• Suhrkamp: Die unterschätzte Coolness der Ulla B. - WELT
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    Im Streit um Suhrkamp geht es um vieles, aber nie um Haltung. Dabei besitzt die Verlegerin Ulla Berkéwicz mehr Sinn für Poesie und Größe als die meisten ihrer Autoren und Richter. Eine Verteidigung.

    Von Ulf Poschardt | Veröffentlicht am 07.01.2013

    George Steiner ließ seinen jungen Freund Durs Grünbein alt aussehen. Leichtfüßig tänzelte der 83-jährige Literaturwissenschaftler den 49-jährigen Geniemimen aus. Steiner klagte die Gegenwartsliteratur an, ein narzisstischer Kanon banaler Mittelschichtneurosen zu sein, der nichts von den Revolutionen der Naturwissenschaften verstehe und selten so gut geschrieben werde wie „Harry Potter“, dessen wissenschaftliche Analyse noch ausstehe. Die Zukunft der Literatur sei zudem weiblich, schalkte Steiner, das Denkpatriarchat werde fallen.

    Grünbein antwortete beflissen, doch Lacher und Pointen gehörten Steiner. Unglücklich war der in Paris geborene Jude dennoch, zu nahe fühlte er sich in der Verlegerinnen-Villa in Nikolassee dem Ort, an dem einst seine Auslöschung geplant wurde: das Haus der Wannseekonferenz.

    Das war ein wenig typisch für den Glanz der Soireen bei Ulla Berkéwicz, noch typischer aber war die Erkenntnis, dass angesichts der großen Geister des Verlags die Nachgeborenen ein wenig streberhaft und unbedarft daherkommen – und auf aufgemotzte Art bieder.

    Die Chuzpe der alten Meister

    Grünbeins Scheitern war auch das Scheitern einer netten, belesenen Generation von Intellektuellen, der die Gravitas und Wucht, aber auch die Chuzpe und Unabhängigkeit der alten Meister fehlt.

    Mit dem Tod gleich zweier zentraler Figuren der Nachkriegsmoderne, Samuel Becketts und Thomas Bernhards, verlor die Gegenwartsliteratur bei Suhrkamp 1989 an Halt, abgesehen vielleicht von Peter Handke. Die bedeutenden amerikanischen Autoren von William S. Burroughs über Thomas Pynchon bis zu Bret Easton Ellis landeten bei Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch oder anderswo.

    Rainald Goetz mit seinem die Dinge verändernden Debüt „Irre“ 1983 war ein Solitär in der deutschsprachigen Suhrkamp-Literatur. Es blieben possierliche Popliteraten, die Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll nur aus dem Oberseminar kannten, Sprachwirbler und aufgerüschte Denkakrobaten von barocker Selbstüberschätzung. Dazu kamen Tellkamps langweiliger, aber erfolgreicher „Turm“, Albert Ostermaiers expressionistische Wortglut – und Clemens Setz als echte Hoffnung.

    In Sichtweite der Studentenrebellion
    Ziemlich genau vierzig Jahre ist es her, dass George Steiner den Begriff der „Suhrkamp Culture“ erfand und damit jenem Pakt zwischen Intelligenzija, Boheme und akademischem Milieu ein Qualitätssiegel verlieh, das dem Verlag schmeichelte.

    Suhrkamp war in Sichtweite der Studentenrebellion auf der Höhe der Zeit und blieb es nahezu unangefochten, bis aus der Etabliertheit irgendwann Hybris und aus dem weltanschaulichen Kampfauftrag sektiererischer Irrsinn wurde.

    1979 stöhnte Marcel Reich-Ranicki in der „Frankfurter Allgemeinen“ über die „Abhandlungen über die Rolle des Orgasmus im Klassenkampf und über den Beitrag der Zahnmedizin zur Befreiung der Arbeiterklasse“. Das war polemisch, traf aber einen Punkt. Die wirklich interessanten, insbesondere linken Theorien erschienen bei Kleinverlagen wie Merve.

    Die großen Fragen der Menschheit
    Ulla Berkéwicz hat dies erkannt und ahnte nicht erst 2003 bei ihrer Übernahme, dass die Pflege des Status Quo und einer exquisiten Backlist nicht ausreichen würde, um den Muff unter den linken Talaren zu vertreiben.

    Vorsichtig und behutsam änderte sie den Kurs – mit der Edition Unseld, die den Austausch zwischen immer noch kaum miteinander bekannten Wissensbereichen von der Physik und Neurowissenschaft bis zur Philosophie und Wissenssoziologie betreibt, der Edition Nova oder der verdienstvollen Filmedition mit cineastischen Kostbarkeiten von Godard, Kluge und Fritz Lang.

    Exakt um jene neuen Horizonte ging es an jenem denkwürdigen Abend im vergangenen März dem unruhigen Geist Steiner. Er erklärte, die großen Fragen der Menschheit und des Universums würden nicht mehr gestellt und die Kraft dichterischer Philosophie – Hegels Gedicht für Hölderlin, Wittgensteins Sehnsüchte, sein Werk in Verse zu setzen, und jene mythisch gewordene Begegnung zwischen Paul Celan und Martin Heidegger – sei abgetaucht.

    Mehr Mut! Mehr Neugier!

    Steiner, der 83-Jährige, stand da und erklärte heimlich, was er sich von der künftigen Suhrkamp-Kultur wünschte. Und von ihren Autoren: mehr Mut, mehr Neugier, mehr Größe, weniger Biedermeier.

    Ulla Berkéwicz lebt das auf sehr amerikanische, fast aufreizend verspielte Art aus. Der Umzug nach Berlin 2010 war ebenso naheliegend wie richtig. Ihr Versuch, die von Habermasianern besiedelte Edition Suhrkamp mittels Verpackung zur Boutiquenware zu machen und in Berlins modischer Mitte eine temporäre Suhrkamp-Lounge einrichten zu lassen, war eine ebenso ironische wie imagebildende Idee, mit der sie die Suhrkamp-Kultur dahin brachte, wo sie vor allem Culture war, ein Lifestyle-Accessoire und eine IQ-Behauptung.

    Das war auch ein Fausthieb in die Magengrube jener einst so gern verlegten Stadtsoziologen mit ihrem Gentrifizierungsgejammer, setzte diese Hochkultur-Boutique doch der Aufwertung des Viertels die bildungsbürgerliche Krone auf. Auch die Bücher wurden anders.

    Eine trübe Pointe

    Die Verlegerin, die als Schauspielerin ihr Leben als Werk begann, nahm Suhrkamp die verknöcherte Humorlosigkeit und schuf neue Lässigkeit. Rainald Goetz, der Sprachbesessene, veröffentlichte einen Fotoband, die Schriften von Jonathan Meese erschienen in der Edition, und Rafael Horzon, der Karl Valentin von Berlin-Mitte, alberte da weiter, wo Robert Walser irre geworden war.

    Das ausgerechnet die Verlegerinnen-Villa an der Rehwiese nun zum Verhängnis zu werden droht, ist eine trübe Pointe. Natürlich hat die Villa etwas Protziges und Parvenühaftes, wie Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ sauertöpfisch bemerkt. Aber gerade das ist ein Befreiungsschlag gegen das kleinbürgerliche und mittelschichtsfixierte Denken und Schreiben der deutschen Intelligenz. Ulla B. did it her way – nicht wie Frank Sinatra, sondern wie Sid Vicious.

    Die 1909 gebaute Villa wurde mit einer Art monströsem Schaufenster ausgestattet, welches die burgartige Verpanzerung des Gründerzeitbaus zur Straße und in die Tiefe öffnete. Wer es über den – Empörung! – beheizbaren Weg nach oben an die Treppe zum Haus geschafft hatte, konnte auf die liebliche Rehwiese und ein wenig auf den Rest der Welt hinabblicken.

    Gerüchte über ein Übernahmeinteresse

    Diese Topografie hat etwas Anmaßendes und Spielerisches zugleich. Fortgesetzt wird dieses Schwanken zwischen Grandezza, Pathos und albernem Kitsch auch im Inneren.

    Natürlich dürfen Minderheitsgesellschafter, so halbseiden und unbelesen sie auch daherkommen, die Frage nach der wirtschaftlichen Vernunft der Verlegerin aufwerfen. Natürlich kann ein Richter auch ohne jedes Wohlwollen oder gar Verständnis über die Soireen der Verlegerin urteilen.

    Aber das sollte nicht den Blick auf das doch eher größere Ganze verstellen. Instinktiv hat sie die Aporien der Frankfurter Jahre erkannt und mit den zeitgenössischen Waffen einer Frau, was im Steinerschen Sinne als Kompliment gemeint sein will, mit der Kraft eines Neuanfangs in Berlin korrigiert.

    Auch Peter Suhrkamp war ein lausiger Buchhalter, es wäre schade, wenn Ulla Berkéwicz’ buntscheckiger Aktionismus und ihre soziale Intelligenz ihr Forum verlören. Hubert Burda soll, so raunt man, Interesse am Verlag haben. Was für eine hübsche Pointe! Der große Denker Friedrich Kittler erhielte dort, wo er hingehört, endlich eine Gesamtausgabe – im Verlag von Hegel, Benjamin und Gilles Deleuze. Burda, übernehmen Sie!

    Verlag: Der tiefe Fall des hohen Hauses Suhrkamp - WELT
    https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article112063412/Der-tiefe-Fall-des-hohen-Hauses-Suhrkamp.html

    Und dann kauft sich Ulla Berkéwicz eine Villa in Berlin-Nikolassee und lässt sie äußerst luxuriös umbauen. Von vornherein ist das Anwesen an der Gerkrathstraße 6 als repräsentative Adresse des Verlag vorgesehen. Mit dem Umzug des Verlags nach Berlin wird die bisherige Dependance in der Fasanenstraße aufgegeben. Und natürlich hat Berkéwicz dabei das Frankfurter Vorbild im Sinn: die inzwischen immer noch einmal im Jahr für den traditionellen Kritikerempfang zur Buchmesse entstaubte Unseld-Villa in der Klettenbergstraße. Sie wird mit dem neuen Haus nicht nur ersetzt, sondern geradezu überbaut. Das Frankfurter Haus, wo sich die Kritiker reinquetschen, dürfte in die Berkéwicz-Villa gleich mehrfach passen, vom Garten, den man wohl eher einen Park nennen kann, ganz zu schweigen.

    Man kann das übertrieben finden, aber gegen Reichtum und Glanz ist ja gerade im sonst eher unglamourösen deutschen Literaturbetrieb nichts einzuwenden. Doch macht Ulla Berkéwicz nun einen entscheidenden Fehler: Sie vermietet einen großen Teil der Villa, in der zum Beispiel auch ihr Chauffeur wohnt, an den Verlag, dessen Geschäftsführerin sie ist. Kostenpunkt 6600 Euro im Monat. Und sie hat dem Verlag auch Einrichtungsgegenstände auf die Rechnung gesetzt, „Möbelstücke, Küchen“, wie Barlach sagt.
    Bei der Nebenkostenabrechnung verrechnet

    Das Problem ist allerdings: Es ist nicht allein ihr Verlag, wie es auch nie der Verlag Siegfried Unselds war. Die Reinharts hatten keinen Grund, der Geschäftsführung zu misstrauen. Barlach tut das aber und stößt auf den merkwürdigen Deal, der, selbst wenn er legal gewesen wäre, ein seltsames Licht auf die Geschäftsführung wirft. Warum muss man für gelegentliche Veranstaltungen gleich das ganze Ding dauerhaft mieten? 552 Quadratmeter sind ziemlich viel Platz, um da ab und zu mal einen Gastautor aus Lateinamerika unterzubringen.

    Man hatte geglaubt, es bestehe keine Informationspflicht, weil im Gesellschaftervertrag offenbar eine Grenze von 75.000 Euro für solche Ausgaben festgelegt ist. Erst danach muss der Kommanditist zustimmen. Doch ist man bei der peinlich genauen Berechnung der Konstruktion von der Kaltmiete ausgegangen. 6600 Euro beträgt aber die Miete mit Nebenkosten und mal zwölf macht das nach Adam Riese 79.200. Dumm gelaufen. Es wäre ein bitterer Scherz des Weltgeistes, wenn der Suhrkamp Verlag am Ende an einer Nebenkostenabrechnung zugrunde ginge.

    Man hat die Gefahr, die dem Verlag durch solches Geschäftsgebaren droht, vollkommen unterschätzt. Noch zwei Tage vor dem Berliner Urteil gab Suhrkamp-Anwalt Peter Raue der„Berliner Morgenpost“ ein Interview, in dem er dem Verfahren nur „untergeordnete Bedeutung“ zubilligen wollte, er sehe dem „gelassen“ entgegen; Barlach habe eben eine „Klagewut“ und sei von Hass getrieben. Wütend sind allerdings, wie man hört, vor allem die Suhrkamp-Mitarbeiter, weil die Gefahr so unterschätzt wurde. Was hat man nun von der Versicherung des Anwalts zu halten, auch Barlachs Frankfurter Antrag auf Auflösung des Verlags habe „keine Chance“?

    Unseld-Berkéwicz abberufen: Suhrkamputt: Haus ohne Hüterin - Bücher - FAZ
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/unseld-berkewicz-abberufen-suhrkamputt-haus-ohne-hueterin-11988908.html

    Das Urteil des Berliner Landgerichts im Prozess der Medienholding Winterthur gegen die Geschäftsführung des Suhrkamp Verlags ist eindeutig: Die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz hat die Räume ihrer Privatvilla im Berliner Stadtteil Nikolassee (unser Bild oben) rechtswidrig an ihren eigenen Verlag für Veranstaltungen und Übernachtungen vermietet. Deshalb müssen Frau Unseld-Berkéwicz und ihre Mitgeschäftsführer Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe dem Verlag zusammen 282.486 Euro Schadenersatz zahlen sowie alle Kosten ersetzen, die im laufenden Jahr durch die Anmietung des größten Teils der Villa für monatlich 6600 Euro entstanden sind.

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