• Ich wohne in einem Geisterhaus | Berliner-Kurier.de
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    11.09.14 - Die Ruine in der Rigaer Straße ist eine Touristenattraktion. Besucher bleiben vor Nummer 19 stehen, fotografieren – und wundern sich, warum ein solch heruntergekommener Altbau ohne Fenster oder Fußböden im frisch sanierten Szene-Kiez zwischen all den schicken Häusern bestehen kann. Die Kinnladen der Touristen klappen noch tiefer, wenn sie hören, dass hier noch Menschen leben. Legal, mit Mietvertrag. Ein KURIER-Besuch.

    Zaghaft öffnet Daniel R. die schwere braune Holztür. Erst nach einigem Klopfen der Reporter hatte er reagiert. Die Klingel sei kaputt, entschuldigt sich der 26-Jährige. Für die meisten Berliner dürfte dieser Defekt beim Anblick von Daniels Wohnhaus das geringste Problem sein. Im Frühjahr entfernten Bauarbeiter die Fenster, innen fehlen Türen und der Boden wurde herausgerissen. Tiere, vor allem Fledermäuse, haben sich breitgemacht. Gespenstisch.

    „Mich ficht die unwirkliche Umgebung nicht an“, so R. Er lebt mit seinem WG-Mitbewohner in der zweiten Etage. Fenster und Böden sind hier noch drin. „Ich fühle mich in meiner Wohnung pudelwohl, habe es mir gemütlich eingerichtet. Natürlich ist der Blick, wenn man aus der Tür tritt, nicht der schönste. Damit kann ich leben.“

    Eines der entkernten Wohnzimmer der Nachbarwohnungen haben er und seine Freunde zum Partyraum umfunktioniert. Sie legten Spanplatten auf den Boden, stellten Sessel und Tische hinein. Alte Besetzer-Romantik. Nur dass R. eben legal in der Nummer 19 wohnt.

    Und das seit nunmehr zwei Jahren. 290 Euro zahlt er inklusive Gas im Monat für Küche und Bad, im Winter werden die Kosten reduziert. Da heizen er und sein Mitbewohner die Zimmer mit uralten Kachelöfen, 480 Euro im Winter gibt das Amt für Holz und Briketts dazu. Auch ganz oben, im Dachgeschoss, will ein Angestellter einer Briefversand-Firma sein Zuhause nicht räumen.

    Schaut Daniel R. aus dem Fenster in den Hinterhof, sieht er das Gegenteil seiner Wohnungswelt. Hier entsteht das „Green Village“. Ein Wohnensemble mit 142 Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von knapp 12300 Quadratmetern. Inklusive Tiefgarage für 86 Pkw, durchschnittlicher Quadratmeterpreis 3300 Euro.

    Mittendrin bzw. vornedran steht das Gespensterhaus. Bis vor kurzem lebten hier noch eine Kindergärtnerin und ein Musiker. Der Lärm um sie herum und der immer schlechter werdende Zustand des Baus trieben sie weg. R. interessiert der vermeintliche Luxus nicht. Vor sechs Jahren kam er aus Königs Wusterhausen nach Berlin, strandete als Obdachloser am Alexanderplatz, besetzte mit Gleichgesinnten die Rigaer Straße 17. Er wurde verurteilt wegen Hausfriedensbruchs, Diebstahl und Widerstand bei der Festnahme und kam gerade so auf Bewährung davon.

    Bis es in seinem Kopf klick machte. Der Gedanke, mehr zu können als Bier zu trinken, setzte sich fest. R. begann eine Ausbildung als Mediengestalter und ein Praktikum bei einem Kfz-Mechaniker, suchte sich eine feste Bleibe. In der Rigaer. „Und diesen Anker wollen sie mir jetzt nehmen.“ Laut R. bot ihm der Investor eine Abfindung von 15 000 Euro, damit er endlich auszieht. Klar, das Geld ist für einen wie Daniel, der chronisch pleite ist, verlockend. Er sagt selbst: „Das Geld würde ich eh nur verfeiern. Ich brauche kein dickes Konto, sondern eine Wohnung, um nicht abzurutschen.“

    Was aber passiert nun mit dem Altbau? Im Juni wollen Bauarbeiter gewusst haben, dass das Haus mit dem Stuck an der Decke saniert wird. Um dann teuer vermietet zu werden. So jedenfalls der Stand der Dinge. Vor wenigen Tagen will ein Wachschutzmitarbeiter gehört haben, dass nach Auszug der verbliebenen Mieter der Abrissbagger anrolle. Vom Investor, der Sanus AG mit Sitz am Kurfürstendamm, war kein Statement zu bekommen.

    Beim Verlassen treffen die Reporter auf Touristen. Sie übersetzen gerade den an der Tür hängenden, ironisch gemeinten Zettel. Darauf steht: „Ökologische Schutzzone. Umwandlung von preiswertem Wohnraum in ein Fledermausquartier.“ Und darunter der bittersüße Nachsatz, der auf Häuser in so vielen Berliner Kiezen zutrifft: „Bitte haben Sie Verständnis. Wohnen kann man schließlich überall.“

    #Berlin #Friedrichshain #Immbilien #Wohnen #Leerstand