Umgehung des Mindestlohns : Tricksen bei den Überstunden

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  • Tricksen bei den Überstunden
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    KellnerInnen und TaxifahrerInnen erhalten oft keinen Mindestlohn. Im Fall einer Jamaika-Koalition könnten ihn Arbeitgeber noch leichter umgehen.

    29. 10. 2017, Barbara Dribbusch

    Jonas Bohl, Medienreferent bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): „Zahlt ein Arbeitgeber keinen Mindestlohn, raten wir den Leuten, ihre Arbeitszeit selbst täglich zu doku­mentieren, das heißt aufzuschreiben, wann sie gekommen und wann sie gegangen sind. Das sollte ein Kollege dann noch mit seiner Unterschrift bestätigen, als Zeuge“.
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    Für manche Arbeitgeber sind Manipulationen mit der Arbeitszeit inzwischen eine Art Gewohnheitsrecht. „Die Arbeitszeit für die Bücher ist das eine, die Wirklichkeit das andere“, sagt Dimitri F., der in Berlin Taxi fährt. Sein Unternehmer hat dem 40-Jährigen vorgerechnet, dass F. pro Stunde 25 bis 30 Euro Kasse machen müsste, damit der Stundenlohn von 8,84 Euro brutto für ihn finanzierbar sei. „Der Chef sagt, die Kosten für das Auto, die Sozialversicherungen und den Krankheitsausfall sind so hoch, da könne er nicht den Mindestlohn zahlen, wenn ich zu lange an der Halte stehe“.

    Auch F. akzeptiert, dass nicht die gesamte Arbeitszeit als solche dokumentiert wird. „Natürlich kann man protestieren“, sagt er, „aber dann sagt der Chef: Ich muss dich leider entlassen. Sonst gehe ich pleite“. Eine Software, die längere Standzeiten automatisch als „Pause“ wertet, wenn man nicht etwas anderes eingibt, ist in der Branche berüchtigt.

    Frederik Wilhelmsmeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes BZP, kennt die Manipulationen bei der Arbeitszeitdokumentation. „Das sind Fehlentwicklungen. Außerdem ist das eine Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der legal arbeitenden Betriebe“.
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    Claudia Falk, Mindestlohnexpertin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dokumentierte auf der DGB-Homepage ein Interview mit Dörthe Sund, Mitarbeiterin beim Jobcenter Vorpommern-Rügen. Sund erzählte von einem Arbeitgeber im Gaststätten­bereich, der geheime „Schwarzbücher“ auslegte, in denen Beschäftigte ihre Überstunden eintrugen, die dann nur mit 5 Euro die Stunde vergütet wurden. Da das Jobcenter an diese Bücher nicht herankam, sei die Beweislage für eine Klage leider sehr dünn, bedauerte Sund.

    Doch es gibt noch die Überprüfungen der Betriebe durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Hauptzollämter. In Berlin wird jede dritte Ermittlung auf diesem Gebiet durch private Tippgeber, oft anonym, angestoßen, ergab eine taz-Anfrage an das Hauptzollamt Berlin.

    Bundesweit wurden im ersten Halbjahr 2017 aufgrund von Überprüfungen rund 2.400 Ermittlungsverfahren wegen nicht gezahlter Mindestlöhne eingeleitet. Dadurch wurden Bußgelder in Höhe von fast 19 Millionen Euro fällig. Die Beschäftigten haben aber nichts vom Bußgeld, ihren Lohn könnten sie nur als Einzelperson vor einem Zivilgericht einklagen.

    Die Arbeitgeber stöhnen über die Dokumentationspflicht für Mindestlöhner. Für die Gewerkschaften aber ist „die Aufzeichnung von Arbeitszeiten der Dreh- und Angelpunkt“, sagt Claudia Falk. Union und FDP wollen die Dokumentationspflicht für die Arbeitszeit einschränken. „Unser erklärtes Ziel ist der Abbau unnötiger Bürokratie gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode“, heißt es im Wahlprogramm der Union. Die CDU-Mittelstandsvereinigung will Minijobber ganz von der Dokumentationspflicht ausnehmen.

    #Taxi #Mindestlohn