Belgien - Nüchtern betrachtet - Panorama

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  • Nüchtern betrachtet
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    Von Thomas Kirchner - 22. Januar 2017, 18:56 Uhr

    Im Parlament soll es auch weiterhin Alkohol gratis für die Abgeordneten geben - trotz einiger rassistischer Ausraster.

    „Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt. Je länger die Sitzung dauert, desto intensiver.“ Das sagte Joschka Fischer 1983. Seither ist es mutmaßlich besser geworden, wird überhaupt weniger gesoffen am Arbeitsplatz. Aber gerade Politiker kommen weiterhin überdurchschnittlich häufig mit Alkohol in Berührung. Politik ohne Alkohol? Schwer vorzustellen. Hier ein Empfang, dort eine Versammlung, und noch dazu sind viele Termine im Leben eines Politikers nüchtern kaum auszuhalten.

    In Belgien, dem Land, dessen Bier im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe erklärt wurde, ist das gerade ein Thema. Durch einen Vorstoß der Ethikkommission des Parlaments wurde bekannt, dass im Café der Brüsseler Abgeordnetenkammer gratis Bier und Wein ausgeschenkt wird, à discrétion, wie man sagt. Herman De Croo, der seit 1968 im Parlament sitzt, hatte diese Tradition Ende der Neunzigerjahre eingeführt. Er sei es leid gewesen, erzählte er belgischen Zeitungen, dass sich die Kollegen an Sitzungstagen immer in die umliegenden Cafés und Bars verdrückten. In einigen, so geht die Legende, seien sogar Klingeln angebracht worden, die die nächste Abstimmung ankündigten. „Um dem ein Ende zu setzen, ließ ich Wein und Bier in unsere ,Koffiekamer’ (Cafeteria) bringen“, sagt De Croo. „Automatisch haben die Abgeordneten danach weniger getrunken, weil die soziale Kontrolle größer wurde.“

    Das Bier liefert die kleine Brauerei St.-Feuillien, die dem liberalen Abgeordneten Benoît Friart gehört. Sein Stoff laufe gerade ziemlich gut, gibt er zu Protokoll. In Berlin oder Den Haag gibt es in der Regel nicht einmal ein Glas Wasser umsonst. Nur bei Sitzungen steht ein Gedeck aus Kaffee, Tee, Sprudel und Saft auf den Tischen.

    In Belgien war das Thema eher zufällig aufgekommen, weil ein weiterer liberaler Abgeordneter eine marokkanischstämmige Kollegin rassistisch beleidigt hatte. Die Ethikkommission war daher um Rat gebeten worden, wie sich allgemein „respektlose und unhöfliche Äußerungen“ im Ratssaal verhindern ließen. Wegen der Meinungsfreiheit, so die Ethiker, seien Sanktionen eine heikle Sache. Allerdings wäre es der Qualität der Debatten sicherlich zuträglich, wenn die Gratisversorgung mit Alkohol unterbliebe. „Wenn sie betrunken sind, sagen die Abgeordneten Dinge, die sie gar nicht meinen“, erklärte Danny Pieters, Vorsitzender der Ethikkommission und ehemaliger Abgeordneter. „Den ganzen Tag lang gratis Alkohol am Arbeitsplatz: In welchem Unternehmen gibt es denn so etwas noch?“, fragte ein junger Parlamentarier, der die Vorbildfunktion der Politiker anmahnte. „Das passt wirklich nicht mehr in unsere Zeit.“ Es sei Zeichen einer „ganz alten politischen Kultur“.

    Die Kollegen allerdings verwarfen die Idee der Kommission. Es gebe kein Alkoholproblem, da sind sich die meisten einig. Der rassistische Vorfall habe im Übrigen nichts mit der Sache zu tun. Wenn allgemein zu viel getrunken werde, spiele der Ausschank in der Koffiekamer keine entscheidende Rolle. „Da sitzen erwachsene Menschen, die selbst über ihren Alkoholgenuss entscheiden können“, sagt De Croo. „Ein Politiker kann es sich gar nicht erlauben, betrunken vor dem Mikrofon zu stehen.“

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