• Pyro-Angriff in Berlin-Neukölln: Kiezinstanz Musik-Bading durch Feuer zerstört - Berlin - Tagesspiegel Mobil
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    Seit April 1919 war Musik-Bading in Berlin-Neukölln eine Institution. Nun brannte das Geschäft in der Silvesternacht aus. Eine Wiedereröffnung wird es wohl nicht geben.

    In der Silvesternacht ist das Neuköllner Traditionsgeschäft Musik-Bading komplett ausgebrannt. Aus einer Gruppe von 50 Personen heraus sollen zwei Angreifer die Ladentür eingeschlagen und Pyrotechnik hineingeworfen haben, die den Brand auslöste. Drei Frauen mussten von der Feuerwehr aus ihren Wohnräumen im Gebäude gerettet werden, zwei kamen zur Beobachtung in ein Krankenhaus. Die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung.

    Die Musikalienhandlung ist seit ihrer Eröffnung am 1. April 1919 eine Institution im Kiez. Gründer Erich Bading entstammte einer alten Rixdorfer Bürgerfamilie und war leidenschaftlicher Musiker. Zuletzt führte seine Tochter Brünhilde Schibille mit mittlerweile über 90 Jahren das Geschäft.

    Mit Instrumenten, Schallplatten und Notenblättern bot Musik-Bading Musikliebhabern ein breites Angebot. Nun steht die Familie, der auch das dazugehörige Mietshaus gehört, vor den Trümmern ihrer Existenz. Mitarbeiter Dieter Götz, bereits selbst Rentner, hat wenig Hoffnung auf eine Neueröffnung: „Wir wollten eigentlich im nächsten Jahr unser 100-jähriges Jubiläum feiern“, sagt er, „aber nun ist von unseren Räumen und dem Inventar nichts mehr zu retten.“

    Musikalienhandlung Bading in Neukölln: Eine Zeitreise der leisen Töne | Berliner Zeitung
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    Die Vergänglichkeit verneigt sich in Form dottergelber Neonschrift auf splissigen, ehemals tannengrünen Buchstaben an der verwitterten Fassade an der Ecke Karl-Marx-Straße/Thomasstraße im Süden Neuköllns. Das A von Musik BADING hat sich aus der Verankerung gelöst und hängt von der Hauswand. Passanten schieben sich an Geschäften von Gesundheitsdienstleistern, Billigtextilien und Tiefpreismatratzen vorbei. Manch einen bringt der Blick in die vergitterten Schaufenster von Musik Bading aus dem Rhythmus. Mit stumpfem Goldsamt ausgeschlagene Wände, verblasste Plakate, davor Gitarren, Perkussionsinstrumente, Vinylschallplatten aus den 1960er Jahren.

    Drinnen im Laden der Geruch von Lötfett, Röhrenradios und altem Teppichboden. Hinter dem Tresen empfängt Brünhilde Schibille, Tochter des Firmengründers Erich Bading, die Kunden. Es ist ein Geschäft mit langer Tradition, ein Exot in der heutigen schnelllebigen Zeit.

    Mit 67 Jahren der Jüngste

    Am 1. April 1919 öffnete die Musikalienhandlung zum ersten Mal die Türen. 97 Jahre später steht die hochbetagte Tochter des Firmengründers vor der Notenabteilung. In der sind Hunderte Noten alphabetisch nach berühmten Komponisten sortiert. Chopin hat sogar zwei Fächer, einmal von A-N, das zweite von P-Z. „Guten Tag“, grüßt auch Liane Bading, Schwägerin von Brünhilde Schibille.

    Auf einem Stuhl vor dem Verkaufstresen sitzt die 71-jährige Ingrid Eckert und fächert sich Luft zu. Sie hat 47 Jahre bei Musik Bading in der Buchhaltung gearbeitet, bis vor acht Jahren Vollzeit, bis Ende 2015 alle zwei Wochen. Jetzt kommt sie einmal die Woche auf einen Plausch vorbei, oder zweimal. Auch Dieter Götz arbeitet seit 47 Jahren hier . Er ist eine Art Sachwalter des einstmals größten Musikhauses im Südwesten Berlins.

    Alle vier könnten schon lange in Rente sein. „Noch geht es, und zu Hause fällt uns die Decke auf den Kopf“, sagt Dieter Götz, mit 67 Youngster des Quartetts. Ohne ihn gäbe es das Geschäft nicht mehr, er hält es am Leben: Er weiß noch, wo sich alles findet, und ist mit dem heutigen Bestellwesen vertraut.

    Vier Tage die Woche, Montag bis Donnerstag, hat die Musikalienhandlung geöffnet. Vor zwei Jahren wurde schon mal die Schließung verkündet, aber die Kunden hätten sie bekniet, zu bleiben. „Im Sommer machen wir zwei Monate zu, so geht das halt noch“, erklärt Liane Bading. Am 12. September wird wieder geöffnet. Ihr verstorbener Mann Hans-Joachim war der Bruder von Brünhilde Schibille.

    Mitte der 1950er Jahre hatte Liane Bading, damals noch Fräulein Wendt, als Fachverkäuferin bei Musik Bading gearbeitet. Dann verliebte sie sich in Hans-Joachim Bading, und ihr Chef in sie. Ihr Arbeitsbereich war die Schallplattenabteilung. „Kommse“, sagt die schmale Frau und geht langsam in den Nebenraum. Verblichene Werbeplakate von Peter Alexander, Drafi Deutscher, Catarina Valente und Gus Backus hängen an den Wänden.

    In Ständern stecken Langspielplatten der letzten fünfzig Jahre, von Engelbert Humperdinck bis Herbert von Karajan. Ein prominenter Berliner hängt mit signiertem Plakat in der Schallplattenabteilung. „Frank Zander, der hat bei uns seine erste Gitarre gekauft“, erzählt Liane Bading stolz. „Er kommt noch manchmal rein. Ein toller Mann, der ist so normal geblieben“, schwärmt sie. Unter dem L-förmigen Tresen sieht man ein halbes Dutzend Dual-Plattenspieler, davor stecken Bakelit-Hörer. „Hier haben die Leute sich die Platten angehört“, erklärt sie und streicht zärtlich über das ausgeblichene Resopal des Tresens. Gegenüber befindet sich in der Wand ein kleines Fenster. Mehr als dreißig Jahre war hier die Theaterkasse des Hauses untergebracht.

    In den Regalen im Raum nebenan standen früher Dutzende Fernseher, Tonbandgeräte und Radios. „Mann, haben wir Farbfernseher verkauft zur Fußball-WM 1974“, erinnert sich Dieter Götz. Die letzten guten Verkaufszeiten liegen mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. „Als die Mauer fiel, da kamen die Menschen aus Ost-Berlin und kauften uns den Laden leer. Da ging es noch mal richtig rund.“ Allerdings nur zwei, drei Jahre. Dann öffneten die Elektronikdiscounter, und seither geht es bergab. Bis heute.

    29 Angestellte hatte das Musikhaus, als Götz 1967 als Auslieferungsbeifahrer anfing. „Sechs in der Werkstatt, vier Fahrer mit Beifahrer, fünf in der Buchhaltung, die Theaterkasse, und so weiter.“ Noch mehr Menschen arbeiteten vor dem II. Weltkrieg bei Musik Bading. Im Keller gab es ein Dutzend sogenannter Vorführräume. Kleine mit Samt ausgeschlagene Séparées, in denen zuerst Grammophone, später die ersten Röhrenplattenspieler standen. Hier konnte die betuchte Kundschaft den neuesten Schellackplatten der Deutschen Grammophon auf kleinen Sesseln lauschen. Dazu gab es Getränke und Kleinigkeiten zu essen.

    Firmengründer Erich Bading war nicht nur ein großer Musikfreund, er war auch ein Freund bekannter und berühmter Musiker, Komponisten und Sängerinnen. In den Gängen zu den heute leeren Vorführräumen zeugen zahlreiche Fotowidmungen etwa von Richard Tauber und Wilhelm Furtwängler von Badings Freundschaften mit Musikern. Bis Anfang der 1950er Jahre betrieb er sogar eine eigene Konzertagentur.

    „Oben hatten wir noch eine Klavier- und eine Orgelabteilung“, berichtet Dieter Götz, „da ist jetzt ein Türke mit Trödelladen drin.“ „Sehr nette Leute“, ergänzt Liane Bading. „Wenn das Haus sich nicht in Familienbesitz befände, wäre hier schon lange dicht“, sagt sie noch.

    Saiten für die Gitarre
    „Herr Götz“, schallt es von Brünhilde Schibille. Oben im Laden fragt ein junger Mann mit Drei-Tage-Bart nach einer Panflöte. Dieter Götz zeigt ihm zwei Modelle. Eine in C-Dur, eine in D-Dur, 60 und 136 Euro. Eine Frau mit zehnjährigem Steppke kauft eine Ukulele für 39 Euro. „Natürlich haben wir dafür auch Noten“, sagt die Seniorchefin zuvorkommend, mit Glanz in den Augen. Könnte am Jungen liegen, dem sie zweimal durchs Haar fährt.

    Der nächste Kunde fragt nach Saiten und Kapodaster für seine Gitarre. Drei verschiedene Ausführungen führt Dieter Götz vor. „Welches empfehlen Sie?“, fragt der Kunde. „Das für zehn Euro, das reicht.“ „Nehm ich.“ Eine junge Frau betritt beschwingt den Laden, und fragt nach einem Tamburin. „Herr Götz“, ruft Brünhilde Schibille, zwinkert der jungen Frau zu und versichert: „Da haben wir bestimmt was Schönes für Sie.“

    Musik-Bading: Karl-Marx-Straße 186, Rixdorf, ab 12. September wieder Mo-Do 11-18 Uhr geöffnet.

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