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  • Straßen nach im Dienst getöteten Polizisten benannt: Unbekannte überkleben Straßenschilder mit Namen von Anschlagsopfern - Berlin - Tagesspiegel Mobil
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/strassen-nach-im-dienst-getoeteten-polizisten-benannt-unbekannte-ueberkleben-strassenschilder-mit-namen-von-anschlagsopfern-/26743274.html

    Da waren ein paar Anwohner nicht mit dem Heldengedenken für Polizisten einverstanden. Manche im Kiez kennen die Polizei nicht als „Freund und Helfer“ sondern als Feind und Unterdrücker. Die Heldensträßchen wurden ihnen genau vor die Nase gesetzt und erinnern sie jeden Tag daran, wo der Feind steht. Straßenschnipsel laden ein, auf die zu speien, die keine Gnade verdienten. Deeskalation sieht anders aus.

    Wäre es den Straßenumbenennern ausschließlich um eine angemessene Würdigung der im Dienst verstorbenen Beamten gegangen, hätten ihre Namen einen Platz auf einer Gedenktafel in einem Polizeigebäude gefunden. Hier wurde statt dessen einem Kiez der Krieg erklärt.

    22.12.2020 von Madlen Haarbach - Erst im Februar wurden zwei Straßen in Neukölln nach im Dienst getöteten Polizisten umbenannt. Nun haben Unbekannte die Namen überklebt – mit jenen der Anschlagsopfer aus Halle.

    Am Montagmittag überklebten Unbekannte Straßenschilder in Berlin-Neukölln, die die Namen von zwei im Bezirk im Dienst getöteten Polizisten tragen. 

    Sowohl die Schilder der Roland-Krüger-Straße als auch der Uwe-Lieschied-Straße wurden beidseitig mit einem neuen Namen überdeckt. Alarmierte Einsatzkräfte entfernten die Überklebungen.

    Die Schilder seien mit den Namen der beiden bei dem Anschlag in Halle getöteten Menschen verdeckt worden, sagte eine Polizeisprecherin am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Auf zwei Schildern wurde außerdem eine Seite mit dem Schriftzug „say their names“ (Deutsch: Sagt ihre Namen) versehen.

    Bei dem Anschlag in Halle am 9. Oktober 2019 wurden Jana L. und Kevin S. getötet, nachdem ein Terrorist versucht hatte, in die Synagoge in Halle einzudringen und dort die Gläubigen umzubringen.

    Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte den rechtsextremen Attentäter am Montag zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

    Die überklebten Straßenschilder stehen vermutlich in Zusammenhang mit dem Prozess. Zu den genauen Hintergründen machte die Polizei zunächst keine Angaben.

    Die Straßen wurden erst im Februar nach den beiden Polizisten benannt, die 2003 und 2006 im Dienst getötet wurden. In der Vergangenheit waren ihre Gräber und auch Gedenktafeln wiederholt Ziel von Farbanschlägen und Vandalismus.

    Im April wurden die beiden Gräber verwüstet, Grabsteine umgeschmissen und mit Hakenkreuzen beschmiert.

    Lasst die Toten ruhen, heisst es. Das funktioniert nicht nicht mit Helden, auch nicht mit verbeamteten.

    OSM Roland-Krüger-Straße: https://www.openstreetmap.org/way/32133489

    OSM Uwe-Lieschied-Straße / Uwe-Liedschied-Straße: https://www.openstreetmap.org/way/32118083

    Roland-Krüger-Straße in Berlin - KAUPERTS
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Roland-Krueger-Strasse-Berlin

    Ehemaliger Bezirk Neukölln
    Vorheriger Name Kopfstraße (zwischen Morusstraße und Lessinghöhe)
    Name seit 27.02.2020
    Der Kommissar Roland Krüger stürmte 2003 an der Spitze eines Spezialeinsatzkommandos eine Wohnung in Neukölln, um einen gesuchten Täter festzunehmen. Der gesuchte Mann schoss mehrfach auf die Polizisten. Roland Krüger wurde am Kopf getroffen und starb wenige Tage später.

    Uwe-Liedschied-Straße in Berlin - KAUPERTS
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Uwe-Liedschied-Strasse-12053-Berlin

    Ehemaliger Bezirk Neukölln
    Vorheriger Name Morusstraße (zwischen Rollbergstraße und Werbellinstraße)
    Name seit 27.02.2020
    Uwe Lieschied wurde im März 2006 erschossen, als er auf Zivilstreife am Volkspark Hasenheide unterwegs war. Als er zwei Handtaschenräuber festnehmen wollte, schoss einer der beiden Männer um sich und traf die linke Schläfe des Polizisten. Er verstarb vier Tage später.

    Der Autor dieser Zeilen fühlt sich nicht so getroffen von den Polizeistraßenumbenennungen wie manche in Neukölln. Ihn stört die Zerstückelung über Jahrhunderte gewachsener städtischer Zusammenhänge, die sich als Straßennamen äußern und täglich in das Unterbewusstsein der Städter einbrennen.

    Die Morusstraße teilweise umzubenennen zerstört, was vom städtischen Kontext nach Krieg, brutaler Kiez-Modernisierung und scheibchenweiser Umnutzung der ehemaligen Schultheiss-Brauerei noch übrig ist. Eine alte Lessingstraße 1950 in Morusstraße umzubenennen wäre besser in Tiergarten erfolgt, wo bereits zuvor viele andere christliche Rebellen mit Straßennamen geeehrt wurden. Immerhin blieb die Neuköllner Lessing- und nunmehr Morusstraße ein Ganzes mit einheitlichem Namen. Das 2020 umbenannte Zipfelchen zwischen Rollber- und Werbellinstraße überschreibt den historischen Straßenverlauf und bedeutet einen weiteren Identitätsverlust für Berlin und seine Bewohner.

    Das gilt auch für die ebenso halbherzig teilweise umbenannte Kopfstraße.

    Im Zeitalter der Mini-Bildschirme von Navigationsgeräten ist dieser Umgang mit Straßen und ihren Namen zugleich Folge und Verstärker der grassierenden Unfähigkeit, Zusammenhänge wahrzunehmen. Sogar der patentgefaltete Falk-Plan vermittelte immer einen größeren Zusammenhang. Im Digitalzeitalter gibt es für Menschen nur noch winzige Kartenausschnitte, zusammengesetzt aus unendlich kleinen Punkten im Raum, symbolisiert und lokalisiert von ausschließlich durch EDV-Systeme verarbeitbare Koordinaten.

    Dank der Nachlässigkeit des Kaupert-Verlags erstreckt sich die Morusstraße zumindest in ihrem Datenbankeintrag weiter bis zur Rollbergstraße.

    Morusstraße 1-32 in Berlin - KAUPERTS
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Morusstrasse-12053-Berlin

    Straßenverlauf von Rollbergstraße bis Mittelweg
    Falk‑Stadtplan Planquadrat P 19
    Geschichte von Morusstraße
    Ehemaliger Bezirk Neukölln
    Alte Namen Lessingstraße (vor 1882-1950)
    Name seit 14.2.1950
    More (Morus, Moore), Thomas, * 7.2.1478? London, + 6.7.1535 London, englischer Politiker, Philosoph.

    Auch die Kopfstraße ist und bleibt wahrscheinlich unangetastet im nach und nach verlotternden Kaupert.

    Kopfstraße 14-65 in Berlin - KAUPERTS
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Kopfstrasse-12053-Berlin

    Straßenverlauf von Hermannstraße über Morusstraße rechts Nr 14-26, links 38-65
    Falk‑Stadtplan Planquadrat P 18-19
    Geschichte von Kopfstraße
    Ehemaliger Bezirk Neukölln
    Name seit vor 1877
    Sie soll nach den Kopfschmerzen, die die Suche nach einem Straßennamen verursacht haben, benannt sein.

    Wie schön, wenn es ein wenig menschelt. Das läßt auf Zusammenhänge hoffen.

    #Berlin #Neukölln #Straßenumbenennung #Roland-Krüger-Straße #Uwe-Lieschied-Straße #Uwe-Liedschied-Straße #Morusstraße #Kopfstraße #Lessingstraße #Polizei #Widerstand #Vandalismus #Revierkämpfe #Heldenverehrung #ACAB

  • Konkrete Ideen für den Hermann-Ehlers-Platz: Der zentrale Platz im Südwesten soll schöner werden - Bezirke - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/steglitz-zehlendorf/konkrete-ideen-fuer-den-hermann-ehlers-platz-der-zentrale-platz-im-suedwesten-soll-schoener-werden/27029726.html

    Die Taxihalte sollte wieder an den östlichen Rand des Platzes verlegt werden, weil nur dort gefahrloses Verlassen des Fahrzeugs möglich ist. EIne für den ÖPNV reservierte Toilette, Trimm-Dich/Sportgeräte unmitelbar neben der Taxihalte sowie gestaltete Aufenthaltsbereiche, in denen die Kolleginnen und Kollegen die langen Wartezeiten zur Kommunikation und als Abwechslung vom endlosen Sitzen verbringen können wären echte Fortschritte.

    23.03.2021, von Boris Buchholz - Seit Jahrzehnten macht der Aufenthalt auf dem Hermann-Ehlers-Platz wenig Freude: Keine Bänke, viel Dreck, kaputtes Pflaster.

    „Mangelnde Aufenthaltsqualität“ ist die Eigenschaft, die dem bedeutendsten Platz in Steglitz-Zehlendorf in den letzten Jahren wohl am häufigsten in der Diskussion zugeschrieben wurde. Die größten Pluspunkte des Hermann-Ehlers-Platzes sind seine Lage, der Wochenmarkt, die Platanen und die Spiegelwand, die an die Ermordung Steglitzer Jüdinnen und Juden erinnert und auf die ehemalige Synagoge in der Düppelstraße hinweist.

    Auf dem Platz dominiert die Unfreundlichkeit: Es gibt keine Bänke, der Platz ist dreckig, das Pflaster uneben, der „Brunnen“ vernüllt und die Hochbeete abschreckend. Jetzt endlich soll der Platz verändert werden – hier der Bericht aus dem Steglitz-Zehlendorf-Newsletter des Tagesspiegels:

    Sitzen, Kaffee trinken und speisen auf der heutigen Versorgungsstraße entlang der Häuserzeile, ein ebenerdiges Wasserspiel in der Nähe des U-Bahnausgangs, mehr Sitzgelegenheiten, ein barrierefreies Pflaster und ein überdachter Fahrradständer mit oder ohne Kiosk an der Bushaltestelle gegenüber des Kreisels – so könnte die Zukunft des Hermann-Ehlers-Platzes aussehen.

    Nach vielen Jahren, in denen sich Debatten und Wünsche mit Stillstand und Schweigen abwechselten, könnte der bedeutendste Platz des Bezirks kurz vor der Umgestaltung stehen. Was lange währt, wird endlich konkret.

    Bis zum 31. März präsentiert das Grünflächenamt seine Pläne für den Platzumbau online – und bittet um Ideen und Anmerkungen. Auf der Beteiligungsplattform mein.berlin.de zeigt das Amt erste Skizzen (einen funktionierenden Link zur pdf-Datei finden Sie unter „über das Projekt“).

    https://mein.berlin.de/projekte/aufenthaltsqualitat-des-hermann-ehlers-platzes-ste
    https://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/aktuelles/buergerbeteiligung/aktuelle-projekte/hep_-_1._entwurf.pdf

    #Berlin #Steglitz #Steglitz-Zehlendorf #Hermann-Ehlers-Platz #Stadtentwicklung #Taxi #Halteplatz

  • Förderaffäre um Flüchtlingsprojekt „Berlin hilft“: Ermittlungen wegen Untreue-Verdachts gegen Sozialsenatorin Breitenbach - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/foerderaffaere-um-fluechtlingsprojekt-berlin-hilft-ermittlungen-wegen-untreue-verdachts-gegen-sozialsenatorin-breitenbach/26973782.html

    04.03.2021 von Alexander Fröhlich - Es war politisch gewollt: Mit Zuschüssen von 40.000 Euro im Jahr bestückte ein Flüchtlingsprojekt vor allem eine Website. Fordert das Land das Geld nun zurück?

    Es geht um bis zu 40.000 Euro im Jahr, Tricksereien mit den Fördergeldern für die Flüchtlingshilfe - und um Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Breitenbach und gegen ihren Staatssekretär Daniel Tietze (Linke) wegen des Verdachts der Untreue eröffnet. Das sagte Breitenbach am Donnerstagmorgen im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses. Sie sei von der Staatsanwaltschaft über die Ermittlungen informiert worden.

    In dem Verfahren geht es um das Projekt „Berlin hilft“, mit dem Flüchtlinge und Migranten in Berlin vernetzt werden sollen. Das Projekt wird seit Jahren über das Stadtteilzentrum Steglitz abgewickelt. Breitenbach und Tietze hatten die Auszahlung von Fördergeld für das Projekt „Berlin hilft“ gegen den Rat und den Protest der eigenen Fachleute und trotz Hinweisen auf Mängel und Straftaten durchgesetzt.

    Auslöser für die Ermittlungen waren Berichte des Newsletters Checkpoint. und des Tagesspiegel. Daraufhin hatte der AfD-Abgeordnete Hanno Bachmann Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt.

    Weil Breitenbach und Tietze direkt involviert und „befangen waren“, ist Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) mit der erneuten Überprüfung der Förderaffäre betraut worden. Es ließ einen Revisionsbericht erstellen und hat nun seinen Abschlussbericht vorgelegt. „Wir werden diesen prüfen und die notwendigen Konsequenzen ziehen“, sagte Breitenbach im Ausschuss.

    Die Berliner Sozialverwaltung will Fördergelder für das Projekt „Berlin hilft“, mit dem Flüchtlinge und Migranten in Berlin vernetzt werden sollen, nun zurückfordern. Nach Tagesspiegel-Informationen sind die Prüfer zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verein jahreslang zu Unrecht Fördergelder bekommen hat. Für das Jahr 2020 wird die Förderzusage in Höhe von 20.000 Euro aufgehoben. Auch für die Jahre 2018 und 2019, als das Projekt jeweils 40.000 Euro bekam, prüft das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) eine Rückforderung. Intern wird damit gerechnet, dass auch für diese Jahre die Gelder zurückverlangt werden müssen.

    Zudem sieht sich die Sozialverwaltung gezwungen, die Staatsanwaltschaft darüber zu informieren, dass bei der internen Prüfung Hinweise auf mögliche Straftaten erkannt worden sind. Es geht um den Verdacht des Subventionsbetrugs und Steuervergehen.
    Sozialverwaltung will Stadtteilzentrum Steglitz untersuchen

    Als Konsequenz aus der Förderaffäre will die Sozialverwaltung zudem das Stadteilzentrum Steglitz näher untersuchen. Es hat auch von anderen Förderprojekten profitiert und soll nun einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen werden. Bis zurück ins Jahr 2017 soll untersucht werden, wie das Stadtteilzentrum Fördergelder verwendet und abgerechnet hat.

    Grundsätzlich will die Sozialverwaltung aber an der Förderung von Projekten der Flüchtlingshilfe festhalten. Dafür sollen nun neue Richtlinien erarbeitet werden, um die Förderung rechtssicher zu machen.

    Dass es überhaupt soweit kommen musste, lag auch an der Spitze der Sozialverwaltung. Bereits seit 2019 ist der Fall untersucht worden, zunächst beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Dessen Präsident Alexander Straßmeir wollte die Auszahlung der Fördergelder schon damals - Ende 2019 - stoppen. Doch Staatssekretär Daniel Tietze (Linke) wies den Behördenleiter an, das Geld zu überweisen. Straßmeir protestierte und erklärte, dass er die Weisung für rechtswidrig hält. Dennoch musste er das Geld auszahlen.
    Staatssekretär Tietze holte sich Unterstützung der Senatorin

    Zwar hatte er offiziell remonstriert und damit deutlich gemacht, dass er den Förderbescheid nicht unterzeichnen kann und darf, auch weil „ein Verstoß gegen Bestimmungen der Landeshaushaltsordnung gemäß Paragraf 48 Beamtenstatusgesetz zu einer Schadensersatzpflicht führen kann.“ Auch anderen Mitarbeiter des LAF fanden deutlichen Hinweise auf mögliche Straftaten.

    Am Ende musste Straßmeir den Förderbescheid dennoch unterzeichnen – deshalb wird auch gegen ihn wegen Untreueverdachts ermittelt. Am Ende hatte Straßmeir dem Druck direkt aus der Spitze der Senatsverwaltung nachgegeben. Der Staatssekretär hatte sich dafür sogar Verstärkung von Senatorin Breitenbach geholt.

    Tietze bestand stets darauf, dass das Projekt auf jeden Fall förderwürdig sei, weil es der Vernetzung von Flüchtlingen diene – und weil das Land Berlin das Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe fördere. In Kooperation mit dem Stadtteilzentrum Steglitz betreibe das Netzwerk „Berlin hilft" seit 2016 ein Online-Angebot zur Beratung, Information und Hilfe für Geflüchtete. „Staatssekretär Tietze hat in Anerkennung der ehrenamtlichen und für alle sichtbaren Flüchtlingsarbeit des Netzwerks auf eine zügige und positive Bearbeitung politisch entschieden, die Zuwendung zu bewilligen“, hieß es im Herbst auf Anfrage.
    Beiträge zur Flüchtlingspolitik – meist aus politisch linkem Blick

    „Berlin hilft“ ist nicht mit zivilgesellschaftlichen Flüchtlingsinitiativen wie „Moabit hilft“ zu verwechseln. Mit den 40.000 Euro pro Jahr ist vor allem eine Internetseite bestückt worden. Dort fanden sich aber überwiegend Beiträge zur Flüchtlingspolitik oder anderen Themen – meist aus politisch linkem Blick. Ratschläge für Flüchtlinge zur Bewältigung des Alltags in Berlin mussten Besucher der Internetseite erst mühsam suchen.

    Die internen Prüfer hatten klare Hinweise auf Steuervermeidung und Verstöße gegen Dokumentationspflichten und Vergaberegeln. Aus dem Tagesspiegel vorliegenden Akten geht hervor, dass das Stadtteilzentrum das Fördergeld an eine Person weitergereicht hat, die die Internetseite bestückt hat. Die Rechnungen für diese Dienstleistung schickte jedoch ein Verwandter des Mannes an das Stadtteilzentrum. Das Honorar sollte sodann auf das Konto einer anderen Verwandten überwiesen werden.

    Zudem sind die Rechnungen, die das Stadtteilzentrum auszahlte, so zwischen dem Betreiber der Internetseite und seinen Verwandten gestückelt worden, dass der Dienstleister als Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer ausweisen musste.

    Auch die interne Prüfgruppe der Innenrevision in der Sozialverwaltung sichtete die Akten und fand „deutliche Hinweise darauf, dass die Zuwendung nicht rechtmäßig zustande gekommen ist“. Eine nachträgliche Bewilligung war sogar unzulässig. Die Prüfer und deren vorgesetzte Abteilungsleiterin widersprachen Staatssekretär und Senatorin.
    Nachsicht mit dem Stadtteilzentrum – auf politischen Wunsch

    LAF-Präsident Straßmeir wurde im September 2020 von der Innenrevision der Senatsverwaltung aufgefordert, „mögliche Ansatzpunkte für eine Rückforderung der Zuwendungsmittel“ zu finden. Auch der Rechnungshof wurde über den „Verdacht einer Unregelmäßigkeit“ informiert. Der sah aber keinen Bedarf, selbst einzugreifen, weil aus seiner Sicht die Beamten in der Sozialverwaltung den Fall hartnäckig genug bearbeitet haben.

    Auf politischen Wunsch der Sozialverwaltung wurde mit dem Verantwortlichen beim Stadtteilzentrum bis zuletzt stehts nachsichtig umgegangen. Immer wieder wurden die Empfänger des Fördergelds darauf hingewiesen, was sie ändern müssten. Es ging um Steuerangaben, um eine Dokumentation, wie es zur Vergabe der Dienstleistung gekommen ist, und andere Vorschriften.

    Doch aus den Prüfakten geht klar hervor, dass sich der Fördergeldempfänger geweigert und gewehrt hat. Einsicht zeigte er jedenfalls lange nicht. Das könnte sich ändern, wenn jetzt kein Geld mehr fließt für das Projekt und möglicherweise sogar Geld zurückgefordert wird. Die Internetseite wurde schon angepasst und grundlegend verändert: Statt politischer Debatten und Beiträge sind nun einige wenige Servicetexte zu finden.
    AfD: Breitenbach nicht mehr haltbar, wenn sie Vorwürfe nicht entkräften kann

    Der Leiter des Stadtteilzentrum Steglitz sagte, die Entwicklungen seien bedauerlich. Er verwies darauf, dass auf politischen Wunsch der Sozialverwaltung im Zuge der Flüchtlingskrise für „Berlin hilft“ ein Dienstleistungsvertrag mit dem Netzwerk geschlossen worden sei. Es sei darum gegangen, dass „Berlin hilft“ erhalten und unterstützt werden sollte. Um eine Ausschreibung sei es dabei nie gegangen. Erst später habe das LAF rückwirkend darauf gepocht.

    Der AfD-Abgeordnete Hanno Bachmann, der die Strafanzeige gegen Breitenbach und Tietze erstattet hatte, sagte am Donnerstag: „Die Ermittlungen gegen Senatorin Breitenbach belegen erneut das gestörte Verhältnis des Senats und speziell der Senatoren der Linken zum Rechtsstaat."

    Rechtstreue scheine linken Senatsmitgliedern fremd zu sein, sagte Bachmann. „Untreue zu Lasten der Steuerzahler ist kein Kavaliersdelikt. Sollte Breitenbach die Vorwürfe nicht unmittelbar entkräften können, ist sie politisch nicht haltbar. Senatoren, gegen die staatsanwaltlich ermittelt wird, sind nicht mehr regierungsfähig.“

    #Berlin #politique #gauche #élections

  • Neues Personenbeförderungsgesetz: Sollte man Taxis vor Konkurrenten wie Uber schützen? - Wirtschaft - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/neues-personenbefoerderungsgesetz-sollte-man-taxis-vor-konkurrenten-wie-uber-schuetzen/26976168.html

    04.03.2021 von JANA KUGOTH - Der Bundestag berät über ein Gesetz für Mobilitätsanbieter. Denn der Markt befindet sich im Umbruch. Alte Geschäftsmodelle könnten vertrieben werden.

    Die Regierungsparteien CDU/CSU und die SPD haben sich mit den Grünen auf einen Kompromiss zum neuen Personenbeförderungsgesetz (PBefG) geeinigt. Nach langen, zähen Verhandlungen wird dieser morgen dem Bundestag vorgelegt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte für die Reform früh eine parteiübergreifende Findungskommission eingesetzt, und doch stimmt der Bundestag nun erst kurz vor dem Ende der Legislaturperiode darüber ab.

    An den Grünen, die das Gesetz im Bundesrat blockieren könnten, hing es zuletzt, ob das Vorhaben durchkommt. Da die Fraktion den Kompromiss nun mitträgt, gilt es als fast sicher, dass das Gesetz Ende des Monats auch den Bundesrat passiert. Andreas Scheuer machte aus seiner Erleichterung kein Geheimnis. Bei seiner Rede im Bundestag bedankte er sich „ganz besonders bei den Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion“.

    „Unser Ziel war es, ein Gesetz zu schaffen, das die Kannibalisierung des öffentlichen Personenverkehrs verhindert“, sagte Cem Özdemir von den Grünen dem Tagesspiegel. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses war maßgeblich an den Verhandlungen zur Novelle beteiligt, die erstmals auch eine rechtliche Grundlage für Poolinganbieter wie den Berliner Berlkönig schafft.

    „In den USA und anderen Ländern sind viele Menschen von Bus und Bahn auf Fahrdienste wie Uber und Co. umgestiegen, der Verkehr hat dort zugenommen“, sagt Özdemir. Das solle hierzulande verhindert werden. „Wir wollen eine kundenfreundliche, flexible und moderne Ergänzung der Öffentlichen, nicht mehr Verkehr.“ Mit diesem Kompromiss würden nun der öffentliche Verkehr und das Taxi vor einem unfairen Wettbewerb mit Uber und anderen Plattformanbietern geschützt, indem den Kommunen umfangreiche Steuerungsmöglichkeiten an die Hand gegeben würden.

    Mehrheit hält Taxis für schützenswert

    Dass die neuen Regelungen nicht alle Forderungen der Grünen erfüllen, leugnet Özdemir nicht. „Es bleibt Überarbeitungsbedarf wie bessere Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen, konkretere Vorgaben zur Barrierefreiheit für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, strengere Sozialstandards“, da hätte sich seine Fraktion noch mehr gewünscht. „Das Gesetz ist ein Kompromiss, aber einer nach vorne“, betont Özdemir.

    Die Mehrheit der Deutschen hält das klassische Taxigewerbe nach wie vor für eher schützenswert. Das zeigt eine exklusive Umfrage für Tagesspiegel Background. Demnach votierten rund 50 Prozent der Befragten dafür, dass die Politik die Taxibranche schützen solle.

    Nur knapp ein Fünftel spricht sich in der gleichen Umfrage dafür aus, eher neue Mobilitätsanbieter wie Uber zu fördern, 30 Prozent sind unentschieden. Für besonders schützenswert halten vor allem SPD-Wähler die Taxibranche. Knapp 65 Prozent dieser Gruppe sehen den Schutz der Branche als Aufgabe der Politik. Die geringste Zustimmung in diesem Punkt kommt von Anhängern der FDP und den Grünen. Unter ihnen halten nur knapp 25 beziehungsweise 39 Prozent das Taxi für eher schützenswert.

    EU stellt Rückkehrpflicht infrage

    Uber reagiert enttäuscht. „Die Reform ist eine verpasste Chance“, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. „Trotz aller Umwelt-Rhetorik müssen auch in Zukunft Mietwagen aufgrund der 80er-Jahre-Rückkehrpflicht sinnlose Leerfahrten absolvieren.“ Statt der versprochenen Entlastung für die Mietwagenunternehmen bringe zusätzliche Bürokratie nun eine ganze Branche und damit Zehntausende Arbeitsplätze in Gefahr.

    Auch die EU stellt in einem Papier die Rückkehrpflicht infrage. Die Grünen nehmen sie dennoch in Kauf: „Unter den gegebenen Umständen halte ich die Rückkehrpflicht für ein gerechtfertigtes Instrument im Sinne des Abstandsgebots zwischen den Verkehrsformen Taxi, das ja auch Beförderungspflichten hat, und Mietwagen“, sagt Özdemir. Wirksam sei diese allerdings nur, wenn sie auch umgesetzt und kontrolliert werde, appelliert er an die Kommunen.

    #ÖPNV #Taxi #Uber

  • Letzter Reichskanzler der Weimarer Republik : Pflege für Kurt von Schleichers Grab soll nicht mehr vom Land bezahlt werden
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/letzter-reichskanzler-der-weimarer-republik-pflege-fuer-kurt-von-schleichers-grab-soll-nicht-mehr-vom-land-bezahlt-werden/26959160.html

    A Berlin-Zehlendorf les députés locaux du SPD et du parti de gauche Die Linke se pronocent contre la prolongation du statut de tombe d’honneur pour la sépulture du général Schleicher, dernier chancelier allemand avant l’accession au pouvoir des nazis. Ce politicien de droite est connu pour avoir péparé le terrain pour les nazis à travers des mesures contre la libre expression et les rassemblements publics du mouvement ouvrier et ses partis politiques.

    27.02.2021 von Thomas Lippold - Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf wollen das Grab aus der Liste der Ehrengräber streichen. Von Schleicher ist umstritten.

    Als „Steigbügelhaltern des deutschen Faschismus“ bezeichnet ein Bezirksverordneter der Linksfraktion von Steglitz-Zehlendorf von Schleicher.

    Auf dem Parkfriedhof Lichterfelde in Steglitz-Zehlendorf liegt das Grab von Kurt von Schleicher, der als letzter Reichskanzler der Weimarer Republik bekannt ist. Seit einem Senatsbeschluss aus dem Jahr 1978 ist es als Ehrengrab des Landes Berlin anerkannt, in diesem August soll die letzte Verlängerung auslaufen.

    Doch die SPD-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz-Zehlendorf fordert nun mit Unterstützung der Linksfraktion, das Ehrengrab von Schleichers nicht mehr zu verlängern und aus der Liste der Ehrengräber zu streichen. Von Schleicher gilt als umstrittene politische Figur: bis zum Januar 1933 war er Reichskanzler und direkt für die Ernennung seines Nachfolgers Adolf Hitler verantwortlich. Von Schleicher wurde zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth am 30. Juni 1934 von Angehörigen der SS in seiner Neubabelsberger Villa ermordet.

    Wer genau die Grabstätte von Kurt von Schleicher pflegt, ist eine gute Frage. Sicher ist sich die grüne Bezirksstadträtin Maren Schellenberg da selbst nicht – das geht aus einer Anfrage des Linken-Abgeordneten Gerald Bader an das Bezirksamt hervor. In der Grabstättenakte sei vermerkt worden, dass die Grabpflege 1978 noch von Angehörigen oder einer beauftragten Firma übernommen wurde.

    Zwanzig Jahre später wurde festgestellt, dass keine „gärtnerische Instandsetzung erforderlich sei.“ Seitdem, steht in der Anfrage, „ist davon auszugehen, dass die Pflege durch das Bezirksamt erfolgt.“

    Auch über die Kosten ist man sich nicht ganz im Klaren. Die Stückkosten für die Pflege einer Grabstelle lagen 2019 bei 86,78 Euro. Die Summen variieren aber, „so dass weder für das Ehrengrab Kurt von Schleicher noch insgesamt für Ehrengräber eine Summe für das Bezirksamt genannt werden kann.“ Im Satz darauf dann die Info: Ein Ehrengrab kostet das Land Berlin etwa 800 Euro pro Jahr.
    „Berufsoffizier, Politiker, Reichskanzler“

    Bei den Gründen für die letztmalige Verlängerung des Nutzungsrechtes an der Grabstätte, die 2015 erfolgte, notiert das Bezirksamt nur trocken „Fehlanzeige“. Auch sieht es sich nicht zuständig für die Beurteilung der „wesentlichen Verdienste von Kurt von Schleicher, die ein Ehrengrab rechtfertigen“, und zitiert lediglich aus der Liste der Ehrengrabstätten des Landes, in der es trocken heißt: „Berufsoffizier, Politiker, Reichskanzler.“

    Nun stört sich Gerald Bader von der Linksfraktion aber nicht vorrangig an den Kosten für das Ehrengrab. Ihm geht es um den „Status des Grabes innerhalb einer städtischen Gedenkkultur, und nicht um die Grabstätte an sich.“ Mit diesem heißen Thema will sich das Bezirksamt aber nicht befassen, und so antwortet Bezirksstadträtin Schellenberg auf die abschließende Frage, ob das Bezirksamt ein Ehrengrab für Kurt von Schleicher denn für berechtigt hält: „Es steht daher dem Bezirksamt nicht zu, eine Entscheidung des Senats von Berlin zu hinterfragen.“

    „Aus unserer Sicht“, schreibt Gerald Bader, „wäre es nun an der Zeit, den Ehrengrabstatus der Grabstätte von Schleicher in diesem August auslaufen zu lassen. Die SPD-Fraktion hat bereits einen Antrag dahingehend auf den Weg gebracht, dem wir uns in der Forderung anschließen.“

    In dem Antrag, der Anfang März im Bezirksausschuss für Bildung und Kultur behandelt werden soll, fordert die SPD, das Ehrengrab von Schleichers nicht mehr zu verlängern. „Kurt von Schleicher hat sich nicht verdient gemacht, die Ehre für ein durch den Staat gepflegtes Grab und Andenken zu erhalten.“

    Weiter heißt es in der Begründung: „Kurt von Schleicher war kein Demokrat. Sein Ziel war die Beseitigung der Weimarer Republik und die Schaffung eines autoritären Staates. Er gehörte einem konservativ-reaktionärem Lager an, das bei dem Sturz des letzten frei gewählten Reichskanzler Hermann Müller (SPD) mitgewirkt hat. Feinde der Demokratie sind keine Personen, die durch ein Ehrengrab gewürdigt werden dürfen.“
    Von Schleicher habe durch Ränkespiele die Stabilität der Weimarer Republik unterminiert

    Gerald Bader sieht das ähnlich. Ihm „ist es ein Rätsel, inwiefern sich ein Mensch, der diverse faschistische Personen und Massenorganisationen in Querfrontstrategien eingebunden hat und sie so salonfähig machte, um Berlin verdient gemacht haben soll. Vielmehr hat von Schleicher durch seine stetigen Ränkespiele und Geheimabsprachen (auch mit Adolf Hitler) die Stabilität der Weimarer Republik unterminiert und zugleich die Aufrüstung Deutschlands vorangetrieben.“ Bader sieht von Schleicher sogar als „einen von mehreren überaus prominenten Steigbügelhaltern des deutschen Faschismus“, eine Anerkennung durch ein Ehrengrab sei somit unverdient.

    Bei einer Rede vor dem Deutschen Bundestag 2003 bezeichnete Bernd Braun von der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg von Schleicher als „einen der entschiedensten Gegner Hitlers“. Eine längere Abhandlung über das Kabinett von Schleicher, die vom Bundesarchiv veröffentlich wurde, liest sich etwas anders.

    Zusammenfassend heißt es dort über von Schleicher: „Seiner eigenen Legende ist er, gemessen an dem, was er erreicht und was er verfehlt hat, nicht gerecht geworden; seiner politischen Maxime dagegen ist er treu geblieben. In den Intrigen des Januar 1933 wurde er mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Die politischen Irrtümer und Fehleinschätzungen, mit denen er zur autoritären Aushöhlung des Weimarer Verfassungsstaates beigetragen hatte, schlugen in seinem Sturz auf ihn selbst zurück.“

    Ob sich die Anerkennung als Ehrengrab nun ebenfalls als Fehleinschätzung herausstellen wird, ist eine schwierige Frage, mit der sich zunächst der Bildungs- und Kulturausschuss der BVV am kommenden Mittwoch beschäftigen darf.

    Cet article de Wikipedia porte à notre connaissance que la sépulture de Schleicher doit son statut de tombe d’honneur au Sénat Stobbe I.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Senat_von_Berlin#Vom_Kriegsende_bis_zur_deutschen_Teilung
    On constate que le SPD berlinois est composé de membres aux positions assez variées.

    #Allemagne #Berlin #Steglitz-Zehelendorf #militarisme #histoire #nazis #politiue

  • Ein Spaziergang zur Osterquelle: Schöner das Wasser nie fließet - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-spaziergang-zur-osterquelle-schoener-das-wasser-nie-fliesset/19674876.html

    16.04.2017, von Andreas Conrad - Die Lübarser Osterquelle gilt als letzte sprudelnde Quelle Berlins. Der Name geht auf einen uralten Brauch zurück: das Holen des Osterwassers.

    Jetzt geht es nur noch zu Fuß weiter oder mit dem Rad – natürlich auch hoch zu Ross, schließlich sind wir in Alt-Lübars. Das letzte Gehöft, ein Reiterhof, bleibt zurück, geradeaus führt eine Chaussee rüber nach Blankenfelde, doch nach links lädt der sandige, bald sich verjüngende Schildower Weg zum Spaziergang hinunter ins Tegeler Fließ ein.

    Dort hinten soll sie irgendwo liegen: die Osterquelle, „die letzte freisprudelnde Quelle Berlins“, wie sie auf dem „offiziellen Hauptstadtportal“ berlin.de angepriesen wird. Ein seit Jahrhunderten bekannter, von allerlei Legenden umrankter Ort, ein Stück urtümliche, unverfälschte Natur, wie es scheint, und sogar mit direktem Bezug zum wichtigsten Fest der Christenheit. Das sollte einem gerade in diesen Tagen doch einen Besuch wert sein.

    Freilich, die Lübarserin, die an der Endhaltestelle der Buslinie 222, am Rande des Dorfangers, den Weg zur Quelle beschrieb, hat die Vorfreude etwas gedämpft: „Erwarten Sie nichts Spektakuläres.“ Ob es denn ein beliebtes Ausflugsziel sei? „Na, das sind hier eher der Alte Dorfkrug und der Labsaal. Zur Quelle würde ich niemanden hinscheuchen.“
    Und jetzt nichts wie rein ins Urstromtal

    Nur nicht abschrecken lassen, der Weg von der Straße hinunter ins alte Urstromtal wäre auch ohne Quelle einen Osterspaziergang wert. Saftiges Grün, Felder wie Wiesen, wohin das Auge blickt, sanft sich wellende Hügel zur Rechten, links ein silbern blinkender Teich, dazwischen in nicht allzu großer Ferne Büsche und Bäume, zu denen der Pfad sich hinwindet. Übrigens Teil des „Barnimer Dörferwegs“, wie einer der zahlreichen Wegweiser wissen lässt, nur auf die Osterquelle fehlt anfangs jeglicher Hinweis. Immerhin findet sich auf einer Infotafel zum Urstromtal, die der Naturschutzbund Nabu am Wegesrand postiert hat, eine Karte mit dem Eintrag „Osterquelle“. Sie muss also ganz nah sein.

    Und tatsächlich, nach wenigen 100 Metern liegt sie zur Rechten, ein gemauertes Halbrund, von frisch sprießendem Laub beschattet, wie es sich gehört. Eine weitere Tafel bestätigt, dass es sich tatsächlich um die gesuchte Quelle handelt, erklärt grafisch sehr anschaulich, wie sie durch eine Wassersperrschicht aus Lehm, die sich in den sandigen Untergrund geschoben habe, entstanden sei.
    Sieben Liter pro Sekunde? Schön wär’s

    Aber ach, dieses Rieseln entspricht in der Tat nicht dem, was man sich gemeinhin unter einer Quelle vorstellt. „Sieben Liter pro Sekunde mit einer durchschnittlichen Temperatur von 9°C“ werden der Quelle auf Wikipedia noch zugesprochen, aber davon kann an diesem Apriltag keine Rede sei. Nur aus drei der neun Röhren rinnt, sickert und tröpfelt es, am Grunde des Beckens hat sich gerade mal eine größere Pfütze gebildet, immerhin mit stetem Zufluss, wie das auf der anderen Seite des Pfades in einem kleinen Graben davonrinnende Wasser zeigt.

    Aber man findet dort durchaus die für solche Quellen typische Flora und Fauna, wie Bernd Machatzi, Mitarbeiter des Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege, versichert: die Brunnenkresse etwa, die Winkel-Segge und besondere Moosarten, dazu Kleinkrebse und die Larven der Köcherfliege. Früher habe es in Berlin viele solcher Sickerquellen gegeben, etwa an den Hängen der Havel, noch heute könne man einige finden. Man sehe dort zwar kein Wasser, das nur flächig, nicht punktuell austrete, doch an der Vegetation könne man sie erkennen. Insgesamt aber sei die Zahl solcher Stellen durch die intensive Trinkwassergewinnung der Millionenstadt stark gesunken.

    Für die Wasserwirtschaft ist die Osterquelle freilich ein belangloser Miniborn, wie ein Anruf bei den Wasserbetrieben ergibt. Ähnliche Sickerquellen, wo Wasser über einer Sperrschicht aus Lehm an die Oberfläche trete, gebe es etwa auch in Buch und Karow, weiß Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe. Für deren Brunnenanlagen sei das Lübarser Nass ohne Bedeutung, das nächste Wasserwerk sei in der Nähe des Tegeler Sees.
    Erstmals wurde die Osterquelle im Jahr 1751 erwähnt

    Nicht immer wurde der Osterquelle solch eine Geringschätzung zuteil, allerdings hatte sie früher offensichtlich mehr zu bieten als heute. Die erste bekannte Erwähnung findet sich in der „Historischen Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg“ von Johann Christoph und Bernhard Ludwig Bekmann, erschienen 1751 in Berlin: „Unweit Lubarsch, Berl. Insp. entstehet aus einem hohen berg und untenhin aus den ringsumher hervortreibenden quellen ein wasser, welches mitten im sommer, auch in den heissesten Tagen eiskalt ist, jedoch im härtesten winter niemahls zufrieret: dergleichen eigenschafft oben s. 598. auch bei dem Freienwald. Gesundbrunnen anzutreffen ist, und in den Mineraltheilen seinen grund hat.“ Das Wasser muss damals also an gleich mehreren Stellen aus der Erde gequollen sein.

    Auf die Herkunft des Namens Osterquelle findet sich in der alten Chronik kein Hinweis, vielleicht war er damals noch nicht gebräuchlich. Entstanden ist er durch einen wohl in vorchristlichen Ritualen wurzelnden, in sorbischen Gegenden Brandenburgs teilweise noch lebendigen, hierzulande vergessenen Brauch: das Holen des Osterwassers. Es galt als besonders rein, ihm wurden heilende, sogar verschönernde Kräfte zugesprochen, hilfreich für zarte Haut – sofern es in der Osternacht oder am Ostermorgen unter völligem Schweigen aus Flüssen oder Quellen geholt wurde, am besten von Jungfrauen. Die jungen Männer hingegen machten sich einen Spaß daraus, die Mädchen bei ihrem verschwiegenen Treiben zu erschrecken, zum Lachen oder gar zum Sprechen zu bringen, obwohl das Wasser, wie man glaubte, dadurch seine Wirkung verlor. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dieser Brauch auch in Berlin geübt, wie Ernst Friedel, Gründer und erster Direktor des Märkischen Museums, aus seiner Kindheit berichtete. So hätten Soldaten auf der Weidendammer Brücke immer wieder versucht, ihren Holden beim Holen des Osterwassers ein Lächeln zu entlocken, und das Potsdamer Tor sei die ganze Osternacht geöffnet geblieben, um all die Wasser holenden Frauen durchzulassen.

    Auch die Lübarser Osterquelle muss mal diese Bedeutung gehabt haben, auch wenn man sich das nur noch schwer vorstellen kann. Wie ein schwacher Widerschein des alten Brauchs wirkten in den beiden Vorjahren die Einladungen der Kirchengemeinde Lübars, nach dem Gottesdienst am Ostermontag gemeinsam zur Osterquelle zu spazieren. In diesem Jahr ist auch dies nicht mehr geplant. Osterwasser in ausreichender Menge wäre dort ohnehin nicht mehr zu holen.

    Allerdings, so muss das nicht bleiben. Der Niederschlagsverlauf der vergangenen Tage sei einfach nicht ausreichend gewesen, beruhigt Naturschutzexperte Machatzi. Wenn es kräftig regne – und das soll es ja durchaus in diesen Tagen –, sammle sich das Wasser im Einzugsgebiet, und die Osterquelle beginne wieder zu sprudeln. Immerhin, ein kleiner Trost für ein verregnetes Osterfest.

    #Berlin #Lübars #Wasser #Osterquelle #Labsaal #Barnimer_Dörferweg #Buch #Karow #Tegeler_See #Gesundbrunnen #Ernst_Friedel #Weidendammer_Brücke #Potsdamer_Tor #Kirchengemeinde_Lübars

  • „Kein Handlungsspielraum mehr“: Warum Atze Brauners Erben das Colosseum sterben lassen
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/kein-handlungsspielraum-mehr-warum-atze-brauners-erben-das-colosseum-sterben-lassen/25960352.html


    Kino Colosseum (UCI Kinowelt) Schönhauser Allee 123, 10437 Berlin-Prenzlauer Berg, Telefon +49 30 440180, https://www.uci-kinowelt.de/Berlin_Colosseum
    https://www.openstreetmap.org/way/28642449#map=19/52.54776/13.41290

    30.06.2020 Ein Interview von Alexander Fröhlich - Das Berliner Traditionskino Colosseum in Prenzlauer Berg soll schließen – es sei nicht mehr wirtschaftlich, sagt Betreiber Sammy Brauner.

    Herr Brauner, die Nachricht von der Schließung des Traditionskinos Colosseum sorgt für Entsetzen in Berlin. Warum haben Sie sich dazu entschieden?
    Dem Kino ging es schon vor Corona nicht gut. Mit Eintritt der Corona-Maßnahmen war absehbar, dass der Betrieb bald zahlungsunfähig wird. Das kam aber nicht infrage. Ich wollte nicht sehenden Auges in die Insolvenzverschleppung rutschen.

    Die Rede war immer davon, dass das Colosseum für Ihren Vater die Krönung seines Lebenswerks gewesen sei. Stimmt das?
    Nein, und offen gestanden finde ich es skandalös, dass diese vollkommen falsche Aussage seit Wochen kolportiert wird, ohne, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, sie zu belegen.

    Mein Vater hat einmal in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ im März 2010 von der „Krönung meines Filmschaffens“ gesprochen, aber in einem völlig anderen Zusammenhang. Dieses Zitat bezog sich auf die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, der er eine Mediathek gestiftet hat, die seinen Namen trägt. Dort laufen alle jemals von ihm produzierten Holocaust-Gedenkfilme als ewiges Mahnmal für alle Besucher der Gedenkstätte.

    Das ist ein Werk, das man mit Fug und Recht als Krönung bezeichnen darf. Glaubt irgendjemand im Ernst, dass ein Mann mit so einem Vermächtnis ein Multiplex-Kino als „Krönung seines Lebenswerks“ bezeichnen würde?

    Dennoch hat Ihr vor einem Jahr verstorbener Vater mit dem Kino ein Erbe hinterlassen. Verpflichtet das nicht zu besonderer Verantwortung?
    Das hat er. Unser Vater war aber Unternehmer durch und durch, und er wäre der Letzte gewesen, der tatenlos einer verlustreichen Geschäftstätigkeit zugeschaut hätte. Er hätte wahrscheinlich sogar schon früher die Reißleine gezogen.

    Sicher ist, dass er von uns Kindern nie verlangt hätte, unter Einsatz von persönlichen Ersparnissen den nachweisbar vollkommen unrentablen Betrieb eines Kinos fortzuführen.

    Inwieweit haben Sie Möglichkeiten ausgelotet, den Kinobetrieb doch fortzusetzen?
    Hier gibt es keinerlei Handlungsspielraum mehr. Ich habe für den Kinobetrieb Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit anmelden müssen. Daraufhin hat ein gerichtlich bestellter vorläufiger Insolvenzverwalter dessen wirtschaftliche Situation geprüft. Und seine Beurteilung ist eindeutig.

    Sie selbst sind Teil der Erbengemeinschaft als Eigentümer der Immobilie, die will den Pachtvertrag aufheben. Was haben Sie mit der Immobilie vor?
    Wir haben als Erbengemeinschaft keine konkreten Pläne mit der Immobilie. Die Insolvenz ist ja auch gerade erst eingetreten und das Verfahren noch nicht einmal eröffnet worden. Die Immobilie besteht außerdem ja nicht nur aus dem Kino: Darin gibt es noch Büros, Gastronomie und andere gewerbliche Nutzung.

    Im vergangenen Jahr hat nach unserer Kenntnis eine Immobilieninvestment- und Entwicklungsgesellschaft aus Hamburg für Geschäftshäuser und Einzelhandelsimmobilien einen Bauvorbescheid beantragt und erhalten. Die Überbauung der Immobilie mit Büros ist demnach zulässig. Was wissen Sie vom Bauvorbescheid, der Investmentfirma und von den Plänen für die Immobilie?
    Weder ich noch jemand aus der Erbengemeinschaft hat einen Bauvorbescheid beantragt.

    Der Vorbescheid wurde im vergangenen Jahr beantragt und erteilt. Von außen wirkt es so, als hätte es die Überlegungen zur Schließung des Kinos schon gegeben und die Coronakrise war der Anlass für die Umsetzung. Was entgegnen Sie dem?
    Zu unterstellen, wir hätten nur auf Corona gewartet, um die Immobilie zu versilbern, ist zynisch. Ich habe mir die wirtschaftlichen Schwierigkeiten doch nicht ausgedacht.

    Der vom Amtsgericht eingesetzte Insolvenzverwalter ist nach Prüfung aller vorliegenden Unterlagen eindeutig zu dem Schluss gekommen, dass eine Fortführung des Kinobetriebs unter den vorgegebenen Bedingungen wirtschaftlich nicht machbar ist. Das ist traurig, aber dem müssen wir ins Auge sehen.

    Wollen Sie die Immobilien veräußern oder selbst entwickeln lassen? Warum?
    Was mit der Immobilie passiert, die neben dem Colosseum noch eine Reihe anderer Mieter hat, kann nur die Erbengemeinschaft gemeinsam entscheiden.

    Die Mitarbeiter sind enttäuscht. Was sagen Sie ihnen?
    Das kann ich natürlich verstehen. Sie haben schließlich mit viel Einsatz das Kino in schwierigen Zeiten am Laufen gehalten. Aber auch ihnen muss klar sein, dass die wirtschaftliche Situation aussichtslos ist.

    Ich habe den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dies bei der gestrigen Betriebsratsversammlung über eineinhalb Stunden lang geschildert. Bei den jetzigen – und seit Jahren kontinuierlich sinkenden – Besucherzahlen und zusätzlich unter Corona-Bedingungen ist eine Fortführung und überhaupt der Betrieb eines Multiplex-Kinos für einen Einzelbetreiber – das Kino Colosseum gehört keiner Kinokette an – nicht mehr darstellbar. Nicht an diesem schwierigen Standort mit der Konkurrenz und dem hohen Investitionsbedarf.

    Eines muss ich allerdings auch sagen: Bei allem Verständnis für die nachvollziehbare Frustration der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – dass sich dies bei einigen in offener und heftiger Aggressivität gegen meine Person äußert, fand ich erschreckend.

    Sie wissen um die Bedeutung des Kinos für Berlin, für die Berlinale, für den Kiez. Inwiefern haben Sie das bei Ihrer Entscheidung berücksichtigt?
    Noch einmal: Die Entscheidung war zwingend, weil ein Kino an diesem Standort und unter diesen Bedingungen nicht wirtschaftlich zu betreiben ist. Dass viele jetzt, wo es zu spät ist, plötzlich die Bedeutung des Colosseums hervorheben, finde ich ehrlich gesagt bedauerlich. Die Probleme sind ja nicht neu.

    Nehmen Sie das Thema Stadtentwicklung: Die Kulturbrauerei mit einem Kino mit 1 500 Plätzen in nur 1,5 Kilometer Entfernung hat uns seit deren Eröffnung im März 2000 pro Jahr circa 350.000 Besucher gekostet. Schon dieser jährliche Verlust hat das Colosseum an den Rand des Ruins gebracht.

    Unser Vater hat damals übrigens zum Bundestagsabgeordneten Wolfgang Thierse, der das Projekt unterstützte, gesagt: „Sie haben aus einer gesunden Kuh zwei kranke Kühe gemacht.“ Rings um uns sind in den letzten Jahren reihenweise die Kinos eingegangen, das Cinestar am Potsdamer Platz, das war das Premierenkino Berlins, sowie das Imax.

    Die Entwicklung war absehbar, und sie dauert an. Und wir haben unter immer schwierigeren Bedingungen jahrelang die Fahne hochgehalten.

    Eigentum verpflichtet. In diesem Fall nicht mehr?
    Das ist ein plakativer Satz und leicht gesagt. Damit ist aber nicht gemeint, dass ein defizitärer Betrieb aufrechterhalten werden muss.

    Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn schlägt eine Zwischennutzung der Immobilie als Kreativ- und Kulturzentrum vor, bis es zum Umbau kommt. Was halten Sie davon?
    Ich halte diese Idee für nicht sehr realistisch. Für jede Nutzung müsste die gesamte Erbengemeinschaft zustimmen.

    Benn schlägt ferner vor, dass die Immobilie zweifach genutzt werden könnte, für die angedachten Büros, aber auch durch Teile des Kinos. Eine Mischnutzung. Für Sie verhandel- und vorstellbar?
    Ich kann nur noch mal wiederholen: Es gibt von Seiten der Erbengemeinschaft aktuell keine Pläne für das Gebäude. Davon abgesehen bestand eine Mischnutzung des Gebäudes von Anfang an.

    Im Erdgeschoss befanden sich bis vor Kurzem noch mehrere Gastronomieeinheiten. Seit 2016 ist dort Bio Company mit einem Supermarkt präsent. Das gesamte vierte und fünfte Obergeschoss besteht aus Büros.

    Eins ist aber auch klar: Der große alte Kinosaal steht unter Denkmalschutz und darf nicht baulich verändert werden. Es ist also wahrscheinlich, dass er auch künftig in irgendeiner Form für Kulturzwecke genutzt wird, zum Beispiel als Theater- oder Kinosaal. Eine andere Nutzung ist gar nicht möglich.

    Sammy Brauner, Sohn des berühmten Filmproduzenten Artur Brauner, hat bislang die Betreiberfirma des Colosseums geführt. Er ist auch Teil der Erbengemeinschaft, der das Kino gehört.

    photo de Stefan Kellner https://www.flickr.com/photos/skellner

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    #Berlin #Prenzlauer_Berg #Schönhauser_Allee #Gleimstraße #travail #cinéma #covid-19 #faillite

  • Wo die Gewalt ihren Ursprung hat: Fast alle Taten Berliner Clans gehen auf die Fehde zweier Dörfer zurück - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/wo-die-gewalt-ihren-ursprung-hat-fast-alle-taten-berliner-clans-gehen-auf-die-fehde-zweier-doerfer-zurueck/26573888.html

    Sie rauben, erpressen und morden – im Namen ihrer Urururgroßväter: Ein Clanmitglied berichtet von den Ehrvorstellungen Berliner Großfamilien.

    Das Problem der Clankriminalität ist gar nicht so schwerwiegend? Doch, ist es, sagt Khalil O. – der Berliner, heute 37, gehört selbst zu einer der verbrecherischsten arabischen Großfamilien in Deutschland. Jahrelang brach er in Häuser ein und handelte mit Kokain, wie zahlreiche seiner Cousins es bis heute tun.

    Hier erklärt er, wo das brutale Verhalten seiner Familie seinen Anfang nahm: weit weg von Berlin, in zwei kleinen Dörfern in der Türkei. Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Auf der Straße gilt unser Gesetz“, erschienen bei Heyne, in dem er zusammen mit der Journalistin Christine Kensche von seiner kriminellen Karriere in Berlin berichtet.

    Er selbst stieg vor 15 Jahren aus. Als Erwachsener holte er die Schule nach, machte Abitur und studierte. Heute arbeitet Khalil O. als Sozialarbeiter und betreut kriminelle junge Männer.

    Manchmal sprechen mich fremde Leute auf der Straße an und sagen: „Du bist doch der Sohn von dem und dem.“ Und während ich noch überlege, wo ich die Typen schon mal gesehen habe, sagen die: „Wir sind verwandt.“ Berlin ist zwar eine Großstadt, aber wir leben immer noch wie auf dem Dorf. Jeder kennt jeden, und alle sind vernetzt.

    Das liegt daran, dass fast alle großen Clans aus derselben Gegend stammen. Mardin ist eine Provinz am hinterletzten Ende der Türkei, und da, an der Grenze zu Syrien, liegt eine arabische Enklave von ein paar Dutzend Dörfern. Die meisten Familien, die immer wieder in der Zeitung stehen, kommen aus zwei Dörfern, die Luftlinie knapp drei Kilometer auseinanderliegen: Üçkavak und Yenilmez.

    Das erste Dorf heißt übersetzt so viel wie „Drei Pappeln“, das zweite „Unbesiegbar“. Die Jungs, die im Frühjahr 2017 die Riesengoldmünze aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen haben, zum Beispiel sind von der Familie R. Die R.s kommen aus Drei Pappeln und waren damals wie heute unsere Nachbarn.

    Ich selbst kenne die Dörfer nur von alten Fotos, die mein Vater in einem Koffer aufbewahrt, und aus den Geschichten meiner Oma. Drei Pappeln und Unbesiegbar waren zwei Flecken aus quadratischen Häusern, die die Leute mit den schweren gelben Steinen bauten, die sie aus den Feldern zogen. So weit man gucken konnte, sah man nur Felder, Olivenbäume und eine staubige Straße. Ziegen, Schafe, Kühe und Kinder liefen frei herum.

    Die Frauen schleppten Wasser, das sie aus dem Speicher schöpften. Eigentlich war es nur ein Loch in der Erde, das sie mit Lehm verputzt hatten. Der Dreck sank auf den Grund, und von oben schöpften sie halbwegs sauberes Wasser ab. Die Männer arbeiteten auf den Feldern und stellten sich an die Straße, um Durchreisenden Obst und Gemüse zu verkaufen.

    Geld hatte eigentlich keiner, aber wenn mal was zusammenkam, wurde es in das Minarett gesteckt. Der Turm der Moschee war so groß wie der Stolz des Dorfes. Drei Pappeln zählte die meisten Familien und baute das größere Minarett.

    Das konnte Unbesiegbar sich natürlich nicht bieten lassen und zog nach. Das Verhältnis zwischen Unbesiegbar und Drei Pappeln war ungefähr so wie zwischen Köln und Düsseldorf, oder Madrid und Barcelona. Nur dass Kriege bei uns anders ausgetragen wurden als mit Karneval oder Fußball.
    Real Madrid oder FC Barcelona? Freund oder Feind?

    Vor hundert Jahren gab es genau wie heute viel Streit zwischen den Familien und auch in den Familien selbst. In Drei Pappeln ging das so weit, dass sie irgendwann eine zweite Moschee bauen mussten, weil ein Zweig einer Familie so heftig mit einem anderen Zweig aneinandergeraten war, dass sie nicht mehr zusammen beten wollten. Selbst jetzt in Berlin ist das noch eine entscheidende Frage bei uns, in welche Moschee deine Familie damals ging: Real Madrid oder FC Barcelona? Freund oder Feind?

    In Drei Pappeln erzählten sich die Leute, dass die von Unbesiegbar nachts ihre Ziegen stahlen. Umgekehrt war es wahrscheinlich genauso. Drei Pappeln hatte den Vorteil, dass sie mehr Männer, also auch mehr Fäuste hatten. Aber Unbesiegbar gab niemals auf, und wer eine Schlägerei gewann, behielt recht.

    Streit gab es immer dann, wenn jemand sein Wort gebrochen hatte. Zum Beispiel: Einer verkaufte ein Stück Land an seinen Nachbarn. Der Deal wurde mit Handschlag beschlossen und die neue Grenze mit Steinen markiert. Aber in der Nacht setzte der Verkäufer die Steine heimlich zu seinem Vorteil um. Oder: Ein Bauer sagte einem Händler zu, ihm die gesamte Ernte zu verkaufen, und kassierte einen Vorschuss.

    Doch dann bekam der Händler raus, dass der Bauer die Ernte schon einem anderen versprochen und doppelt abkassiert hatte. Oder: Einer von Unbesiegbar klaute eine Ziege von Drei Pappeln und behauptete, die sei ihm zugelaufen – „Ich schwöre auf meinen Bart!“ So etwas konnte böse enden.

    Konflikte machten die Familien unter sich aus. Staatliche Institutionen kannten sie ja nicht. Schon zur Zeit des Osmanischen Reichs hatte man sich einen Dreck um die paar Dörfer geschert. Und als im Jahr 1923 die türkische Republik gegründet wurde, haben sie zwar eine Polizeistation in die Provinz gebaut, aber die war immer noch ziemlich weit weg, und wahrscheinlich hätten die türkischen Beamten keinen Finger gekrümmt, wäre ein Araber da aufgekreuzt. Auf die Idee kamen meine Leute auch gar nicht.
    Wenn du um Hilfe bittest, giltst du als schwach

    Es ist so: Wenn du um Hilfe bittest, giltst du als schwach. Und wenn du schwach bist, kommen die anderen und fressen dich. So ungefähr endete jede Geschichte, die meine Oma uns erzählte.

    Mit anderen Worten: Wer sich einmal verarschen lässt, wird immer wieder verarscht. Deswegen können wir nicht auf die Schnauze kriegen und einfach nach Hause gehen.

    Wenn einmal Krieg ausgebrochen ist, wird meine Familie niemals Ruhe geben. Niemals. Die sind so gepolt, noch von damals. Ich habe Onkel, die laufen hier mit einer scharfen Knarre rum, weil vor hundert Jahren jemand aus unserer Familie jemanden aus einer anderen Familie umgebracht hat. Noch heute kann es jederzeit passieren, dass dafür einer von denen einen von uns umlegt. Egal wen, Hauptsache einen aus der gleichen Familie. Das nennt man Blutrache.

    Es gab zwar keine Gesetze und keine Richter auf den Dörfern, aber es gab Traditionen und Familienoberhäupter. Unter den Leuten waren keine Gelehrten, darum legte die Community das Recht selbst aus, nach Gewohnheiten, die sich mit der Zeit so eingespielt hatten.

    Gab es Stress, wurden die Familienältesten gerufen. Die versuchten zu vermitteln, bevor eine Sache zu einer Fehde eskalierte. Wenn zwei Familien Streit hatten, riefen sie den Ältesten einer dritten Familie dazu, und der verhandelte einen Kompromiss. Das nennt man Sulha, Versöhnung.

    Bei einem Mord musste die Familie des Täters Blutgeld an die Familie des Opfers zahlen. Über die Summe entschied der Vermittler. Damit war die Sache allerdings nicht unbedingt geregelt. Manchmal war der Drang nach Rache stärker.

    Der Mann einer Tante von meiner Frau wurde vor 20 Jahren umgebracht, in Drei Pappeln. Worum es da eigentlich ging, weiß keiner mehr so genau, ich glaube, er war die Vergeltung für einen anderen Mord. Jedenfalls versteckten sich die Täter danach fünf Jahre lang in ihrem Haus. Warum? Das Haus eines anderen Mannes ist tabu. Du kannst nicht einfach zu ihm gehen und ihn umbringen. Du darfst ihn auch nicht in deinem eigenen Haus umbringen. Zu Hause darfst du deinen Todfeind nicht anfassen.

    Wenn zum Beispiel eine Beerdigung in einer Familie stattfindet, dann kommt die verfeindete Familie zur Trauerfeier, auch wenn die beiden bis aufs Blut zerstritten sind. Man zollt sich Respekt, das gehört sich so. Du musst deinen Feind empfangen und ihm Tee servieren. Sobald er rausgeht, darfst du ihn abschießen, aber vorher nicht.
    Jahrelang haben sie nur auf diesen Moment gewartet

    Deswegen haben die Täter sich also zu Hause versteckt, fünf Jahre lang, bis ein Blutgeld ausgehandelt wurde. Die Söhne des Opfers, die Cousins meiner Frau, akzeptierten die Zahlung auch. Aber nur scheinbar. Sie haben so getan, als sei jetzt alles okay, damit die anderen sich sicher fühlen und wieder aus dem Haus gehen. Das war ihre Chance.

    Jahrelang haben sie nur auf diesen Moment gewartet, in dem sie die Mörder ihres Vaters rächen konnten. Ich habe ja schon gesagt, meine Familie gibt niemals auf.

    Das ist das Schlimme eigentlich. Im wilden Osten hat diese Härte vielleicht einmal Sinn gemacht, weil sie abschreckend auf Feinde wirkte. Aber jetzt ist sie die Wurzel aller Probleme.
    Wer einknickt, macht sich angreifbar

    Meine Leute haben Angst, als Idioten dazustehen. Wer einmal einknickt, wird nicht mehr für voll genommen und macht sich angreifbar. Deshalb denken sie, sie müssen Blut mit Blut begleichen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das ist das Prinzip und das gilt auf dem Dorf genauso wie in Berlin.

    Die Geschichte hat sich zwar Tausende Kilometer entfernt abgespielt, aber selbst hier in Deutschland haben die Verwandten der Täterfamilie Geld gesammelt und nach Drei Pappeln geschickt, damit sie dort das Blutgeld zahlen konnten.

    Oder nehmen wir Nidal, den Typen, der vor dem Tempelhofer Feld in Berlin ermordet wurde. Der ist zwar Palästinenser, aber die haben ähnliche Sitten. In dem Krieg zwischen Nidals Leuten und einer anderen Familie ging es eigentlich um Drogengeschäfte, wem welcher U-Bahnhof in Neukölln gehört und wer da dealen darf und wer nicht.

    Doch eskaliert ist es dann – das erzählt man sich so in der Community –, weil Nidal einen krassen Fehler gemacht hat: Er war auf einer Hochzeit eingeladen und hat einen älteren Mann geschlagen, vor dessen Frau und Kindern. Das hätte Nidal nicht machen sollen.
    „Nidal will das klären, es tut ihm leid“

    Es war eine heftige Ehrverletzung, der andere hat das Gesicht verloren. Nidal hat danach versucht, die Sache zu bereinigen. Er hat einen Vermittler losgeschickt, und der hat gesagt: „Nidal will das klären, es tut ihm leid“ und dies und das. Aber der Vertreter der anderen Seite hat nur gesagt: „Nidal muss sterben.“

    Und dann haben sie ihn erschossen, im Park, beim Grillen mit seiner Familie. Dass Nidal vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder getötet wurde, ist kein Zufall, genau das war die Rache. Man fasst keinen Mann vor seiner Frau und seinen Kindern an. Das ist ein Gesetz, und wer das bricht, muss dafür bezahlen.

    Vor ein paar Tagen hat mir ein Cousin ein Video aus Drei Pappeln geschickt. Da gab es einen Mord, eine Blutrache an entfernten Verwandten von mir, die sind eine bedeutende Familie in der Gegend und hier in Deutschland auch. Ich nenne sie mal Familie A. Davor soll Familie A., also der Vater von dem Opfer, vier Männer der Familie B. umgelegt haben, weil die B.s einen der A.s im Streit getötet hatten. Klingt kompliziert?

    Ist es auch, das geht da jetzt schon seit Jahrzehnten so hin und her. Auf dem Video ist der Vater des jetzigen Opfers zu sehen, der selbst schon gemordet hat. Vater A. darf nur unter Polizeischutz aus dem Knast, um auf die Beerdigung seines Sohnes zu gehen. Polizisten mit Maschinengewehren und kugelsicheren Westen schirmen ihn ab.

    Er steigt in einen Bus, der ihn zurück ins Gefängnis transportieren soll, da dreht er sich zu seinen Leuten um und brüllt: „Ihr unternehmt jetzt nichts, das ist eine Angelegenheit für echte Männer – ich werde mich darum kümmern!“ Man kann sich also ausrechnen, wie es da unten weitergehen wird. Es ist ein ewiger Teufelskreis.
    Von uns hier in Deutschland ist niemand mehr da geboren

    Das Verrückte ist: Von uns hier in Deutschland ist niemand mehr da geboren, selbst mein Vater kennt die Dörfer nur vom Hörensagen. Und trotzdem haben die Traditionen noch immer einen krassen Einfluss auf uns.

    Bei jedem Familientreffen werden die alten Geschichten aufgewärmt, die Jüngeren posten Fotos und Videos auf Instagram, die sich auf unsere Herkunft beziehen. So ein Bild zum Beispiel: Zwei goldene Sturmgewehre kreuzen sich in der Mitte, drum herum stehen die Namen von allen wichtigen Clans – mein Nachname ist auch dabei. Die Magazine und Gewehrläufe bilden ein Dreieck, in dem „LKC“ steht, das ist die Abkürzung für libanesisch-kurdische Clans. So bezeichnen uns Polizisten und Kriminalforscher.
    Wir selbst nennen uns nur Mhallami

    Die haben sich sogar die Mühe gemacht, in unsere alten Dörfer zu reisen, um mehr über unsere Herkunft herauszufinden. Ein anderer Name für uns ist Mhallami-Kurden, und auch das ist ein Grund, warum wir irgendwo alle miteinander verwandt und bekannt sind: Wir stammen nicht nur aus derselben Gegend, wir gehören auch zur selben Ethnie. Wobei die Bezeichnung Kurden falsch ist. Wir selbst nennen uns nur Mhallami, weil wir eigentlich Araber sind, die nur lange Zeit unter Kurden gelebt haben. Bis es uns da zu brenzlig wurde.

    Die Mhallami haben einen eigenen arabischen Dialekt, der von niemandem sonst gesprochen wird. Man erzählt sich viele Geschichten darüber, wo unser Volk herkommt und wie unser Dörfer entstanden sind. Einige behaupten, wir wären ursprünglich christliche Aramäer gewesen, die irgendwann zum Islam konvertierten, weil sie von den Muslimen unterdrückt wurden.

    Manche sagen auch, dass wir auf einen großen arabischen Beduinenstamm zurückgehen, der bei den Feldzügen mitmachte. Die beliebtere Geschichte ist, dass wir die Nachkommen von arabischen Kriegern sind, die mit den islamischen Eroberungsfeldzügen im achten Jahrhundert in die Gegend kamen, um die christliche Bevölkerung in Schach zu halten.

    Mahall ist der Ort und Mi’a ist hundert. Unser Name bedeutet also so viel wie „Der Ort der Hundert“.
    Mein Vater hat einen Stammbaum gezeichnet

    Für meine Familie steht jedenfalls fest, dass wir echte Araber sind. Einer meiner Onkel hat mal eine DNA-Analyse machen lassen, bei der man sich ein Wattestäbchen in den Mund steckt und es in ein Labor schickt. Dabei kam heraus, dass wir ursprünglich von der Arabischen Halbinsel stammen. Das war eine wichtige Erkenntnis für uns, weil wir immer wie Dreck behandelt wurden, auch von Arabern.

    Mein Vater hat einen Stammbaum gezeichnet, mit allen Informationen, die er aus der Verwandtschaft kriegen konnte. Ein großer Baum mit dicken Ästen und vielen Zweigen, in denen Namen stehen – aber nur von den Männern. Bei uns zählt die Blutlinie des Vaters.

    Die eigene Familie, also das gleiche Blut, geht über alles. Wenn wir Stress mit einer anderen Mhallami-Familie haben und es eine Schlägerei gibt, werden deshalb auch immer nur die Onkel und ihre Söhne zur Verstärkung gerufen, nicht die Söhne meiner Tanten.

    Das könnte uns sonst jemand als Schwäche auslegen, so nach dem Motto: „Die sind nicht stabil genug, um sich selbst zu verteidigen.“ In dem Stammbaum ist jeder dritte Name gleich, weil es bei uns so üblich ist, dass der Erstgeborene den Namen des Großvaters erbt.

    Meine Vorväter sind schon immer viel gewandert. Vom Jemen nach Saudi-Arabien, in den Irak und nach Syrien, von dort in die Türkei, dann in den Libanon und von Beirut schließlich nach Berlin. Meine Großeltern haben hier inzwischen 300 Nachfahren, und soweit ich weiß, planen alle zu bleiben.

    Früher gab es viele Gründe, zu gehen. Entweder versiegte die Wasserquelle im Ort, oder die Familie wurde zu groß und das Land reichte nicht mehr für alle Söhne. Oder es gab Streit mit einem anderen Stamm, und damit die Fehde nicht auf die Kinder überging, zog man lieber weiter. Im Osmanischen Reich war ja alles eins, es gab keine Grenzen, keine Kontrollen, keine Abschiebungen.

    Ein Mann konnte wandern, wie er wollte. Mein Urururopa war Maurer und deshalb nicht so mit der Erde verbunden wie ein Bauer. Wenn eine Arbeit erledigt war, zog er ins nächste Dorf. Mein Ururopa dagegen bestellte ein Feld und baute ein kleines Steinhaus, in dem meine Familie über mehrere Generationen lebte. Doch dann kam Mustafa Kemal Atatürk, gründete die Türkei und verbot alles, was nicht türkisch war.

    So war das damals mit Minderheiten: Erst vertrieben oder töteten die Türken die Armenier. Dann gingen sie gegen die Kurden vor und dann gegen unsere arabische Kultur. Den Familien wurden neue Namen verpasst, sie sollten nur noch Türkisch reden. „Atatürk hat uns unsere Namen genommen, Atatürk hat uns unsere Sprache genommen“, sagen die Älteren.

    Und als die Kurden dann einen Aufstand machten, waren wir auf einmal mittendrin, dabei hatten wir gar nichts mit den Kurden zu tun und mit den Türken auch nicht. Aber unsere Dörfer lagen in den kurdischen Gebieten, und so gerieten wir in die Unruhen.

    Die Mhallami wurden gegen die Kurden bewaffnet: Die Türken gaben dem Bürgermeister ein Gewehr und wollten die Jungen in den Militärdienst einziehen. Daraufhin griffen die Kurden unsere Dörfer an. In den 1940er Jahren entschied mein Opa, endgültig in den Libanon zu gehen. Er und sein Vater hatten schon als Saisonarbeiter auf dem Gemüsemarkt von Beirut gearbeitet, als die Lage in den Dörfern immer schlechter wurde, und darum wussten sie, wie gut die Leute da lebten.

    Der Libanon war die Schweiz des Nahen Ostens. In der Schweiz gehörten wir zwar zu den Ärmsten der Armen, aber das war immer noch besser, als auf den Steinfeldern zu ackern oder als Kollateralschaden der Kurdenaufstände zu enden. Also machten sie sich zu Fuß auf in die große Stadt.

    #Berlin #criminalité

  • Protest gegen Flughafen-Kompromiss: Berliner Taxifahrer fühlen sich am BER benachteiligt - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/protest-gegen-flughafen-kompromiss-berliner-taxifahrer-fuehlen-sich-am-ber-benachteiligt/26489554.html
    Die für den Flughafen Berlin Willy Brandt vereinbarte Laderegelung ist bis ins letzte Detail verfehlt.

    28.10.2020 von THOMAS LOY - Mit der Eröffnung des BER tritt eine neue Taxiregelung in Kraft. Die Berliner Verbände sind damit unzufrieden, die Taxi-Unternehmen in Schönefeld profitieren.

    Die acht Jahre der Nichteröffnung des BER haben nicht ausgereicht, den „Taxikrieg“ zwischen Berlin und dem Landkreis Dahme-Spreewald mit einem Friedensvertrag aus der Welt zu schaffen. Verschiedene Unternehmer haben zu einer Protestfahrt zur BER-Eröffnung am Sonnabend aufgerufen. Organisator Erkan Özmen rechnet mit mehr als 1000 Teilnehmern.

    Dabei verkündete die Senatsverwaltung für Verkehr Mitte September, man habe sich mit dem Landkreis Dahme-Spreewald (LDS) auf einen Kompromiss geeinigt, nach vielen vergeblichen Anläufen. Der Kompromiss klingt erstmal fair. Aus Berlin und dem Landkreis, in dem der neue Flughafen liegt, dürfen jeweils 300 Taxen am BER auf Fluggäste warten. Je nach Bedarf kann die Zahl aufgestockt werden, jeweils paritätisch.

    Doch die Berliner Taxifahrer fühlen sich benachteiligt. In Berlin gibt es viel mehr Taxibetriebe als im benachbarten Dahme-Spreewald. Während dort quasi alle Taxibetriebe, die wollen, eine sogenannte „Ladeberechtigung“ bekommen, sind es in Berlin nur rund vier Prozent der rund 7000 Fahrzeuge. Wer dabei sein wollte, musste Mitte Oktober bei einer Lotterie mitmachen und auf sein Losglück hoffen. Nach einem Jahr sollen die Berechtigungen dann neu vergeben werden.

    Leszek Nadolski von der Taxiinnung Berlin hat sich gar nicht erst für den BER beworben. Er lehnt den Kompromiss aus verschiedenen Gründen ab. Wer am BER Fahrgäste aufnehmen möchte, müsse eine Ortskundeprüfung für den Landkreis nachweisen, obwohl mehr als neunzig Prozent der Fahrten nach Berlin gingen. Diese Regelung finden auch die Taxifahrer aus Dahme-Spreewald unsinnig, zumal die Berliner Taxifahrer bis zur BER-Öffnung kaum Zeit haben die Prüfung zu machen. Theoretisch dürften sie zum BER-Start also gar nicht antreten.

    Senat trat nur als „Bittsteller“ auf
    Zweiter Nachteil aus Sicht der Berliner: Alle BER-Taxen aus dem Landkreis Dahme-Spreewald dürfen künftig auf dem Berliner Markt mitmischen, obwohl sie andere Tarife haben und kein sogenannten Fiskaltaxometer, das Betrügereien erschwert. Die aufwendige Ortskundeprüfung in Berlin müssen sie aber nicht absolvieren, nur einen abgespeckten Grundkurs.

    Für Nadolski ist klar: Der Senat war bei den Verhandlungen nur der „Bittsteller“, ohne Druck vor allem aus der SPD hätte es womöglich gar keinen Kompromiss gegeben. Und das würde bedeuten, dass die Berliner Taxibetriebe vom BER ausgeschlossen wären. Sie hätten Fluggäste zum Flughafen fahren, aber keine mit zurücknehmen dürfen. Diese Leerfahrten wollte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) unbedingt verhindern.

    Seitens der Brandenburger Taxi-Unternehmer wird der Kompromiss begrüßt und auch ein wenig als Kompensation für die kargen Jahre ohne den Flughafen Tegel verstanden. Bislang galt schlicht: Berliner Taxen durften nur in Tegel auf Fahrgäste warten, Brandenburger Taxen nur in Schönefeld. Wer Fahrgäste aus Brandenburg nach Tegel fuhr, musste leer zurückfahren.

    „Wir haben jahrelang selber gelitten“, sagt Öczan Ekinci vom „SXF Taxiverband BER“. Von Tegel in den Landkreis Dahme-Spreewald sei es schließlich viel weiter als vom BER bis zur Berliner Stadtgrenze. Jahrelang seien im Landkreis keine Taxikonzessionen mehr vergeben worden, weil das Geschäft am alten Flughafen Schönefeld nicht ausreichte. Und jetzt, in Corona-Zeiten, warteten die Kollegen bis zu sieben Stunden auf eine Fuhre. „Wenn jetzt auch noch 7000 Berliner Taxen zum BER kämen, könnten wir dicht machen.“

    Der globale Anbieter Uber macht allen zu schaffen
    Der Vorteil, künftig auf dem großen Berliner Markt mitzumischen, sei nur ein theoretischer. „Wir möchten gar nicht in Berlin arbeiten.“ Dort sei der Markt inzwischen durch die Konkurrenz von Uber schwierig. Die digitale Plattform ist für alle Taxiunternehmen in der Region eine Herausforderung.

    Weil Uber-Fahrzeuge nicht als Taxen gelten, brauchen die Fahrer keine Ortskundeprüfung. Abgerechnet wird per App, die Tarife orientieren sich an der Nachfrage, können also stark schwanken. Uber-Fahrzeuge sind an den Flughäfen nicht zugelassen, die Fahrer warten meist auf privaten Parkplätzen in der Umgebung und sind in wenigen Minuten am Terminal. So funktionierte es zumindest bisher.

    #Taxi #Uber #Berlin #LDS #Flughafen #Verkehr #TXL #SXF #BER #Schönefeld #Tegel #Politik

  • Sorge vor Schulschließungen : Lockdown könnte Kinder aus bildungsfernen Milieus noch weiter zurückwerfen - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/sorge-vor-schulschliessungen-lockdown-koennte-kinder-aus-bildungsfernen-milieus-noch-weiter-zurueckwerfen/26307094.html

    Les mesures contre le covid-19 amplifient le rique d’échec scolaire pour les enfants pauvres.

    26.10.2020 von Susanne Vieth-Entus - Bürgerliche Familien können eine Schulschließung verkraften. Doch für Kinder aus bildungsfernen Milieus ist sie bedrohlich.

    Wie lange geht das noch gut?, lautet die zentrale Frage, wenn an diesem Montag die Schule wieder beginnt. Nachdem die Zahl der Neuinfektionen in den Vortagen durch die Decke gegangen war, rückte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Wochenende Schulschließungen als Teil eines internen Stufenplans in den Bereich des Möglichen – während ihre Parteifreundin, Bildungssenatorin Sandra Scheeres, unter dem Eindruck der galoppierenden Pandemie lediglich bereit war, die Maskenpflicht innerhalb der Schulen etwas zu erweitern.

    Wer wissen will, warum Scheeres neuerliche Kita- und Schulschließungen, möglichst vermeiden will, wird im Youtube-Kanal ihrer Verwaltung fündig: Da erklärt der Berliner Landesvorsitzende der Kinder- und Jugendärzte, Reinhard Bartezky, was der Lockdown mit seinen kleinen Patienten gemacht hat.

    Bis zu zehn Kilo hätten sie zugenommen, „und Kinder, die vorher gut sprechen konnten, sprechen deutlich schlechter“, sagt der Arzt, der seine Praxis am Kottbusser Damm hat. Jeder Berliner Kinderarzt sehe „fast jeden Tag“ Kinder, die in dieser Zeit Schaden genommen hätten, berichtet Baretzky. Die Botschaft ist klar: Bloß keine nochmaligen Schließungen. Das ist die eine Seite.
    Eltern und Lehrer fordern härtere Maßnahmen

    Aber die andere Seite erhält zurzeit mehr Aufmerksamkeit. Während bei Youtube innerhalb eines Monats nur gut 400 Menschen das Kinderarzt-Video angeschaut haben, wurden bei Facebook oder Twitter in der gleichen Zeit mutmaßlich Tausende Botschaften von Erzieher- und Lehrkräften sowie einigen Eltern gesendet, die in die entgegengesetzte Richtung gehen.

    Sie lauten: Sofortige Verkleinerung der Lerngruppen und eine Mischung aus Präsenzunterricht und angeleitetem Lernen zu Hause, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. Diese weithin hör- und sichtbare Gruppe hat nicht nur die Gewerkschaften auf ihrer Seite, sondern auch das Robert Koch-Institut (RKI), das bereits ab 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern dazu rät, Schulkassen aufzuteilen. Das aber würde für viele unweigerlich wieder mehr Zeit zu Hause bedeuten, ohne professionelle Förderung.

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    Trotz der starken RKI-Stimme sind aber Scheeres und die Kinder- und Jugendärzte nicht isoliert: An ihrer Seite stehen viele Kultusminister, denen sich auch der Berliner Landeselternsprecher Norman Heise angeschlossen hat. Er nimmt in diesen Tagen immer wieder ausdrücklich Bezug auf das Kinderarzt-Video und die Auswirkungen der Schulschließungen, wobei Heise auch auf die Nachteile der geteilten Klassen verweist.
    Weniger Unterricht bedeutet mehr außerschulische Betreuung

    Wenn nur die Hälfte der Kinder gleichzeitig unterrichtet werde, hätten alle Kinder nicht nur weniger Unterricht, sondern müssten auch wieder durch die Eltern betreut werden. Zudem mangele es noch immer an der technischen Infrastruktur auf Seiten der Lehrkräfte und Schüler.

    Zwar habe die Bildungsverwaltung 9500 Geräte für bedürftige Schüler beschaffen können. Der Bedarf sei aber „mindestens zehn Mal so hoch“. Im übrigen sei es „schwierig, zwischen den teilweise lauten Forderungen überwiegend aus dem Bereich des sogenannten Bildungsbürgertums und denen zu vermitteln, die sich fast gar nicht zu Wort melden, aber viel stärker von den Auswirkungen betroffen sind“.

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    Zu denen, die „viel stärker von den Auswirkungen betroffen sind“, gehören in Berlin prozentual mehr Schüler als in anderen Bundesländern: Über ein Drittel der Familien leben von Transferleistungen, ein Großteil von ihnen gilt zusätzlich als bildungsfern.
    Manche Kinder haben während des Lockdowns Deutsch verlernt

    Schulleiter berichten – ähnlich wie Kinderarzt Bartezky – von Kindern, die während der Schließzeit die deutsche Sprache verlernt hätten, weil sie monatelang nur in ihren Communities gelebt hätten. Andere wiederum seien aggressiver geworden, seien womöglich Tag für Tag gewaltverherrlichenden Videos oder Computerspielen ausgesetzt gewesen. Die Bereitschaft, Regeln zu befolgen, sei vielfach verloren gegangen, ist zu hören.

    Ganz anders die Lage in den bürgerlichen Milieus – und zwar erst recht dann, wenn es sich um gut ausgestattete Schulen handelt. So berichtet Landesschülersprecher Robert Gamp vom Tegeler Humboldt-Gymnasium, dass es dort dank der Kooperation mit einem Pharmabetrieb einmal wöchentlich das Angebot kostenloser Coronatests gebe.
    Lockdown zur Probe - im Humboldt-Gymnasium

    Zudem seien die technischen Voraussetzungen gut. So habe der Schulleiter zwei Wochen vor den Herbstferien für eine komplette Woche den Präsenzunterricht streichen und das Lernen nach Hause verlegen können, um das Equipment und die Fertigkeiten der Schüler und Lehrer auf die Probe zu stellen. Auf diese Weise seien Schwachstellen zum Vorschein gekommen, betont Gamp, so dass die Schule viel besser für einen eventuellen zweiten Lockdown gerüstet sei.

    „Es sollte überlegt werden, schnellstmöglich die Schulen auf das Alternativszenario einzuschwören“, fordert der Lichtenberger Lehrer Robert Rauh. Bevor ständig Lerngruppen in Quarantäne geschickt würden, wenn sich ein Schüler infiziert hat, sollten Klassen und Kurse unverzüglich wieder geteilt werden, lautet sein Appell. Allerdings sieht der Stufenplan der Bildungsverwaltung erst in der letzten von vier Stufen ("rot") geteilte Klassen vor - ist also noch zwei Stufen von „gelb“ entfernt, das ab heute gilt.
    „32 Zehntklässler im Raum ohne Maske und Abstand“

    „Auf den ersten Blick ist diese Forderung nach einer roten Ampel paradox, aber sie ermöglicht uns einen längeren Präsenzbetrieb. Es ist schlichtweg nicht mehr zu vermitteln, warum wir im Alltag Abstand halten und Maske tragen sollen, im Klassenzimmer bis zur 10. Jahrgangsstufe entsprechend der Stufe ’gelb’ jedoch 32 Schüler zum Teil dicht gedrängt ohne Maske und Abstand ausharren, bis nach 20 Minuten gelüftet wird“, gibt der bekannte „Lehrer des Jahres“ zu bedenken.

    Außerdem solle darüber diskutiert werden, in diesem Schulhalbjahr bestimmte Leistungsformate wie Klausuren oder Klassenarbeiten zu ersetzen oder ganz auszusetzen, um den Druck herauszunehmen, unbedingt noch vor dem drohenden Lockdown Zensuren zu scheffeln: „Wichtig ist doch, dass wir die Zeit nutzen, Stoff zu vermitteln und unsere Schüler motivieren, sich von Corona nicht verunsichern zu lassen“. lautet Rauhs Appell.

    #Allemagne #éducation #école #pauvreté #covid-19

  • Protest vor dem Roten Rathaus: Hunderte Taxifahrer demonstrieren gegen Transportregelung am BER - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/protest-vor-dem-roten-rathaus-hunderte-taxifahrer-demonstrieren-gegen-transportregelung-am-ber/26274384.html

    Hunderte Taxifahrer haben am Mittwoch vor dem Roten Rathaus in Berlin gegen die künftigen Verkehrsregeln am neuen Hauptstadtflughafen BER demonstriert. Mitte September hatte sich die Senatsverwaltung mit dem Landkreis Dahme-Spreewald darauf geeinigt, dass aus beiden Regionen jeweils 300 Taxis das Recht erhalten, Fahrgäste am neuen Hauptstadtflughafen aufzunehmen. „Werden aufgrund steigender Nachfrage weitere Taxen nötig, ist die Zahl im Verhältnis 1:1 aufzustocken“, teilte die Senatsverwaltung damals mit. Die Obergrenze liege zunächst bei 1100 Fahrzeugen.

    Sicht der Berliner Taxiunternehmer ist das zu wenig. „In Berlin sind 7300 Taxis unterwegs“, sagte Wagenunternehmer Erkan Özmen am Mittwoch. Er hatte die Demonstration organisiert und fordert, dass sämtliche Taxis aus der Hauptstadt auch das sogenannte Laderecht erhalten, also Fahrgäste am Flughafen nicht nur absetzen, sondern auch aufnehmen dürfen.

    #Berlin #Taxi #LDS #BER #Flughafen

  • Unfälle : SUV prallt gegen Ampelmast: Drei Schwerverletzte, Hubschrauber im Einsatz
    https://www.berliner-zeitung.de/news/suv-prallt-gegen-ampelmast-drei-schwerverletzte-hubschrauber-im-ein

    Wie schnell muss man fahren, um mit dem Ampelmast einen BMW-SUV senkrecht bis zur B-Säule zu durchtrennen?

    Was für eine gefährliche Ecke.
    https://www.openstreetmap.org/way/43238973

    Unfall/Todesursache: Dummheit.
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/bvg-bus-prallte-auf-opel-drei-verletzte/820254.html

    09.03.2007 - Noch teilweise ungeklärt ist der schwere Unfall eines BVG-Busses am Mittwochabend in Friedenau. Wie berichtet hatte ein Bus der Linie X76 einen Fußgänger erfasst und tödlich verletzt, als dieser nach ersten Erkenntnissen bei Rot über eine Ampel an der Kreuzung Bergstraße/Thorwaldsenstraße/Prellerweg lief. Nun sucht die Polizei Zeugen. Sie werden gebeten, sich unter der Telefonnummer 4664-481800 zu melden.

    Radfahrerin schwer verletzt - Unfallursache: Hohes Alter
    https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/pressemitteilung.923652.php
    Polizeimeldung vom 22.04.2020, Tempelhof-Schöneberg, Nr. 0953

    Bei einem Unfall gestern Nachmittag in Schöneberg ist eine Radfahrerin schwer verletzt worden. Nach bisherigen Ermittlungen befuhr ein 87-jähriger gegen 17.40 Uhr mit seinem Toyota den Prellerweg und wollte seine Fahrt geradeaus in der Bergstraße fortsetzen. Dabei soll er nach Zeugenangaben an der Thorwaldsenstraße bei Rot in die Einmündung eingefahren sein und erfasste dabei die 55-jährige Radfahrerin, die mit ihrem Fahrrad in der Thorwaldsenstraße in Richtung Munsterdamm unterwegs war und bei Grün die Bergstraße überfuhr. Bei der Kollision erlitt die Radfahrerin schwer Rumpfverletzungen und wurde von Rettungskräften zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus gebracht. Die weiteren Ermittlungen hat der Verkehrsermittlungsdienst der Polizeidirektion 4 übernommen.

    Drei Schwerverletzte - Unfallursache: Überhöhte Geschwindigkeit

    22.9.2020 - Weil das Lenkrad abgerissen wurde und 25 Meter durch die Luft flog, wurde der Fahrer nicht von dem darin befindlichen Airbag geschützt.

    An der Kreuzung Thorwaldsenstraße/Prellerweg/Bergstraße in Schöneberg kam in der Nacht zu Dienstag ein erst im August 2020 zugelassener BMW X5 von der Fahrbahn ab. Der Wagen prallte gegen einen massiven Ampelmast. Die Wucht des Aufpralls war so heftig, dass die Ampel bis zur Rücksitzbank im Fahrzeug stand. Die Aufprallgeschwindigkeit soll nach Angaben der Einsatzkräfte vor Ort sehr hoch gewesen sein.

    Mehrere Notärzte, Rettungssanitäter sowie der technische Dienst der Feuerwehr waren an der komplizierten Rettung der insgesamt drei Fahrzeuginsassen beteiligt. Eine der drei Personen wurde bei dem Unfall so schwer verletzt, dass die Einsatzkräfte den Intensivtransporthubschrauber (ITH) Christoph Berlin anforderten.

    Der Aufprall des schweren SUV geschah mit solcher Wucht, dass das Lenkrad abgerissen wurde und mindestens 25 Meter durch die Luft flog. Der darin befindliche Airbag löste nicht aus. Das, sagte ein Gutachter vor Ort, ist unnormal. Die normale Auslösezeit eines Airbags beträgt 55 Millisekunden.

    Fazit: Eigentlich sollten nur besonders ausgebildete und regelmäßig überprüfte Berufskraftfahrer die gefährlichen Maschinen names „Auto“ steuern dürfen. Auch sie kämen jedoch nicht gegen die Dummheit von Fußgängern an, die Verkehrsregeln ignorieren und ohne Sicht gefährliche Kreuzungen bei Rot überqueren.

    #Berlin #Thorwaldsenstraße #Prellerweg #Bergstraße #Schöneberg #Verkehr #Unfall

  • « Erst die #Fakten, dann die #Moral »
    https://diasp.eu/p/11652556

    „Erst die #Fakten, dann die #Moral

    Boris Palmer - eine Klasse für sich

    Was Bundespolitiker von Tübingens umstrittenem Bürgermeister Boris Palmer (Grüne) lernen können. Ein Kommentar. Stephan-Andreas Casdorff | 2020-09-15

    https://www.tagesspiegel.de/politik/political-animal-boris-palmer-eine-klasse-fuer-sich/26188884.html

    [...]

    Die einen verteidigen ihn als #Freigeist mit #Dickschädel, der quasi jeden zum #eigenständigen_Denken herausfordert. Unter ihnen Antje Vollmer, Grünen-Ikone, ehedem Bundestags- Vizepräsidentin, und Rezzo Schlauch, früher Fraktionschef im Bundestag und Fast-Bürgermeister in Stuttgart (wenn die SPD damals nicht strategisch so, #schwäbisch gesagt, #saudumm gewesen wäre).

    Die anderen – darunter fast die ganze heutige Bundesspitze – sehen ihn als intellektuelles Irrlicht; als (...)

  • Serie Berliner Doppelstraßen: Immer schön am Rand lang - Kultur - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/kultur/serie-berliner-doppelstrassen-immer-schoen-am-rand-lang/26016786.html

    Dieser Artikel funktioniert ein bischen nach dem Prinzip „reim dich oder ich fress dich“. Die Autorin schnappt sich den #Grenzweg im Ortsteil #Baumschulenweg als „Doppelstraße“ für die #Grenzallee in #Neukölln. Das nenne ich künstlerische Freiheit. Als Kutscher würde ich bei so einer Präzision verhungern. Warum hat die gute Christtiane Peitz sich nicht gleich lieber den Grenzweg als Doppel- oder Vielfachstraße vorgenommen? Den gibt es immerhin siebenmal und eine Brücke des Namens kommt noch gratis obendrauf.

    Straßenverzeichnis Berlin – Strassen und Plätze mit »G« - KAUPERTS
    https://berlin.kauperts.de/Strassenverzeichnis/G

    Grenzweg Falkenberg
    Grenzweg Baumschulenweg
    Grenzweg Charlottenburg-Nord
    Grenzweg Lichtenrade
    Grenzweg Oberschöneweide
    Grenzweg Rahnsdorf
    Grenzweg Rosenthal
    Grenzwegbrücke Rahnsdorf

    Hier also die Betrachtungen über eine Straße und ein Sträßchen mit fast ganz gleichen Namen.

    Serie Berliner Doppelstraßen

    Als Groß-Berlin vor 100 Jahren geschaffen wurde, wuchs das Stadtgebiet von 66 auf 878 Quadratkilometer. Neben Lichtenberg, Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg, Neukölln und Spandau gehörten nun auch 59 Umlandgemeinden und 27 Gutsbezirke zur neuen Metropole. Kein Wunder also, dass es im Stadtplan viele Straßennamen doppelt oder sogar mehrfach gibt.

    Gäbe es einen Wettbewerb der hässlichsten Straßen Berlins, die Grenzallee in Neukölln hätte Chancen auf einen Hauptpreis. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass es an diesem Nachmittag wie aus Kübeln schüttet. Innenstadt, Außenstadt, Berlin kennt viele solcher Zwischengegenden, die als Gewerbegebiete genutzt werden. Auf gut eineinhalb Kilometern markiert die Straße die historische Grenze zwischen Rixdorf und Britz, von der Sonnenallee bis zur Karl-Marx-Straße. Im 19. Jahrhundert hieß sie noch Britzer Damm.

    Aber dann macht dieser unwirtliche Ort einem schnell wieder Laune: Erweist die Straße ihrem Namen doch gleich am unteren Ende alle Ehre. Wenige Schritte neben der Arbeitsagentur Neukölln liegt die Kleingartenanlage „Steinreich“. Die beiden trennt nur die S-Bahn-Brücke und ein hinter Büschen verstecktes Jugendzentrum. Arbeitslos, steinreich, wo lägen mehr Welten dazwischen?

    Okay, Adresse und Eingang des Jobcenters mit Corona-Hinweisen in acht Sprachen gehören eigentlich zur Sonnenallee. Und vor 50 Jahren hieß die Grenzallee auf diesem Stück auch noch Dammweg, wie die Straßenfortsetzung Richtung Nordosten. Mit dem stattlichen Gründerzeit-Mietshaus samt Kupferturmaufsatz und Teepavillon jenseits der Kreuzung setzt der heutig Dammweg sofort einen unmissverständlichen Kontrapunkt: In die Grenzallee würde so ein hübsches Gebäude nicht passen.

    Man kennt sie hauptsächlich aus dem Verkehrsfunk. Fast sechs Jahre war die Grenzallee wegen des Tunnels für die verlängerte A 100 gesperrt. Mittlerweile kann die vierspurige Trasse wieder genutzt werden, teils nur auf zwei Fahrbahnen. Fußgänger und Radfahrer können gucken, wo sie bleiben, sehen sich zum Slalom mit mehrfachem Seitenwechsel gezwungen. Wobei sich ohnehin kaum jemand in den unwirtlichen Straßenabschnitt rund um das Einkaufscenter „Neukölln Carree“ verirrt. Unsereins ersteht im Drogeriemarkt erstmal einen Schirm.

    Im Hof lockt eine Wiese zum Chillen

    Weiter geht’s, vorbei an Neubauruinen, Busparkplatz, Postverteilerzentrum, Gebrauchtwagenhändlern, Kfz-Werkstätten und einer Storage-Halle. Bonjour tristesse. Das Jugendzentrum an der S-Bahn-Brücke, das auf www.grenzallee.com für Sommerworkshops wirbt – Seifenkisten- Bau, Graffitikurse, Radtouren – und etwas weiter das Gelände der Jugendhilfe-Vereinigung bilden die rühmlichen Ausnahmen.

    Vor 70 Jahren wurde der Verein von Hans Spänkuch und anderen gegründet, um arbeitslosen Jugendlichen eine Ausbildung zur ermöglichen. Heute beherbergt das Hans-Spänkuch-Haus Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, samt Werkstätten und Seminarhaus.

    Im Hof lockt eine Wiese zum Chillen samt Bocciabahn, an der Fassade des Hochhauses hängt ein Transparent mit der Aufschrift „Stop violence. Open the borders“. Für Grenzallee-Bewohner eine denkbar angemessene Forderung.

    Kurz vor der U-Bahn Grenzallee – deren Eingang in der Karl-Marx-Straße liegt, als scheue selbst die BVG das ungemütliche Pflaster – tauchen doch noch ein paar Mietskasernen auf. Einige mit bröckelndem Putz, einige in kräftigen Farben, Dottergelb und Ochsenblutrot. In den verwilderten Gärten wechseln Küchenkräuter und Sperrmüll, vor Hausnummer 69 dümpelt ein Einkaufswagen mit kaputter Mikrowelle. Bis in die 1930er Jahre fungierte die U-Bahn-Station noch als Endbahnhof, für die Züge aus dem Wedding.

    Am Möbelcenter hat der Wind die A-100-Baustellenzäune umgepustet, nur die blauen Rohre der oberirdischen Wasserleitung bringen etwas Farbe ins Straßenbild. Immerhin wurde der Allee eine neue Kanalbrücke verpasst. Wasserstraßen, Hafenflair, Weitblick, hier atmet die Grenzallee auf.

    Hinter der Schleuse des Hafens Neukölln und dem Schrottplatz, dessen blitzender Altmetallberg einen futuristisch spröden Charme verbreitet, schimmert in der Ferne die himmelwärts schräge Fassade des Estrel Convention Center, dem größten Hotel der Republik. Geht doch, ein Hauch von Weltniveau. Im Herbst soll dann noch mit dem Bau des 175 Meter hohen Estrel Tower begonnen werden, Berlins höchstem Haus.

    Wir hier, die dort. Grenzstraßen markieren seit jeher das Ende der Stadt, des Dorfs, der Region. Weil Berlin sich bekanntlich aus einem Konglomerat aus Groß- und Kleinstädten, Gemarkungen und Landgemeinden zusammensetzt, hat die franselige Metropole im märkischen Sand reichlich davon zu bieten. Mein alter Falkplan verzeichnet alleine drei Grenzalleen, drei Grenzstraßen und sechs Grenzwege, von Grenzpfaden, Grenzbergeweg und Grenzgrabenstraße zu schweigen. Ein Hauptschauplatz: die Kleingartenanlagen.

    Hunde sind an der kurzen Leine zu führen

    Also auf nach Treptow, zur KGA neben dem Wasserwerk Johannisthal. Die Verlängerung des Hasenstegs entpuppt sich jedoch nicht als Grenzallee, sondern als Grenzweg. Zwischen den Kolonien „Gemütliches Heim“ und „Neu-Seeland“ plätschern Aufstellpools, hinter Thujahecken gedeihen Johannisbeeren und Tomaten. Die Sackgasse endet an einem Zaun. Alles sehr gepflegt, sehr verschlossen.

    Grenzallee Nummer 3 liegt in den Gartenanlagen von Mariendorf; südlich der Gradestraße zweigt sie von der Rixdorfer Straße ab. Sie gehört zum Britz-Buckower-Weg, einem der grünen Korridore der Stadt, der Spaziergängern und Radfahrern die Route vom Tempelhofer Feld über Lichtenrade bis hinaus nach Großziethen weist. Am Kirchhof Mariendorf heißt sie allerdings noch Asternweg. Hundebesitzer werden aufgefordert, ihre Vierbeiner an der Kurzleine zu führen, „Hinterlassenschaften sind zu beseitigen“.

    Dann wird der Weg linkerhand von der Kolonie „Alpental“ gesäumt, rechterhand vom „Marienglück“. Ahornhecken, Jägerzäune, Sauerkirschen, zwei stattliche Nussbäume – wer sich hierher verirrt, wird von den Anwohnern nachbarschaftlich gegrüßt. Aber anders als im Stadtplan findet sich auch hier keine Grenzallee, nur eine als Grenzweg beschilderte Straße.

    Freundliche Laubenpieper

    „Wen suchen Sie, kann ich helfen?“ Der freundliche Besitzer der als „Remer Ranch“ ausgewiesenen Parzelle lehnt sich über das mit bepflanzten Holzschuhen geschmückte Gartentor und gibt bereitwillig Auskunft. Ja, der Weg hier hat viele Namen. Asternweg, Grenzallee, Grenzweg, alles dasselbe. Das „Alpental“ liegt auf Senatsgrund, das „Marienglück“ auf Kirchengrund, daher die Grenz-Bezeichnung.

    Ein kleiner, feiner Unterschied: Die Marienglück-Kolonialisten, zu denen auch die Remer-Rancher gehören, schlafen etwas ruhiger als die Alpentaler. Denn es heißt ja immer mal wieder, das Land Berlin erwäge zwecks Wohnungsbau den Verkauf der ein oder anderen Laubenkolonie. Die Kirche hat das nicht vor.

    Gartenkolonien haben Tradition in Berlin. Als die Remers ihr Häuschen renovierten, kamen unter der Tapete Zeitungen aus der Nazi-Zeit zum Vorschein; sie haben sie aufgehoben. Und Richtung Kirchhof, dort, wo heute das Fortbildungswerk für Garten- und Landschaftsbauer seine Beete unterhält, konnten die Laubenpieper früher kleine Felder und Äcker bestellen. Auf der Parzelle zog man kein Gemüse, sondern ließ Blumen sprießen.

    Hier erholsam, dort unwirtlich, hier die Oase, dort die Abstellkammer der Stadt. Mitunter hat man ohnehin den Eindruck, dass es sich bei Berlin abseits der City mit ihren diversen Zentren um eine einzige, 900 Quadratkilometer große Fusion von Datschenkolonien und Industriebrachen handelt.

    Das Gesumm der Bienen mischt sich einträchtig mit dem Rauschen der Autobahn. Gegensätze verbinden: Nördlich der Kolonie „Alpental“ führt ein Zubringer auf die A 100. Zur Grenzallee nach Neukölln sind es nur wenige Minuten.

    Weitere (u.a.) Artikel der Reihe

    Frühstück bis nachmittags um vier (Kastanienallee, 7 Exemplare)
    https://www.tagesspiegel.de/kultur/serie-berliner-doppelstrassen-5-fruehstueck-bis-nachmittags-um-vier/26037380.html

    Vom Waterlooufer zur Wuhle ( Zossener Straße, gibt es echt nur zweimal)
    https://www.tagesspiegel.de/kultur/serie-berliner-doppelstrassen-6-vom-waterlooufer-zur-wuhle/26057690.html

    #Berlin #Grenzallee #Neukölln #Grenzweg #Treptow-Köpenick

  • Denkmalschutz oder Tesla?: Gasometer-Ausbau zum Berliner Designzentrum sorgt für Streit - Berlin - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/denkmalschutz-oder-tesla-gasometer-ausbau-zum-berliner-designzentrum-sorgt-fuer-streit/26011670.html

    17.07.2020, von ALFONS FRESE - Neben der Fabrik in Grünheide will der Autobauer Tesla in Berlin ein Entwicklungszentrum errichten. Plant Elon Musk in Schöneberg seine Europazentrale?

    Reinhard Müller ist bockig. „Ich mache es nicht“, sagt der Gründer und Eigentümer des Euref Campus in Schöneberg. „Ich werde das Objekt nicht bauen, wenn es nicht so kommt, wie ich möchte.“ Das Objekt ist der 110 Jahre alte Gasometer, mit einer Höhe von 78 Meter eine herausragende Landmarke zwischen Rathaus Schöneberg und Südkreuz.

    Müller will den Gasometer innen ausbauen und 35.000 Quadratmeter Bürofläche schaffen. Der Denkmalschutz befürchtet, dass die Struktur des Industriedenkmals mit seinem transparenten, stählernen Gerüst nicht mehr sichtbar ist. Und überhaupt: Wenn so ein Koloss zugebaut wird, entsteht ein „massiver schwarzer Block“, wie kürzlich ein Bezirksverordneter meinte. Kein schöner Anblick für die Bewohner der Roten Insel.

    Vor rund zwölf Jahren übernahm der aus Krefeld stammende Architekt und Stadtplaner Reinhard Müller die 5,5 Hektar große Industriebrache zwischen dem S-Bahnhof Schöneberg und der Kolonnenstraße von der Gasag. Als sich nach Fukushima 2011 die Energiewende beschleunigte, profitierte das Europäische Energieforum (Euref) ganz besonders.

    Müller spricht heute von einem Reallabor der Energiewende, auf dem Forscher und Unternehmer, Start-ups und Konzerne wie die Bahn und demnächst die Gasag ansässig sind. End- und Höhepunkt der Entwicklung soll der Ausbau des Gasometers sein, der einst zu den größten Gasspeichern Europas gehörte und seit 1995 nur noch Denkmal ist.

    Die nach dem Talkmaster benannte Jauch-Kuppel, in der von 2011 bis 2015 über Politik diskutiert wurde, machte den Gasometer bundesweit bekannt. Jauch ist wieder weg. Jetzt kommt Tesla. Vielleicht.

    Tesla passt zum Profil des CO2-freien Euref-Campus
    Der Elektroautohersteller baut im brandenburgischen Grünheide eine Autofabrik. Und in der Hauptstadt des wirtschaftlich stärksten europäischen Staates mit dem größten Automarkt und den berühmtesten Automarken möchte Elon Musk präsent sein und ein Design- und Entwicklungszentrum einrichten, womöglich auch die Europazentrale.

    [Wie entwickelt sich Ihr Kiez? In unseren Leute-Newslettern berichten wir über Bauen, Wohnen, Wirtschaft in allen zwölf Berliner Bezirken. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

    Tesla passt zum Profil des CO2-freien Euref, und so sind Müller und die Tesla-Leute angeblich übereingekommen: Mit 2000 Mitarbeitern zieht Tesla in den Gasometer. Wenn denn alles so läuft, wie Müller sich das vorstellt: Im Erdgeschoss soll ein 16 Meter hohes Veranstaltungszentrum entstehen.

    Dann werden in den folgenden sechs Feldern zwölf Geschosse gebaut und schließlich eine öffentlich zugängliche Dachterrasse. „Bestimmt ein schönes Highlight für den Bezirk“, werben Müllers Leute für die „Skylounge“ und das Projekt insgesamt.

    Ein oder zwei offene Felder – darum dreht sich der Streit
    Müller will oben nur ein Feld offen lassen, die Denkmalschützer plädieren für zwei, damit der Koloss nicht ganz so gewaltig im Stadtbild steht. „Eine höhere Bebauung ist nicht denkmalverträglich“, sagte Landeskonservator Christoph Rauhut dem Tagesspiegel.

    Ein oder zwei offene Felder – darum dreht sich der Streit. Und darum, wie eine „Verschattung“ erreicht wird, damit das Hochhaus nicht im Dunkeln funkelt. Müller spricht von „Licht-Smog“, wenn die Büros beleuchtet sind. Seine Lösung ist einfach: Sobald es dunkel wird, fahren Jalousie runter.

    Der Euref-Chef ist fertig mit der Planung und hat Anfang März einen Bauantrag eingereicht - mir nur einem offenen Feld. Im bisherigen B-Plan sind aber zwei vorgesehen. Mitte Juni befasste sich dann der Bezirksausschuss für Stadtentwicklung mit dem Thema, Müller trat auch auf.

    Mit Hilfe eines Gutachters wurde die so genannte Planstraße abgeräumt, eine zusätzliche Straße zur Erschließung des Euref-Geländes, die Müller nach der bisherigen, mehr als zehn Jahre alten Planung hätte finanzieren müssen. Doch der Autoverkehr entwickelt sich mäßig, zum Euref kommen die meisten dort Beschäftigten - derzeit etwa 3500 - mit Fahrrad, Bus oder Bahn. Das gilt auch für die 1000 Gasag-Mitarbeiter, die im Herbst auf das Gelände ziehen.

    Neugestaltung der Zufahrtstraße und eine Brücke zum S-Bahnhof
    Die Straße wird nicht gebraucht, da sind sich Bezirk und Investor einig. Müller spart also – und übernimmt die Kosten der Umgestaltung der Torgauer Straße. Das ist eine enge und holprige Gasse, für die man ein Mountainbike braucht. Rund 700.000 Euro veranschlagt Müller für die Sanierung der Torgauer respektive die Einrichtung einer Fahrradstraße mit eingeschränktem Autoverkehr.

    Der Bezirk wünscht sich dazu eine Zugang zum Euref über die Gasag-Brücke, die vom S-Bahnhof Schöneberg kommt und den Sachsendamm überquert. Müller verhandelt derzeit mit der Bahn darüber, ob er die Brücke für Fußgänger und Radfahrer mit ein paar hunderttausend Euro herrichten darf.

    Die Aufhübschung der Nordspitze des Euref am Cheruskerpark übernimmt er auch noch. Das alles sagte der Euref-Chef am 10. Juni den Bezirksverordneten zu. „Ist ja heute ein teurer Abend“, meinte Müller damals. Ein bisschen Koketterie darf sein – zumal die Abgeordneten begeistert waren von den Plänen des Investors. Gasometerausbau inklusive.

    „Der Kiez wird es Ihnen danken und die Nachbarschaft auch“, sagte Bezirksbaustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) und lobte das vereinbarte Paket: Müller übernimmt freiwillig Aufgaben, für die eigentlich der Bezirk zuständig ist. Und der Bebauungsplan wird geändert, wodurch die ursprünglich vorgesehene Nutzungsfläche von 165.000 Quadratmeter auf 135.000 sinkt. Im Gegenzug darf Müller den Gasometer so zubauen, wie er möchte.

    Die Ausbaukosten betragen laut Müller gut 200 Millionen Euro
    „Wir haben einen Interessenten und müssen 2000 Arbeitsplätze unterkriegen“, argumentiert der Euref-Macher, ohne den Interessenten zu nennen. Das haben ihm die Amerikaner verboten. 2000 Arbeitsplätze bekommt Müller nach eigenen Angaben nur untergebracht, wenn er den Gasometer bis auf das oberste Feld zubaut. Tesla benötige den Platz und er die Mieteinnahmen, sonst würde sich das Investment nicht rechnen.

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    Gut 200 Millionen Euro veranschlagt er für den Ausbau – etwa 6000 Euro für jeden der 35.000 Quadratmeter Bürofläche. „Das ganze Gebäude ist ausgeschrieben, die Statik ist fertig“, sagt Müller im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Bis zum 1. Januar brauche ich eine Teilgenehmigung, damit der Gasometer am 1.7.2023 fertig ist.“ Dann wolle Tesla einziehen.

    Müllers Argumentation zusammengefasst: Wenn wegen des Denkmalschutzes zwei Felder offenbleiben, fehlt Platz, Tesla kommt nicht und der Gasometer wird nicht ausgebaut.

    Nun kommt der Senat ins Spiel, weil dieser Konflikt nach Einschätzung Oltmanns nur von der großen Politik entschieden werden kann. Der Schöneberger Baustadtrat fasst den Verhandlungsstand des Bezirks mit Müller zusammen und reicht das Verfahren dann weiter an Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

    Die lädt irgendwann nach der Sommerpause Kultursenator Klaus Lederer (wegen Denkmalschutz), Bausenatorin Katrin Lompscher (wegen der Höhe) und Jörn Oltmann selbst zu einer Ämterrunde ein, um eine Frage zu beantworten: Etwas weniger Bebauung, um dem Denkmalschutz gerecht zu werden, oder Tesla in den Gasometer holen? Diese Zuspitzung und die Entweder-Oder-Ansage Müllers missfällt Oltmann, der sich eigentlich an der Seite des Euref-Mannes sieht. „Ich weiß nicht, ob es zielführend ist, jetzt so auf die Marmelade zu hauen.“

    #Berlin #Schöneberg #Torgauer_Straße #Stadtentwicklung #Wirtschaft

  • Fehlender Schutz für Schwarze lesbische Geflüchtete
    #Mengia_Tschalaer

    NGO-Zahlen deuten darauf hin, dass in Bayern etwa 95 Prozent der Asylanträge, die von Schwarzen lesbischen Frauen gestellt werden, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erst einmal eine Ablehnung erfahren.

    Dies steht im Gegensatz zu der allgemeinen Ablehnungsrate von schwulen Männern von 50 Prozent und der von heterosexuellen Frauen von etwa 30 Prozent. Obwohl die Zahlen zu LSBTI-Asylanträgen nur eine Schätzung sind, weil das BAMF Asylfälle von LSBTI nicht gesondert erfasst, scheinen diese jedoch zu zeigen, dass lesbische Asylsuchende auf der Suche nach Flüchtlingsschutz in Deutschland besonderen Herausforderungen gegenüberstehen.
    Frauen und Kinder gelten als besonders schutzbedürftig

    Dies gilt insbesondere für Schwarze lesbische Frauen afrikanischer Herkunft, welche oft Formen von LSBTIQ-Feindlichkeit wie soziale Ächtung, Rassismus und (sexuelle) Gewalt erfahren.

    In Übereinstimmung mit einer kürzlich erlassenen EU-Richtlinie erkennt Deutschland Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität als Asylgrund an. Darüber hinaus erkennt Deutschland mit der Ratifizierung der Istanbuler Konvention von 2011, dass geschlechtsspezifische Gewalt eine Verfolgung darstellen kann und daher Flüchtlingsschutz gewährleistet werden soll. Tatsächlich werden Frauen und Kinder zusammen mit den Opfern von Sexhandel als die schutzbedürftigsten und am stärksten gefährdeten Personen im europäischen Asylsystem betrachtet.

    Wie die 2019 Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigt, haben in Deutschland über 50 Prozent der heterosexuellen Frauen erfolgreich den Flüchtlingsstatus als Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung (Zwangsheirat, FGM, Ehrenmord, Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder Zwangsprostitution) erlangt. Lesbische Geflüchtete kämpfen jedoch darum, erlebte Gewalt und Menschenrechtsverletzungen für den Flüchtlingsschutz geltend zu machen.

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    Ein Beispiel dafür ist Hope, eine lesbische Frau aus Uganda deren Asylfolgeverfahren zurzeit in Bayern läuft. In mehreren Gesprächen erzählt sie ihre Geschichte. Sie war 15 Jahre alt, als sie ihre erste sexuelle Begegnung mit einer Frau hatte. Zwei Jahre später verheiratete ihr Vater sie gegen ihren Willen mit einem Freund - einem älteren Mann mit mehreren Frauen -, um ihre sexuelle Orientierung zu „korrigieren“.

    Nach etwa einem Jahr verließ Hope die missbräuchliche Ehe, die dazu geführt hatte, dass sie infolge körperlicher Gewalt zwei Mal schwanger wurde und die Babys verlor. Sie überzeugte ihren Vater, sie an studieren zu lassen. Dort lernte sie eine Frau kennen, mit der sie fast zehn Jahre lang in einer Beziehung lebte. Angesichts der sich rasant verschärfenden politische Lage für queere Menschen in Uganda, war das Paar sehr vorsichtig und hielt seine Beziehung geheim.
    In den Fängen von Menschenhändlern

    Die Nachbarn schöpften über die Jahre jedoch Verdacht und 2017 wurde Hopes Wohnung von einem Mob durchsucht. Dabei erlitt ihre Partnerin so schwere Verletzungen, dass sie ins Krankenhaus behandelt werden musste. Hope verbrachte eine Woche in Polizeigewahrsam. Kurz nach ihrer Entlassung entschloss sie sich zur Flucht aus Angst vor weiteren sozialen Repressalien und staatlicher Verfolgung.

    Mit der Unterstützung ihrer Mutter arrangierte Hope eine Flugreise nach Italien über ein lokales Reisebüro. Bei ihrer Ankunft in Italien stellt sich jedoch heraus, dass die Agentin dieses „Reisebüros“ Mitglied eines Menschenhandelsrings war. Hope wurde Opfer von Sexhandel. Während eines Monats bediente Hope etwa fünf Kunden pro Tag. Dann verhalf ihr ein „Stammkunde“ zur Ausreise nach Deutschland, wo sie im Februar 2018 Asyl beantragte.

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    Im August 2018 wies das BAMF ihren Asylantrag mit der Begründung zurück, dass ihre Darstellung von Homosexualität, Trauma und Schmerz nicht glaubwürdig seien. Das BAMF rechtfertigt die Entscheidung damit dass Hopes Anspruch auf Schutzgewährung nicht im engeren Sinne unter den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 fällt, weil „sie keine begründete Furcht vor Verfolgung nennen konnte“.

    Dass Hope jedoch einer Zwangsheirat und Vergewaltigung in der Ehe, häuslicher Gewalt und Sexhandel ausgesetzt war – Menschenrechtsverletzungen welche in direktem Zusammenhang mit ihrer sexuellen Orientierung stehen -, wurde in der Entscheidung völlig übersehen. Diese Gewalt wurden entweder als nicht direkt mit ihrem LSBTI-Asylantrag verbunden oder einfach als nicht glaubwürdig eingestuft. Dies beinhaltet auch den Sex-Trafficking-Vorfall.
    Sichtbarkeit würde Lesben in Uganda in Gefahr bringen

    Darüber hinaus stellte der Entscheider die Sexualität von Hope aufgrund des Mangels an (sichtbarem) Sex in Frage. Es schien ihm unglaubhaft, dass Hope keinen Geschlechtsverkehr mit Frauen während der Mittelschule hatte und dass sie es „schaffte“, fast zehn Jahre lang heimlich in einer Beziehung mit ihrer Partnerin zu leben.

    Für Hope wäre Sichtbarkeit jedoch mit großem Risiko verbunden gewesen. „Ich habe mich nie ganz geoutet. Ich kann das in Uganda nicht tun, sonst werde ich zu Tode geprügelt oder lande im Gefängnis. Die Polizei schützt dich nicht. Ich spreche also nie über diese Dinge", sagt sie.

    Und schließlich bemängelt der Entscheider, dass Hope keine gleichgeschlechtliche Beziehung in Deutschland unterhalten habe, obwohl dies nun ohne Angst vor Repressalien möglich wäre.
    Outing gegenüber deutschen Beamten fällt schwer

    Warum wurden die Episoden von Gewalt in Hopes queerer Asylgeschichte nicht mit ihrer Homosexualität in Beziehung gesetzt, könnte man fragen. Und warum wurde Hope den Flüchtlingsschutz verweigert, obwohl die Istanbuler Konvention von 2011 geschlechtsspezifische Gewalt als Fluchtgrund anerkennt?

    „Lesbische Asylsuchende sind im deutschen Asylsystem einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt, weil sie Frauen und lesbisch sind“, sagt eine Psychologin, die in einer Beratungsstelle in Bayern lesbischen Frauen in ihren Asylanträgen hilft. Sie möchte ihren Namen zum Schutz ihrer Klientinnen nicht nennen.

    Nach Angaben der Lesbenberatungsstelle ist der häufigste Grund für die Ablehnung der, dass es für die Frauen unglaublich schwierig ist, sich gleich im ersten Moment dem/der Entscheider*in gegenüber zu outen. „Für viele Frauen sind sogar die Worte ,Ich bin lesbisch’ extrem schwierig auszusprechen", sagt die Beraterin.

    Zudem berufen sich Entscheider*innen oft auf westliche Stereotypen von Homosexualität. Vorstellungen von Zwangsehen und die Möglichkeit, dass auch lesbische Frauen Kinder haben, werden hingegen ausgeblendet. Letzteres wird tatsächlich oft als Grund für die Unglaubwürdigkeit und somit Ablehnung genannt.
    Ein positiver Bescheid macht Hoffnung

    Und letztlich wird erwartet, dass lesbische Geflüchtete, die häufig traumatisiert sind, Gewaltereignisse mit großer Genauigkeit - einschließlich genauer Daten und Orte - wiedergeben um ihre sexuelle Orientierung als „schicksalhaft und irreversibel“ (so der Wortlaut des deutschen LSBT-Asylgesetzes) darzustellen.

    Da Schwarze lesbische Geflüchtete die in Deutschland einen Asylantrag stellen meist weder dem heteronormative Opferbild von Mutterschaft und weiblicher Verletzlichkeit entsprechen noch den typisch westlichen „gay lifestyle“ verkörpern, scheint ihr Leid, ihr Schmerz und ihr Angst vor Verfolgung im deutschen Asylwesen oft unerkannt zu bleiben.

    Ein positiver Entscheid vom April 2020 im Fall einer lesbischen Geflüchteten aus Uganda lässt jedoch neue Hoffnung aufkeimen. Angesichts der zunehmenden Kriminalisierung von Homosexualität in Uganda sprach das Bayerische Obergericht nach elf Jahren Wartezeit ein positives Urteil aus.

    Es ist jedoch anzunehmen, dass der Weg bis zur Gleichberechtigung für Schwarze lesbische Frauen im Deutschen Asylwesen noch lang und steinig sein wird.
    Mengia Tschalaer ist Marie-Curie Research Fellow an der School of Sociology, Politics and International Studies der Universität von Bristol.

    Policy Brief: http://www.bristol.ac.uk/media-library/sites/policybristol/briefings-and-reports-pdfs/2020-briefings-and-reports-pdfs/Tschalaer_Briefing_86_Lesbian_Asylum_seekers_DE.pdf

    #migration #asylum #Germany #LGBTQ* #BAMF #sexuality #sexual_orientation #homosexuality

    https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/asylgrund-homosexualitaet-fehlender-schutz-fuer-schwarze-lesbische-gefluechtete/25938886.html

    • #Safe_House „La Villa” – die LSBT*IQ-Geflüchtetenunterkunft

      Laut International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (#ILGA) gibt es weltweit 72 Länder und Territorien mit antihomosexuellen Gesetzen, das sind 37 Prozent von 197 bewerteten Staaten. In 13 Ländern Afrikas und Asiens droht Homosexuellen sogar die Todesstrafe, darunter im Iran, in Saudi-Arabien und Teilen Nigerias. Sie gilt auch in wichtigen Reiseländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar, wird dort aber laut ILGA aktuell nicht vollstreckt.

      Seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 wurde deutlich, dass sich unter den geflüchteten Männern und Frauen immer wieder homo-, bi- und transsexuelle Menschen befinden, die auf Grund der obengenanneten Verfolgung in ihrer Heimat zu uns gekommen sind. Leider mussten sie erleben, dass sie auch in den deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften von ihren Mitgeflüchteten oft offener Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind – wie schon in ihren Herkunftsländern.

      Dieser Zustand war unhaltbar. Daher hat die AIDS-Hilfe Frankfurt (AHF) früh gefordert, dass es für diese spezielle Zielgruppen einen besonderen Schutzstatus und entsprechende Schutzräume geben muss, um sie vor weiterer Diskriminierung zu bewahren und ihnen eine Perspektive in unserer freiheitlichen Gesellschaft zu eröffnen. Schon früh ermöglichte die AHF den Rainbow Refugees – eine Ehrenamtsgruppe, die sich für die Belange von LGBT*IQ-Geflüchteten einsetzt – die kostenfreie Raumnutzung für einen wöchentlichen Stammtisch im Switchboard. Die Kooperation wurde ausgebaut und besteht bis heute: es gibt inzwischen auch eine Ehrenamts-Gruppe für die La Villa. Die Nöte der Geflüchteten wurden durch die große Nachfrage nach Unterstützung und Hilfe noch sichtbarer und es war dringend notwendig, ein adäquates Angebot zu schaffen. Die Idee für eine Gemeinschaftsunterkunft für LGBT*IQ-Geflüchtete wurde geboren.

      So hat die AHF Anfang 2017 das Konzept für ein „Safe House“ erstellt und dank pragmatischer und unkonventioneller Unterstützung durch das Sozialdezernat der Stadt Frankfurt gemeinsam umsetzen können: Anfang April 2018 eröffnete die von den Bewohner*innen selbst benannte Gemeinschaftsunterkunft La Villa.

      Das Projekt begann mit 7 Bewohner*innen. Inzwischen ist das Haus mit 19 Bewohnern*innen in zehn Doppel- und zwei Einzelzimmern, wovon eines als Notfallzimmer dient, fast voll belegt. Die meisten Bewohner*innen sind schwule, junge Männer, aber auch Transfrauen und genderfluide Menschen haben dort eine sichere Unterbringung gefunden. Der jüngste Geflüchtete ist 21 Jahre, der Älteste 43 Jahre alt. Die Geflüchteten kommen aus dem Irak, Syrien, Iran, Marokko, Russland, Jamaika, Kuba, Aserbaidschan, Sudan und Kuwait. Der Bildungs- bzw. Ausbildungsstand der Bewohner*innen ist sehr unterschiedlich, genauso wie deren Einreise nach Deutschland. Die meisten der Bewohner*innen sprechen Englisch und/oder Französisch, einzelne auch schon recht gut Deutsch.

      Um das Zusammenleben zu verbessern gibt es einmal pro Monat ein verbindliches Hausmeeting. Thema ist zum Beispiel die Gemeinschaftsküche und die damit verbundenen typischen WG-Probleme wie Nutzung und Sauberkeit und wie diese gelöst werden können. Zur weiteren Stärkung des Gemeinschaftsgefühls wurden bereits kurz nach der Eröffnung Aktivitäten organisiert, die oft durch Ehrenamtliche und Spenden ermöglicht wurden. Dazu zählen beispielsweise der Besuch eines Eintrachtspiels, der Malteser-Social-Day mit Stadtführung und Bootsfahrt oder der ARCO-Weihnachtsempfang der Commerzbank, gemeinsames Kochen oder eine Ramadan-Feier.

      Viele Bewohner*innen haben sich seit ihrem Einzug weiterentwickelt. Das betrifft vor allem die Stärkung und Stabilisierung des eigenen Selbst. Die überschaubare Einrichtungsgröße mit 20 Bewohner*innen bietet Sicherheit sowie eine vertrauensvolle Atmosphäre und hilft auch traumatisierten Personen, Ruhe zu finden und sich langsam zu öffnen. Daraus resultiert das große Bemühen, auch bei einem negativen Bescheid und Abschiebedrohung, z.B. in ein Ausbildungsverhältnis zu kommen, um ihr Leben in ihrer neuen „Heimat“ zu regeln: Ein Bewohner hat trotz Sprachniveau B1 bereits einen Ausbildungsplatz im Hilton-Hotel gefunden.

      Nur fünf Bewohner*inner der La Villa haben einen gesicherten Aufenthalt – eine Bewohner*in hat subsidiären Schutz, zwei haben Asyl, zwei die Anerkennung als Flüchtling. Alle anderen sind im Asyl-Klageverfahren. Davon haben einige wenige bereits ihre zweite Ablehnung bekommen und nur eine Duldung erhalten, weil sie nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können.

      Stand Februar 2019

      Ansprechpartner*innen:

      Petra Diabaté, M. A.
      Hausleiterin „La Villa“ und Sozialberaterin
      E-Mail: petra.diabate@ah-frankfurt.de
      Telefon: 01 76 / 22 54 88 73
      Fax: 0 69 / 75 00 56 31

      Mark Hayward
      Hausleiter „La Villa“ und Sozialberater
      E-Mail: mark.hayward@ah-frankfurt.de
      Telefon: 01 59 / 01 63 10 46
      Fax: 0 69 / 75 00 56 31

      #accomodation #safe_space #Frankfurt

      https://www.frankfurt-aidshilfe.de/content/safe-house

    • OPEN DYKES*_Gleichberechtigung im Asylverfahren für lesbische und queere geflüchtete Frauen
      Online-Veranstaltung*

      Eine Verletzung der Freiheit der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität begründet in Deutschland ein Recht auf Asyl – trotzdem wird dieses Recht statistisch gesehen vor allem Schwarzen lesbischen und queeren Frauen* vorenthalten, die aufgrund ihrer Sexualität in ihren Heimatländern unter Unterdrückung und Verfolgung leiden. Dr. Mengia Tschalaer (Universität Bristol) hat im Rahmen ihrer Forschungen zu LSBTTIQ und Flucht in Deutschland festgestellt, dass diese Diskriminierung auf stereotypen Vorstellungen von lesbischer Sexualität beruht, die offensichtlich nicht mit den Lebensrealitäten der abgelehnten Asylbewerber_Innen übereinstimmen. Kaum berücksichtigt werden in den Asylentscheidungen auch Formen der Verfolgung und Gewalt wie Zwangsheirat, Vergewaltigung in der Ehe und häuslicher Gewalt, obwohl in Deutschland seit Ratifizierung der Istanbul-Konvention geschlechtsspezifische Gewalt als eine Verfolgung anerkannt ist und daher Flüchtlingsschutz gewährleistet werden soll.
      Was muss sich ändern, um die strukturelle Diskriminierung von Schwarzen lesbischen und queeren geflüchteten Frauen* abzubauen? Nach einem einführenden Vortrag durch Dr. Mengia Tschalaer diskutieren Monique Richards (Unicorn Refugees, PLUS Rhein-Neckar e.V.), Sara Schmitter (LeTRa), Margret Göth (Dipl.-Psychologin, PLUS Rhein-Neckar e.V.) in einer Online-Veranstaltung, welchen Konflikten sich Schwarze lesbische und queere Frauen* ausgesetzt sehen und welche Handlungsbedarfe bestehen, um tatsächlichen allen ihr Menschenrecht auf Asyl zu garantieren.
      Moderiert wird die Veranstaltung von der Vorstandsvorsitzenden des Hessischen Flüchtlingsrates Dr. des. Harpreet Kaur Cholia.

      Die Veranstaltung findet am 22.07.2020 von 18-20 Uhr statt und ist über Zoom, erreichbar unter
      https://us02web.zoom.us/j/83494542645?pwd=Zmt2NjdTMTU2OUtEQzh3ZEFnYXhFUT09

      Meeting-ID: 834 9454 2645
      Passwort: 355106,
      und im Facebook-Livestream verfolgbar.

      Das Queeres Netzwerk Heidelberg organisiert die Veranstaltungsreihe „OPEN DYKES* - lesbisch, queer und sichtbar“ – in Kooperation mit dem Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg und Mosaik Deutschland e. V. aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.

      Weitere Informationen zu den Aktionswochen vom 22. Juli bis zum 7. August 2020 von und für lesbische, queere und frauenliebende Frauen gibt es unter www.queeres-netzwerk-hd.de .

      https://www.facebook.com/events/606886813305719

    • Antirassistischer Denkmalsturm - Auch der Philosoph Immanuel Kant steht zur Debatte

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/6/6e8b1662f626df0ddba57ab8d648ae90v2_max_635x357_b3535db83dc50e2

      Nach den Antirassismus-Protesten weltweit hofft der Historiker Michael Zeuske auf einen kulturellen Wandel. Auch in Deutschland müsse über historische Persönlichkeiten wie den Philosophen Immanuel Kant neu diskutiert werden.

      Auch an diesem Wochenende wird europaweit gegen Polizeigewalt und Rassismus demonstriert. „Black Lives Matter“, heißt es in London, Paris und Berlin. In der englischen Stadt Bristol wurde vor einigen Tagen die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel gerissen und symbolisch ins Hafenbecken geworfen. Von dort legten die meisten Sklavenschiffe ab.

      #audio #radio

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/antirassistischer-denkmalsturm-auch-der-philosoph-immanuel.101

    • Denkmalsturz-Debatte: Kant und die Stammtischwahrheiten

      Was Immanuel Kant an Gedanken über den Begriff der Rasse publiziert hat, wurde schon zu seinen Lebzeiten nicht immer mit Ehrfurcht behandelt oder auch nur ernst genommen. Johann Daniel Metzger, ein Universitätskollege Kants, der in Königsberg Anatomie lehrte, veröffentlichte 1786 einen Aufsatz „Ueber die sogenannten Menschenracen“, in dem er sich mit Kants Abhandlungen „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ von 1777 und „Bestimmung des Begrifs einer Menschenrace“ von 1785 auseinandersetzte. Zu Kants Vorschlag, vier „Keime“ anzunehmen, die vier durch Hautfarben unterschiedene Rassen erzeugen und für die Unveränderlichkeit dieses vererbten Merkmals sorgen, nahm Metzger Stellung, indem er zunächst einen anderen Autor anführte, Johann Gottfried Herder. Was Herder darlege, dass „die Abartungen der Menschengattungen“ durch den Einfluss von Ort und Zeit entstünden, „klimatisch und genetisch“, das sage uns „die genaue Beobachtung der Natur“. Solche Bestätigung durch die Naturbeobachtung war nach Metzger für Kants Lehrstück von den Hautfarben nicht zu haben. „Von den viererley Keimen eines einzelnen Menschenstammes schweigt sie hingegen gänzlich, und ich hätte beynahe Lust über diese weissen, schwarzen, rothen und gelben Keime ein wenig zu lachen, wenn die schuldige Hochachtung für den Herrn Prof. es mir nicht untersagte.“

      Wie viel Stoff zum Lachen das von Kant zusammengetragene Wissen über die vermeintlich augenfälligen Unterschiede zwischen den sehr weit von einander entfernt lebenden Völkergruppen der Menschheit bietet, erkannte vor vier Jahrzehnten der Schriftsteller Eckhard Henscheid, als ihm die 1802 gedruckte Ausgabe von Kants Vorlesungen über „Physische Geographie“ in die Hände fiel. Er veranstaltete eine separate Neuausgabe des Kapitels über die Afrikaner, ergänzt um eine eigene Fortschreibung der kantischen Ethnographie, die unter Überschriften wie „Physiologie und Körperbau" oder „Geschlechtsbarkeit und Pflöckeln" den Untersuchungsgegenstand in absurdem Nominalismus entgrenzte und beispielsweise auch den Mainzer Karnevalssänger Ernst Neger als Spezimen heranzog. Das Ganze wurde ein mehrfach auch als Taschenbuch nachgedrucktes Büchlein, auf dessen Titelblatt Henscheid nach dem Brauch der Naturwissenschaft als Ko-Autor Kants in Erscheinung trat: Immanuel Kant / Eckhard Henscheid, Der Neger (Negerl).

      Es ist keine Spekulation, wenn man behauptet, dass dieses Buch unter diesem Titel (ohne den es witzlos würde) heute nicht wieder aufgelegt werden könnte. Selbst seine Behandlung in einem Universitätsseminar der Germanistik wäre unmöglich, und zwar schon deshalb, weil die Studenten sich typischerweise die Forderung afrodeutscher Bürgerrechtsaktivisten zueigen gemacht haben, dass kein Weißer das N-Wort in den Mund nehmen dürfe – noch nicht einmal zitierend.
      Studenten und andere Minderheiten

      Der Rezensent des Norddeutschen Rundfunks stellte 1982 fest, dass Henscheid die meisten der von Kant wieder abgedruckten Sätze auch selbst hätte fabrizieren können. „Die Neger werden weiß geboren, außer ihren Zeugungsgliedern und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind. Von diesen Theilen aus ziehet sich die Schwärze im ersten Monate um den ganzen Körper.“ Der NDR-Kritiker charakterisierte diese Aussagen als „Stammtischwahrheiten“; das heißt als Pseudo-Wissen, in dem Gerüchte, Phantasien und ein winziger Extrakt von Angelesenem unentwirrbar vermengt sind. Was fand Henscheid an diesem Wust anachronistischer Ist-Aussagen interessant für ein Lesepublikum der nicht mehr ganz jungen Bundesrepublik?

      Im NDR gab es eine Antwort. „Worauf er mit seinen Sentenzen hinauswill, zeigt folgende Wortkombination: ,Neger sind die Frauen unserer Zeit. Wo man hinschaut, Unterdrückung. Neger sind die Juden unserer Zeit. Also praktisch Studenten. Und andere Minderheiten.“ Mit „dieser verdrehten Logik“, so der Rezensent, entlarvte Henscheid die „Sprachhülsen“ einer politischen Rhetorik, in der die Erfahrung der Unterdrückung zur kleinen Münze geworden war, weil von der universellen Umtauschbarkeit auch Nichtbetroffene profitierten. Wenn der Kritiker weiter referiert, dass Henscheid „mit der ,Black is Beautiful‘-Mentalität und deren verharmlosender Anpassungstendenz“ aufräumen wolle, klingt das heute anstößig, bis man erkennt, dass man Henscheid auch als Pionier der Kritik an der kulturellen Aneignung würdigen kann. Henscheids „Aufruf an alle deutschen Neger" richtete sich gegen die Dummheit eines kulturbürgerlichen Milieus, dem bei allem ideologiekritischen Eifer nie in den Sinn kommt, dass auch die eigenen aufgeklärten Parolen für Außenstehende nachgeäfft und deshalb lächerlich klingen könnten. „Angesichts der bescheuerten Popper und Punker, angesichts des elendiglichen Lehrerüberangebots: Macht den Deutschen Beine. Inklusive Jimmy Hartwig!" (Jimmy Hartwig ist ein Fußballer, der 1982 für den HSV spielte.)

      Heute lassen sich die Deutschen wenigstens in den Kulturredaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von einer revolutionären Stimmung Beine machen, die auf den Sturz der Denkmäler von Sklavenhändlern, Reichsgründern und anderen des Rassismus verdächtigten Personen drängt. Im Deutschlandfunk Kultur sagte Michael Zeuske, ein Historiker der Sklaverei, der an der Universität Bonn forscht, wenn man die Denkmäler von Rassisten stürzen wolle, müsse man „beispielsweise“ an Kant „rangehen“, der „in seinen anthropologischen Schriften den europäischen Rassismus mit begründet“ habe. Ein solches Urteil kann sich scheinbar auf die zeitgenössische Rezeption dieser Schriften stützen.
      Die Grenzen der Satire

      Für Metzger bewiesen sie „die Unkenntniß des Herrn Prof. in der Physiologie“; Kant zeige, dass er „in dieser Wissenschaft ganz Fremdling“ sei. Damit scheint ein Merkmal des volkstümlichen Rassismusbegriffs erfüllt: die Unwissenschaftlichkeit einer Einteilung der Menschheit entlang erblicher Eigenschaften. Kant hatte diese Eignung des Ererbten für stabile Distinktionen auf eine einzige Eigenschaft, die Hautfarbe, beschränkt und damit auch eigene frühere Positionen korrigiert, aber genau in diesem Punkt widersprach ihm Metzger: „Der Mohr aus Senegambien wird zwar in Frankreich Mohr bleiben, weil ihm das Clima sein unauslöschliches Siegel aufgedrückt hat. Er wird auch seine Rechte auf seine Nachkommenschaft noch behaupten, weil Generationen dazu gehören, wenn Menschen aus einem Clima einem andern anarten sollen -; allmählich aber wird die Umänderung doch geschehen. Seine Ururenkel werden die mächtige Hand des Clima und einer veränderten Lebensart unfehlbar an sich erfahren.“

      Der Mohr auf französischem Boden wird demnach ungefähr in der vierten Generation zum Weißen werden und so vor Augen führen, dass „kein einziges Merkmal einer Menschenvarietät unvertilgbar erblich“ ist. Bei Kant steht das Gegenteil. Einen entsprechenden Satz übernahm Henscheid: „Die Europäer, die in dem heißen Erdgürtel wohnen, werden nach vielen Generationen nicht Neger, sondern behalten ihre europäische Gestalt und Farbe.“ Dieser in der NDR-Rezension zitierte Satz wirkt auf uns wie eine Stammtischweisheit in dem Sinne, dass er mit dem Pathos der Umständlichkeit etwas Selbstverständliches ausspricht; zum Stammtisch gehört neben dem weit Hergeholten und dem böse Erfundenen auch das allzu Naheliegende. Der Disput mit Metzger zeigt, dass diese Aussage des physischen Geographen Kant in seiner Zeit aber keineswegs selbstverständlich war.

      Wir erkennen hier, wo Henscheids Verfahren der satirischen Evidenz durch Zitatmontage an seine Grenzen stößt. Die gesammelten Aussagesätze Kants über Körper- und Lebensform der Afrikaner waren nicht allesamt von vornherein so bizarr, wie sie im Rückblick scheinen mögen. Man kann sie nur verstehen, wenn man sie als Beiträge zu einer wissenschaftlichen Diskussion nimmt, in der auch Kants disziplinär zuständigerer Kollege Metzger nicht in allen Punkten die moderne Forschungsentwicklung vorwegnahm. Die wichtigste, nämlich stark einschränkende Bedingung dieser Diskussion war, dass ihr Material aus zweiter Hand stammte.
      Konsistenz hat ihren Preis

      Forscher, die Theorien über den Zusammenhang klimatischer und genetischer Faktoren bei der Ausdifferenzierung der Menschheit aufstellten, waren auf Berichte von Reisenden angewiesen. Der Philosoph Oliver Eberl aus Hannover hat 2019 in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Kantian Review“ die These aufgestellt, dass Kant im Zuge seiner Beschäftigung mit den außereuropäischen Völkern das Belegmaterial vom Typus des Souvenirs wegen Unzuverlässigkeit am Ende systematisch ausgeschieden habe. In dieser Sicht entspräche der Ablehnung von Sklaverei und Kolonialherrschaft, die Kant in seinen späten moralphilosophischen Schriften begründete, eine skeptische Selbstbeschränkung bei der Einschätzung der Möglichkeiten einer empirischen Völkerkunde.

      In der „Welt“ hat Norbert Bolz den neuen Streit um Kant auf die aphoristische Formel gebracht, das Zur-Debatte-Stellen ersetze das Studieren. Das kann nur schreiben, wer selbst nicht liest. Bolz führt die Zeitungsleser in die Irre, indem er ihnen den Stand der Kant-Forschung verschweigt. Über die Frage, wie sich Kants empirische Untersuchungen über die Menschen mit seiner ethischen Theorie für den Menschen begrifflich verbinden lassen, wird dort seit Jahren gestritten, mit Gründen und Gegengründen, wie sie Kant, Herder und Metzger im Streit über die „Race“ austauschten.

      Pauline Kleingeld von der Universität Groningen hat Begriffe für die Alternative gefunden, vor die sich viele ihrer Kollegen gestellt sehen: Soll man Kant als inkonsistenten Gleichheitsdenker ansehen oder als konsistenten Ungleichheitsdenker? Kleingeld beschreibt mit diesen verschränkten Formulierungen ein schulmäßiges Dilemma: Die Herstellung von Konsistenz, also Widerspruchsfreiheit, die Ziel des philosophischen Denkens und auch der sogenannten Rekonstruktion der Gedanken verstorbener Philosophen ist, scheint bei Kant nur um den Preis einer politisch unwillkommenen Bestimmung des Gehalts seiner Philosophie erreichbar.
      Die Einheit der Menschheit

      Der aus Jamaika gebürtige Philosoph Charles Mills, der an der City University of New York lehrt, zahlt diesen Preis. Er will sexistische und rassistische Implikationen des Kategorischen Imperativs explizit machen: Mit dem Menschen, an den sich der Befehl zur Selbstgesetzgebung richtet, meine Kant tatsächlich nur den weißen Mann, daher sei es kein Widerspruch, wenn Kant Afrikanern und Frauen die Fähigkeit zur Regelung der eigenen Angelegenheiten abspreche. Für die Personen, die keine Menschen im Sinne des ethischen Schemas sein sollen, hat Mills einen polemischen Namen. „Kants Untermenschen“. Mills hält einen „schwarzen radikalen Kantianismus“ gleichwohl und erst recht für möglich: Das politische Pendant zu seiner Analyse der stillschweigenden Voraussetzungen von Kants Idee der Menschheit ist die Kritik des liberalen Ideals der Farbenblindheit.

      Kleingeld hat Kant in einem einflussreichen Aufsatz „second thoughts“ zum Thema der Rasse bescheinigt: Sie möchte die Inkonsistenz durch den Nachweis eines Prozesses der Revision wenigstens vermindern. Allerdings wendet sie sich eine rettende Hermeneutik, die gegenläufig zu Mills einen konsequenten Egalitarismus für die wahre Implikation von Kants Lebenswerk hält. Eine gendergerechte Reformulierung von Kants Lehrsätzen lehnt sie ab, solange die Lehren des historischen Kant gemeint sind: Es sei irreführend, für Kants Subjekt das Pronomen „sie“ oder auch „sie oder er“ einzusetzen.

      Der Berliner Philosoph Stefan Gosepath hat im Deutschlandfunk Kultur die Frage nach „gedanklicher Schuld“ Kants gestellt, ohne zu erklären, welche Erkenntnisabsicht Kant mit seinen Überlegungen über eine Rangordnung der Menschenrassen überhaupt verfolgt haben könnte. Diesen Kontext stellt Eberl bereit: Kant fand den Diskussionsstand einer Wissenschaft vom Menschen vor, die den Menschen als Naturwesen betrachten und mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschen wollte. Damit wurden Menschen zu Objekten von Klassifikationen.

      Der Begriff der „Race“ war ein in dieser Fachdiskussion erörtertes Einteilungsschema unter anderen, und eine Pointe seiner Bestimmung durch Kant lag darin, dass er die Einheit der Menschheit intakt ließ. Andere Diskutanten wie der Weltreisende Georg Forster schlugen nämlich vor, verschiedene Menschenarten anzunehmen. Mit der Geduld des wahren Philosophen hat Daniel-Pascal Zorn in einer Reihe von Diskussionsfäden bei Twitter auseinandergelegt, mit was für einer Art von Denken man es hier zu tun hat: einer Wissenschaft, die Hypothesen bildet, das heißt Behauptungen unter dem Vorbehalt der Falsifikation. Als „Debattenbeiträge“ schließen Kants Texte auch Paraphrasen sowie Antithesen ein, deren Form von den zurückgewiesenen Thesen mitbestimmt wird. Zorns wichtigster methodischer Hinweis: Sachaussagen diesen Stils darf man nicht vorschnell mit dem Ausdruck persönlicher Überzeugungen identifizieren. Eine präzise Bestimmung dessen, was zwischen den Diskutanten strittig war, kann dann auch die ethische Dimension der Kontroverse an den Tag bringen. Zwischen Forster und Kant ging es laut Zorn um „Gleichberechtigung im biologischen Unterschied versus Beschreibung von Unterschieden bei Anerkennung des Gleichen im Verschiedenen“.

      Kants philosophischer Ruhm bedeute nicht, „dass er nicht auch bestimmte moralische Fehler auch in seinem Werk begangen hat“, sagte Stefan Gosepath im Radio. Aber wann ist ein Argument, selbst wenn es verworfen wird, als moralischer Fehler zu bewerten? Die „Vertreter der Aufklärung“ seien „nicht unschuldig“, sagte Gosepath weiter. Nur woran?

      Gosepath zitierte einen der bekanntesten Aussprüche Kants, der seine Bekanntheit dem englischen Philosophiehistoriker und Essayisten Isaiah Berlin verdankt: „Wir Menschen sind, wie Kant dann selber sagt, aus einem krummen Holz geschnitzt.“ Solche Sentimentalität gibt das Bemühen um Konsistenz preis. Kants Lehre und Publikationstätigkeit auf dem Feld der naturkundlich informierten Anthropologie, die ihn immerhin jahrzehntelang beschäftigte, erscheint dann als menschliche Schwäche, die irgendwie entschuldigt werden muss. Die Hochachtung, die man einem Wissenschaftler schuldig ist, gebietet aber nur eines: ihn zu lesen und jedes Urteil über die Lektüre mit einem Grund zu versehen.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/denkmalsturz-debatte-rassismusvorwuerfe-gegen-immanuel-kant-16821689.html?GEPC=

    • Wurzeln des Rassismus: Was Kant zu wissen meinte

      War Immanuel Kant ein Rassist? Statue vor der Universität in Kaliningrad Bild: Picture-Alliance

      Der berühmte Philosoph hat sich übel über Rassen geäußert, Schüler trugen seine kruden Theorien weiter. Was sagt das über ihn, seine Zeit und sein Gesamtwerk?

      Wann immer in Deutschland über Rassismus diskutiert wird, kommt die Rede über kurz oder lang auch auf Immanuel Kant, den großen Philosophen aus Königsberg. Auch der sei Rassist gewesen, heißt es dann. Er habe in unfassbarer Weise über Rassen – bei ihm: Race – schwadroniert. Der Bonner Historiker Michael Zeuske, ein Spezialist für die Geschichte der Sklaverei, nannte den Philosophen im Deutschlandfunk jetzt einen Mitbegründer des europäischen Rassismus. Auch Kant müsse man „in den Blick nehmen“, wenn man es ernst meine „mit der Aufklärung von Rassismus und dem Stürzen von Denkmälern“.

      Frank Pergande

      Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

      F.A.Z.

      Kritik an Kant gab es schon früher. Derzeit aber ist sie Teil einer weltweiten Bewegung, die sich nach dem Fall des Schwarzen George Floyd, der in Minneapolis von Polizisten getötet wurde, zuerst in den Vereinigten Staaten bildete. Der Protest richtete sich gegen die Polizei, wuchs dann aber weit darüber hinaus. Seine Wucht hat dazu geführt, dass inzwischen viele Zeugnisse der Sklavenhalter- und Kolonialgeschichte Amerikas abgerissen wurden. Einige Statuen früherer Südstaatengenerale sind weg, ebenso solche für einfache Soldaten. In Richmond im Bundesstaat Virginia stürzten Demonstranten auch ein Standbild des Amerika-Entdeckers Christoph Kolumbus.

      https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wurzeln-des-rassismus-was-der-philosoph-kant-zu-wissen-meinte-16824066.html

    • Kants Rassismus: Ein Kind seiner Zeit

      Kant war ein Rassist. Aber was folgt aus dem Befund, dass der Kritiker der Vorurteile seinen Universalismus nicht zu Ende dachte – und was nicht? Ein Gastbeitrag.

      In einer Zeit, in der Denkmäler von Rassisten und Sklavenhändlern gestürzt werden, wird nun auch diskutiert, ob der Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) vom Sockel gestoßen werden müsse, denn er sei, so der Bonner Historiker Michael Zeuske, durch seine Theorie der Menschenrassen ein Vorreiter des Rassismus und Kolonialismus in Deutschland gewesen. Patrick Bahners hat in diesem Feuilleton am 19. Juni zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Vorwurf insofern unbegründet ist, als Kant seine Theorie der Menschenrassen als einen Beitrag zu einer laufenden wissenschaftlichen Diskussion verstanden hat.

      Tatsächlich habe Kant seine Position mehrfach revidiert und den Begriff der Menschenrasse schließlich aufgegeben. Volker Gerhardt hat in der „Welt“ betont, dass Kant sich äußerte, bevor der Rassismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts und insbesondere die Rassenideologie der Nationalsozialisten die ganze politische und moralische Problematik des Rassenbegriffs offenkundig gemacht haben. Zudem sei Kant in seinen späten Werken gerade kein Vorreiter, sondern ein vehementer Kritiker des Kolonialismus gewesen.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-man-kants-rassismus-bewerten-muss-16827398.html

    • Kants Rassismus: Die falsche Frage

      Die Frage, ob Immanuel Kant ein Rassist war, ist falsch gestellt. Das entscheidende Problem liegt nicht in Kants rassistischen Einstellungen, sondern in der Frage, inwiefern wir sein philosophisches Werk vor dem Hintergrund der Ausführungen zu „Rasse“ neu verstehen müssen.

      Schließlich hat Kant sich nicht nur nebenbei abwertend über nichtweiße Menschen geäußert. Seine „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ (1785) war ihm vielmehr – gerade aus dem Hintergrund seines philosophischen Begriffsrahmens heraus – ein zentrales „wissenschaftliches“ Anliegen. Dies zeigt insbesondere der spätere Text „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie“ (1788), mit dem er auf Kritik an seiner Theorie der „Rasse“ reagierte.

      https://www.faz.net/aktuell/wissen/kants-begriff-der-rasse-als-philosophische-diskussion-16838954.html

    • Prüfung eines Zitats: Kant war ein Anti-Rassist

      Der freundliche Herr auf dem Podest gehört keiner der Menschenrassen an, über deren Einteilung Kant mit den Wissenschaftlern seiner Zeit stritt. Als Denkmäler des beinahe schon aufrechten Gangs präsentierte Georges-Louis Leclerc de Buffon im vierzehnten Band seiner von Kant ausgewerteten Naturgeschichte auch die Menschenaffen. Bild: Bridgeman Images

      War Kant ein Rassist? Diesem Urteil des Kant-Forschers Marcus Willaschek liegt ein Zitat zugrunde, das gar nicht von Kant stammt. Empirischen Unterschieden zwischen den Menschen sprach der Philosoph jede moralische Bedeutung ab. Ein Gastbeitrag.

      Man muß, so sehr man auch, und zwar mit Recht der Frechheit der Meinungen feind ist, eine Geschichte der Natur wagen, welche eine abgesonderte Wissenschaft ist, die wohl nach und nach von Meinungen zu Einsichten fortrücken könnte.

      Immanuel Kant: „Von den verschiedenen Racen der Menschen“, 1775

      „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“ Diese Sätze sollen hier kurz „das Zitat“ heißen. Sie gehören zur „Physischen Geographie“, die in Band 9 der Akademieausgabe von „Kants Schriften“ enthalten ist. Der Frankfurter Kant-Spezialist Marcus Willaschek hat das Zitat in seinem Artikel „Kant war ein Rassist“ gebraucht, um Kant zu beschuldigen, Rassist gewesen zu sein. An dieser Tatsache würden die von Patrick Bahners in diesem Feuilleton gegebenen Hinweise (Kant habe „seine Theorie der Menschenrassen als einen Beitrag zu einer laufenden wissenschaftlichen Diskussion verstanden“, auch habe er „seine Position mehrfach revidiert“ und „den Begriff der Menschenrasse schließlich aufgegeben“) nichts ändern, jedenfalls dann nicht, wenn man (so Willaschek) unter einem Rassisten jemanden verstehe, der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und ähnlicher Merkmale pauschal herabsetzt.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/pruefung-eines-zitats-kant-war-ein-anti-rassist-16851951.html

    • Debatte um Immanuel Kant: Kant war sehr wohl ein Rassist

      Michael Wolff nimmt Anstoß an meiner Feststellung, Kant sei Rassist gewesen. Er wendet ein, dass Kants Theorie der Menschenrassen auf die Einheit der menschlichen Gattung hinauslaufe und daher seinem moralischen Universalismus nicht widerspreche. Ganz ähnlich hatte Bernd Dörflinger in einem Brief an die Herausgeber argumentiert. Wolff bezweifelt die Authentizität des Zitats aus Kants „Physischer Geographie“, auf das ich meine Aussage stütze: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“ Diese Aussage stamme eigentlich von Buffon, den Kant hier nur zitiere. Ob Kant sie sich zu eigen gemacht habe, sei unklar.

      Doch das ist falsch. Zwar ist die Authentizität der „Physischen Geographie“ umstritten (worauf ich hingewiesen hatte), aber dass Kant an dieser Stelle in eigener Stimme spricht, geht unter anderem daraus hervor, dass er sich genauso in Schriften äußert, deren Authentizität unstrittig ist. So heißt es in dem Aufsatz „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien“ von 1788, die „Einwohner Amerikas“ seien „unfähig zu aller Cultur“, weshalb diese „Rasse“ „noch tief unter dem Neger selbst steht, welcher doch die niedrigste unter allen übrigen Stufen einnimmt“. Eine ähnliche Rassenhierarchie hatte Kant 24 Jahre zuvor in „Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ vertreten. Auch wenn Kant diese Auffassung später aufgegeben haben sollte, wie Pauline Kleingeld argumentiert, ist unstrittig, dass er jahrzehntelang an ihr festhielt.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/warum-kant-sehr-wohl-ein-rassist-gewesen-ist-16860444.html

    • Warum den großen Menschheitsphilosophen die Sklaverei egal war by #Michael_Zeuske

      Michael Zeuske ist Historiker am Center for Dependency and Slavery Studies an der Universität Bonn. Zuletzt veröffentlichte er „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte. Von der Steinzeit bis heute“, Stuttgart, Reclam, 2018.

      Die Black Lives Matter-Proteste gegen Rassismus, ausgelöst vom Tod des Schwarzen Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt, haben die Debatte über Sklaverei und ihre Folgen angeheizt und verändert.

      Sklaverei war und ist ein globales Phänomen. Ihre Hochzeit in Bezug auf Wirtschaft und Institutionen des Westens hatte sie in der atlantischen Sklaverei 1450-1888 gefunden. In dieser Zeitspanne wurden etwa 11 Millionen Menschen aus verschiedenen Teilen Afrikas verschleppt.

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      Allein im 18. Jahrhundert waren es etwa sechs Millionen Menschen aus Afrika, im 19.Jahrhundert nochmals rund zwei bis drei Millionen.

      Sie wurden durch europäische oder amerikanische Sklavenhändler, Kapitäne und Schiffe in die Karibik, nach Brasilien, in das Spanische Amerika (heute Lateinamerika) und nach Nordamerika transportiert und mit meist hohen Profiten für Sklavenhändler und Kapitäne verkauft.
      Auch Preußen versuchte sich im Sklavenhandel

      Die Erforschung dieses atlantischen Sklavenhandels – so wird er in Afrika genannt - ist nicht ganz einfach. Die beste Darstellung der Schiffe, Sklavenhandelsfahrten und Zahlen von Versklavten findet sich auf www.slavevoyages.org. Die nationalen Hauptprofiteure waren Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, zeitweilig auch Dänemark, Schweden sowie Brandenburg-Preußen.

      Es gab Versuche Preußens, Kolonien in Afrika und in der Karibik zu halten und zwischen ihnen Sklavenhandel zu treiben. Da diese Versuche letztendlich gescheitert sind, herrscht in deutschsprachigen Gebieten heute die Meinung vor, man habe mit Sklaverei und Sklavenhandel nichts zu tun gehabt.
      Groß-Friedrichsburg, der Hauptort der brandenburgischen Kolonie an der Guinea-Küste. Zeichnung, 1688.Foto: akg-images

      Das ist allerdings nicht richtig. Zum einen konnte man schon 1774 informiert sein, in dem Jahr lagen die Werke des Rassisten und Sklavenhalters Edward Long (History of Jamaica in drei Bänden) vor.

      Zweitens gab es im Heiligen Römischen Reich und in den deutschen Staaten, aber auch sonst in Europa, viele Kindersklaven aus Afrika. Aus Gebieten mit muslimischer Bevölkerung gab es viele Kriegsgefangene, die versklavt wurden, insbesondere aus dem Osmanischen Reich.

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      Und nicht zuletzt profitierten vor allem Hafenstädte und Produktionsgebiete von Leinen, bedruckter Baumwolle oder Kleineisenwaren in Europa als eine Art Sklaverei-Peripherie von der atlantischen Sklaverei-Wirtschaft. Dies traf auch auf den Handel mit tropischen Luxuswaren zu – wie Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Zigarren, Tee, Farbstoffen oder Kakao –, die oft von Versklavten hergestellt worden waren.

      Kein deutscher Philosoph des 18. oder 19. Jahrhunderts ist ohne eines dieser von Sklaven hergestellten Luxusgüter, auf Neudeutsch „commodities“, ausgekommen. Und es gab auch Investitionen in Sklavenhandel und Versicherungen von Sklavenschiffen sowie direkte Beteiligungen am Sklavenhandel durch den Kauf von Plantagen. So besaß beispielsweise ein Mitglied der Schweizer Familie Escher eine Kaffeeplantage auf Kuba, zu der auch mehr als 80 Sklaven gehörten.
      Das Thema Sklaverei interessierte viele Universalgelehrte nicht

      Sklaverei wirkte also weit über ihr direktes Einzugsgebiet hinaus – räumlich wie zeitlich. Die Gelehrten der deutschen Gebiete, wie Immanuel Kant in Königsberg und andere in Weimar oder Jena, aber auch Weltreisende wie der Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster beschäftigten sich in den Jahren vor der französischen Revolution 1789-1795 und der Sklaven-Revolution von Saint-Domingue/ Haiti (1791-1803) eher selten direkt mit dem Thema Sklaverei oder dem Schicksal Versklavter.

      Vielmehr geschah dies über den Umweg der Beschäftigung mit den sogenannten Entdeckungsreisen, der Genese „des Menschen“ sowie dem Universalismus ihrer jeweiligen Denkansätze und Beobachtungen. Sie benutzten dabei die gleiche Sprache und oft auch ähnliche Worte – zogen aber unterschiedliche Schlüsse.

      Kant, der erste unter den Aufklärungs-Philosophen, entwarf in seinen Schriften zur Anthropologie, aber auch in denen über Ästhetik sowie zur physischen Geographie, eine Systematik der unterschiedlichen Menschen, die auf der Erde zu finden waren. In dieser Systematik werden Menschen aufgrund von Differenzmarkern klar in „Menschenracen“, wie es bei ihm heißt, eingeteilt.
      Kant und die Rassen

      Bei Kant sind es meist vier „Racen“: „…1) die Rasse der Weißen, 2) die Negerrasse, 3) die hunnische (mungalische oder kalmukische) Rasse, 4) die hinduische oder hindistanische Rasse. Zu der erstern, die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat, rechne ich noch die Mohren (Mauren von Afrika), die Araber …, den türkisch-tatarischen Völkerstamm, und die Perser, imgleichen alle übrigen Völker von Asien, die nicht durch die übrigen Abteilungen namentlich davon ausgenommen sind... Endlich scheinen die Amerikaner eine noch nicht völlig eingeartete hunnische Rasse zu sein.“

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      Für Kant spielten Klima, Anpassung und physische Geografie, aber auch die Frage, ob die Menschen Staaten oder Imperien gebildet und Kolonien hatten, visuelle Körpermerkmale, geistige Fähigkeiten, Faulheit oder Fleiß sowie Hautfarben eine Rolle. Im Grunde ist das eine frühe, aber sehr systematische Diskriminierung durch Differenzmarker.

      Kant hat den „Racen“-Begriff und die „Racen“-Ordnung im Rahmen seines Gesamtwerkes zwar relativiert: Sie waren für Kant, wie Jürgen Goldstein in seinem Buch über den Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster schreibt, „nicht von zentraler Bedeutung“. Vielmehr blieb Kants „universale, auf dem Vermögen der praktischen Vernunft beruhende Moralphilosophie von der Rassendifferenzierung gänzlich unberührt“.
      Kants Schriften zu Rassenunterschieden wurden viel diskutiert

      Ich darf hinzufügen, dass auf Kants Schultern alle stehen, die sich mit Erkenntnissen, Vernunft, Wahrheit, Globalgeschichte und Wissen beschäftigen, auch wenn sie, wie ich, keine Kantianer oder Neo-Kantianer sind. Und Kants Schriften, auch seine kleineren, in denen er Rasse als Konzept begründete, waren damals in der Welt. Die Schriften wurden Grundlage einer intensiven Debatte zwischen Georg Forster und Immanuel Kant.

      Forster war ein mobiler Intellektueller und empirischer Forscher. Im Gegensatz zu Kant, der Philosophie im Lehnstuhl betrieb, hatte Forster die Welt mit eigenen Augen gesehen – unter anderem auf der Weltumseglung mit James Cook 1772-1775. Es war ein sehr heftiger Streit, der oft auf gleichen Worten und Ideen – etwa von der Genese des Menschen beruhte.

      Aber eines war klar, wie Jürgen Goldstein nachwies: „Forsters auf Erfahrung beruhende Anthropologie betont immer wieder und unermüdlich die Einheit der verschiedenen Völker und Menschengruppen, trotz aller Unterschiede und der durchscheinenden Skala von Zivilisationsstufen.“
      Alexander von Humboldt lehnt Hierarchie von Menschenrassen ab

      Alexander von Humboldt, der Freund und Bewunderer Forsters, hat diese Haltung – nach vielen Jahren der Reisen und empirischen Forschungen sowie von Publikationen gegen Sklaverei und Sklavenhandel – in seinem Werk „Kosmos“ auf den Nenner gebracht: „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen“. Humboldt war gegen Rassen – sowohl als Begriff wie auch in der Realität.

      Kant hätte, bevor er sich für die scharfen Differenzmarker entschied, auch auf Latein die Schriften des schwarzen Deutschen Anton Wilhelm Amo lesen können, er hätte den Anatomen und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach zur Kenntnis nehmen können, der sich gegen scharfe Differenzgrenzen und gegen höhere und niedere „Racen“ aussprach.

      Oder er hätte sich mit dem Buch des ehemaligen Sklaven und Abolitionisten Olaudah Euquinao beschäftigen können, das allerdings erst 1789 und auf Englisch erschien (Merkwürdige Lebensgeschichte des Sklaven Olaudah Equiano, von ihm selbst veröffentlicht im Jahre 1789. Insel Verlag, 1990).
      Muss ein Berg nach einem Rassisten benannt bleiben?

      Was die Denkmäler oder besser Denkmale als Orte der Erinnerung und öffentliche Fixpunkte eines herrschenden Geschichtsbildes angeht, so bin ich als Historiker natürlich gegen das gewaltsame Zerstören, Niederreißen oder Beschmieren. Auch historische Texte und ihr Vokabular sowie historische Bilder müssen als Quellen erhalten bleiben.
      Die Statue des Konföderierten-Generals Albert Pike wurde von Demonstranten gestürzt.Foto: dpa

      Ich bin grundsätzlich für eine Debatte, für die Offenlegung des dahinterstehenden Geschichtsbildes, für Gegendenkmäler und natürlich für neue Denkmäler, die ein neues Geschichtsbild repräsentieren. Aber muss ein Berg nach einem Rassisten benannt werden? In der Schweiz bemühen sich Historiker, Intellektuelle und Aktivisten beispielsweise schon lange darum, dass das Agassizhorn, ein 3946 Meter hoher Berg der Berner Alpen umbenannt wird.

      Er trägt den Namen des wohl bedeutendsten „wissenschaftlichen“ Rassisten des 19.Jahrhunderts, der damals modernste Darstellungsmethoden für seine Thesen benutzte, und er soll umbenannt werden in Rentyhorn – nach einem Sklaven aus dem Kongo, den Agassiz fotografieren ließ, um die von ihm behauptete Minderwertigkeit der Schwarzen visuell „zu beweisen“.

      https://www.tagesspiegel.de/politik/die-denker-und-ihr-kaffee-warum-den-grossen-menschheitsphilosophen-die-sklaverei-egal-war/25953892.html

  • „Strandbad de luxe für Bundesbeamte“: Nachbarn wehren sich gegen Ausbau des Bundesbank-Gästehauses - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/strandbad-de-luxe-fuer-bundesbeamte-nachbarn-wehren-sich-gegen-ausbau-des-bundesbank-gaestehauses/26010920.html

    Der Tagesspiegel verrät die genaue Adresse nicht:
    Gästehaus/Erholungsstätte der Deutschen Bundesbank
    Am Sandwerder 31
    14109 Berlin
    Telefon (030) 805867-0

    https://www.openstreetmap.org/way/121120934

    16.7.2020 von FATINA KEILANI - Opulentes Grundstück, bescheidene Wünsche: Anwohner klagen gegen Pläne der Bundesbank direkt am Wannsee. Beim Ortstermin einigt man sich auf penible Regeln.

    Die Lage ist ein Traum, mitten in der Villenkolonie Wannsee. Hier ließen Fabrikanten und Bankiers ab den 1870er Jahren großzügige Anwesen errichten, die heute sämtlich denkmalgeschützt sind. Wer hier wohnt, hat nicht nur Geld - er kann sich auch besser als andere die Zumutungen des Zusammenlebens mit anderen Menschen vom Leibe halten.

    Die Grundstücke sind riesig und haben herrschaftliche Gärten. Dennoch fürchten die Bewohner des Viertels immer wieder um ihre Ruhe. So auch jetzt - sie wehren sich gegen Pläne der Bundesbank, ihr Gästehaus auszubauen. Gegen die Baugenehmigung klagten 13 Anwohner vor dem Verwaltungsgericht.

    Am Donnerstag traf man sich zum Ortstermin, Am Sandwerder 29-31. Vertreter der Bundesbank waren angereist, die Justiziarin der obersten Bauaufsicht als Beklagtenvertreterin, die 13. Kammer des Gerichts, einige der Kläger sowie deren Rechtsanwalt Reiner Geulen.

    Das Grundstück wurde begangen – es sind mehr als 16.000 Quadratmeter, östliches Seeufer, darauf eine Villa, ein Pavillon und ein etwas heruntergekommenes Bootshaus. Geplant ist nun, alles Vorhandene zu sanieren und zudem ein Seminargebäude neu zu errichten.

    Filmproduzent befürchtet tausende Vergnügungssüchtige

    Die Anwohner haben Befürchtungen. Ein „veritables Schulungs- und Konferenzzentrum mit Ganzjahresbetrieb“, ein „Strandbad de luxe für Bundesbeamte“ befürchten sie. Am dichtesten wohnt der Filmproduzent Matthias Wendlandt, Hausnummer 25 direkt nebenan. Er sieht schon tausende Vergnügungssüchtige übers Gelände stapfen.

    Das ist jedoch nach Angaben des Senats und der Bundesbank ausgeschlossen, und zwar selbst wenn das Prachtgrundstück einst verkauft würde - dann bräuchte der neue Eigentümer eine neue Baugenehmigung. In der aktuellen Genehmigung sind maximal 40 Personen auf dem Gelände erlaubt. „Die Hardware passt nicht zur Software“, befand Richter Matthias Schubert. Gemeint ist: Mit dem vielen Platz könnte man viel mehr machen, als an Nutzung beabsichtigt ist.

    Nur ein Sommerfest pro Jahr, an einem Samstag von 14-19 Uhr
    Auch die neuen Seminarräume sollen nur 40 Teilnehmer fassen. Mitarbeiter der Bundesbank dürfen das Haus auch als Sommerfrische nutzen und mit ihren Familien an Wochenenden besuchen. Als Strandbad eignet es sich ohnehin nicht - der Bootssteg ist der einzige Zugang zum Wasser. Wo Strand wäre, ist eine meterhohe Spundwand.

    Fast zwei Stunden rangen die Parteien um alle möglichen Fragen. Ist die geplante Nutzung gebietsverträglich? Man steht in einem allgemeinen Wohngebiet, hier sind auch andere Nutzungen als reines Wohnen zulässig. Auch die Nutzung durch Verwaltung? Und ist die Bundesbank überhaupt Verwaltung? Muss es örtliche Verwaltung sein, die Bank ist ja eine Bundesbehörde? Ja, ja und nein.

    Schlussendlich kam man überein, die Baugenehmigung vom 14. Februar 2020 so stehen zu lassen und ihr einige Inhaltsbestimmungen hinzuzufügen: Es darf nur ein Sommerfest pro Jahr geben, maximal 300 Teilnehmer, an einem Samstag von 14-19 Uhr. Auf Bootssteg und Liegewiese dürfen sich maximal 20 Personen tummeln. Sonderveranstaltungen darf es zwei bis drei Mal monatlich geben, höchstens bis 22 Uhr und nie parallel zu Seminaren. Die Kläger haben nun vier Wochen Zeit zuzustimmen.

    Ruhe war hier schon immer kostbar. Zwei Häuser weiter ließ Adolph Schwabacher 1906/1907 drei Gebäude errichten, von denen eins als Hotel gedacht war. Der Hotelbetrieb wurde nicht aufgenommen, weil die Anwohner sich wegen drohenden Lärms wehrten.

    #Berlin #Wannsee #Am_Sandwerder