Das « Entenhausener Gesetzbuch » - das Recht an der Gumpe

/entenhausener-gesetzbuch-rezension-lite

  • Das „Entenhausener Gesetzbuch“ - das Recht an der Gumpe
    https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/entenhausener-gesetzbuch-rezension-literatur-gesetze-comic

    „Das Standardwerk zum Thema Recht und Gesetz in Entenhausen“? Für Tobias Lutzi ist das „EGB“ eher zaghafter Systematisierungsversuch als umfassende Kodifizierung der komplexen Rechtswirklichkeit der Metropole an der Gumpe.

    Gleich in seinem ersten Auftritt als Hauptfigur einer Comicgeschichte (in Only a Poor Old Man) hätte Dagobert Duck um ein Haar sein gesamtes, bekanntlich beachtliches Barvermögen durch einen juristischen Trick an die Panzerknacker AG verloren. Diese hatte den riesigen Berg Geld durch einen Sabotageakt kurzerhand auf ein von ihr erworbenes Grundstück umgeleitet und damit „nach dem geltenden Wasser- und Seerecht“ das Eigentum an ihm erworben. „Wozu leben wir in einem Rechtsstaat?“ fragt Donald daraufhin entsetzt. „Du kennst die Rechtslage nicht, lieber Donald“, entgegnet Dagobert resigniert.

    Schon hier zeigen sich die Unwägbarkeiten der von Individualismus, richterlicher Unabhängigkeit und einer besonderen Bedeutung des Grundeigentums geprägten Rechtsordnung Entenhausens. Letztere wird uns zudem nur schlaglichthaft, durch einzelne Erwähnungen in Geschichten zahlloser unterschiedlicher Zeichner und Autoren der Micky Maus, der Lustigen Taschenbücher und anderer einschlägiger Publikationen vermittelt.

    Die Darstellung dieser komplexen Rechtsordnung, der Dagobert, Donald, und die übrigen Bewohner Entenhausens unterworfen sind, im „Entenhausener Gesetzbuch“ (EGB) ist vor diesem Hintergrund ein mutiges Unterfangen. Es reiht sich ein in die jüngere Praxis des Egmont-Verlags, ältere sowie bisher in Deutschland unveröffentlichte Entencomics nach Sachthemen zusammen zu stellen und im Hardcover neu aufzulegen. Tatsächlich haben die Herausgeber des EGB, dessen Cover sich in bestens getroffener dtv/Beck-Anmutung präsentiert, weder Kosten noch Mühen gescheut: Die elf für den Band ausgewählten Geschichten aus Entenhausen werden ergänzt durch ein mehrseitiges Vorwort und zahlreiche Anmerkungen. Doch obwohl die Macher sich dafür auf die Autorität keines geringeren als des von Entenurvater Carl Barks selbst geschaffenen Justizrats Juxenburg berufen, sind ihnen bei der Darstellung des Entenhausener Rechts einige schwere Fehler unterlaufen.

    Ein unfaires Urteil über die Entenhausener Justiz

    So heißt es etwa gleich zu Beginn des EGB unter Verweis auf Barks’ The Great Wig Mystery, in dem Dagobert zur Zahlung einer Quilliarde Taler Schadensersatz verurteilt wird, dass mitunter zu gelten scheine: „Je fantasievoller die Anschuldigung und utopischer die Geldforderung, desto höher die Erfolgsaussichten.“

    Dabei beweisen die Entenhausener Gerichte in anderen Geschichten durchaus Augenmaß. So gewährt die Rechtsprechung etwa 30.000 Taler für die Zerstörung eines antiken Möbelstücks (Ein geruhsamer Job) oder eine Million Taler für zwei Monate Verdienstausfall des Milliardärs Klaas Klever (Ein Sturz mit Folgen).

    Auch lässt sie mitunter Naturalrestitution (Termitenwiesel aus Kahlaska – hier: gemeinsamer Wiederaufbau von unter Einsatz von Termitenwieseln gegenseitig zerstörten Nachbarhäusern; Ein geruhsamer Job – hier: Auftreiben ’gleichwertigen Ersatzes’ für ein durch Verwechslung von Formularen fahrlässig zerstörtes antikes Möbelstück) oder einen Arbeitsdienst zum Wohle der Allgemeinheit (Eine Spur zu realistisch – hier: ’Farbliche Angleichung des Duck’schen Schandflecks an das umgebende Landschaftsbild’, meint: Anstreichen des Geldspeichers) genügen.

    Mitnichten keine Arbeitnehmerrechte

    Weiter erklärt das EGB, in Entenhausen würden grundsätzlich keine Arbeitsverträge geschlossen; „da auch keine Gewerkschaften existieren, müssen viele Arbeitnehmer jede noch so undankbare Aufgabe annehmen“.

    Tatsächlich aber stützen Tick, Trick und Track einen Lohnanspruch gegen ihren Großonkel schon in Barks’ 1953 erschienener Horseradish Story erfolgreich auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Auch in An Eye for Detail verhandeln die Großneffen für ihren Onkel eindeutig einen solchen Vertrag, in dem etwa Zahl und Umfang der Kaffeepausen festgelegt werden.

    In So will es das Gesetz kann sich schließlich auch Donald auf einen Arbeitsvertrag berufen – der ihm allerdings mangels eines Aufrechnungsverbots gegen unpfändbare Forderungen, wie es etwa § 394 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) normiert, nichts nützt: Dagobert verrechnet den geschuldeten Lohn schlicht mit Donalds bekanntermaßen astronomisch hohem Schuldenberg. Und schon in Only a Poor Old Man beklagt sich Dagobert über die Höhe der tariflichen Löhne, was einen gewissen Grad an Arbeitnehmerrechten und gewerkschaftlicher Organisation zumindest nahelegt.

    Erschütternde Missachtung geistigen Eigentums

    Dem EGB zufolge ist Entenhausen überdies „eine Stadt voller kreativer Köpfe“, dessen Gerichte sich entsprechend häufig mit Fragen zum Thema Urheberrecht beschäftigen müssten.

    Dabei scheint es der Justiz an der Gumpe bisher nicht gelungen zu sein, dem weit verbreiteten Phänomen der Industriespionage Einhalt zu gebieten. Sie wird augenscheinlich nur ganz ausnahmsweise (etwa in Zu schön, um wahr zu sein, wo Dagobert und sein ewiger Konkurrent Klaas Klever – ebenso ausnahmsweise – zusammenarbeiten, um einen Lauschangriff abzuwehren) sanktioniert und geht zudem im Übrigen häufig mit dem Diebstahl geistigen Eigentums einher (etwa in Die Tanzenden Türme, wo ein Doppelspion sein – zugegebenermaßen bescheidenes – Gehalt bei Dagobert Duck aufbessert, indem er nicht nur die Pläne für Klaas Klevers Bauprojekte stiehlt, sondern letzteren auch fleißig mit Dagoberts Bauplänen versorgt).

    Auch gegen die Praxis des Reverse engineering (zu beobachten etwa in Die Fliegenden Ober, wo Dagobert in Verkleidung ausgiebig den Kellnerroboter eines konkurrierenden Restaurants studiert, um diesen durch seine Ingenieure nachbauen zu lassen, allerdings auffliegt als es an das Bezahlen der Rechnung geht) bietet die Rechtsordnung Entenhausens – anders als etwa das deutsche UWG seit der Stiefeleisenpresse-Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 149, 329) – offenkundig keinen Schutz.

    Unklare Rechtsquellen

    Schließlich wirft das EGB auch mit Blick auf die in Entenhausen maßgeblichen Rechtsquellen Zweifel an seiner Belastbarkeit auf. So ist dort – wohl in Anlehnung an die abgedruckte Geschichte Kanzlei der Knastbrüder – von einer erfolgreichen Berufung auf einen Erlass Königs Otto des Kahlen aus dem Jahre 1693 und einem angeblich fortgeltenden Entenhausener Stadtrecht von 1822 die Rede (beides Behauptungen – ausgerechnet – der Panzerknacker).

    Don Rosa zeigt in His Majesty, McDuck dagegen, wie Emil Erpel das von den Engländern aufgegebene Fort Drachenfels erst im Jahre 1818 von King George III. zum Geschenk bekam und auf dessen Grund (dem sogenannten Glatzenkogel, auf dem heute der Geldspeicher steht) frühestens im Jahr 1819 Entenhausen gründete, das zunächst nicht einmal eine Siedlung und selbst bei Dagoberts Ankunft im Jahre 1902 (The Invader Of Fort Duckburg) nur ein verschlafenes Dorf aus wenigen Hütten war.

    Europäisches Recht dürfte jedenfalls weder im nunmehr zum fiktiven US-Bundesstaat Calisota gehörigen Teil Entenhausens noch auf dem von Dagobert in His Majesty, McDuck zum Zwecke der Steuervermeidung vorübergehend für unabhängig erklärten Glatzenkogel fortgelten.

    Ein erster Schritt zur rechtswissenschaftlichen Erschließung

    An all diesen Beispielen zeigt sich, dass es sich beim Recht Entenhausens um ein allenfalls bruchstückhaft überliefertes Fallrecht angelsächsischer Prägung handeln dürfte – dessen Zeit für eine umfassende Kodifizierung möglicherweise schlicht noch nicht gekommen ist.

    In seiner Schrift Vom Beruf unserer Zeit stellte Savigny heraus, dass sich Recht grundsätzlich organisch als Gewohnheitsrecht, „nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers“ entwickle, und seine Kodifizierung – wenn sie denn überhaupt erstrebenswert sei – zunächst eine weit ausentwickelte Rechtswissenschaft erfordere.

    Ob eine solche in der irgendwo in einer Zeitschleife zwischen 1902 und der Gegenwart gefangenen, möglicherweise gar in einem „Paralleluniversum“ (Hans von Storch: stella anatium) belegenen, von anthropomorphen Enten bewohnten Stadt an der Gumpe existiert, darf bezweifelt werden. Das EGB mag man daher eher als ersten, nichtsdestoweniger lesenswerten Schritt zu ihr denn als deren Ergebnis verstehen.

    Der Autor Tobias Lutzi, LL.M., M.Jur., ist Doktorand und Stipendiary Lecturer am Somerville College, University of Oxford.

    #Disney #droit #Donald_Duck