelassene Psychotherapeutin. Die 1982 geborene Berlinerin studierte in Freiburg Psychologie und approbierte als Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie in Berlin.

    #Berlin #iatrocratie

  • Görlitzer Park in Kreuzberg: Polizei muss AfD-Politiker vor aggressiven Pöblern schützen
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/was-geschieht-wenn-zwei-afd-abgeordnete-einen-ausflug-in-den-goerli

    Wir fahrn alle, wir retten jeden, sogar AfD Abgeordnete.

    1.7.2025 von Andreas Kopietz - AfD-Politiker wollten sich im Görlitzer Park einen Eindruck der Lage vor Ort verschaffen. Hunderte Gegendemonstranten wollten das verhindern, Polizisten mussten eingreifen.

    Was passiert, wenn zwei AfD-Abgeordnete einen Spaziergang im Görlitzer Park unternehmen, das konnten interessierte Bürger in Berlin am Dienstag sehen. Die Pressestelle der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hatte an die Medien eine Einladung verschickt: „Die stellvertretenden Vorsitzenden und fachpolitischen Sprecher der AfD-Hauptstadtfraktion für Inneres sowie für Umwelt, Thorsten Weiß und Alexander Bertram, werden am kommenden Dienstag gemeinsam eine Begehung des Görlitzer Parks unternehmen.“ Weiter heißt es: „Dabei wollen sie sich aus erster Hand ein Bild sowohl von der Kriminalitätslage als auch vom Zustand der Natur und der Sauberkeit des Parks machen.“

    Stattdessen bekamen sie ein Bild von der politischen Lage in Kreuzberg. Denn wenige Stunden, nachdem die AfD die Einladung verschickt hatte, stand der Termin schon auf der linksextremen Seite Indymedia: Dienstag, 1. Juli 2025, 10 Uhr, Parkeingang Skalitzer Straße. Dabei hieß es doch in der Presseeinladung: „Aus Sicherheitsgründen bitten wir Sie, den Termin dieser Begehung nicht vorab zu kommunizieren.“ Jemand hat aber. Hat das die AfD bewusst einkalkuliert, um Aufmerksamkeit zu erzielen?

    Und so haben sich an diesem Arbeitstag schon vor 10 Uhr mehrere Hundert Menschen am Parkeingang eingefunden, darunter Politikerinnen der Grünen und der Linkspartei. „Alle gegen Nazis und alle gegen den Zaun!“, wird gesungen. Denn man ist auch dagegen, dass der Senat den 14 Hektar großen Park umzäunt, um ihn nachts abzuschließen. Das Absperren des Parks soll gegen den Drogenhandel helfen und gegen die damit einhergehende überbordende Kriminalität.

    Rufe der Demonstranten: „Ganz Berlin hasst die AfD“

    Und weil der Görlitzer Park seit Jahren als Drogenumschlagplatz in den Schlagzeilen ist und für viele sinnbildlich für die Verwahrlosung oder gar den Niedergang Berlins steht, hat auch die AfD dieses Thema entdeckt. Auch die ist Gegner des Zauns und fordert stattdessen hartes Durchgreifen und Zäune an den Grenzens statt um Parks. Bei diesem Rundgang wollen die Abgeordneten Weiß und Bertram das Positionspapier der AfD-Hauptstadtfraktion mit dem Titel „Görlitzer Park – Schandfleck eines kapitulierenden Staates“ vorstellen.

    Der Redner bei der Anti-Demo bezeichnet Weiß als „Stadthalter Höckes“, der den rechtsradikalen „Flügel“ der Partei mit aufgebaut habe. Die Demonstranten halten Transparente hoch: „Nazis aus dem Kiez jagen“.

    Dann warnt die Rednerin auch vor einem „Nazi-YouTuber“ namens Weichreite, der ebenfalls vor Ort sei und mit dem man auf keinen Fall reden dürfe: „Der steht da hinten, hat ’nen Käppi auf und längere Haare!“ Der Youtuber „Weichreite“, offensichtlich ziemlich schmerzfrei, hält für seine 193.000 Abonnenten einfach mit seinem iPhone drauf.

    In der Zwischenzeit betreten Weiß und Bertram den Park durch einen anderen Eingang an der Görlitzer, Ecke Lübbener Straße. Die Polizei hat ihnen dazu geraten. Doch das nützt nicht viel. Sofort läuft auch dort eine Menge zusammen und ruft „Nazis raus!“ Ein rohes Ei klatscht vor den Füßen von Thorsten Weiß auf, eine Plasteflasche fliegt. Jemand versucht mit seinem E-Bike, den Weg zu blockieren und wird unsanft von Polizisten zur Seite geschoben.

    Die Ordnungshüter setzen nun ihre Helme auf. „Ganz Berlin hasst die AfD!“, schallt der Sprechchor. Das ist durchaus eine kühne Behauptung: Bei der Bundestagswahl holte die Partei in Berlin 15,2 Prozent der Stimmen und in dem Kreuzberger Wahlbezirk, wo der Görlitzer Park liegt, sind es auch 3,8 Prozent.

    Polizisten haben Protestler unterschätzt

    Was sich hier entwickelt, ist ein Spießrutenlauf, den die beiden Abgeordneten mit versteinerter Miene absolvieren, während die behelmten Polizisten ihnen den Weg freischubsen. Ein Mann bespuckt die beiden Politiker. Er wird festgenommen. Die Polizisten sind nervös: Sie hatten das Protestpotenzial wohl unterschätzt.

    Und irgendwie erinnert das Geschehen an die „Begehung“, die Berlins Regierender CDU-Bürgermeister Kai Wegner im vergangenen Jahr durchführte, gewissermaßen als moralische Vorbereitung für das Zaunprojekt. Im Januar hatte ihn dort ebenfalls ein Pulk bedrängt, und die Polizisten mussten den Weg freischubsen. Auch damals hieß es: „Ganz Berlin hasst die CDU“. Und es hieß: „Nazis raus!“. Alles Nazis eben.

    Der Rundgang der beiden AfD-Herren endet bereits nach zwölf Minuten am benachbarten Parkausgang. Die beiden schlüpfen an den Polizisten vorbei, die dermaßen angespannt sind, dass sie vergessen haben, wie der bundeseinheitliche Presseausweis aussieht: „Ja, was soll mir das jetzt sagen?“, motzt Dienstnummer 037(..) einen Journalisten an.

    Vorn am Haupteingang freut sich der Redner: „Herzlichen Glückwunsch an Kreuzberg! Kreuzberg ist jetzt nazifrei!“
    Politiker von Demonstranten eingekesselt

    Die AfD ist in Richtung Oppelner Straße entkommen – und wird schon wieder eingekesselt. An der Ecke Skalitzer stehen die beiden Abgeordneten nun, umringt von behelmten Polizisten und schimpfenden Kreuzbergern. Eine Frau kreischt den YouTuber „Weichreite“ an, er solle sich verpissen und haut ihm die Kamera ins Gesicht. Weiß und Bertram wollen ein Taxi anhalten. Doch dem Fahrer ist das offenbar nicht geheuer. Er lehnt ab und gibt Gas. So geht das hier noch eine ganze Weile. Auch ein zweites Taxi nimmt die beiden nicht mit. Ein Mannschaftstransporter der Polizei könnte die Politiker mitnehmen. Doch das geht aus Versicherungsgründen nicht.

    Also zieht der bizarre Trupp los zum U-Bahnhof Schlesisches Tor. Polizisten machen die Eingänge dicht, die Pöbler müssen draußen bleiben. Die behelmten Beamten halten die Tür der stehenden U-Bahn auf, damit sich die beiden AfD-Leute dort hineinretten können. Auch „Weichreite“ kommt mit. Er will hier nicht allein zurückbleiben. Draußen steigen die ersten Antifaschisten auf ihre Räder und rasen der Bahn hinterher.

    „Wir haben mit Protest gerechnet, aber ich hätte nicht 300 Leute erwartet, schon gar nicht um diese Tageszeit“, sagt Thorsten Weiß später. „Was haben wir denn gemacht? Wir sind zwei Parlamentarier, die durch diesen Park gegangen sind.“ Ein Bild von der realen Kriminalitätslage bekam er nicht. Aber die Provokation, die Weiß als „Stilmittel der Politik“ bezeichnet, ist ihm gelungen.

    An der U-Bahn-Endhaltestelle Warschauer Straße haben die ersten Protestierer auf Fahrrädern die beiden AfD-Leute eingeholt. Doch dieses Mal können sie ein Taxi stoppen, das sie sicher ins Abgeordnetenhaus bringt.

    #Kreuzberg #Görlitzer_Straße #Lübbener_Straße #Oppelner_Straße #Warschauer_Straße
    #Schlesisches_Tor #Görlitzer_Park #AfD #U-Bahn #Taxi

  • Bolt setzt auf Berlin – Expansion trotz Taxi-Protest geplant
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/was-der-fahrdienst-bolt-jetzt-in-berlin-vorhat-die-nachfrage-ist-ri

    Komisch, wie sich Halb- und Unwahrheiten in der öffentlichen Wahrnehmung halten.

    1.7.2025 von Peter Neumann - Die Taxibranche fordert höhere Fahrpreise für die Konkurrenz. Christoph Hahn von Bolt erklärt, warum er das für Unsinn hält. Er kündigt eine Expansion an.

    Wenn an diesem Mittwoch mehr Taxis als sonst unterwegs sind, hat das einen Grund. Mit einem nationalen Aktionstag demonstrieren Taxibetreiber dafür, dass ihre Konkurrenz dazu gezwungen wird, die Fahrpreise zu erhöhen. Eines der Unternehmen, das sie im Visier haben, sieht die Aktionen für Mindesttarife im Mietwagenverkehr mit Unverständnis. „Wir können den Protest am 2. Juli nicht nachvollziehen“, sagt Christoph Hahn, neuer Geschäftsführer für Ride-Hailing bei Bolt. Er erklärt, welche Pläne der Mobilitätsdienstleister hat – für Berlin und andere Städte in Deutschland.

    Ride-Hailing: Das ist der Begriff für einen Vorgang, der tagtäglich vielerorts stattfindet. Menschen, die von A nach B wollen, zücken ihr Mobiltelefon und bestellen per App einen Wagen. Der Plattformbetreiber gibt die Aufträge an Partnerunternehmen weiter, die Autos mit Fahrer schicken. Mit solchen Fahrzeugen, die juristisch als Mietwagen klassifiziert werden, geht es ans Ziel – meist zu einem Preis, der unter dem festgelegten Taxitarif liegt. Für die Vermittlung berechnet der App-Betreiber eine Provision.

    Ride-Hailing: Dieser Geschäftsbereich steuert bei Bolt in Deutschland rund 85 Prozent der Umsätze bei. Die Nachfrage ist groß, und sie steigt, sagt Christoph Hahn.

    „In Deutschland bieten wir in Berlin und in sechs weiteren Städten Ride-Hailing an“, sagt der 48 Jahre alte Berliner, der in Steglitz aufgewachsen ist. „Doch dabei wird es nicht bleiben. Wir wollen im großen Maßstab wachsen – auch in Berlin. Das betrifft sowohl die Zahl der Fahrzeuge als auch die Zahl der Städte, in denen Bolt vertreten ist. Wir wollen auch neue Geschäftsbereiche erschließen wie Krankenfahrten, und auch wir möchten unseren weiblichen Fahrgästen die Möglichkeit geben, Fahrten mit Fahrerinnen zu buchen.“ Die Expansion soll im zweiten Halbjahr 2025 sichtbar werden.

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    Christoph Hahn ist bei Bolt neuer Geschäftsführer für das Ride-Hailing in Deutschland. Von seinem Büro im 15. Obergeschoss in der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte hat er einen guten Blick auf Berlin. Peter Neumann/Berliner Zeitung

    „Ich freue mich darauf, Bolt Deutschland in eine neue Phase zu führen“

    Christoph Hahn blickt auf zwei Jahrzehnte Berufserfahrung zurück. PwC, Enpal, Lieferando: Das sind Unternehmen, in denen er als Leiter tätig war. Hahn verfügt über „umfassende Führungserfahrung in dynamischen und regulierten Märkten“, lobt sein neuer Arbeitgeber Bolt. Diese Charakterisierung trifft auch auf das Ride-Hailing-Geschäft zu, das Hahn nun weiter entwickelt und ausbaut. Für viele, nicht nur junge Menschen gehört es zum Way of Life, ihre Mobilität in der Stadt per Handy zu organisieren. Gleichzeitig setzen sich die Taxibranche und manche Politiker dafür ein, dass Mobilitätsdienstleister wie Bolt, Uber und Bliq stärker eingehegt werden.

    Wir mögen Taxis. Wir arbeiten gern mit Taxiunternehmen zusammen. Christoph Hahn, Bolt Deutschland

    „Ich freue mich darauf, Bolt Deutschland in eine neue Phase zu führen“, sagt Christoph Hahn. „Dabei geht es um ein ausgewogenes Verhältnis von Wachstum, Servicequalität und partnerschaftlichem Austausch mit Städten und Behörden. So schaffen wir Mobilitätsangebote, die zuverlässig und langfristig tragfähig sind.“

    Schon bald soll es in weiteren deutschen Städten Ride-Hailing geben, kündigt der neue Geschäftsführer an. Doch klar sei auch, dass an bestehenden Standorten die Zahl der vermittelbaren Fahrzeuge weiter wachsen soll. „Die Nachfrage in Berlin ist riesengroß, deshalb muss die Flotte auch hier rasch größer werden“, kündigt Hahn an.

    In Berlin prüft die Senatsverwaltung Mindesttarife – schon seit Jahren

    Dass immer wieder versucht wird, Gräben zwischen Taxi- und Plattformbetreibern zu ziehen, kann er nicht verstehen. „Wir mögen Taxis. Wir arbeiten gern mit Taxiunternehmen zusammen, und wir haben den Eindruck, dass die Sympathie gegenseitig ist“, berichtet er. „Die Unternehmen kommen freiwillig zu uns. Derzeit kooperiert Bolt in Deutschland mit den Betreibern von rund 9000 Taxis. Allein in Berlin hat Bolt circa 3500 Taxis im Angebot. Die Fahrgäste honorieren unsere Zusammenarbeit mit der Taxibranche. Die Zahl der Taxifahrten, die wir vermitteln, steigt rasant.“

    Wie berichtet gibt das Personenbeförderungsgesetz Städten und Landkreisen seit 2021 die Möglichkeit, Mindesttarife für Mietwagen festzulegen. In Lörrach gibt es sie bereits, die Stadt Leipzig hat zwei Anläufe genommen. In Berlin lässt die Verwaltung von Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) prüfen, ob und in welcher Form es solche Preisuntergrenzen geben könnte. Doch die Untersuchungen gehen schon in ihr viertes Jahr – obwohl die Taxibranche wie am 2. Juli wieder ein zügiges Handeln fordert.

    „Ganz ehrlich: Mindesttarife sind Unsinn. Sie bewirken, dass Kunden mehr Geld für ihre Fahrten zahlen müssen“, erklärt Hahn. „Mindestbeförderungsentgelte für den Mietwagenverkehr werden in Berlin und anderen großen Städten dazu führen, dass Menschen wieder häufiger das Auto nutzen. Dagegen gibt es keine Belege dafür, dass sie der Taxibranche helfen, aus dem Tal zu kommen. Dieser Wirtschaftszweig leidet unter strukturellen Problemen, die lange vor dem Markteinstieg von Bolt sichtbar wurden und an denen Mindesttarife nichts ändern können.“

    Dass sich die Senatsverwaltung schon so lange mit dem Thema befasst, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, deuten Beobachter als Unsicherheit. Christoph Hahn formuliert es so: „Das Zögern der Verwaltung in Berlin zeigt, dass man auch dort Probleme sieht. Wir gehen nicht davon aus, dass Berlin in absehbarer Zeit Mindestfahrpreise im Mietwagenverkehr einführen wird. Sollte es wider Erwarten trotzdem dazu kommen, wird sich Bolt die Verfügung genau anschauen“, sagt der Bolt-Manager.

    Mindesttarife wären für alle, die sich für einen ausgewogenen, klimafreundlichen Mobilitätsmix in großen Städten einsetzen, eine schlechte Nachricht, meint er. „Sicher gibt es auch andere Faktoren. Doch es stimmt, wenn man sagt, dass Unternehmen wie wir mit unseren Mobilitätsangeboten dazu beigetragen haben, dass die Pkw-Dichte in Berlin deutlich niedriger ist als anderswo“, stellt Hahn fest. „Klar ist: Städte, die Mindesttarife einführen, sind für eine Expansion weniger attraktiv als andere.“

    Verstoßen die Partnerunternehmen im Umland gegen das Gesetz?

    In Berlin hat die Verwaltung auf Kritik der Taxibranche und Politikern wie dem SPD-Abgeordneten Tino Schopf reagiert. Folge ist, dass das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) restriktiver als früher vorgeht. Anträge auf Mietwagenkonzessionen werden intensiver geprüft und nicht selten abgelehnt. Mietwagenbetreiber müssen öfter als bisher mit Überprüfungen rechnen. Unternehmen reagieren darauf, indem sie ins Berliner Umland ausweichen und von dort Autos schicken – was wiederum die Taxibranche argwöhnen lässt, dass gegen die im Personenbeförderungsgesetz festgelegte Rückkehrpflicht verstoßen wird.

    Sie sieht vor, dass Mietwagen nach jeder Fahrt zum Betriebssitz zurückkehren müssen, sofern kein neuer Auftrag vorliegt. Doch bei Bolt geht man nicht von Verstößen aus. „Die Nachfrage ist so groß, dass auch die Fahrzeuge aus dem Umland in der Regel unmittelbar nach jeder Fahrt einen weiteren Fahrtauftrag ausführen“, erklärt Christoph Hahn. „Das zeigen unsere Zahlen zur durchschnittlichen Auslastung. In Berlin sind die Autos, die für Bolt unterwegs sind, zeitlich zu 85 Prozent ausgelastet. Das heißt: Pro Stunde stehen sie im Durchschnitt acht Minuten still, 52 Minuten sind sie mit Fahrgästen in Bewegung.“

    Auch Brandenburg ist für Bolt interessant

    Teile von Brandenburg seien auch aus einem anderen Grund im Fokus: „Dünn besiedelte ländliche Gegenden sind für Unternehmen wie uns nicht interessant. Im Berliner Umland und in größeren Brandenburger Städten wie Potsdam, Cottbus oder Eberswalde sieht das anders aus“, erklärt der Bolt-Manager.

    Bolt hat in Deutschland nach eigenen Angaben rund 400.000 aktive Kunden. Außer Ride-Hailing bietet das Unternehmen auch Mikromobilität mit rund 60.000 Zweirädern an – E-Scooter und Fahrräder. Car-Sharing in Berlin und (mit Partnern) in anderen deutschen Städten ist ein weiterer Geschäftsbereich – insgesamt 20.000 Autos. International ist Bolt in mehr als 50 Ländern aktiv.

    Die Branche wirkt so, als würde sie von US-Unternehmen dominiert, sagt Christoph Hahn. „Aber wir sind ein expandierender europäischer Mobilitätsdienstleister, und wir sind stolz darauf. Bolt wurde in der estnischen Hauptstadt Tallinn gegründet. Dort befindet sich der Hauptsitz.“

    #Berlin #Taxi #Uberisierung #Mindesttarif #Mietwagen

  • Kastanienallee in Berlin: Zwischen britischen Touristen und alten Punkrockern
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/ein-langer-tag-auf-der-kastanienallee-zwischen-britischen-touristen

    Der Mythos Berlin ist Scheiße. Wortwörtlich. „Volker Kutscher, hier? Kannst Dich wieder anziehen.“ Techno in den Neunzigern? Castingallee, Nuller Jahre? War da wat? Die Stadt und ihre arbeitende Bevölkerung den Geiern zum Fraß vorgeworfen, das habt Ihr. Jetzt ist alles weg, endverdaut, ausgeschissen. Braucht nicht mehr suchen. Das nächste ’45 kommt. Dann wieder Aufbau. Hält 50 max. Früher, viel früher waren das ein paar Dutzend, sogar hundert Jahre. Heute ist Turbokapitalismus, Zeit und Leben voll komprimiert und durchbeschleunigt. Dit ist Berlin. Wie immer, nur immer schneller. #WTF

    28.6.2025 von Clint Lukas - Als unser Autor vor 20 Jahren nach Berlin kam, landete er an der Kastanienallee. Nun stellt er sich die Frage: Was ist nur aus der legendären „Castingallee“ geworden?

    Als ich an einem Sonntag im Jahr 2005 mit dem Umzugswagen in Berlin ankam und nach dem Ausladen noch schnell einen zwitschern wollte, war die erstbeste Kneipe, in die ich geriet, das Schwarz Sauer in der Kastanienallee. Während andere früher nach Berlin geflohen waren, um der Wehrpflicht zu entgehen, kam ich hierher, um meinen Zivildienst zu machen. Ich war zwanzig Jahre alt.

    Als völliger Neuling in der Stadt konnte ich natürlich nicht ahnen, dass der Zufall mich auf eine der beliebtesten Szenemeilen der deutschen Hauptstadt getrieben hatte. Eine Straße voller Cafés, einem Kino und einem echten besetzten Haus, wo sich rund um die Uhr Künstler und Modemacher herumtrieben. Eine Straße, die nicht umsonst den Kosenamen „Castingallee“ trug. Manche nennen sie sogar heimlich die Khao San Road von Ostberlin – die „Khao San“ ist die wildeste und lauteste Straße im Touristenviertel von Bangkok.

    Ich ging nach diesem ersten Sonntag noch öfter ins Schwarz Sauer, nicht aus besonderem Gusto, sondern aus der Gewohnheit des Neuankömmlings. Irgendwer verklickerte mir dann, das es ein Laden für Kokser wäre. Von da an betrachtete ich die anderen Gäste mit noch mehr kleinstädtischer Neugier. Meine Stammkneipe wurde schließlich die Trommel, gleiche Straße, ein paar Blocks Richtung Südwesten. Fünf, sechs Jahre lang schlug ich mir dort jede Woche mehrere Nächte um die Ohren, lernte meine ersten wichtigen Hauptstadt-Lektionen.

    Sind das nicht ausreichend nostalgische Gründe, um mal wieder einen Tag auf dieser Flaniermeile zu verbringen, um zu sehen, was 2025 aus ihr geworden ist? Ich denke, ja.

    Ich starte mittags mitten in der Woche am Rosenthaler Platz, im Späti neben dem Frittenwerk, das früher ein Backwerk war. Von hier unten bis zur Höhe der Zionskirche heißt die Straße zwar Weinbergsweg, doch ich will sie einfach mal frech zum Gesamterlebnis Kastanienallee dazu zählen. Bis vor ein paar Jahren war dieser Späti ein beliebter Treffpunkt. Auf den Batterien aufgestellter Biergarnituren grölte das Publikum etlicher naher Hostels munter die Nächte durch. Zumindest, bis die entnervten Anwohner das Bezirksamt dazu brachten, dem ein Ende zu machen. Seither kann man nur noch im Inneren des Ladens Platz nehmen, was ich auch prompt mache. Das Flaschenbier kostet dort inzwischen zwar mehr als jedes Getränk in mancher Kneipe, aber man zahlt ja bekanntlich für das Ambiente, wie beim Oktoberfest.

    Das besagte Ambiente teile ich mit der üblichen Riege drolliger Frühschoppen-Liebhaber sowie mit fünf Briten, deren Statur und Gehabe auf Rugby-Spieler schließen lässt. Alle sind fröhlich am Picheln und beobachten feixend die Uber-Fahrer, die mangels Ortskenntnis der M1 ins Gehege kommen und wüst von den Tramfahrern beschimpft werden.

    3,20 Euro für ein Bier beim Späti: Nichts ist mehr günstig in Berlin-Mitte

    Wenn alles mit rechten Dingen zugehen würde, säßen wir nun nicht hier, sondern zwei Häuser weiter in der Datscha, einem sympathischen Laden, den ich schon mochte, als er noch Café Gorki Park hieß. Man konnte dort Blini und Bœuf Stroganoff essen und bekam bereits ab zehn Uhr morgens eine köstliche Bloody Mary serviert. Ein Luxus, den man heute in dieser Gegend vergeblich sucht. Die Pandemie hat den Laden marode geschossen, aber gekillt hat ihn die Einfältigkeit der Leute, die aufgrund der russlandfeindlichen Stimmung keine Blini mehr essen wollten. Dabei kam ein großer Teil der Belegschaft aus der Ukraine, der russische Chef hatte nichts mit dem Krieg zu tun.

    Derweil geben sich im Späti minütlich junge Touristen die Klinke in die Hand, um sich für 2,90 Euro eine Limonade oder ein Bier für 3,20 Euro zu kaufen. Waren Spätis nicht mal als günstige Alternative gedacht? Nichts ist mehr günstig in Mitte. Dafür wirken die Rugby-Spieler so patent, dass ich mich gern mit ihnen anfreunden würde. Leider bin ich dafür zu schüchtern. Es folgt ein Bier nach dem anderen. Als die Briten sich anschicken, den Weinbergsweg zu erklimmen, immerhin eine der längsten Steigungen Berlins, folge ich ihnen in einigem Abstand, biege dann jedoch etwas erschöpft ab in den Park.

    Auch der ist nicht mehr, was er mal war. Noch vor fünfzehn Jahren durfte er sich das Prädikat „krassester Drogenumschlagplatz nach dem Görlitzer Park“ an die sinnbildliche Hemdbrust pinnen. Ich selbst verdiente mir dort in mancher Nacht meine ersten Sporen als naiver Graskonsument, der stundenlang mit rasendem Puls in vollgepissten Büschen ausharrte, um sich schließlich für zehn Euro ein Tütchen parfümierten Hopfen andrehen zu lassen. Doch dieser Wirtschaftszweig scheint inzwischen mitsamt seinen Entrepreneurs in den Mauerpark abgewandert zu sein. Ich lasse mich unter einem Baum nieder. Mit meinen Schuhen als Kopfkissen schlafe ich erst mal den Schlaf des Gerechten, der nicht schon mittags mit der Bier-Euphorie gestandener Briten mithalten konnte. Nach knapp zwei Stunden habe ich die fünf Biere aber schon fast verdaut.

    „Korbi! Korbinian! Lass mal den Mann in Ruhe. Du siehst doch, dass der ... Korbinian!“ Die Stimme des Vaters ist fast noch schlimmer als der Gummiball, den der kleine Korbinian mir beherzt in die Weichteile kickt. Ein samtiges Prenzlberg-Timbre, so viel Kreide kann kein Wolf fressen, um diesen Klang im Hohlkörper zu erzeugen. Ich öffne ein Auge und sehe nur Segelschuhe unter Dreiviertelhosen. Weiter oben wurde ein himmelblauer Pulli um einen Hals gelegt. Sieht aus wie Sylt, aber auch das ist Berlin!

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    Der Prater Biergarten ist ebenfalls ein Kult-Ort an der Kastanienallee.Anikka Bauer

    Immerhin fließt nun genug Adrenalin durch meine Karkasse, um mir die Fortsetzung meiner Tour schmackhaft zu machen. Der Nachmittag ist zwar nun ziemlich weit fortgeschritten, doch es ist noch immer zu früh, um in die Trommel zu gehen. Die öffnet nämlich erst um acht, ein Unding, wenn man mich fragt. Zum Glück kann man sich trotzdem auf die Terrasse setzen und die vorbeiziehenden Passanten begaffen. Ein ebenso schönes wie faires Vergnügen, denn die Passanten gaffen ebenso schamlos zurück.

    Nur noch seelenlose Cafés, die alle so wirken, als hätte eine KI sie eröffnet.

    Bereits vor zwanzig Jahren war die Trommel ein Ufo, ein aus der Zeit gefallenes Relikt zwischen all den hippen Boutiquen und Agenturbüros, die der Straße zurecht den Namen „Castingallee“ eingebracht haben. Und noch immer kann man sich ein klein wenig oldschool fühlen, wenn man dort bei den alten Punkrockern sitzt und zu einem Teil dieses Schaufensters aus den 90ern wird.

    Nachdem ich die Zionskirchstraße überquert habe, angeblich die Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg, passiere ich noch einen ehemaligen Hotspot: Den denkwürdigen Plattenladen Franz & Josef mit seinem originellen Besitzer, der einer ganzen Generation unbedarfter Kunden das Fürchten lehrte. Das Internet ist noch voll von vielsagenden Bewertungen aus aller Welt. Man dachte unwillkürlich an Nick Hornbys „High Fidelity“ und an den tollen Laden, in dem Musiknerds ihre unumschränkte Macht ausübten. Inzwischen gibt es an der Stelle nur noch seelenlose Cafés, die alle so wirken, als hätte eine KI sie eröffnet.

    „Ey Ozzy!“, begrüße ich einen alten Bekannten. Osman hat früher in dem Späti am südlichen Ende der Kollwitzstraße gearbeitet, bis er von seinem Chef in den Laden zwischen Buchbox und Oderberger versetzt wurde. Als ich ihn das letzte Mal besucht habe, hatte er seit zehn Jahren keinen einzigen Tag Urlaub gemacht. Ein wahrhaft rätselhaftes Wesen.

    „Wann geht die Weltreise los?“, wärme ich unseren alten Running-Gag wieder auf. „Keine Zeit!“, ruft er und sucht mir die kälteste Bierflasche aus dem Kühlschrank. „Ich muss hier die Stellung halten, weißt du doch! Wie geht’s deiner Tochter? Geht sie schon in die Schule?“

    „Naja, sie wird bald elf. Sie sitzt und spricht.“

    Wir erzählen uns noch zwei, drei Anekdoten, die alle in der Vergangenheit spielen. Ich werde wohl allmählich alt, aber immerhin fiel hier ja schon das Wort Nostalgie. Nachdem das Bier leer ist, ziehe ich weiter in den Prater Garten und siehe da: Meine britischen Freunde vom Rosenthaler sind ebenfalls dort. Inmitten eines Publikums, das anscheinend gerade mit dem ersten Kaltgetränk den Feierabend einläutet, thronen sie wie eingefleischte Veteranen. Als ich mich zu ihnen setze, mustern sie mich zuerst irritiert, erinnern sich dann an den Vormittag. „Ihr seht aus wie Rugby-Spieler“, teile ich endlich mit. „Oh, wow!“, rufen sie. „Dankeschön. Wir spielen selbst nicht. Aber wir gehen zu jedem Spiel der Northampton Saints. Hast du echt gedacht, wir sind Spieler?“

    Meine Vermutung wirkt auf sie so schmeichelhaft, dass sie mich für die nächsten zwei Stunden auf ein Glas nach dem anderen einladen. Natürlich soll ich sie auch besuchen kommen, wenn ich mal auf ihrer Insel bin. Zum Abschied klopfen wir uns gegenseitig grob auf die Schulter, und ich habe das angenehme Gefühl, dass man in Berlin doch noch ganz altmodisch seinen Spaß haben kann.

    Um die Tour ganz durchzuziehen, gehe ich pflichtbewusst bis zur Kreuzung Eberswalder Straße – das Ende der Castingallee. Ich drehe aber sofort wieder um. Es ist wie an vielen Kult-Orten aus den wilden Zeiten der Stadt Berlin: Die Gegenwart zehrt vor allem vom Ruf der Vergangenheit.

    Dann mache ich dem Schwarz Sauer meine bescheidene Aufwartung. Es füllt sich gerade erst. Die Leute bestellen Bier und Spritz und Gin Tonic. Sieht so aus, als würde es wieder eine heitere Nacht auf der Khao San Road von Ostberlin. Denn nachher geht‘s ja noch in die Trommel.

    #Prenzlauer_Berg #Kastanienallee #Mitte #Weinbergsweg #Mythos_Berlin

  • Gefahr für Leib und Leben: Das sind Berlins gefährlichste Kreuzungen
    https://www.berliner-zeitung.de/panorama/wie-ein-spiel-aus-squid-game-berlin-und-seine-gefaehrlichsten-kreuz

    Genau, bleibt bloß weg und überlasst den Könnern das Feld. Damit sind natürlich nicht die Post-Ortskundeprüfung-mäßigen Typen gemeint wie der „Kollege“ der gerade einen jungen Mann auf der Clayallee totgefahren und sich dann verdrückt hat.

    28.6.2025 von Anne Vorbringer, Marcus Weingärtner, Enno Kramer, Manuel Almeida Vergara - Unfälle, Geschrei und Gefahr: Einige Kreuzungen in Berlin sind eine Bedrohung für Leib und Leben. Wir sagen, um welche Straßenecken man lieber einen Bogen macht.

    Wirre Verkehrsführung, knappe Grünphasen, heilloses Durcheinander: Berlins Kreuzungen sind – wollte man es positiv ausdrücken – zuweilen recht komplex. Manche von ihnen rauben den Verkehrsteilnehmern den letzten Nerv, stellen eine Gefahr für Leib und Leben dar.

    Zunächst ein Blick auf die offizielle Statistik. Der ADAC hat vor ein paar Monaten die unfallträchtigsten Kreuzungen der Stadt untersucht und dafür Zahlen aus der Polizeistatistik ausgewertet. Dabei kam heraus: Besonders besorgniserregend sind die Vorfälle am Schlesischen Tor, Innsbrucker Platz, Hauptbahnhof und Alexanderplatz, wo es in den vergangenen Jahren zu vielen schweren Unfällen gekommen ist.

    Mit Abstand vorn liegt der Bereich rund ums Schlesische Tor in Kreuzberg: Im Bereich Bevern-, Oberbaum-, Oppelner, Schlesische, Skalitzer und Köpenicker Straße gab es im Jahr 2024 ganze 230 Unfälle mit Beteiligung von Autos. Aber auch anderswo müssen besonders Fußgänger und Radfahrer mit allem rechnen, wie unsere Beispiele zeigen.

    1. Berliner Allee/Ecke alle: Wahnsinn in Weißensee

    Der gesamte Berliner Nordosten ist ein verkehrspolitisches Desaster. Zu viele Autos, zu viele Menschen, zu wenig Platz. Wer einmal im Berufsverkehr in Pankow über die Romain-Rolland-Straße gefahren ist, möchte seinen Wagen auf der Stelle verschrotten. Leider steht der Bus im gleichen Stau, und auch zu Fuß oder mit dem Rad ist es nicht besser. Siehe Berliner Allee, wo sich seit Jahr und Tag nichts an der Situation bessert.

    Welche Kreuzung hier die schlimmste ist? Suchen Sie sich eine aus; Sie werden immer richtig liegen. Der Abschnitt im Weißenseer Ortskern hat zwei Autofahrstreifen je Richtung, zwei Tramgleise, zwei Gehwege – aber keinen Radweg. Also müssen die Radler zwischen donnernden Schwerlastern, Bussen, Straßenbahnen und Pkw zusehen, dass sie nicht unter die Räder kommen.

    Fußgängern ergeht es nicht besser: Wer jemals mit einem Kleinkind an der Hand versucht hat, an der Ecke Indira-Gandhi-Straße über die Fahrbahn zu kommen, der weiß, wie gefährlich man hier lebt. Anne Vorbringer

    2. Vor der Volksbühne in Mitte: Kraken-Kreuzung aus der Hölle

    Vor der Volksbühne gibt es eine Kreuzung, die sich wie ein Spiel aus der koreanischen Killer-Serie Squid Game ausnimmt: Wer’s nicht schnell genug schafft, der bezahlt mit dem Leben: Rosa-Luxemburg-, Weydinger- und Hirtenstraße bilden hier ein quasi unüberschaubares Dreieck des Todes.

    Man muss sich viermal um die eigene Achse drehen, um sich auch nur einen kleinen Überblick über den von allen Seiten heranpreschenden Verkehr zu machen. Hinzu kommen zackig abbiegende Radfahrer, brüllende LKW-Lenker und dazu natürlich noch alles, was so dazugehört, sprich: Flüche, Beleidigungen und Schmähgesänge.

    Das schwächste Glied ist wie immer der Fußgänger, der nur im wahrsten Sinne des Worte die Beine in die Hand nehmen kann, um so schnell wie möglich die Straße zu überqueren - keine Ampel, kein Zebrastreifen, rein gar nichts wurde hier unternommen, um ihn zu schützen, hier zählt allein die Darwinsche Überlebenstheorie Survival of the fittest, beziehungsweise Survival of the fastet. Marcus Weingärtner

    3. Alexanderstraße/Otto-Braun-Straße: In diesem Spiel gibt’s nur Verlierer

    Als Autofahrer hat man’s in Berlin ohnehin schwer. Überall gibt’s Stau, nirgendwo genügend Parkplätze, ständig wird man von allen Seiten angeblafft – von Radfahrerinnen, von Fußgängern, von anderen Autofahrerinnen und Autofahrern. „Road Rage“ nennt sich das Phänomen der angestauten Aggressionen, die sich im Straßenverkehr so richtig Bahn brechen.

    Nirgends passiert das in Berlin öfter als an der Kreuzung Alexanderstraße/Otto-Braun-Straße, diesem Sinnbild der sinnfreien Straßenplanung: Wer aus Richtung Münzstraße kommt und rechts Richtung Alexa abbiegen will, muss sich auf einen gefährlichen Eiertanz einstellen: Vier Spuren hat die Straße hier, die Rechtsabbiegerspur wird von den anderen Fahrbahnen allerdings durch einen Radweg abgeschnitten.

    Bedeutet in der harten Realität des Berliner Straßenverkehrs: Wer die Spur wechseln will, muss erstmal Dutzende Radfahrerinnen und Radfahrer vorbeiziehen lassen, während hinten die Autofahrenden, die geradeaus weiter düsen wollen, schon nervös hupen. Will man wiederum die Leute im Auto beruhigen und zieht zügig rüber nach rechts, klingeln und brüllen die Radlerinnen und Radler, die gerade aus weiterwollen. Ein gefährliches Spiel, in dem man es niemandem recht machen kann. Am besten, man meidet diese Katastrophen-Kreuzung ganz. Manuel Almeida Vergara

    4. Bersarinplatz in Friedrichshain: Klingelingeling hier kommt die Eisenbahn

    Als routinierter Autofahrer ist man im Berliner Verkehrsgewusel auf viele Situationen vorbereitet: Beim Rechtsabbiegen hält man Ausschau nach Fahrradfahrern von hinten, beim Linksabbiegen achtet man auf den gesamten Gegenverkehr. Am Bersarinplatz in Friedrichshain ist das nicht so einfach. Gerade für Ortsunkundige lauert hier eine Gefahr, mit der nur die wenigsten rechnen.

    Wer vom Frankfurter Tor in Richtung Prenzlauer Berg fährt, hat es vielleicht schon einmal erlebt. Man fährt neben der Tramlinie 21 in den Kreisel, huscht gerade noch so über die gelbe Ampel und muss dann plötzlich stark bremsen. Die Tram bimmelt, als gäbe es kein Morgen mehr, und biegt dann selbstverständlich über beide Fahrspuren in den Weidenweg ein. Den Autofahrer warnt lediglich ein Vorfahrtsschild. Keine Ampel, keine Schranke. Um Haaresbreite lässt sich meist noch die Karambolage vermeiden.

    Hinzu kommt, dass die Petersburger Straße seit einigen Monaten bis zur Landsberger Allee nur noch einseitig befahrbar ist und sich langsam aber sicher zur nervtötenden Dauerbaustelle entwickelt. Statt der neuen Streckenführung zu folgen, stellen unsichere Autofahrer hier also noch die Umleitung in den Gegenverkehr infrage: Plötzlich bremsen sie stark – und ehe man sich versieht, hängt man im Kofferraum des Vordermanns. Dass sich am Bersarinplatz nicht öfter das Blech biegt, grenzt an ein Wunder. Enno Kramer

    #Berlin
    #Kreuzberg #Schlesisches_Tor
    #Schöneberg #Innsbrucker_Platz #Hauptbahnhof #Alexanderplatz
    #Pankow #Heinersdorf #Romain-Rolland-Straße
    #Weißensee #Berliner_Allee
    #Mitte #Alexanderstraße #Otto-Braun-Straße #Münzstraße #Rosa-Luxemburg-Straße #Weydingerstraße #Hirtenstraße
    #Friedrichshain #Frankfurter_Tor #Petersburger_Straße #Bersarinplatz #Weidenweg #Landsberger_Allee

    #Verkehr #Kreuzung #Unfall

  • Jochemplatz
    https://m.kauperts.de/Strassen/Jochemplatz-12163-Berlin

    Heute hat sich die (Ost ?) Berliner Zeitung die schöne Steglitzer Straße „Am.Jochenplatz“ (Ecke Düppelstraße) ausgedacht. Da kann man angeblich am.18.7. zwischen acht und sechs seinen Sperrmüll abladen. Wird nicht hinhauen, weil es weder eine Straße „Am.Jochenplatz“ noch einen Jochenplatz gibt. Richtig wäre diese Ortsangabe gewesen, liebe Lokaljournalistinnen (generisches Femininum) : Düppelstraße 27 Ecke Jochemplatz.

    https://www.berliner-zeitung.de/news/bsr-kieztage-das-sind-die-naechsten-termine-li.2337159

    So ganz nebenbei entdecken.wir eine hübsche Steglitzer Antikommunistengeschichte, denn der Namenspatron des Platz, der Liberale Arthur Jochem war der Ersatzmann der imperialistischen US-Besatzungsmacht für den Kommunisten Fritz Starke, den die roten Befreier Berlins als Steglitzer Bürgermeister nach Ende der Naziherrschaft eingesetzt hatten. Dabei ist es gut zu wissen, dass von allen Berliner Bezirken umd Ortsteilen, abgesehen von Top-Lagen wie Schwanenwerder, Steglitz und das benachbarte Friedenau die übelsten Nazi-Hochburgen der Stadt waren.

    Details
    Details — Jochemplatz PLZ 12163
    Ortsteil Steglitz
    ÖPNV Zone B Bus X76, M48, M76, M85, 181, 186, 282 — U‑Bahn 9 Schloßstraße — S‑Bahn 1 Feuerbachstraße ♿
    Verlauf an Florastraße und Alsenstraße
    Falk Planquadrat Q 13
    Zuständigkeiten
    Geschichte
    Geschichte — Jochemplatz Alter Bezirk Steglitz
    Alte Namen Stubenrauchplatz (vor 1898-1962)
    Name seit 1.12.1962
    Info

    Jochem, Arthur, * 13.12.1874 Elbing, + 8.4.1960 Berlin, Kommunalpolitiker.

    Jochem war bereits vor 1914 Mitglied der Steglitzer Gemeindeverwaltung. Am 27.7.1945 löste er auf Befehl der amerikanischen Militärkommandantur den der KPD angehörenden und durch die sowjetische Militärverwaltung eingesetzten Bürgermeister Fritz Starke ab, der während der faschistischen Diktatur in der illegalen Betriebszelle der Firma R. Fueß in Steglitz mitgewirkt und zur Widerstandsorganisation um Robert Uhrig gehört hatte. Jochem übte das Amt bis zum Dezember 1946 aus.

    #Berlin #Steglitz #Jochemplatz #Geschichte