• Causa Patrik Baab : Des Journalismus‘ bezichtigt
    https://overton-magazin.de/top-story/causa-patrik-baab-des-journalismus-bezichtigt

    Je découvre la publication Overton et je ’ai pas encore d’idée où la situer politiquement et sur mon échelle de crédibilité. Pourtant cette histoire est assez remarquable pour la noter :

    Un journaliste très expérimenté "vielle école" entreprend un voyage à ses propres frais en Ukraine pour nous renseigner sur le referendum de sécession de régions frontalières avec la Russie. Il fait son travail, il observe et critique le déroulement du vote, puis il se fait bousculer et licencier par les universités où il enseigne le journalisme.

    Il est intéressant de suivre cette affaire car elle peut aider à comprendre dans quelle mesure il est justifié de qualifier de "Gleichschaltung" ce qui se passe dans médias et la société allemande.

    J’ajoute quelques liens supplémentaires sous l’article.

    10.3.2023 von Roberto De Lapuente - Patrik Baab ist ein renommierter Journalist. Aber er soll seine Know-How nicht mehr an angehende Journalisten weitergeben dürfen. Grund: Er hält sich an journalistische Standards. Und das ist heute nicht mehr gerne gesehen. Über den Niedergang einer Zunft.

    Journalisten, die mehr als nur Haltung haben, Berufsethos nämlich, haben es dieser Tage schwer. Aktuelles Beispiel: Seymour Hersh. Der amerikanische Journalist hat mittels einer anonymen Quelle herausgearbeitet, wer für die Anschläge auf Nord Stream I und II verantwortlich zu machen ist. Die US-Navy und Norwegen nämlich. Die deutsche Presse stürzte sich auf diese Eminenz des amerikanischen Investigativjournalismus und ließ den Mann wie einen Anfänger aussehen. Die Kritik kam von »Kollegen«, von Journalisten, die die meiste Zeit ihres Arbeitsleben damit zubringen, am Schreibtisch zu sitzen oder gegenseitig von sich abzuschreiben.

    Feldstudien kennen sie eher nicht. Für sie heißt journalistische Arbeit lediglich, vorgefertigte Stellungnahmen zu akzeptieren, sie lediglich auf Anweisungen hin zu hinterfragen. Als die US-Regierung Hershs Bericht dementierte, akzeptierten diese Kritiker Hershs das Dementi als glaubhafte Stellungnahme – hier endete ihr journalistisches Gespür mal wieder abrupt.

    Ähnlich wie Hersh ist es in der jüngsten Vergangenheit dem deutschen Journalisten Patrik Baab ergangen. Er hat seinen Schreibtisch verlassen, um etwas zu tun, was der zeitgenössische Journalismus in Deutschland kaum noch tut: Sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Letztlich macht man ihm genau das zum Vorwurf. Als Journalist, so empfiehlt es sich offenbar in diesen Zeiten und Landen, bleibt man brav vor seinem Laptop sitzen und recherchiert bei Wikipedia und in den Weiten von Twitter. Allerdings niemals in der Ostukraine.

    Unterwegs im Donbass

    Der NDR-Journalist Patrik Baab war im September des letzten Jahres in der Ostukraine unterwegs. Grund seiner Reise dorthin: Recherchen für ein Buchprojekt. Die Inaugenscheinnahme der Verhältnisse vor Ort, gehört für ihn zum journalistischen Standard, wie er auch in seinem 2022 erschienen Buch »Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung« darlegte. Zu jener Zeit fanden jene umstrittenen Referenden in Luhansk, Donezk und Cherson statt, die den Beitritt der Regionen zur russischen Föderation ermöglichen sollten. Baab war zugegen. Er beobachtete die Geschehnisse vor Ort als Journalist – nicht aber, wie man ihm hernach unterstellte, als Wahlbeobachter.

    Gemeinhin werden Wahlbeobachter berufen oder eingeladen. Patrik Baab hat eine solche Einladung nie erhalten, er war gewissermaßen in eigener Sache an Ort und Stelle. Als Rechercheur und neugieriger Journalist. Dennoch folgte die Reaktion prompt: Ein Bericht von Lars Wienand für das Nachrichtenportal von t-online machte damit auf, dass ein NDR-Reporter – Baab eben – bei jenen Referenden als Wahlbeobachter fungiere und damit die strittige Vorgehensweise Russlands legitimiere.

    Anders gesagt: Man machte einem Journalisten Vorwürfe, weil er seine Arbeit tat. Wenn schon alleine die Anwesenheit eines Journalisten bei kritischen Ereignissen zur Legitimation eben dieser Ereignisse führe, dann wäre – dialektisch betrachtet – Berichterstattung im eigentlichen Sinne gar nicht mehr denkbar. Denn der Journalist wäre qua Existenz schon ein beeinflussender Faktor, der nicht mehr als Chronist der Ereignisse wirken könnte, sondern Ereignisse nur durch Anwesenheit verändere. Vielleicht ist das ja der Grund, warum man heute immer seltener Vor-Ort-Recherchen betreibt: Weil man sich raushalten will – das käme freilich einem Offenbarungseid des Berufsstandes gleich.

    Die HMKW: Minutenlang mit sich gerungen

    Prompt unterstellte man Baab, er habe sich mit der Sache Putins gemein gemacht. Sein Besuch in der Ostukraine belege das. Patrik Baab selbst distanziert sich vom Krieg Russlands gegen die Ukraine. In seiner Vita als NDR-Reporter finden sich unzählige Filme und Features, die kritisch über und aus Russland berichten – und damit die russische Führungsriege nicht gut aussehen lassen. Der Infosperber hat unter einem Artikel zur Causa einige Produktionen von Baab verlinkt: Sie belegen, der Journalist hielt stets nüchterne Distanz zu Russland – professionell halt.

    Obwohl sich der Vorwurf, dass Patrik Baab als Wahlbeobachter zugegen war, nicht verifizieren lässt (hier kommen Wahlbeobachter zu Wort, Baab war nicht anwesend und auch nicht eingeladen), distanzierte sich die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin von Baab. In der Vergangenheit hatte der Journalist oft als Lehrbeauftragter dort gewirkt. Unter anderem hieß es in der Begründung der HMKW, Baab würde »den Aggressoren ein willkommenes Feigenblatt an die Hand« gebe. Außerdem betreibe er »journalistische Scheinobjektivität« – die Stellungnahme der HMKW lässt sich hier nachlesen. Interessant ist die Einleitung des Begründungstextes, in der man davon spricht, man habe von der Sache erst »vor wenigen Minuten durch den Artikel Scheinreferendum, hurra von Lars Wienand (t-online.de) erfahren« – nach Minuten hat man schon entschieden? Das klingt nicht nach einer umsichtigen Prüfung: Eher nach einem günstigen Moment für Leute, die ein politisches Exempel statuieren wollen.

    Da Patrik Baab keinen gültigen Vertrag mit der HMKW hatte, konnte er gegen diese Entscheidung nach Minutenfrist nicht vorgehen. Im Falle der Christian-Albrechts-Universität in Kiel (CAU) sieht das etwas anders aus. Sie entzog ihm eine Woche nach der HMKW den Lehrauftrag. Die Begründung: Faktisch dieselbe. Offenbar machte man sich in Kiel nicht mal die Mühe und kontaktierte Baab vorab. Begründung seitens der CAU: Es sei »Gefahr in Verzug« gewesen. Man rätselt, was das bedeuten soll: Stand Baab mit Panzern vor Kiel – geht ja gar nicht, denn die Panzer Richtung Ukraine stehen nicht vor, sie stehen in Kiel.

    In dieser Sache ist nun eine Widerspruchsklage anhängig, der »Widerruf der Lehrtätigkeit« scheint aus vielerlei Gründen unbegründet. Baab war ja nun eben kein Wahlbeobachter, ging seiner Arbeit nach: Die CAU hat eine mangelnde Sorgfaltspflicht beim Überprüfen von Pressemeldungen zu Baabs Reise bewiesen. Sie hat eben genau das getan, wovor Baab als Journalist dringlich warnt: Sie hat ungeprüft Behauptungen übernommen.

    Eine sehr kurze Geschichte der Uni Kiel

    Ohne jetzt vertieft auf die historischen Verfehlungen der CAU eingehen zu wollen: Die Kieler Universität hat schon aus Tradition ein recht gespaltenes Verhältnis zu demokratischen Standards – um es mal freundlich auszudrücken. So tat sie sich etwa 1914 durch Hurra-Patriotismus hervor, stützte Jahre später den Kapp-Putsch mit einem Freikorps (der Schriftsteller Axel Eggebrecht berichtete sehr anschaulich in seinem Buch »Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche« davon) und stand 1933 nicht nur nicht abseits, sondern ermutigte Professoren deutlich, die neuen Machthaber zu unterstützen. Die Autorin Katia H. Backhaus hat zudem in ihrer Arbeit »Zwei Professoren, zwei Ansätze. Die Kieler Politikwissenschaft auf dem Weg zum Pluralismus (1971 – 1998)« herausgearbeitet, dass der Lehrkörper der CAU in den Achtzigerjahren eng mit Geheimdiensten (mit deutschen und auch amerikanischen) zusammenarbeitete.

    Auf diese geschichtliche Dimension der CAU wird demnächst gesondert rekurriert, das verdient nochmal einer genauen Betrachtung. Erinnert sei aber noch an jenen erst neulich auffällig gewordenen Professor namens Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Der hatte unlängst zur Eskalation aufgerufen und dabei – schlimme Wortschöpfung – von einer »Eskalationsphobie« in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung gesprochen. Krause ist freilich noch nicht mal von der CAU gerügt worden. Dabei gäbe es rückblickend mindestens einen weiteren Grund dazu.

    Denn vor zwanzig Jahren hat Krause den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Vereinigten Staaten und der Briten gegen den Irak gerechtfertigt. Beredt Zeugnis legt Krauses Analyse von 2003 ab: Sie ist hier nachzulesen. In den Schlussbemerkungen liest man, »dass die Politik der USA gegenüber den Irak (einschließlich der Androhung eines gewaltsamen Regimewechsels) im Sinne der internationalen Ordnung der Kollektiven Sicherheit außerordentlich konsequent ist und auch notwendig«. Und weiter: »Primäres Motiv der US-Politik ist es, einen Staat in die Schranken zu weisen, der die derzeitige internationale Ordnung wie kein anderer herausfordert […]« – offenbar ließ sich Krause mit dieser Aussage von jenen Falken der US-Politik beeinflussen, die damals bereits von Massenvernichtungswaffen im Irak sprachen und deren Drängen in jenen lügenbehafteten Auftritt Colin Powells vor dem UN-Sicherheitsrat mündete.

    Damals im Irak: Kein Angriffskrieg?

    Kritikern, die schon damals von einem nicht legitimierten Angriffskrieg sprachen, erteilte Krause gleich noch eine Absage. Er schrieb: »Für die Annahme, wonach die Politik der USA primär durch egoistische Energieinteressen geleitet seien, findet sich kein Anhaltspunkt.« Anders jedoch Franzosen und Russen, sie orientierten sich »durch sehr eng definierte finanzielle Interessen an Erdölexploration im Irak«. Die US-Außenpolitik, so erklärte Krause damals also recht ungeniert, handle aus Gründen guter Absicht – man stelle sich mal vor, das würde heute einer Putin oder Russland ganz allgemein nachsagen wollen.

    Die CAU wirft Patrik Baab vor, er habe seine journalistische Arbeit nicht richtig gemacht, weil er parteilich auftrete: Jedenfalls ist das die Quintessenz, zu der man kommen muss, führt man sich die Begründung zu Gemüte. Aber ein Akademiker, der in Sicherheitspolitik macht und gleichzeitig von »Eskalationsphobie« spricht: Wie geht das zusammen? Ist das die Wortwahl eines Menschen, der sich auf sicherheitspolitische Fragen spezialisiert hat? Weshalb unterstellt Krause niemanden, dass er seinen Aufgabe verfehlt hat?

    Hätte Patrik Baab der Eskalation des Krieges bis hin zum potenziellen Atomschlag das Wort geredet, würde er heute munter Vorträge in Kiel halten. Sein Vergehen war, dass er sich nicht zum akademischen Nutzidioten machen ließ, sondern seinem Arbeitsethos nachging: Er postuliert keine ideologischen Worthülsen, sondern macht das, was er kann: Berichterstattung.

    Grundsätzlich scheint das – wie oben schon angerissen – der schlimmste Vorwurf zu sein, mit dem man aktuell konfrontiert werden kann. Journalismus wird seit längerer Zeit als etwas begriffen, was die Strukturen der Macht konstruktiv begleitet. Er wird nicht als Korrektiv umgesetzt, sondern schreibt sich auf die Fahne, die Politik durch den Alltag zu lotsen. Nach Möglichkeit ohne zu viel Aufsehen zu erregen. Synonym für diese Entwicklung sind Legionen von Journalisten, die sich als sogenannte Faktenchecker verdingen. Ihre Aufgabe besteht nicht daran, etwaige Fakten ans Licht zu befördern, sondern Fakten zu schaffen, die politische Vorgaben oder Entscheidungen flankieren und stützen. Der Faktencheck wäre qua Definition ja ergebnisoffen zu betreiben: Wenn man jedoch schon mit einer Absicht ans Werk geht, ist nach hinten nichts offen, sondern schon alles abgesperrt und eingehegt.

    Nur schlechte Journalisten sind gute Journalisten

    Journalisten wie Patrik Baab kommen aus einer anderen Zeit, in der es noch als selbstverständlich galt, auch mal mit den Mächtigen oder auch nur mit dem eigenen Redakteur anzuecken. Natürlich sind Journalisten narzisstisch, ein Umstand, den Patrik Baab in seinem oben genannten Buch selbst bestätigt: Sie wollen – und wollten – immer von sich Reden machen. In anderen Tagen gelang das durch einen investigativen Coup, durch eine schwer ans Tageslicht geförderte Information, die man präsentieren konnte. Heute macht man von sich reden, wenn man Narrative stützt, die Wirtschaft und Politik etablieren möchten. In diesem neuen Sinne ist Baab freilich ein schlechter Journalist – eben weil er ein guter Journalist ist.

    Das haben auch einige Studenten der Universität Kiel erkannt. Sie fordern Gerechtigkeit für Baab. Ihr Statement auf einem kleinen Telegram-Kanal zur Affäre Baab lautet: »Umfassende Recherche, die alle Blickwinkel beleuchtet, ist ein journalistisches Qualitätsmerkmal und kein moralisches Verbrechen. Wir fordern daher Patrik Baabs sofortige Wiedereinstellung an der CAU.« Julian Hett, Initiator des sich formierenden Widerstands gegen den CAU-Kurs sagte mir außerdem: »Der t-online Artikel vertrat falsche Tatsachenbehauptungen, die mittlerweile korrigiert wurden. Somit war es klar für mich: Reputation vor Wahrheit! Die letzten drei Jahre Corona-Politik an der Universität haben mir schon gezeigt, in welche Richtung sich das Ganze entwickelt. Es braucht deshalb dringend Reformen, die wieder die Wahrheit ins Zentrum stellen und Debatten zulassen, auch wenn sie kontrovers sind. Stattdessen wird sich aber darum bemüht die Gendersprache allumfassend einzuführen.«

    Die Causa Baab zeigt, dass Journalismus ein Delikt darstellt in diesen Tagen. Aber nur dann, wenn er mit allen Sorgfaltspflichten ausgeführt wird. Wer vom Schreibtisch aus Journalismus spielt, weil er halbwegs in der Lage ist, dpa-Meldungen zu begreifen, sitzt auf der sicheren Seite eines Berufsstandes, der gerade dabei ist, sich endgültig selbst abzuschaffen. Um das zu verhindern ist es dringend notwendig, dass die Expertise eines Mannes wie Baab nicht verlorengehen darf. Er sollte nicht einer der letzten seiner Art sein: Er hat vielen jungen Leuten, deren Traumberuf im Journalismus liegt, noch viel zu zeigen. Ihn nicht mehr lehren zu lassen bedeutet letztlich auch, sein Know-How zu verlieren. Das können nur Leute wollen, die Journalismus als Hofberichterstattung begreifen: Und das sind die Kräfte der Gegenaufklärung.

    Liens de l’article

    https://www.buchkomplizen.de/buecher/medien/recherchieren.html

    https://www.infosperber.ch/medien/medienkritik/deutsche-journalisten-sollen-nicht-vom-donbas-aus-berichten

    http://oprf.ru/news/6553?lang=en

    https://www.hmkw.de/news/stellungnahme

    https://www.kn-online.de/lokales/kiel/marder-panzer-warten-im-hafen-von-kiel-auf-die-faehre-nach-litauen-B3AQ5SF

    https://www.ispk.uni-kiel.de/de/publikationen/kieler-analysen-zur-sicherheitspolitik/upload-working-paper/kazs_4.pdf

    https://www.neulandrebellen.de/2022/08/offenbar-und-anderes-halbwissen

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    Deutsche Helfer in der Ostukraine
    Scheinreferendum, hurra !
    https://www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100057900/deutsche-helfer-in-der-ostukraine-scheinreferendum-hurra-.html

    Stellungnahme
    https://www.hmkw.de/news/stellungnahme

    26.09.2022
    Wir haben vor wenigen Minuten durch den Artikel „Scheinreferendum, hurra“ von Lars Wienand (t-online.de) erfahren, dass der freie Journalist Patrik Baab, der bereits mehrfach als Lehrbeauftragter für unsere Hochschule gearbeitet hat, als ‚Wahlbeobachter‘ in der Ostukraine aufgetreten ist. Wir haben Herrn Baab, der sich aktuell in Donezk aufhält, sofort angerufen.

    Hr. Baab hat uns mitgeteilt, dass er privat, ohne jeden staatlichen Auftrag irgendeiner Seite, in die russisch besetzten Gebiete gereist sei. Er wolle und müsse als Journalist mit beiden Seiten sprechen und neutral beobachten. Er habe sich seiner Auffassung nach dadurch keineswegs instrumentalisieren lassen. Im Gegenteil, er habe ja sogar einzelne Verstöße gegen demokratische Wahlprinzipien durch die russischen Akteure kritisiert.

    Wir haben Herrn Baab gegenüber unsere Fassungslosigkeit über dieses Verhalten geäußert. Wir haben ihm unseren Standpunkt verdeutlicht, dass schon seine reine Anwesenheit bei dieser Aktion, ob er wolle oder nicht, zwangsläufig zur Legitimation der in unseren Augen völkerrechtswidrigen und inhumanen Scheinreferenden, die Teil einer imperialistischen Politik und eines verbrecherischen Krieges sind, beiträgt. Sie gibt den Aggressoren ein willkommenes Feigenblatt an die Hand, dass alles rechtens sein müsse, weil man ja sogar „Kritik“ zulasse und nicht unterdrücke.

    Wir distanzieren uns als Hochschule ausdrücklich von einem solchen Verhalten. Die journalistische Scheinobjektivität trägt hier u. E. zur Legitimation von Mord, Folter, Verstößen gegen die Humanität und das Völkerrecht bei.

    Wir haben Herrn Baab mitgeteilt, dass es mit den Grundprinzipien unserer Hochschule nicht vereinbar ist, ihn weiter als Lehrbeauftragten an unserer Hochschule einzusetzen.

    Klaus-Dieter Schulz, Rektor
    Ronald Freytag, Kanzler

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    Als Wahlbeobachter bei Scheinreferenden : Deutscher Journalist verliert Lehrauftrag
    https://www.rnd.de/politik/wahlbeobachter-bei-scheinreferenden-deutscher-journalist-patrik-baab-verliert-le

    Deutscher Journalist soll nicht vom Donbas aus berichten
    https://www.infosperber.ch/medien/medienkritik/deutsche-journalisten-sollen-nicht-vom-donbas-aus-berichten

     »Wahlbeobachter« für Scheinreferenden Früherer NDR-Redakteur verliert Lehraufträge wegen umstrittener Ukrainereise
    https://www.spiegel.de/wirtschaft/ukraine-reise-frueherer-ndr-redakteur-verliert-lehrauftraege-a-f00c815e-f925

    Patrik Baab
    https://www.rubikon.news/autoren/patrik-baab

    Schlagwort : Baab, Patrik
    https://www.nachdenkseiten.de/?tag=baab-patrik

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    Gleichschaltung | bpb.de
    https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320425/gleichschaltung

    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Gleichschaltung

    #journalisme #médias #censure #Allemagne #Gleichschaltung

  • Solidarität statt offene Grenzen ! | Rubikon
    https://www.rubikon.news/artikel/solidaritat-statt-offene-grenzen

    10.8.2018. von Hans-Jürgen Bandelt - Mit ihrer Hetze gegen Heimatgefühle stärkt die Lifestyle-Linke den neoliberalen Wahn.

    „Solidarität statt Heimat“ — welch abartige Gegenüberstellung, die als Aufruf (a) bereits mehr als 12.000 Intellektuelle aus dem mutmaßlich linken Milieu unterzeichnet haben! Denn Solidarität und Heimat betreffen völlig verschiedene Ebenen. Und vieles wäre vorab zu klären: Für was oder gegen was und überhaupt mit wem soll wer solidarisch sein? Und was ist Heimat? Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten ist zu üben, in der Heimat wie international. Offene Grenzen sind als Phantasmen zurückzuweisen.

    Solidarität statt Heimat

    Im Sommer und Herbst der Großen Migration war die Welt scheinbar noch in Ordnung: Es gab sie, die Willkommenskultur. Sie wurde gefeiert – ach, wie war das schön und gut. Aber sie war von oben verordnet: „Wir schaffen das!“ war der Zuruf der Bundeskanzlerin an die Zivilgesellschaft und meinte doch übersetzt: Kümmert Euch gefälligst um die, die da in Massen kommen, wir – der Staat – tun es nicht, wir verwalten nur notdürftig – oder erst mal gar nicht.

    Und die Menschen glaubten tatsächlich, daß sie es schaffen könnten. Das konnte so nicht gutgehen, da es nie zuvor eine konsequente Integrationskultur in Deutschland staatlicherseits gegeben hatte.

    Asylanten waren dem Staate immer lästig. Und wenn man sie am Ende nicht loswerden konnte ohne Gesichtsverlust, mußten sie um jeden Sprachkurs, jede Integrationsförderung kämpfen und ansonsten halt sehen, wie sie klarkamen in dieser Gesellschaft.

    Sie schafften sich Subkulturen – generationsübergreifend. Jener denkwürdige Herbst rief ein Nachspüren und Nachdenken hervor, und kritische Stimmen meldeten sich, die die Merkelsche Inszenierung gar nicht gut fanden.

    Nun hat sich ein linksliberales Willkommensmilieu tief getroffen gefühlt und sendet Signale an die Kritiker, um sie als unsolidarische Hetzer zu brandmarken: „Wir erleben seit Monaten eine unerträgliche öffentliche Schmutzkampagne, einen regelrechten Überbietungswettbewerb der Hetze gegen Geflüchtete und Migrant*innen, aber auch gegen die solidarischen Milieus dieser Gesellschaft“ – so lautet es im Aufruf „Solidarität statt Heimat“, den jüngst Intellektuelle aus dem mutmaßlich linken Milieu unterzeichnet und ins Netz gestellt haben.

    Daß von „Geflüchtete und Migrant*innen“ im politisch korrekten Gender-Neusprech statt von „Flüchtlingen und Einwanderern“ in normalem Deutsch gesprochen wird, läßt erahnen, daß hier die Postmoderne die Hand der Aufrufschreiber geführt hat.

    „Wenn diese Welt noch nicht gut ist, darf man sie nicht als gut verteidigen. Und deswegen muss man auch jene kritisieren, die unablässig die Schönheit dieser Welt hervorheben. Das sind die liberalen Moralisten. Sie sind konservativ. Derjenige, der aus Liebe zur Welt handelt, ist progressiv. Er hat noch etwas vor. Er will noch vorankommen. Deswegen kritisiert er.
    Er kritisiert nicht aus rechter Ideologie. Nein, er kritisiert aus Liebe. Aus Liebe zur Welt. Er denkt auch an die, die im Denken eines ,progressiven Neoliberalismus‘ ausgeschlossen sind. Er denkt an die Ausgebeuteten und die Abgehängten. Gerade für sie will er vorankommen. Das ist Liebe. Solidarität. Und genau deswegen muss der liberale Moralismus auch kritisiert werden. Gerade jener, wie er sich in der Flüchtlingspolitik offenbarte“ (Nils Heisterhagen: Die liberale Illusion, J.H.W. Dietz Nachf., 2018, S.24f).

    Heimat

    „Heimat ist ein wesentlicher Teil der Identität! Warum ist das so? Weil Heimat eine Vertrauenswelt darstellt“ (1). Heimat ist ein positives Grundgefühl vieler Menschen, was es ihnen erst ermöglicht, solidarisch zu sein mit anderen Menschen. Aber es ist doch mehr als nur so irgendein Gefühl: Es ist an eine größere, teils lose Gemeinschaft und nicht nur auf die eigene Kernfamilie bezogen. Und damit ist es an einen Ort oder mehrere Orte gebunden. Insofern verkürzen den Begriff Heimat sowohl Mojib Latif, wenn er charmant vorträgt „Heimat ist dort, wo meine Frau ist“, als auch Herbert Grönemeyer, wenn er gepreßt singt „Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl“.

    Auch die Kulturanthropologin Carola Lipp sagte in einem Interview, daß Heimat immer eine territoriale Komponente hat (2). Und weil uns das Heimatgefühl so wichtig ist, wird dieses immer wieder durch eine reaktionäre Politik von Parteien wie CSU und AfD instrumentalisiert.

    Wenn DIE LINKE nun mit dem Begriff Heimat fremdelt, weil es einen Seehofer und ein Heimat-Ministerium gibt, so schüttet sie das Kind mit dem Bade aus.

    Dadurch, daß nicht nur der politische Mißbrauch abgewiesen wird, sondern auch die individuelle Vorstellung von Heimat dabei verdammt wird, werden gerade die Menschen der Unterschicht, die sich nicht einmal in kleinsten Dosen die Illusion eines kosmopolitischen Lebens leisten können, auch noch ihrer Gefühle enteignet.

    Das ist die Ignoranz und Arroganz der hippen und selbstgerechten, oberen Mittelschicht und unteren Oberschicht. Die Unverbundenheit mit ihrer Umgebung ist dem flexiblen Kosmopoliten eigen: Ihm ist die alte Heimat fremd geworden, weil er sich im Zuge seiner globalen Karriere hat entwurzeln lassen. Er ist immer bei seinesgleichen und nirgendwo richtig zuhause, nirgendwo wirklich solidarisch mit den Menschen, die ihn zufällig umgeben und ihm dienstbar sind. Solidarität kennt er nur abstrakt als moralischen Imperativ. Die Selbstgerechtigkeit, die ihn einhüllt, nimmt er als Heimatersatz überall mit hin.

    Solidarität

    „Vorwärts, nicht vergessen, die Solidarität“ – hatte 1931 einst Ernst Busch gesungen. Welche Solidarität hatte er gemeint? Die der Arbeiterklasse. Denn nur vereint kann sie sich der Ausbeutung erwehren. Das war früher nicht anders als heute. Nur, was heute anders ist: Wer fühlt sich noch zur Arbeiterklasse gehörig? Der Arbeitslose, der Leiharbeiter, der Handwerksgeselle, der noch vom Jobcenter geförderte Scheinselbstständige oder der jeder Willkür ausgesetzte Lehrbeauftragte an einer Universität? Viele Schichten gibt es und scheinbar wenig Gemeinsamkeiten.

    Oder sollten wir an die Flüchtlinge denken und meinen, sie seien der neue Messias der Arbeiterklasse, der alle eint? Auch wenn kein Schwan, sondern ein Rettungsschiff sie brachte. Daniela Dahn fragte dazu (3): „Sind die Flüchtenden das ersehnte revolutionäre Subjekt, das Egalisierung und Ökologisierung zwangsläufig vorantreibt? Endlich eine Globalisierung von unten? Prekarier aller Länder vereinigt euch!“

    Nein, eine Globalisierung von unten kann es nicht geben, dazu haben die Unterprivilegierten nicht die Mittel und Möglichkeiten, die die herrschende Klasse hat, die global bestens vernetzt ist. Und auch das World Wide Web wird eines nicht so fernen Tages ganz und gar von den Mächtigen kontrolliert und zugeteilt werden.

    Und ebensowenig sind die Flüchtlinge selber revolutionäre Subjekte, denn die, die zu uns kommen, wollen nur ihr Leben retten, was ihr gutes Menschenrecht ist, und hoffen, wohl vergeblich, auf ein menschenwürdiges Dasein hierzulande.

    Solidarität kann nicht direkt im Weltmaßstab funktionieren, sondern sich nur unmittelbar in Dialogen und Aktionen entwickeln. Zunächst in einem begrenzten Bereich des Kontaktes, wo Menschen in ähnlicher Weise der Ausbeutung unterliegen. Solidarität ist keine wohlfeile Gesinnung, die man wie eine Monstranz vor sich herträgt, sondern aktives Handeln, wo immer sie gefragt ist – im Klassenkampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

    Wer also die unbedingte und globale Solidarität preist und gleichzeitig eine beliebte Politikerin, die Ikone der Linken, in die Nähe von Rassisten rückt, muß wohl etwas anderes mit Solidarität meinen. Denn Solidarität meint auch Konsens – und der ist in der Postmoderne mit ihrem ungehemmten Subjektivismus nicht mehr gefragt, sondern nur der Kampf gegen die Anderen, die man dämonisiert.

    Wie es im Solidaritätslied klingt „Unsre Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsre Herrn“, so ist es auch heute.

    Die Zwietracht, die die urbanen Mittelschichtler – und mit ihr die akademischen Aufrufer zu „Solidarität statt Heimat“ – sähen, nützt genau diesen Herrn – den Profiteuren des Neoliberalismus.

    Denn sie wollen keine Grenzen respektieren, die sie daran hindern könnten, nach Belieben Finanzkapital hin- und herzuschieben und Humankapital, von wo auch immer, einzusetzen und auszubeuten.

    Offene Grenzen
    „Fernziel muss eine Welt sein, in der jeder leben kann, wo er will. Ein Privileg, das die Reichen längst haben“, drückt Daniela Dahn wohl das aus, was wohl auch viele der Aufrufunterzeichner denken mögen (3). In der Tat ist sie damit nicht allein – viele in DER LINKEN würden die naive Forderung „Jeder Mensch muss das Recht haben zu wählen, wo sie oder er leben möchte“ unterschreiben (4). Wir leben aber nicht in Utopia, wo alle Menschen einander wohlgesonnen sind und sich mit Wertschätzung begegnen.

    Wollen wir, die wir uns noch Menschlichkeit bewahrt haben, wirklich rücksichtslos wie manche Superreiche leben? Reiche wollen natürlich nicht mit den Menschen in einer Favela in Rio leben, sondern suchen sich global die abgegrenzten Sahnestücke an Villen mit grandiosem Seeblick und guter Flughafenanbindung aus. Wenn das nun alle wollten – wie sollte das gehen?

    Jenes „Fernziel“ ist eine Utopie mit Geschmäckle. Denn Siedlerkolonisten haben zu allen Zeiten diese sogar als Nahziel gehabt: Sie haben sich das Recht herausgenommen, da zu siedeln, wo sie wollten und wo andere bereits lebten – mit den fatalen Konsequenzen von Ermordung, Vertreibung und Einsperrung der Indigenen, wie einst in Amerika, Südafrika und aktuell noch in Palästina.

    Der Chefkommentator der rechtskonservativen WELT begrüßte jüngst das neue rassistische Nationalitätengesetz Israels und brach in Bezug auf den jüdischen Staat Israel in ekstatischen Jubel aus: „Er ist die Verwirklichung eines Ideals von Heimat, einer Heimat, die die geschundenen Juden über Jahrhunderte ersehnt haben und sich erobern mussten“ (5). Ja, genau, sie haben ihre neue Heimat erobert, nur halt auf Kosten der Palästinenser, die sie massenhaft ermordet, vertrieben oder in Freiluftgefängnisse eingepfercht haben im Laufe der letzten sieben Jahrzehnte.

    Staatsgrenzen haben gerade auch die Funktion, diejenigen, die in einer großen Gemeinschaft leben, zu schützen, indem bestimmte Gesetze nicht verletzt werden dürfen und gewisse Regeln zu beachten sind. Ein globaler Raubtierkapitalismus kann so zunächst daran gehindert werden, ungehemmt seinen Raum des Ausbeutens beliebig zu erweitern.

    Israel hat übrigens keine offiziellen Staatsgrenzen, so daß die Palästinenser unter der Besatzung und Lufthoheit des israelischen Militärs ungeschützt bleiben und der israelische Staat der privilegierten Juden weiterhin Eroberungspolitik auf Kosten der Palästinenser machen kann. Hier rächt sich das Versagen der Weltgemeinschaft, die nicht beizeiten Israel angeklagt und isoliert hat.

    Grenzen erinnern selbst flüchtige Besucher, daß andere Gemeinschaften andere Sitten und Gebräuche haben, die auch bewahrt werden wollen. So heißt es schon bei Ankunft auf dem Narita Airport mit großen Lettern (seit mehr als einem Vierteljahrhundert): „Welcome to Japan. Please respect the rules. (Willkommen in Japan. Bitte respektieren Sie die Regeln.)“ Da hält man erst einmal inne.

    Eine ungeregelte Freizügigkeit – außer in humanitären Notsituationen – kann es nicht ohne Konflikte geben. „Als international anerkanntes Menschenrecht bezieht sich Freizügigkeit allein auf das Recht eines Bürgers, das eigene Land zu verlassen und wieder dorthin zurückzukehren“ (6). Selbst Staaten müssen nicht absolute Freizügigkeit innerhalb ihrer Grenzen gewährleisten, im Sinne eines postulierten Gemeinwohls, wie das Beispiel der Volksrepublik China lehrt.

    Grenzenlose Utopien

    Wer offene Grenzen, also absolut ungehemmte Freizügigkeit will, müsste eigentlich Staatsgebilde grundsätzlich ablehnen, also einer anarchistischen Utopie folgen. So wie dies seit rund zwanzig Jahren die deutsche Bewegung „Kein Mensch ist illegal“ und das europäische „No-Border-Netzwerk“ tun.

    Nun ist nichts gegen Utopien einzuwenden, seien es anarchistische, kommunistische, christliche oder andere, solange sie auf einem Humanismus gegründet sind, Orientierungen geben und Gedankenspiele bleiben. Man wird doch noch träumen dürfen. Problematisch wird es allerdings, wenn man meint, hier und heute Teile von Utopien realisieren zu wollen – inmitten eines neoliberal-kapitalistischen Umfelds, ohne die Grundfeste des ökonomischen Systems anzugreifen und anzutasten. Die Teilutopien, die dann scheinbar real umsetzbar sind, werden dann genau die sein, die dem Neoliberalismus dienstbar sind.

    „Naiver Kosmopolitismus bringt niemanden weiter. (...) Denn von Globalisierung hat bislang im Grunde nur das Kapital wirklich profitiert. Und die ,neuen Liberalen‘, die ,neuen Linken‘, die helfen seit Jahren dem Kapital dabei, wirklich zu profitieren“ (Nils Heisterhagen).

    Wer Utopien unmittelbar in seiner Tagespolitik verfolgt, ist naiv, weil er die Folgen nicht bedenkt. Früher hieß es im Klassenkampf: Man muß den Klassenfeind studieren, also damals etwa FAZ lesen. Heute ist jeder nur mit seinem beruflichen Vorankommen, seinen sichtbaren Moralattributen auf Facebook und mit der Resonanz in seiner Blase beschäftigt.

    Wer das Edle propagiert, veredelt sich selbst. Offene Grenzen gelten als edel. Und diese beziehen sich nicht nur auf Staatsgrenzen.

    Grenzen im Bildungssystem wurden längst schon ausgemacht. Und die sollen natürlich erst recht weg: Keiner soll ausgegrenzt werden – so lautet die postmoderne Illusion. Ein mehrgliedriges Schulsystem, was allen – je nach Begabung und Nöten – das Beste für jeden bringen soll, ist demnach grundsätzlich böse und schlecht. Konsequenterweise hat sich die Idee von der inklusiven Einheitsschule in das linke Gedankengut eingeschleust. So heißt es im Wahlprogramm DER LINKEN:

    „Eine gute Schule für alle ist eine Schule in der das längere gemeinsame Lernen individuell und gemeinschaftlich so gestaltet wird, dass sich die Kinder und Jugendlichen zu mündigen, lebensfrohen, friedfertigen, weltoffenen und kompetenten Bürgerinnen und Bürgern entwickeln“.

    Naiver ließe sich das kaum formulieren – und obendrein noch Flagge zeigend mit Gender- und Kompetenz-Neusprech. Das könnte die Bertelsmann-Stiftung – aus ganz anderen Interessen – nur voll unterstützen. Ein Zitat von Gernot Bodner (siehe unten) paraphrasierend könnte ebenso Bezug auf unser Bildungssystem nehmen: „Bei ein wenig historischem Gedächtnis ist es schwer zu begreifen, wie das mehrgliedrige Schulsystem für die Linke zu einem derartigen Synonym für das Böse werden konnte.“

    In den sechziger und siebziger Jahren haben vor allem die Kinder aus der Arbeiterklasse einen Bildungsschub erlebt, der ihnen einen Aufstieg bis hin zur technischen und politischen Elite erlaubte. Leider auch einem Gerhard Schröder. Hingegen ist die inklusive Einheitsschule langfristig billiger und bei sinkender Einflußnahme der Lehrer den Eingriffsmöglichkeiten von außen (vom Kapital) stärker ausgeliefert.

    Unterzeichner

    Haben wirklich alle, die den Aufruf unterzeichnet haben, verstanden, worum es geht beziehungsweise worum eben nicht? Wenn es dann hervorgehoben lautet „Nennen wir das Problem beim Namen. Es heißt nicht Migration. Es heißt Rassismus“, dann kann man sich nur wundern, wieso das das Problem sein sollte – hier in Deutschland oder überhaupt in Europa. Unser Hauptproblem ist immer noch der Neoliberalismus, der dabei ist, seinen finalen Sieg zu erringen (7). Die Folgen sind doch hinreichend bekannt: weiterer Demokratieabbau, Tiefer Staat, weiteres Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich, stärkere Militarisierung und mehr Beteiligung an illegalen Kriegen und so fort.

    Nicht für alle Unterzeichner des Aufrufs gilt die Unschuldsvermutung. Die drei Mitglieder des Fraktionsvorstands DER LINKEN, Caren Lay, Petra Pau und Bernd Riexinger, wußten genau, was sie da taten, nämlich faktisch zur Spaltung DER LINKEN aufzurufen. In einem Interview mit der jungen Welt vom 22. Juni 2018 erläuterte eine Verfasserin des Aufrufs:

    „Wir leben lange schon in einer Gesellschaft, in der gut 20 Prozent rassistische Auffassungen vertreten – aber im Grunde ist das eine Ideologie, die nicht nur in AfD und CSU zu finden ist, sondern bis weit in die Linke hineinreicht. Dass mit der Sammlungsbewegung um Sahra Wagenknecht ein nationalistischer Versuch von links gestartet wurde, war der Punkt, wo wir aktiv geworden sind“ (8).

    Das ist eine maßlose Unterstellung („20 Prozent rassistische Auffassungen“, „nationalistischer Versuch“) und eine direkte Verleumdung der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht obendrein. Wer so spricht und schreibt, hat nicht verstanden, was Linkssein bedeutet und was demokratische Spielregeln im Umgang miteinander sind. Ein Arbeiter oder Arbeitsloser kann sich da nur fragen, ob denen da in ihrer Blase nicht ihr elitäres Weltbild komplett entrückt ist. Hier tut sich ein tiefer Graben auf.

    Pikanterweise schrieb ausgerechnet die Geschäftsführerin der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung dem Verfasser einer Studie, der hart mit der antikommunistischen Geschichtsklitterung DER LINKEN in Thüringen und ihrer Führung ins Gericht ging, im April ins Stammbuch, daß „heute mehr denn je eine linke Grundsolidarität vonnöten“ sei (Ludwig Elm: Rechte Geschichtspolitik unter linker Flagge, pad-Verlag, 2018).

    Ja, aber eine solche Solidarität gibt es schon lange nicht mehr. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war DIE LINKE noch eine Sammlungsbewegung mit einer gemeinsamen Ausrichtung trotz unterschiedlicher Positionen, jetzt ist sie zu einer postmodern gewendeten Ausgrenzungsbewegung mutiert. Ach ja, die Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat den Aufruf auch unterschrieben.

    Die Parteigänger DER LINKEN haben in großer Zahl den Aufruf unterstützt. Aber nicht allein sie sind dabei, sondern auch mehrere Mitglieder der kleinen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Ja, sie ist noch nicht abgewickelt, erscheint aber politisch wirkungslos, da sie in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und gespalten ist auf der Suche nach der richtigen Imperialismustheorie.

    Ein kleiner Verein („marxistische linke – ökologisch, emanzipatorisch, feministisch, integrativ e.V.“), der eine Brücke zwischen Teilen DER LINKEN und der DKP und Sympathisanten, die „die sich dem lebendigen, beweglichen Marxismus verbunden fühlen“, schlagen will, ist mit mehreren Unterzeichnern auch dabei: Unterschrieben haben die beiden Vereinsgründerinnen und mindestens vier weitere Mitglieder.

    Das „Institut Solidarische Moderne“, unterstützt von der Vorsitzenden DER LINKEN, Katja Kipping, hat einen breiten Vorstand, aus dem heraus viele jenen unsolidarischen Aufruf unterzeichnet haben, insbesondere auch ihr Sprecher, einige Sozialdemokraten und zwei Mitglieder jener Marxistischen Linken. Offenbar wird mit diesem Institut intensive Netzarbeit auf verschiedenen Ebenen geleistet. Man nennt das dort wohl Bündnisarbeit. Und bleibt doch unter sich.

    Der Riß geht also quer durch DIE LINKE, die DKP und die SPD und verläuft offenbar zwischen den angeblich beweglichen und den unbeweglichen Teilen. Sind die beweglichen Teile, wohl die dynamischen, etwa die, die mit dem flexiblen Kapitalismus (sprich: Neoliberalismus) ihren ideologischen Frieden gefunden haben? Und sind die unbeweglichen Teile, wohl die dogmatischen, gerade die, die noch etwas vorhaben und noch vorankommen wollen in ihrer Welterkenntnis?

    Es haben viele Mitglieder der absterbenden SPD unterzeichnet, 45 an der Zahl. Und viel mehr Parteigänger der GRÜNEN. Und noch mehr offenbar Parteilose. Niemand von der CDU/CSU, der FDP oder der AfD. Paßt schon. Nicht unterschrieben hat übrigens der IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban, weil, wie er in einem Interview sagte, „dieser Aufruf neben den offenkundigen anti-rassistischen Botschaften, denen ich mich anschließe, auch eine versteckte Agenda enthält. Diese will nicht nach außen einigen, sondern nach innen polarisieren und spalten. Und diese Agenda will ich nicht unterstützen, ich halte sie für fatal“ (9). Das ist sie in der Tat – und markiert womöglich den Anfang vom Ende der Linkspartei, so wie sie jetzt besteht.

    Begriffsverdrehung

    Das hilflose Aufbegehren mancher, die das Heil in der Unterstützung rechtspopulistischer Gruppen suchen, ist ein ernstes Symptom, das das Versagen der postmodernen Linken signalisiert. Und das nicht nur in Deutschland. Rassismus ist dabei nicht das Problem, das als Schreckgespenst hysterisch bekämpft werden muß. Es gab immer und gibt wirkliche Rassisten. Und für die sollte die derzeitige Gesetzgebung hinreichen, um sie, wenn nicht zu läutern, doch wenigstens für ihre Gewaltaktionen und Haßaufrufe zu bestrafen.

    Die übergroße Mehrheit derjenigen, die heutzutage als Rassisten und Antisemiten bezeichnet und verleumdet werden, sind gar keine, sondern nur politische Feinde des Mainstreams, die mit größtmöglichem Haß ausgegrenzt und dämonisiert werden sollen – ganz im Sinne des Neoliberalismus.

    Dabei werden Begriffe im neoliberalen Neusprech zwecks Ausgrenzung der unerwünschten Kritiker schlicht umgedeutet.

    Das fängt schon an mit dem Begriff Nation. Dieser wird inzwischen bei gewissen Linken negativ konnotiert und in einem Atemzug mit Nationalismus genannt. Die Bejahung der Nation hat aber nichts mit Nationalismus zu tun, im Sinne eines übersteigerten Nationalgefühls. Der Wiener Gernot Bodner schrieb jüngst:

    „Bei ein wenig historischem Gedächtnis ist es schwer zu begreifen, wie der Nationalstaat für die Linke zu einem derartigen Synonym für das Böse werden konnte. (...) Der Nationalstaat war der Ort des sozialen Ausgleichs (Sozialstaat) und der parlamentarisch-demokratischen Steuerung. Von ihm ging die Aushandlung internationaler Bündnisse mit anderen Staaten aus. (...) Der Nationalstaat als Ort des Eingreifens in wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklungen hat nie aufgehört zu existieren und wird nun in seiner Rolle neu definiert. Die Rechtspopulisten greifen dazu auf ihre völkischen Ideen einer ausschließenden Nation zurück. Die Linke braucht dagegen ein überzeugendes alternatives Narrativ der Nation als Ort demokratischer Willensbildung, sozialen Solidarität und Völkerverständigung“ (10).

    Der Historiker Klaus-Rüdiger Mai meinte:

    „Denn die meisten Bürger wollen zuallererst einen funktionierenden Staat, der an jedem Ort im betreffenden Land seine Hoheitsrechte durchzusetzen vermag – was an den Grenzen beginnt – und der in der Lage ist, eine solidarische Absicherung seiner Bürger gerecht zu organisieren.“

    „Und wie selbstgerecht ist es, den Bezug auf den Nationalstaat und das Verlangen nach Souveränität als gestrigen Nationalismus zu geißeln, wenn für eine erdrückende Mehrheit der Menschen genau dieser Nationalstaat ein zentraler positiver Bezugspunkt bleibt?“ schrieb Sebastian Müller (11).

    Milton Friedman sagt:

    „Man kann einen Sozialstaat haben und man kann offene Grenzen haben, aber man kann nicht beides zugleich haben“ (12).

    Das wird von manchen liberalen Autoren (Jakob Augstein und Rainer Hank) auch sofort eingesehen, die dann prompt daraus folgern, daß der Sozialstaat eben abgebaut werden müsse (13). Und das genau ist ein Ziel des Neoliberalismus. Klingelt es jetzt beim Stichwort „Offene Grenzen“?

    Wundert es nun, daß die ärmeren Bevölkerungsschichten, die ganz besonders auf den Sozialstaat angewiesen sind, genau spüren, daß sie vom linksliberalen Mainstream verraten und verkauft werden und sie es sind, die die Zeche für ungehemmte Einwanderung zahlen sollen? Wundert es dann, daß sich diese Schichten von den linken Moralisten und Selbstgerechten abwenden und überproportional AfD wählen?

    Obendrein werden sie, die ökonomisch in der Abwärtsspirale hängen, dann noch von denen, die ihr schönes linksliberales Lebensgefühl weitgehend unbeschwert genießen können, als Rassisten diffamiert. Mit Verteilung solcher Wutetiketten wird also massiv Wahlkampfhilfe für die AfD betrieben.

    Ein Sozialdemokrat kommentierte auf den Nachdenkseiten: „Liebe Genossen, Ihr habt nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn Ihr so weitermacht und berechtigte Kritik an ungehemmter Zuwanderung mit menschenverachtendem Rassismus gleichstellt und damit den Rassismus trivialisiert. (…) So wird das nix mit rot-rot-grün“ (14).

    Rassismus

    Rassismus ist zu einem Kampfbegriff der linksliberalen Eliten geworden. Damit geht einher, daß im neoliberalen Zeitalter der Rassismusbegriff unzähligen Erweiterungsversuchen unterworfen wurde. Alltagsrassismus ist auch ein solch unzulässiger Begriff, weil da eher Ressentiments gemeint sind. Fremdenfeindlichkeit kann auch nicht unter Rassismus subsumiert werden. Und die feindselige Einstellung gegenüber einer bestimmten Religion ebensowenig.

    Es gibt eben ein ganzes Spektrum vom pauschalen Ablehnungsmöglichkeiten. Die Sprache ist reich genug, diese alle zu benennen und zu unterscheiden. Man muß nur wollen. In derzeitigen Diskursen scheinen jedoch alle Ausgrenzungsarten in Rassismus zu kollabieren, weil damit ein größerer Abschreckungseffekt erzielt werden kann.

    Die folgende populäre „Definition“ von Albert Memmi ist eine überschießende und somit unzulässige Verallgemeinerung (15): „Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“

    Denn der im Worte Rassismus enthaltene unwissenschaftliche Begriff Rasse (der im Falle von Menschen kein biologisch begründbares Konzept ist) nimmt auf jeden Fall Bezug auf eine mutmaßlich biologische, also mutmaßlich ererbte Form einer äußerlichen Eigenschaft, die sich somit auf eine gesamte Gruppe bezieht, die einer bewertenden Diskriminierung unterliegt.

    Wohin die Aufblähung des Rassismusbegriffs führt, kann man bei dem Sprecher des Instituts Solidarische Moderne (das heißt wirklich so), Thomas Seibert, lernen:

    „Rassismus liegt dort vor, wo Menschen nach entsprechenden Merkmalen selektiert werden: in solche, die hierhergehören, und solche, die hier nur geduldet sind und bald wieder wegsollen“ (16).

    Das ist paßgenau für eine Polemik in der Flüchtlingsproblematik konstruiert. Und dann kommt das Skandalon schrill aus seinem Munde:

    „Wagenknecht stärkt rassistische Positionen in der Wählerschaft der politischen Linken und damit den diffusen Rassismus in rund einem Viertel unserer Gesellschaft. Streng verstanden ist das selbst Rassismus.“

    Von einem Philosophen, auch wenn er für ein Institut der unsolidarischen Postmoderne spricht, würde man eigentlich einen genaueren Umgang mit Begriffen und sauberes Schließen erwarten. Zu den 20 Prozent des Aufrufs gibt er übrigens noch 5 Prozent dazu – wer bietet mehr?

    Das mit dem praktischen Kampf gegen den Rassismus ist auch so eine Sache. Der Co-Vorsitzende DER LINKEN, Bernd Riexinger, will mit dem Aufruf eine („sozialpolitisch fundierte“) Offensive gegen den Rassismus starten (laut Stuttgarter Zeitung, Hauptausgabe vom 20. Juli 2018, S.4).

    Währenddessen machte sich der Co-Fraktionsvorsitzende, Dietmar Bartsch, mit der rassistischen Netanyahu-Regierung Israels gemein und pflanzte ein Bäumchen, angeblich zum Schutze der Israelis vor den Palästinensern. Und er will sein Bäumchen auch wieder besuchen (17). Das ist Treue. Hätte er mal besser ganze Haine gepflanzt zum Gedenken an die vielen ermordeten Palästinenser (18). Aber Solidarität mit den Palästinensern kennt er nicht.

    Stattdessen „Solidarität mit diesem Besatzerstaat auszudrücken, stellt eine Kolonialideologie zur Schau und drückt Verständnis für die brutalen rassistischen Praktiken der Besatzung aus“ (19). Der israelische Marxist Moshe Zuckermann klagte:

    „Wenn DIE LINKE meint, sich mit einem Land wie Israel beziehungsweise mit dem, was aus Israel geworden ist, solidarisieren zu sollen, dann erweist man ihr die falsche Ehre, sie noch als eine linke Partei anzusehen – eine Ehre, auf die sie übrigens vielleicht überhaupt keinen Wert mehr legt“ (20).

    Ganz richtig – DIE LINKE ist mehrheitlich keine linke Partei.

    Die Lifestyle-Linke und ihr Haßhorizont
    Perfide ist die Umdeutung, die überhaupt das Linkssein in der Postmoderne erfahren hat. Links bedeutete stets Solidarität mit den Unterdrückten, auch wenn diese einen anderen Habitus und Sprachstil pflegten. Der Klassenstandpunkt ist wesentlich. Und da das Ideal der Menschlichkeit und der Beseitigung von Ausbeutung real werden soll, gehört ein universeller Humanismus selbstverständlich zum Kern der Leitvorstellungen für eine klassenbewußte Linke.

    Wenn der Klassenstandpunkt im gesellschaftlichen Diskurs schwindet, geraten die ökonomischen Bedingungen leicht aus dem Blickfeld und werden durch Emanzipationsbestrebungen und Identitätsfragen aller Art ersetzt. Es ist die Postmoderne, die große Teile der Linken, sogar bis hin zu den Kommunisten, transformiert hat. Für die kulturelle Emanzipation wird gekämpft, aber der ökonomische Gesichtspunkt fällt unter den Tisch. So konnte zum Beispiel aus einem Feminismus des Klassenkampfes das identitätspolitische Gender Mainstreaming mit seinen Sprachspielen werden.

    Die postmoderne Linke (oder auch Neue Linke), die zumeist im arrivierten Milieu der oberen Mittelschicht und unteren Oberschicht (je nachdem, wo die jeweiligen Einkommensgrenzen gezogen werden) zu finden ist, das sich mit dem Neoliberalismus arrangiert hat, wird auch „Kulturlinke“ genannt. Ein besserer Name wäre jedoch Lifestyle-Linke.

    Diese Lifestyle-Linke vertritt den progressiven Neoliberalismus im Gegensatz zu jenen, die jegliche Spielart des Neoliberalismus abweisen. Diese Linke denkt, wie sie zu leben strebt, nämlich kosmopolitisch. Diejenigen, die sich diesen Lebensstil nicht leisten können und auf Solidarität eines Sozialstaats angewiesen sind, werden dann der sogenannten kommunitarischen Linken zugewiesen.

    Der Gegensatz zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus ist aber nur ein Aspekt eines tieferen, ideologischen Konflikts innerhalb der Linken und der Mitte der Gesellschaft, nämlich zwischen progressivem Neoliberalismus (wie ihn Nancy Fraser bezeichnet hat) und konsequentem Anti-Neoliberalismus (21). Das Flüchtlingsproblem, an dem sich AfD wie DIE LINKE abarbeiten, ist nur ein Symptom.

    Die AfD und DIE LINKE brauchen einander als Haßobjekt. Die AfD bezieht sich gern auf die Linken, wenn sie von „linksgrün versifft“ spricht. Eigentlich ist ihr wahrer Haßhorizont der progressive Neoliberalismus mit seinem ausgrenzenden Moralismus und seiner politischen Korrektheit. Aber das weiß die Partei nicht, weil sie sich eher von dumpfen Stimmungen leiten läßt und den Neoliberalismus auch gar nicht grundsätzlich ablehnt.

    Andererseits: was wäre, wenn sich die AfD plötzlich in Luft auflösen würde? Dann verlöre DIE LINKE auch gleich ihr Alleinstellungsmerkmal und ihren Haßhorizont und müßte im Wahlkampf kontur- und orientierungslos erscheinen. Denn ihr herausgestelltes Antifa-Gebaren gegen den Rassismus ist in erster Linie auf das Wahlvolk der AfD gemünzt. Dadurch will sie beim Wähler punkten: Seht her, WIR sind die konsequentesten Kämpfer gegen das Übel in Europa, den Rassismus der Rechtspopulisten. WIR sind die Weltretter. Das Dumme ist nur, daß das Wahlprogramm der AfD nichts in Bezug auf Rassismus hergibt.

    Die wirkliche politische Auseinandersetzung mit der AfD unterläßt DIE LINKE – aus gutem Grunde. Die AfD ist dezidiert frauenfeindlich, weil sie alte Benachteiligungen neu auflegen will. Nur DIE LINKE beläßt es einfach bei der ökonomischen Benachteiligung der Frauen, indem sie Identitätspolitik betreibt und das Gender Mainstreaming stützt und ein Feuerwerk von Gendersternchen zündet.

    Die AfD ist rechtsneoliberal und fremdenfeindlich, wie sich aus ihrem Wahlprogramm herauslesen läßt (22). DIE LINKE hingegen ist linksneoliberal, nicht zuletzt, da sie auch auf den Politikfeldern Feminismus und Bildungspolitik dem Neoliberalismus Tür und Tor geöffnet hat.

    Die AfD ist militaristisch und einer kriegstreibenden Politik zugewandt (23). Aber die Israel-Politik DER LINKEN ist kriegstreiberisch, indem sie Netanyahu mit seiner barbarischen Besatzungspolitik und dem Angriffskrieg in Syrien den Rücken stärkt.

    Die AfD ist ausgesprochen arbeitnehmerunfreundlich, auch da sie nie davon spricht, Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften zu stärken. DIE LINKE hingegen hat da laut Wahlprogramm sehr viel vor – nur warum glaubt ihr der Wähler das nicht? Das war schon vor einem Jahrzehnt nicht viel anders. Hat DIE LINKE ein Glaubwürdigkeitsproblem? Jetzt ganz gewiß: Wer in einem Rundumschlag die Mehrheit der Deutschen, die so etwas Selbstverständliches wie Staatsgrenzen bewahren wollen, völlig borniert als Rassisten tituliert und damit Björn Höcke und Sahra Wagenknecht in eine Reihe stellt, dem glaubt man einfach gar nichts mehr. Und denkt sich: (pseudo-)linke Spinner.

    Aber die Lifestyle-Linke will und muß aus ihrer Selbstgerechtigkeit heraus hassen – und zwar nicht die Großkonzerne und das internationale Finanzkapital mit ihren Think Tanks. Sondern die, die sich am greifbarsten hassen lassen, nämlich jene, die sich ihren netten Lebensstil nicht leisten können oder sich ihrer selbstgerechten Ideologie verweigern.

    Hillary Clinton hatte einst vom „basket of deplorables“ gesprochen. Hierzulande ist man drastischer und beschimpft solche Menschen gleich als Parias (Rassisten, Rechte, Nazis, Antisemiten und so weiter). Eigentlich müßte sich die Lifestyle-Linke selber hassen: im Besonderen, weil sie die soziale Frage in der Praxis bestenfalls als Charity sieht und den Klassenkampf abgeschrieben hat, weil sie sich selber bestens mit einem hedonistischen Lifestyle arriviert hat und sich vom neoliberalen Kapitalismus hat korrumpieren lassen.

    Konsequenzen

    Die neoliberale Hegemonie manifestiert sich durch die Macht der postmodern gewendeten Begrifflichkeiten, die die Klassengegensätze vertuschen und dabei neue Fronten errichten sollen. Es soll Zwietracht gesät werden unter denen, die als Ausgebeutete eigentlich ähnliche objektive Interessen haben müßten. Divide et impera. Im postmodernen Zeitalter haben sich Losungen wie Freiheit und Emanzipation verselbständigt, Identitäten werden konstruiert und wieder dekonstruiert. Jeder muß um die Anerkennung seines spezifischen Opferstatus ringen. Solidarität ist nur noch innerhalb einer Opfergruppe realisierbar. Die Konkurrenz der Gruppen ist groß.

    DIE LINKE reklamiert bisweilen für sich, anti-neoliberal zu sein – das ist außer Wunschdenken jedoch bestenfalls nur in der Frage der Militäreinsätze der Fall. Selbst auf ökonomischem Gebiet führt sie die Schrödersche Politik der Privatisierung weiter, nämlich in einer runderneuerten Softvariante von ÖPPs (Öffentlich-private Partnerschaft), die verschleiernd als ÖÖPs (Öffentlich-öffentliche Partnerschaft) bezeichnet werden. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung plädiert offen für eine „progressive ÖÖP-Praxis“ (Analysen32.Zukunftsinvestitionen; 24). So sollen in Berlin und Thüringen, dort wo DIE LINKE in Regierungsverantwortung steht, die Schulgebäude in eine Gesellschaft übergehen, die noch mehrheitlich in öffentlichen Händen ist (Marxistische Blätter 3-2017, S.15-18; UZ, 16. März 2018, S.5; 25).

    DIE LINKE ist absolut naiv in dieser Hinsicht. Denn gleichwohl wird damit das Geschäftsmodell des neoliberalen Abverkaufs vorangetrieben, das auch noch die letzten staatlichen Bereiche langfristig privatisieren soll. Ralf Wurzbacher nennt es den großen Schulraub (26). Dieser einmal angeworfene Prozeß ist dann kaum mehr rückgängig zu machen, da den staatlichen Verwaltungen nach und nach die Fachleute ausgehen. Die Bauämter in den Kommunen sind jetzt schon völlig ausgedünnt: magersüchtiger Staat. Der rot-rot-grüne Senat von Berlin verhält sich kein bißchen anders als „konservative“ Regierungen, meint auch Magda von Garrel (27).

    Durch die Übernahme postmoderner Vorstellungen geht in anderen Bereichen Identitätspolitik vor ökonomischen Maßnahmen, die das Großkapital schmerzen könnten. Das ist so mit dem fehlgeleiteten Feminismus, bei dem nur die Sprache im Sinne politischer Korrektheit umgebaut wird, aber nicht die Grundpfeiler des Entlohnungssystems, das Frauen nach wie vor benachteiligt (28).

    Der Aufruf „Solidarität statt Heimat“, der – in bewußter Frontstellung gegenüber der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht – sogar vom Co-Parteivorsitzenden und zwei anderen Mitgliedern des Fraktionsvorstands DER LINKEN unterzeichnet wurde, hat eine katastrophale Außenwirkung auf das Wählervolk, das noch nicht den Slogans der postmodernen Moralisten auf den Leim gegangen ist.

    Wer will denn noch DIE LINKE wählen, die schon lange aufgehört hat, sich als Partei dem neoliberalen Mainstream zu verweigern? Sie paralysiert sozusagen die wenigen linken Kräfte in diesem Land, folgt der Staatsräson und schützt den neoliberalen Staat vor einem effektiven Aufbegehren der Ausgebeuteten.

    DIE LINKE ist also nicht das geringste Übel, welches man zähneknirschend wählen müßte, sie ist neben den GRÜNEN das Übel schlechthin diesseits von Rechts. Eine solche Partei brauchen wir nicht – denn es gibt ja schon die SPD (für die Sozialprosa) und die GRÜNEN (für die Moralkeule) (29). Und der Aufruf demonstriert ja überdies, daß dieser Teil der Kipping-Linken nicht wirklich bündnisfähig ist, weil sie mit Andersdenkenden keinen Konsens sucht, sondern sofort mit Antifa-Gebaren die Rassismuskeule schwingt.

    Georg Seeßlen behauptete jüngst in seinem Beitrag „Dem Volk was vormachen“: „Der Populismus ist eine Kraft, die das Linke zersetzt, von außen wie von innen“ (30). Nein, die bereits vollzogene Zersetzung ist durch die Postmoderne, die linksliberale Leitideologie des progressiven Neoliberalismus, geschehen. Der Linkspopulismus ist lediglich die nötige Antwort darauf, um wieder Gehör und Glauben beim „Volk“ zu finden, das sich in seinen wirtschaftlichen Nöten schon lange nicht mehr politisch repräsentiert sieht.

    Den Unterschied zum Rechtspopulismus hat Bernd Stegemann in seinem Buch „Das Gespenst des Populismus“ (Verlag Theater der Zeit, 2017) hinreichend deutlich dargelegt.
    „Linke Parteien müssen darauf hinarbeiten, ihre Basis wieder zu verbreitern und Wähler zurückzugewinnen“, schrieb Lev Lhommeau (21). Nur, DIE LINKE wie die GRÜNEN können und wollen es gar nicht, da sie mehrheitlich die schlecht verdienenden und hart arbeitenden Menschen mit ihrem linksliberalen Moralismus nachhaltig abschrecken.

    Und die SPD ist sowieso am Ende ihrer Glaubwürdigkeit angelangt. Die beworbene obere Mittelschicht ist eher dünn und wird noch dünner. Mit ihr allein gewinnt man keine Wahlen.
    Nils Heisterhagen hat dennoch die Vision von einem „linken Realismus“, der die linken Kräfte einen soll. Ihm ist zwar klar, daß ein kultureller Kosmopolitismus, der alle nationalen Kulturen aufhebt und enthält, naiver postmoderner Unsinn ist.

    Nur ist dieser als moralische Haltung in der Lifestyle-Linken fest verankert. Ein solcher Habitus und Moralismus läßt sich nicht einfach aus den Köpfen vertreiben und wird noch Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, überdauern. Eine Einigung ist nicht in Sicht und nur eine saubere Trennung verspricht einen Neuanfang.

    Die Kritiker des liberalen Mainstreams und der Lifestyle-Linken müssen also und werden sich weiter sammeln, um letztendlich eine neue linkspopulistische Partei noch vor der nächsten Bundestagswahl zu gründen – Name egal, Hauptsache klassenbewußt und anti-neoliberal. Dann könnte sie aus dem Stand vielleicht sogar die zweitstärkste Volkspartei werden.

    Die Reste der Linkspartei würden dann hoffentlich ihre Katharsis erfahren und unter die Fünf-Prozent-Hürde gehen und später vielleicht eingehen in ein Bündnis mit den postmodernen GRÜNEN – wo sie eigentlich auch jetzt schon hingehörten. Eine postmoderne linksliberale Mittelschichtpartei in Deutschland reicht völlig. Eine wirklich linke Partei ohne postmoderne Verstrickungen fehlt ganz.

    Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten ist zu üben, in der Heimat wie international. Offene Grenzen sind als Phantasmen zurückzuweisen.

    Quellen und Anmerkungen:

    (a) https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org
    (1) https://zahramohammadzadeh.wordpress.com/2010/11/08/was-ist-heimat-fur-mich
    (2) https://www.hna.de/kultur/interview-darum-ist-heimat-ein-trend-9521710.html
    (3) https://www.rubikon.news/artikel/willkommen-und-abschiebung
    (4) https://www.zeitschrift-luxemburg.de/offene-grenzen-sind-machbar
    (5) https://www.welt.de/debatte/kommentare/article179671432/Nahost-Israel-ist-ein-juedischer-Staat-eine-Selbstverstaendlichkeit.html?wtrid=
    (6) https://www.rubikon.news/artikel/der-spaltpilz
    (7) https://www.rubikon.news/artikel/die-unsichtbare-hand
    (8) https://www.jungewelt.de/artikel/334596.wir-erleben-gerade-einen-rechten-putsch.html
    (9) https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/anti-rassismus-und-eine-versteckte-agenda
    (10) http://www.antiimperialista.org/de/content/mit-antifa-gegen-rechtspopulismus
    (11) https://makroskop.eu/2018/07/mit-falscher-empfindlichkeit-gegen-den-rauen-wind-des-populismus
    (12) https://www.deutschlandfunkkultur.de/absage-an-ein-vereintes-europa-warum-die-linke- die-nation.1005.de.html?dram:article_id=410341
    (13) https://www.nachdenkseiten.de/?p=44870, http://norberthaering.de/de/27-german/news/995-hank-sozialnazis
    (14) https://www.nachdenkseiten.de/?p=44529#h01
    (15) http://www.dir-info.de/dokumente/def_rass_memmi.html
    (16) http://www.taz.de/!5455168
    (17) http://www.kkl-jnf.org/about-kkl-jnf/green-israel-news/may-2018/life-saving-trees-sufa-dietmar-bartsch/german
    (18) https://www.rubikon.news/artikel/wenn-die-olivenhaine-trauer-tragen
    (19) https://www.jungewelt.de/artikel/336757.protest-aus-pal ProzentC3 ProzentA4stina-gegen-besuch-von-dietmar-bartsch-die-linke-ende-mai-in-israelischer-siedlung.html; https://www.rubikon.news/artikel/die-apartheid-pr
    (20) https://www.rubikon.news/artikel/linker-opportunismus
    (21) https://makroskop.eu/2018/06/der-kosmopolitische-irrweg
    (22) https://www.rubikon.news/artikel/neoliberal-und-fremdenfeindlich
    (23) https://www.rubikon.news/artikel/die-kriegspartei
    (24) https://www.rubikon.news/artikel/die-schulen-werden-privatisiert
    (25) https://www.rubikon.news/artikel/ware-bildung
    (26) https://www.rubikon.news/artikel/der-grosse-schulraub
    (27) https://www.rubikon.news/artikel/der-grosse-coup
    (28) https://www.rubikon.news/artikel/die-grosse-ablenkung
    (29) https://www.rubikon.news/artikel/diese-linke-braucht-kein-mensch
    (30) http://www.taz.de/!5519642

    #Allemagne #polituque #gauche #migration

  • Rubikon - Magazin für die kritische Masse | Sklaverei 2.0
    https://www.rubikon.news/artikel/sklaverei-2-0

    Wir sollen 16 Stunden am Tag arbeiten und dabei im Elend leben.
    von Chris Hedges
    Foto: Suzanne Tucker/Shutterstock.com

    Sie sind eine Ikone von New York City – die gelben Taxis. Sie prägen das Stadtbild und spielen in zahllosen Filmen eine Rolle, nicht zuletzt in Martin Scorseses grandiosem „Taxidriver“. Chris Hedges knöpft sich in folgendem Artikel die New Yorker Taxiszene vor. Wie unter einem Brennglas zeigen sich hier die unmenschlichen Bedingungen, unter denen immer mehr Menschen heute arbeiten und leben müssen.

    Ein 65-jähriger Taxifahrer in New York City aus Queens, Nicanor Ochisor, hat sich am 16. März in seiner Garage erhängt. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, dass die Fahrdienstvermittler Uber und Lyft es ihm unmöglich gemacht hätten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das war der vierte Selbstmord eines New Yorker Taxifahrers in den letzten vier Monaten, darunter auch der des 61-jährigen Chauffeurs Douglas Schifter, der sich mit einer Schrotflinte vor dem Rathaus erschoss.

    „Wegen der überwältigenden Anzahl von Autos auf dem Markt samt ihrer verzweifelten Fahrer, die versuchen, ihre Familien zu ernähren“, schrieb Schifter, „werden die Fahrpreise unter die Betriebskosten gedrückt und professionelle Fahrer wie ich gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben. Die Bosse scheffeln Geld und wir werden auf die Straße gejagt, werden obdachlos und müssen hungern. Ich werde kein Sklave sein und für ´nen Appel und ´n Ei arbeiten. Da bin ich lieber tot.“ Er habe in den letzten 14 Jahren jede Woche 100 bis 120 Stunden gearbeitet.

    Neofeudale Sklaverei
    Schifter und Ochisor waren zwei der Millionen Opfer der neuen Ökonomie. Der Konzernkapitalismus ist dabei, in zahlreichen Beschäftigungsfeldern eine neofeudale Sklaverei zu errichten, in der es keine Arbeitnehmerrechte, keinen Mindestlohn, keine Zuschläge, keine Arbeitsplatzsicherheit gibt, in der nichts reguliert ist. Verzweifelte und verarmte Arbeiter, die dazu gezwungen sind, 16 Stunden am Stück zu arbeiten, werden brutal gegeneinander ausgespielt. Uber-Fahrer verdienen rund 13,25 Dollar in der Stunde. In Städten wie Detroit fällt der Stundenlohn auf 8,77 Dollar. Travis Kalanick, der frühere Geschäftsführer von Uber und einer seiner Gründer besitzt ein Nettovermögen von 4,8 Milliarden US-Dollar. Logan Green, der Chef von Lyft, hat ein Nettovermögen von 300 Millionen US-Dollar.

    Die Unternehmer-Eliten, die die Kontrolle über die entscheidenden Institutionen, inklusive der Regierung, übernommen und die Gewerkschaften zugrundegerichtet haben, stellen derzeit die unmenschlichen Arbeitsbedingungen wieder her, die das 19. und frühe 20. Jahrhundert geprägt haben. Als die Arbeiter von General Motors 1936 für 44 Tage streikten und die Fabriken besetzten, lebten viele von ihnen in Baracken ohne Heizung und Wasseranschluss; sie konnten wochenlang ohne Ausgleichszahlung entlassen werden, sie kamen nicht in den Genuss von Krankengeld oder Rentenzuzahlungen und wurden oft ohne Begründung gefeuert. Sobald sie ein Alter von 40 Jahren erreichten, konnte ihr Beschäftigungsverhältnis beendet werden. Der Durchschnittslohn betrug rund 900 Dollar im Jahr und das zu einer Zeit, als die Regierung festgelegt hatte, dass eine vierköpfige Familie mindestens 1600 Dollar für ein Leben über der Armutsgrenze brauchte.

    Die Manager von General Motors (GM) haben die Gewerkschaftsorganisatoren erbarmungslos verfolgt. 1934 gab das Unternehmen 839.000 Dollar für Detektive aus, um sie auszuspionieren und bei Gewerkschaftstreffen Agenten einzuschleusen. GM stellte die weiße Terroristengruppe Black Legion ein – der Polizeichef von Detroit stand unter dem Verdacht, eines ihrer Mitglieder zu sein, um die Gewerkschaftsaktivisten zu bedrohen, körperlich anzugreifen und Gewerkschaftsführer zu ermorden, darunter George Marchuk und John Bielak, die beide erschossen wurden.

    Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!
    Die Herrschaft der allmächtigen kapitalistischen Klasse ist mit voller Macht zurück. Die Arbeitsbedingungen heute sind wieder so miserabel wie in früheren Zeiten und sie werden sich nicht verbessern, ehe die Menschen nicht den Kampfgeist wiedererlangen und die Massenorganisationen wieder aufbauen, die den Kapitalisten die Macht entrungen hatten. In New York City gibt es ungefähr 13.000 Taxis mit Lizenz und 40.000 Fahrzeuge mit Chauffeur oder Limousinen. Die Fahrer sollten das Stadtzentrum lahm legen, so wie es die Bauern 2015 mit ihren Traktoren in Paris getan haben. Und die Fahrer in anderen Städten sollten es ihnen gleichtun. Das ist die einzige Sprache, die Konzernherren verstehen.

    Die herrschenden Kapitalisten werden genauso brutal sein wie in früheren Zeiten. Nichts erzürnt die Reichen mehr, als sich von einem Bruchteil ihres obszönen Reichtums zu trennen. Sie gehören zu den abstoßendsten Exemplaren der menschlichen Gattung - von Gier zerfressen, durch ein Leben in Hedonismus und Extravaganz stumpf geworden gegenüber menschlichem Leid, empathielos, der Selbstkritik oder Aufopferung unfähig, von Kriechern umgeben und von Nassauern, die ihnen jeden Wunsch von den Lippen ablesen, imstande, sich mithilfe ihres Vermögens über die Gesetze hinwegzusetzen und Kritiker und Gegner zu zerstören.

    Man sollte sich von den gewieften PR-Kampagnen der Eliten nicht hinters Licht führen lassen oder von liebedienerischen Promis in den Konzernmedien, die den Oligarchen als Höflinge und Apologeten dienen – derzeit ist zu sehen, wie Mark Zuckerberg, dessen Nettovermögen 64,1 Milliarden US-Dollar beträgt, einen massiven Propagandafeldzug gegen die Vorwürfe führt, dass er und Facebook darauf abzielen, unsere persönlichen Informationen auszubeuten und zu verkaufen.

    Diese Leute sind der Feind.

    16 Stunden am Steuer
    Ochisor, ein rumänischer Immigrant, besaß ein New York City Taxi Zertifikat. (Zertifikate waren früher bei Taxifahrern heiß begehrt. Sie haben den Fahrern ermöglicht, ihre eigenen Taxis zu besitzen oder sie an andere Fahrer zu verleasen.) Ochisor fuhr die Nachtschicht, die zehn bis zwölf Stunden dauerte. Seine Frau übernahm die Tagschicht. Doch nachdem Uber und Lyft vor ungefähr drei Jahren die Stadt mit Autos und unterbezahlten Fahrern fluteten, verdiente das Paar kaum noch genug, um seine Ausgaben zu decken. Ochisors Haus stand kurz vor der Zwangsversteigerung.

    Sein Zertifikat, das einst 1,1 Millionen Dollar wert war, war auf einen Wert von 180.000 Dollar gesunken. Der dramatische Wertverlust des Zertifikats, das er einst für 3000 Dollar im Monat zu verleasen oder zu verkaufen hoffte, um seinen Ruhestand zu finanzieren, vernichtete seine wirtschaftliche Sicherheit. Er stand vor dem finanziellen Ruin, Armut erwartete ihn. Und damit war er nicht alleine.

    Die Architekten dieser neuen Ökonomie haben nicht die Absicht, diesen Anschlag zu verhindern. Sie wollen jeden zum Zeitarbeiter machen, ihn in den erniedrigenden Niedriglohn- und Dienstleistungssektor und in die Teilzeitfalle zwingen, ohne Arbeitsplatzsicherheit oder Zuschläge. Diese düstere Wirklichkeit vertuschen sie, indem sie dafür coole Etiketten erfinden wie die „Gig Economy“ (Ökonomie der Gelegenheitsjobs, A.d. Ü.)

    John McDonagh fing vor 40 Jahren als Taxifahrer in New York City an. Wie die meisten Fahrer arbeitete er für ein großes Taxiunternehmen. Er bekam einen Anteil dessen, was er jede Nacht einnahm.

    „[Damals] konnte man davon leben”, erzählte er mir. „Alle haben die Last zusammen getragen. Der Betrieb hat seinen Teil getragen, der Fahrer hat seinen Teil getragen. In einer guten Nacht verdiente das Unternehmen Geld. Wenn man eine schlechte Nacht hatte, verdienten beide wenig. Das ist nicht mehr der Fall. Jetzt müssen wir die [Taxis von den Betrieben] leasen.“

    Für das Leasing des Autos muss der Fahrer 120 Dollar am Tag bezahlen und 30 Dollar für das Benzin. Der Fahrer beginnt seine Schicht also mit 150 Dollar Schulden. Wegen Uber, Lyft und anderen Mitfahr-Apps ist der Verdienst der Fahrer in vielen Fällen auf die Hälfte geschrumpft. Es kommt vor, dass Taxifahrer nach ihrer 12-Stunden-Schicht Schulden beim Betrieb haben. Sie stehen vor dem Bankrott, vor Zwangsversteigerungen und Zwangsräumungen. Manche von ihnen sind obdachlos.

    „Die New York City Transportation and Limousine Commission wollte die Arbeitszeit der Taxifahrer auf 12 Stunden täglich begrenzen“, berichtete McDonagh und bezog sich dabei auf die typischen gelben Taxis, die eine Lizenz haben und Fahrgäste aus allen fünf Bezirken mitnehmen. „Sie protestierten und führten ins Feld, dass sie 16 Stunden arbeiten müssten, um davon leben zu können. Die neue Bestimmung hat überall zu Einschnitten geführt. Jeder kämpft um zusätzliche Fahrgäste.

    Man steht mit zwei oder drei anderen gelben Taxis an der Ampel. Wenn man jemanden mit Gepäck auf der Straße sieht, fährt man über rote Ampeln, um als erster bei dem potentiellen Fahrgast zu sein. Weil er ja vielleicht zum Flughafen will. Man setzt sein Leben aufs Spiel, man riskiert einen Strafzettel, man macht alles, was man früher niemals getan hätte.

    Wir haben keine Krankenversicherung. Wir sitzen 12 bis 16 Stunden am Steuer, da kriegt man Diabetes. Der Kreislauf leidet. Man nimmt zu. Und außerdem steht man unter dem zusätzlichen Stress, womöglich kein Geld zu verdienen.“

    Im Jahr 2016 beschäftigten Uber und Lyft 370 aktive Lobbyisten in 44 Staaten. Laut dem National Employment Law Project „stellten sie damit einige der größten Wirtschafts- und Technologieunternehmen in den Schatten. Gemeinsam verfügen Uber und Lyft über mehr Lobbyisten als Amazon, Microsoft und Walmart zusammen.“ Wie viele andere Lobbyfirmen stellen die beiden Unternehmen Leute aus früheren Regulierungsbehörden der Regierung ein.

    Der ehemalige Chef der New York City Taxi and Limousine Commission ist heute beispielsweise im Vorstand von Uber. Die Firmen haben ihr Geld und ihre Lobbyisten – die meisten von ihnen sind Mitglieder der Demokratischen Partei – dafür eingesetzt, sich von Regulierungen und Kontrolle zu befreien, denen die Taxibranche eigentlich untersteht. Die Firmen, die Mitfahr-Apps benutzen, haben in den letzten zwei Jahren New York City mit rund 100.000 Fahrzeugen ohne jegliche Beschränkung geflutet.

    Die gelben Taxis sind am Ende
    „Ein gelbes Taxi muss ein bestimmter Fahrzeugtyp sein“, so McDonagh. „Und zwar ein Nissan. [Nissan hat die Ausschreibung gewonnen, die Taxis der Stadt bereitstellen zu dürfen.] Jedes gelbe Taxi muss einen bestimmten Fahrpreis verlangen, den die Stadt reguliert. Man hat den Taxis diverse Zusatzabgaben auferlegt, Abgaben an die Metropolitan Transportation Authority (staatliches Verkehrsunternehmen des US-Bundesstaats New York, A. d. Ü.), Abgaben für Rollstühle [die Hälfte der gelben Taxis müssen bis 2020 barrierefrei sein], eine Gebühr für Stoßzeiten.

    Dann kommt Uber daher. Ohne jegliche Auflagen. Sie können jeden Fahrzeugtyp aussuchen. Egal welcher Farbe. Sie dürfen Preise senken, wenn wenig los ist. Und wenn viel los ist, dürfen sie die Preise erhöhen. Auf den doppelten oder dreifachen Satz. Dagegen muss das gelbe Taxi zur gleichen Zeit zum immer gleichen Fahrpreis zur Stelle sein. Von Manhattan zum Kennedy Flughafen kostet es 52 Dollar. Ganz gleich wie viel Verkehr, ganz gleich wie viele Stunden die Fahrt dahin dauert. Uber dagegen erhöht einfach den Preis auf das Doppelte oder Dreifache. Bei ihnen muss man dann vielleicht 100 Dollar für die Fahrt zum Kennedy Flughafen bezahlen.

    Während also die Branche der gelben Taxis durch die Regularien fast erdrosselt wird, kommt Uber daher mit neuer Technologie, die ihnen dabei hilft, neue Methoden zum Geldverdienen zu entwickeln... Die gelben Taxis sind am Ende.“

    Wettlauf nach unten
    Das Leben der Uber- und Lyft-Fahrer ist genauso schwierig. Uber und Lyft locken Fahrer mit Boni ins Geschäft. Wenn die aber aufgezehrt sind, fallen die Fahrer in die gleiche wirtschaftliche Misere wie die Fahrer der gelben Taxis.

    „Uber least Autos”, so McDonagh, „Sie verfügen über Autohäuser. Sie werben so: ‚Wenn Sie einen Kredit zu schlechten Bedingungen haben, kommen Sie doch zu Uber. Wir beschaffen Ihnen das Geld oder den Kredit, damit Sie dieses Auto erstehen können.‘ Uber kann dabei nur gewinnen. Wenn Sie scheitern, verkaufen die das Auto einfach zurück ans Autohaus und bringen es für den nächsten Fahrer wieder auf Vordermann. Das ist die Masche.

    Als Fahrer eines gelben Taxis erlebt man den berühmten ‚Wettlauf nach unten‘. Man arbeitet immer länger und bekommt dafür immer weniger Lohn. Das ist die neue ‚Gig Economy‘. Man fährt mit Uber zum Airbnb, und bestellt dann übers Handy bei Amazon etwas zu essen. Die Geschäfte sind alle verschwunden. Von der Kassiererin zum Taxifahrer, alle diese Jobs gehen verloren. Ich komme mir vor wie ein Schmied oder ein Schriftsetzer bei einem Zeitungsverlag, wie ich hier so versuche zu erklären, wie die Taxibranche einst funktioniert hat. Wir werden überflüssig.

    Die Taxifahrer schlafen im Taxi. Sie fahren um zwei oder drei Uhr morgens zum Kennedy Flughafen raus, parken und schlafen dort, um ein paar Stunden später die Fluggäste der ersten Maschine aus Kalifornien zu fahren. Manche kommen mehrere Tage gar nicht nach Hause. Sie bleiben einfach auf der Straße. Die Zahl der Unfälle wird in die Höhe schnellen, weil die Fahrer übermüdet sind.“

    McDonagh meinte, dass Uber und Lyft reguliert werden müssen. Alle Wagen sollten einen Taxameter haben, um den Fahrern ein angemessenes Einkommen zu garantieren. Und die Fahrer sollten krankenversichert sein und Zuschläge bekommen. Doch nichts davon wird umgesetzt werden, warnte er, solange wir unter einem Regierungssystem leben, in dem unsere politischen Eliten von Wahlkampfspenden der Unternehmen abhängig sind und solange diejenigen, die die Industrie regulieren sollten, darauf setzen, bei diesen Unternehmen in der Zukunft einen Job zu bekommen.

    „Wir müssen die Zahl der Taxis beschränken, insbesondere hier in New York City”, sagte McDonagh. „Wenn wir das mit den gelben Taxis vor 50 Jahren so gehandhabt haben, warum sollte das mit Uber nicht möglich sein? Sie stellen jede Woche 100 neue Wagen auf die Straßen von New York. Das ist doch irre. Heute beschweren sich die Leute vor allem darüber, dass das Uber-‚Fahrzeug zu schnell kommt.‘ Innerhalb von nur zwei oder drei Minuten. In der Zeit kann ich mich nicht mal anziehen. … Die fahren mit leerem Fahrzeug durch die City und warten nur auf diesen Treffer.

    Pferde haben es besser als Menschen
    Die Pferde im Central Park unterliegen Beschränkungen. Es gibt nur 150 von ihnen. Die Pferdehalter mit ihren Wagen können super davon leben. Stellen Sie sich jetzt mal vor, Uber käme daher und sagte: ‚Wir wollen Uber-Pferde auf den Markt bringen. Und zwar 100.000 davon.‘ Dann kann man ja mal sehen, wie der Markt damit fertig wird. Wir wissen, was dann passiert.

    Dann wird niemand mehr Geld verdienen. Der ganze Central Park wäre voll damit. Und niemand kann mehr einen Schritt dort gehen, weil man andauernd in eines der 100.000 Pferde rennt. Alle würden über diesen Wahnsinn den Kopf schütteln. Und niemand käme auf die Idee. Aber bei der Taxibranche, in der 50 Jahre lang höchstens 13.000 Taxis erlaubt waren, kann man ja ohne mit der Wimper zu zucken einfach mal 100.000 mehr zulassen, innerhalb von nur einem Jahr oder zwei Jahren. Schauen wir doch einfach mal, wie der Markt dann funktioniert! Wir wissen, wie der Markt funktioniert.

    Sie [die Pferde] haben kürzere Arbeitstage [als wir Taxifahrer]. Sie müssen weder bei heißen, noch bei kalten Temperaturen arbeiten. Wenn Sie an Reinkarnation glauben, sollten Sie als Pferd im Central Park wiederkommen. Die leben auch alle im Westen Manhattans. Wir aber leben in Kellern in Brooklyn und Queens. Wir haben unseren Status im Leben nicht erhöht, darauf können Sie Gift nehmen.“

    Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Gig-Economy ist the New Term for Serfdom". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.

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    #Taxi #USA #New_York #Uber